Todesangst im Lager und im Geheimdienst-Knast
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- Tristan Heidrich
- vor 7 Jahren
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1 Eschweiler Zeitung Todesangst im Lager und im Geheimdienst-Knast Die lange Flucht des Abad Alnaser Ashoor wird zu einer Szenerie des Grauens. Palästinenser aus Flüchtlingslager in Damaskus muss Unmenschliches erdulden. Jetzt hofft er in Eschweiler darauf, seine Familie hier gesund wiederzusehen. Von Rudolf Müller Eschweiler. Es war das pure Grauen, das Abad Alnaser Ashoor erleben musste. Der heute 44-Jährige wollte gerade ins Auto steigen, um aus einem Lager in Damaskus zu fliehen, als in unmittelbarer Nähe eine Bombe detonierte. Sechs Menschen starben, Ashoor erlitt Verletzungen am Bein. Rundum lagen zerfetzte Körper. Mein Auto war mit Knochensplittern und Fleischresten übersät. Sein Frau und ihre drei Kleinkinder mussten das alles mit ansehen. Ashoor ist Palästinenser flüchteten seine Eltern nach Syrien. Seither war Al Yarmouk, ein riesiges Flüchtlingscamp in Damaskus, ihr zu Hause. Anfangs lebten sie in Zelten. Später gab es von den Vereinten Nationen Baumaterial aus den Zelten wurden Häuser. Ashoor wurde dort geboren. Bis zu Menschen, fast alles Palästinenser, waren dort untergebracht.
2 Von Damaskus zum Stich: Hier haben Abad Alnaser Ahoor und Söhnchen Hamza ein vorläufiges Zuhause gefunden. Foto: Rudolf Müller Anfang April 2015 wurde Al Yarmouk von IS-Extremisten eingeschlossen und von der Versorgung abgeschnitten das Stadtviertel wurde zum Todeslager. Wer außerhalb angetroffen wurde, der wurde sofort erschossen, berichtet Ashoor. Der Tod drohten von beiden Seiten: Den Terror des IS beantworteten Regierungstruppen mit Bomben, die auch die Zivilbevölkerung trafen. Überall wurden Menschen getötet. Zwei seiner Cousins wurden erschossen, zwei weitere verhaftet von ihnen fehlt bis heute jedes Lebenszeichen. Auch viele von Ashoors Freunden wurden erschossen. Wie viele? Sehr viele.
3 Abad Alnaser Ashoor in Syrien mit drei seiner Kinder: Inzwischen ist der 44-Jährige Sechsfacher Vater. Gemeinsam mit Söhnchen Hamza gelang ihm im November die Flucht vor den Bomben. Jetzt hofft er auf Asyl und Familienzusammenführung. Zurück durchs Kriegsgebiet Ehe der IS kam, hatte sich Ashoor im Camp eine Existenz aufgebaut. Einen Telekommunikationsladen. Er hatte Glück: Noch vor den Angriffen der Terrormiliz war es ihm gelungen, das Lager zu verlassen. Seine Frau Baraa, die schwanger war, schickte er in den Libanon, wo sie Familie hatte. Mit der übrigen großen Familie Brüder und Onkel samt Anhang schlüpfte er in einem Zimmer im Stadtzentrum von Damaskus unter 20 Personen in einem Raum. Von hier aus besuchte er häufig seine Frau im Libanon. Noch war die Grenze offen. Das änderte sich bald. Ashoor, Ehemann von zwei Frauen, und inzwischen Vater von fünf Kindern, versuchte, mit Ehefrau Sherin nach Jordanien zu fliehen. Aber Jordanien wollte keine Palästinenser. Sie wurden zurückgeschickt. Mitten durchs Kriegsgebiet. Ashoor zog es zur libanesischen Grenze. Überqueren durfte er sie nicht. Aber er schlief neben dem Grenzzaun, in der Hoffnung, die Grenze würde geöffnet und er könne seinen inzwischen geborenen Sohn Hamza erstmals in die Arme schließen. Tag für Tag hoffte er beim Wachwechsel der Grenzposten, einer von ihnen zeige Menschlichkeit und ließe ihn zu seinem Kind. Vergebens. Mörderisches Gefängnis Baraa lebte im Libanon mit ihren Kindern in der gleichen Situation wie Ashoor in Damaskus: 20 Leute in einem Raum. Ohne Perspektive. Sie kehrte zurück nach Syrien. Hamza war sechs Monate alt, als Ashoor seinen Sohn zum ersten Mal sah. Der 44-Jährige fand einen Job als Fahrer. Immer, wenn ich zur Arbeit ging, quälte mich der Gedanke, ich würde nicht zurückkommen. Oder ich würde meine Familie tot vorfinden. Tagtäglich fielen Bomben, starben Menschen, wurden Autos und Häuser zerstört. Das Leben war unerträglich. Ständig gab es Verhaftungen, alle paar Meter wurde man kontrolliert, attackiert, beleidigt. Die Polizisten suchten nur nach dem geringsten Vorwand, einen zu verhaften.
