Anteil der älteren Menschen oder z.b. der Konsum von Alkohol und Tabakprodukten berücksichtigt werden.
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- Oldwig Dunkle
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1 Eröffnung des Hausärztetages 2006 in Potsdam durch den Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM Anschrift des Verfassers: Prof. Dr. med. Michael M. Kochen, MPH, FRCGP Präsident der Dt. Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) Abt. Allgemeinmedizin der Georg-August-Universität Göttingen
2 2 Herr Präsident der Bundesärztekammer, lieber Herr Hoppe, Herr Staatssekretär, meine Damen und Herren Abgeordneten aus Bund und Ländern, lieber Herr Kötzle, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bedanke mich für die Ehre, den Hausärztetag 2006 eröffnen zu können und heiße Sie alle, besonders auch im Namen der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin, die heuer ihr 40-jähriges Jubiläum feiert, herzlich willkommen. Meine Visionen, die ich Ihnen heute vortragen möchte, sollten nicht mit Traumtänzerei verwechselt werden. Visionen haben oft eine enge und in vielen Fällen schnell umsetzbare Beziehung zur Realität dafür gibt es zahlreiche Beispiele aus der Geschichte. Das, was ich Ihnen heute über die Rolle der Hausärzte in unserem Gesundheitssystem nahe bringen möchte, sind weder Meinungen noch Spekulationen. Es sind harte Daten einer systematischen wissenschaftlichen Übersicht zur Frage der Vor- und Nachteile eines primärärztlich bestimmten Gesundheitssystems - erstellt vom Health Evidence Network der Weltgesundheitsorganisation in Kooperation mit der Business School des Imperial College in London. Bei der Auswertung von Studien aus 23 Jahren wurden alle großen medizinischen und sozialwissenschaftlichen Datenbanken dieser Welt einschließlich der Weltbank benutzt. Was für Sie besonders interessant sein dürfte, ist die Tatsache, dass es bei dieser wissenschaftlichen Arbeit keineswegs alleine um Länder der Dritten Welt geht, sondern besonders auch um entwickelte Industriestaaten. Die Analyse zeigt, dass die Stärke der Primärmedizin eng mit einer besseren Gesundheit der Bevölkerung assoziiert ist mit verminderter Sterblichkeit, insbesondere bei den häufigsten Volkskrankheiten Herzinfarkt, Schlaganfall, Krebs und Atemwegserkrankungen. Diese Zusammenhänge bleiben auch dann signifikant, wenn Faktoren wie Bruttoinlandsprodukt Pro-Kopf-Einkommen Arztdichte
3 3 Anteil der älteren Menschen oder z.b. der Konsum von Alkohol und Tabakprodukten berücksichtigt werden. Das ist schon ziemlich viel, aber noch nicht alles. Die Qualität des angebotenen Produktes Gesundheit insgesamt wird durch eine hausärztliche Orientierung ebenso wenig beeinträchtigt wie die Ergebnisse bei einzelnen Patienten; deren Zufriedenheit steigt sogar an. Die Resultate bleiben gemäß den Studien, die zu diesem Aspekt durchgeführt wurden, auch dann bestehen, wenn in einigen Bereichen Spezialisten durch Hausärzte ersetzt werden. Damit ich nicht missverstanden werde: Dies ist kein Plädoyer gegen oder zur Abschaffung von Spezialisten. Wir brauchen selbstverständlich gut ausgebildete und zielgerichtet arbeitende Spezialisten: Spezialisten, die froh sind, wenn Ihnen Hausärzte ihre eigentliche Arbeit erleichtern und Patienten vom Leibe halten, die keines Spezialisten bedürfen. Spezialisten, die nicht aus ökonomischen Gründen versuchen, quasi nebenher noch hausärztliche Patienten zu akquirieren, obwohl ihnen entsprechende Weiterbildung und Erfahrung fehlen. Spezialisten, die wegen fachlich enger Weiterbildung nicht glauben, dass sie die besseren Hausärzte wären. Um das zentrale Ergebnis dieser wissenschaftlichen Analyse nochmals auf den Punkt zu bringen: Eine stärkere Primärmedizin ist gleichbedeutend mit verbesserter Gesundheit der Bevölkerung. Ein interessanter Nebeneffekt dieses Resultats ist die Tatsache, dass ein solches Gesundheitssystem trotz mindestens gleich hoher Qualität auch noch deutlich weniger kostet als ein spezialistisch geprägtes. Die Tatsache, dass wir bei den Gesundheitsausgaben - gemessen am Bruttoinlandsprodukt an dritter Stelle in der Welt stehen und bei messbaren Nutzenkriterien an 25. Stelle, ist wesentlich auch der unzureichenden primärärztlichen Ausrichtung zu schulden. In einer zunehmend älter werdenden Bevölke-
