6 November / Dezember 2010 SPEZIAL. Biodiversität. Vielfalt Bedrohung Interviews Raja Ampat

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1 6 November / Dezember 2010 SPEZIAL Biodiversität Vielfalt Bedrohung Interviews Raja Ampat

2 Im Reich der Arten Auf Tour durch Indonesiens Inseln Mit seinem Motorsegler Pindito bietet Edi Frommenwiler spektakuläre Tauchtörns durch Indonesiens artenreiches Inselreich. Besonders, wenn das Safarischiff Kurs nimmt auf Raja Ampat und die Banda- See zur Biodiversity-Tour. Edi entdeckt die riesige Seenadel als Erster. Auf einer kleinen Sand äche im Riffhang liegt sie da wie auf dem Präsentierteller. Mit ihren 30 Zentimetern Länge ist sie auch kaum zu übersehen. Zurück an Bord, stellen wir erstaunt fest: Dieses große Tier ist nicht einmal in den einschlägigen Fachbüchern über Seepferdchen und Seenadeln abgebildet. Auch Chris Wilk, ein kanadischer Fischexperte, der das Prachtexemplar gleich ausführlich lmte, kann die Art nicht benennen. In vielen anderen Riffgebieten der Erde wäre das äußerst ungewöhnlich. Hier nicht. Denn wie sagte Edi zur Begrüßung bei unserer Ankunft auf Raja Ampat? Willkommen im Zentrum der marinen Artenvielfalt. Pionier: Edi Frommenwiler war einer der Ersten, die den Reichtum der Gegend erkannten Edi ist nicht jemand, der das nur irgendwo gelesen hätte. Der Schweizer ist einer der Tauchpioniere in diesem Gebiet. Schon Ende der 1990er-Jahre erkannte er den außergewöhnlichen Reichtum der Riffe von Raja Ampat. Er wandte sich an die lokalen Regierungsvertreter und gewann sie für die Idee eines Meeresschutzgebietes. Ein Plan, den er stets weiterverfolgte. Dazu suchte er wissenschaftliche Unterstützung: Im Jahr 2002 lud er Experten ein, seinen Motorsegler Pindito als Forschungsschiff zu nutzen. Edi erinnert sich: Ein Korallenspezialist registrierte allein auf dieser Exkursion 480 Arten von Steinkorallen. Dabei fand er nicht nur neue Arten, sondern beschrieb gleich ganz neue Familien. Und der bekannte Fischkundler Gerald Allen bezeichnete das Gebiet als Heiligen Gral der Fischvielfalt: In Raja Ampat hatte Allen auch seinen persönlichen Rekord aufgestellt, als er bei einem einzigen Tauchgang 284 Fischarten zählte. Zum Vergleich: Die gesamte Karibik beherbergt weniger als 70 Arten riffbildender Steinkorallen. Die Wissenschaftler waren auch für die Naturschutz-Organisationen TNC (The Nature Conservancy) und WWF (World Wide Fund for Nature) an Bord der Fotos: Manuela Kirschner und Matthias Bergbauer 10

3 Spezial Biodiversität Pindito. Unisono sprachen sie sich für einen Schutzstatus dieses unglaublich artenreichen Gebietes aus. Groß und noch immer unbekannt? Bei Raja Ampat sorgen nicht nur Seenadeln für Erstaunen Wuchernde Vegetation Einen Teil davon entdecken wir bei jedem unserer Tauchgänge. Gerade liegt die Pindito vor eine Kette kleinerer und größerer Inseln. Mit schroffen Wänden ragen sie hoch aus dem Meer. Überall wuchert tropische Vegetation. Die Schlauchboote bringen uns direkt an einen der Felsen, der im Flachbereich einen extrem tief ausgehöhlten Überhang bildet. An seiner Außenkante begeistern Felder von Fächer- und großen Peitschenkorallen. Weiter innen unter dem Überhang überdecken Weichkorallen und ein Flickenteppich aus buntem Bewuchs Decke und Wände. Im Freiwasser vor dieser üppigen Kulisse gibt es noch dazu Fische satt: Schwärme von Füsilieren und Doktor schen, Schnappern und Riffbarschen. Kapitale Stachelmakrelen patrouillieren vorbei und stoßen mit atemberaubender Geschwindigkeit Dreieck der Vielfalt Raja Ampat liegt im Zentrum des sogenannten coral triangle. Dieses Korallendreieck ist ein Meeresgebiet zwischen Indonesien und Malaysia im Westen, den Philippinen im Norden sowie Neuguinea und den Salomonen im Osten. Die Korallenriffe dieses Gebietes beherbergen 75 Prozent aller bekannten Korallenarten. Zudem sind sie Heimat, Nahrungsgründe und Kinderstube für über 40 Prozent aller weltweit bekannten Korallenriff-Fische. Raja Ampat liegt nicht nur geogra sch mitten im Korallendreieck für Meeresbiologen ist es das Epizentrum der marinen Artenvielfalt. Ein Teil davon, als Bird s Head Seascape bekannt, umfasst Inseln und Riffe, mehrere Meeresschutzgebiete und ist Heimat von rund Fischarten weit mehr als in der gesamten Karibik leben. unter die Überhänge, um in dem Gewusel von Klein schen Beute zu machen. Wir betauchen Durchbrüche und eine große Höhle mit Muränen und Zackenbarschen. Wohin wir schauen, zeigt sich überbordendes Leben. Eines ist klar: Der Safaritrip auf dieser Route läuft aus gutem Grund unter dem Namen Biodiversity Tour. Aber wir begegnen auf dieser Tour nicht nur endlos vielen Lebewesen, sondern auch einer großen Vielfalt unterschiedlichster Lebensräume. Wir tauchen an kilometerlangen Saumriffen, die mit sanften Hängen seewärts abfallen. Wir erleben schroffe, strömungsexponierte Drop-offs, Mangrovengebiete, See- Pralles Leben, wohin man schaut: Seescheiden und Weichkorallen in stiller Harmonie 11

