Reiten Erschreiten Laufend Lernen Teil 5.1 Es geht seitwärts Visualisieren und Beobachten

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1 Reiten Erschreiten Laufend Lernen Teil 5.1 Es geht seitwärts Visualisieren und Beobachten Von Silke Hembes Vorwärts, rückwärts, gerade und gebogen, konzentriertes Visualisieren. Beobachtend, schreitend, zu Fuß und dann endlich zu Pferd reitend so sind wir bis hierher gekommen. Und ich hoffe sehr, Ihnen ist nach wie vor der Spaß nicht abhanden gekommen. Manch einer mag all diese Umwege, die wir hier ganz bewusst nehmen, unnötig finden, nach dem Motto: Reiten lernt man nur durch reiten! Aber vielleicht wird man etwas klüger und bewusster, wenn man sich sein Ross und die eigenen Bewegungen auch einmal von unten anschaut und gründlich durchdenkt. Und vielleicht kommt man sogar zu der ein oder anderen individuellen Erkenntnis, die man ausschließlich über das Studium der selbstverständlich sehr wertvollen und nach wie vor gültigen Lehren der alten Meister nicht erlangen würde? Je weiter wir nun voranschreiten, umso technischer scheint manches zu werden, das wir hier betrachten. Aber das ist es eigentlich gar nicht es bleibt ja immer noch unser Pferd, das sich hier bewegt... Und das tut es in seiner ganz natürlichen Bewegung. Es hat vier Beine, läuft auf zwei Achsen und hat mindestens 3 Gänge, und bewegt sich in mindestens vier Richtungen. Schenkelweichen im Trab. Ein zufrieden und aufmerksam schauendes Pferd, leicht zum seitwärtstreibenden Schenkel hin gestellt. Die Reiterin schaut schön in die Bewegungsrichtung Da bleibt es nicht aus, dass es manchmal beim Erklären ein wenig technisch und nach und nach mehr Konzentration von uns gefordert wird. Aber wenn man genau hinschaut, ist es doch unglaublich spannend und vieles, was man sich nie zu reiten erträumte, wird wahr, wenn man die Bewegungsabläufe seines Pferdes erst einmal verstanden hat. Manches Naturtalent ist mit einem so gefühlvollen Hinterteil gesegnet, dass es einfach mit dem Pferd 1

2 zur Einheit wird. Die meisten von uns sind aber nicht so vom Schicksal geküsst wir müssen uns ein bisschen anstrengen, um genug Wissen zu erlangen und zu einem Reiter zu werden, den unser Pferd gerne trägt, weil er weiß, was er tut! Also weiter geht s: Warum sollten wir als Freizeitreiter überhaupt seitwärts reiten wollen? Wozu, wenn wir nicht gerade an einer Prüfung teilnehmen wollen, die Seitengänge abfragt oder wir im Trail gezielt seitwärts ein Hindernis überwinden müssen? Wie können wir und unsere Pferde von Seitengängen profitieren? Inwieweit dient hier die Dressur tatsächlich dem Pferd? Das große Ziel bisher hieß, uns und unser Pferd so zu bewegen und zu trainieren, dass es nach und nach immer gerader, das bedeutet, gleich geschmeidig auf beiden Seiten wurde und nun so ausbalanciert auf zwei Spuren fußt, dass es sich immer leichter mit uns als Reiter bewegen kann. Gerade gerichtet auf gebogenen Linien. Bis jetzt haben wir dies mit dem Geradeaus und dem Reiten auf gebogenen Linien in Losgelassenheit angestrebt. Das Dehnen des Pferdes in eine möglichst längs gerade gerichtete Haltung hinein so gut wie möglich auf zwei Spuren. Regelmäßiges beidseitiges Dehnen der jeweils äußeren Seite unseres Pferdes auf der gebogenen Linie befähigt es nun, sich immer besser auf beiden Händen mit den Vorderbeinen jeweils auf der Spur des gleichseitigen Hinterbeines zu bewegen. Auf der hohlen Seite wird so nach und nach das tendenziell schwächere Hinterbein gekräftigt, indem es immer zuverlässiger auf einer Spur mit dem