Neuere Gesetzgebungsaktivitäten im Jugendkriminalrecht
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- Susanne Keller
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1 INFO Neuere Gesetzgebungsaktivitäten im Jugendkriminalrecht Dr. Michael Gebauer 31 Bundesministerium der Justiz I. Vorab: Rückgang der Jugendkriminalität und Bedeutung der Prävention Erlauben Sie mir zunächst eine kurze Vorbemerkung in Anknüpfung an den Beitrag von Frau Amtschefin Limperg. Auch wenn ich nicht mit allem Gesagten völlig übereinstimme, fand ich es insgesamt doch sehr bemerkenswert, in welchem Maße in Baden- Württemberg heute offenbar eine wirklich sachlich orientierte Jugendkriminalpolitik verfolgt wird, mit substanziellen und teilweise bereits in konkreten Projekten manifestierten Anstrengungen zur verbesserten Nutzung und Anwendung der vorhandenen rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten im Rahmen der Prävention, des Jugendstrafverfahrens und der Sanktionierung. Es geht dabei nicht um nur symbolische Jugendkriminalpolitik mit immer gleichen Verschärfungsforderungen, wie sie in den letzten 20 Jahren die Diskussion in Deutschland beherrscht haben. Tatsächlich fördert wohl auch allgemein die statistische Entwicklung der Jugendkriminalität eine Rückkehr zu mehr Gelassenheit und fachlicher Sachlichkeit. Dabei handelt es sich bei den im Vortrag von Frau Limperg referierten Rückgängen nicht nur um eine kurzfristige Tendenz im Vergleich der letzten zwei Jahre, sondern seit etwa der Jahrtausendwende sinken in der Polizeilichen Kriminalstatistik die Zahlen der jungen Tatverdächtigen, prozentual bis heute teilweise deutlich im zweistelligen Bereich. 31 Der Autor ist Leiter des Referats für Jugendkriminalrecht und Täter-Opfer- Ausgleich im Bundesministerium der Justiz. Die vorliegenden Darlegungen geben seine persönliche Sicht wieder.
2 30 INFO 2013 Die von Frau Limperg hier besonders hervorgehobene demografische Entwicklung ist sicher von einer nicht unerheblichen Bedeutung für das Ausmaß der Rückgänge. Aber auch bei den Verhältniszahlen, also der Zahl der Tatverdächtigen pro Einwohner der entsprechenden Altersgruppe, lässt sich ein Absinken erkennen. Wir haben also insgesamt gesehen einen echten, nicht nur der schwindenden Jugend geschuldeten Rückgang von Jugendkriminalität. Nach meiner optimistischen Hypothese dazu dürften hierfür auch erfolgreiche Präventionsanstrengungen in den letzten Jahren kausal sein im Bereich von Diversionsmaßnahmen und der Sanktionierung, aber auch im Bereich der Entstehensbedingungen von Jugenddelinquenz und -kriminalität. Denn im Rahmen der herausgehobenen öffentlichen Thematisierung von Jugendkriminalität und im Schatten von Verschärfungsforderungen wurde auch eine Vielzahl von zumindest teils sehr überzeugenden Präventionsprojekten ins Leben gerufen. Bleibt zu hoffen, dass erfolgreiche und längerfristig sinnvolle Projekte nicht aufgrund einer entspannteren Situation wieder einschlafen, weil die Jugendkriminalität aus dem Fokus gerät und eine Anschlussfinanzierung nicht gesichert wird. Ob die Hypothese spürbarer Auswirkungen der Präventionsarbeit zutrifft, können wir allerdings nicht mit Sicherheit sagen. Leider sind und werden entsprechende Projekte und neue Maßnahmen bisher viel zu selten evaluiert. Den Bereich der begleitenden und der Wirkungsevaluation müssen wir in Deutschland unbedingt verstärken, damit nicht immer wieder nur befristete Modellprojekte gefördert werden, deren Effizienz vielleicht durchaus plausibel, aber letztlich nicht wissenschaftlich valide belegt ist. Auch international wird die Notwendigkeit einer empirischen und kriminologischen Fundierung der Jugendkriminalrechtspflege immer stärker betont, nicht nur in den teils schon älteren einschlägigen Richtlinien und Mindestgrundsätzen der Vereinten Nationen und in den auch neueren Empfehlungen des Europarats.
3 INFO Bemerkenswert ist etwa, dass beispielsweise in den USA nach den Jahren einer eher populistischen, aber nicht kriminologisch geleiteten Verschärfungs-Kriminalpolitik zero tolerance, three strikes and you re out inzwischen jedenfalls auf Bundesebene einiges unternommen wird, um eine rationale und empirisch fundierte ( evidence based ) Jugendkriminaljustiz voranzubringen. Interessierte will ich insoweit gern auf die Webseiten einer eigens dafür eingerichteten Behörde des amerikanischen Justizministeriums hinweisen, des OJJDP Office for Juvenile Justice and Delinquency Prevention, oder auf die des Center for Juvenile Justice Reform der Georgetown University. 32 Das Bundesministerium der Justiz hat immerhin schon vor längerer Zeit Herrn Professor Wolfgang Heinz, inzwischen Emeritus an der Universität Konstanz, mit einer Sekundäranalyse beauftragt, um zusammenzustellen, was wir in Deutschland empirisch belegbar über die Wirksamkeit jugendkriminalrechtlicher Sanktionen und Reaktionen sagen können. Eine vorläufige Fassung des Gutachtens, die dem BMJ vorliegt, füllt über 800 Seiten. Wir hoffen jetzt auf die für in Bälde angekündigte Endfassung, damit wir das Werk für die Fachöffentlichkeit und die jugendkriminalpolitische Diskussion zur Verfügung stellen können. So viel zur Vorbemerkung. II. Die Gesetzgebung im Jugendkriminalrecht ein kurzer Rückblick Im Tagungsflyer lautet der Titel meines Vortrags Neue Gesetzgebungsaktivitäten im Jugendkriminalrecht. So, als würde ich jetzt von etwas berichten, von dem Sie noch nicht aus den Medien und der Beobachtung der jüngeren Gesetzgebungsprojekte erfah s. z.b. auch
4 32 INFO 2013 ren hätten. Richtig sollte es heißen Neuere Gesetzgebungsaktivitäten, wodurch die Erwartungen an die Neuigkeit dem juristischen Wesen gemäß relativiert worden wären. Befürchten Sie jetzt also keine Überraschungsgesetzgebung im JGG zum Endspurt der Legislaturperiode. Vor gut zwei Wochen am 27. Februar 2013 ist vor 90 Jahren im Reichsgesetzblatt das Jugendgerichtsgesetz verkündet worden, Nach den Angaben des Statistischen Bundesamts 33 betrug die durchschnittliche Lebenserwartung von 1923 in Deutschland geborenen Menschen weniger als 60 Jahre. Aber während man bei Menschen zwar die eine oder andere Falte liften lassen kann und sich das Altern nicht wirklich aufhalten lässt, kann man Gesetze reformieren und an neue Erkenntnisse und Entwicklungen anpassen. Das ist im JGG immer wieder geschehen. Allerdings ist seit der letzten größeren Reform, dem 1. JGG-Änderungsgesetz von 1990, auch schon wieder fast ein Vierteljahrhundert vergangen. Diese Reform fand breite Zustimmung in der Wissenschaft und in der Fachpraxis. Sie trug den inzwischen angesammelten empirischen Erkenntnissen und kriminologischen Einsichten Rechnung und setzte insbesondere mit den damals so genannten neuen ambulanten Maßnahmen und im Recht der Untersuchungshaft wegen seiner schädlichen Nebenwirkungen auf eine Zurückdrängung des Freiheitsentzugs und auf einen Ausbau der informellen Verfahrenserledigung im Wege der Diversion. Gleichzeitig mit der Verabschiedung des 1. JGGÄndG wurde die Bundesregierung in einem Beschluss, der von allen damals im Deutschen Bundestag vertretenen Fraktionen getragen wurde, aufgefordert, die Reform in dem begonnenen Sinne fortzuführen Sterbefaelle/Sterbefaelle.html;jsessionid= 1939D57EBBF8CB005928D54EE cae1.
