Prinzhorns Schweizer. Karl Maximilian Würtenberger Vernissage: Montag, 4. Dezember 2017, um 18:30 Uhr

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1 Prinzhorns Schweizer Karl Maximilian Würtenberger Vernissage: Montag, 4. Dezember 2017, um 18:30 Uhr Prinzhorns Schweizer Karl Maximilian Würtenberger Mit der Doppelausstellung Prinzhorns Schweizer und Karl Maximilian Würtenberger wird die Historie der berühmten Sammlung Prinzhorn zum ersten Mal als Teil der Schweizer Geschichte der Art Brut formuliert. Als Mutter der Art Brut wird die Sammlung Prinzhorn der Psychiatrischen Universitätsklinik in Heidelberg bezeichnet. Berühmt wird sie durch Hans Prinzhorns Buch Bildnerei der Geisteskranken (1922), das schon die Künstler der Avantgarde inspiriert. Parallel zu Hans Prinzhorns Publikation erscheint das Buch des Schweizer Psychiaters Walter Morgenthaler zu Adolf Wölfli, Ein Geisteskranker als Künstler (1921). Wölflis Werke finden ebenso Eingang in Prinzhorns Sammlung. Wegweisend wird die Wiederentdeckung des Heidelberger Fundus durch den Schweizer Kurator Harald Szeemann. Dessen Ausstellung Bildnerei der Geisteskranken Art Brut Insania Pingens in der Kunsthalle Bern 1963 ist die bis dahin umfangreichste Schau von Anstaltswerken im Kunstkontext. Zum ersten Mal nach dem Zweiten Weltkrieg sind dort wieder Werke aus der Sammlung Prinzhorn zu sehen. Szeemanns Ausstellung verleiht dem Diskurs über Hochkunst und Irrenkunst einen gewaltigen Schub, der auch zurück nach Heidelberg wirkt: Weitere Ausstellungen folgen und der Springer Verlag gibt einen Neudruck von Prinzhorns Buch heraus. Revolutionär ist schliesslich Szeemanns Inszenierung der documenta 5 (1972) mit Wölfli und u.a. Heinrich Anton Müller. Die Ausstellung Prinzhorns Schweizer holt erstmals die Schweizer KünstlerInnen nach Hause und beleuchtet die Sammlung Prinzhorn als Teil Schweizer Geschichte der Art Brut. 1

2 Zu sehen sind rund 60 Werke von allen 22 KünstlerInnen aus Schweizer Anstalten. Sie kommen aus Herisau, Kreuzlingen, Münsingen, Münsterlingen, Neuchâtel, der Rheinau, Schaffhausen, der Waldau bei Bern, Wil und Zürich quer durch die ganze Schweiz. Unter ihnen sind Heinrich Anton Müller, Adolf Wölfli, Else Blankenhorn und der Stickerin Jeanne Natalie Wintsch. Aber auch unbekannte und unbekanntere KünstlerInnen gibt es zu entdecken. Es fällt auf, dass insbesondere die psychiatrischen Einrichtungen der Ostschweiz rege dem Ruf aus Heidelberg gefolgt sind. Mit sieben KünstlerInnen sticht die Kantonale Psychiatrische Klinik Herisau AR hier stark hervor. Hinzu kommt eine spezielle Präsentation des Keramikkünstlers vom Bodensee, Karl Maximilian Würtenberger ( ) aus Emmishofen TG. Noch nie wurde das keramische Werk Würtenbergers seinen Zeichnungen gegenübergestellt, die in der Heil- und Pflegeanstalt Illenau bei Achern entstanden und heute ebenfalls in der Sammlung Prinzhorn aufbewahrt sind. Sie belegen, dass der für die Öffentlichkeit lebendig Begrabene auch in der Anstalt durchgehend künstlerisch gearbeitet hat nicht nur zeichnerisch, sondern auch keramisch. Tatsächlich ist zu vermuten, dass