Die Angst vor gar niemand
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- Christina Beyer
- vor 7 Jahren
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1 INKLUSIVE Zentralrat der Juden nimmt Muslime in Schutz so. REPORTAGE Das Feindbild der Pegida-Demonstranten ist der radikale Islam, doch sie gehen in einer Stadt auf die Straße, in der es kaum Muslime gibt. Ein Besuch bei den 0,1 Prozent den Muslimen von Dresden. VON ANN-KATHRIN SEIDEL (TEXT) UND CAROLA FRITZSCHE (FOTOS)
2 v V v v v v v v Durch den Lautsprecher findet die Stimme des Imams den Weg in den zweiten Stock. Brigitte Mittag richtet ihren Blick in die Zimmerecke rechts neben der Tür. Dorthin, wo Mekka liegt, 4000 Kilometer von Dresden entfernt. Ihr silbergraues Haar hat die 73-Jährige komplett mit einem roten Tuch mit ägyptischen Motiven bedeckt. Ihre Füße stecken in leichten Slippern, die in den weichen Teppichboden des Zimmers einsinken. Allahu Akbar, hebt die Stimme an. Mittag beugt sich vor, die Handflächen liegen auf ihren Oberschenkeln. Das Freitagsgebet hat begonnen. Illustrationen: Fotolia Hier sind sie also: Die 0,1 Prozent der Bevölkerung Dresdens, die dem muslimischen Glauben angehören. Jene Menschen, die jeden Montag seit zehn Wochen die Überfremdungsfantasien von Tausenden, mittlerweile Zehntausenden Pegida-Demonstranten in Wallungen bringen. Obwohl Ostdeutschland so etwas wie die Terra incognita der deutschen Muslime ist: Von den 4,5 Millionen, die schätzungsweise in Deutschland leben, wohnen nur zwischen und in den neuen Bundesländern, Berlin einmal ausgenommen. In Sachsen sind es laut Innenminister Markus Ulbig etwa 4000 Gläubige. In Dresden sind viele davon Studierende ZUM GEBET Brigitta Mittag ist vor 13 Jahren zum Islam konvertiert. Jeden Freitag kommt sie ins Islamische Zentrum, eine der drei Moscheegemeinden in Dresden.
3 v v V v v v v v an der Technischen Universität, die nicht unbedingt in die Moschee gehen. Zusammengenommen haben die drei Moscheegemeinden weit weniger als tausend Mitglieder. Nach dem Gebet zieht Mittag mit einem Kamm ihren Pony gerade, legt dann das Tuch wieder darüber, sodass nur die Haarspitzen zu sehen sind. Das Islamische Zentrum, in dem sie jeden Freitag betet, ist ein fader Backsteinbau mit zugigem Treppenhaus zwischen dem Bahndamm Richtung Radebeul und der Elbe, Autohäusern und Datschen. Ich bin eine gebürtige Dresdenerin, sagt Mittag in feinstem Sächsisch. Mit dem Islam ist sie durch den Beruf ihres Mannes in Berührung gekommen. Der hatte zu DDR-Zeiten in arabischen Ländern gearbeitet. Nach seinem Tod fand sie im Islam eine neue Heimat hat sie die Schahada gesprochen, die Worte des muslimischen Glaubensbekenntnisses, und ist seitdem Muslima. Es ist überflüssig zu sagen, dass Frau Mittag nicht auf der Seite des Islamischen Staats steht. Sie will es trotzdem sagen. Eine freundliche, ältere Dame, die sich von Terroristen im Nahen Osten distanziert, das ist die erste Begegnung MUSLIME AUS ALLER WELT Die Umgangssprachen in der Moschee sind Arabisch und Deutsch. An hohen Feiertagen wird die Predigt auch auf Englisch gehalten.
4 v v v V v v v v mit Muslimen in Sachsen. Und dann sagt Brigitte Mittag noch etwas: Ich will diese Pegida-Leute nicht verurteilen. Wissen Sie, ich kann sie ja sogar ein wenig verstehen. Sie haben ihr Vertrauen in die Politik verloren, und viele junge Leute sind arbeitslos. Sie sei eben auch Dresdenerin und wisse, wie die Frustration über die da oben seit Jahren wachse. Aber der Hass auf die Muslime? Ihr Kopftuch lege sie mittlerweile ab, wenn sie in Dresden unterwegs sei, gibt Mittag zu. Man muss ja nicht provozieren, sagt sie. Andere Dresdener Muslime können nicht derart in der Masse der Sachsen untergehen. Khaldun Al Saadi hat die schwarzen Haare und den dunklen Teint von seinem Vater geerbt, der aus dem Jemen stammt. Ich war immer derjenige, der,von woandersher kam, sagt der 24-jährige Sprecher des Islamischen Zentrums. Dabei ist Al Saadi in Chemnitz zur Welt gekommen, im Jahr der deutschen Wiedervereinigung. Wir wohnten in Limbach-Oberfrohna, ich war der einzige Moslem weit und breit. Ich war immer ein Einzelkämpfer, sagt Al Saadi. So geht es vielen Muslimen hier: Dir steht niemand bei, wenn dich wieder jemand fragt, warum die Muslime dies oder das getan haben. Muslimische Bevölkerung In ganz Deutschland leben etwa 4,5 Millionen Muslime, rund 5 Prozent der Bevölkerung. In Berlin leben etwa Muslime, 6,5 Prozent der Bevölkerung. In Sachsen leben rund 4000 Muslime, etwa 0,1 Prozent der Bevölkerung. Quelle: Bundesamt für Statistik