Vorderbein fußt. Andererseits wird die Biegung auf der Zwangsseite geschmeidiger, da die verkürzte Muskulatur der hohlen Seite nun außen gedehnt wird. Warum also jetzt seitwärts? Der Reiter kann den Prozess der gymnastizierenden Dehnung und Kräftigung seines Pferdes, mit dem Ziel einer Angleichung von Kraft UND Geschmeidigkeit beider Seiten, unterstützen, indem er es bewusst und gezielt auch auf drei oder gar vier Spuren bewegt. Die Seitengänge fordern und fördern die Kräftigung des jeweils inneren Hinterbeines durch mehr Lastaufnahme beim Fußen Richtung Schwerpunkt und dehnen die jeweils äußere Seite über die normale, gerade gerichtete Biegung hinaus. Ein so ausbalanciertes und trainiertes Pferd ist sehr angenehm zu reiten soweit der Vorteil für uns. Und es fällt dem Pferd zusehends leichter seine Balance zu bewahren, während es seinen Reiter trägt. Beides fördert seine mentale und körperliche Losgelassenheit. Es gibt viele Möglichkeiten, sich gemeinsam mit einem Pferd seitwärts zu bewegen. In 2

3 dieser Folge beschäftigen uns die beiden Möglichkeiten Schulterherein und Schenkelweichen. Die Reihenfolge, in der ich hier vorgehen möchte, wird manchen Reiter vielleicht etwas verwundern, da er es in den meisten Reitschulen anders kennengelernt hat, aber ich werde meinen Aufbau noch begründen. Wir gehen natürlich wie immer nach unseren fünf Punkten vor: Visualisieren Beobachten Erschreiten Reiten Reflektieren Stellen wir uns nun die entsprechenden Bewegungsabläufe vor. Punkt 1 Visualisieren Schulterherein Um den kräftigenden Effekt der Hankenbeugung durch zusätzliche Lastaufnahme des inneren Hinterbeines zu erreichen, müssen wir die Seitwärtsbewegung mit gebogenem Pferd anfragen. Am liebsten auf einer leicht gebogenen Linie im freien Raum, zum Beispiel auf dem dritten Hufschlag des Zirkels. Hier müssen wir unser Pferd wirklich am Sitz, zwischen den Schenkeln und zwischen den Zügeln führen. Klingt anspruchsvoll? Ist es auch aber es ist zu schaffen, wenn man weiß, was, wie und warum und anfangs nicht zu viel erwartet! Stellen wir uns also vor: Ein Reiter folgt der Zirkellinie auf dem dritten Hufschlag o Nun leitet der Reiter eine Volte ein Kopf, Hals und Schulterpartie sprich die Vorhand des Pferdes verlässt die zwei Spuren der ursprünglichen Zirkellinie o und so wird diese angefangene Volte seitwärts fortgeführt Unser Pferd weicht nicht einfach dem Reiterschenkel seitwärts aus, sondern nimmt diesen an und lässt sein inneres Hinterbein so unter den Schwerpunkt leiten, dass es auf die Spur des äußeren Vorderbeines zielt. Es fußt nun mit dem inneren Hinterbein in Richtung seines eigenen Schwerpunktes, zur Leibesmitte hin und bewegt sich also auf drei Spuren. 3

4 Diese Übung entspricht der Idee des Schulterherein. Der Grad der Abstellung ist mir zu diesem Zeitpunkt noch nicht sehr wichtig solange das Pferd nicht in der Vorhand überstellt wird und dadurch hinten kreuzt oder aber mit abgeknicktem Hals über, die äußere Schulter läuft. Anfangs reicht mir auch schon ein leicht versetztes Auffußen des inneren Hinterbeines zwischen die Spuren der Vorhand. Schafft es die Bewegung bereits auf drei (die heute in Deutschland übliche Variante) bis vier Spuren (die klassische Variation nach de la Guiérinière) bei gleichbleibender Biegung umso besser. Schulterkontrolle Durch die stärkere Biegung unseres Pferdes, die Voraussetzung ist für ein Schulterherein, bewegen wir seine Schulterpartie also nach innen, fort von der ursprünglichen Linie und bereits DAS ist die Schulterkontrolle. Die Seitwärtsbewegung entsteht