bis heute nicht verortete Arbeiten in der Illenau geschaffen wurden. Zu sehen sind 32 Zeichnungen aus der Sammlung Prinzhorn und 21 keramische Arbeiten aus Privatbesitz und dem Museum Rosenegg, Kreuzlingen. Die Sammlung Prinzhorn Europaweit sind Psychiater Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts im regen Austausch. Im Jahr 1919 wird der promovierte Kunsthistoriker und Arzt Hans Prinzhorn ( ) an die Psychiatrische Universitätsklinik nach Heidelberg berufen, eine schon unter Emil Kraepelin angelegte kleine Lehrsammlung künstlerischer Patientenarbeiten wissenschaftlich zu bearbeiten. Zusammen mit dem Klinikleiter Karl Wilmanns schickt Prinzhorn Rundschreiben an die psychiatrischen Anstalten im gesamten deutschsprachigen Raum. Er bittet um ausdrucksstarke Patientenarbeiten für den Aufbau eines Museums für pathologische Kunst. In den folgenden Jahren werden aus Anstalten, Kliniken, Sanatorien nicht nur innerhalb Deutschlands künstlerische Arbeiten nach Heidelberg geschickt. Auch aus den Schweizer Anstalten gelangen Werke nach Heidelberg. Sie kommen aus Wil, Herisau, Kreuzlingen, Münsterlingen, Schaffhausen, Zürich, der Rheinau, Münsingen, der Waldau bei Bern und Neuchâtel quer durch die Schweiz, aber mit deutlichem Ostschweizer Schwerpunkt. Mit sieben KünstlerInnen sticht die Kantonale Psychiatrische Klinik Herisau AR hier stark hervor. Die historische Sammlung Prinzhorn umfasst rund Werke: Zeichnungen, Aquarelle, Briefe, Texte, Notationen, Bücher, Hefte sowie rund 150 Ölgemälde, 30 textile Arbeiten und 70 Holzskulpturen. Sie sind zwischen 1840 und 1930 entstanden und stammen von rund 435 Anstaltsinsassen übergibt Klinikdirektor Carl Schneider Werke aus der Sammlung an die Wanderausstellung Entartete Kunst. In der Ausstellung werden sie als pathologisches Vergleichsmaterial zur Kunst der Moderne missbraucht und nach dem Krieg schliesslich vergessen entdeckt der bedeutende Schweizer Kurator Harald Szeemann die Sammlung Prinzhorn wieder neu und zeigt eine Auswahl in der Kunsthalle Bern. Es folgen seine legendäre Schau Adolf Wölflis an der documenta 1972, mit der Szeemann Art Brut in die zeitgenössische Kunst katapultiert, sowie nationale und internationale Ausstellungen der Sammlung Prinzhorn, wodurch sie erneut bekannt wird erhält die Sammlung endlich ein eigenes Museum auf dem Gelände der Psychiatrischen Klinik in Heidelberg. Hans Prinzhorns Bildnerei der Geisteskranken, publiziert Hans Prinzhorn auf der Grundlage der Heidelberger Sammlung seine reich illustrierte Studie Bildnerei der Geisteskranken. Ein Beitrag zur Psychologie und Psychopathologie der Gestaltung. Sie spricht viele Kunstinteressierte und Künstler seiner Zeit an und avanciert zur Bibel der Surrealisten. Mehrfach wieder aufgelegt und in verschiedene Sprachen übersetzt, bleibt das Buch bis heute ein Klassiker. Prinzhorns Buch erscheint nahezu zeitgleich mit der Studie des Schweizer Psychiaters Walter Morgenthaler, Ein Geisteskranker als Künstler. Adolf Wölfli (1921). Revolutionär ist Morgenthalers Benennung des Patienten Wölfli als Künstler und seine Vorstellung von dessen Kunst, wo Prinzhorn lediglich 2