5 INFO Dazu kam es aber nicht, obwohl die grundlegenden kriminologischen und empirischen Befunde sich nicht verändert hatten. Nach den schlimmen fremdenfeindlichen Anschlägen Mölln, Hoyerswerda, Solingen, Rostock-Lichtenhagen und andere, bei denen vielfach junge Gewalttäter in Erscheinung traten, und angesichts eines deutlichen Anstiegs der in der Polizeilichen Kriminalstatistik registrierten Jugendkriminalität (dessen tatsächliches Ausmaß in der Wirklichkeit durchaus zu hinterfragen war und wissenschaftlich auch hinterfragt wurde), schlug das kriminalpolitische Klima diametral um. Gegenüber einer bedrohlichen Zunahme der Jugendkriminalität wurden in Medien und bedeutsamen Teilen der Politik wieder zunehmend repressive Lösungen gefordert. Eine Fortführung der wissenschaftlich fundierten Reform hatte so keine Chance. Am besten waren die Aussichten wieder um das Jahr 2002, als die 2. Jugendstrafrechtsreform- Kommission der DVJJ ihre Ergebnisse und Vorschläge vorlegte, sich auch der Deutsche Juristentag mit einer fachlich begründeten Reform des Jugendstrafrechts befasste und die damalige Bundesjustizministerin grundsätzlich offen war für ein entsprechendes Projekt. Wegen der Risiken einer breiten Öffnung der gesetzgeberischen Bühne für Änderungen des JGG wurde dann aber doch davon Abstand genommen. So gibt es denn seit 1990 zwar nicht wenige Gesetzesänderungen, die in ihrer Ziel- bzw. Stoßrichtung durchaus unterschiedlich einzuordnen sind, aber sicher keine umfassende Reform. III. Kleinere Änderungen des Jugendkriminalrechts 2010 und 2011 Was gibt es nun an Neuem zum Jugendstrafrecht aus der laufenden Wahlperiode? Am Anfang stand 2010 ein bisschen Rechtsbereinigung, unter anderem die Aufhebung der Vorschriften über die Erziehungshilfe durch den Disziplinarvorgesetzten bei Straftaten durch Wehrdienstleistende. 34 Diese wurden als nicht erst 34 Gesetz über die weitere Bereinigung von Bundesrecht vom 8. Dezember 2010 (BGBl. I S. 1864).
6 34 INFO 2013 heute in der Praxis bedeutungslos und auch im sachlichen Gehalt nicht überzeugend betrachtet. Hier brauchen wir uns damit jetzt nicht näher zu befassen. Ebenfalls nur kurz erwähnen möchte ich die neuen Bestimmungen zur so genannten Besetzungsreduktion bei der großen Jugendkammer, die Ende 2011 im Bundesgesetzblatt standen. 35 Gegenüber der bis dahin wiederholt verlängerten befristeten und relativ allgemein gehaltenen Regelung sind jetzt in 33b JGG konkrete Fallgruppen umschrieben, in denen entweder zwingend oder regelmäßig die Dreierbesetzung zu beschließen ist. Die Bestimmungen lehnen sich weitgehend, aber unter Berücksichtigung jugendstrafrechtlicher Besonderheiten an die entsprechende Neuregelung für die große Strafkammer im GVG an. Insbesondere ist als Besonderheit berücksichtigt, dass das Jugendschöffengericht über eine deutlich höhere Sanktionsmacht verfügt als das allgemeine Schöffengericht. Deshalb wurde auch für Berufungen über Urteile des Jugendschöffengerichts eine zwingende Besetzung der Jugendkammer mit drei Berufsrichtern vorgesehen, wenn das angefochtene Urteil auf eine Jugendstrafe von mehr als vier Jahren lautet. Die Neuregelung ist zwar durch rechtstatsächliche Forschung fundiert; sie wurde eigens durch eine umfangreiche empirische Studie von Dölling und Feltes vorbereitet. Festzuhalten bleibt aber, dass die neuen Vorschriften zur Besetzungsreduktion nicht etwa jugendkriminologische Einsichten als Motor hatten oder sonst einer wirksameren Bekämpfung von Jugendkriminalität dienen sollten. Vielmehr geht es hier in erster Linie um Sparzwänge der Länder und darum, den justiziellen Ressourceneinsatz in vertretbarer Weise zu begrenzen. 35 Gesetz über die Besetzung der großen Straf- und Jugendkammern in der Hauptverhandlung und zur Änderung weiterer gerichtsverfassungsrechtlicher Vorschriften sowie des Bundesdisziplinargesetzes vom 6. Dezember 2011 (BGBl. I S. 2554).
7 INFO IV. Die Reform der Sicherungsverwahrung 2012 und das Jugendkriminalrecht Auch die neuesten Änderungen im JGG im Dezember 2012 im Bundesgesetzblatt 36 können trotz ihrer gravierenden Bedeutung für die betroffenen Fälle nicht zum Kern des Jugendkriminalrechts gerechnet werden. Dennoch haben sie in dieser Legislaturperiode einen großen Teil der Ressourcen auch des Referats für Jugendstrafrecht im BMJ gebunden. Es geht um die Gesetzgebungsarbeiten zur Wahrung des Abstandsgebots im Recht der Sicherungsverwahrung. Wegen der engen Verzahnung mit den einschlägigen Bestimmungen des allgemeinen Straf- und Strafverfahrensrecht und der Notwendigkeit eines stimmigen Gesamtsystems der Sicherungsverwahrung war hier durchgängig eine intensive Beteiligung an allen Arbeiten geboten, und zwar nicht erst bei der Entwurfserstellung und der Begleitung der politischen Diskussionen und des parlamentarischen Verfahrens, sondern bereits im Vorfeld bei der Vorbereitung auf mögliche Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Bundesverfassungsgerichts, Stellungnahmen gegenüber diesen Gerichten und schließlich der Auswertung der tatsächlich ergangenen Urteile. Bis 2003/2004 hatte es im Jugendstrafrecht der Bundesrepublik Deutschland überhaupt keine Sicherungsverwahrung für Jugendliche und Heranwachsende gegeben. Die Hauptgründe lagen zum einen darin, dass man ein dauerhaftes rein sicherndes Einsperren als nicht vereinbar mit dem Erziehungsgedanken und den positiven Entwicklungschancen junger Menschen betrachtete. Zum anderen hielt man für sie angesichts ihrer kurzen Lebens- und Legalbewährungsgeschichte und ihrer noch nicht abgeschlossenen persönlichen und sozialen Entwicklung eine ausreichend sichere Gefährlichkeitsprognose nicht für möglich, die einen derart schwer wiegenden Eingriff hätte rechtfertigen können. In frühe- 36 Gesetz zur bundesrechtlichen Umsetzung des Abstandsgebotes im Recht der Sicherungsverwahrung vom 5. Dezember 2012 (BGBl. I S. 2425).
