Anselm Grün. Leben aus der Stille. Vier-Türme-Verlag

Transkript

1 Anselm Grün Leben aus der Stille Vier-Türme-Verlag

2 Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie. Detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über abrufbar. 1. Aufl age 2015 Vier-Türme GmbH, Verlag, Münsterschwarzach 2015 Alle Rechte vorbehalten Lektorat: Andrea Langenbacher Umschlaggestaltung: Andrea Göppel, Augsburg Umschlagfoto: Andrea Göppel, Augsburg Druck und Bindung: Pustet, Regensburg ISBN

3 INHALT Einleitung: Wie Stille gelingen kann Stille erfahren Durch das Schweigen zur Stille In der Stille sich selbst begegnen Schweigen und loslassen Stille heilt Aus der Stille reden Aus der Stille beten Der innere Raum der Stille Schlussgedanken: Leben aus der Stille Zitierte Literatur Quellennachweise

4 Wenn wir in der Stille in uns hineinhören, bricht in uns eine unendliche Sehnsucht auf.

5

6 Einleitung ie Stille elingen kan

7

8 Gott sah alles an, was er gemacht hatte: Es war sehr gut Am siebten Tag vollendete Gott das Werk, das er geschaffen hatte, und er ruhte am siebten Tag Und er segnete den siebten Tag und heiligte ihn. Genesis,, So lesen wir im Schöpfungsbericht am Beginn der Bibel ü ber den siebten Tag der Erschaffung der Welt. Drei Bedingungen nennt uns hier das Buch Genesis, damit die Stille gelingen kann: Die erste Bedingung: Gott sah, dass alles gut war. Nur wenn ich mein Leben annehme, als gut bejahe wenn ich auch zu den Umwegen und Irrwegen sagen kann, dass sie letztlich gut

9 fü r mich waren und sind, vermag ich still zu werden. Solange ich in mir die Stimmen der Selbstverurteilung und Selbstablehnung höre, komme ich nie zur Ruhe. Ja, ich muss dann sogar vor der Stille davonlaufen, weil sie zu bedrohlich und unangenehm fü r mich wird. Die zweite Bedingung: Gott segnete den siebten Tag. Die Zeit der Stille ist eine gesegnete Zeit. Ich stelle mich in der Stille unter den Segen Gottes. Ich stelle mir vor, dass Gottes Segen und seine Liebe mich einhü llen. Segen ist Schutz. In der Stille fü hle ich mich von Gott behü tet. Und Segen ist Fruchtbarkeit. Die Zeit der Stille befruchtet mich. Segnen bedeutet, gute Worte zu sagen. In der Stille höre ich Gottes gutes Wort an mich: Du bist mein geliebter Sohn. Du bist meine geliebte Tochter. An dir habe ich Gefallen gefunden. Markus,

10 Die dritte Bedingung: Gott heiligte den Sabbat. Die Stille ist eine heilige Zeit. Heilig ist das, was der Welt entzogen ist. In der Stille hat die Welt mit ihrem Lärm keinen Zutritt. Dort bin ich ganz allein vor Gott. Fü r die alten Griechen vermag allein das Heilige zu heilen. Es ist heilsam fü r mich, auf die Stille zu hören.

11

12 Stille er ahre

13 Echte Ruhe kann nur der erleben, der sich ganz auf den Augenblick einzulassen vermag.

14 Suche deinen Lieblingswald auf. Geh darin spazieren. Dann bleib stehen und horche in den Wald hinein. Da hörst du nur das Rauschen des Windes, keine Motorsäge, kein Autogeräusch. Und genieße diese Stille. Bleib bewusst stehen und nimm die Stille wahr. Was macht die Stille mit dir? Wenn du für ein paar Augenblicke gar nichts hörst, hat die Stille etwas Heiliges an sich. Manchmal überläuft uns ein Schauder, wenn alles um uns still ist. Stille hat etwas Reines an sich, etwas Unberührtes. Die Stille ist nicht beschmutzt vom Lärm der Welt. Wenn wir in die Stille hineinhorchen, dann stört uns nicht das Rauschen des Windes, aber jedes menschliche Gerede und jeder Lärm einer Maschine. Rainer Maria Rilke spricht in

