Ferdinand M. Gerlach. Rolle der Allgemeinmedizin im Studium
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- Reiner Kolbe
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1 Ferdinand M. Gerlach Rolle der Allgemeinmedizin im Studium Würzburg, 27. Mai 2016
2 Medizinstudium heute: Vorzüge Überwiegend in hochspezialisierten Kliniken der Supramaximalversorgung (VUD) High Tech-Medizin nach State of the Art Neueste, zum Teil experimentelle diagnostische und therapeutische Verfahren Forschungsgetriebene Lehre Krankenversorgung auf höchstem technischwissenschaftlichem Niveau Das ist gut so aber keinesfalls ausreichend!
3 Medizinstudium heute: Grenzen Nur 0,5% aller Patienten (Tertiär-/Quartärversorgung) Durchschnittliche Liegezeiten zwischen 6 und 8 Tagen Oft schwer kranke Patienten / komplexe Hochkostenfälle für Lehre oft nicht geeignet Rasante Ambulantisierung (z.b. Augenheilkunde, Dermatologie, Diabetologie, Endokrinologie, Onkologie) in Aus- (und Weiter-) Bildung bisher kaum berücksichtigt Nur wenige Universitätsklinika erwarten positives Ergebnis: zunehmend DRG-getriebene Mengenausweitungen Hochspezialisierte Lehrer vermitteln Diagnostik und Therapie, die aufwändig, spezialisiert und teuer ist Spätere Anwendung des hier Gelernten in der Grund- und Regelversorgung begünstigt Überdiagnostik und Übertherapie und ineffizienten Ressourceneinsatz
4 Masterplan Medizinstudium 2020 Im Koalitionsvertrag genannte Ziele: 1. zielgerichtetere Auswahl der Studienplatzbewerber 2. Förderung der Praxisnähe 3. Stärkung der Allgemeinmedizin
5 DEGAM-Ziele 1. Ein Quartal in allgemeinmedizinischen Lehrpraxen für alle Studierenden im Praktischen Jahr 2. Obligatorische Prüfung im Fach Allgemeinmedizin in der abschließenden mündlich-praktischen Staatsexamensprüfung (M3) für alle Studierende 3. Klarstellung: ganztägiges zweiwöchiges Blockpraktikum Allgemeinmedizin 4. Ergänzend (nicht alternativ zu PJ oder Blockpraktikum): Allgemeinmedizin als longitudinales Fach im Curriculum (regelmäßige Praxistage, u.a.: Langzeitversorgung chron. Kranker) 5. Wahlpflichtfach Allgemeinmedizin als Angebot an allen Medizinfakultäten
6 Blick über den Gartenzaun In Belgien haben bereits vor mehreren Jahrzehnten Studierende wegen des Fachs Allgemeinmedizin im Medizinstudium gestreikt. Aber nicht gegen, sondern für eine feste Verankerung im Curriculum! Es wurde damals das Recht auf Ausbildung auch in ambulanten Praxen erkämpft und eine Verpflichtung zur einseitigen Ausbildung in Universitätskliniken abgelehnt. Längerdauernde Ausbildung in allgemeinmedizinischen Lehrpraxen in vielen Nachbarländern (u.a. NL, UK, Skandinavien) obligatorisch und breit akzeptierte Realität!
7 Ziele des Medizinstudiums ( 1 ÄApprO) ( ) Die Ausbildung soll grundlegende Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten in allen Fächern vermitteln, die für eine umfassende Gesundheitsversorgung der Bevölkerung erforderlich sind. ( ) - Gesundheitsförderung, Prävention und Rehabilitation, - praktische Erfahrungen im Umgang mit Patienten, einschließlich der fächerübergreifenden Betrachtungsweise von Krankheiten und der Fähigkeit, die Behandlung zu koordinieren, ( ) - Grundkenntnisse der Einflüsse von Familie ( ) - ( ) die Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit anderen Ärzten und mit Angehörigen anderer Berufe des Gesundheitswesens fördern.