8 36 INFO 2013 ren Entscheidungen hatte der Bundesgerichtshof diese Zweifel an einer sicheren Prognosemöglichkeit sogar bezüglich junger Erwachsener in der ersten Hälfte ihrer dritten Lebensdekade betont. Die Eröffnung des schärfsten Schwerts des Strafrechts erfolgte deshalb zunächst nur für Heranwachsende, die in ihrer Entwicklung nicht mehr einem Jugendlichen gleichstehen und somit nach allgemeinem Strafrecht verurteilt werden, und nur durch Eröffnung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung in 106 JGG. Kurz darauf wurde für diese Gruppe der Heranwachsenden mit ihrer Einführung im allgemeinen Strafrecht aber auch die nachträgliche Sicherungsverwahrung ermöglicht. Immer stand dabei politisch im Hintergrund, dass, wenn es nicht gelänge, die entsprechend ausgemachte Sicherheitslücke zu schließen, die in jüngerer Zeit bereits mehrfach erhobene Forderung nach einer generellen Herausnahme der Heranwachsenden aus dem Jugendstrafrecht wieder mit Nachdruck verfolgt würde. Massiver politischer und öffentlicher Druck nach einem Münchener Mordfall bald nach Verbüßung seiner 10-jährigen Jugendstrafe hatte ein bei seiner Entlassung weiterhin als gefährlich eingeschätzter junger Mann, erneut, ein Kind missbraucht und getötet führte dann dazu, dass trotz der angesprochenen besonderen Prognoseunsicherheit und anderer fachlicher Bedenken zum Schutz der Allgemeinheit die Sicherungsverwahrung 2008 erstmalig auch für nach Jugendstrafrecht Verurteilte eröffnet wurde. Die Beschränkung auf die nachträgliche Sicherungsverwahrung sollte der Prognoseproblematik, den Entwicklungschancen und zusammen mit engeren Voraussetzungen als im allgemeinen Strafrecht den besonderen Verhältnismäßigkeitsanforderungen bei jungen Menschen Rechnung tragen. Bei dem Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung, das Anfang 2011 in Kraft trat und insbesondere die nachträgliche Sicherungsverwahrung im allgemeinen Strafrecht
9 INFO weitgehend abschaffte, wurden die Regelungen im JGG zum großen Teil ausgeklammert. Angesichts der Ungewissheit über die seinerzeit zu erwartenden Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Bundesverfassungsgerichts und der besonderen Problematik einer jugendstrafrechtlichen Sicherungsverwahrung sollten möglicherweise falsche Weichenstellungen vermieden und zunächst der Fortgang der Diskussion und der Bestand der Neuordnung im allgemeinen Strafrecht abgewartet werden. Klarheit im Grundsätzlichen verschaffte dann das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011, mit dem die Vorschriften zur Sicherungsverwahrung in StGB und JGG wegen Verstoßes gegen das sogenannte Abstandsgebot als nicht mit dem Grundgesetz vereinbar erklärt wurden, mehrere Vorschriften, unter anderem der 7 Absatz 2 JGG zusätzlich wegen Verstoßes gegen das Vertrauensschutzgebot. In der Konsequenz wurde letztlich die im allgemeinen Strafrecht bereits vorgenommene Neuordnung nun auch im JGG nachvollzogen Abschaffung der nachträglichen Sicherungsverwahrung nach Strafhaft in 7 und 106 JGG zugunsten einer erweiterten Vorbehaltslösung und parallel zu den Regelungen im StGB und in Abstimmung mit diesen weiteren Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts Rechnung getragen. Die Einzelheiten dieses Gesetzes 37 möchte ich hier nicht vertiefen. Das wäre ein eigenes Referat. Das Recht der Sicherungsverwahrung ist inzwischen so differenziert und für nicht ständig damit Befasste wohl eher mäßig übersichtlich, dass Rechtsanwender und -anwenderinnen sich im Ernstfall ohnehin sehr eingehend mit Kommentarliteratur und einschlägiger obergerichtlicher Rechtsprechung befassen werden müssen. Ich wünsche Ihnen aber sehr, dass Sie sich in Ihrer eigenen Praxis möglichst niemals mit einem Fall auseinandersetzen müssen, in dem es um den Vorbehalt oder 37 Siehe o. Fn. 36.
10 38 INFO 2013 die Anordnung einer jugendstrafrechtlichen Sicherungsverwahrung geht. Zudem ist die unendliche Geschichte des Rechts der Sicherungsverwahrung aller Erfahrung nach auch mit diesem neuen Gesetz noch nicht am Ende. Ein Beschluss des Bundesverfassungsgerichts aus dem letzten Monat, nämlich vom 27. Februar 2013, zur Sicherungsverwahrung nach erledigter Unterbringung, der einzigen verbliebenen Möglichkeit einer nachträglichen Sicherungsverwahrung, deutet an, wo sich zum Beispiel ein weiteres Betätigungsfeld der einschlägigen Gesetzgebung entfalten könnte. V. Das Gesetz zur Erweiterung der jugendgerichtlichen Handlungsmöglichkeiten Um eigentliches Jugendkriminalrecht ging es bei dem Gesetz zur Erweiterung der jugendgerichtlichen Handlungsmöglichkeiten, das am 7. September 2012 im Bundesgesetzblatt verkündet wurde. 38 Dieses Gesetz besteht aus zwei recht unterschiedlichen Teilen, einem rein fachlich veranlassten und einem stark kriminalpolitisch geprägten. 1. Die Vorbewährung ( 61 ff. JGG) Der erstgenannte Teil betrifft das Institut der sogenannten Vorbewährung. Es handelt sich um eine in der Praxis entwickelte Verfahrensgestaltung, die in manchen Regionen bzw. Gerichtsbezirken recht häufig angewandt wird und wurde, während sie in anderen bisher so gut wie unbekannt war. Auch zwischen denen, die die Vorbewährung bislang einsetzten, ergaben empirische Untersuchungen mitunter deutliche Unterschiede in der Art der Anwendungsfälle und der konkreten Ausgestaltung 39 einschließ BGBl. I, S Zur Ergründung der gesetzgeberischen Vorstellungen lesenswert auch die Entwurfsbegründung in BT-Drs. 17/9389. Vgl. Flümann, B.: Die Vorbewährung nach 57 JGG. Freiburg 1983; Sommerfeld, S.: Vorbewährung nach 57 JGG in Dogmatik und Praxis.
