Urbanisierung und die Entwicklung von Megastädten in Entwicklungsländern
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- Franz Böhm
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1 Otto-Friedrich-Universität Bamberg Geographisches Institut Lehrstuhl I Seminar zur Einführung in die Kulturgeographie WS 07/08 Dr. Tobias Chilla Urbanisierung und die Entwicklung von Megastädten in Entwicklungsländern Elke Schneider elke.marianne.schneider@freenet.de LA Gymnasium 3. Semester
2 Gliederung: A Mumbai - Eine Megastadt zwischen wirtschaftlichem Erfolg und sozialen Disparitäten B Urbanisierung und die Entwicklung von Megastädten in Entwicklungsländern I. Historische Entwicklung 1. Definitionsprobleme 2. Wandel in der räumlichen Verteilung II. Zusammenhang zwischen Urbanisierung und Entwicklung von Megastädten 1. Ursachen für die Entwicklung von Megastädten 2. Entwicklungstrends III. Urbanisierungsvorteile und Urbanisierungsnachteile 1. Chancen der Megastädte 2. Städtische Probleme a) Funktionale Primacy b) Bevölkerungsexplosion c) Ausweitung des informellen Sektors d) Fragmentierung und Marginalisierung e) Ökologische Probleme f) Politische Hindernisse 3. Das Phänomen der Hyperurbanisierung IV. Lösungsansatz einer koordinierten Entwicklung C Ausblick auf die zukünftige Entwicklung
3 A Mumbai - Eine Megastadt zwischen wirtschaftlichem Erfolg und sozialen Disparitäten Heute gilt Mumbai als Indiens modernste Stadt. Angesichts der vielfältigen Aktivitäten in den Bereichen Produktion, Finanzen und Dienstleistungen ist sie die erste indische Stadt, die wirtschaftliche, technologische und soziale Veränderungen durch den sich in Indien verbreitenden Kapitalismus erfährt. [ ] Einerseits ist Mumbai von eklatanter Ungerechtigkeit charakterisiert, andererseits ist es das wichtigste Zentrum für wirtschaftliche Aktivitäten der Region und des Nationalstaates (Beckel 2001: 157). Dieser Gegensatz von Modernität, welche der ehemaligen Stadt Bombay zu ihrem neuen Namen verholfen hat (vgl. Nissel 2004: 60), auf der einen und zahlreichen sozialen Problemen auf der anderen Seite stellt ein großes Problem dar, das Mumbai mit den meisten Megastädten in Entwicklungsländern gemeinsam hat. Unter anderem äußern sich die sozialen Defizite in mangelhaften Wohnbedingungen. Ein großer Teil der Bevölkerung lebt in beengenden Wohnverhältnissen unter sehr schlechten hygienischen Bedingungen. In Mumbai leben beispielsweise mehr als 50% der Bewohner in Slums (vgl. Beckel 2001: 159). Im Folgenden möchte ich nun näher auf die Thematik der Urbanisierung und die Entwicklung von Megastädten in Entwicklungsländern eingehen. B Urbanisierung und die Entwicklung von Megastädten in Entwicklungsländern I. Historische Entwicklung 1. Definitionsprobleme Urbanisierung im engeren Sinn basiert auf der Übernahme städtischer Verhaltens- und Lebensweisen durch die Bevölkerung ländlicher Räume (Fassmann 2004: 51f.). Da dieser Prozess nichts Materielles bezeichnet, spricht man auch oft von qualitativer Verstädterung. Steht zusätzlich die Ausbreitung der städtischen Bevölkerung neben der Übernahme der städtischen Verhaltensweisen im Blickfeld, betrachtet man den Urbanisierungsprozess im weiteren Sinn (vgl. Fassmann 2004: 51f.). Der Begriff Megastadt unterliegt nicht nur einem zeitlichen Wandel in der Größenbewertung, sondern auch dem jeweiligen Betrachtungsmaßstab. Während Bronger zum Beispiel ab einer Mindesteinwohnerzahl von fünf Millionen und einer Bevölkerungsdichte von 2000 Einwohnern/km 2 eine Stadt als Megastadt bezeichnet, erfordert
