Psycho-/Neurolinguistik. Tutorium
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- Gisela Kramer
- vor 5 Jahren
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Transkript
1 Tutorium
2 Ziel der Spracherwerbsforscung Erklären, wie das Kind seine Muttersprache lernt 1) Was soll gelernt werden? 2) Wie kann das Kind ein so komplexes Sprachsystem erwerben? Lernbarkeitsproblem 3) Wie verändern und erweitern sich sprachliche Fähigkeiten im Verlauf des Spracherwerbs? Entwicklungsproblem
3 Was soll gelernt werden? Die Zielsprache! Was wissen wir über die Zielsprache? Keine ganz systematischen Beziehungen zwischen Form und Funktion Ein kreatives System von endlichen Mitteln einen unendlichen Gebrauch machen (v. Humboldt 1836) Voller impliziter Regeln Voller Ambiguitäten
4 Zielsprache Deutsch Beispiele für Widersprüche zwischen Form und Funktion Das Suffix er: ein Form- verschiedene Funktionen Markierung des Komparativs später Markierung der maskulinen Form Lehrer Markierung des Plurals Kinder Sprechakte: verschiedene Formen eine Funktion Raus! Verlassen Sie den Raum! Sie verlassen jetzt sofort dieses Zimmer! Würden Sie bitte den Raum verlassen! Wenn Sie nun endlich gehen würden! Sehen Sie die Tür? Könnten Sie vielleicht die Tür von draußen zumachen? Also, dann erst mal vielen Dank für ihren Besuch, wo hatten sie ihren Mantel? Feuer! (Tracy, 2000, S.10)
5 Zielsprache Deutsch Beispiele für die Kreativität des Systems Die Grammatik erlaubt eine unendliche Menge von Sätzen zu bilden Maria aß eine Erdnuss, Maria aß zwei Erdnüsse,... Maria aß Erdnüsse... Der Mann von der Tankstelle neben dem Schloss in dem Ort.. Der Mann, dem das Kind, das eine Rose... trug, die Zunge raustreckte, lachte laut. Linguistische Kreativität nicht in der Satzsyntax, auch in der Wortbildung Donaudampfschifffahrtskapitänswitwenrentenbesoldungsstelle Nicht-Verstehen bzw. Nicht-Verarbeiten liegt nicht an der Grammatik, sondern an den Grenzen unseres Parsers
6 Zielsprache Deutsch Beispiele für implizite Regeln Einfache w-fragen Der Junge hilft dem Hund aus der Tonne. Der Junge hilft wem aus der Tonne? (in-situ Frage) Wem 1 der Junge hilft t 1 aus der Tonne? Wem 1 hilft 2 der Junge t 2 t 1 aus der Tonne?
7 Zielsprache Deutsch Beispiele für Ambiguitäten Semantische Ambiguität Jeder Mann tanzte mit einer Frau. Ein alter Freund von mir Strukturelle Ambiguität Alte Männer und Frauen gingen an Bord. Picasso malte den Herzog ohne Brille. Lexikalische Ambiguität arm Arm; Konten konnten
8 Zwei Probleme für jede Spracherwerbstheorie Lernbarkeitsproblem Entwicklungsproblem
9 Fragen für jede Spracherwerbstheorie Was bringt das Kind für die Aufgabe des Grammatikerwerbs mit? Welche Mechanismen wirken im Verlauf des Erwerbs? Welche Rolle spielt der Input für den Erwerb?
10 Lernbarkeitsproblem Wie kann das Kind das komplexe System der Sprache erwerben? Variante A) Kind lernt durch Imitation des Modells; Ausbildung von assoziativen Netzwerken; Korrektur durch die Umwelt ABER Wieso können dann Kinder Äußerungen verstehen bzw. produzieren, die sie noch nie gehört haben? z.b. Sauberfrau statt Putzfrau; ich habe mich versagt statt ich habe mich versprochen
11 Lernbarkeitsproblem Wie kann das Kind das komplexe System der Sprache erwerben? Variante B) Hypothesenraum des Sprachlerners ist durch bestimmte angeborene Prinzipien oder Fähigkeiten stark eingeschränkt (z.b. Parameter der UG) Kann erklären, warum neue Strukturen auftreten ABER Wie bzw. wo fängt das Kind an? Bootstrapping-Problem
12 Entwicklungsproblem Warum erstreckt sich der Spracherwerb über mehrere Jahre? Warum und wie ändern Lerner ihre Sprachsystem ihre Wissenssystem trotz geglückter Kommunikation von Anfang an? Wie lässt sich die Sequenz der einzelnen Entwicklungsphasen erklären?
