Festrede, Maturafeier/Diplomfeier Kantonsschule Baldegg 2015
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- Nikolas Waltz
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1 Festrede, Maturafeier/Diplomfeier Kantonsschule Baldegg 2015 WAHRHAFTIG, SIE HABEN ES GESCHAFFT! Ihr Ziel ist erreicht. Sie haben Stunden, Tage, manchmal Nächte, viele Jahre investiert. Vielleicht wollten Sie manchmal aufgeben, oder haben daran gezweifelt, ob sie es schaffen; vielleicht haben Sie sich auch einfach treiben lassen. Auf jeden Fall hatten Sie sich ein Ziel gesetzt und Sie haben dieses Ziel nun erreicht. Hierzu gratuliere ich Ihnen, liebe Maturae, liebe Maturi, liebe Diplomierte, aber auch Ihren Angehörigen und Ihren Lehrerinnen und Lehrern sehr herzlich. Mit Ihrer Matura, Ihrem Diplom haben Sie ein wichtiges Kapitel abgeschlossen. Dieses Buch dürfen Sie nun schliessen und Sie sind bereit für neue Kapitel. Zuerst werden Sie sicher feiern und sich freuen. Vielleicht machen Sie auch grosse Ferien. Für Ihren Weg in die grosse, weite Welt möchte ich Ihnen drei Wünsche oder drei meiner Lebensweisheiten mitgeben: 1. Träume für das Wesentliche 2. Mut in Sternstunden, und 3. Lebensfreude für alles Leben. Zum ersten Punkt Träume für das Wesentliche Hierzu eine Frage: Träumen Sie? Ja, ich bitte Sie: Träumen Sie! Alvaro Uribe, ehemaliger Präsident von Kolumbien, war bekannt dafür, dass er die Sicherheitslage im vom Bürgerkrieg geplagten Land verbessert hatte, allerdings auch auf Kosten der Menschenrechte. Er war gerade 10 Jahre alt, als man ihn gefragt hat, was er denn später sein wolle. Seine Antwort: Yo seré el presidente de la república. 1 Patrick Renz, Direktor Fastenopfer
2 Eine unglaubliche Zielgerichtetheit. Sogar sein Bruder müsse auf dieselbe Frage geantwortet haben, dass er der Bruder des Präsidenten sein werde. Oder das Beispiel eines aktuellen Traums aus der Schweiz: Jaqueline Straub, Theologiestudentin, die sagt Ich will katholische Pfarrerin werden. Daran arbeitet sie. Sie gibt sich 20 Jahre. Somit vielleicht ein realistischer Traum! Und Sie? Was träumen Sie? Wo werden Sie in 20 Jahren stehen? Wo wollen Sie in 20 Jahren stehen? Das ist 2035! Oder was ist 2045, dann sind sie etwa so alt wie ich heute (und werden sich überhaupt nicht alt fühlen)? Und meine Frage ist natürlich nicht, ob Sie Geld haben wollen, oder Ruhm. Das sind Mittel, aber nicht Zwecke. Träumen Sie vom Wesentlichen! Damit Sie nicht in diese materielle Falle tappen, gebe ich Ihnen eine kleine Hilfe in Form einer sehr provokativen Frage: Was sollte einmal auf Ihrem Grabstein stehen? Ich habe mir diese Frage gestellt. Nach 8 Jahren bei einer grossen amerikanischen Firma, welche unter anderem Seife und Waschmittel verkaufte. Ich stand an einer Wegkreuzung. Ich hatte bereits viel erreicht, eine regionale Verantwortung für ganz Südamerika, und dabei fünf Jahre in Lateinamerika Venezuela, Argentinien und Brasilien gelebt, ein alter Traum von mir. Aber wie sollte es nun weitergehen, wohin führte mich dieser Weg? Die Frage mit dem Grabstein erlaubte mir, sehr ambitiös, eigentlich verrückt zu denken. Was wenn ich CEO dieser grossen Firma würde, wenn ich zudem total erfolgreich wäre? Dann würde man vielleicht draufschreiben: er war der beste Seifenverkäufer der Welt, der beste CEO, er hat den Marktanteil von Seife von 31% auf 75% gesteigert. Sie verstehen, was ich meine! Es braucht Seife auf dieser Welt; aber ich merkte: das ist nicht mein Ding und ich musste jenes Buch schliessen um offen zu sein für etwas Neues. 2 Patrick Renz, Direktor Fastenopfer
3 Also träumen Sie vom Wesentlichen, damit schaffen Sie ihre Zukunft. Und träumen Sie nicht von der materiellen Zukunft, sondern von der, wo Sie mit ihrer Einzigartigkeit einen wichtigen Beitrag machen können. Zum zweiten wünsche ich Ihnen Mut in Sternstunden Man könnte auch sagen, Mut für die kommenden Prüfungen im Leben. Sie erhalten heute das Zeugnis für viele Jahre Arbeit: Sie haben gelernt, Sie wurden auf die Probe gestellt, meistens konnten Sie sich vorbereiten, manchmal auch nicht. Vielleicht möchten Sie nie mehr Prüfungen schreiben. Aber jetzt sind Sie doch Profis darin; Sie haben bewiesen: ich kann eine Prüfung erfolgreich absolvieren! Also: nehmen Sie diese Kraft und diese Kenntnisse mit. Denn das Leben selbst bietet viele Prüfungen. Manch eine Prüfung kommt unangekündigt