3 von (unbewusster) Bildnerei spricht. Prinzhorns Blickwinkel ist andererseits breiter als der Morgenthalers, konnte er sich doch auf ein wesentlich umfangreicheres Material stützen. Prinzhorn berücksichtigt beeindruckend viele Aspekte des Gebietes und gelangt zu Fragestellungen, die auch heute noch die Forschung beschäftigen. Wechselwirkungen (Zusammenfassung) Die Doppelausstellung Prinzhorns Schweizer Karl Maximilian Würtenberger zeigt rund 90 Werke aus der Sammlung Prinzhorn von 23 KünstlerInnen. Einige von ihnen haben Kunstgeschichte geschrieben. So gilt das Werk von Adolf Wölfli aus der Waldau als Inbegriff der Art Brut. Im Privatsanatorium Bellevue in Kreuzlingen halten sich Wohlhabende, Intellektuelle und KünstlerInnen auf. Berühmte PatientInnen sind u.a. Vaslav Nijinsky, Simon Frank, Gustaf Gründgens, Aby Warburg und Ellen West. Auch der Maler Ernst-Ludwig Kirchner ist nach seinem Zusammenbruch beim Militär von massiven Ängsten bedroht 1917/18 im Bellevue. Dort zeigt ihm der Psychiater Ludwig Binswanger Gemälde von Else Blankenhorn, von der auch verschiedene Bilder an Hans Prinzhorn gehen. In Prinzhorns Buch sind sie nicht zu finden, denn er plant eine eigene Publikation zu ihrem Werk. Für Kirchner sind sie Kunstwerke höchster Art, die ihn neu inspirieren. Begeistert schreibt er an Henry van de Velde: Ich habe viel Anregung ( ) durch die Bilder einer Kranken, die mit ausserordentlich feinem Gefühl für die Farben ihre Visionen hier malt. Ohne die Maschinenträume Heinrich Anton Müllers in der Anstalt Münsingen wären wiederum die anarchistischen Maschinen Jean Tinguelys nicht denkbar. Aus Ästen, Draht, Lumpen und mit Hilfe seiner Sekrete und Exkrete baut Müller mannshohe bewegliche Räderwerke, die er in fahrbare Gestelle montiert. Überliefert sind sie durch Beschreibungen in der Patientenakte und Fotografien, auf denen er sie voller Erfinderstolz präsentiert. Durch Daniel Spoerri entdecken Bernhard Luginbühl, der sich stärker auf Wölfli bezieht, und Jean Tinguely Müllers Werk. Tinguelys erste méta-mechanische Drahtkonstruktionen Gebetsmühle I-IV von 1954 zeigen deutlich die Nähe zu Müllers Maschinen. In Amsterdam installiert er 1962 seine erste Hommage à Anton Müller. Auch die Serie der lärmenden Meta-Harmonien ( ) ist als Würdigung gedacht. Zwei Skizzen sind mit Hommage et Trophée pour Anton Müller No. 2 (1978) bezeichnet. Ihnen ist Tinguelys legendäre Maschine Klamauk (1979) vergleichbar, die ihn noch auf seinem letzten Weg zum Begräbnis begleitet. Müllers Zeichnungen beeinflussen Jean Dubuffet, den Begründer der Art Brut. Bis heute lassen sich KünstlerInnen von Arbeiten der Sammlung Prinzhorn inspirieren. Heinrich Anton Müller und Jean Tinguely Heinrich Anton Müller ( ), Rebarbeiter aus dem Waadtland, ist seit 1906 in der Heil- und Pflegeanstalt Münsingen hospitalisiert, wo er nach 24 Jahren stirbt. Ihm ist das Werk des bedeutenden Schweizer Künstlers Jean Tinguely ( ) gegenüberzustellen. Neben seinen Zeichnungen hat Heinrich Anton Müller auch mit Hilfe seiner Sekrete und Exkrete mannshohe