11 INFO lich der Erteilung von Weisungen und Auflagen, einer Beteiligung der Bewährungshilfe und der Dauer der Vorbewährungszeit. Genereller rechtlicher Anknüpfungspunkt ist zwar die im Jugendstrafrecht bestehende Möglichkeit, über die Aussetzung einer verhängten Jugendstrafe erst nachträglich durch Beschluss zu entscheiden. Bei kritischer Betrachtung wurde jedoch in Zweifel gezogen, dass dies im Hinblick auf mit der Vorbewährung verbundene grundrechtsrelevante Belastungen als zumal hinreichend bestimmte gesetzliche Grundlage ausreiche. Es fehlten auch rechtsstaatlich gebotene Begrenzungen insbesondere für die Höchstdauer der Bewährungszeit und begleitende belastende Anordnungen. Mancherorts beklagten Gerichte, dass die Bewährungshilfe in Fällen, in denen eine Entscheidung über die Aussetzung zur Bewährung vorbehalten wurde, die Betreuung der betroffenen jungen Verurteilten verweigerte, weil eine gesetzliche Grundlage für ihr Tätigwerden vor der Aussetzung nicht gegeben sei. Diese Defizite sollten mit der ausdrücklichen und differenzierten Regelung der Vorbewährung im JGG durch das neue Gesetz behoben werden. Neben begleitenden Regelungen, etwa Anrechnungsvorschriften im Hinblick auf das Übermaßverbot und die bei der Sanktionierung zu beachtende schuldbezogene Obergrenze und Bestimmungen zur gerichtlichen Zuständigkeit für Folgeentscheidungen im Rahmen der Vorbewährung legt das Gesetz nun auch fest, unter welchen Voraussetzungen das Gericht die Entscheidung über die Bewährungsaussetzung ausdrücklich für eine bestimmte Frist zurückstellen darf. Die in dem neuen 61 JGG umschriebenen Voraussetzungen verhindern Fehlanwendungen dieses Instruments, nämlich dass die in Wirklichkeit spruchreife Aussetzungsentscheidung zum Beispiel nur hinausgeschoben wird, um mit der Ungewissheit Godesberg 2007; dazu z.b. auch Diemer, H./Schatz, H./Sonnen, B.-R.: JGG, 6. Aufl. Heidelberg 2011, 57 Rn. 12 ff., 15.
12 40 INFO 2013 über die Vollstreckung der Jugendstrafe einen zusätzlichen Motivationsdruck auf den Verurteilten oder die Verurteilte auszuüben, oder dass andererseits aus falsch verstandener Milde eine letzte Chance eingeräumt wird, obwohl nach den Feststellungen eine längerfristige Behandlung im Vollzug notwendig und geboten ist und keine Anhaltspunkte für eine Verbesserung der negativen Prognose bestehen, eine Aussetzung also abzulehnen wäre. Die beiden zulässigen Alternativen einer förmlichen Vorbewährung mit deren begleitenden Anordnungen etc. sind folgende: Zum Ersten: Die Ermittlungsmöglichkeiten sind zum Urteilszeitpunkt erschöpft, jedoch erlauben die Feststellungen nicht die für eine Aussetzung der Jugendstrafe nach 21 JGG notwendige günstige Prognose. Allerdings sind Ansätze in der Lebensführung des oder der Jugendlichen oder sonstige konkrete Umstände ersichtlich, die die Aussicht auf eine günstige Prognose in absehbarer Zeit begründen. Zum Zweiten: Die Ermittlungsmöglichkeiten sind noch nicht erschöpft. Denn in der Hauptverhandlung sind bestimmte Umstände hervorgetreten, die es als möglich erscheinen lassen, dass eine günstige Prognose auch bereits aufgrund der bestehenden Situation und nicht erst aufgrund künftiger Entwicklungen getroffen werden könnte. Feststellungen dazu als Entscheidungsgrundlage erfordern jedoch weitere Ermittlungen. Auch ohne den mit dem Urteil auszusprechenden Vorbehalt der Entscheidung über die Bewährung bleibt die Möglichkeit erhalten, bis zum Beginn des Vollzugs der Jugendstrafe deren Vollstreckung nachträglich auszusetzen, allerdings nur, wenn erst zwischenzeitliche neue Umstände oder Erkenntnisse nun die positive Prognose ermöglichen. Es darf also nicht um eine Korrektur der ursprünglichen Entscheidung gehen, eine bloße Neubewer-
13 INFO tung der beim Urteil bekannten Tatsachen. Bei neuen günstigen Entwicklungen soll aber auch weiterhin der Freiheitsentzug wegen seiner bekannten schädlichen Nebenwirkungen möglichst vermieden werden. 2. Anhebung des Höchstmaßes der Jugendstrafe für Mord bei Heranwachsenden Soviel zu dem einen Teil des Gesetzes zur Erweiterung der jugendgerichtlichen Handlungsmöglichkeiten, bei dessen Entwurfserstellung die Schwierigkeit vor allem in der Komplexität der aufeinander bezogenen Teil-Regelungsgegenstände lag und nicht in der Notwendigkeit, kriminalpolitische Forderungen und wissenschaftliche Bedenken dagegen in einer fachlich tragfähigen Lösung zum Ausgleich zu bringen. Dieser Teil passierte denn auch das parlamentarische Verfahren völlig problemlos. Gleichwohl hätte ich mir seinerzeit gewünscht, dass die vom BMJ vorgeschlagenen Bestimmungen zunächst als Referentenentwurf zur Stellungnahme an die Länder und Verbände versandt worden wären. Denn völlig sicher kann man sich nicht immer sein, dass das, was sich Ministerialbeamte am grünen Tisch ausdenken, auch den Anforderungen der Praxis und den rechtlichen Bewertungen externer Fachleute entspricht. Aufgrund politischer Entscheidungen wurde der Entwurf aber nicht als Regierungsentwurf mit vorheriger Versendung eines Referentenentwurfs eingebracht, sondern vom Bundeskabinett als Formulierungshilfe für einen dann von den Koalitionsfraktionen im Wesentlichen übernommenen Gesetzentwurf aus der Mitte des Bundestages beschlossen. Letztlich haben die Regelungen zur Vorbewährung aber, soweit bisher ersichtlich, auch von Praktikern und externen Experten durchweg Zustimmung erfahren. Ganz anders lag die Situation bei den beiden anderen Regelungsgegenständen des Gesetzes, der Anhebung des Höchstmaßes der Jugendstrafe für Mord bei Heranwachsenden und der Ermöglichung eines Jugendarrests neben zur Bewährung ausgesetzter Ju-
14 42 INFO 2013 gendstrafe. Auf beides richteten sich immer wieder Forderungen im jugendkriminalpolitischen Bereich, die sich wiederholt auch in im Ergebnis erfolglosen Gesetzesanträgen und -entwürfen insbesondere einzelner Länder gefunden hatten. Wegen der breiten Kritik nahezu aller Fachleute des Jugendkriminalrechts und ihrer als überzeugend betrachteten Argumente waren entsprechende Initiativen bisher vom BMJ abgelehnt worden. Da beides aber in der Koalitionsvereinbarung für die 17. Legislaturperiode auf die Agenda gesetzt wurde, galt es, eine fachlich überzeugende oder zumindest vertretbare gesetzliche Lösung zu finden. Ihre gleichwohl zurückhaltende Position gegenüber überzogenen Erwartungen an den Nutzen einer solchen Gesetzgebung brachte die amtierende Bundesministerin der Justiz wie schon in ihrer ersten Amtszeit auf dem Regensburger Jugendgerichtstag auch 2010 in ihrem Eröffnungsvortrag zum Jugendgerichtstag in Münster zum Ausdruck. Die eingehende Auseinandersetzung mit den Bedenken der Wissenschaft und der Fachverbände bestimmte auch die Entwurfsarbeiten. Zunächst zu den 15 Jahren: Nach Ansicht der Kritiker lässt sich eine derartige Gesetzesänderung jugendkriminalrechtlich und vor allem kriminologisch kaum begründen. Im Hinblick auf die Wirkungsorientierung des Jugendkriminalrechts dürfte eine derartige Strafrahmenerhöhung in generalpräventiver Hinsicht als neutral und in spezialpräventiver Hinsicht eher als nachteilig anzusehen sein. Nach den empirischen Befunden der Generalpräventionsforschung ist von einer rein quantitativen Anhebung des gesetzlichen Strafrahmens und auch von dessen Anwendung in der Praxis keine zusätzliche Abschreckungswirkung auf andere zu erwarten. Dabei ist es auch sehr plausibel, dass gerade junge Täter, die bei schweren Straftaten häufig aus einer konkreten Situation und Gruppendynamik heraus handeln, nicht zuvor eine sorgfältige Abwägung des strafrechtlichen Risikos vornehmen und die Tat bei einer gesetzlichen Strafdrohung von zehn Jahren noch begehen, bei einer Strafdrohung von 15 Jahren aber von ihr Abstand nehmen würden.