4 die Definition der UN mindestens acht, jene von Mertens sogar zehn Millionen Einwohner (vgl. Heineberg 2006: 29). Probleme ergeben sich in Entwicklungsländern allerdings vor allem bei der Datenerhebung. Behörden wie statistische Bundesämter oder Einwohnermeldeämter, die in Industrieländern für die genaue Datenerfassung zuständig sind, gibt es hier nicht. Daher können die erforderlichen Daten auch nur auf Schätzungen basieren. Des Weiteren ist es kaum möglich, die Stadtgrenzen und somit die Zuständigkeitsbereiche für die einzelnen Behörden der rasant wachsenden riesigen Megastädte genau festzulegen. Häufig ist es nicht nur eine Stadt, die den Status einer Megacity innehat, sondern ein Agglomerationsraum (vgl. Beckel 2001: 159). Um die Funktion von Megastädten in Entwicklungsländern auf regionaler und nationaler Ebene zu betonen, bezeichnet Nissel (2004: 55) diese als Globalizing Cities, d.h. strategisch wichtige Orte der Globalisierung, die ihre nationalen Territorien und Gesellschaften in globale Prozesse einbringen und schrittweise zu integrieren versuchen. Im Unterschied zu globalen Städten, welche bereits eine immense Größe, jedoch kaum weiteres Wachstum zeigen, sind die Globalizing Cities der Entwicklungsländer als riesige Städte mit raschem Wachstum noch keine für die Weltwirtschaft bedeutenden Zentren, d.h. sie sind nicht von inter- bzw. transnationaler Bedeutung (vgl. Gerhard 2004: 5). Bisher dominieren Global Cities die sog. Triade Nordamerika, Europa und Ostasien, während sich auf der Südhalbkugel kaum Städte mit diesem Status befinden. Sao Paolo, Santiago de Chile und Mexiko City sind jedoch als in Schwellenländern angesiedelte Städte auf dem besten Weg sich zu globalen Städten zu entwickeln (vgl. Gerhard 2004: 9). 2. Wandel in der räumlichen Verteilung Wie neben stehende Grafik zeigt, zeichnet sich seit Mitte des letzten Jahrhunderts ein entscheidender Wandel in der räumlichen Verteilung der Megastädte ab. Während die Megapolisierung bis dahin ausschließlich den Industrieländern vorbehalten war, kehrte sich dieses Verhältnis in den folgenden Jahrzehnten mit abgeschlossener Abb. 1: Anzahl der Megastädte (> 5 Mio. Industrialisierung in den Industrieländern deutlich Einwohner) in Industrie- und Entwicklungs- um: 1950 war mit allmählich einsetzender ländern Industrialisierung in Shanghai erstmalig eine (aus: Heineberg 2006: 36) Dritte Welt-Metropole zur Megastadt
5 aufgestiegen (Bronger 2000: 276). Bereits zwischen 1970 und 1990 wurden beispielsweise die Megastädte London, Paris und Beijing als drei der zehn größten Städte weltweit in ihrem Status als Megastadt von Calcutta, Bombay und Seoul abgelöst (vgl. Fuchs et al. 1994: 22). Abb. 2: Verstädterungsgrad der Staaten 2000 und Megastädte 1950, 1975, 2001 und 2015 (aus: Coy & Kraas 2003: 33) Das Phänomen der Megapolisierung wurde fortan zum Kennzeichen der Entwicklungsländer und der sog. NICs, d.h. der Newly Industrializing Countries, wo sich der Großteil der heutigen Megastädte befindet (vgl. Kraas 2003: 9). Folglich entwickelte es sich demographisch im eingeschränkten Sinn zu einem weltumspannenden Phänomen. Immerhin wurden bis 2000 bereits 28 Staaten mit zusammen 45 Megastädten hiervon erfasst; nur 50 Jahre zuvor hatten lediglich derer fünf existiert: Tokyo, New York, London, Paris und Shanghai (vgl. Bronger 2004: 20). Vor allem in Asien, Afrika und Lateinamerika entwickelten sich bedeutende Megastädte, auch wenn zum Beispiel die Verstädterung Indiens mit 26% im internationalen Vergleich noch verhältnismäßig gering ist (vgl. Stang 2002: 119).
