Pflege- und Sterbemissstände: Sie sind in der Verantwortung!

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1 Brief vom an den neuen Deutschen Bundestag Aufruf an die Bundestagsabgeordneten (15. Legislatur-Periode) zur Bekämpfung der Pflegemissstände Eine Gemeinschaftsaktion von DGHS und zahlreichen Organisationen in Deutschland Pflege- und Sterbemissstände: Sie sind in der Verantwortung! Sehr geehrte Damen und Herren Bundestagsabgeordnete! Minister, Staatssekretäre und Abgeordnete kommen und gehen - aber die alltäglichen Missstände und Menschenrechtsverletzungen am Lebensende bleiben. Trotz vielerlei Aktivitäten, mit denen auf die von den Vereinten Nationen kritisierten strukturellen Probleme im deutschen Pflege- und Sterbealltag aufmerksam gemacht wurde, sind bislang keine wirklich ernstzunehmenden Ansätze der Politik erkennbar gewesen. Die bisherigen Erfahrungen sowie die Prognosen von Fachleuten bestätigen, dass die neuen Gesetze (u.a. Heimgesetz, Pflegequalitätssicherungsgesetz; Leistungs- und Qualitätsvereinbarung zum Personalabgleich ab 2004) die strukturellen Probleme nicht lösen werden. Zu Beginn dieser neuen Legislaturperiode wollen wir Ihnen die gravierendsten Defizite und menschenunwürdigen Bedingungen noch einmal vor Augen führen: Die Fließbandpflege erfolgt im Minutentakt: Wer nicht mehr schnell genug kauen und schlucken kann, muss auf Nahrung und Flüssigkeit verzichten oder bekommt eine Sonde gelegt. Nach Angaben des Deutschen Instituts für Ernährungsmedizin und Diätetik sind bis zu 85 % der Heimbewohner wegen Unterernährung und Untergewicht gefährdet. Laut dem Arbeitskreis gegen Menschenrechtsverletzungen (München) leiden etwa 36 % der Heimbewohner an Austrocknung. Nach einer Studie des Landespflegeausschusses NRW pflegen nur 10% der Heime gut, 40 % gerade so ausreichend, der Rest sei eine Katastrophe. Gleichzeitig werden z.t. Magensonden gegen den in einer Patientenverfügung erklärten Willen des Betroffenen gelegt. Das Selbstbestimmungsrecht der alten Menschen wird missachtet. Wer nicht mehr alleine zur Toilette gehen kann, bekommt Windeln angelegt. Alte Menschen werden entmündigt. Wer nicht mehr allein laufen oder seinen Rollstuhl allein bewegen kann, kommt - wenn überhaupt - nur noch selten an die frische Luft. Wer völlig bewegungsunfähig ist, muss ganz darauf verzichten. Jegliche noch vorhandenen Bewegungsfähigkeiten verkümmern. Ein Eingehen auf die individuellen Bedürfnisse der alten Menschen ist angeblich nicht möglich. Der Mensch wird dem reibungslosen Ablauf des Systems untergeordnet. Zeit für Gespräche, für Spaziergänge, für die bloße menschliche Zuwendung ist angeblich nicht möglich und hält nur den Pflegebetrieb auf. Alte Menschen ziehen sich mehr und mehr in sich selbst zurück. Sie werden in die soziale Isolation und in ein