15 INFO In spezialpräventiver Hinsicht ist in der jugendstrafrechtlichen und kriminologischen Literatur und weitgehend in der Rechtsprechung seit langem anerkannt, dass Jugendstrafen von mehr als fünf Jahren Dauer unter ausschließlich erzieherischen oder behandlungsorientierten Gesichtspunkten regelmäßig nicht begründbar sind. 40 Mit zunehmender Dauer des Strafvollzugs steigen abgesehen von der erhöhten Stigmatisierung die gesellschaftliche Desintegration und die Verinnerlichung subkultureller Normen und Verhaltensweisen innerhalb des Vollzugs. Spezialpräventiv erhöht sich zwar die Sicherung vor erneuten Straftaten für die Zeit des längeren Einschlusses. Für die Zeit nach der Entlassung sinken aber die Chancen für eine gelingende Wiedereingliederung und ein künftiges Leben ohne Straftaten. Dabei ist zusätzlich zu bedenken, dass eine zwar auf schwere Mordverbrechen begrenzte Strafrahmenerhöhung sich möglicherweise nicht nur auf deren Sanktionierung auswirken wird, sondern wegen des veränderten Maßstabs insgesamt die Dauer der verhängten Jugendstrafen nach oben verschieben könnte. Jedenfalls liegt das nahe für die Jugendstrafen von mehr als fünf Jahren, bei denen neben erzieherischen Belangen Schuldaspekten stärkeres Gewicht zukommt. Aber auch wenn das Jugendstrafrecht vom Erziehungsgedanken geleitet wird und insbesondere bei seiner Anwendung im Einzelfall erzieherische und spezialpräventiv behandlungsorientierte Aspekte im Vordergrund stehen, bleibt es vom Ausgangspunkt her Strafrecht und muss deshalb angemessene Reaktionsmöglichkeiten auf strafrechtlich vorwerfbares Unrecht bereitstellen. Die Frage, ob das bisher geltende Höchstmaß der Jugendstrafe von zehn Jahren ausreicht, um auch dem Schuldgehalt schwerer Mordverbrechen gerecht zu werden, lässt sich nicht allein unter kriminologischen oder ähnlichen fachlichen Gesichtspunkten be- 40 Vgl. Brunner, R./Dölling, D.: JGG, 12. Aufl. Berlin Boston 2011, 18 Rn. 3; Diemer/Schatz/Sonnen (o. Fn. 39), 18 Rn. 6; Eisenberg, U.: JGG, 16. Aufl. München 2013, 18 Rn. 8; Ostendorf, H.: JGG, 9. Aufl. Baden- Baden 2013, 18 Rn. 11; jew. m. w. N.; BGH, NStZ 1996, S. 232; NStZ 1997, S. 29; StV 1998, S. 344.
16 44 INFO 2013 antworten. Es geht dabei auch um eine ethische und gesellschaftliche Wertung, die der Gesetzgeber als Grundentscheidung zu treffen hat und die er mit dem neuen Gesetz auch getroffen hat. 3. Der Jugendarrest neben zur Bewährung ausgesetzter Jugendstrafe ( 16a JGG) a. Die jugendkriminalwissenschaftliche und -politische Debatte Unter fachlichen Gesichtspunkten weitaus schwieriger war es, eine vernünftige Lösung für den Jugendarrest neben zur Bewährung ausgesetzter Jugendstrafe zu finden. Ich benutze hier generell nicht den Begriff Warnschussarrest, den auch die Begründung des Gesetzentwurfs vermeidet und nur in der Bezugnahme auf kriminalpolitische Forderungen und in Anführungszeichen verwendet. Der Begriff führt meines Erachtens in die Irre im Hinblick auf den gesetzlichen Zweck dieses Arrests und könnte ein Fehlverständnis und damit Fehlanwendungen fördern. Überhaupt ließe sich allenfalls die erste der drei Anwendungsalternativen des neuen 16a Absatz 1 JGG darunter subsumieren. Aber die empirische Forschung, national wie international, insbesondere auch die große Sekundäranalyse des Sherman-Reports für den US- Kongress, hat bisher ganz überwiegend gezeigt, dass sogenannte Denkzettel -Strafen oder Short-sharp-shock -Sanktionen bestenfalls wirkungslos, wenn nicht gar im Hinblick auf die Legalbewährung kontraproduktiv sind. Das ist einer der wesentlichen Gründe für die bisherige Zurückhaltung des Gesetzgebers gegenüber einem solchen Arrest. Dabei entsprach das bisherige Koppelungsverbot von Jugendstrafe und Jugendarrest letztlich bereits den Vorstellungen, die der seinerzeitige Verordnungs- bzw. Gesetzgeber bei der Einführung des Jugendarrests in das Jugendstrafrecht hatte. Der Jugendarrest sollte nur bei Jugendlichen in Betracht kommen, die als noch dadurch beeindruckbar angesehen wurden und bei denen noch nicht schädliche Neigungen in einem Ausmaß vorlagen, dass Jugend-
17 INFO strafe erforderlich war. 41 Dabei ging man damals allerdings anders als heute durchaus noch davon aus, dass ein strenger Arrestvollzug die betroffenen Jugendlichen erschrecken und auf den rechten Weg zurückführen sollte. Deutlich wird jedenfalls, dass der neue 16a-Arrest sich auf eine andere Zielgruppe richtet als generell der herkömmliche Jugendarrest. Hier geht es um junge Leute, die ganz andere, schwerer wiegende Defizite in ihrer Entwicklung aufweisen als diejenigen, bei denen keine Jugendstrafe zu verhängen ist. Deshalb überzeugten in der Diskussion um einen Warnschussarrest auch kaum die von einzelnen Praktikern berichteten positiven Erfahrungen mit dem Jugendarrest, zum Beispiel die Mitteilung: Nach der Arrestverbüßung war der Jugendliche noch einmal bei mir und erklärte: Das war so übel ich will so etwas nicht noch einmal mitmachen und komme bestimmt nicht wieder. Bei solchen Erfahrungen geht es ja eben nicht um die Klientel des jetzigen 16a- Arrests. Zudem darf man an der Belastbarkeit derartiger Äußerungen sicher zweifeln. Welcher Jugendliche, der kurz nach dem Arrestvollzug mit dem Staatsanwalt oder Richter zusammentrifft, würde wohl erklären: Das hat mir überhaupt nichts ausgemacht? Selbst wenn kurzfristig nach dem Vollzug tatsächlich deswegen gefasste gute Vorsätze bestehen, bleiben die mittel- und langfristige Nachhaltigkeit zweifelhaft. Die betroffenen Staatsanwälte und Richter überblicken die weitere Entwicklung häufig nicht über einen längeren Zeitraum. Anders die Registerauswertungen im Rahmen der bundesweiten Legalbewährungsstudie im Auftrag des Bundesministeriums der Justiz. Dabei ergab sich nach der vollstreckbaren Jugendstrafe wiederholt die zweithöchste Rückfall -Quote beim Jugendarrest Vgl. Kümmerlein, H.: Reichsjugendgerichtsgesetz. Berlin 1944, S. 48; Schäfer: Jugendarrest und Strafe. In: Zur Einführung des Jugendarrests Abgekürzter Bericht über die Festsitzung der Akademie für Deutsches Recht am 6. November 1940 und die Jugendrichtertagung im Reichsjustizministerium am 7. November Berlin 1940, S. 56. Jehle, J.-M./Heinz, W./Sutterer, P.: Legalbewährung nach strafrechtlichen Sanktionen. Mönchengladbach 2003, S. 57; Jehle, J.-M./Albrecht, H.-
