Die Entwicklung des räumlichen Sehens im ersten Lebensjahr Ergebnisse aus dem DFG-Forschungsvorhaben Wahrnehmungsentwicklung in der frühen Kindheit
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- Frieda Amsel
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1 Ergebnisse aus dem DFG-Forschungsprojekt Wahrnehmungsentwicklung im ersten Lebensjahr 1 INSTITUT FÜR PSYCHOLOGIE DER UNIVERSITÄT BONN Abt. Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie Römerstr. 164, D Bonn DFG-Forschungsprojekt WAHR Wahrnehmungsentwicklung in der frühen Kindheit Priv.-Doz. Dr. Michael Kavšek, Laura Hemker, MA Die Entwicklung des räumlichen Sehens im ersten Lebensjahr Ergebnisse aus dem DFG-Forschungsvorhaben Wahrnehmungsentwicklung in der frühen Kindheit Förderung: Deutsche Forschungsgemeinschaft Projektleiter: PD Dr. Michael Kavšek Tel.: babies@psychologie.uni-bonn.de Wissenschaftliche Mitarbeiterin: Laura Hemker, M.A.
2 Ergebnisse aus dem DFG-Forschungsprojekt Wahrnehmungsentwicklung im ersten Lebensjahr 2 1. UNSERE FRAGEN METHODEN ZUR BEFRAGUNG VON SÄUGLINGEN DIE ERGEBNISSE... 4 Studie 1. Subjektive Konturen... 4 Studie 2. Transparenz... 5 Studie 3. Verdeckung in Abbildungen... 6 Studie 4. Form in Abbildungen... 7 Studie 5. Distanz in Abbildungen... 8 Studie 6. Relative Höhe als Distanzinformation VIELEN DANK! Unsere Fragen Unsere Wahrnehmung entspricht zumeist nicht genau der äußeren Realität, sondern stellt vielmehr unsere eigene Konstruktion und Deutung dieser Realität dar. Ein bekanntes Beispiel für diese Deutungsleistung sind optische Täuschungen. Diese ermöglichen spannende Einblicke in die Funktionsweise unseres Sehsystems. Ein anderes Beispiel ist die Tatsache, dass wir auch auf Abbildungen in der Regel mühelos die dreidimensionale Form von Gegenständen erkennen können: Auch bei Bildern können wir nah und fern unterscheiden, obwohl ja nur zwei Dimensionen zu sehen sind. Diese bildhafte Tiefenwahrnehmung ist möglich, weil in Bildern von dreidimensionalen Szenerien oder Gegenständen sogenannte Tiefeninformationen vorhanden sind, die unser Gehirn veranlassen, die dritte Dimension zu rekonstruieren. Obwohl dieser Prozess so komplex ist, dass bis heute kein Computer mit ihm zurecht kommt, geschieht er bei Erwachsenen völlig mühelos. In unseren Studien haben wir die Entwicklung dieser Konstruktionsleistungen untersucht. Konkret sind wir in der letzten Zeit folgenden Fragestellungen nachgegangen: Nehmen Säuglinge Wahrnehmungstäuschungen (z.b. subjektive Konturen) wahr? Was sehen Säuglinge, wenn auf Bildern ein Gegenstand einen anderen teilweise verdeckt? Ab welchem Alter erkennen Säuglinge die dreidimensionale Struktur von Objekten auch auf Abbildungen? Können Säuglinge auf Abbildungen Distanzen erkennen? Mit der Beantwortung dieser Fragen wollen wir neue Erkenntnisse gewinnen, von denen wir uns erhoffen, dass sie grundlegende theoretische Probleme lösen und darüber hinaus Anhaltspunkte für Maßnahmen der Frühförderung geben werden.
