12/2009. Dezember. DeutscherAnwaltVerein. DeutscherAnwaltVerlag

Größe: px
Ab Seite anzeigen:

Download "12/2009. Dezember. DeutscherAnwaltVerein. DeutscherAnwaltVerlag"

Transkript

1 DeutscherAnwaltVerein Aufsätze Salditt: Moral der Strafverteidigung 805 Herrmann: Rechtsanwaltsethik 812 Graf v. Westphalen: Recht und Ethik 821 Kommentar Kilger: Wahrheit und Lüge 830 Anwaltsblattgespräch Wolfers: Anwälte und Finanzkrise 832 Aus der Arbeit des DAV DAV bewertet Koalitionsvertrag 835 Europäischer Abend in Brüssel 836 Aufruf zur Anwaltsethik 838 Meinung & Kritik Stürner: Ethos des Insolvenzverwalters 848 Rechtsprechung BVerfG: Willkür bei Streitwertfestsetzung 874 BGH: Neues zu 15 a RVG bei Altfällen /2009 Dezember DeutscherAnwaltVerlag

2 MN Editorial Ran an die Anwaltsethik Dr. Peter Hamacher, Köln Rechtsanwalt, Herausgeber des Anwaltsblatts Es ist etwas Vertracktes mit der Ethik, wenn sie berufsbegleitend daherkommt. Auch dann, wenn man ein ordentliches Freiberufler-Berufsgesetz hat. Ihm liegt Ethik zu Füßen. Ohne sie gäbe es das Gesetz nicht. Es soll Werten, die nach Ethik verlangen, zur Anerkennung verhelfen. Dem allgemeinen Gewerberecht liegt keine Ethik zu Füßen. Dennoch soll man sich auch in diesem Feld ethisch verhalten und hat es dabei leichter, denn das, was hier Ethik fordern dürfte, steht nicht schon zu größten Teilen im Gesetz. Wenn es so ist, wie es ist, muss man sich stets mit ethischen Fragen des Berufs befassen, mag eine aktuelle Diskussion auch noch so sehr modisch und finanzmarktdesasterlich veranlasst sein. Die Frage ist, wie gehe ich mit dem jenseits des Berufsgesetzes verbleibenden ethischen Raum um. Gibt es so etwas? Vorausgesetzt wäre immerhin, dass Ethik und Recht nur im Punkt der Geltung ein aliud sind, nicht aber im Inhaltlichen. Es besteht Verwandtschaft mit dem Thema, wie bringe ich jenen Teil der anwaltlichen Berufstätigkeit zum Klingen, der sich notwendigerweise der totalen Kommerzialisierung entzieht. In beiden Fällen helfen wohl die heute so beliebten Codices oder Governancesysteme nicht sehr. Das ist nicht verwunderlich, stammen sie doch aus Wirtschaft und Gewerbe, zu deren Füßen (zunächst) keine Ethik liegt. Die genannten Mechanismen sollen dort sachlich angeknüpfte und als Tagesgeschäft banale Handlungen sinnvoll zusammenbinden und überhöhen. Solcher überhöhender Regelwerke bedarf das anwaltliche Berufsrecht nicht. Jedenfalls jetzt nicht. Das meint auch der Berufsrechtsausschuss des DAV, der in diesem Heft mit der Frage Was heißt Anwaltsethik? die Rechtsanwälte und Rechtsanwältinnen aufruft (siehe Seite 838), mitzuteilen und zu diskutieren Sachverhalte und Situationen, in denen sich (ihnen) die Frage aufdrängt, habe ich mich, hat sich ein Kollege (ethisch) richtig oder falsch verhalten?. Strukturierte Diskussion ist das Ziel. Wir bleiben dazu beim Wort Ethik der Anwaltschaft oder Anwaltsethik, wohl wissend, dass die Begrifflichkeit nicht genau ist. Ethik ist die Lehre von Verhaltensweisen, von Systemen und Überlegungen, die Wertungen, Tugenden, dem Gewissen zuzuordnen sind. Besser träfen den Gegenstand die Worte Ethos oder Moral, die sowohl einem objektivierten Ansatz als auch einem individuellen Anruf an den Menschen zugänglich sind. Nach dem knorrigen Vorspruch nun hinein in das Heft. Es bietet reiches Material für die erbetene Diskussion. Das reicht von dem großartigen Vortrag Franz Salditts Die Moral der Strafverteidigung (ab Seite 805) über den Beitrag von Friedrich Graf von Westphalen zum Menschenbild ( Wie wollte man über Ethik reden, ohne ein Bild des Menschen zu haben?, ab Seite 821) über die enger gefasste Studie zum Berufsethos des Insolvenzverwalters (Rolf Stürner, ab Seite 848) bis hin zum umfangreichen Überblick über Wertewandel, Ethiken der Corporate und Professional Governance, dem auch die philosophische Grundlegung nicht fehlt (Harald Herrmann, ab Seite 812). Das ist noch nicht alles, wie das Inhaltsverzeichnis ausweist. Der Beitrag von Franz Salditt zeigt, wie nötig es ist, zur Moral des Berufs umfassend und detailliert, abgeklärt und feisinnig dennoch Tacheles zu reden, dann nämlich, wenn ein unverfrorenes und unethisch berufsarrogantes Judikat in die Welt tritt (siehe Seite 806). Also: Genießen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen am Jahresende mit frohem Blick in die Zukunft Ethik bei entspannter und besinnlicher Lektüre. AnwBl 12 / 2009 I