18 46 INFO 2013 Unter der Bezeichnung Einstiegsarrest fand sich die Möglichkeit der Verbindung von Jugendstrafe und Jugendarrest in Vorbereitung des 1. JGG-Änderungsgesetzes von 1990 in einem ersten Arbeitsentwurf des Bundesministeriums der Justiz von 1982 und in einem Referentenentwurf von Aufgrund nachdrücklicher Kritik aus Wissenschaft und Praxis war sie allerdings nicht mehr in dem Referentenentwurf von 1987 und dem Regierungsentwurf von 1989 enthalten, zumal das 1. JGG- Änderungsgesetz einen seiner Schwerpunkte in der Zurückdrängung des Freiheitsentzugs wegen seiner bekannten schädlichen Nebenwirkungen sah 43. Die konkreten Regelungsvorschläge späterer Gesetzesinitiativen seit der zweiten Hälfte der 1990er Jahre blieben identisch mit dem Vorschlag in dem alten BMJ- Arbeitsentwurf und beschränkten sich bezüglich des Warnschussarrests im Wesentlichen auf eine Aufhebung des Koppelungsverbots in 8 Absatz 2 JGG und einige Folgeregelungen zur Vollstreckung des Arrests und seiner Anrechnung bei Widerruf der Strafaussetzung. Der ganz überwiegende Teil der Fachleute des Jugendkriminalrechts und der Fachverbände lehnte einen solchen Einstiegs- oder Warnschussarrest jedoch weiterhin ab 44. Neben dem Verweis auf die Verschiedenheit der Zielgruppen von Jugendarrest und Jugendstrafe und gesetzessystematischen Bedenken war das J./Hohmann-Fricke, S./Tetal, C.: Legalbewährung nach strafrechtlichen Sanktionen. Mönchengladbach 2010, S. 61; zu vergleichbaren empirischen Befunden vgl. Laubenthal, K./Baier, H./Nestler, N.: Jugendstrafrecht. 2. Aufl. Heidelberg u.a., 2010, S. 307 f. m. w. N. Vgl. BT-Drs. 11/5829, S. 1, Unter anderem auch der 64. Deutsche Juristentag 2002, mehrere Deutsche Jugendgerichtstage und die 2. Jugendstrafrechtsreform-Kommission der DVJJ in ihrem Abschlussbericht aus dem Jahr 2002 (abgedruckt in DVJJ- Journal 2002, S. 228 ff.; vgl. im Übrigen nur Verrel, T./Käufl, M.: Warnschussarrest Politik wider besseres Wissen? NStZ 2008, S. 177 ff.; Brunner/Dölling (o. Fn. 40), 27 Rn. 13 bis 15; Diemer/Schatz/Sonnen (o. Fn. 39), 16 Rn. 7; Eisenberg, U.: JGG. 14. Aufl. München 2010, 8 Rn. 3a, 11; Ostendorf, H.: JGG. 8. Aufl. Baden-Baden 2009, Grdl. 5 bis 8 Rn. 6, 13 bis 16 Rn. 9 f., 27 bis 30 Rn. 7).
19 INFO bereits zuvor angedeutete Hauptargument: Im Hinblick auf das jugendstrafrechtliche Ziel der Vermeidung erneuter Straffälligkeit könne sich der Jugendarrest neben einer zur Bewährung ausgesetzten Jugendstrafe eher kontraproduktiv auswirken. In der Praxis erfolge die Vollstreckung des Jugendarrests vielfach erst Monate nach Rechtskraft des Urteils, wenn in der hier problematisierten Konstellation möglicherweise bereits angelaufene positive Entwicklungen oder Maßnahmen im Rahmen der Bewährung beeinträchtigt würden. Oder aber die Bewährungshilfe verzichte zunächst in Erwartung des Arrests auf ein Tätigwerden, sodass wertvolle Zeit für konstruktive Eingliederungsbemühungen ungenutzt bleibe. Der Jugendarrest könne schließlich gerade bei Hartgesottenen eine Bagatellisierung der Sanktion insgesamt zur Folge haben, im Übrigen zu die Wiedereingliederungschancen beeinträchtigenden Stigmatisierungen und zur Verfestigung eines Selbstbildes als Krimineller führen. Gegenüber den bisherigen Regelungsvorschlägen wurden zudem verfassungsrechtliche Bedenken vorgetragen 45. b. Die gesetzliche Regelung Die vorgetragenen Bedenken und Argumente durften bei den Entwurfsarbeiten und vom Gesetzgeber nicht außer Acht gelassen werden. Sie verdeutlichen die hohe Problematik einer pauschalen Eröffnung des Warnschussarrests, wie sie die bisherigen Entwürfe vorsahen, gleichsam als vom Gesetz nicht an besondere Voraussetzungen geknüpfter Bewährungszuschlag. Deshalb beschränkt sich das Gesetz nicht darauf, im Wesentlichen nur das Koppelungsverbot in 8 Absatz 2 JGG aufzuheben. Vielmehr werden zusätzlich in einem neuen 16a JGG die konkreten Voraussetzungen einer solchen Arrestverhängung angeführt. Diese entsprechen im Kern den Gründen, die von Befürwortern des Warnschussarrests zur Rechtfertigung der darauf abzielenden 45 Vgl. Radtke, H.: Der sogenannte Warnschussarrest im Jugendstrafrecht Verfassungsrechtliche Vorgaben und dogmatisch-systematische Einordnung. ZStW 2009, S. 416 ff., 429 ff.
20 48 INFO 2013 Forderungen und Gesetzesinitiativen angeführt wurden, und verhindern, dass der Jugendarrest in entsprechenden Fällen zum Beispiel ohne weitergehende Zweckverfolgung nur als Übelszufügung verhängt wird, damit der oder die Betroffene wenigstens etwas verspürt. aa. Die drei Alternativen des 16a JGG Die erste Alternative des 16a Absatz 1 JGG ermöglicht die Verhängung von Jugendarrest, wenn er neben der Jugendstrafe und erteilten bzw. noch zu erteilenden Weisungen und Auflagen geboten ist, um dem oder der Jugendlichen das Unrecht und die Folgen erneuter Straftaten zu verdeutlichen. Befürworter sehen eine solche Fallkonstellation, wenn sonst die zur Bewährung ausgesetzte Jugendstrafe als Freispruch zweiter Klasse aufgefasst würde oder wenn angesichts Mitverurteilter mit geringeren schädlichen Neigungen oder geringerem Schuldvorwurf, die ihrerseits (nur) einen Jugendarrest zu verbüßen haben, die Strafaussetzung zur Bewährung nicht ernst genommen würde. Regelmäßig sollte es allerdings möglich sein, die Unrechtsverdeutlichung bereits durch die gebotene eingehende und dem Empfängerhorizont angemessene Belehrung über die Bedeutung der Bewährungszeit und die Folgen eventuellen Fehlverhaltens sowie mit den erteilten oder zu erwartenden Weisungen und Auflagen für die Bewährungszeit zu erreichen. In diesem Kontext ist auch der neue 70a JGG zur Qualität der Belehrung zu beachten. Nicht zulässig wäre es im Übrigen, einen Jugendarrest neben Jugendstrafe nur im Hinblick auf das Gerechtigkeitsempfinden von Mitverurteilten zu verhängen. Denn aufgrund der spezialpräventiven Ausrichtung des Jugendstrafrechts 2 Absatz 1 JGG hat sich die Rechtsfolgenentscheidung an der Wirkung auf die jeweils konkret betroffene Person zu orientieren, nicht an der Wirkung auf andere. Bei der zweiten Alternative geht es um Jugendliche, die sich in einem sozialen Umfeld mit schädlichen Einflüssen befinden, die eine erfolgreiche Bewältigung der Bewährungszeit gefährden.