3 Ergebnisse aus dem DFG-Forschungsprojekt Wahrnehmungsentwicklung im ersten Lebensjahr 3 2. Methoden zur Befragung von Säuglingen Habituation-Dishabituation In der Forschung zur Untersuchung der kindlichen Wahrnehmung wird vor allem die Erkenntnis genutzt, dass sich schon sehr junge Säuglinge für Neues interessieren und Bekanntes wiedererkennen können. In Experimenten nach der Habituationsmethode wird den Kindern ein visueller Reiz, z.b. ein buntes Bild, mehrere Male nacheinander gezeigt. In der Regel ist das Interesse des Kindes an dem Bild anfänglich hoch und nimmt dann allmählich ab. Dies zeigt sich darin, dass das Bild nach und nach immer kürzer angeblickt wird (Habituation bzw. Gewöhnung). Wird dann jedoch ein neues Bild gezeigt, steigt die Blickzuwendung des Kindes in der Regel wieder an (Dishabituation bzw. Neuheitsreaktion). Dies geschieht natürlich nur dann, wenn das Kind einen Unterschied zwischen dem alten und dem neuen Bild erkennen kann. In unseren Experimenten sind die Bilder so beschaffen, dass eine Neuheitsreaktion Aufschluss darüber gibt, wie das zuvor präsentierte Bild von den Säuglingen wahrgenommen wurde. Präferentielles Greifen Um genau festzustellen, ob Säuglinge tatsächlich Distanzen auf Abbildungen wahrnehmen, wird die Tatsache genutzt, dass Säuglinge ab dem Lebensmonat bevorzugt nach dem näheren zweier präsentierter Gegenstände greifen. In entsprechenden Experimenten wird dem Säugling ein Bild gezeigt, auf dem zwei Gegenstände scheinbar verschieden entfernt sind, tatsächlich aber gleich weit weg sind. Dieses Bild betrachtet das Kind einmal mit beiden Augen (binokular), und einmal mit nur einem Auge, weil auf dem anderen Auge ein Pflaster klebt (monokular). Wenn es den scheinbaren Distanzunterschied zwischen den Gegenständen wahrnimmt, sollte das Kind unter monokularen Bedingungen eher nach dem scheinbar näheren Gegenstand greifen. Durch das Abdecken eines Auges wird nämlich die stereoskopische Tiefenwahrnehmung, das Tiefensehen mit beiden Augen, ausgeschaltet. Die Folge dieses Ausschaltens ist, daß der bildhafte Tiefeneindruck, den das Bild erzeugt, verstärkt wird. Sieht das Kind das gleiche Bild jedoch mit beiden Augen, greift es gleich häufig nach beiden Gegenständen, da es nun erkennen kann, dass diese in Wirklichkeit gleich gut erreichbar sind.
4 Ergebnisse aus dem DFG-Forschungsprojekt Wahrnehmungsentwicklung im ersten Lebensjahr 4 3. Die Ergebnisse Studie 1. Subjektive Konturen A b b A bb il- Zwei berühmte optische Täuschungsfiguren sind die Ehrenstein-Ellipse und das Kanisza- Quadrat : In den Abbildungen 1 und 2 sind weder die Ellipse noch das Quadrat, die von den Linien (Abb. 1) bzw. von den Dreiviertelkreisen (Abb. 2) umschlossen werden, vollständig gezeichnet. Wir ergänzen in der Wahrnehmung die vorhandenen Konturen ganz automatisch so, dass eine vollständige Form entsteht. Diese wahrgenommenen, aber in Wirklichkeit nicht vorhandenen Linien bezeichnet man als subjektive oder illusionäre Konturen. Abbildung 1. Ehrenstein-Ellipse Abbildung 2. Kanisza-Quadrat In unseren Experimenten haben wir untersucht, zu welchem Zeitpunkt die Fähigkeit, subjektive Konturen zu erkennen, frühestens nachweisbar ist. Noch vor wenigen Jahren nahm man an, dass Säuglinge frühestens im Alter von 7 Monaten die lückenhaft dargestellten Konturen wie Erwachsene vervollständigen. Mittlerweile konnte die Altersgrenze für diese Fähigkeit auf 4 Monate nach unten korrigiert werden. In diesem Alter erkennen Säuglinge wie wir zeigen konnten die Figuren jedoch nur dann, wenn die Lücken zwischen den Linien bzw. Dreiviertelkreisen relativ klein sind Dies liegt vermutlich daran, daß die nötigen Wahrnehmungsmechanismen im Gehirn, die die Lücken schließen, bei jüngeren Babies noch nicht vollständig entwickelt sind. Abbildung 3 Vorgehen Um zu prüfen, ob schon 4 Monate alte Kinder das illusionäre Kanisza-Quadrat wahrnehmen, wurden Kinder dieser Altersgruppe zunächst an dieses Muster gewöhnt (Bild 1 in der Abbildung 3). Danach zeigten wir ihnen dasselbe Bild noch einmal sowie ein weiteres Bild, in dem die Dreiviertelkreise anders orientiert waren und in dem das subjektive Quadrat entsprechend verschwunden war (Bild 2 in der Abbildung 3). In dieser Testphase blickten die Kinder deutlich länger auf das Bild, in dem die Dreiviertelkreise neu orientiert waren (Bild 2), als auf das Bild, in dem das subjektive Quadrat erkennbar war (Bild 1). Sie konnten also zwischen Bild 1 und Bild 2 unterscheiden.