bewegliche Räderwerke aus Ästen, Draht und Lumpen gebaut, die er in fahrbare Gestelle montiert. Überliefert sind sie durch Beschreibungen in der Patientenakte und Fotografien, auf denen Müller sie voller Künstlerstolz präsentiert. Sie inspirieren Tinguely zu seinen anarchistischen, funktionslosen, freien Maschinen. Durch Daniel Spoerri entdeckt Jean Tinguely Müllers Werk entstehen Tinguelys handbetriebene méta-mechanische Drahtkonstruktionen Gebetsmühle I-IV, die eine deutliche Nähe zu Müllers Maschinen zeigen. In die experimentelle Ausstellung Dylaby von Jean Tinguely, Daniel Spoerri, Robert Rauschenberg, Martial Raysse, Niki de Saint Phalle und Per Olof Ultvedt 1962 im Stedelijk Museum in Amsterdam fügt Tinguely seine Hommage à Anton Müller ein. Auch Tinguelys Serie der lärmenden Meta-Harmonien ist als Hommage an den Rebbauer, vielmehr sogar als dessen Trophée gedacht. Zwei Skizzen von 1978 sind mit Hommage et Trophée pour Anton Müller No. 2 bezeichnet. Ihnen ist Tinguelys legendäre Maschine Klamauk (1979) vergleichbar, die den Künstler noch auf seinem letzten Weg, am Tag seines Begräbnisses am 4. September 1991 begleitet. Else Blankenhorn und Ernst Ludwig Kirchner Else Blankenhorn ( ) stammt aus einer grossbürgerlichen Karlsruher Familie. Sie beschäftigt sich mit Malerei, Fotografie, Musik und wäre gerne Sängerin geworden. Jedoch verliert sie plötzlich ihre Stimme und zeigt erste Anzeichen von Schizophrenie: Sie hört Stimmen und ist überzeugt, die Gattin des deutschen Kaisers Wilhelm II. zu sein. Ab 1899 lebt Blankenhorn in der Schweizer Heilanstalt Bellevue zu Kreuzlingen TG. In den folgenden Jahrzehnten entsteht dort ein umfassendes künstlerisches Werk. Obwohl Blankenhorn versucht, ihre Arbeiten geheim zu halten, werden sie einem kleinen Kreis bekannt: Hans Prinzhorn 3

4 plant eine Publikation und der Maler Ernst-Ludwig Kirchner ( ) lässt sich von ihrem Werk inspirieren. Nach seinem Zusammenbruch beim Militär 1915 befindet sich Kirchner in verschiedenen Anstalten und Sanatorien. 1917/18 ist er im Sanatorium Bellevue in Kreuzlingen bei Ludwig Binswanger und in einer Schaffenskrise. Doch schon im September 1917 schreibt Kirchner an Henry van de Velde: Ich habe viel Anregung ( ) durch die Bilder einer Kranken, die mit ausserordentlich feinem Gefühl für die Farben ihre Visionen hier malt. Nichts weist darauf hin, dass Kirchner Blankenhorn persönlich kennen gelernt hat, ist sie doch allzu menschenscheu und unwillig, ihre Malereien zu zeigen. Doch es lässt sich rekonstruieren, dass Kirchner nur deshalb ihre Werke sehen kann, weil sie der Malerin gerade entwendet waren. Im September 1917 ist Blankenhorns persönliche Pflegerin Berta auf Reisen. Das Sanatorium stellt eine Ersatzpflegerin und aus der Krankenakte geht hervor, dass sie Bilder der Patientin weggenommen hat, um sie Binswanger zu geben. Das Erleben dieser Bilder wirkt nachhaltig auf Kirchner. Sie scheinen ihm vorbildliche authentische Ausdruckskunst zu sein, weil er (fälschlicherweise) davon ausgeht, die Patientin sei ohne jegliche künstlerische Vorbildung. Auf Anregung Binswangers