15 einem Gedicht von seiner Sehnsucht nach der völligen Stille: Wenn es nur einmal so ganz stille wäre. Wenn das Zufällige und Ungefähre Verstummte und das nachbarliche Lachen, wenn das Geräusch, das meine Sinne machen, mich nicht so sehr verhinderte am Wachen : Dann könnte ich in einem tausendfachen Gedanken bis an deinen Rand dich denken Und dich besitzen (nur ein Lächeln lang), um dich an alles Leben zu verschenken wie einen Dank. Rilke verbindet die Stille mit dem Verstummen des Zufälligen und Ungefähren. Alles, was zufällig mein Leben ausmacht, wird unwichtig, es löst sich auf. Die Geräusche hindern mich am Wachen. Stille ist der Raum, in dem ich wach werde, in dem ich die Augen öffne und das Eigentliche sehe.

16 Stille ist für Rilke der Raum, in dem er Gott selbst denken kann, in dem er Gott bis zu seinem Rand denken kann, also ihn in seiner Unendlichkeit erahnt. Und die Stille ist ein Augenblick, in dem er Gott besitzen kann, aber nur ein Lächeln lang. Gott besitzen hat immer mit Heiterkeit zu tun, nicht mit Anstrengung. Und die Stille braucht dieses Leichte, dieses Heitere. Dann wird sie zu einem Ort, an dem wir Gott erspüren. Aber es geht nicht darum, Gott zu besitzen, sondern ihn zu verschenken. Rilke möchte Gott an alles Leben verschenken, nicht nur an die Menschen, sondern auch an die Tiere und Pflanzen. Wenn ich Gott erspüre, dann nehme ich alles um mich herum anders wahr.

17 Übung Ein Moment der Stille zwischen zwei Tätigkeiten Wenn du eine Tätigkeit, zum Beispiel Aufräumen, eine schreiben, einen Anruf tätigen, beendet hast, geh nicht sofort zur nächsten Tätigkeit über. Halte in einem kurzen Moment des Schweigens inne und atme dreimal kräftig ein und aus. Beim ersten Atemzug schließt du die vorangegangene Aufgabe mit einem Gefühl der Dankbarkeit ab, beim zweiten Atemzug genießt du einfach die Pause, beim dritten Atemzug heißt du die anstehende Aufgabe mit einem Lächeln auf den Lippen willkommen.

18 B - Leben aus der Stille IT 07.indd :24:24

19 Übung Ablenkungen ausschalten Viele Menschen suchen in einer andauernden Berieselung durch die Medien Ablenkung. Verzichte einmal in der Woche ganz bewusst auf das Einschalten des Radios oder deines Fernsehers. Grüble nicht nach, was du mit dieser Stille anfangen kannst, sondern nimm dir stattdessen Zeit, deine Gedanken zur Ruhe kommen zu lassen.

20 B - Leben aus der Stille IT 07.indd :24:26

21 Ich verschenke Gott, indem ich diese göttliche Heiterkeit und dieses Unberührte, Reine, das ich in der Stille von Gott spüre, in die Welt hineinströmen lasse. Ich sehe in allem dieses Unberührte, Eigentliche, Reine. Dann gehe ich anders mit den Pflanzen, Tieren und Menschen um. Das Verschenken ist keine Pflicht, kein Muss, sondern ein Dank. Ich verschenke Gott wie einen Dank. Aus Dank für die wunderbare Erfahrung Gottes in der Stille kann ich mich selbst und kann ich Gott verschenken mit einem heiteren Gefühl der Dankbarkeit.