2 apathisches Dahindämmern gedrängt. Soziale Aktivitäten und die Förderung der verbliebenen Fähigkeiten und Fertigkeiten der alten Menschen auch durch angemessene Übernahme von Verantwortung sind nicht erwünscht. Die Entmündigung des Menschen wird künstlich forciert. Der Mangel an - fachlich qualifiziertem - Pflegepersonal ist chronisch! So sind z.b. tagsüber meist nur zwei bis drei Kräfte für rund 35 Pflegebedürftige zuständig, nachts sind es oft nur ein oder zwei Kräfte für bis zu hundert Pflegebedürftige. Die horrenden Kosten für einen Heimplatz steigen permanent. Ein Mindestmaß an menschlich angemessener Versorgung lässt weiter auf sich warten. Selbst für die leichteste Pflegestufe, die nahezu ohne pflegerischen und betreuerischen Aufwand auskommt, werden Euro (ca Mark) monatlich kassiert. Als neu oder wieder gewählte Abgeordnete sind Sie mit dafür verantwortlich, dass jedem pflegebedürftigen Menschen in unserem Land ein humanes, menschenwürdiges Altern und Sterben ermöglicht wird. Prinzipiell ist Geld genug dafür da! Aber das jetzige Pflege-System ist nicht nur ineffektiv, sondern auch undurchschaubar. Wir fordern Sie auf: 1. Stellen Sie sich hinter unsere Pflegekräfte und unsere Pflegebedürftigen und schweigen Sie diese Missstände nicht länger tot! Wer die Zustände am Arbeitsplatz öffentlich macht, muss derzeit oft mit Mobbing oder Kündigung rechnen. 2. Sorgen Sie dafür, dass Betroffene, Angehörige, Pflegepersonal, Heimbeiräte, Seniorenvertreter und andere Gruppen in den jeweiligen Gremien des Bundestages angehört werden. 3. Zwingen Sie Pflegeheime und angeblich caritative Heimträger zur regelmäßigen Offenlegung ihrer Finanzen! Alle am Pflegesystem beteiligten Einrichtungen müssen ihre Bücher und Profite öffentlich machen. 4. Stoppen Sie die Preisabsprachen und Kartelle von Wohlfahrtsverbänden, Kirchen, Städten und Gemeinden sowie privaten Pflegekonzernen und -heimen, die die 32 Milliarden Euro der Pflegeversicherung untereinander aufteilen! 5. Schaffen Sie gesetzliche Grundlagen, um Abrechnungsbetrug, Manipulationen und Bereicherung durch unabhängige Kontrollinstanzen aufzudecken und wirksam zu bekämpfen! 6. Verhindern Sie Fallpauschalen, erleichtern Sie individuelle Betreuung, Versorgung und Zuwendung! Dies gilt besonders für Pflegebedürftige, die im Sterben liegen. Sorgen Sie dafür, dass Patientenverfügungen beachtet werden! 7. Sorgen Sie für ein angemessenes Abrechnungssystem, das auch die menschliche Zuwendung und das Gespräch honoriert! Das derzeitige Abrechnungssystem nach Pflegeminuten und -sätzen wird weder den Bedürfnissen der Heimbewohner noch den 2

3 Pflegekräften gerecht. Pflegebedürftige sind keine Autos, die nach Montage-Minuten abgerechnet werden könnten. 8. Verbieten Sie den Heimleitungen, Besuchsverbote auszusprechen! Wenn Angehörige sich aus Sorge beschweren und auf Missstände hinweisen, muss man diese ernst nehmen. Viele schweigen aus Angst vor späterer Vergeltung an dem Pflegebedürftigen. 9. Sorgen Sie für einen besseren Personalschlüssel und eine effektive Kontrolle! Gute Pflege braucht mehr und gut ausgebildetes Personal! Der Mangel an Pflegekräften auch in den Krankenhäusern ist systembedingt: Schlechte Bezahlung, chronischer Zeitmangel, Überlastung und psychischer Druck führen schnell zu einem Ausbrennen. 10. Schaffen Sie menschenwürdige Mindeststandards der Pflegequalität und sorgen Sie dafür, dass diese eingehalten werden müssen! Lassen Sie nicht zu, dass die Pflege alter Menschen in unserer Gesellschaft weiter zu einem reinen Profitdenken verkommt! Setzen Sie sich dafür ein, dass ein menschenwürdiges Altern und Sterben trotz Kapitalinteressen des Wachstumsmarktes Pflege Realität wird. Ein mit stärkeren Anzeige- und Absicherungsfunktionen ausgestatteter Betriebsrat des Pflegepersonals muss verdeckte Ermittlerfunktionen übernehmen können - mit auswertbaren Informationen für Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft. Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Pflegebereich sind als Kapitalverbrechen ohne Verjährung einzustufen und zu sanktionieren. Die strukturellen Probleme, mit denen wir es heute zu tun haben, werden sich aufgrund der demographischen Entwicklungen in den nächsten Jahren weiter verschärfen. Jede und jeder Einzelne ist betroffen. Denken Sie an Ihre eigenen Eltern, an ältere Verwandte und Freunde. Schöne Reden und Absichtserklärungen von Politikern haben wir lange genug gehört. Die Menschen wollen endlich Taten sehen! Bereits 40% der Bundesbürger machen Politiker in Bundes- und Landesregierungen für die Missstände im Pflege- und Sterbealltag verantwortlich, wie eine Umfrage im Auftrag der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS) ergab. Immer mehr Pflegekräfte sind nicht mehr bereit, diese Arbeitsbedingungen mit ihrem Gewissen zu vereinbaren und diese Zustände mitzuverantworten! Stoppen Sie die Pflege-Missstände! Es ist höchste Zeit, zu handeln! Bitte teilen Sie uns baldmöglichst mit, welche Lösungsansätze Sie sich für die geschilderten Probleme vorstellen! Schön wäre, wenn wir bis Mitte November 2002 eine Antwort von Ihnen hätten. Mit freundlichen Grüßen, ALZheimer-ETHik e.v. Biedert, Ingrid und Jürgen: Angehörige v. Altenheimbewohnerin, ehemal. PDL Diak.stat.... Bürgerinitiative Ehrlich zu den Senioren, Peter Bigus, Bremerhaven Bund der Pflegeversicherten e.v., Gerd Heming (Vors.) Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS) Fliege, Jürgen, Talkmaster der gleichnamigen ARD-Fernsehsendung Frey, Alexander, Arbeitskreis gegen Menschenrechtsverletzungen, München 3