4 Lire Monatslohn verdiente Ashoor als Fahrer. Das sind etwa 60 Dollar. Für das Zimmer, in dem er mit seiner Familie hauste, bezahlte er Lire. Noch heute kommen dem sonst so fröhlichen Mann die Tränen, kann er kaum sprechen, wenn er an die Zeit zurückdenkt: Manchmal mussten wir Mülltonnen durchwühlen, um etwas zu essen zu finden. Ashoor beschloss, zu fliehen. Allein mit Söhnchen Hamza. Für die ganze Familie wäre der Weg durch teils vom IS, teils von Regierungstruppen kontrolliertes Kriegsgebiet zu gefährlich gewesen. Und die Hilfe von Schleusern unbezahlbar. Ashoors einzige Hoffnung: Europa erreichen und durch offizielle Familienzusammenführung wieder mit seinen Lieben vereint zu werden. Die Busfahrt von Damaskus zur türkischen Grenze endete abrupt: Er wurde verhaftet. Unter dem Vorwurf, sich als Palästinenser dem IS anschließen zu wollen. Sohn Hamza wurde von einer Mitreisenden zu Ashoors Verwandten nach Damaskus zurückgebracht. Ashoor landete im Gefängnis. Im berüchtigten Fir Filastin des syrischen Geheimdienstes. Ein Rattenloch schlimmster Art: 80 Männer waren hier in Unterhosen in eine 30-Quadratmeter-Zelle gequetscht, ohne Licht, ohne Sonne, mit Läusen, einem Loch im Boden als Toilette und einem Eimer Wasser: zum Waschen nach der Toilette wie auch zum Trinken. Zum Frühstück gab es pro Gefangenem drei Oliven, zu Mittag zwei Löffel Reis, am Abend zwei Kartoffeln für je 20 Personen. Wenn es Brot gab, war es verschimmelt. Schlafen ging meist nur im Stehen. Ashoor nahm in 50 Tagen 18 Kilo ab. Zuvor war er vier Tage in einem anderen Gefängnis gewesen: Dort habe ich gesehen, wie Menschen misshandelt wurden, wie Aufseher ihre Knochen zerschlagen haben. Menschen sind vor meinen Augen gestorben. Nachts bekam man wegen der Schmerzensschreie der Mitgefangenen kein Auge zu. Er selbst sei nicht geschlagen worden. Wenn das passiert wäre, hätte ich alles gesagt, was die hätten hören wollen. Nach insgesamt sechs Monaten kam Ashoor vor einen Richter. Dem habe ich gesagt, dass ich mit dem IS nichts zu tun habe, sondern nur weg wollte, nach Europa. Der Richter sprach ihn frei. Ashoor kam zurück zu seiner Familie. Und sammelte Geld für einen erneuten Fluchtversuch. Am 7. November vergangenen Jahres war es soweit: Ashoor und Hamza kamen mit Hilfe eines Schleusers auf dem Luftweg an die türkische Grenze. Für Syrer war es noch möglich, über den Libanon in die Türkei zu fliegen. Palästinensern blieb dieser Weg versperrt: Wir dürfen weder in den Libanon, noch nach Jordanien, noch in die Türkei einreisen. Angst im Schlauchboot Ashoor und Hamza warteten vier Tage an der türkischen Grenze, versuchten jede Nacht mehrmals, sie zu überqueren. Der Weg war dunkel, steinig. Lampen konnten sie nicht nutzen, das Licht hätte sie verraten. Hamza stürzte immer wieder, hatte über und über Blessuren. Am vierten Tag wurde es Ashoor zu viel: Er wollte zur türkischen Polizei und ihr, in der Hoffnung auf die Möglichkeit zum Grenzübertritt, Informationen über zwei türkische Gefangene geben, die ohne jeden Kontakt zur Außenwelt im Fir-Filastin-Gefängnis saßen. Als Ashoor zum Wachhaus der Grenzer