3 Anwaltsblatt Jahrgang 59, 12 / 2009 Im Auftrag des Deutschen Anwaltvereins herausgegeben von den Rechtsanwälten: Felix Busse Dr. Peter Hamacher Dr. Michael Kleine-Cosack Wolfgang Schwackenberg Redaktion: Dr. Nicolas Lührig (Leitung) Udo Henke Manfred Aranowski Rechtsanwälte I IV VI VIII Editorial Ran an die Anwaltsethik Rechtsanwalt Dr. Peter Hamacher, Köln Herausgeber des Anwaltsblatts Berichte aus Berlin und Brüssel Reformen und Prüfaufträge Dr. Joachim Jahn, Berlin Am Ende aller Tage der Tod und die EU Rechtsanwalt Thomas Marx, Brüssel Aktuelles Aufsätze 805 Die Moral der Strafverteidigung Rechtsanwalt Prof. Dr. Franz Salditt, Neuwied 812 Wertewechsel in einer Rechtsanwaltsethik globalen Diskurses Prof. (em.) Dr. Harald Herrmann, Universität Erlangen-Nürnberg 821 Das Bild des Menschen im Recht ein Versuch Rechtsanwalt Prof. Dr. Friedrich Graf von Westphalen, Köln Kommentar 830 Verlorenes Anwaltsbild? Rechtsanwalt Hartmut Kilger, Tübingen Mitglied des DAV-Präsidiums Aus der Arbeit des DAV 835 Bewertung des Koalitionsvertrags durch den DAV 836 Europäischer Abend in Brüssel 838 Berufsrechtsausschuss: Aufruf zur Anwalts-Ethik 838 DAV-Imagewerbung: Werbung in der Bahn 839 DAV und Amnesty International: China 839 DAV: Für ein rechtsstaatliches Russland 840 DAV-Gesetzgebungsausschüsse 840 DAV: Maria-Otto-Preis 841 Landesverbandskonferenz 841 Parlamentarischen Abend in Stuttgart 842 Landesverbandstreffen in Nordrhein-Westfalen 842 DAV: Saarland braucht Justizminister 842 AG Sozialrecht: Symposium zum Kostenrecht 843 Deutsche Anwaltakademie: Nachrichten 844 AG Verwaltungsrecht Bayern: Tagung 844 AG Verkehrsrecht: 29. Homburger Tage 845 Anwaltverein Stuttgart: Rechtsrat am Riesenrad 846 AG Anwältinnen: Herbstkonferenz 847 AG Erbrecht: Mitgliederversammlung 847 Personalien: u.a. Kuratorium der DAV-Stifung Meinung & Kritik 848 Das Berufsethos des Insolvenzverwalters in der modernen Marktgesellschaft Prof. Dr. Rolf Stürner, Freiburg damit die Anwaltschaft ihren GAU nicht erlebt, müssen wir handeln Rechtsanwalt Christoph H. Vaagt, München Thema 831 Satzungsversammlung: Bundesjustizministerium vor dem BGH verklagt und Normenscreening Rechtanwalt Dr. Nicolas Lührig, Berlin Anwaltsblattgespräch 832 Den Gemeinwohlbezug im Auge Interview mit Rechtsanwalt Dr. Benedikt Wolfers, Berlin, der in der Finanzkrise die Bundesregierung beraten hat Gastkommentar 834 Torloses Remis im Koalitionsvertrag Dr. Christian Rath, Rechtspolitischer Korrespondent Mitteilungen Anwaltshaftung 855 Der Fußballtrainer und die Anwaltshaftung, oder: Meine objektive Meinung Prof. Dr. jur. Gerald Mäsch, Münster Internationales 859 Frankreich: Justizreform führt zur Abschaffung des Avoué Jördis Harbeck, Kiel/Frankfurt am Main Soldan Institut für Anwaltmanagement 861 Berufsausübung in der haftungsbeschränkten Unternehmergesellschaft Prof. Dr. Christoph Hommerich, Bergisch-Gladbach und Rechtsanwalt Dr. Matthias Kilian, Köln 862 Rückblick und Ausblick II AnwBl 12 / 2009

4 Bücherschau 863 Lesestoff jenseits der Arbeit Rechtsanwalt Dr. Matthias Kilian, Köln Haftpflichtfragen 865 Haftungsrechtliche Probleme in der interprofessionellen Sozietät Rechtsanwältin Antje Jungk, Allianz Versicherung, München Rechtsprechung Anwaltsrecht 868 EuGH: Freie Anwaltswahl 868 OLG München: Interessenkollision bei Betreuung 869 LG Freiburg: Interessenkollision bei Scheidung Anwaltshaftung 869 BGH: Haftung für Fehler des Gerichts 872 BGH: Zweite Fristverlängerung 874 OLG Karlsruhe: Regressgericht hat das letzte Wort Anwaltsvergütung 874 BVerfG: Willkür bei der Streitwertfestsetzung 876 BGH: 15 a RVG bei Altfällen 878 BGH: Pauschalhonorar keine Geschäftsgebühr 880 OVG Lüneburg: 15 a RVG bei Altfällen 880 OLG München: Anrechnung der eingeklagten Geschäftsgebühr auf Verfahrensgebühr 880 Fotonachweis, Impressum XIX Stellenmarkt des Deutschen Anwaltvereins XXVIII Bücher & Internet XXXIV Deutsche Anwaltakademie Seminarkalender Schlussplädoyer XXXVI Nachgefragt, Comic, Mitglieder-Service

5 MN Bericht aus Berlin Reformen und Prüfaufträge In Rekordzeit hat sich Schwarz-Gelb ein eigenes Grundgesetz gezimmert: den Koalitionsvertrag. Weder der Chefliberale Guido Westerwelle, noch der Oberchristsoziale Horst Seehofer, dessen Regionalpartei an Einfluss verloren hat, haben die Verhandlungen mit der stets kompromissbereiten CDU-Vorsitzenden Angela Merkel ernsthaft verzögert. Was das Wunschbündnis festgelegt hat, bietet reichlich Lesestoff für Rechtspolitiker. Wobei für Erstaunen sorgte, wie schnell sich die Linksliberale Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, die nach langer Zwangsabstinenz wieder ins Justizressort einzieht, und der als eher konservativ geltende Ex-Innenminister Wolfgang Schäuble einigen konnten. Freilich: Viele Grundsatzstreitigkeiten wurden vertagt Begriffe wie