S Ü D W E S T R U N D F U N K F S - I N L A N D R E P O R T MAINZ S E N D U N G:

Transkript

1 Diese Kopie wird nur zur rein persönlichen Information überlassen. Jede Form der Vervielfältigung oder Verwertung bedarf der ausdrücklichen vorherigen Genehmigung des Urhebers by the author S Ü D W E S T R U N D F U N K F S - I N L A N D R E P O R T MAINZ S E N D U N G: Lohn der Angst: Wie gut sind Arbeiter in Atomkraftwerken vor Strahlung geschützt? Autor: Thomas Reutter Gottlob Schober Kamera: Heiko Bokern Jupp Tautfest Ulrich Hohensee Schnitt: Annette Bohr Moderation Fritz Frey: Nach der Katastrophe von Fukushima herrscht Ausnahmezustand. Die Angst vor der radioaktiven Strahlung geht um. Erst heute wurde die Evakuierungszone erneut ausgeweitet. Aber auch im Normalbetrieb von Atomkraftwerken können Menschen mitten in Deutschland verstrahlt werden. Besonders gefährdet: Die, die in Atomkraftwerken arbeiten. Die von Kraftwerk zu Kraftwerk ziehen, um diese zu reinigen. Zu dekontaminieren, also von Strahlung zu befreien, damit sie dann ordnungsgemäß gewartet werden können.

2 2 Einer von ihnen war Bernd Maaß. Thomas Reutter und Gottlob Schober sind seinem Schicksal nachgegangen. Bericht: Bernd Maaß war ein gesunder, lebenslustiger Mann. Sieben Jahre reinigte er Atomkraftwerke, bundesweit. Dann wurde er schwer krank. Ende 2009 starb er. Die Witwe erinnert sich. Frage: Leukämie?»Ich hab mir immer Sorgen gemacht. Hab s nur immer wieder verdrängt. Er hat zu mir gesagt: Du brauchst Dir keine Sorgen zu machen. Dann haben wir im Dezember doch die Nachricht bekommen, hat der Arzt uns das eröffnet. Herr Maaß Sie haben die AML.Leukämie, die aggressive, und da war mir klar, ganz eindeutig, das hat er durch seine Arbeit bekommen.«blutkrebs, weil er im Atomkraftwerk gearbeitet hat? Bernd Maaß säuberte das Innere in 12 deutschen Atomkraftwerken. Wo immer Revisionen, also Überprüfungen und Wartungen, anstanden er wurde eingesetzt.»er hat als Dekonter gearbeitet. Das heißt, dass er, wenn die Kernkraftwerke abgestellt waren, die Reinigungsmaßnahmen vorgenommen hat. Das heißt, in größeren Bereichen mit den Putzmaschinen durchgefahren ist.«ist er deshalb an Leukämie erkrankt? Darüber gibt es Streit. Die Krankheit komme mit nur 20-prozentiger Wahrscheinlichkeit von der Strahlung, meint die Berufsgenossenschaft. Ein aktuelles Gutachten der Universitätsmedizin Göttingen aber stellt jetzt fest, dass die Radioaktivität eine wesentliche Ursache für die Entstehung der Leukämie war. Der Fall ist vor Gericht.

3 3 Überprüfungen wie diese finden regelmäßig statt. Doch der Zeitdruck für das Personal wachse ständig. So gab es Bernd Maaß der Berufsgenossenschaft zu Protokoll: Zitat:»Manchmal musste es schnell gehen, da habe man auf die Schutzmaske verzichtet. Die Kraftwerksbetreiber hätten einen sehr engen Zeitplan für die jeweiligen Arbeiten. Da gehe nicht immer alles nach Vorschrift zu.«das berichtet uns auch ein Insider, der lange Jahre bei Revisionen gearbeitet hat. Er möchte nicht erkannt werden, weil er bis heute im Umfeld eines großen Stromkonzerns arbeitet. Er bestätigt: O-Ton, Insider, Stimme nachgesprochen:»dass ganz einfach unter erhöhtem Zeitdruck gearbeitet wird. Der Arbeitsumfang ist der Gleiche. Das ist mir selbst bei meiner Tätigkeit auch mal so geschehen, dass ganz einfach ein Raumbereich freigegeben war, für eine Inspektion, der aber wesentlich höherer Strahlung und auch Kontaminationen an der Oberfläche von Komponenten aufwies, als es eigentlich zulässig war.«werden Sicherheitsvorschriften aus Zeitnot nicht eingehalten? Sylvia Kotting-Uhl, die atompolitische Sprecherin der Grünen- Bundestagsfraktion bestätigt den Vorwurf. O-Ton, Sylvia Kotting-Uhl, B 90 / Grüne, Atompolitische Sprecherin:»Nach meinem Kenntnisstand haben sich die Arbeitsabläufe, gerade bei den Revisionen massiv verkürzt. Wenn die Arbeitsabläufe unter Zeitdruck immer schneller werden müssen, dann führt das natürlich schon mal dazu, dass man zum Beispiel eine Atemschutzmaske vergisst anzulegen oder dass auch andere Dinge einfach außer Acht gelassen werden, in dem Tempo, das auch da vorherrscht, und das führt natürlich zu höherer Gefährdung.«Setzen die Betreiber ihre Mitarbeiter gefährlich unter Zeitdruck? E.on, EnBW, Vattenfall und RWE bestreiten das gegenüber