5 Ergebnisse aus dem DFG-Forschungsprojekt Wahrnehmungsentwicklung im ersten Lebensjahr 5 In einem zweiten Experiment haben wir ergänzend gezeigt, dass allein eine Veränderung der Ausrichtung der Dreiviertelkreise von den Kindern nicht als neu erkannt wurde. Dieses Zusatzexperiment war wichtig, denn die Bilder 1 und 2 in der Abbildung 3 unterscheiden sich ja nicht nur im Vorhandensein der subjektiven Kontur, sondern auch in der Orientierung der Dreiviertelkreise. Das Ergebnis des ersten Experimentes könnte also darauf beruhen, daß die Babies nicht den Wegfall der subjektiven Kontur von Bild 1 zu Bild 2 bemerkt haben, sondern die Veränderung der Ausrichtung der Dreiviertelkreise. In dem zweiten Experiment reagierten nach der Gewöhnung an das Bild 3 in der Abbildung 3 die Kinder nicht auf die Darbietung des mittleren Bildes 2. Beide Bilder enthalten keine subjektive Kontur, unterscheiden sich aber in der Ausrichtung der Dreiviertelkreise. Die Babies konnten zwischen diesen beiden Mustern also keinen Unterschied erkennen. Die Unterscheidungsreaktion im ersten Experiment kann demnach nur darauf zurückgeführt werden, dass die Kinder das Verschwinden des subjektiven Quadrats bemerkt hatten. Das transparente Kanizsa-Quadrat Mit demselben Vorgehen wie in Experiment 1 sind wir der Frage nachgegangen, ob Säuglinge schon mit 4 Monaten transparente subjektive Konturen wahrnehmen können. Ein Beispiel dafür ist das linke Bild in Abbildung 4: Erwachsene sehen hier ein transparentes schwarzes Quadrat, dessen Ecken auf 4 gelben Kreisen aufliegen. Tatsächlich dargestellt sind jedoch 4 gelbe Kreise, von denen jeweils eine Ecke gemäß den Transparenzbedingungen ausgefärbt ist; ein gezeichnetes Quadrat existiert auch hier nicht, sondern wird durch unser Sehsystem hergestellt. Abbildung 4 Der Wahrnehmungsprozess der Vervollständigung ist in diesem Fall noch komplizierter als bei der Wahrnehmung allein der subjektiven Kontur. Denn hier müssen zum einen die Lücken zwischen den unterbrochenen Teilen der Kontur ausgefüllt werden, und zudem auch bestimmte Farbbeziehungen erkannt werden, die zur Wahrnehmung von Transparenz/Durchsichtigkeit führen. Tatsächlich reagierten die von uns untersuchten 4 Monate alten Säuglinge in diesem Sinne auf die transparente Abbildung. Eine weitere Untersuchung zur Wahrnehmung von Transparenz ergab allerdings, dass 4 Monate alte Kinder in diesem Experiment vermutlich nur die illusionäre Kontur, nicht jedoch die scheinbare Transparenz wahrnehmen: Studie 2. Transparenz Im Anschluß an das Experiment zum transparenten Kanizsa-Quadrat wollten wir herausfinden, ab wann Babies überhaupt transparente Oberflächen als solche wahrnehmen. In Bild 1 der Abbildung 5 sehen Erwachsene ein transparentes gelbliches Quadrat, dessen Ecken auf 4 roten Kreisen aufliegen. Diese Wahrnehmung ergibt sich daraus, dass die eingefärbten Ecken genau den Farbrelationen entsprechen, die auftreten würden, wenn tatsächlich ein transparentes Quadrat vor roten Kreisen und einem schwarzen Hintergrund läge. Tatsächlich sind im Bild natürlich
6 Ergebnisse aus dem DFG-Forschungsprojekt Wahrnehmungsentwicklung im ersten Lebensjahr 6 nicht zwei einfarbige Flächen vorhanden, sondern außer dem schwarzen Hintergrund insgesamt 9 Flächen mit 3 verschiedenen Farben. In unserer Studie zeigten 4 Monate alte Säuglinge nach Gewöhnung an das Bild 1 in der Abbildung 5 keine eindeutige Reaktion auf unsere Testmuster (Bilder 2 und 3 in der Abbildung 5). 