prüfen und evaluieren finden sich verdächtig häufig im gemeinsamen Regierungsprogramm. BKA bleibt aktiv Für manche enttäuschend: Die akustische Wohnraumüberwachung ( Großer Lauschangriff ) wird ebenso wenig abgeschafft wie die Möglichkeit der Bundeskriminalbeamten aus Wiesbaden, Computer heimlich aus der Ferne zu inspizieren ( Online-Durchsuchung ). Jüngst hatte Schwarz-Rot noch das BKA-Gesetz entsprechend aufgemöbelt und um den Einsatz eines Bundes-Trojaners erweitert. Der Kernbereich privater Lebensgestaltung soll aber optimiert und der Grundrechtsschutz durch Verfahren erhöht werden. Konkret heißt das bislang jedoch nur: Ein nach dem Geschäftsverteilungsplan zuständiger Amtsrichter in Bonn wird beim Kampf gegen den internationalen Terrorismus entmachtet; die Zustimmung zu verdeckten Ermittlungsmaßnahmen soll künftig ein Richter des Bundesgerichtshofs treffen. Internetsperren ausgesetzt... Spektakulärer ist da schon ein anderer Beschluss der neuen Koalitionäre: Die heiß umstrittenen Internetsperren gegen Kinderpornographie, die auf gesetzlicher und vertraglicher Grundlage zugleich kurz vor der Einführung standen, werden erst einmal ausgesetzt. Stattdessen sollen Polizei und Internetwirtschaft gemeinsam versuchen, die kriminellen Inhalte zu löschen. Ein Jahr lang werden nun also vom Bundeskriminalamt doch keine Sperrlisten an die Provider verschickt. Danach will man ergebnisoffen die Wirksamkeit dieser Strategie überprüfen. Nicht jedem muss freilich die hier zugrunde liegende Interpretation des Verhältnismäßigkeitsgebots einleuchten, dass die Tilgung strafbarer Inhalte ein milderes Mittel sei als die Erschwerung des Zugangs zu eben diesen.... und Datenspeicherung auch Auch bei einer weiteren Entscheidung mag der bemerkenswerte Wahlerfolg der Piratenpartei Pate gestanden haben: Die von Gegnern eines Überwachungsstaats besonders gern ins Feld geführte Vorratsspeicherung von Telefon-, Mail- und Surfdaten im Internet wird auf Eis gelegt. Erst einmal soll der Spruch des Bundesverfassungsgerichts zu dieser flächendeckenden Präventivmaßnahme abgewartet werden. Bis dahin sollen Behörden nur noch zur Abwehr einer konkreten Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit auf die Register zurückgreifen können. Wie die Bündnispartner aus der Zwickmühle heraus kommen wollen, dass die Zwangsbevorratung mit Telekommunikationsdaten auf eine Richtlinie der Europäischen Union zurück geht, verraten sie allerdings nicht. Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz soll personell und sächlich aufgerüstet werden. Eine Stiftung soll Bürgern helfen, ihren Selbstdatenschutz als Konsument oder in sozialen Netzwerken zu wahren. Wo das nicht reicht, sollen aber auch Internetstreifen der Polizei und spezielle Schwerpunktstaatsanwaltschaften nachhelfen. Keine Spitzelskandale mehr? Weiter ausgebaut werden soll der Datenschutz von Arbeitnehmern. Das soeben erst durch einen kurzen Passus für Beschäftigungsverhältnisse ergänzte Bundesdatenschutzgesetz erhält damit ein ganzes Kapitel. Informationen über Bewerber und Belegschaftsangehörige dürfen dann nur noch verarbeitet werden, wenn dies für das Arbeitsverhältnis erforderlich ist. Außerdienstliches Verhalten oder Angaben zum Gesundheitszustand (sofern selbiger nicht dienstrelevant ist) können damit weder in Akten noch auf Festplatten festgehalten werden. Nicht nur die Nichtregierungsorganisation Transparency International fragt sich allerdings, wie der Korruption dann noch wirksam vorgebeugt oder selbige aufgedeckt werden soll. Zweiklassenrecht für Anwälte Auch im Kernbereich der Rechtspolitik tut sich Einiges. Das Zweiklassenrecht für Anwälte in der Strafprozessordnung wird wieder abgeschafft. Advokaten werden generell vor Ermittlungen geschützt, wenn ihr Recht zur Zeugnisverweigerung tangiert ist egal ob Strafverteidiger oder Fachanwalt für Arbeitsrecht. Die ebenfalls noch recht junge Kronzeugenregelung soll wieder beschränkt werden: Nur noch Täter, die eigene Delikte aufdecken, kommen in den Genuss eines Rabatts. Verbliebene Lücken bei der Anordnung einer Sicherungsverwahrung will man schließen. Die Pressefreiheit möchten CDU/ CSU und FDP stärken. Als Spätfolge der Cicero -Affäre um die Durchsuchung einer Redaktionsstube wegen der Veröffentlichung von Polizei- und Geheimdiensterkenntnissen werden Beschlagnahmungen erschwert: Bei Journalisten ist sie bloß noch erlaubt, wenn gegen diese selbst ein dringender Tatverdacht besteht. Und die bloße Veröffentlichung von Geheimmaterial kann nicht mehr als Beihilfe zur Verletzung eines Dienstgeheimnisses verfolgt werden kann. Dass Zeugen