und fordert uns ganz besonders heraus. Ein Beispiel: Vor etwa 15 Jahren wurde ich von einer deutschen IT-Firma als Chef der amerikanischen Niederlassung nach New York gesandt. Im Verlauf der Zeit merkte ich, dass es mein Vorgänger mit dem Gesetz nicht so genau genommen hatte: So hatte er Lebensläufe von Südafrikanern beschönigt, um für sie ein Visum als Spezialisten zu erhalten. Schmiergelder waren auch ein Thema. Ich wollte aufräumen, klaren Tisch machen. Bald merkte ich aber, dass das deutsche Mutterhaus meine Anstrengungen nicht wirklich unterstützen und lieber wegschauen wollte. Ich war in einem grossen ethischen Dilemma: Augen zu und weiter so oder meinen Job hinlegen und stellenlos werden, im Ausland, in einem wirtschaftlich schwierigen Moment? Ich habe meinen Job hingelegt. Ich wollte guten Gewissens in den Spiegel schauen können. Ich war sechs Monate arbeitslos, aber ich habe es nie bereut. Heute, als Direktor des Fastenopfer habe ich das, was für mich eine Traumaufgabe ist: Mich mit Kreativität und immer wieder neuen, innovativen Ideen für Gerechtigkeit auf der Welt einsetzen. Und da, habe ich da keine Prüfungen mehr? Ganz im 3 Patrick Renz, Direktor Fastenopfer
4 Gegenteil. Fastenopfer hat vor einem Jahr eine grosse Analyse zu Umweltverschmutzung und Menschenrechten der Firma Glencore im Kongo veröffentlicht. Einige Tage vorher musste ich entscheiden: publizieren oder nicht auch wenn Glencore mit Anwaltstiraden gedroht hat? Ziehe ich den Kopf ein vor einem Giganten, wenn ich gleichzeitig sehe, wie in unseren Hilfsprojekten Leute unter illegalen Geschäftspraktiken anderer leiden oder gar umkommen? Diese Entscheidung war auch eine Sternstunde in meinem Leben. Der Bericht wurde publiziert. Im Grossen wie im Kleinen: Zeigen Sie Mut! Gehen Sie zu dem Mann hin, der im Bahnhof am Boden liegt; halten Sie inne, um der Frau mit dem Blindenstock den Weg zu weisen. Packen Sie den Stier bei den Hörnern, in grossen wie kleinen Sternstunden. Matura, Mature! Zum Dritten wünsche ich Ihnen Lebensfreude. Lebensfreude für alles, was Leben heisst Junge Personen haben eine besondere Begabung eine Begabung, die ansteckt. Sich freuen, feiern, festen auch über nicht lustige Pointen lachen. Sie stecken an und können damit etwas bewirken. Je mehr Sie dabei hinausgehen und nicht im stillen Kämmerlein bleiben, desto mehr können Sie bewirken. Lassen Sie sich vom Leben berühren, dann berühren Sie auch weiteres Leben. In speziellem Masse sehe ich das bei meinem kleinen Sohn, knapp 10-monatig. Wie er strahlt und jauchzt ob des Geräusches, während er mit dem Plastikbecher auf dem Tisch rumhaut. Diplomiert zu sein, Maturus sein, Matura sein heisst nicht, die Lebensfreude aufgeben! Im Gegenteil, suchen Sie die wahre Lebensfreude immer wieder. Sicher differenzierter als mein Sohn. Aber möglichst so, dass Sie mit Ihren Ideen, Idealen und Aktionen andere anstecken können. Denn die Freude am Leben soll Freude für 4 Patrick Renz, Direktor Fastenopfer
5 alles Leben sein, nicht nur für die eigenen Freuden. Lebensfreude an allem, was Leben heisst. Ein sehr aktuelles Beispiel: Gestern hat Papst Franziskus seine langangekündigte Enzyklika, das ist ein päpstliches Rundschreiben, zur Umwelt veröffentlicht. Er ruft nicht einfach dazu auf, den CO2 Ausstoss zu reduzieren und technische Massnahmen voranzutreiben. Er sagt, bei Ökologie gehe es um die Sorge für unser Haus, die Erde. Ökologie des Menschen und der Umwelt gehören zusammen. Es gehe um das Leben schlechthin. Und wir alle hätten Verantwortung für dieses Leben, auch für die zukünftigen Generationen. Wenn ich Ihnen also Lebensfreude wünsche, dann wünsche ich Ihnen, dass Sie sich heute freuen und ausgelassen feiern können. Ich wünsche Ihnen auch eine weise und weitsichtige Freude am Leben aller, am Leben in der Welt, in der Umwelt. Das bedeutet zunehmend Verantwortung zu übernehmen und hierzu sind Sie nun sehr gut vorbereitet. Und wenn Sie das mit jugendlicher Freude tun, stecken sie viele an! Liebe Maturi, liebe Diplomierte, liebe Maturae Ich gratuliere Ihnen sehr herzlich zu diesem Höhepunkt; Sie haben viel geleistet. Das Leben liegt vor Ihnen! Gehen Sie es an: 1) Träumen Sie vom Wesentlichen 2) Haben Sie Mut in Sternstunden 3) Und Lebensfreude für alles Leben! 5 Patrick Renz, Direktor Fastenopfer
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