Zum 1. Europäischer Datenschutztag am 28. Januar 2007
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- Gertrud Böhler
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1 Der Hamburgische Datenschutzbeauftragte P r e s s e e r k l ä r u n g Zum 1. Europäischer Datenschutztag am 28. Januar 2007 Der Hamburgische Datenschutzbeauftragte Hartmut Lubomierski erklärt: Dies ist kein Tag zum Feiern! Dafür steht es gegenwärtig um den Datenschutz zu schlecht! Der Europarat hat mit Unterstützung der EU-Kommission den 28. Januar 2007 zum Europäischen Datenschutztag bestimmt, um die zentrale Bedeutung des Datenschutzes für den Schutz des Persönlichkeitsrechts und der Privatsphäre in das Bewusstsein aller Menschen in Europa zu rufen. Der damit verbundene Appell, die verbürgten Freiheitsrechte und die Privatsphäre der Bürgerinnen und Bürger zu achten und die Menschen keiner permanenten Beobachtung, Kontrolle, Überwachung und Registrierung auszusetzen, richtet sich vor allem an Politik und Wirtschaft. Am 28. Januar 1981 verabschiedete der Europarat die Konvention 108 zum Schutz des Menschen bei der automatischen Verarbeitung personenbezogener Daten durch Staat und Wirtschaft. Seitdem hat der Datenschutz gerade auch in Deutschland eine rasante Entwicklung genommen. Der entscheidende Durchbruch erfolgte 1983 mit dem Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts, in dem festgestellt wurde, dass jede Person das Recht auf Selbstbestimmung über alle ihre personenbezogenen Daten hat, soweit keine Einschränkungen durch Rechtsvorschriften zugelassen sind. Dieses Grundrecht wird das Recht auf informationelle Selbstbestimmung genannt erfolgte mit der EU-Datenschutzrichtlinie 95/46 die europaweite Vereinheitlichung der Datenschutzstandards und die Gewährleistung eines freien Datenverkehrs in Europa. 1
2 2 In diesen mehr als 25 Jahren konnten im Datenschutz wie im Hochwasserschutz die Dämme gegen die steigenden Gefährdungslagen immer wieder erhöht und verbreitert werden, um die Privatsphäre der Bürger vor den wachsenden Begehrlichkeiten des Staates und der Wirtschaft nach immer mehr personenbezogenen Daten zu schützen. Jetzt aber droht ein Dammbruch beim Datenschutz. Seit dem 11. September 2001 reißt die Kette der Erweiterungen, Verschärfungen und Neueinführungen von Kontrollen und Überwachungen, von Meldepflichten, Datenübermittlungen und Datenabgleichen nicht mehr ab. Die Eingriffe von Verfassungsschutz und Polizei in die Privatsphäre der Bürger sind nicht mehr vom Vorliegen einer konkreten Gefahr oder eines Anfangsverdachts abhängig, sondern weit ins Vorfeld einer Gefahrenlage vorgeschoben. Viele Befugnisse ermächtigen zur Jedermann-Überwachung und treffen zunehmend unverdächtige Personen, die keinen Anlass für polizeiliche Eingriffe gegeben haben. Heimliche Ermittlungsmethoden, die zur Terrorismusbekämpfung eingeführt wurden, werden schrittweise zum alltäglichen Werkzeug für Polizei und Verfassungsschutz. Noch nie zuvor wurde unser Kommunikationsverhalten, aber auch unser Konsumverhalten so extrem elektronisch unterstützt und technisch so perfekt und eindeutig abgebildet und gespeichert wie heute. Wir kommunizieren am Arbeitsplatz wie auch privat ganz überwiegend elektronisch vermittelt über Telefon, Handy, und Internet. Alle bei diesen Kommunikationsformen anfallenden Verbindungsdaten werden lückenlos erfasst und gespeichert. Wir kaufen immer häufiger personalisiert per Kundenkarte, Kreditkarte, wir bestellen im Internet, buchen online und werden dadurch elektronisch erfasst und gespeichert. Datenschutz ist dabei immer schwieriger durchzusetzen, da die elektronische Datenerfassung weitgehend ohne unser Zutun, ja ohne unsere Kenntnis im Hintergrund erfolgt. Aber die elektronische Erfassung der Menschen geht noch viel weiter: Auch das Bewegungsverhalten im öffentlichen Raum und in der Freizeit wird vielfältig beobachtet und ist weitgehend nachvollziehbar. Jedes Handy wird automatisch geortet, im öffentlichen Raum und im Einkaufzentrum findet Videoüberwachung statt, auf den Autobahnen erfolgt die Fahrzeugregistrierung und die automatische Kennzeichenerfassung, mit der RFID-Technologie kommt die automatische Zutritts- und Bewegungserfassung. Unsere Identität wird biometrisch erfasst und in den Passdaten gespeichert. 2