künftig zum Erscheinen vor der Polizei verpflichtet sein sollen, dürfte noch Kontroversen auslösen. Erleichtert wird die Wiederaufnahme von Strafverfahren zu Lasten eines Angeklagten. Auch Revisionsgerichten will man die Einstellung von Strafverfahren gegen Auflagen erlauben. Widerstand gegen Polizeibeamte soll strenger geahndet werden, und gewerbsmäßige Sterbehilfe wird verboten. Der Missbrauch von Prozesskosten- und Beratungshilfe steht auch noch auf der Agenda; ebenso die Option, dass Bundesländer Verwaltungsund Sozialgerichte zusammenlegen. Dr. Joachim Jahn, Berlin Der Autor ist Wirtschaftsredakteur der F.A.Z. und Lehrbeauftragter der Universität Mannheim. Sie erreichen den Autor unter der -Adresse autor@anwaltsblatt.de. IV AnwBl 12 / 2009

6 MN Bericht aus Brüssel Am Ende aller Tage der Tod und die EU Wem Gott will rechte Gunst erweisen, wusste Joseph von Eichendorff, den schickt er in die weite Welt. Mancher wird es nicht dabei bewenden lassen, sich an Morgenrot, Bächlein und Lerchen zu erfreuen. Vielfach wird er fernab der Heimat sesshaft werden, in einem Land eine Familie gründen und in einem anderen ein Vermögen aufbauen. Die EU-Kommission hat sich jetzt Gedanken zur grenzüberschreitenden Regelung des Nachlasses gemacht. Europäisches Nachlasszeugnis Schon im Wiener Aktionsplan von 1998 haben sich Rat und Kommission vorgenommen, eine erbrechtliche Regelung zu schaffen folgte ein Grünbuch zum Erb- und Testamentrecht. Mit dem Verordnungsvorschlag zum Erbrecht (KOM(2009) 154) sollen die EU-Bürger nun ihren Nachlass im internationalen Kontext regeln können. Der Vorschlag enthält Regelungen über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und die Vollstreckung von Entscheidungen und öffentlichen Urkunden in Erbsachen. Außerdem schlägt die Kommission vor, ein nicht verbindliches Europäisches Nachlasszeugnis einzuführen. Das EU-Nachlasszeugnis soll als Nachweis der Stellung als Erbe oder Vermächtnisnehmer und der Befugnisse als Testamentsvollstrecker dienen. Im Anhang des Kommissionsdokuments findet sich ein entsprechendes Formblatt. Der Antragsteller muss die Richtigkeit seiner Angaben per Urkunden nachweisen. In der gesamten EU wird die inhaltliche Richtigkeit des Nachlasszeugnisses während seiner Gültigkeitsdauer vermutet. Jeder Gutgläubige, der Zahlungen an den Inhaber eines Nachlasszeugnisses leistet, leistet mit befreiender Wirkung, wenn der Inhaber aufgrund des Nachlasszeugnisses zu entsprechenden Handlungen befugt war. Ein vergleichbarer Gutglaubensschutz gilt auch für den Erwerb von Nachlassgütern vom Zeugnisinhaber. Das Nachlasszeugnis bildet einen gültigen Titel für die Eintragung des Erwerbs von Todes wegen in die öffentlichen Register des Belegenheitsstaates. Rechtsbehelfe gegen das EU-Nachlasszeugniss regeln die Mitgliedstaaten nach nationalem Recht. Der DAV hat bereits in seiner Stellungnahme zum Grünbuch einen Europäischen Erbschein gefordert (StN. Nr. 42/2005). Anzuwendendes Recht und Gerichtszuständigkeit Bezüglich des anzuwendenden Rechts und des zuständigen Gerichts etabliert der Verordnungsvorschlag Rangfolgen. Der Erblasser kann bezüglich des gesamten Nachlasses festlegen, dass sich die Rechtsnachfolge einheitlich nach dem Recht seiner Staatsangehörigkeit richtet. Es gelten die Formerfordernisse einer Verfügung auf den Todesfall. Die gleichen Anforderungen bestehen für Änderungen dieser Rechtswahl. Hat sich der Erblasser nicht formal festgelegt, gilt als allgemeine Kollisionsnorm das Recht des Staates, in dem der Erblasser im Todeszeitpunkt seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Sofern sich daraus kein Konflikt mit dem Vorherigen ergibt, bildet der Staat, in dem sich der Nachlassgegenstand befindet, den dritten Anknüpfungspunkt. Die Kommission ist der Ansicht, diese Rangfolge begünstige die Integration des Erblassers im Mitgliedstaat des gewöhnlichen Aufenthalts. Außerdem werde sich in den meisten Fällen dort auch der Großteil des Vermögens befinden. Die nur auf das Recht seiner Staatsangehörigkeit beschränkte Wahlmöglichkeit begründet die Kommission mit einer notwendig zu findenden Balance zwischen der Freiheit des Erblassers und den berechtigten Interessen seiner Angehörigen. Diesen Interessen soll sich der Erblasser nicht durch ein forum shopping entziehen. Bezüglich des anzuwendenden Rechts hat sich der DAV für die grundsätzliche Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit ausgesprochen, weil diese eindeutig feststellbar ist (Stellungnahme Nr. 42/2005 und Nr. 10/2006). Als Gericht definiert der Vorschlag jede Justizbehörde oder sonstige zuständige