21 INFO Hier kann es angezeigt sein, den Betroffenen oder die Betroffene zunächst für eine gewisse Zeit aus diesem Umfeld herauszunehmen und durch die stationäre Behandlung im Rahmen des Jugendarrestvollzugs gezielt die Bewährungszeit einzuleiten. Sinnvoll wird ein so begründeter Jugendarrest regelmäßig nur sein, wenn eine entsprechende Behandlung im Arrestvollzug tatsächlich zu erwarten ist und dieser sich nicht im Wesentlichen auf den Freiheitsentzug und die zumal nur vorübergehende Isolierung zum Beispiel von einer delinquenzgeneigten Gleichaltrigengruppe beschränkt. Bei der Würdigung der Behandlungskonzepte wird zu berücksichtigen sein, dass es hinsichtlich der Zielsetzung des Arrests und der persönlichen Merkmale der betroffenen Klientel (insbesondere im Hinblick auf das Ausmaß schädlicher Neigungen) hier um eine andere Gruppe geht als im Vollzug des herkömmlichen Jugendarrests. Eine nachhaltige Wirkung der Herausnahme aus dem schädlichen Umfeld wird im Übrigen in der Regel voraussetzen, dass eine geeignete und angemessene Übergangs- und Nachbetreuung durch die Bewährungs- und/oder die Jugendgerichtshilfe im Anschluss an den Arrestvollzug sichergestellt ist. Die dritte Alternative kann greifen, wenn aufgrund sonstiger Umstände des Einzelfalls im Vollzug des Jugendarrests selbst eine nachdrücklichere erzieherische Einwirkung auf den Jugendlichen oder die Jugendliche erreicht werden kann oder wenn dadurch die Erfolgsaussichten für eine erzieherische Einwirkung in der Bewährungszeit verbessert werden können. Maßstab für die Gebotenheit des Jugendarrests ist bei beiden Varianten seine Eignung, die Legalbewährungsaussichten im Sinne von 2 Absatz 1 JGG nicht nur unwesentlich zu verbessern. Dies muss sich aus konkret festzustellenden Umständen ergeben, die sich auf die Person des oder der Betroffenen, seine oder ihre Lebenssituation und auf problemorientierte Behandlungsmaßnahmen im Vollzug des Jugendarrests beziehen können. Entscheidend ist eine Gesamtwürdigung der besonderen Umstände des Einzelfalls. Sie müssen vom Gericht gegebenenfalls in den Urteilsgründen dargelegt werden.
22 50 INFO 2013 bb. Das Erfordernis der Gebotenheit Besonders hinzuweisen ist darauf, dass der zusätzliche Arrest nach allen drei gesetzlichen Alternativen geboten sein muss. Auch der 16a-Arrest ist keine schuldvergeltende Sanktion, sondern eine wirkungsorientierte Rechtsfolge, deren Verhängung stets am Ziel des 2 Absatz 1 JGG, der künftigen Legalbewährung, zu messen ist. Zur Erreichung dieses Ziels muss der Arrest geeignet und erforderlich sein. Wenn also z.b. gleich oder besser geeignete Maßnahmen der Jugendhilfe für das im konkreten Fall mit einem Arrest verfolgte Anliegen in Betracht kommen, dann darf er nicht verhängt werden. Bei der zweiten Alternative, der Herausnahme aus einem schädlichen Umfeld, kann das Jugendgericht selbst zwar eine Heimunterbringung nach 34 SGB VIII nicht anordnen. Insoweit besteht weiterhin in 8 JGG ein Koppelungsverbot mit der Jugendstrafe. Aber bei freiwilliger Inanspruchnahme oder bei der Möglichkeit einer Anordnung durch das Familiengericht wird dies der Verhängung eines 16a- Arrests regelmäßig entgegenstehen, sei es wegen dessen geringerer Eignung, sei es wegen seiner fehlenden Erforderlichkeit und damit Unverhältnismäßigkeit. Angesichts möglicher kontraproduktiver Auswirkungen des Jugendarrests ergibt sich aus dem Erfordernis der Gebotenheit auch, dass das Jugendgericht vor seiner Verhängung stets mögliche schädliche Nebenfolgen für die Legalbewährung prüfen muss. Sollte deren Gefahr gegenüber erwarteten positiven Effekten des Jugendarrests überwiegen, so darf er nicht verhängt werden, auch wenn die Voraussetzungen einer der drei Fallgruppen des Absatz 1 im Übrigen vorliegen. Besonders schwierig kann es sein, die konkrete Eignung und Notwendigkeit des 16a-Arrests im Einzelfall bei der ersten Alternative, der Unrechtsverdeutlichung, zu begründen, wenn doch die bisher vorliegenden empirischen Befunde eher gegen seine Eignung zur Verbesserung der Legalbewährungsaussichten sprechen.
23 INFO Manche Befürworter des Warnschussarrests werden diese strengen Anforderungen und begleitende Bestimmungen wie die Verkürzung der Vollstreckungsfrist auf den ersten Blick als zu eng betrachten. Aber wenn es eben nicht bloß um einen zusätzlichen Schlag in den Nacken gehen soll, sondern um eine ernsthafte Verbesserung der Legalbewährungsaussichten, dann sind diese Vorkehrungen als wirklich angezeigt zu betrachten, um nach Möglichkeit kontraproduktive Auswirkungen zu vermeiden und auf eine sinnvolle Anwendungspraxis hinzuwirken. c. Die Evaluation des 16a-Arrests Weil die bisherigen empirischen Erkenntnisse und die Stimmen aus der Wissenschaft eine breite Anwendung des 16a-Arrests in Frage stellen und die gesetzlichen Bestimmungen deshalb eine sorgfältige Prüfung seiner konkreten Eignung im Einzelfall verlangen, ist vom BMJ erfreulicherweise bereits eine Evaluation dieses neuen Instruments in die Wege geleitet. Das Bundesamt für Justiz wird schon im Mai 2013 die Ausschreibung einer empirischen Untersuchung der Anwendungspraxis veröffentlichen. Eine solche Evaluation wird auch von den Landesjustizverwaltungen klar unterstützt. Allerdings kann es bei einer derart zeitnahen Untersuchung noch nicht um eine Wirkungsevaluation gehen. Die empirische Prüfung von Auswirkungen des 16a-Arrests auf die Legalbewährung setzt einen längeren Beobachtungszeitraum voraus, zumal dabei auch die laufende Bewährungszeit zu berücksichtigen ist. Es wird daher zunächst vornehmlich darum gehen, in welchem Maße, in welchen Fällen und auf welche Art die Praxis von der neuen Sanktionsmöglichkeit Gebrauch macht und wie die festzustellende Anwendung jugendkriminalrechtlich und kriminologisch zu bewerten ist. Eine spätere echte Wirkungsevaluation ist aber realistisch in Aussicht genommen und angesichts der beschriebenen Ungewissheiten sicher auch sehr angezeigt.