22 urch das Schweigen ur Still

23 Das freundliche Schweigen schafft eine heitere Stille.

24 Die geistliche Tradition unterscheidet zwischen Schweigen und Stille, zwischen, wie es im Lateinischen heißt,»tacere«und»silentium«. Schweigen ist eine spirituelle Aufgabe. Ich halte meinen Mund geschlossen. Ich verzichte auf das Sprechen. Ich ü be das Schweigen. Stille ist dagegen etwas Vorgegebenes. Ich tauche ein in die Stille einer Kirche, in die Stille eines Waldes oder in die Stille der Wü ste. Mein Zimmer, in dem ich meditiere, atmet Stille. Aber ich nehme die Stille nicht wahr, wenn ich mich mit tausend Dingen beschäftige. Insofern gehören Schweigen und Stille zusammen. Ich muss schweigen, damit ich die Stille wahrnehmen kann.

25 Mitten im Lärm unserer Tage ist es fü r viele zum Bedü rfnis geworden, sich dem lauten Getriebe zu entziehen und zur Stille zu finden. Eine Flut von Bü chern ü ber das Schweigen zeugt von der Sehnsucht vieler Menschen nach Stille. Der Lärm droht sie krank zu machen. Und so haben zahlreiche Menschen mit dem dänischen Religionsphilosophen Sören Kierkegaard das Schweigen als Heilmittel fü r ihre innere Erkrankung wiederentdeckt. Sie schwärmen von der Wohltat des Schweigens und singen Lobeshymnen darauf. Viele haben die heilende Wirkung des Schweigens in der Begegnung mit östlichen Meditationstechniken gefunden und stellen das Schweigen nun höher als alle anderen religiösen Ausdrucksformen, höher als Gebet und Gottesdienst.

26 Im heute fast einhelligen Lobpreis des Schweigens fehlt ein Aspekt, der in der klösterlichen Tradition immer wieder betont wird: das Schweigen als Aufgabe, als Anspruch, an sich zu arbeiten, sich zu ändern. Schweigen ist fü r die Mönche weniger eine Entspannungs- oder Versenkungstechnik oder eine Kunst abzuschalten. Das Schweigen ist vielmehr die Einü bung wesentlicher Haltungen, es erhebt einen moralischen Anspruch an uns: Wir sollen unsere Fehlhaltungen abbauen, unseren Egoismus bekämpfen und uns fü r Gott öffnen.

27 Übung Sich von der Stille des neuen Tages erfüllen lassen Öffne am Morgen, noch bevor du ein Wort gesprochen hast, ein Fenster, atme tief ein und spüre die noch ungebrochene Stille und die Reinheit des neuen Tages. Nimm die Stille und Klarheit des Morgens dankbar in dich auf und bewahre sie dir möglichst lange in deinem Herzen.

28 B - Leben aus der Stille IT 07.indd :24:27

29 Übung Beim Essen schweigen Setze dich in aller Ruhe zu Tisch und behalte während deiner Mahlzeit das Schweigen bei. Lass dich auch nicht durch äußere Geräusche ablenken, sondern konzentriere dich auf das Essen. Nimm alles wahr, was dir sonst selbstverständlich ist: die Feuchtigkeit deiner Lippen, die Arbeit deiner Zähne, den Geschmack der verschiedenen Speisen. Spüre nach, wie jeder Bissen, den du zu dir nimmst, jeder Schluck, den du machst, deinem Körper wieder neue Kraft schenkt.

30 In gleicher Ausstattung sind von Anselm Grün in dieser Reihe bisher erschienen: Alles Gute zum Geburtstag Auf der Suche nach dem inneren Gold Das Geheimnis der Begegnung Du bist ein Engel für mich Ein Licht auf deinem Weg Freu dich am Leben Ich wünsch dir einen Freund Leben aus der Stille Verschenke dein Herz Wage den Neuanfang Vier-Türme-Verlag Schweinfurter Straße 40, Münsterschwarzach Tel / , Fax: / Bestellmail: info@vier-tuerme.de