Stelle, die gerichtliche Aufgaben in Erbsachen wahrnehmen; Notare sind gleichgestellt. Auch die Gerichtszuständigkeit bestimmt sich grundsätzlich nach dem Mitgliedstaat, in dem der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Hat der Erblasser seinen Nachlass dem Recht des Staates unterworfen, dessen Angehöriger er ist, kann das allgemein zuständige Gericht das Verfahren aussetzen und die Parteien unter Fristsetzung auffordern, die Gerichte des Staates des gewählten Rechts anzurufen. Ein Mitgliedstaat kann u. U. auch dann zuständig sein, wenn der Erblasser im Todeszeitpunkt seinen gewöhnlichen Aufenthalt nicht dort hatte. Diese Restzuständigkeit greift dann, wenn sich hier Nachlassgegenstände befinden und zusätzlich der Erblasser dort seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt hatte oder Staatsbürger des Belegenheitsstaates war. Anerkennung und Vollstreckung Grundsätzlich sind die nach der Verordnung getroffenen Entscheidungen ohne besonderes Verfahren von den Mitgliedstaaten anzuerkennen. Für Ausnahmefälle sieht der Verordnungsvorschlag einen ordre public-vorbehalt und weitere Nichtanerkennungsgründe vor. Dazu zählen etwa unvereinbare Entscheidungen, die zuvor zwischen denselben Parteien im ersuchten Mitgliedstaat ergangen sind. Rechtsstreite um die Anerkennung von Entscheidungen sowie deren Vollstreckbarkeit in anderen Mitgliedstaaten richten sich nach der sogenannten Brüssel I-Verordnung (EG) Nr. 44/2001. Öffentliche Urkunden sind anzuerkennen, sofern sie nicht im Erstellungsstaat angefochten werden oder dem ordre public des ersuchten Mitgliedstaates entgegenstehen. Ihre Vollstreckbarkeit richtet sich wiederum nach der Brüssel I-Verordnung. Die Kommission will diesen Urkunden damit hinsichtlich des Inhalts und der dort festgehaltenen Sachverhalte dieselbe Beweiskraft zukommen lassen wie inländischen öffentlichen Urkunden. Der Verordnungsvorschlag fällt unter das Mitentscheidungsverfahren. Wann sich das Parlament zu dem Vorschlag äußert, steht jedoch noch nicht fest. Thomas Marx, Brüssel Der Autor ist Rechtsanwalt und Referent im Brüsseler Büro des Deutschen Anwaltvereins. Sie erreichen den Autor unter der -Adresse VI AnwBl 12 / 2009

7 MN Aktuelles AG Strafrecht Satzungsversammlung Menschenrechte Bundesjustizministerin: Zweiteilung der Anwaltschaft schnell beenden Die im Koalitionsvertrag vereinbarte Änderung des 160 a StPO für einen verbesserten Geheimnisschutz von Anwälten soll schnell angegangen werden. Das kündigte die neue Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger Mitte November auf dem 26. Herbstkolloquium der Arbeitsgemeinschaft Strafrecht im DAV an. Ein konkretes Datum für einen Regierungsentwurf nannte sie aber nicht. Die Zweiteilung der Anwaltschaft bezeichnete sie vor 400 Anwältinnen und Anwälten als unglücklich, falsch und verunsichernd. Seit 2008 sind Strafverteidiger in 160 a StPO besser vor Ermittlungsmaßnahmen geschützt als andere Anwälte. Zum BKA-Gesetz sagte Leutheusser-Schnarrenberger, dass der Kernbereich der persönlichen Lebensführung besser geschützt werden solle. Offen ließ sie, ob die Zweiteilung der Anwaltschaft in 20 u BKA-Gesetz auch noch auf den Prüfstand kommt. Als Erfolg der Koalitionsverhandlungen sah sie, dass die Online-Durchsuchung nicht in die StPO aufgenommen werde. Das Stakkato von Sicherheitsgesetzen setze sie nicht fort. Gleichzeitig räumte die Ministerin ein, dass im Koalitionsvertrag Kompromisse geschlossen worden seien. Leserreaktion Anwälte sind Arbeitgeber Zu dem Kommentar von Prof. Dr. Wolfgang Ewer zur DAV-Forderung nach einer linearen Gebührenerhöhung für Anwälte (AnwBl 2009, 753): Bei allen Argumenten wird immer wieder vergessen, dass Anwälte Arbeitgeber und Ausbilder sind. Wie soll ich mit dem Einkommen von 1994 angemessene Löhne und Ausbildungsvergütungen 2009 zahlen? Also: Ausbildung jetzt und gerechte Löhne gibt es nur mit einer angemessenen Honorierung der anwaltlichen Tätigkeiten. Wir brauchen eine Indexierung. Rechtsanwalt Klaus Fritzen, Saarbrücken Drei kleinere Änderungen in der BORA beschlossen davon zwei im Werberecht Keine Sitzung der vierten Satzungsversammlung ohne Beschlüsse: In ihrer vierten Sitzung am 6./.7. November 2009 gab es nur drei kleinere, eher unbedeutende Änderungen. Im Werberecht wurde 6 Abs. 2 Satz 2 BORA entschlackt und 10 BORA aktualisiert. Eine redaktionelle Folgeänderung wurde in 23 BORA vollzogen. Hinweise auf Mandate und Mandanten waren nach der alten Fassung des 6 Abs. 2 Satz 2 BORA nur in Praxisbroschüren, Rundschreiben und anderen vergleichbaren Informationsmitteln zulässig, soweit der Mandant