5 kam, erlebte er eine Überraschung: Es war leer. Ashoor und Hamza waren in der Türkei. Ein Bauer gab ihnen zu essen und zu trinken, wies ihnen den Weg. Kurz darauf griff die Polizei sie auf. Doch statt zurück nach Syrien brachten die Polizisten sie ins südostanatolische Kilis, Von dort reisten sie weiter: quer durchs Land ins fast 1200 Kilometer entfernte Izmir. Ein Schleuser verschaffte ihnen einen Platz auf einem Schlauchboot. Wir waren 60 Leute, die Frauen saßen innen, die Männer auf dem Bootsrand. Ich hatte Hamza die ganze Zeit fest im Arm. Das Boot war so voll, dass wir uns kein bisschen bewegen konnten. Die Frauen weinten, die Kinder schrien. Alle hatten Angst, berichtet Ashoor. Zwei Stunden dauerte die Überfahrt bis Mytilini, wo Griechen die Flüchtlinge mit Essen und Getränken empfingen. Alle waren sehr menschlich, sehr hilfsbereit, berichtet Ashoor. Zum ersten Mal seit Jahren habe ich mich sichergefühlt. Von Mytilini ging s per Schiff nach Athen, von dort mit Bussen weiter nach Mazedonien. Über die Grenze zu kommen war kein Problem. Der Weg war frei, Polizei, Bevölkerung und Organisationen halfen den Flüchtlingen weiter. Traum vom normalen Leben Ashoor und Hamza kamen nach München, verbrachten eine Nacht in einer Notunterkunft und wurden von dort direkt nach Eschweiler gebracht. Am 19. November kamen sie in der Jahnhalle an. Zwei Monate später konnten sie eine Wohnung am Stich 30 beziehen. Jetzt hoffen Ashoor und der dreijährige Hamza, dass es mit dem Asylantrag klappt und sie dann die Familienzusammenführung beantragen können. Eine illegale Einreise seiner Familie, zu der Ashoor ständig über What s App Kontakt hält, ist zu gefährlich. Die Grenzen sind dicht. Bis sich sein Status als Asylbewerber ändert, ist Ashoor zum Nichtstun verurteilt. Schlafen, essen, herumsitzen, sich mit seinem Sohn beschäftigen, der inzwischen den Kindergarten an der Johanna-Neuman-Straße besucht viel mehr kann er nicht tun. Ich würde gerne Deutsch lernen und arbeiten, sagt er. Aber das darf er nicht. Ich würde auch ohne Bezahlung arbeiten, um mich hier zu integrieren, sagt er. Die Menschen in Eschweiler findet er sehr nett und sehr hilfsbereit. Und findet nicht nur die Angebote der Tafel und der Kleiderkammern sehr hilfreich. Auch den Einsatz der Ehrenamtler findet er klasse: Dass die so viel mit Kindern unternehmen, das ist einfach toll! Weniger toll ist seine derzeitige Wohnsituation am Stich: Die Unterkunft dort ist für die Bedürfnisse eines Kleinkinds wenig geeignet. Die Migrationsberater der Arbeiterwohlfahrt sind derzeit auf der Suche nach einer geeigneteren Wohnung. Einer, von der aus er seinen Traum verwirklichen kann: seine Familie wieder in die Arme schließen, Arbeit finden und ein normales Leben in Frieden führen. Rundum lagen zerfetzte Körper. Mein Auto war mit Knochensplittern und Fleischresten übersät. Abad Alnaser Ashoor Manchmal mussten wir Mülltonnen durchwühlen, um etwas zu essen zu finden.
6 Abad Alnaser Ashoor
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