Auf mich wartet jetzt Gurkenpflücken im Akkord. Dass Michael Schöpfer bei meiner Vorstellung auf einmal ins Polnische wechselt hat einen Grund.

Transkript

1 1 Praktikum Gurkenernte Bericht: Alexander Ihme Die saure Gurke muss ins Glas. Ich scheitere. Mehrfach. Ich hätte nicht gedacht, dass ich mich da an den Anfang des Tages zurücksehne. Und dazu noch das mitleidige Lächeln der Kolleginnen neben mir. Früh 8 Uhr in Niederdorla bei Mühlhausen in Thüringen. Ich beginne mein Praktikum bei der Hainich Gmbh. Größter Gewürzgurkenproduzent in Mitteldeutschland. Michael Schöpfer ist in der Firma für den Gemüseanbau zuständig und fährt mich raus aufs Feld. Dort wo ich auf den sogenannten Gurkenflieger soll. Da werden wir mal ein Plätzchen suchen. Vielleicht ist auch gar nichts mehr frei? *Lachen* Auf mich wartet jetzt Gurkenpflücken im Akkord. Dass Michael Schöpfer bei meiner Vorstellung auf einmal ins Polnische wechselt hat einen Grund. Neuer Kollege. Er möchte helfen. Hallo. WIRKLICH alle hier auf dem Feld vom Vorarbeiter bis zum Pflücker kommen aus Polen. Nehmen Sie hier Platz. Zwischen den zwei Grazien. Da muss ich aber ein bisschen mehr Platz haben. Da ziehe ich aber meine Jacke mal aus. Und die Handschuhe? Die kriegen Sie jetzt von mir, damit Sie damit die zarten Fingerchen nicht beschädigt werden. Gewürzgurken werden im Liegen geerntet. Weil mir Michael Schöpfer, der gebürtige Bayer, noch nicht vertraut, kommt er an meine Seite. Seit gut 20 Jahren arbeitet er hier. Mit 62 ist er definitiv schneller als ich.

2 2 Also, den ganzen Tag bin ich nicht draufgelegen, aber schon stundenweise. Man muss wissen, was die Mitarbeiter erwartet. Man muss schon auch mitmachen können. Irgendwie habe ich das Gefühl, ich weiß es jetzt schon nach zwei Minuten. Denn definitiv bin ich zu langsam hier. Oder? Am Anfang ist man immer etwas langsamer. Jeder hat etwas Schonfrist. Zu polnischem Hip-Hop pflücken auf insgesamt 6 Gurkenflieger knapp 200 polnische Studenten, aber auch ganze Familien und verdienen sich den Lebensunterhalt. Manchmal muss das dann fürs ganze Jahr reichen. Die Firma zahlt den branchenüblichen Mindestlohn von 8,60 Euro pro Stunde. Wenn s so gut läuft wie momentan, dann geht es auch über den Mindestlohn raus. Was kann man dann maximal dann rausholen als Gurkenpflücker auf dem Gurkenflieger? Also gestern haben die schon 100 Euro am Tag gemacht. 80 bis 100 Euro. 2:45 1,7 Millionen deutsche Gurken pro Tag, allein auf diesem Feld gepflückt von polnischen Händen. Für Michael Schöpfer ein Qualitätsprodukt. Und zu einem guten Preis will er sie auch an den Handel weiterverkaufen. Da ist der Einzelhandel überhaupt nicht gewillt. Für den zählt eben nur Preis. Da werden wir langfristig hinten runter fallen. Bittere Prognose. Der Chef verlässt mich, seine Gurkenpflanzen soll ich behutsam behandeln. Die Gurken sind empfindlich wie zarte Mädchen. Aha. Damit die Blüten mit abgerissen werden, denn das ist die Ernte für nächste Woche. Okay, ich soll also auf die Blüten aufpassen. Jeden dritten Tag fährt der Flieger übers Feld. In der Zeit wächst die Gurke bis zu zehn Zentimeter. Wenn ich in das Gestrüpp vor meinen Händen sehe erkenne ich kaum die Gurken geschweige denn die Blüten. Dschungel vor meinen Augen, alles ist nur noch grün. Die Kollegen um mich herum scheinen kein Problem damit zu haben. Endlich ist Pause, ich versuche mich zu unterhalten.