ausdrücklich eingewilligt hat. Die Beschränkung auf bestimmte Werbemittel ist gestrichen worden. Geblieben ist es dabei, dass der Mandant ausdrücklich einwilligen muss. Die Zweigstelle, zulässig seit der Aufhebung des Zweigstellenverbots 2007, hat nun auch Eingang in die Regelungen zu Briefbögen gefunden. Rein redaktionell ist die Streichung in 23 BORA, dass der Anwalt nicht mehr über Fremdgelder abrechnen muss. Die Regelung von der Satzungsversammlung im November 2008 beschlossen findet sich nämlich jetzt in 4 Abs. 2 Satz 6 BORA. Die Änderungen der BORA müssen dem Bundesjustizministerium zur Prüfung vorgelegt und noch in den BRAK- Mitteilungen verkündet werden. Sie werden daher nicht vor dem 1. Mai 2010 gelten können. Rechtsanwalt Dr. Nicolas Lührig, Berlin Der neue Wortlaut von 6 Abs. 2 S. 2 und 10 BORA: 6 BORA (Werbung) Abs. 2 Satz 2: Hinweise auf Mandate und Mandanten sind nur zulässig, soweit der Mandant ausdrücklich eingewilligt hat. 10 BORA (Briefbögen) Abs. 1 (der veränderte frühere Abs. 3): Der Rechtsanwalt hat auf Briefbögen seine Kanzleianschrift anzugeben. Werden mehrere Kanzleien, eine oder mehrere Zweigstellen unterhalten, so ist für jeden auf den Briefbögen Genannten seine Kanzleianschrift ( 31 BRAO) anzugeben. Der bisherige 10 Abs. 1 (zu Kurzbezeichnungen) wird unverändert Abs. 2, der bisherige 10 Abs. 2 (berufliche Zusammenarbeit mit anderen Berufen) wird unverändert Abs. 3. Der bisherige Abs. 4 (ausgeschiedene Personen) bleibt unverändert Abs. 4. Sachorow-Preis geht mal wieder nach Russland Die vorwiegend in Russland aktive Menschenrechtsorganisation Memorial will erinnern, aufrütteln und kämpft für die Einhaltung der Menschenrechte. Nun hat sie ihrem Namen alle Ehre gemacht und sich durch ihr Engagement selbst eine Art Denkmal gesetzt. Am 16. Dezember wird ihr sowie Oleg Orlow, Sergei Kowaljow und Ljudmila Alexejewa, stellvertretend für alle russischen Menschenrechtler, der Sacharow-Preis verliehen. Die Auszeichnung wird seit 1988 vom Europäischen Parlament jährlich an Menschen vergeben, die sich selbstlos für Menschenrechte, Versöhnung und Demokratie einsetzen. Der DAV unterstützt Aufrufe und Erklärungen der Organisation. Als Anfang des Jahres ein Menschenrechtsanwalt und eine kremlkritische Journalistin in Moskau auf offener Straße erschossen werden, beteiligte der DAV sich an Anzeigen in deutschen und russischen Zeitungen. In einer gemeinsamen Veranstaltung mit Amnesty International im Sommer 2009 im DAV-Haus berichtete ein tschetschenischer Strafverteidiger, der auch im Auftrag von Memorial tätig ist, über seinen Arbeitsalltag. Ursprünglich wollte Memorial Ende der achtziger Jahre Menschenrechtsverbrechen unter der Sowjetdiktatur aufklären. Doch mit dem raschen Umbruch in den postsowjetischen Staaten wandelte sich auch die Zielrichtung: Memorial steht seither ebenso für die Entwicklung einer freiheitlich-demokratischen Bürgergesellschaft und ist ein Netzwerk von über achtzig nationalen und regionalen Organisationen. Derzeit unterhält Memorial Büros in sieben Ländern, darunter auch eines in Berlin. Namensgeber des Preises ist der russische Friedensnobelpreisträger Andrej Sacharow. Er setzte sich aktiv für die Nichtverbreitung von Atomwaffen ein. Sacharow war maßgeblich an der Gründung von Memorial beteiligt und ihr erster Vorsitzender. Katrin Frank, DAV, Berlin VIII AnwBl 12 / 2009

8 MN Aktuelles Europa Strafrechtliche EU-Gesetzesentwürfe in der Lissabon-Falle Die schwedische EU-Ratspräsidentschaft hat es im Bereich der Strafrechts-Politik nicht einfach. Denn das Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon am 1. Dezember 2009 wird die Spielregeln im Strafrecht nachhaltig verändern: Die EU-Gesetze werden sodann im Rat nicht mehr wie bisher einstimmig erlassen, sondern mit qualifizierter Mehrheit; überdies wird das Europäische Parlament gleichberechtigter Mitentscheider (bislang kann das EP nur seine Meinung äußern; diese Stellungnahme wird sodann von den Mitgliedstaaten pflichtschuldigst zur Kenntnis genommen und abgeheftet). Diese einschneidenden Änderungen im EU-Primärrecht bedeuten für alle Rahmenbeschlüssen mit strafrechtlichen Inhalt, die momentan verhandelt werden, das vorzeitige Aus. Betroffen sind hiervon u. a. folgende Gesetzgebungsvorhaben: 9 der Rahmenbeschluss über das Recht auf Verdolmetschung und Übersetzung in Strafverfahren, 9 der Rahmenbeschluss über die Übertragung von Strafverfahren, 9 der Rahmenbeschluss zur Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels und zum Schutz von Opfern, 9 der Rahmenbeschluss zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs