Julia Kockel Oliver Hahn

Transkript

1 Julia Kockel Oliver Hahn Tierethik Der Comic zur Debatte

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3 Julia Kockel Oliver Hahn Der Comic zur Debatte WILHELM FINK

4 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk sowie einzelne Teile desselben sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen ist ohne vorherige schriftliche Zustimmung des Verlags nicht zulässig Wilhelm Fink Verlag, ein Imprint der Brill-Gruppe (Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland) Internet: Einbandgestaltung: Oliver Hahn, Aachen Herstellung: Brill Deutschland GmbH, Paderborn ISBN

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6 Ein ambivalentes Verhältnis Unser Verhältnis zu Tieren ist vor allem eins: ambivalent. Wir lieben und umsorgen unsere Haustiere, betrauern das Schicksal rumänischer Straßenhunde, setzen uns für die letzten Tiger ein und bringen unseren Kindern bei, keine Tiere zu quälen, nicht einmal Insekten. Gleichzeitig entsorgen wir in Deutschland im Jahr rund 50 Millionen männliche Abfallküken und schlachten in etwa genauso viele Schweine. Man tritt keine Hunde! 6

7 1 Im ersten Paragraphen des deutschen Tierschutzgesetzes heißt es: 1 Zweck dieses Gesetzes ist es, aus der Verantwortung des Menschen für das Tier als Mitgeschöpf dessen Leben und Wohlbefinden zu schützen. Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen. Gemäß diesem Paragraphen leben und sterben in Deutschland jährlich knapp 800 Millionen Landtiere in der sogenannten Massentierhaltung. Diese Form der Tierhaltung ist inzwischen also keine, besonders grausame, Ausnahme mehr, sondern Standard der Alltag der deutschen Nutztiere. 7

8 Doch das ist nicht die einzige Form, in der wir Tiere zu unseren Zwecken nutzen. In beinahe jedem unserer Lebensbereiche setzen wir auf diese Praxis. Wir verarbeiten und nutzen sie in......der Lebensmittelbranche...der Textilbranche...der Unterhaltungsbranche...der Forschung Unser Lebensstandard baut auf der intensiven Nutzung diverser Tierarten auf. 8

9 Mit welchem Recht? Aber dürfen wir das überhaupt? Womit können wir unseren Umgang mit diesen Tieren rechtfertigen? Oder können wir das eben nicht und fordert unsere Moral einen grundlegend anderen Umgang mit ihnen und somit einen fundamentalen Wandel in unserem Denken und Handeln in Bezug auf diese Mitgeschöpfe? Welche Eigenschaft spricht einem Lebewesen einen moralischen Wert zu? Steht der Mensch an der Spitze der Moral? Muss ein Individuum fähig sein, moralisch zu handeln, um selbst moralische Berücksichtigung zu erfahren? Mit welchen Massstäben teilen wir Tiergruppen ein, in: liebenswerte Haustiere, profitable Nutztiere, schützenswerte Arten, etc.? Wo ziehen wir die Grenze? Darf ich eine Ameise zertreten? Mit diesen Fragen beschäftigt sich die Tierethik. Sie sind angesichts der Lage der unzähligen Tiere, die heutzutage unter den Menschen leiden, wohl dringlicher denn je aber nicht gerade neu. 9

10 Die anthropologische Differenz Seit den Anfängen der westlichen Philosophie versuchen Denker ein Alleinstellungsmerkmal festzulegen, das uns Menschen von allen übrigen Tieren abgrenzt und uns auf eine höhere Stufe stellt. es ist... die Vernunft... die unsterbliche Seele... unsere Sprache...unsere Kultur... ein bewusstsein unserer selbst...die Nähe zu Gott...die/das uns zum Menschen macht! Diese anthropologische Differenz galt seit der Antike und besonders fundamental in der frühen Neuzeit für die meisten einflussreichen Denker als das Ausschlusskriterium der Tiere aus der Sphäre der Moral. 10