4 4 REPORT MAINZ. Alle Vorschriften und Grenzwerte würden eingehalten. Dennoch, unser Insider ist davon überzeugt, die Strahlung hat seine Prostata krankhaft vergrößert. Sein Strahlenpass alle Werte liegen unterhalb des Grenzwertes. Aber in einem kurzen Zeitraum hat er eine außergewöhnliche hohe Strahlendosis abbekommen. Wie ging der Betreiber damals mit ihm um? O-Ton, Insider, Stimme nachgesprochen:»ich kam mir erniedrigt vor, so wie man dann auch von Seiten des Strahlenschutzleiters mit mir umgegangen ist. Ich war aufgeregt und hatte auch Angst. Ganz einfach Angst. Und der hat mich nur angefahren, ich solle mich nicht so anstellen, soll mich nicht so haben. Ich kam mir da also schon ganz klein und ganz arm vor. Da habe ich mich sehr verheizt gefühlt.«wir halten fest: Obwohl die Grenzwerte eingehalten wurden, erkrankten sowohl unser Informant als auch Bernd Maaß. Wir zeigen Sylvia Kotting-Uhl das Gutachten der Universitätsmedizin Göttingen zur Leukämie von Bernd Maaß. O-Ton, Sylvia Kotting-Uhl, B 90 / Grüne, Atompolitische Sprecherin:»Die Grenzwerte für diese Berufsgruppe fußt auf der Annahme, dass eine chronische Dosis nur halb so gefährlich ist wie eine akute Dosis, und das hat zu einem Grenzwert von 20 Millisievert im Jahr geführt. Es gibt keine Begründung reeller Art dafür, und es mehren sich die Zweifel an diesen Annahmen. Ich fordere, die Grenzwerte für die Menschen, die beruflich der Strahlenexposition ausgesetzt sind, um die Hälfte abzusenken.«die Betreiber beteuern, sie unternähmen alles, um das Strahlenrisiko für das Personal zu minimieren. Dabei könnte die Strahlenbelastung für die Mitarbeiter viel stärker reduziert werden, meint Christian Küppers. Er ist Mitglied der Strahlenschutzkommission des Bundesumweltministeriums und Experte beim Öko-Institut. O-Ton, Christian Küppers, Strahlenschutzexperte:»Man könnte Systeme, an denen gearbeitet werden soll, also Rohrleitungssysteme könnte

5 5 man vorher spülen, um Radioaktivität auszutragen. Würde auch eine Weile dauern und ein wenig Aufwand bedeuten, aber technisch machbar wären einige Dinge.«Man mache das, sagen die Betreiber. Aber eben nicht routinemäßig, entgegnet Christian Küppers, und zwar aus einem einfachen Grund: O-Ton, Christian Küppers, Strahlenschutzexperte:»Ja, es kostet Zeit. Es bedeutet einen längeren Stillstand der Anlage, ein Verdienstausfall, also unter ökonomischen Aspekten wird dann eben abgewogen gegenüber dem Strahlenschutz.«Was also muss getan werden? Bernd Maaß hat kurz vor seinem Tod klare Forderungen hinterlassen.»und dann war für ihn wichtig, dass alle anderen, die in Kernkraftwerken arbeiten, dass die es für die Zukunft besser haben als er, dass die besser geschützt werden. Dass die Betreiber langsam wach werden müssen und ein bisschen was tun müssen für die Sicherheit ihrer Mitarbeiter und nicht nur an den Profit denken.«