und der sexuellen Ausbeutung von Kindern sowie der Kinderpornografie. Selbst wenn es bereits zu einer politischen Einigung auf Ministerebene (im EU-Gesetzgebungsjargon auch allgemeine Ausrichtung genannt) gekommen sein sollte wie z.b. beim oben erwähnten Verdolmetschungs- Rahmenbeschluss am 23. Oktober 2009 ist diese Konsensbekundung gesetzgebungstechnisch wenig bis gar nichts wert. Dem politischen Konsens auf Ministerebene folgen nämlich stets gesetzestechnische Abschlussarbeiten, die selbst mit größten politischen Anstrengungen kaum unter drei Monaten durchzuführen sind. So müssen die Rechts- und Sprachsachverständigen den Text einer rechtsförmlichen Prüfung in allen Amtssprachen unterziehen; auch bestehen häufig nationale Parlamentsvorbehalte, deren Aufhebung (insbesondere in Dänemark und Schweden) sich (jahre)lang hinziehen kann. Erst nach Abschluss der rechtsförmlichen Arbeiten und der Aufhebung aller nationalen Parlamentsvorbehalte kann der endgültige Gesetzestext formell von den EU-Ministern angenommen werden. Da der Vertrag von Lissabon gemäß seinem Art. 6 am ersten Tag des auf die Hinterlegung der letzten Ratifikationsurkunde folgenden Monats in Kraft tritt und der tschechische Präsident Vaclav Klaus im November 2009 seine Unterschrift unter den Vertrag gesetzt und dieses Papier sodann in Rom hinterlegen lassen hat, entfaltet der Lissabon-Vertrag am 1. Dezember 2009 seine Gültigkeit. Kaum anzunehmen, dass der Rahmenbeschluss Verdolmetschung bis dahin auch formell abgesegnet worden ist. Deswegen wird er das Schicksal aller noch anhängigen strafrechtlichen Gesetzesvorhaben teilen, nämlich die sofortige Wandlung zu gesetzgeberischem Altpapier. Insofern spricht vieles dafür, dass die obsoleten Rahmenbeschluss-Entwürfe 2010 nochmals als Richtlinie aufgelegt werden (müssen). Ob dann ein 2009 erzielter politischer Konsens auf EU-Ministerebene einigermaßen halten würde oder ob die Diskussion komplett von vorne begänne, lässt sich momentan nur sehr schwer einschätzen. Doch unabhängig davon dürften die inhaltlichen Diskussionen wieder umfassend aufflammen, denn das Europäische Parlament dürfte sich kaum die Chance entgehen lassen, endlich gleichberechtigt im Strafrechtsbereich mitzubestimmen. So ist z. B. zu erwarten, dass der eher kümmerliche rechtsstaatliche Minimalkonsens zu den Dolmetscherleistungen (weder sind prozessvorbereitende Gespräche des Verteidigers mit dem Beschuldigten erfasst, noch muß die Anklageschrift oder das Urteil schriftlich übersetzt werden) von den EU-Parlamentariern noch signifikant angehoben wird. Dr. Torsten Brand (LL. M. eur), Vertreter des Justizministeriums Baden-Württemberg in Brüssel Hülfskasse Deutscher Rechtsanwälte Aufruf zur Weihnachtsspende 2009 Sehr geehrte Frau Kollegin, sehr geehrter Herr Kollege, besonders in der jetzt für alle wirtschaftlich schwierigen Zeit hoffen und warten viele Bedürftige auf diesen einzigartigen Solidaritätsbeweis der deutschen Anwaltschaft. Mit den eingegangenen Spenden im Jahr 2008, für die wir allen Spendern nochmals herzlich danken, wurde es möglich, dass die Hülfskasse in 26 Kammerbezirken bundesweit 229 Unterstützten das Weihnachtsfest verschönern konnte: Ausgekehrt wurden insgesamt E an Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte bzw. deren Witwe(r)n. Zusätzlich erhielten 60 Kinder Buchgutscheine. Daher unser Aufruf: Helfen Sie auch in diesem Jahr mit Ihrer Spende! Sollte Ihnen im Kollegenkreis ein Notfall bekannt sein, bitte informieren Sie uns. Wir helfen gern! Zu Ihrer Information sei erwähnt, dass die Hülfskasse Deutscher Rechtsanwälte im nächsten Jahr 125 Jahre alt wird. Mitglieder des Vereins sind zurzeit die Rechtsanwaltskammern beim Bundesgerichtshof, Braunschweig, Hamburg, Köln, Oldenburg und Schleswig-Holstein. Im Rahmen der Weihnachtsspende, die seit 1948 durchgeführt wird, ist die Hülfskasse nicht auf den Bereich der Mitgliedskammern beschränkt, sondern bedenkt Angehörige unseres Berufsstandes im gesamten Bundesgebiet. Bernd-Ludwig Holle, Vorstandsvorsitzender der Hülfskasse Deutscher Rechtsanwälte Die Bankverbindung der Hülfskasse lautet: Deutsche Bank Hamburg, Kto-Nr , BLZ und Postbank Hamburg, Kto-Nr , BLZ Für Beträge bis einschließlich 200 E gilt der von Ihrem Kreditinstitut quittierte Beleg als Zuwendungsbestätigung. Für Spenden über 200 E erhalten Sie unaufgefordert eine Spendenquittung. Informationen erhalten Sie unter X AnwBl 12 / 2009