4 Generationen-Partei Die Grauen - Graue Panther Gesellschaft für Sozialeinrichtungen Wernigerode (GSW), Träger der Alten- u. Pflegeheime St. Georg, Burgbreite, Stadtfeld und Küsters Kamp Götz, Carlo, Pro Patient e. V. Haesner, E., Häusliche Krankenpflege München HsM - Handeln statt Mißhandeln - Bonner Initiative gegen Gewalt im Alter e.v. Humanistische Union e.v. Kolb, Christian Kreißig, G., Seniorenbeirat Strausberg Lüst, Christiane, Forum zur Verbesserung der Situation Pflegebedürftiger in Deutschland Mazuchowski, Jens Milla, U., Hamburg Pflegende Angehörige e.v./ Astrid Wörn (1. Vorsitzende) Pflege-Stammtisch München, Roswitha Springer-Hiefinger Rossa, Steffen Seniorenberatung Monika Broy Seniorenvertretungen Landesseniorenrat Niedersachsen e.v. Landesseniorenvertretung Nordrhein-Westfalen e.v. Landesseniorenvertretung Rheinland-Pfalz e.v. Kreisseniorenrat Landkreis Sangerhausen Seniorenbeirat der Stadt Allendorf Seniorenbeirat der Gemeinde Barsbüttel Seniorenbeirat Beindersheim Seniorenbeirat Berlin-Kreuzberg Seniorenbeirat der Stadt Brandenburg Seniorenbeirat Burg/Dithm. Seniorenbeirat der Stadt Eberswalde Seniorenbeirat der Stadt Eisenhüttenstadt Seniorenbeirat in der Stadt Glinde Seniorenbeirat der Stadt Guben Seniorenbeirat Heide Seniorenbeirat der Stadt Hochheim a.m. Seniorenbeirat Isenbüttel Seniorenbeirat Stadt Jever Seniorenbeirat der Stadt Lauenburg / Elbe Seniorenbeirat Amt Lebus Seniorenbeirat der Gemeinde Mühltal Seniorenbeirat der Gemeinde Neu-Anspach Seniorenbeirat der Stadt Neustadt an der Weinstrasse Seniorenbeirat der Stadt Reinfeld Seniorenbeirat der VG St. Goar - Oberwesel Seniorenbeirat der Gemeinde Süderbrarup Seniorenbeirat der Gemeinde Tarp Kontakt: Forum zur Verbesserung der Situation pflegebedürftiger Menschen in Deutschland Christiane Lüst Berengariastr. 5, Gauting Tel. 089 / , Fax: 089 / Internet: 4

5 Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS) Lange Gasse 2-4, Augsburg Tel / , Fax: / Internet: info@dghs.de 5