dadurch, dass wir, nachdem die Vorhand die Zirkellinie verlassen hat, nicht weiter der Voltenlinie folgen, sondern durch das Schließen der äußeren Hand und gezielte Impulse der inneren Wade das innere Hinterbein unseres Pferdes seitwärts unter seinen Körper treiben. Spurensuche Unser Pferd bewegt sich also nun auf mehr als den zwei Spuren, denen es geradegerichtet folgt: o Die nach innen versetzte Vorhand folgt einer neu eröffneten Spur o das äußere Vorderbein ist so nach innen versetzt, dass es sich nun der gleichbleibenden Spur des inneren Hinterbeines annähert oder sogar auf der gleichen fußt o das äußere Hinterbein bleibt unverändert auf seiner ursprünglichen Spur Unabhängig vom Grad der Abstellung fußen beide Hinterbeine im Schulterherein weiterhin NEBENEINANDER. Das innere Hinterbein kreuzt NICHT die Spur des äußeren Hinterbeines. 4

5 Dieser Effekt entsteht durch die Biegung des Pferdes in seiner Längsachse UND durch ein leichtes Abkippen seines Beckens. Nur so ist das Pferd in der Lage so weit unter seinen eigenen Leib zu fußen. Dem Abkippen des Beckens folgt das Beugen der Hanken, der Hüft-, Knie- und Sprunggelenke. Und genau dieser Effekt trainiert so die tragende Muskulatur der Hinterhand. Schenkelweichen Ist unser Pferd beim Einleiten dieser Übung nicht gebogen und weicht dem Schenkel direkt seitwärts aus, so kreuzt sein inneres Hinterbein einfach die Spur des äußeren Hinterbeines. So entsteht zwar eine Seitwärtsbewegung und damit ein Schenkelweichen aber keine gesteigerte Lastaufnahme. Der gymnastizierende Trainingseffekt der Übung Schenkelweichen zeigt sich nach und nach in einer vermehrten Beweglichkeit der Gliedmaßen nach innen und außen, so als würden wir die waagerecht gerade nach vorn ausgestreckten Arme im Wechsel vor der Brust kreuzen und nach außen führen. Die heranziehenden und wegführenden Muskeln der Gliedmaßen werden gedehnt und gekräftigt. Da Pferde kein Schlüsselbein haben, kann sich diese Übung bei sinnvollem, regelmäßigem und korrektem Training auch auf die Breite der Brust eines Pferdes auswirken. Punkt 2 Beobachten Betrachten wir nun einige wichtige Facetten der Seitwärtsbewegung zu Pferd. Vielleicht kommt Ihnen ja die eine oder andere Situation bekannt vor. Schulterherein wirklich zuerst! Warum? Voraussetzung für die stärkende Wirkung der Seitwärtsbewegung ist eine vermehrte Hankenbeugung. Diese erreichen wir, indem wir unser Pferd GEBOGEN seitwärts schreiten lassen. Und daher beginne ich die Seitwärtsbewegung nach Möglichkeit lieber mit dem Schulterherein. Der zweite wichtige Effekt des schulterhereinartigen Reitens ist die Dehnung der äußeren Seite des Pferdes. 5

6 Auf seiner hohlen Seite ist das nicht weit ausgebildete Pferd anfangs angenehmer zu reiten auf der anderen, seiner Zwangsseite, dagegen umso schwieriger. Wird die verkürzte Muskulatur der hohlen Seite unseres Pferdes regelmäßig in dieser Übung immer wieder kurzzeitig gedehnt, so dass die Biegung auf seiner Zwangsseite kein Problem mehr darstellt, sind wir schon einen großen Schritt weiter auf dem Weg zum Geraderichten. Auf der scheinbar angenehmen hohlen Seite des Pferdes gibt es aber auch ein Problem: Das innere Hinterbein neigt dazu, tendenziell seitlich an der Innenseite des Pferdes vorbeizutreten. So nimmt dieses deutlich weniger Last auf als das äußere Hinterbein, das stets ein wenig mehr mittig unter den Körper fußt, so mehr Last aufnehmen muss und zwangsläufig besser trainiert wird. Wird nun der schwächere innere Hinterhuf des schiefen Pferdes auf seiner hohlen Seite immer wieder in kurzen