4 Üppige Kulisse: Große Peitschenkorallen und ein Teppich an buntem Bewuchs erwarten die Taucher Ob bei Nacht oder am Tag: Am Riff sind Krebstiere in den verschiedensten Farben unterwegs graswiesen, Sand ächen und zerklüftete Felsriffe. Wir gründeln gemütlich in weiten, geschützten Buchten. Die einen sind ach, die anderen fallen vom ufernahen Flachbereich rasch in sehr große Tiefen ab. Besonders hier strömt nährstoffreiches Tiefenwasser nach oben, was eine besondere Fauna mit sich bringt. Solche Buchten sind immer für Überraschungen gut, erklärt der Fischexperte Chris. Das Tiefenwasser steigt direkt bis in die Bucht hoch. Hier nden sich Arten der geschützten Flachwasserzonen neben solchen aus großen Tiefen und der Hochsee. Ein spannender Ort. Wie zur Bestätigung zieht die Tierwelt bei unserem Nachttauchgang alle Register: Wir sehen daumennagelgroße Jungtiere von Soldaten schen frei umherschwimmen und auf dem Sand ruhen. Mini-Sepien jagten am Grund nach Beute, große Kalmare im Freien. Schlangenaale wagen sich weit aus ihren Sandlöchern. Überall sind Krebstiere unterwegs. Felder von Seefedern erblühen. Tiefsee sche sind kurz im Licht der Taucherlampen zu sehen. Doch die lichtscheuen Wesen iehen vor dem Lichtkegel, bevor man sie identi zieren kann. Dafür erkennen wir einen Bewohner der Hochsee: ein junger Pompano, eine extrem selten gesichtete Stachelmakrele. Mit ihren sehr langen, fahnenartig verlängerten Flossenstrahlen sind die Jungen ebenso fotogen wie unverwechselbar. Doch noch viele weitere, meist seltene, exotische Arten füllten bei diesem Tauchgang die Kamerachips. Man mag sich gar nicht vorstellen, hier mit einem alten Dia- lm in der Kamera zu tauchen. Nur 36 Aufnahmen? Undenkbar! Fischgewimmel Am nächsten Morgen wieder ein Szenenwechsel. Wir liegen vor einem ausgedehnten Saumriff. Man könnte hier stundenlang in eine Richtung tauchen, ohne irgendeine Unterbrechung im Riff zu haben. An diesem Riff mit seinem schräg abfallenden, dicht bewachsenen Hang fällt uns auf, was wir hier schon oft bemerkten: Es wimmelt von Fischen. Nun gibt es weltweit viele Riffhänge mit Fische satt. Doch man muss nicht Meeresbiologe sein, um zu merken: Hier ist etwas anders. Und schon nach kurzer Tauchzeit hat man das Gefühl: Es sind nicht nur richtig viele Fische, es sind ganz viele verschiedene Fische. Das Gefühl hat recht, und es lässt sich sogar in Zahlen fassen. Schon vor gut zehn Jahren entdeckten Forschungstaucher bei einer ersten kleinen Expedition über 50 bis dahin unbekannte Korallen, Fische und größere Krebse. Wenige Jahre später zählten Forscher bei einer ersten Bestandsaufnahme Fischarten und 450 riffbildende Steinkorallen, darunter einige neu entdeckte. Seitdem wird die Artenanzahl beständig nach oben korrigiert. So wurden zum Beispiel auf einer kleinen Expedition im Jahr 2006 allein in einem sehr begrenzten Areal weitere 56 neue Arten gefunden. Beschrieben wurden 20 neue Korallenarten, 24 neue Fischarten und gleich acht bis dahin unbekannte Fangschreckenkrebse. Zu den Highlights gehörten zudem zwei neue Arten von Epauletten-Haien. Ein besonders bemerkenswerter Tauchplatz liegt am Vulkan Banda Api. Der brach im Mai 1988 aus, mehrere Ströme glühender Lava ergossen sich etliche Hundert Meter ins Meer hinein. Die Korallenriffe wurden unter einer meterdicken Schicht aus Vulkangestein begraben. Der Vulkan hatte Tabula rasa im Riff gemacht alles war tot. Doch die Natur zeigte eine enorme Regene- Rückkehr: Nach Ausbruch des Banda Api war hier alles tot, jetzt wachsen wieder Steinkorallen Fotos: Manuela Kirschner und Matthias Bergbauer, Karte: Schöner Tauchen Schweiz 12