3 3 So werden die Bürgerinnen und Bürger immer mehr - erfasst (Automatische Kfz-Kennzeichenerfassung, Vorratsdatenspeicherung aller Telekommunikationsdaten, Kontenüberwachung, Flugpassagierdatenübermittlungen in die USA), - registriert (Zentrales Schülerregister, Nationales Bildungsregister, Hunderegister, Zentrales Steuerregister, Elektronische Gesundheitskarte, Job-Card), - kontrolliert (Verdachtsunabhängige Personenkontrollen, Datenabgleiche zwischen Polizei und Verfassungsschutz), - gefilmt und überwacht (Videoüberwachung im öffentlichen Raum und im Kaufhaus, in der Schule und im Altenheim), - bewertet (Kredit-Scoring, Bonitätsberechnungen), - geortet (Handy, Kfz-Ortung). Dabei mag die einzelne Maßnahme für sich betrachtet weitgehend begründbar sein, in der Summe werden wir aber mit einer allgegenwärtigen Kontroll- und Überwachungsstruktur überzogen. Der beobachtungsfreie Raum wird immer enger. Die Privatsphäre, das Persönlichkeitsrecht des Einzelnen bleibt dabei auf der Strecke. Die freiheitssichernde Funktion des Datenschutzes wird unterhöhlt. Datenschutz wird als Luxus hingestellt, den wir uns angesichts der Bedrohungen durch den Terrorismus nicht mehr leisten können. Meine nüchterne Bilanz von mehr als 25 Jahren Datenschutz lautet: Wir sind heute auf dem Weg in die totale elektronische Erfassung des Menschen durch Staat und Wirtschaft, auf dem Weg in eine Überwachungsgesellschaft. Die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit, zwischen dem Selbstbestimmungsrecht des Kunden über seine Daten und dem Vermarktungsinteresse der Unternehmen an den Kundendaten ist nicht mehr gewahrt. Die Menschen werden zum Objekt der Überwachung und Vermarktung. War vor 25 Jahren nur vorstellbar, dass der Staat solche Datenmengen elektronisch erfassen und speichern kann, weil der dafür erforderliche technische Aufwand noch so immens war, war also Big Brother nur vorstellbar als der Staat, so erfolgt die Datenerfassung heute in weiten Bereichen durch die Wirtschaft. 3
4 4 Die Schufa speichert heute über 62 Millionen Adress- und Kontendaten volljähriger Menschen in Deutschland. Vermutlich sind dabei die Adressdaten der Schufa aktueller als die der kommunalen Einwohnermeldeämter. Die Telekommunikationsunternehmen speichern sämtliche Verbindungsdaten, die bei der Nutzung von Telefon, Handy und Internet anfallen. Die Suchmaschine Google wertet über 8 Milliarden Webseiten aus und hält mehr als 1 Milliarde Bilder bereit, täglich erfolgen mehrere hundert Millionen Zugriffe. Für den Staat ist die Tatsache, dass die Daten der Bürger nicht mehr von ihm selber erfasst und gespeichert werden, sondern er dies der Wirtschaft überlässt, kein Verlust der Zugriffsmöglichkeit auf diese Daten, denn er hat sich gesetzliche Zugriffsrechte auf diese Daten geschaffen. Es ist keineswegs erwiesen, dass die freiheitsbeschränkenden Kontrollinstrumente ihren erhofften Zweck erfüllen. Unpersönliche Überwachungs- und Registriertechnik differenziert nicht, trifft aber vor allem rechtstreue, unbescholtene Bürgerinnen und Bürger. Der 1. Europäische Datenschutztag muss daher genutzt werden, den Wert der errungenen Freiheitsrechte und Selbstbestimmungsrechte der Bürger wieder zu entdecken und die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit wieder herzustellen. Datenschutz ist unerlässliche Voraussetzung für eine demokratisch verantwortbare Informationsgesellschaft. Die Strukturen der Informationsgesellschaft müssen daher weiterhin auf eine freiheitliche und selbstbestimmte Kommunikation ausgerichtet sein und nicht auf Überwachung. Forderungen des Hamburgischen Datenschutzbeauftragten zum 1. Europäischen Datenschutztag am 28. Januar Datenschutz muss seinem Verfassungsrang entsprechend auch gegenüber neuen gesellschaftlichen Herausforderungen und neuen technischen Entwicklungen und Gefährdungen durchgesetzt werden, um zum Schutz des Persönlichkeitsrechts beizutragen und es dem Einzelnen zu ermöglichen, seine Privatsphäre zu bewahren. 4
5 5 - Sicherheit darf auch im Kampf gegen den Terrorismus nicht absolut gesetzt werden. Ich fordere die Wiederherstellung der Balance von Freiheit und Sicherheit. - Sicherheit darf nicht durch den Abbau von Freiheitsrechten erkauft werden. - Jeder hat grundsätzlich das Recht, sich im öffentlichen Raum unbeobachtet und unerfasst zu bewegen. Deshalb keine Ausweitung der Videoüberwachung im öffentlichen Raum vor einer sorgfältigen unabhängigen und ergebnisoffenen Evaluierung der Videoüberwachung der Reeperbahn. - Keine Videoüberwachung zur gezielten Beobachtung von Hauseingängen, Anwohnern und Wohnräumen. - Keine Videoüberwachung von Mitarbeitern und Arbeitnehmern. - Keine heimliche Videoüberwachung. - Keine Videoüberwachung in Schulen zur Überwachung von Unterricht und laufendem Schulbetrieb. - Keine Ausweitung verdachtsunabhängiger Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen. - Keine Vorratsdatenspeicherung der Telekommunikations-Verkehrsdaten. - Ermöglichung eines anonymen Zugangs zum Internet. - Kein Kredit-Scoring ohne Offenlegung der Datenbasis und der Berechnungsgrundlagen, die in den Score-Wert einfließen. - Keine Telefonwerbung ohne vorherige Einwilligung der Betroffenen. - Keine verdeckte Handy-Ortung von einem Teilnehmer zum anderen. - Kein personenbezogener Einsatz von RFID-Technologie ohne Kenntnis und Einwilligung der Betroffenen. Rückfragen/Kontakt: Hartmut Lubomierski Tel.:(040) (Durchwahl) / (Geschäftsstelle), Fax: Hartmut.Lubomierski@datenschutz.hamburg.de oder: mailbox@datenschutz.hamburg.de 5
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