8 Monate alte Kinder schauten jedoch deutlich länger auf das orange-gelbe Muster (Bild 2) als auf das gelbe Quadrat (Bild 3). Offenbar erkennen sie also das gelbe Quadrat als die transparente Fläche wieder, die in Bild 1 auf den vier roten Kreisen aufliegt, und schauen sich daher lieber das für sie neue Bild 2 an. Kurz: Erst mit 8 Monaten nehmen Säuglinge Transparenz wahr. Wenn sie keine Transparenz erkannt hätten, hätte den Kindern übrigens das Testbild 2 vertraut vorkommen müssen, denn dieses Bild ist ein Ausschnitt aus dem Gewöhnungsbild 1, wie es tatsächlich gemalt ist: als Quadrat mit vier orange getönten Ecken. Nun hätten sie das Bild 3 als neu einstufen und folglich länger anblicken müssen Abbildung 5 Studie 3. Verdeckung in Abbildungen Eine weitere Untersuchung beschäftigte sich mit der Frage, was Säuglinge sehen, wenn ein Gegenstand von einem anderen teilweise verdeckt wird, was in der alltäglichen Umgebung sehr häufig der Fall ist. Abbildung 6 In Abbildung 6 links sehen Erwachsene normalerweise ein rotes Quadrat, dessen Ecken auf 4 blauen Kreisen aufliegen. Obwohl die blauen Kreise im Bild nicht vollständig dargestellt sind, denken wir uns die fehlenden Ecken einfach hinzu, d.h. wir vervollständigen eine scheinbar verdeckte Oberfläche ganz automatisch. Auf der Basis früherer Befunde mit ähnlichen Bildern erwarteten wir, dass Säuglinge ab dem Alter von 7-8 Monaten die blauen Kreise vervollständigen würden. Diese Reaktion zeigten die von uns untersuchten Kinder jedoch nicht. Dasselbe Ergebnis zeigte sich auch dann, wenn das verdeckende Quadrat transparent war, so dass die Ecken der Kreise sichtbar waren (vgl. Abbildung 7). Abbildung 7
7 Ergebnisse aus dem DFG-Forschungsprojekt Wahrnehmungsentwicklung im ersten Lebensjahr 7 Studie 4. Form in Abbildungen In einer weiteren Studie ging es um die Frage, ab welchem Alter Babies eine Form auf Abbildungen wahrnehmen können, wenn diese allein durch die Eigenschaften einer gezeichneten Textur dargestellt wird. Als Textur werden die blauen Elemente bezeichnet, die in die grünen Kreise in Abbildung 8 eingezeichnet sind. Abbildung 8: Kugeln (a & b) und Scheiben (c & d) In den zwei linken Bildern sind diese Texturelemente so angeordnet, dass Erwachsene eine Kugelform erkennen. In den zwei rechten Bildern dagegen entsteht aufgrund einer Verdrehung derselben Texturelemente kaum noch ein räumlicher Eindruck. Erwachsene nehmen nun einen relativ flachen grünen Kreis mit blauen Elementen darauf wahr, und nicht mehr eine deutliche Kugelform. Ergebnisse nach der Habituationsmethode Überraschenderweise zeigten 5-9 Monate alte Kinder jedoch keine eindeutige Reaktion auf die unterschiedlich erscheinende Dimensionalität (zweidimensional vs. dreidimensional) der Abbildungen. Sie schienen zwar einen Unterschied zwischen den Testbildern zu bemerken, blickten jedoch nicht eindeutig länger auf das Bild, dessen Dimensionalität von der des Habituationsbildes abwich. Um den Kindern die Unterscheidung der Reize zu erleichtern, wurden für weitere Experimente die Unterschiede zwischen zwei- und dreidimensionalem Reiz stärker hervorgehoben (Abbildung 9). Selbst diese Veränderung wirkte sich jedoch nicht auf das Verhalten der Säuglinge aus. Abbildung 9 Ergebnisse nach der Greifmethode Da aus den Versuchen mit der Habituationsmethode kein eindeutiges Ergebnis gewonnen werden konnte, untersuchten wir die Wahrnehmung der Säuglinge zusätzlich mit der Methode des präferentiellen Greifens. Diese Methode beruht wie unter dem Abschnitt 2. bereits erläutert auf der Beobachtung, dass Kinder ab ca. 4-5 Lebensmonaten bevorzugt nach denjenigen Gegenständen greifen, die vermeintlich in ihrer unmittelbaren Nähe liegen. Wenn die Kinder die scheinbar dreidimensionale Form der gezeichneten Kugeln wahrnehmen können, sollten sie entsprechend eher nach diesen Kugeln greifen als nach den Scheiben. Auch hier zeigten die Kinder jedoch keine klare (Greif-)Bevorzugung einer der zwei- oder dreidimensionalen Abbildungen.