Reprisen trainiert, indem er vermehrt Richtung Schwerpunkt fußt, so ist dies der nächste Schritt auf dem Weg zum Geraderichten. Trabstellung Schulterherein wird auch als Trabstellung bezeichnet, da es sich in dieser Haltung für ein Pferd anbietet, aus der Schulterhereinstellung gezielt mit dem inneren Hinterhuf anzutraben. Es schiebt sich aus dieser Haltung eben nicht in reiner Schubkraft mit der Hinterhand hinten heraus ins Vorwärts und somit eventuell auf die Vorhand, sondern es tritt federnd mit der Tragkraft der Hankenbeugung an und bleibt so in leichter, relativer Aufrichtung in Balance. Natürlich kann ein Übergang vom Schritt zum Trab auch in Dehnungshaltung in Balance ausgeführt werden - aber eben über die Schubkraft. Aus dem Schulterherein oder dem Schultervor ist es die Tragkraft, die Federkraft der Gelenke, die statt des Schubs das Pferd die Gangart wechseln lässt und dadurch die Versammlung fördert. Das Schulterherein hat also gleichzeitig eine LÖSENDE Wirkung durch das Dehnen der verkürzten hohlen Seite des Pferdes und eine VERSAMMELNDE Wirkung durch das Trainieren der Tragkraft des schwächeren Hinterbeines seiner hohlen Seite 6

7 Oder doch Schenkelweichen? Tut sich ein Pferd oder sein Reiter mit der Seitwärtsbewegung anfangs sehr schwer, kann es einfacher sein, Beiden diese über die Idee des Viereck- Verkleinerns und -Vergrößerns näher zu bringen. Grundsätzlich ist es mir aber lieber, mein Pferd gerade am Anfang der dressurmässigen Ausbildung erst einmal weiter zu bitten, sich um meine Schmusewade zu biegen, wie es das ja bisher gelernt hat, anstatt ihr plötzlich auszuweichen! Ein Pferd, das sich problemlos schulterhereinartig bewegen kann, wird mit etwas Übung auch keine großen Probleme mit dem Schenkelweichen haben. Warum anfangs kein Schulterherein an der Bande? Ich bevorzuge für die ersten Versuche im Seitwärts den freien Raum und vermeide es der Bande zu folgen auch wenn dies im ersten Moment einfacher scheint. Der Grund: es kann zu drei häufig auftretenden Problemen führen: 1. Folge ich zuerst der Bande und versuche von dort aus eine schulterhereinartige Bewegung einzuleiten, ist es möglich, dass mein noch nicht weit ausgebildetes Pferd sich schwer tut, sich von der Bande zu lösen. Vor allem dann, wenn der Reiter es noch nicht perfekt zwischen den Zügeln führt und der äußere eventuell fehlt oder zu straff ist... Die Gefahr des Überstellens des Halses ist recht groß, wenn die Schulter noch nicht leicht kontrollierbar ist. Und unter anderem um diese Schulterkontrolle zu gewinnen, streben wir diese Übung ja an. Folgt Solange...ich als Reiter meinem Pferd gegenüber jederzeit freundlich und höflich bleibe, werde ich keine schwerwiegenden Fehler machen, die meinem Pferd schaden, wenn ich eine Übung probiere. Strafen kommt daher natürlich nicht in Frage! Stattdessen: Anfrage, Analyse, neuer Versuch... Im ungünstigsten Fall teilt mir mein Pferd mit, dass es nicht versteht was ich möchte indem es die Übung nicht ausführt wie erhofft. Weiß ich mir nach einigen Versuchen keinen Rat, breche ich diese Übung ab und unternehme mit meinem Pferd etwas, was wir schon gut können. Und beende die Reprise mit einem Lob! So wahre ich mein Gesicht und die abgebrochene Übung hebe ich mir dann für den nächsten Reitunterricht auf. Ihr Reitlehrer wird sich freuen, dass Sie so genau wissen, was an welcher Stelle noch nicht klappt. Genau DAS ist dann der Ansatzpunkt für den Unterricht. 7

