Der folgende Ausschnitt aus einer Sitzung

Transkript

1 3. Beispiel einer musikbasierten Kommunikation - Kaspar Der folgende Ausschnitt aus einer Sitzung möchte zeigen, wie eine Sitzung aussehen kann. Und er möchte Lust machen, dieses Konzept im Alltag anzuwenden. Denn die Freude für beide Kommunikationspartner ist unübersehbar. Kaspar ist zwölf Jahre alt. Er ist schwer mehrfach behindert, wirkt verbal nicht sonderlich gut erreichbar und sitzt aufgrund einer Cerebralparese im Rollstuhl. Seine Arme und seinen Oberkörper kann er, wenn auch nicht immer ganz koordiniert, gut bewegen. Er ist ein sehr kontaktfreudiger Junge. Wenn er angesprochen wird, strahlt er über sein ganzes Gesicht und kann intensiven Blickkontakt halten. Ist er aufgeregt, steckt er seinen Daumen oder sogar die ganze Hand in den Mund, beugt sich vor und blickt sein Gegenüber von schräg unten an. Man spürt förmlich die Spannung, unter der er dann zu stehen scheint, die sich oft in einem anschließenden Hin- und Herwippen seines Oberkörpers oder Bewegen seines Kopfes entlädt. Kasper verfügt zwar über vielfältige motorische Fähigkeiten, kann jedoch nicht mit seiner Hand auf das Fell einer Trommel schlagen und sie dann so schnell zurückziehen, dass ein Ton entsteht. Stattdessen liebt er es, das Instrument zu berühren und umzustoßen. Möchte man seine Hand führen, entzieht er sich. Auch mag er keinen Schlägel in der Hand halten - er betrachtet ihn kurz und lässt ihn dann zu Boden fallen. Seine starken und abwechslungsreichen Bewegungen, die teilweise auch stereotyp sind, lassen sich hervorragend musikalisch begleiten und beantworten - und regen ihn zu einer für beide Partner sehr unterhaltsamen Kommunikation an. Es folgt eine kurze Sequenz aus einer Sitzung. 25

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3 Zwischen Kaspar und mir befindet sich eine große Conga. Sein Oberkörper ist im Rollstuhl angeschnallt, den Kopf und die Arme kann er aber frei bewegen. Kaspar schaut mich durchdringend an und bewegt sich nicht. Ich rühre mich ebenfalls nicht. Plötzlich beginnt er, seinen Kopf in einem gleichmäßigen Rhythmus vor und zurück zu stoßen. Ich begleite jeden Stoß mit einem Schlag auf die Conga. Nach vier Schlägen hält er inne, ich spiele nicht mehr. Über Kaspars Gesicht geht ein breites Grinsen. Ganz leicht, kaum wahrnehmbar bewegt er seinen Kopf ein kleines Stück. Er hält die ganze Zeit über Blickkontakt zu mir. Ich hebe meine rechte Hand über dem Trommelfell genau so ein winzig kleines Stück hoch und deute mimisch und durch ein leichtes Zittern der Hand an, dass ich es kaum abwarten kann, zu spielen - und auf sein Kommando warte. Er lässt mich ein wenig zappeln und beginnt zu kichern. Auch seine Körperspannung steigt. Dann entlädt sie sich in einem schnellen Bewegen des Kopfes, dazu reißt er beide Arme hoch und runter. Ich spiele dazu kräftig die Trommel. Kaspar ist sehr aufgeregt und lacht die ganze Zeit. Nach vielleicht 20 Sekunden hält er inne, dreht seinen Blick etwas zur Seite, beugt sich etwas vor und steckt seinen Daumen in den Mund. Es scheint sich hierbei um eine Reizverarbeitung zu handeln. Ich begleite das Geschehen, indem ich im Rhythmus seiner Lutsch- und Kaubewegungen mit meinen Fingernägeln auf dem Fell der Conga kratze. Nach kurzer Zeit verwandelt sich das ganze auch in ein Spiel und Kaspar grinst mich an. Ich spiele langsamer und lauter, um eine steigende Spannung zu erzeugen - bis er mit einem lauten Plopp den Daumen aus dem Mund zieht und ich synchron mit dem Kratzen aufhöre. Sofort wippt er wieder mit dem Kopf vor und zurück, was ich auf die bekannte Art begleite. Auf einmal hält er einen kurzen Moment inne, dann schüttelt er sehr schnell für wenige Sekunden den Kopf hin und her. Ich begleite das mit einem genauso schnellen Trommelwirbel mit beiden Händen. 27

4 28 Dieser kurze Ausschnitt aus der Sitzung enthält bereits einige wichtige Elemente der musikbasierten Kommunikation. Kaspar wird uns immer wieder begegnen und helfen, die wesentlichen Bestandteile dieser Kommunikationsform zu erläutern und zum Mit- und Nachmachen anzuregen.

5 4. Zwischen Begleiten und Führen Die musikbasierte Kommunikation möchte schwer behinderten Menschen ermöglichen, sich selbst im Kontakt mit einem Gegenüber zu spüren, sich auszudrücken, mitzuteilen und aus einer Isolation zu befreien. Wir nicht behinderten Kommunikationspartner sollten dabei so intensiv und aufmerksam wie möglich auf jeden Impuls und jede Äußerung eingehen. Die hierbei praktizierte Haltung mag ein wenig an die therapeutische Grundhaltung der nicht-direktiven Psychotherapien, beispielsweise bestimmter Formen der Spieltherapie erinnern. Wenn wir beispielsweise die Atmung eines behinderten Menschen begleiten, orientieren wir uns sehr dicht an seinen Äußerungen und lassen uns - scheinbar - führen. Trotzdem müssen wir stets die Kontrolle über die Situation behalten. Wenn wir jemanden musikalisch begleiten, müssen wir erkennen, ob diese Begleitung sich vom anderen führen lässt, oder ob sie ihn eher stützt und trägt. Das ist ein wesentlicher Unterschied. Die Rolle und Funktion der Begleitung ist davon abhängig, welchen Grad von Autonomie unser Gegenüber in seiner Kommunikationsfähigkeit erreicht hat. Bei weitem nicht jeder schwer behinderte Mensch ist zu einer dialogischen Kommunikation in der Lage. Wie in der verbalen Kommunikation sollten wir uns deshalb bewusst machen, über welche kommunikativen und psychischen Fähigkeiten unser Gegenüber verfügt, und was er von uns braucht. Nur so kann Kommunikation gelingen. In den folgenden Kapiteln werden die drei Hauptaspekte der musikbasierten Kommunikation vorgestellt, die sich an der Kommunikation mit dem gesprochenen Wort orientieren: diese besteht aus dem Zuhören, der Sprache selbst, und Gesprächen, in welchen einer spricht, der andere zuhört, antwortet, nachfragt, vielleicht aber auch das Gespräch beendet oder ihm eine unerwartete neue Richtung gibt. Man könnte hier auch bestimmte Gesprächstechniken erwähnen, die Sicherheit in einer unvertrauten Gesprächssituation geben sollen. Das Pendant zum Zuhören ist in der musikbasierten Kommunikation die von mir so bezeichnete Haltung des Hinspürens, das zur Sprache die Improvisation in musikalisch-motorischen Dialogen, und schließlich sind die Gegenstücke zu Gesprächen und Gesprächstechniken einige Improvisationstechniken. In der Begleitung überlassen wir einem anderen zwar die Führung, stützen ihn jedoch, wenn es NÖTIG ist, und gewähren ihm Autonomie, wenn es MÖGLICH ist. Immer aber sollten wir die Kontrolle über eine Situation behalten. 29