3 3 Renate aus Polen, arbeitet auf dem Gurkenflieger Darf ich kurz fragen, wie lange machen Sie das schon? Zwei Jahre. Aber ich finde es ist sehr schwer. 10 Stunden am Tag. Zusammen ist es 12. Halbe Stunde zweimal Pause. Und mit dem Weg zur Arbeit sind es dann eben 12 Stunden meint Renate aus Polen. Aber ich glaube, wenn ich hier länger arbeiten würde, ich würde Ihre Quote zerstören. Nein, das ist nur Gewöhnungssache. Der erste Tag ist sehr schwer, der zweite Tag ist noch schwerer, der dritte Tag ist am schwersten und ab dann geht s. Oh Mann. Knapp zwei Stunden habe ich hier insgesamt durchgehalten. Aber es ist schon erstaunlich, dass man da für 100 Euro am Tag wenn es gut läuft keine Deutschen dafür bekommt. Suche Sie überhaupt noch Deutsche, oder haben Sie das aufgegeben? Das haben wir aufgegeben. Selbst vor 20 Jahren als die Arbeitslosenquote so hoch war, selbst da hat man keine bekommen. Wenn er fast das gleich Geld bekommt aus Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenheile oder wie auch immer das Ding sich nennt, wieso sollte er sich da so mühen. Kaum geerntet landen die Gurken hier in Niederdorla. Schon erwartet von Geschäftsführerin Cornelia Beau. Der Vorteil Ihrer Firma. Die Felder sind nur ein paar Kilometer entfernt. Cornelia Beau, Geschäftsführerin Hainich GmbH Das große Ziel ist es eigentlich immer jeden Tag, dass was wir ernten auch ins Glas zu bringen. Beim Gurkensortieren muss ich mich ans Rollband zwängen. Ist sehr eng hier. Genau, jetzt tun wir vor allem krumme und die zerbrochene Gurke, die werden ausgelesen und hier aufs Band gelegt.

4 4 Alles klar. Erste Herausforderung was ist krumm und was noch eine gerade Gurke. Das Ziel ist, dass man dann wirklich schöne gleichmäßige Gurken im Glas hat. Denn nur so nimmt der Einzelhandel die Ware dann auch ab. Mit der Zeit tanzen bei mir die Gurken vor den Augen. Das ist wieder so eine Aufgabe, wo man nach einer Weile den Überblick verliert. Ja wenn man den ganzen Tag arbeitet, dann wird s einem schwindelig. Glaube ich auch. Ich denke das Schlimmste schon hinter mir zu haben. Doch es wird noch eine Stufe härter, denn die Gurken müssen jetzt ins Glas. Steffen Wölfer, Produktionsleiter Hainich GmbH Da Sie ja für heute mein Praktikant sind, haben Sie heute die Aufgabe, Gurken sich mal selber zu stopfen. Ein unglaublicher Lärm empfängt mich hier. Die leeren Gläser klirren mir in den Ohren. Steffen Wölfer kennt den Trick, wie die Gurken richtig im Glas landen. Steffen Wölfer, Produktionsleiter Hainich GmbH So? Nehmen Sie am Anfang nicht so viele, die kriegen sie dann nicht durch die Öffnung. Ratschläge, die mir gerade nicht weiterhelfen. Denn ich scheitere trotzdem und bis mein erstes Glas gefüllt ist, vergeht mehr als eine halbe Minute Oh Mann. Eine gute Arbeiterin schafft mindestens 6 Gläser in der Minute. Auch hier kommen die Gurkenstopferinnen aus Polen und teilweise schon seit 30 Jahren in diese Firma. Nach sechs bis zehn Stunden sind die Gurken hier in Niederdorla im Glas. Diese schnelle Verarbeitung spielt beim endgültigen Preis aber keine Rolle, meint die Geschäftsführerin.

5 5 Cornelia Beau, Geschäftsführerin Hainich GmbH Da steckt auch viel Handarbeit drin. Wieviel muss jetzt der Kunde für so ein Glas zahlen? Also im Handel wird s stehen so um 1,29 Euro. Also viel Geld ist das ja nicht. 1,29 Euro. Ja, man macht das über die Menge. Wir müssen eine gewisse Mindestmenge produzieren. Ca. 20 Millionen Gläser im Jahr. Und wenn man an jedem Glas 2, 3 Cent verdient, dann ist man in der Gewinnzone. Das ist ganz wichtig. Also mehr ist es nicht als 2, 3 Cent im Glas? Nein, nein. Wenn die Gewinnspanne noch weiter sinkt, dann sind deutsche Gurkenfelder ein Auslaufmodell. Und saure Gurken kommen dann nur noch aus Billiglohnländern.