PROMETHEUS reloaded 6.0

Transkript

1 Gefesselt, entfesselt Esslinger Zeitung, PrometheusReloaded6.0 beimwürttembergischenkunstverein:dasstuttgartertheaterlokstoffträgtdasmythischefeuerinmuseale Weltsichten hinein Von Fred Keicher Stuttgart Gemütlich ist der Mythos von Prometheus nicht. Der betrügt die Götter, schenkt den Menschen das Feuer. Die Geschichte hat Widerhaken, wird immer wieder erzählt. Sechs Variationen spielt das Stuttgarter Theater Lokstoff derzeit im Rahmen der aktuellen Großen Landesausstellung und bringt dramaturgische Schärfe in die museale Glätte. Das Stück Prometheus Reloaded 6.0 mischt sich in den normalen Ausstellungsbetrieb der Landesausstellung Weltsichten des Lindenmuseums im Gebäude des Württembergischen Kunstvereins. Wie bei einer Ausstellungsführung bekommen die Zuschauer einen Audioport umgehängt. Eine sehr bestimmende Stimme (Paula Ross ist zwölf und kann das sehr gut) komplimentiert sie durch den Abend. Das Beruhigende am Museum ist: Man weiß, was dazugehört. Das Schöne am Lokstoff-Konzept ist: Man weiß nicht, was dazugehört: etwa die lebendige Statue in Weiß im Kuppelsaal, mit einer McDonald s- Tüte zu Füßen und dem auffälligen Ring über dem Herzen? Ganz klar wird das erst zum Schluss. Aber den Ring haben alle am weißen Kostüm: bleibendes Zeichen von Prometheus Gefangenschaft, seiner Fesselung an den Felsen. So kann er nach seiner Befreiung den Göttern gegenüber höhnisch bemerken, er sei doch noch an den Kaukasus gefesselt. Vernunft ist immer auch ein wenig Betrug. Die fünf Gruppen verteilen sich auf die fünf Szenen im großen Ausstellungssaal, nach zehn Minuten wandert jede Gruppe eine Station weiter. Für ein kleines Theater ist Prometheus Reloaded eine Riesenproduktion mit sechs Schauspielern, Der Herr und sein Geschöpf: Sebastian Schäfer und Jürgen Kärcher. sechs Regisseuren und einer vorgefundenen Bühne. Die gläserne Decke spiegelt die Ausstellung, Objekte und Beschriftungen steuern ironische Verfremdungseffekte bei. Den gefesselt-entfesselten Prometheus spielt Wilhelm Schneck in der Box, in der es um Erinnern und Wiederholen geht. Gefesselt ist der Prometheus von Aischylos ( Seht, welche Qualen ich erleide ), entfesselt eine moderne Version von Shelley von 1820, der Weltenstürzer. Schneck spielt mit verbundenen Händen: Prometheus hat sich schon die Finger verbrannt (Regie: Günter Maurer). Nebenan ( Vergessen und erinnern ) trägt Kathrin Hildebrandt Kafka-Versionen des Mythos vor (Regie: Karin Eppler). In die philologische Pingeligkeit bezieht sie auch die Zuschauer ein ( Haben Sie den Zettel fallen lassen ) und zieht sich die Versionen buchstäblich aus der Nase. Kafka spottet über den Fortschritt: Es gibt ein Ziel, aber keinen Weg. Was wir Weg nennen, ist Zögern. Foto: Wahl/Lokstoff Ich wollte immer frei sein. Ganz ohne Worte weiß ich, was es ist. Die Hommage an Bradley Manning spielt Andrea Leonotti in der Abteilung Was Männer im Schilde führen. Sie liegt auf dem Katafalk (Regie: Christian Müller), dahinter Schilde in allen Formen und Materialien. Ihr Rebell ist schon gescheitert. Nebenan ist Dr. Victor Frankenstein (Sebastian Schäfer) zuhause. Auch er ist gescheitert: Du bist ein Irrtum brüllt er sein Geschöpf an. Das tritt gebückt aus der mongolischen Jurte. Jürgen Kärcher ist 1,97 Meter groß und steht auf Plateausohlen: das freundliche Monster, das nirgends hingehört. Szenenwechsel durch Kleiderwechsel (Regie Servet Ahmet Golbol): Das Monster wird zu Little Boy, der Atombombe, die Hiroshima zerstört. Kärcher spielt das wie einen Kinderausflug. Und der ratlose Robert Oppenheimer fragt sich: Die Götter bestraften Prometheus. Aber wer bestrafte die Menschen? Seine Antwort: Sie bestrafen sich selber. Vom verzehrendem Begehren geschlagen zu sein, ist Schicksal der Promothea. Alexa Steinbrenner (Regie Bianca Künzel) spielt diese zwischen Schmerz und Lust zerrissene Figur sehr eindrücklich. Dort am Ende der Welt liegt das Paradies. Das Feuer muss brennen. Kein Trost auch in der Tanzszene Prometheus Factory, getanzt von Denny Hartmann in der Choreographie von Antje Jetzky. Mit seinen Anspielungen auf Andy Warhol und Velvet Underground schließt sich der Kreis zur Hamburger-Statue zu Beginn. Hartmann tanzt das Versprechen: 15 Minuten Berühmtheit für jeden, als sei es die Vollendung des Schreckens. Draußen auf der Terrasse beim Glasdurchgang ein halbübermaltes Graffito Stammheim, daneben liegt ein ruinöser Lorbeerkranz auf dem Boden. Prometheus reloaded 6.0 ist bei aller kaleidoskophaften Aufspaltung ein ungewöhnlich dichter und bei allem Witz ein erschütternder Theaterabend, der vom Premierenpublikum begeistert beklatscht wurde. Prometheusreloaded6.0 wird noch neunmal für jeweils 60 Zuschauer im Württembergischen Kunstverein gespielt.kartenunter