hält er seine Eindrücke schriftlich fest, die im Skizzenbuch 38 nachzulesen sind. Im Mai 1918 spricht Kirchner gegenüber Eberhard Grisebach sogar von einem folgenden Umbruch in seinem Schaffen: Durch die unendlichen Anregungen, die ich hier durch Herrn Dr. Binswanger bekomme, werde ich wohl meine ganze Malweise noch einmal umwerfen müssen ( ). So ermutigen Blankenhorns Bilder Kirchner möglicherweise sogar zu seinen mystischen Gebirgsbildern der Jahre in Davos, die in ähnlicher Weise Landschaften aus ungewöhnlichen Farbkombinationen heraus gestalten, wie er sie bei Else Blankenhorn gesehen hat. Erhalten sind unter den Dokumenten des Binswanger-Archivs im Universitätsarchiv Tübingen Schwarz- Weiss-Fotos von drei Bildern Blankenhorns, die Kirchner selbst im Bellevue fotografiert hat. Darunter ist auch ein Foto des Gemäldes des Roten Reiters, der ebenfalls in der Ausstellung zu sehen ist. Allein die Existenz dieser Fotografien belegt die Bedeutung, die das Werk von Else Blankenhorn für Kirchner hat. 4

5 Karl Maximilian Würtenberger ( ) Der vergessene Keramikkünstler vom Bodensee Eine besondere Würdigung erhält der Plastiker vom Bodensee, Karl Maximilian (Karlmax) Würtenberger ( ) aus Emmishofen TG. Noch nie wurde sein keramisches Werk seinen Zeichnungen gegenübergestellt, die in der Heil- und Pflegeanstalt Illenau bei Achern entstanden und heute ebenfalls in der Sammlung Prinzhorn aufbewahrt sind. Zu sehen sind 32 Zeichnungen aus der Sammlung Prinzhorn und 21 keramische Arbeiten aus Privatbesitz und dem Museum Rosenegg, Kreuzlingen. Sie belegen, dass der für die Öffentlichkeit lebendig Begrabene auch in der Anstalt durchgehend künstlerisch gearbeitet hat nicht nur zeichnerisch, sondern auch keramisch. Tatsächlich ist zu vermuten, dass bis heute nicht verortete Arbeiten in der Illenau geschaffen wurden. Als 1933 Karl Maximilian Würtenberger ( ) in der Heil- und Pflegeanstalt Illenau bei Achern stirbt, erinnert sich kaum jemand an den Keramikkünstler vom Bodensee. Für die Kunstwelt gilt er bereits 20 Jahre zuvor mit seinem letzten Eintritt in die Illenau, 1910, lebendig begraben. Von seinem Werk kennt man vor allem die Arbeiten für die Grossherzogliche Majolika-Manufaktur in Karlsruhe. Der Öffentlichkeit unbekannt ist ein Konvolut von 75, meist kleinformatiger Zeichnungen und Gouachen, das Hans Prinzhorn an die Psychiatrische Universitätsklinik nach Heidelberg geschickt wird. Geboren wird Karl Maximilian Würtenberger am 27. Juli 1872 in Steisslingen, nahe am Bodensee. Er hat sechs Geschwister, darunter den vier Jahre älteren Bruder und späteren Maler Ernst zieht die Familie für kurze Zeit nach Radolfzell. Prägend für die Künstlergeschwister Würtenberger drei ergreifen einen künstlerischen Beruf wird die Entscheidung des Vaters, als Teilhaber eine Ziegelei in Emmishofen TG zu übernehmen. Sowohl der bekannte Malerbruder Ernst Würtenberger als auch Karl Maximilian (Karlmax) entdecken hier das plastische Arbeiten mit Lehm. Aber der Vater förderte auch das Talent seiner Kinder durch Zeichenwettbewerbe. Im Oktober 1892 folgt Karlmax seinem Maler-Bruder