4 4 rung wäre es allerdings eine Fehlkalkulation, die Hausarztmedizin als probate Sparmaschine anzusehen. Obwohl es schon oft gesagt wurde, wiederhole ich es zur Klarheit nochmals: Ein hausärztlich geprägtes Gesundheitssystem würde nicht die freie Arztwahl aufheben, die Patienten müssten auch nicht für Besuche bei allen Spezialisten vorher einen Hausarzt aufsuchen. Ideal wäre ein Listensystem, bei dem auch zur Förderung eines präventiven Versorgungsansatzes - die Bevölkerung bei Hausärzten eingeschrieben ist, ohne notwendigerweise als Patientinnen oder Patienten in deren Praxen aufzutreten. Dass gute Arbeit auch fair bezahlt werden muss, ist eine Binsenweisheit: Neben einer angemessenen Grundgebühr für jeden Eingeschriebenen sollte es leistungsorientierte Zusatzzahlungen geben, die man je nach Situation auch nach veränderbaren Morbiditätszielen ausrichten könnte. In einem solchen System hätten Hausärzte mehr Zeit für Ihre Patienten, weil sich die tumbe Eingabe von z.zt. fünfstelligen Abrechungsziffern weitgehend erübrigen und gleichzeitig die Einnahme von säureblockierenden Medikamenten durch betroffene Ärztinnen und Ärzten zurückgehen würde. Ich habe mich selbst gefragt, welche andere Institution, welches andere Unternehmen in beliebigen Bereichen der Gesellschaft mit einem auch nur annähernd so guten Produkt wie einem hausärztlich geprägten Gesundheitssystem aufwarten kann. Eine Antwort habe ich bis heute nicht gefunden. Stellt sich abschließend noch die Frage, unter welchen Voraussetzungen wir dieses Produkt in angemessener Zahl und vernünftigen Strukturen etablieren können. Eine der wichtigsten Voraussetzungen ist der einheitlich qualifizierte Hausarzt denn nur eine einheitliche und curriculäre Weiterbildungsstruktur sichert auf die Dauer eine qualifizierte hausärztliche Versorgung der Bevölkerung und stärkt die notwendige Kooperation zwischen den gesetzlich klar definierten Versorgungsebenen. Curriculär heißt, dass alle jungen KollegInnen einen vordefinierten Weiterbildungsplan mit fest vereinbartem Fächercanon absolvieren können und am ersten Tag der Weiterbildung wissen, wo sie am letzten Tag sein werden.
5 5 Analog der spezialistischen Weiterbildung im Krankenhaus müssen aber sowohl künftige Hausärzte als auch Weiterbilder angemessen bezahlt werden. Vernünftige Ansätze, die dazu entwickelt wurden, wer den von interessensgeleiteten Lobbyisten in einigen Landesärztekammern aber immer noch torpediert. Wollen Sie meine Vision zur Lösung dieser Problemlage hören? Wie wäre es zum Beispiel, wenn man die Organisation der Weiterbildung für alle Fächer versteht sich - an die Universitäten verlagert? Die Folgen einer einheitlichen Qualifikationsstruktur in einem hausärztlich geprägten Gesundheitssystem sind absehbar: Die Stellung der Allgemeinmedizin an den Hochschulen würde gestärkt; mehr Studierende entschieden sind für ein inhaltlich spannendes und finanziell attraktiveres Fach; der Mangel an Hausärzten im Land würde sukzessive abgebaut; die Bevölkerung, die schon längst mit den Füßen für ihre Hausärzte abgestimmt hat, kann weiterhin mit hoher Qualität und zu angemessenen Kosten vor Ort versorgt werden. Der Nutzen einer solchen strukturellen Entwicklung ist ebenfalls durch zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen belegt. In Ländern wie z.b. den USA, die sich lange durch eine explizit spezialistische Ausrichtung der medizinischen Versorgung hervortaten, entwickeln Hausärzte mit Unternehmen wie IBM entsprechend neue Handlungsansätze. Die Realisierung wissenschaftlich erwiesener Vernunft ist keine Aufgabe der fernen Zukunft, sie ist vielmehr das Gebot der Stunde. Wir müssen und können sie mit vereinten Kräften umsetzen.
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