5 v v v v V v v v Nun also Pegida. Wir sind in großer Sorge. Unserer Meinung nach baut sich da ein Gefahrenpotenzial auf nicht unbedingt durch die Organisatoren, die eine offensichtliche Ausrichtung haben, sondern vor allem durch die ideologisierten Spektren in der Teilnehmerschaft, sagt Al Saadi. In die Angst mischt sich auch ein anderes Gefühl: Hilflosigkeit. Die islamischen Gemeinden im Dresden müssten sich sehr bemühen, um in der Stadt angenommen zu werden, sagt Al Saadi. Man habe sich so oft distanziert, so oft sei Bevor man nun aber über Gefühle der Dresdener Muslime zu den Pegida-Demonstrationen erzählen will, muss man sich noch an ein anderes Ereignis erinnern: den Mord an Marwa el-sherbini. Im Juli 2009 wurde die junge Ägypterin von dem Russlanddeutschen Alex Wiens im Amtsgericht Dresden erstochen schwanger und vor den Augen ihres Sohnes Mustafa. Es ging um ein kleineres Delikt, der Angeklagte hatte el-sherbini auf einem Spielplatz beschimpft. Nach ihrer Aussage im Berufungsverfahren ging Wiens mit einem Messer auf sie los. Der Fall el-sherbini ist für viele Dresdener Muslime zum Symbol geworden ähnlich wie deutschlandweit die Mordserie der NSU-Terroristen. BITTE SCROLLEN
6 v v v v v V v v ne gemäßigte Haltung unterstrichen, aber es scheint nichts anzukommen. Im September 2014 war die älteste Moscheegemeinde Dresdens Thema des ZDF-Fernsehmagazins Frontal 21 : Im Islamischen Zentrum hätten während des Ramadans zwei nach Syrien ausgereiste Salafisten gebetet und übernachtet, hieß es. Außerdem soll die Gemeinde finanzielle und ideologische Verbindungen zur Muslimbruderschaft haben. Das IZ geht offen mit den Vorwürfen um. Wir schließen nicht aus, dass diese Männer bei uns waren, denn im Ramadan besuchen uns viele Gläubige. Aber den Behauptungen über Verbindungen zu den Muslimbrüdern widersprechen wir, das bestätigt auch der Verfassungsschutz, sagt Al Saadi. Christliche Gemeinden, mit denen das IZ seit Langem im interreligiösen Dialog zusammenarbeitet, stärken den Muslimen den Rücken, ebenso die beiden anderen Moscheegemeinden. Es bleibt ein Makel, der das IZ schnell zur Zielscheibe von Islamgegnern machen kann. In den sozialen Netzwerken hat sich die Geschichte verbreitet. Als das»ich WAR EIN EINZELKÄMPFER Khaldun Al Saadi wurde im Jahr der deutschen Wiedervereinigung in Chemnitz geboren. Ich war der einzige Muslim, sagt er.
7 v v v v v v V v IZ kürzlich einen Zeitungsartikel auf Facebook verlinkte, schrieb jemand darunter: Die bilden Dschihadisten aus. Jeder zweite Deutsche sympathisiert nach einer aktuellen Yougov-Umfrage inzwischen mit Pegida. 73 Prozent der Deutschen sind in Sorge, dass der radikale Islam in Deutschland an Einfluss gewinnt. Dennoch sieht Al Saadi die Pegida-Demonstrationen nicht nur als Ausdruck eines aufflammenden Islamhasses. Vielleicht steckt in Pegida trotz allem eine Chance: Deutlich zu machen, dass es um politische Frustration geht, auf die eine Antwort gefunden werden muss, sagt Al Saadi. Daneben aber braucht Sachsen vielleicht vor allem eins: mehr Begegnung mit Muslimen. Sachsen macht bereits etwas für die Vermittlung, aber der Bedarf ist viel größer, sagt In Am Sayad Mahmood. Sie ist Bildungsreferentin für christlich-islamischen Dialog im ökumenischen Informationszentrum Dresden. Etwa einmal pro Woche reist sie mit ihrem Islamkoffer durchs Land. Rund 500-mal in den letzten elf Jahren war sie in Schulklassen und Kirchengemeinden zu Gast. Im Gepäck: mehrere Korane, Miniaturmoscheen, WIE VIELE KOPFTÜCHER BESITZEN SIE? Seit elf Jahren besucht In Am Sayad Mahmood Schulen und Gemeinden in Sachsen und klärt über den Islam auf. Die Teilnehmer stellen oft die gleichen Fragen.
8 v v v v v v v V Gebetsteppich und -kette und ein Schaubild mit den Varianten des Kopftuchs. Eine der meistgestellten Fragen ist, wie viele Kopftücher ich besitze, sagt sie und lacht. Das kommt gleich nach Zwangsheirat und Händeabhacken. Mahmood kann unzählige Geschichten erzählen über die ersten Begegnungen. Am letzten Montag gab es wieder so eine. Mahmood stand inmitten von Pfefferkuchen und Kokosmakronen auf dem Striezelmarkt und gab dem ZDF ein Interview. Aus dem Augenwinkel sah sie eine Gruppe von acht Leuten, die aufmerksam zuhörten. Die 58-Jährige ist durch das Tuch, das sie über ihr Haar legt, unschwer als Muslima zu erkennen. Als die Crew abgezogen war, kam die Gruppe auf sie zu. Das waren Pegida-Demonstranten, die aus München angereist waren, sagt Mahmood. Sie meinten:,sie haben sehr gut gesprochen. Wenn alle Muslime so wären wie Sie, gäbe es keine Probleme. Die müssen endlich begreifen: Wir sind schon lange keine Gäste mehr. N
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