Ernst an die Kunstakademie München und 1897/98 nach Florenz. Er teilt auch die tiefe Verehrung für Arnold Böcklin mit seinem Bruder und beide porträtieren den alten Maler. Mitte April 1904 tritt Karlmax Würtenberger in die Großherzogliche Majolika- Manufaktur Karlsruhe ein, nachdem er schon einige Zeit für sie in loser Verbindung tätig war. Schon ein Jahr später scheidet Würtenberger wegen Gemütsleiden aus, liefert aber offiziell noch bis 1909 Entwürfe. Allerdings wird über die Unverkäuflichkeit seiner Werke geklagt, besonderen Unwillen erregen die viel zu hohen Aufwendungen Würtenbergers. Anspruchslosere Gebrauchskeramiken sind gewünscht wird die Zusammenarbeit endgültig beendet und Würtenbergers Arbeiten werden fast vollständig aus der Produktion genommen. 5

6 Seine erste psychische Krise erfährt Würtenberger 1893 noch während des Studiums in München und führt ihn zur kurzen Einweisung ins Bellevue Kreuzlingen und von dort in die Illenau. Neunmal in Folge kommt er in die Illenau und bleibt ab 1910 über 23 Jahre ununterbrochen in der Anstalt. 1904/05 heiratet er Lina bzw. Line Ruf und bekommt mit ihr eine Tochter namens Gudrun. Nach seiner letzten Aufnahme 1910 bleibt er bis zu seinem Tod 1933 über 23 Jahre in der Anstalt. Zu seinem sechzigsten Geburtstag erinnert man sich seiner als eines lebendig Begrabenen. Tatsächlich arbeitet Karlmax Würtenberger aber auch in der Anstalt weiter künstlerisch und wird in der Illenau unterstützt, wie der Krankenakte zu entnehmen ist. Er zeichnet nicht nur, sondern modelliert auch weiterhin. Er erhält freien Ausgang, um nach der Natur zeichnen zu können, besucht 1910 in Baden eine Ausstellung und kann auch 1924 noch den Kontakt zur Karlsruher Majolika-Manufaktur aufrechterhalten und diese über sein Schaffen informieren. Und er stellt sogar aus wird eine Kollektion seiner Produkte an einen guten Bekannten u. Kunstfreund in Konstanz zur Ausstellung geschickt ( ) und einige Werke verkauft, darunter eine Porträtbüste von Ernst Thoma, dem Direktor der Illenau 1917 bis Mit dieser Terrakotta beteiligt sich Würtenberger erfolgreich an der Karlsruher Bund-Ausstellung Anfang Zum Vergleich sind das Porträtmedaillon des Illenauer Psychiaters «Geheimrat Dr. Heinrich Schuele» (Bronze, 1903) und das frühe Porträtrelief des Münchner Psychiaters «Dr. Hans Gudden» (Gips, blattvergoldet, 1899) in der Ausstellung zu nennen. Die in der Sammlung Prinzhorn erhaltenen Zeichnungen stellen also nicht eine Werkgruppe neben seinem professionellem Œuvre dar. Vielmehr sind sie dessen Fortführung und als Skizzen für seine Keramiken gedacht. Dies belegen Parallelen zwischen den gezeichneten Motiven und den keramischen Ausführungen. Er modelliert eine sehr gelungene Reiterstatue von Napoleon und ein Tellerrelief, lautet der Eintrag in der Patientenakte vom 9. April Noch in seinen letzten Lebensjahren heisst es, Würtenberger arbeitet mit viel Geschick beruflich als Plastiker (August und Oktober 1929). Noch nie wurde bislang in einer Ausstellung das keramische Werk Würtenbergers seinen in der Sammlung Prinzhorn erhaltenen Zeichnungen