2 Stuttgarter Zeitung,

3 Stuttgarter Zeitung,

4 PROMETHEUS reloaded 6.0 Ludwigsburger Kreiszeitung, Griechische Mythologie ganz modern umgesetzt Lokstoff-Theater mit Perfor mance zur Prometheus-Sage Stuttgart Theater im öffentlichen Raum hat sich die Gruppe Lokstoff seit ihrer Gründung 2002 auf die Fahnen geschrieben. Mit Prometheus reloaded 6.0 im Kunstgebäude am Schlossplatz inmitten der Jubiläumsausstellung Weltsichten des Lindenmuseums ist bereits die 14. Produktion entstanden. VON ARNIM BAUER Die Sage von Prometheus, nach der griechischen Mythologie der Erschaffer des Menschen, der übel dafür büßen musste, weil er den Menschen das von Zeus versagte Feuer schenkte, liefert thematisch den roten Faden für die neue Produktion. In fünf Szenen inmitten der einzelnen Ausstellungssegmente zeigen die Schauspieler und Regisseure in kurzen, etwa zehnminütigen Stücken ganz unterschiedliche Themen, die sich näher oder entfernter an die Prometheus-Sage anlehnen. Die Zuschauer werden dabei in fünf Gruppen aufgeteilt, so dass jeweils etwa 20 Besucher auf den kleinen Klappstühlen Platz nehmen. Sie tragen Kopfhörer, um zum einen die Weisungen zum Platzwechsel mitzubekommen und ihren Protagonisten besser verstehen können. Zum anderen sollen damit die nicht zu überhörenden Geräusche der anderen in den Nischen der Ausstellung ablaufenden Gesamtperformance weitgehend ausgeblendet werden. So entsteht eine ganz besondere Atmosphäre, zumal die unterschiedlichen Aspekte der Ausstellung spannende Kulturvergleiche bieten. Geglückt ist eine Inszenierung, die der ursprünglichen Intuition von Lokstoff hervorragend Rechnung trägt, Theater an Orten zu spielen, wo man es kaum vermutet und die fremde Umgebung ins Spiel zu integrieren. In Dead Woman, der Titel eine Hommage an den Film Dead Man, zeigt Andrea Leonetti unter der Regie von Christian Müller eindrücklich den US-Soldaten Bradley Manning, der die skandalträchtigen Irak-Videos an die Öffentlichkeit brachte. Kurz und prägnant wird manches auf den Punkt gebracht, was man auch von der nächsten Station berichten kann, denn dort, im einzigen Dialog der Aufführung, spielen Jürgen Kärcher und Sebastian Schäfer, Dr. Frankenstein und sein Monster. Beide treffen auf den Erfinder des atomaren Feuers J. Robert Oppenheimer (Regie Servet Ahmed Golbol). Station drei bringt unter der Regie von Bianca Kürzel Alexa Steinbrenner als Prometha die weibliche Sicht und gleichzeitig die wohl abstrakteste Darbietung des kurzweiligen Szenenreigens. Wilhelm Schneck hingegen, unter der Regie von Günter Maurer, zeigt sich nahe am gefesselten Prometheus vielleicht so etwas wie die Basis der Aufführung. Schließlich schlägt Kathrin Hildebrand den Bogen zu Kafka, zeigt ihn als einen Prometheus im Geiste und rundet so eine Szenenfolge ab, die in ihrer Knappheit überzeugt, routiniert ihre Kompromisse mit dem Ambiente schließt und deshalb so harmonisch wirkt. Wilhelm Schneck als Prometheus. Bild: Tina Wahl Was man leider vom sechsten Teil der Aufführung, zu der sich alle Zuschauer im Foyer versammeln, nicht sagen kann. So gut die Idee einer zusammenfassenden Tanzinszenierung auch sein mag, Prometheus Factory, getanzt von Denny Hartmann, wirkt zerfahren, vom Thema und den anderen Teilen des Abends völlig isoliert und dazu bei allem Respekt vor dem Können des Tänzers auch schlecht gemacht. Kleiner Makel am Schluss, aber doch ein gelungener Abend.

5 Stuttgarter Nachrichten,

6 LIFT, November 2011