13 Entwicklungsproblem Variante A) Häufigkeit im Input; Ableitung von Generalisierungen aus dem Input Häufigkeit einer bestimmten Struktur hat Einfluss auf den Zeitpunkt des Erwerbs Variante B) Kind benötigt Zeit, um den sprachlichen Input seiner Umgebung zu analysieren und daraus jeweils sein eigenes grammatisches System zu konstruieren und das bestehende zu modifizieren, d.h. Fortschritt durch Widerspruch neue Strukturen werden dann erworben, wenn das aktuelle grammatische System es ermöglicht
14 Wie soll der Spracherwerb bzw. Kindersprache untersucht werden? Was muss die beachten? Welche Methoden gibt es? 14
15 Besonderheiten der Zugang zum kindlichen Sprachsystem ist erschwert Kindersprache kann nicht gelernt werden Gefahr der Überinterpretation und Reduktion Junge Kinder können keine bzw. nur indirekte Grammatikalitätsurteile abgeben (vs. Erwachsene) Kindersprache ist kein stabiles System Sprachkompetenz entwickelt sich fortlaufend In jeder Entwicklungsstufe sind temporäre Inkonsistenzen möglich
16 Ausgangspunkte Was soll untersucht werden? Produktion versus Verstehen Wie alt sind die Kinder? Nicht alle Methoden sind für jüngere Kinder geeignet Welche Methode kann/darf verwendet werden? Beurteilungsaufgabe, Bildauswahl, Fragebogen
17 Aufgabe Welche Methoden zur Gewinnung von Verstehensund Produktionsdaten kennen Sie bereits? Tauschen Sie sich aus.
18 Methoden zur Gewinnung von Produktionsdaten Spontansprache Elternfragebögen Elizitierte Produktion Elizitierte Imitation Standardisierte Tests
19 Methoden zur Gewinnung von Verstehensdaten Elternfragebögen Online Methoden Headturn preference Preferential Looking Beurteilungsaufgaben -Wahrheitswertaufgaben - Grammatikalitätsurteile Act-out Aufgabe Bild-Wahl Aufgabe
20 Relevanz der Methode Qualität der Methode bestimmt Qualität des Erkenntnisgewinns Methoden beeinflussen Fragestellungen Produktionsdaten z.b. erlauben keinen Aufschluss über die kindliche Interpretation Methoden beeinflussen Untersuchungsergebnisse z.b. Ja-Bias bei Beurteilungsaufgaben
21 Methodisches Vorgehen Induktives Vorgehen (inductio = das Hineinführen) Vom besonderen Einzelfall auf das Allgemeine, Gesetzmäßige Von den Daten zur Theorie Deduktives Vorgehen Ableitung des Besonderen, Einzelnen vom Allgemeinen Erkenntnis des Einzelfalls durch ein allgemeines Gesetz Von der Theorie/Hypothese zur Überprüfung anhand von Daten
22 Beispiel Syntaxerwerb - V2-Sätze Vorfeld (VF) FINIT Mittelfeld (MF) Verbalkomplex (VK) Nachfeld (NF) Dort kennt ihn jeder. Der Wirt kennt ihn dort. Frischen Grünkohl aus dem Garten kann man kaufen in Melle. Wen hast du heute getroffen? Bei dem Wetter zieh dich warm an!
23 Beispiel: Syntaxerwerb deduktiv Hintergrund Deutsch ist eine SOV-Sprache Die Verbstellung im Verbletztsatz markiert die Basisposition des Verbs Hypothese Kinder erwerben die Satzstellung im Deutschen ausgehend von dieser SOV Stellung Vorhersage Zu Beginn des Spracherwerbs im Deutschen werden Verb und Objekt in folgender Reihenfolge realisiert:
24 Beispiel: Syntaxerwerb deduktiv Hintergrund Deutsch ist eine SOV-Sprache Die Verbstellung im Verbletztsatz markiert die Basisposition des Verbs Hypothese Kinder erwerben die Satzstellung im Deutschen ausgehend von dieser SOV Stellung Vorhersage Zu Beginn des Spracherwerbs im Deutschen werden Verb und Objekt in folgender Reihenfolge realisiert: O + V 24
25 12 18 Monate Einwortäußerungen Mama, Papa, nein, Hund, Ball, danke, da, auf Monate Mehrwortäußerungen mit und ohne Verb Tür auf, Mama auch Bus, Mama Bus fahren Entdeckung der rechten Satzklammer Monate Hauptsätze (inkl. Fragesätze) mit flektiertem Verb in V2-Position Jetzt geh ich hoch. Da kommt (der) Ball rein. Wo ist der Mann? Entdeckung der linken Satzklammer 3 4 Jahre Nebensätze mit flektiertem Verb in VE-Position Der weint, weil er hingefallen ist. (z.b. Tracy, 1991)
26 4. Sitzung: Literatur Rothweiler, M. (2002). Spracherwerb. In J. Meibauer et al. (Hg.), Einführung in die germanistische Linguistik (S ). Metzler. Tracy, R. (2000). Sprache und Sprachentwicklung: Was wird erworben? In H. Grimm (Hg), Sprachentwicklung. Enzyklopädie der Psychologie, CIII, Band 3 (S. 3-39). Hogrefe. Siegmüller, J. & Bartels, H. (2006).Leitfaden Sprache Sprechen Stimme - Schlucken. Elsevier. Schulz, P. & Grimm, A. (2012). Spracherwerb. In H. Drügh, S. Komfort- Hein, A. Kraß, C. Meier, G. Rohowski, R. Seidel und H. Weiß (Eds.), Germanistik. Sprachwissenschaft Literaturwissenschaft Schlüsselkompetenzen (pp ). Stuttgart/ Weimar: J. B. Metzler
27 5. Sitzung: Vorschau Sprachwahrnehmung und früher Lauterwerb Methode: headturn preference paradigma Basistext: Hennon et al. (2000). Die Reise vom Fötus zum spracherwerbenden Kind. In H. Grimm (Hg.), Sprachentwicklung. Enzyklopädie der Psychologie, CIII, Band 3 (S ). Hogrefe.
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