8 ein solches Pferd dann eventuell doch verspätet der Aufforderung seine Schulter von der Bande zu lösen, ist es möglich, dass es dies plötzlich deutlicher ausführt als erwünscht. Der Reiter würde dann das zu deutliche Verlassen des Hufschlages sofort wieder unterbinden. Und genau dieses Hin und Her macht die ganze Angelegenheit für ein unerfahrenes Pferd unverständlich und vielleicht sogar erschreckend. Mache ich den gleichen Versuch, ausgehend von einer gedachten Linie im freien Raum, ist die Gefahr des Klebens an der Bande nicht gegeben. 2. Im freien Raum sind mein Pferd und ich völlig unbegrenzt zu probieren. Ich habe anfangs gar nicht die Möglichkeit ganz genau zu bemessen, wie viel Abstellung wir nun haben oder ob ich mich auf dem exakt richtigen Weg befinde. Mein Pferd und ich können probieren und improvisieren und so versuchen ein erstes Gefühl für eine Seitwärtsbewegung zu bekommen. Natürlich brauche ich früher oder später einen Spiegel oder eine Person die mich spiegelt und natürlich auch immer wieder einen Reitlehrer, der uns weiter leitet. Habe ich dies alles aber gerade nicht zur Verfügung, kann ich trotzdem versuchen, mein Gefühl für mein Pferd und unsere gemeinsame Bewegung zu schulen. 3. Der Hufschlag der Reitbahn liegt häufig tiefer, wenn die Bahn nicht regelmäßig abgezogen wird. Bei Freizeitreitern, die eine Reitwiese nutzen, ist dieses Problem noch eklatanter. Der Höhenunterschied zwischen Hufschlag und Bahninnerem erschwert dem Pferd das Hereinnehmen der Vorhand um eine Spur es läuft in diesem Fall mit dem inneren Vorderbein auf einem höheren Niveau als mit dem äußeren. Bild links: Vom gymnastizierenden Wert des Schulterherein profitieren alle Reittiere! Im freien Raum im Gelände kann man besonders gut üben fokussiert vorzugehen. Interessant auch die natürliche Schiefe des Hundes... Bild rechts: In der Trabstellung gut vorbereitet hat der Esel Sokrates kein Problem mit der angefragten, schönen Dehnungshaltung im Trab auf gebogener Linie im freien Raum. 8

9 Im ungünstigsten Fall teilt mir mein Pferd mit, dass es nicht versteht was ich möchte indem es die Übung nicht ausführt wie erhofft. Weiß ich mir nach einigen Versuchen keinen Rat, breche ich diese Übung ab und unternehme mit meinem Pferd etwas, was wir schon gut können und beende so die Reprise mit einem Lob. So wahre ich mein Gesicht und die abgebrochene Übung hebe ich mir dann für den nächsten Reitunterricht auf. Ihr Reitlehrer wird sich freuen, dass Sie so genau wissen, was an welcher Stelle noch nicht klappt. Genau DAS ist dann der Ansatzpunkt für den Unterricht. Warum kein Schenkelweichen mit dem Kopf gegen die Wand?! Auch heute noch ist es in vielen Reitschulen üblich, dass Reiter als erste und oft einzige Möglichkeit eines Seitenganges das Schenkelweichen gegen die Bande kennenlernen. Es ist relativ einfach, einem Pferd mit einem Brett vor dem Kopf ein Seitwärts abzuzwingen. Dem Pferd wird mechanisch klar gemacht, dass hier nur seitwärts geht und auch ein Reiter, dem die korrekte Hilfengebung entweder nicht geläufig ist oder der sie schlicht noch nicht beherrscht, kann so eine Art Seitwärts produzieren! Der Reiter ist in diesem Fall gezwungen, das Pferd zwischen den Zügeln zu fixieren um es seitwärts zu zwingen, damit es nicht versuchen kann sich über die Schulter, am Widerrist abknickend zu entziehen. Leider sieht man auf diesem Weg viele unschöne Bilder unglücklicher Pferde. Bilder, die wir alle im Kopf haben. Und die wir hier gar nicht zeigen müssen. Gegen eine massive Begrenzung hat kein Pferd eine Chance es wird sich irgendwie seitwärts bewegen und seien die Hilfen des Reiters noch so ungenügend. Mit Reiten mit