gegenübergestellt. Der hier gezeigte Ausstellungsdialog zwingt, das Anstaltswerk in sein professionelles Kunstschaffen zu integrieren. So ist zu vermuten, dass bis heute nicht verortete Keramiken, die in der Literatur mit Entstehungsort: Konstanz? Karlsruhe? bezeichnet sind, tatsächlich in der Illenau entstanden sind. Epilog: Nach 1910 als Künstler nahezu vergessen, wird Würtenberger jedoch bereits 1913 verewigt. Im Künstlerroman Arnold Lohrs Zigeunerfahrt (1913, später betitelt Der Ausreisser ) von Heinrich Ernst Kromer Maler, Schriftsteller, Bildhauer und ein Jugendfreund der Würtenbergers wird er unter dem Namen Kurtkarl als Bildhauer und Bruder eines Malers beschrieben, der aus künstlerischer Eifersucht sein eigenes Werk zerstört. Mit der Anstaltseinweisung endet im Roman die Episode vom irren Künstler Kurtkarl, wie letztlich die Künstlerkarriere des Karlmax im realen Leben. 6

7 Programm Vernissage Montag, 4. Dezember 2017, Uhr Begrüssung und Einführung: Peter Schorer, Präsident des Stiftungsrates Monika Jagfeld, Museumsleiterin Julian Würtenberger, Ministerialdirektor im Innenministerium Baden-Württemberg Dienstag, 16. Januar 2018, 18 Uhr Prinzhorns Sammlung und die Schweiz. Vortrag von Dr. Bettina Brand-Claussen, ehem. Kuratorin Sammlung Prinzhorn Sonntag, 4. Februar 2018, 11 Uhr Prof. Thomas Würtenberger führt durch die Ausstellung seines Grossonkels Karlmax Würtenberger Sonntag, 18. Februar 2018, 15 Uhr KKK Kunst Kaffee Kuchen. Kunstkanäle in der Anstalt. Vortrag von Museumsleiterin Monika Jagfeld Mittwoch, 21. Februar 2018, Uhr Atelier Kinder-Kunst mit Rahel Flückiger Sonntag, 25. Februar 2018, 14 Uhr Familien-Kunstplausch mit Rahel Flückiger Ausstellungsführungen So / / je 11 Uhr Di 9.1. / 6.2. / je 18 Uhr Öffnungszeiten Di-Fr Uhr Sa/So/Feiertage Uhr geschlossen 24./25./ und Mit Unterstützung von: Kanton St. Gallen Kulturförderung Swisslos Stadt St. Gallen Kulturförderung Appenzell Ausserrhoden Metrohm Stiftung Hans und Wilma Stutz Stiftung 7

8 Schweizer KünstlerInnen in der Sammlung Prinzhorn Kantonales Asyl Wil SG Jakob Br. * Kantonale Heil- und Pflegeanstalt Herisau AR Ulrich Engler (nachweisbar ) Heinrich Frei (nachweisbar ) Jakob Guggenbühl (1880?) Johann H. * Arthur Rechsteiner (nachweisbar bis Februar 1951) Gertrud Schwyzer ( ) Jakob Züst * Private Heilanstalt Bellevue zu Kreuzlingen TG Anonym (Fall 412, weiblich, nachweisbar um 1890) Anonym (Fall 324) * Else Blankenhorn ( ) Kantonale Heil- und Pflegeanstalt Münsterlingen TG Meta Barbara Anderes ( ) Kantonale Irrenanstalt Breitenau, Schaffhausen SH Adolf Schudel ( ) Kantonale Heilanstalt Burghölzli Zürich ZH Johanna Natalie Wintsch ( ) Kantonale Pflegeanstalt Rheinau ZH Elise Mahler ( ) Johanna Natalie Wintsch ( ) Praxis Dr. Pfister, Zürich ZH Kölla (weiblich) * Kantonale Irren-, Heil- und Pflegeanstalt Waldau bei Bern BE Adolf Wölfli ( ) Kantonale Irrenanstalt Münsingen BE Joseph G. * Emil Gygi ( ) Elisa K. * Heinrich Anton Müller ( ) Maison de santé de Préfargier, Marin NE Eugenie P. (nachweisbar 1918) * Lebensdaten unbekannt 8