11 Inzwischen unterscheiden wir zwischen verschiedenen Auffassungen darüber, in welchem Verhältnis Tier und Mensch zueinander stehen und ob wir überhaupt eine klare Grenze zwischen uns und dem Rest ziehen können. Differentialismus: Tier und Mensch unterscheiden sich prinzipiell voneinander. Assimilationismus: Es gibt keine prinzipielle anthropologische Differenz. Gradualismus: Tier und Mensch unterscheiden sich nur dem Grade nach, nicht prinzipiell. Skeptizismus: Es kann kein Wissen darüber geben, ob und wie wir uns vom Tier unterscheiden. Eine der zentralen Fragen der Tierethik lautet daher: Spielen die vermeintlichen oder tatsächlichen Unterschiede moralisch überhaupt eine Rolle? Und wenn ja, inwiefern? 11

12 Wie groß ist der Kreis? Die Umweltethik zu der die Tierethik gehört beschäftigt sich grundsätzlich mit der Frage, wie weit wir den Kreis der moralischen Sphäre ziehen sollen. Dabei ergeben sich vier zentrale Positionen: Der Anthropozentrismus (griech.: anthropos = Mensch), der Pathozentrismus (griech.: pathos = Leid), der Biozentrismus (griech.: bios = Leben) und der Holismus (griech.: holos = ganz). Nur der Mensch zählt! Stichwort: anthropologische Differenz! Wir müssen die Natur als Ganzes moralisch berücksichtigen! Alle empfindungsfähigen Lebewesen müssen moralisch berücksichtigt werden! Alle Lebewesen fallen in den Kreis der Moral! Die meisten zeitgenössischen Tierethiker vertreten einen pathozentrischen Ansatz. 12

13 Stufen im Kreis? Aber wie sieht es innerhalb der angenommenen moralischen Gemeinschaft aus? Zählen dort alle gleich oder gibt es grundsätzliche moralische Unterschiede zwischen verschiedenen Gruppen? Der Hierarchismus geht von moralischen Stufen aus. Je höher man steht, desto mehr zählt man. Der Egalitarismus geht dagegen davon aus, dass im Prinzip alle innerhalb des Kreises moralisch gleich behandelt werden müssen. Diese Stufen können nach zwei Kriterien besetzt werden: Artzugehörigkeit oder moralisch wertvolle Eigenschaften. Der Mensch zählt mehr als das Schwein, weil er zur Gattung homo sapiens gehört! Der Rabe zählt mehr als der Goldfisch, weil er komplexer denken kann. Der Anthropozentrismus ist in diesem Sinne egalitaristisch. Alles, was nicht Mensch ist, zählt moralisch nicht mehr oder weniger, sondern überhaupt nicht. 13

14 Das Gleichheitsprinzip Die meisten Egalitaristen gehen von einem Gleichheitsprinzip aus. Es besagt, dass alle Wesen, die in moralisch relevanter Hinsicht gleich sind, auch gleich behandelt werden müssen. Dieses Prinzip wird häufig missverstanden und zwar, wenn der entscheidende Zusatz in moralisch relevanter Hinsicht unterschlagen wird. Bekommt Babe jetzt das Recht auf Religionsfreiheit? Das Gleichheitsprinzip sagt nicht: allen im Kreis steht alles gleichermassen zu. Das wäre absurd! Wenn Babe und Bärbel beide das moralisch relevante Bedürfnis haben, nicht gequält zu werden, müssen wir dieses Bedürfnis genau gleich berücksichtigen. Wer bekommt was? Auch die Art der moralischen Berücksichtigung kann je nach Ansatz unterschiedlich ausfallen. Hierarchisten müssen sich fragen, wem welches moralische Privileg zusteht und wem es vorenthalten wird. Wem stehen grundlegende moralische Rechte zu, wer verdient nur Mitleid, und warum? 14

15 Glückwunsch! Aber wo kommen all diese Überzeugungen und Kategorisierungen her? Wie hat sich die Tierethik zu dem entwickelt, was sie heute ist? Die Philosophiegeschichte der Mensch-Tier-Beziehung......ist im Wesentlichen einer Geschichte des Anthropozentrismus zumindest was die kanonischen westlichen Philosophen angeht. Seit der Antike definiert sich der Mensch in Abgrenzung zum Tier und schafft sich damit eine hierarchische Sonderstellung unter den Lebewesen. 15