8 Vorteile der Ausbildung in Lehrpraxen (1) Zahlreiche für Ausbildungszwecke geeignete Patienten Breites Krankheitsspektrum Nicht alle Kinder haben Leukämie Häufige Infektionserkrankungen (Bronchitis, Otitis media ) Frühstadien, unspezifische Erkrankungen (z.b. Rückenschmerz) Impfungen Früherkennungsuntersuchungen Hausbesuche Altenheim-, Pflegeheimversorgung Langzeitversorgung chronisch Kranker Umgang mit Multimorbidität, Multimedikation Größere Breite und Tiefe der Ausbildung in Lehrpraxen für Alle
9 Vorteile der Ausbildung in Lehrpraxen (2) Intensität: 1:1-Betreuung (Lernen am Modell, inklusive ärztliche Einstellungen / Haltungen) Vermittlung praktisch relevanter und unverzichtbarer Basisfertigkeiten: Gesprächsführung, Anamneseerhebung, klinische Untersuchung Ressourceneffektive Medizin Bessere Kenntnis des hausärztlichen Versorgungsbereichs fördert spätere Kooperation zwischen Ärzten unterschiedlicher Versorgungsebenen bzw. Fachdisziplinen Nach Qualitätskriterien (DEGAM + GHA) akkreditierte Lehrpraxen Qualität der Ausbildung wird insgesamt besser
10 Evaluationsergebnisse Ergebnisse Blockpraktikum (14 Tage, obligatorisch): Kennenlernen allgemeinmedizinischer Tätigkeit in akademischen Lehrpraxen hat motivierende Wirkung. Anteil Studierender, die Weiterbildung im Fach Allgemeinmedizin erwägen / konkret beabsichtigen, steigt. Ergebnisse PJ (vier Monate, fakultativ): weitere Verfestigung des Berufswunsches Hausarzt. Sehr hohe Zufriedenheit mit 1:1-Betreuung, oft Mentoren- Verhältnis zum Lehrarzt, deutliche Kompetenz-Zuwächse (insbes. Anamnese-Erhebung, Kommunikation, Arzt- Patienten-Beziehung, ko rperliche Untersuchung) (Bo hme et al. 2013, Schäfer et al. 2013) Höhere Motivation zur Weiterbildung
11 Stärkung der Allgemeinmedizin: 2 Hauptziele 1. Breite, realitätsnahe, versorgungsadäquate und (damit) qualitativ verbesserte Ausbildung für alle Studierenden 2. Fachkräftesicherung, insbesondere im Fach Allgemeinmedizin Anmerkung: Die Landeszuführungsbeträge für Forschung und Lehre erhalten Fakultäten zu 100% aus Steuermitteln. Medizinstudierende profitieren von einer für sie weitgehend kostenlosen Ausbildung, die von Bürgern / Steuerzahlern (mit je ca ) finanziert wird. Daraus resultiert auch eine gesellschaftliche Verantwortung.
12 Mögliche Schritte zur Umsetzung Umstellung 2020 bei schrittweiser Vorbereitung realistisch Bedarf Lehrärzte: ca (falls 2 PJler / Praxis / Jahr), minimal Lehrärzte (falls 4 PJler / Praxis / Jahr) Aktuell: bundesweit bereits gut Lehrärzte aktiv (dezidierte Anforderungskriterien von DEGAM und GHA) Zusätzliche Rekrutierung: geschätzt ca neue Lehrärzte, durchschnittlich ca. 68 neue Lehrpraxen je Standort (bei insgesamt Hausärzte bundesweit) Fachliche Flankierung durch PJ-Logbuch, Train the Trainer- Programm, Prüfertraining, Evaluation und Qualitätssicherung Nationales Entwicklungsprogramm (insbesondere für schwache Standorte) durch DEGAM und Gesellschaft der Hochschullehrer für Allgemeinmedizin (GHA)
13 Abteil./Institute für Allgemeinmedizin 2016 Oldenburg Neuruppin Aktuell: Berufungsverfahren in Bochum, Essen, Halle, Ulm, Würzburg 30 von 38 Standorten plus 6 Standorte mit mind. 1 wiss. Stelle
14 Lehrstühle : keine prioritäre Forderung Mit fünf laufenden Berufungsverfahren ist die volle akademische Etablierung in Kürze an vier von fünf Standorten (32 von 38 = 84%) erreicht Restliche Fakultäten (und der dafür erforderliche qualifizierte Nachwuchs) werden in den kommenden (geschätzt ca. 5 bis 10) Jahren schrittweise folgen Die Etablierung neuer Lehrstühle ist daher aktuell keine prioritäre und keine allein ausreichende Forderung
15 Was kann gestrichen werden? Bei Einführung eines PJ-Quartals Allgemeinmedizin könnte die Pflichtfamulatur in hausärztlichen Praxen (vier Wochen) entfallen. Generell sollte (in der Weiterbildung zu erwerbendes) Wissen und ebensolche Fertigkeiten auf Facharztniveau nicht in der Ausbildung / im Studium vermittelt werden. Eine Zuordnung von Kompetenzen zu Aus- oder Weiterbildung und eine konsequente Trennung der Lernziele könnte Studieninhalte fokussieren und maßgeblich entlasten.
16 Fazit und Ausblick 1. Allgemeinmedizin ermöglicht im Studium mehr Breite, mehr Realitätsnähe und damit auch eine versorgungsadäquate und qualitativ verbesserte Ausbildung für alle Studierenden! 2. Ambulantisierung der Medizin ist unaufhaltsam. Dieser Entwicklung muss auch in der Ausbildung Rechnung getragen werden! 3. Netzwerke von akademischen Lehr- und Forschungspraxen eröffnen für Medizinische Fakultäten und Universitätsklinika wichtige Zukunftschancen (Versorgungsforschung, klinische Praxisforschung, regionale IV-Versorgung etc.) 4. Zur Diskussion: Die DEGAM ist bereit, sachgerechte Kompromissformulierungen im Masterplan zu unterstützen!
17 Sinnvoller Kompromiss aus Sicht der DEGAM 1. Aufteilung des Praktischen Jahres in vier Quartale 2. Einführung eines ambulanten Quartals in einer vertragsärztlichen Praxis - neben einem frei wählbaren Quartal 3. Mündlich-praktische Prüfung im Fach Allgemeinmedizin für alle Studierenden im abschließenden Staatsexamen (M3) 4. Falls die Optionen 1., 2. und 3. umgesetzt werden: Wegfall der Pflichtfamulatur in hausärztlichen Praxen
18 Einladung nach Frankfurt
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