9 Prinzhorns Schweizer Karl Maximilian Würtenberger bis Pressebilder Pressebilder finden Sie unter Bitte fordern Sie zum Download das Login an Anonym (Fall 324), Ohne Titel, undatiert, Bleistift, Kreide auf kaschierten Karton, 27,8 x 47,7 cm, Sammlung Prinzhorn, Universitätsklinikum Heidelberg, Inv. Nr. 3664, Sammlung Prinzhorn, Universitätsklinikum Heidelberg Anonym (Fall 412, weiblich), «Heini am Flügel», undatiert, Bleistift, Farbstift auf Zeichenpapier, 15,5 x 24,8 cm, Sammlung Prinzhorn, Universitätsklinikum, Heidelberg, Inv. Nr verso, Sammlung Prinzhorn, Universitätsklinikum Heidelberg Else Blankenhorn ( ), Ohne Titel, undatiert, Öl auf Leinwand, 35,9 x 36,9 cm, Sammlung Prinzhorn, Universitätsklinikum Heidelberg, Inv. Nr. 4259, Sammlung Prinzhorn, Universitätsklinikum Heidelberg 9

10 Else Blankenhorn ( ), Roter Reiter, vor 1917, Öl auf Leinwand, 42 x 46,5 cm, Sammlung Prinzhorn, Universitätsklinikum Heidelberg, Inv. Nr. 4219, Sammlung Prinzhorn, Universitätsklinikum Heidelberg Jakob Adolf Guggenbühl (1880-?), «Die Zwingherrschaft», vor 1922, Bleistift, Farbstifte auf Papier, 36 x 22,5 cm, Sammlung Prinzhorn, Universitätsklinikum Heidelberg, Inv. Nr. 1594a, Sammlung Prinzhorn, Universitätsklinikum Heidelberg Heinrich Anton Müller ( ), «Un arbre vigne / Une petite fille morte / Un arbre Pantouffle Cendrillon», um 1919, Farbstift auf Zeichenpapier, 31,3 x 47,3 cm, Sammlung Prinzhorn, Universitätsklinikum Heidelberg, Inv. Nr recto, Sammlung Prinzhorn, Universitätsklinikum Heidelberg Elisa K., Ohne Titel (Bildnis eines Mannes), undatiert, Stickerei mit Menschenhaar auf Baumwolle, 13,5 x 10,9 cm, Sammlung Prinzhorn, Universitätsklinikum Heidelberg, Inv. Nr. 1651, Sammlung Prinzhorn, Universitätsklinikum Heidelberg Elise Mahler ( ), «Vogel Straushen», undatiert, Pastell auf Pappe, Bindfaden, 19,2 x 18,2 cm, Sammlung Prinzhorn, Universitätsklinikum Heidelberg Inv. Nr. 4417, Sammlung Prinzhorn, Universitätsklinikum Heidelberg 10

11 Johanna Natalie Wintsch ( ), «Dr. Mayer- Grosz / Der alte Goth lebe Ewige Liebe», , Stickgarn auf einem Taschentuch (Batistleinen), 34 x 33 cm, Sammlung Prinzhorn, Universitätsklinikum Heidelberg, Inv. Nr. 6043, Sammlung Prinzhorn, Universitätsklinikum Heidelberg Adolf Wölfli ( ), «Die heilige Einigkeit», 1917, Bleistift, Farbstift auf Papier, 50 x 38 cm, Sammlung Prinzhorn, Universitätsklinikum Heidelberg, Inv. Nr. 4862, Sammlung Prinzhorn, Universitätsklinikum Heidelberg Karl Maximilian Würtenberger ( ), Selbstportrait, um 1900, Irdengut, matt glasiert, 40 x 38 x 8 cm, Museum Rosenegg, Kreuzlingen, Inv. Nr , Museum Rosenegg, Kreuzlingen Karl Maximilian Würtenberger ( ), Ohne Titel, Illenau, undatiert, Bleistift, Tinte auf einem Kalenderblatt, 9,7 x 8 cm, Sammlung Prinzhorn, Universitätsklinikum Heidelberg, Inv. Nr. 4339r/2, Sammlung Prinzhorn, Universitätsklinikum Heidelberg Karl Maximilian Würtenberger ( ), «Napoleon», Illenau 1929, Irdengut, glasiert, 50 x 36 x 14 cm, Privabesitz 11

12 Karl Maximilian Würtenberger ( ), Ohne Titel, undatiert, Bleistift, Deckfarben auf Karton, 16,1 x 12,9 cm, Inv. Nr. 4339a, Sammlung Prinzhorn, Universitätsklinikum Heidelberg 12