24 52 INFO 2013 VI. Qualifikation der Jugendrichter und -staatsanwälte und das StORMG Zum Schluss möchte ich noch auf die mit dem Entwurf des StORMG, des Gesetzes zur Stärkung der Rechte von Opfern sexuellen Missbrauchs, 46 angestrebte verbindlichere Fassung der Qualifikationsanforderungen an JugendrichterInnen und JugendstaatsanwältInnen zu sprechen kommen. Die von der Frau Amtschefin geäußerten Besorgnisse vermag ich zu zerstreuen zu meinem fachlichen Bedauern. Das Gesetz hat gestern in 2. und 3. Lesung den Deutschen Bundestag passiert und ist dabei in der Fassung der Empfehlung des Rechtsausschusses von vorgestern angenommen worden. 47 Diese Fassung enthält nicht mehr die Präzisierung der Qualifikationsanforderungen in 37 JGG, wie sie dem heutigen Verständnis in Jugendkriminalrechts- und Bezugswissenschaften entspricht. Übrig geblieben sind nur zwar nicht unbedeutende, aber doch eher kleine Änderungen des 36 JGG bezüglich des Einsatzes von Referendaren, Amtsanwälten und Berufsanfängern im Bereich der Jugendstaatsanwaltschaft. Natürlich würden sich die Änderungen hauptsächlich im Bereich der allgemeinen Jugendkriminalrechtspflege und nicht nur und gezielt im Bereich von Jugendschutzsachen auswirken. Aber als es bei den Vorarbeiten zum StORMG darum ging, wie die Empfehlungen des Runden Tisches am besten umzusetzen seien, wurde zunächst unter anderem der Vorschlag ins Spiel gebracht, durch eine Änderung im GVG die Zuständigkeit der Jugendgerichte als Jugendschutzgerichte zu verstärken. Diese verfügten über eine besondere Qualifikation für den Umgang mit jungen Menschen in Strafverfahren, wie sie der Runde Tisch zur Verbesserung der Situation junger Opfer für geboten hielt. Allerdings wurde hierzu im Rahmen der weiteren Prüfung bald eingewandt, eine solche bloße GVG-Änderung könnte sich dem Vorwurf einer Luftnummer bzw. lediglich symbolischer Gesetzgebung ausge BT-Drs. 17/6261. Vgl. BT- Plenarprotokoll 17/228, S f.; BT-Drs. 17/12735.
25 INFO setzt sehen. Denn in jedem JGG-Kommentar und in jedem Lehrbuch zum Jugendkriminalrecht könne man die Klage darüber nachlesen, dass selbst die etwas antiquiert klingenden bisherigen Anforderungen des 37 JGG Jugendrichter und Jugendstaatsanwälte sollen erzieherisch befähigt und in der Jugenderziehung erfahren sein in der Besetzungspraxis der Präsidien und bei den staatsanwaltlichen Dezernatszuweisungen vielfach nicht ausreichend ernst genommen würden. Um eine wirklich substanzielle Verbesserung zu erreichen, wurde es daher als erforderlich angesehen, auch die Anforderungen des 37 JGG verbindlicher auszugestalten. Dass sich dies nicht nur in Jugendschutzsachen auswirken würde, sondern eben auch und hauptsächlich in Jugendstrafsachen, wo einschlägige Defizite schon seit Langem beklagt werden, wurde gern in Kauf genommen. Dabei ist zu betonen, dass es hier nicht um ein Misstrauen gegenüber jungen Kolleginnen und Kollegen geht, wie etwa der Deutsche Richterbund in einer Stellungnahme zum Referentenentwurf monierte 48. Im Gegenteil ist das große Engagement vieler derjenigen, die in der Jugendgerichtsbarkeit eingesetzt werden, in hohem Maße anzuerkennen. Tatsächlich bestätigen aber ihre eigenen Angaben vielfach eine nur eingeschränkte Vorbereitung und Qualifikation für die besonderen Anforderungen dieses Arbeitsgebiets, das gerade nicht durch juristische Dogmatik geprägt, sondern in besonderem Maße auf in Studium und Referendariat nicht generell zu erwerbende oder nicht erworbene außerjuristische Fachkenntnisse zum Umgang mit gefährdeten und straffälligen jungen Menschen angewiesen ist. 49 Nicht evaluierte eigene Erfahrungen und daraus abgeleitete, nicht in ein gewisses kriminologisches, jugendpsychologisches und pädagogisches Hintergrundwissen eingebettete Überzeugungen können eine strukturierte fachliche Grundqualifizierung in den Bezugsdisziplinen nicht ersetzen. Es geht in der Jugendgerichtsbarkeit eben weniger Pressemitteilung vom 23. März 2011, Vgl. nur Buckolt, O.: Die Zumessung der Jugendstrafe. Baden-Baden 2009, S. 208 ff., 438.
26 54 INFO 2013 um die Abgrenzung von Diebstahl und Unterschlagung, von Betrug und Untreue, sondern es geht um die richtigen Rechtsfolgen, die Reaktionen und Vorgehensweisen, die im Sinne von 2 Absatz 1 JGG im konkreten Fall die besten Aussichten bieten, eine erneute Straffälligkeit zu vermeiden. Wenn im Gesetzgebungsverfahren zum StORMG in Stellungnahmen der Länder und des Bundesrats zum Ausdruck gebracht wurde, Jugendkriminalität spiele sich ja überwiegend im Bagatellbereich ab was richtig ist, dafür brauche man keine spezielle Qualifikation, dann ist dem entgegenzuhalten: Wie sollte hier eine den Anforderungen des gesetzlichen Richters entsprechende Abgrenzung zwischen den Fällen getroffen werden, die der für Jugendsachen besonders qualifizierten Jugendrichterin A zuzuweisen sind, und denen für den Berufsanfänger B, der sich hier weniger auskennt und ohnehin bald wichtigere Aufgaben übernehmen soll? Aber ich halte die Hypothese der Verzichtbarkeit einer besonderen Qualifikation bei einem Großteil der Jugenddelinquenz ohnehin für falsch. Auch bei der jugendlichen Bagatellkriminalität geht es darum, rechtzeitig die Fälle zu identifizieren, in denen eine nachhaltige Intervention geboten ist, und die richtigen Maßnahmen zu ergreifen oder zu veranlassen, und nicht darum, die Diversion so lange wie möglich als Mittel der Arbeitsentlastung zu nutzen, bis das Kind in den Brunnen gefallen ist. Man kennt die Skandalmeldungen: 30mal wurde der Jugendliche schon von der Polizei erwischt, und es musste erst zu dieser schlimmen Tat kommen, bis die Justiz angemessen reagierte! Dabei ist übrigens darauf hinzuweisen, dass zur Qualifikation der Jugendgerichtsbarkeit auch die Kenntnis und das Verständnis der Aufgaben und Handlungsmöglichkeiten anderer professioneller Akteure im Bereich von Jugenddelinquenz gehört, insbesondere der Jugendhilfe, und die Befähigung, mit diesen anderen Stellen kompetent zusammenzuarbeiten. Eine höhere Verbindlichkeit der besonderen Qualifikationsanforderungen im Gesetz drückt kein Misstrauen aus. Sie stärkt viel-
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