6 Bezüglich der aktuellen Urbanisierungsniveaus liegen erhebliche Unterschiede vor: Die Urbanisierungsraten Lateinamerikas sind mit denen der entwickelten Länder vergleichbar (vgl. Abb. 2). So liegt hier auch der höchste Metropolisierungsgrad aller Kulturkreise (vgl. Bronger 2004: 54). Besonders niedrige Urbanisierungsraten kennzeichnen hingegen Süd-, Ost- und Südostasien, wo auch in den nächsten Jahrzehnten die höchsten Bevölkerungszuwächse erwartet werden (vgl. Abb. 2). Laut einer Prognose sollen sich der bis dahin erwarteten 27 Megastädte mit mehr als zehn Millionen Einwohnern in Asien befinden (vgl. Hall et al. 2000: 5). Gaebe (2004: 23) stellt zusammenfassend eine Tendenz in der Verschiebung der Urbanisierung und speziell der Megastädte aus den Industrieländern in die Entwicklungsländer und aus den mittleren Breiten zum Äquator hin heraus. II. Zusammenhang zwischen Urbanisierung und Entwicklung von Megastädten 1. Ursachen für die Entwicklung von Megastädten Das Phänomen der Urbanisierung und die Entwicklung von Megastädten stehen in Zusammenhang mit der Industrialisierung eines Landes. Durch zahlreiche neue Arbeitsplätze im sekundären und tertiären Sektor, etablieren sich Städte im Zuge der Industrialisierung zu wirtschaftlichen Zentren und deshalb zu Anziehungspunkten für die Bevölkerung, welche einen gewissen sozialen Aufstieg zu erlangen hofft (vgl. Bronger 1996: 303). Da die Industrialisierung in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg weitgehend abgeschlossen war, in den Ländern der Dritten Welt allerdings ganz am Anfang stand, entstanden in den Entwicklungsländern erst seitdem zahlreiche Megastädte (vgl. Kraas 2003: 7). Der demografische Druck, verbunden mit eingeschränkten internationalen bzw. interkontinentalen Migrationsmöglichkeiten, führt dazu, dass in Entwicklungsländern immer mehr und immer grössere [sic!] Städte entstehen (Keiner & Schmid 2003: 50). Die durch anhaltend hohe Geburtenraten und relativ sinkende Sterberaten ausgelöste Scherenöffnung führt in Kombination mit der hohen Migrationsrate zu einer Bevölkerungsexplosion (vgl. Hofmeister 1997: 60f.). 2. Entwicklungstrends Die von der UN verzeichneten ländlichen und städtischen Entwicklungstrends (vgl. Abb. 3) bestätigen die von Bronger (1994:100) aufgestellte Theorie der Rural-Urbanen Bevölkerungsverschiebung in Entwicklungsländern. Im Jahr 1990 lebten in den
7 Entwicklungsländern rund 1,4 Milliarden Menschen in Städten und bis 2030 werden es 3,8 Milliarden sein. [ ] [U]nd noch vor dem Jahr 2020 wird die Mehrheit der Menschen des armen Südens in Städten bzw. Metropolitanregionen wohnen (Keiner & Schmid 2003: 49). Derzeit leben in Megastädten knapp 400 Mio. Menschen, davon 320 Mio. in Entwicklungsländern (Beckel 2001: 18). Im Unterschied zu den Industrieländer-Megastädten mit ihren meist abnehmenden Einwohnerzahlen läuft in den meisten Megastädten der Entwicklungsländer weiterhin ein anhaltender innerstädtischer Verdichtungsprozess ab (vgl. Bronger 2004: 76). Gründe dafür sind unter anderem eine sehr hohe Beschäftigtenquote im Primären Sektor sowie ausgeprägte Einkommensdisparitäten zwischen städtischer und ländlicher Bevölkerung, was ein erhebliches Stadt-Land-Gefälle mit sich zieht (vgl. Bronger 2004: 95ff.). In Industrieländern hingegen gibt es keinen derartig ausgeprägten Unterschied mehr zwischen den Versorgungsniveaus von städtischen und ländlichen Räumen, sondern ein Stadt-Land-Kontinuum. Abb. 3: Ländliche und städtische Entwicklungstrends der IL und EWL (aus: Keiner & Schmid 2003: 49) III. Urbanisierungsvorteile und Urbanisierungsnachteile 1. Chancen der Megastädte Wirtschaftlich nimmt die Megastadt auch heute noch eine überragende Stellung ein. Dies ist zum einen auf eine fortgesetzte Annahme und Weiterentwicklung ökonomischer Innovationen sowohl im produzierenden Gewerbe als auch im tertiären Sektor - und die damit verbundene Diversifizierung der Wirtschaftsstruktur - zurückzuführen. Zum anderen spielen auch wirtschaftliche Rahmenbedingungen eine Rolle, die Sao Paolo gegenüber anderen brasilianischen Metropolen begünstigten und eine Art subkontinentale Global City entstehen ließen. [ ] Die Stadt ist nach wie vor das große Entscheidungszentrum und die Ideenfabrik, was sich wiederum positiv auf die Weiterentwicklung des tertiären und quartären Sektors auswirkt (Wehrhahn 2000: 108/109). Die hier angesprochene wirtschaftliche Vormachtstellung Sao Paolos geht zu einem entscheidenden Teil auf die Innovationsfähigkeit der Megastadt zurück. Diese ist auch für
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