feinen Hilfen hat das nichts zu tun! Die Alternative: Viereck verkleinern und vergrößern Im Gegensatz zu diesem vor-die-wand-reiten, ist es für ein Pferd kein Problem, wenn der Reiter ungeschickt versucht, das Viereck zu verkleinern. o sind die Hilfen nicht klar, wird es einfach den Hufschlag nicht verlassen. Hier kann man sich damit helfen, zuerst auf der ganzen Bahn den zweiten oder dritten Hufschlag als Basis zu wählen. Von dort aus, ein ganzes Stück nach Passieren der Ecke, kann man versuchen, sich von diesem zu entfernen, nachdem man dem Pferd die erforderliche Konterstellung gegeben hat. Lerneffekt für den Reiter: Das Pferd klebt an der Bande wenn die reiterlichen Hilfen offensichtlich nicht einrahmend, leitend und klar sind. 9

10 o oder es knickt im Hals ab, weil der neue äußere Zügel fehlt. Dann wird das Pferd, das den seitwärts treibenden Schenkel annimmt, um die Vorhand rotieren, zumindest würde die Hinterhand fehlerhaft führen. Die Hinterhand wird ausscheren und ehe es sich der Reiter versieht, ist er wieder unterwegs zurück zum Hufschlag. Lerneffekt für den Reiter: Der äußere Zügel wirkt führend und einrahmend zugleich, WENN er sich in Kontakt zum Pferdemaul befindet. Fehlt er, wird sich das Pferd, dem Schenkel weichend, mit der Hinterhand um die Vorhand drehen, statt seitwärts zu schreiten. Das Führen zwischen den Zügeln ist also Voraussetzung, um eine Seitwärtsbewegung anzufragen. Weitere Betrachtungen und Beobachtungen zum Schulterherein Schauen Sie nach Möglichkeit anderen Reitern zu, während diese das Schulterherein üben oder auch beginnen, sich daran zu versuchen. Schauen Sie genau hin, verkneifen Sie sich wie immer bitte unerwünschte Kommentare und achten Sie auf folgende Details: o Bereitet der Reiter das SH konstruktiv vor? o Leitet der Reiter das SH tatsächlich zielgerichtet ein? o Gibt der Reiter dem Pferd durch seinen Sitz einen Rahmen, aus dem heraus es das Schulterherein entwickeln kann? o Bleibt das Pferd ruhig und losgelassen egal ob es die Übung schon kennt oder sie erst kennenlernt? o Entwickelt der Reiter zielgerichtet und klar ein SCHULTERherein oder zieht er HALSherein? o Leitet der Reiter das Schulterherein über das Hereinführen der Schulterpartie ein oder reitet er eher KRUPPE rausschieben? o Findet er den richtigen Moment, um den fließenden Wechsel vom Vorwärts ins Seitwärts passieren zu lassen? o Bleibt die Losgelassenheit des Pferdes beim Versuch der Entwicklung des Schulterherein erhalten? o Schafft der Reiter es, die eigene Losgelassenheit zu erhalten? o Schaffen es beide zusammen den Takt zu erhalten? o Findet die Bewegung in Fluss und Balance statt? o Bleibt der Kontakt zum Pferdemaul leicht? o Kann der Reite die Übung gezielt beenden? 10

11 o o o o o Löst er sie fließend auf, indem er die Vorhand mit nach und nach immer weniger Biegung wieder zurück vor die Hinterhand führt, bis das Pferd wieder gerade gerichtet fußt? Oder lässt er sein Pferd aus dem gebogenen Seitwärts nun nach vorn in die Volte hinein, so dass es diese Volte gerade gebogen absolviert und sie ins geradeaus verlässt? Oder verlässt das Pferd die Übung Schulterherein einfach mit einem Schlenker nach außen? Bleibt das Pferd während der Wechsel zwischen vorwärts, seitwärts und wieder vorwärts konzentriert und kooperativ, taktmäßig und locker? Gönnt der Reiter seinem Pferd Lob und Pause? Die beste Gelegenheit ein gerittenes Schulterherein zu beobachten, zu analysieren und zu verstehen haben Sie dann, wenn Sie sich mit einem gleich gesinnten Kollegen austauschen können, der diese