5 Spezial Biodiversität Reiseinfo Anreise: Mit Singapore Airline ( ab Frankfurt nach Singapore (Flugzeit ca. 11 Stunden), weiter mit Silk Air nach Manado/Sulawesi (Flugzeit ca. 4 Stunden). Von dort geht es mit einem Inlands ug (z. B. mit Wings Air) weiter nach Sorong (Flugzeit 3 Stunden). Ab Sorong Airport erfolgt der Taxitransfer zum Schiff (Fahrt etwa 30 Minuten), das im Hafen von Sorong liegt. Ständig neue Funde: Erst im Jahr 2006 wurden zwei neue Arten an Epaulettenhaien entdeckt rationskraft. Wie eine komplett zerstörte Fläche nach wenigen Jahren wieder aussehen kann, wenn die Bedingungen stimmen, konnten wir bei Tauchgängen am ehemaligen Lavastrom mit eigenen Augen begutachten: Ein lebendiger Steinkorallengarten ist wieder herangewachsen. Er bedeckt praktisch hundert Prozent der Fläche und ist arten- und individuenreicher als zuvor. Über 35 Steinkorallenarten haben sich hier neu angesiedelt. Man kann sich kaum vorstellen, dass hier vor einigen Jahren nichts als tote Lava war. Das Korallen-Dreieck macht auch hier seinem Namen alle Ehre. Matthias Bergbauer und Manuela Kirschner Manuela Kirschner ist seit 16 Jahren Unterwasserfotogra n. Dr. Matthias Bergbauer ist Meeresbiologe und arbeitet als Journalist. Die beiden sind Autoren von mehreren Bestimmungsbüchern und Tauchfachbüchern, die im KOSMOS Verlag erschienen sind, in diesem Sommer der Wrackführer Rotes Meer. Unterkunft: Die MV Pindito ( ist ein 42 Meter langes Holzschiff in traditioneller Bauweise eines Motorseglers. Eigner und Tauchguides sind deutschsprachig. Die Kabinen verfügen über Klimaanlage, 220 Volt Stromanschlüsse und einen eigenen Dusch/WC-Raum. Getaucht wird von vier Schlauchbooten aus. Es werden täglich drei Tauchgänge plus ein Nachttauchgang angeboten, nur die An- und Abreisetage sind tauchfrei. Mehrere Landaus üge, zum Beispiel in die Stadt Banda Neira oder Vulkanwanderungen auf Flores stehen auf dem Programm. Die Biodiversity-Tour ndet zweimal jährlich statt. Sie durchquert die Bandasee, führt durch die unterschiedlichsten geologischen Formationen Indonesiens und durch das Inselarchipel Raja Ampat. Veranstalter: Schöner Tauchen Schweiz AG, Telefon +41 (0 44) , Schöner Tauchen Deutschland, Telefon (04 21) Eine 11- tägige Raja-Ampat-Tour kostet ab 2.750, eine 16-tägige Biodiversity-Tour ab (ohne Flüge) (0) Wichtig zu wissen: Die Tour führt durch weitestgehend unberührte Tauchgebiete, fernab von allen Massen. Und damit auch fernab einer Dekokammer. Für Tauchanfänger ist diese Tour nicht geeignet. Jeder Taucher sollte in seinen Tauchfertigkeiten so sicher sein, dass er selbstständig mit seinem Tauchpartner tauchen kann. 13