8 Ergebnisse aus dem DFG-Forschungsprojekt Wahrnehmungsentwicklung im ersten Lebensjahr 8 Möglicherweise sind die Ergebnisse deshalb so wenig eindeutig, weil Säuglinge bis zum Alter von 9 Monaten Formen auf Abbildungen einfach noch nicht genau erkennen können. Wenn allerdings die Gegenstände oder die Kinder Bewegungen vollziehen, was im Alltag ja beinahe immer der Fall ist, bewältigen Babies die Aufgabe, Formen zu erkennen, schon viel früher. Wann genau sich die Fähigkeit entwickelt, die hier verwendeten Abbildungen als dreidimensional wahrzunehmen, wissen wir bisher leider nicht. Studie 5. Distanz in Abbildungen Da wir mit den bisher verwendeten, scheinbar gewölbten Flächen keine klaren Ergebnisse erzielten, verwendeten wir in weiteren Experimenten einen neuen Ansatz: Statt einer Oberflächenkrümmung zeigte die Textur nun eine Oberflächenneigung an. In dem in der Abbildung 10 dargestellten Versuchsaufbau wurde eine gerade vor das Baby aufgestellte Fläche mit dem in der Abbildung gezeigten Texturmuster beklebt. So entstand für Erwachsene der Eindruck einer in die Tiefe geneigten Fläche. Abbildung 10 Vor der Fläche waren zwei identische Spielzeugtiere in verschiedenen Höhen angebracht. Aufgrund der Tiefenhinweise der Oberflächentextur erscheint Erwachsenen, welche die Fläche betrachten, das untere Tier näher als das obere. Diesen scheinbaren Distanzunterschied können Säuglinge offenbar bereits ab dem Alter von 5 Monaten erkennen: Die Kinder griffen deutlich häufiger nach dem unteren als nach dem oberen Spielzeug. Diese Reaktion war außerdem bei den 7 Monate alten Kindern viel deutlicher ausgeprägt als bei den jüngeren Kindern. Die Fähigkeit, bildhafte Tiefe zu erkennen, verbessert sich also zwischen dem 5. und 7. Lebensmonat erheblich. Sie ist aber, und dies ist ein neuer Befund, bereits mit 5 Monaten vorhanden. Studie 6. Relative Höhe als Distanzinformation Für Erwachsene liefert allein die relative Höhe von Gegenständen im Blickfeld Informationen darüber, wie weit diese Gegenstände entfernt sind. So sieht man in der Abbildung 11 eher das obere Nilpferd als weiter entfernt als das untere. Dieser Eindruck ist jedoch deutlich schwächer als bei dem in Experiment 6 verwendeten Aufbau, da viel weniger Information über die Distanz der Tiere vorhanden ist.
9 Ergebnisse aus dem DFG-Forschungsprojekt Wahrnehmungsentwicklung im ersten Lebensjahr 9 Abbildung 11 Mit dem in Abbildung 11 dargestellten Aufbau untersuchten wir, ob die Information der relativen Höhe auch für die Wahrnehmung der Säuglinge eine Rolle spielt. Auch hier reagierten 7 Monate alte Säuglinge verlässlich auf den scheinbaren Distanzunterschied, jedoch deutlich schwächer als bei der Präsentation der texturierten Fläche in Studie 5. Dies zeigt, dass die Kinder allein die relative Höhe der Tiere als Distanzinformation wahrnehmen können. Die fünf Monate alten Kinder zeigten tendenziell zwar ein ähnliches Verhalten, insgesamt ergaben ihre Reaktionen jedoch kein eindeutiges Bild. Für Kinder dieser Altersgruppe enthält dieser Aufbau vermutlich noch zu wenig Informationen für die Wahrnehmung eines Distanzunterschiedes. 4. Vielen Dank! Alle unsere Studien haben das Ziel, ein besseres Verständnis der normalen Entwicklung im ersten Lebensjahr zu gewinnen und mehr darüber zu erfahren, wie Säuglinge in den ersten Lebensmonaten die Welt wahrnehmen und verstehen. Wir danken all den Kindern und ihren Eltern, die unsere Studien erst möglich gemacht haben. Es hat uns viel Spaß gemacht, die vielen klugen Babies beobachten zu dürfen, und wir haben viele wertvolle Erkenntnisse gewonnen, mit denen wir auch in Fachzeitschriften und auf Kongressen vertreten sind. Wir hoffen, dass Ihnen der Besuch bei uns gefallen hat und wünschen Ihnen weiterhin alles Gute! Bonn, im August 2006
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