Übung schon beherrscht. Im besten Falle mit mehreren, auf verschiedenem Ausbildungsniveau. So können Sie den anderen Reiter auf Anfrage spiegeln und auch nach einem Versuch fragen, warum er dies oder jenes so oder so gemacht hat. Hat man ähnliche Prioritäten, wird ein Austausch deutlich konstruktiver sein, als eine Diskussion mit einem Reiter, dem zum Beispiel Gehorsam auf jeden Fall wichtiger ist als Losgelassenheit. Haben Sie keinen Gleichgesinnten vor Ort, schauen Sie anderen einfach zu, und beobachten Sie kommentarlos. Versuchen Sie unvoreingenommen zuzuschauen Sie werden auf jeden Fall viel Neues entdecken in die eine oder andere Richtung. Hier machen wir einen kleinen Schnitt erläutern Ihnen aber vorab schon den im nächsten Teilen mehrfach erwähnten Bügeltritt. Und dann geht es im nächsten PDF weiter mit dem Punkt 3 ERSCHREITEN. Bis gleich! 11

12 Der Bügeltritt......passiert nahezu unabhängig von Ihrer Position im Sattel. Er ist ein Akzent, den der Reiter in den Bügel gibt, indem er den jeweiligen Fuß etwas sinken lässt und so einen leicht erhöhten Druck im Bügel erzeugt. So leicht, dass der Sitzbeinhöcker sich nicht aus dem Sattel erhebt oder sich eine anderweitig sichtbare einseitige Erhebung des Reiterkörpers ergibt. Trotz dieser sehr leichten und wohldosierten Einwirkung ist der Effekt eindeutig. Ohne ein Pferd in seiner körperlichen Form gerade, gebogen oder in Stellung zu verändern oder zu irritieren, lädt der Bügeltritt zur Bewegung in seine Richtung ein. Zu Fuß spüren Sie dies, wenn Sie ein klein wenig mehr Druck auf einen Fußballen geben, ohne dass dies sichtbar werden sollte. Die Tendenz des Körpers und die Idee der Bewegung gehen in Richtung des Bügeltrittes bzw. des gesteigerten Drucks auf den Ballen, ohne dass dazu eine Drehung des Körpers oder ein Hinlehnen nötig wäre. Kombiniert wird der Bügeltritt stets mit dem Fokus in die gewünschte Bewegungsrichtung. Einen Bügeltritt außen anzuwenden bedeutet nicht, dass Sie plötzlich außen (zum Beispiel außerhalb der Biegung) sitzen. Bei einem Bügeltritt außen rutscht der innere Sitzbeinhöcker lediglich ein klein wenig näher an die Mitte Ihres Sattels heran, bleibt aber selbstverständlich auf seiner Seite. Sie sitzen trotzdem weiterhin ausbalanciert und nicht schräg in eine Richtung. Auf keinen Fall versuchen Sie dabei, mit einem Gesäßknochen aktiv mehr Druck auszuüben. Dies würde nur zu einem Einknicken in der Taille oder einer verspannten, unbeweglichen Hüfte führen. Genau dieser Tendenz, die zu einem schiefen und unausbalancierten Sitz führt, wirkt der Bügeltritt entgegen. Eine Biegung links und ein richtungsweisender Bügeltritt rechts, zum Beispiel zum Erweitern des Zirkels linker Hand, sind sehr nutzbringend und problemlos zu vereinbaren. Viele Pferde, die nicht optimal im Training sind und scheinbar stumpf auf biegende oder seitwärtstreibende Hilfen reagieren, sind sehr fein im Bezug auf einen sanft dosierten Bügeltritt, da sie in dieser Art der Einwirkung noch nicht stumpf gemacht wurden. Ein sanfter Bügeltritt innen kann die Biegung deutlich verbessern, ein Bügelritt außen eine seitwärtstreibende Hilfe im Schenkelweichen oder Schulterherein fein unterstützen. So kann diese Hilfe wirklich helfen, andere Hilfen nach und nach wieder zu minimieren. Probieren Sie es aus, versuchen Sie möglichst fein mit dem Bügeltritt zu agieren und achten Sie auf die veränderten Nuancen in der Bewegung Ihres Pferdes. Text: Silke Hembes Fotos: Jörg Amman, Kathrin Phyra (2), Tanja Stoll (1), Kosmos Verlag Lektorat: Barbara Schnabel töltknoten.de