9 MN Aktuelles Anwaltsrecht Verschwiegenheit von Abgeordneten des Bundestags Das Bundesverwaltungsgericht hat den Klagen zweier Bundestagsabgeordneter gegen Sanktionen wegen einer Verletzung der Transparenzregelungen teilweise stattgegeben. Die Ordnungsgeldbescheide hat es zwar aufgehoben, gleichzeitig aber entschieden, dass die Abgeordneten grundsätzlch zur Auskunft verpflichtet sind. Nach den Transparenzregeln müssen die Abgeordneten dem Bundestagspräsidenten entgeltliche Tätigkeiten neben dem Bundestagsmandat und die dafür erhaltenen Einkünfte anzeigen, wenn die Einnahmen Freibeträge übersteigen. Unterliegen die Abgeordneten bei ihrer beruflichen Tätigkeit einer Pflicht zur Verschwiegenheit, können sie ihren jeweiligen Auftraggeber in anonymisierter Form angeben. In den Veröffentlichungen werden die Einkünfte nicht als konkrete Beträge, sondern in Gestalt einer von drei Einkommensstufen (von bis Euro, von bis Euro bzw. über Euro monatlich) ausgewiesen. In den von dem Bundesverwaltungsgericht entschiedenen Fällen hatten sich Otto Schily und Volker Kröning, die neben ihrem Mandat im Bundestag als Einzelanwälte tätig waren, auf ihre anwaltliche Pflicht zur Verschwiegenheit berufen. Außerdem würden durch die Ausgestaltung und Anwendung der Anzeigepflichten die als Einzelanwälte arbeitenden Abgeordneten gegenüber ihren in Anwaltssozietäten tätigen Kollegen benachteiligt. Das Bundesverwaltungsgericht hat zumindest die Ordnungsgelder kassiert. Die Kläger rügten zu Recht, dass die Einzelanwälte unter Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz im Vergleich zu den in einer Anwaltssozietät tätigen Abgeordneten benachteiligt werden, weil von diesen Anwälten die Angabe einzelner Mandate oder erzielter Einkünfte nicht gefordert wird. Das Bundesverwaltungsgericht ist in erster und letzter Instanz für Maßnahmen nach den sog. Transparenzregeln des Parlaments zuständig. Die Entscheidungsgründe liegen noch nicht vor. Quelle: Pressemitt. des BVerwG v Alterversorgung Kindererziehende: Versorgungswerk plus Rente möglich Anfang 2008 hatte das Bundessozialgericht (BSG) entschieden (Az.: B 13 R 64/06 R), dass die gesetzliche Rentenversicherung auch für Kinder erziehende Mitglieder berufsständischer Versorgungswerke Kindererziehungszeiten anerkennen muss, wenn diese in den Versorgungswerken nicht systematisch vergleichbar wie in der gesetzlichen Rentenversicherung berücksichtigt werden. Dies ist regelmäßig nicht der Fall, weil der Bund sich trotz entsprechender Forderungen der Versorgungswerke und ihrer Arbeitsgemeinschaft (ABV) bisher weigert, Beiträge für Zeiten der Kindererziehung an die Versorgungswerke zu zahlen, wie er dies an die gesetzliche Rentenversicherung tut. Die Rentenversicherungsträger haben sich nach dieser Entscheidung des obersten deutschen Sozialgerichtes dafür entschieden, der Entscheidung zu folgen und haben nach der Prüfung aller Satzungen der berufsständischen Versorgungswerke inzwischen damit begonnen, Kindererziehungszeiten für Mitglieder der Versorgungswerke anzurechnen, wenn diese einen entsprechenden Antrag an die gesetzliche Rentenversicherung gestellt haben. Für viele Mitglieder der Versorgungswerke führte die Anrechnung von Kindererziehungszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung aber nicht zu einem Rentenanspruch, weil sie allein mit den Kindererziehungszeiten die in der gesetzlichen Rentenversicherung geltende Wartezeit von 60 Monaten nicht erreichen konnten. Besonders betroffen waren hier diejenigen, meist Mütter, die ihre Kinder vor dem geboren haben, weil für Geburten vor diesem Termin in der gesetzlichen Rentenversicherung nur ein Jahr Kindererziehungszeit berücksichtigt wird. Aber auch Mütter, die Kinder nach dem geboren haben, konnten betroffen sein. Zwar wird für Geburten nach dem eine Kindererziehungszeit von drei Jahren in der gesetzlichen Rentenversicherung berücksichtigt, was bedeutet, dass mindestens zwei Kinder geboren und erzogen worden sein müssen, um die Wartezeit von 60 Monaten zu erreichen. Den Missstand, dass man Kinder erziehenden Mitgliedern der Versorgungswerke zwar Kindererziehungszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung anrechnete, sie aber einen Rentenanspruch meist nicht erreichen konnten, hat der Gesetzgeber mit dem Gesetz zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch zur Errichtung einer Versorgungsausgleichskasse und anderer Gesetze (BGBl. I, Nr. 42/2009, Seite 1939 ff.) kurz vor Ende der 16. Legislaturperiode des Bundestages abgeholfen. Durch Einfügung eines neuen 208 SGB VI wurde festgelegt, dass Elternteilen, denen Kindererziehungszeiten anzurechnen sind, die aber die allgemeine Wartezeit der gesetzlichen Rentenversicherung von 60 Kalendermonaten nicht erfüllt haben, zur Erlangung einer Altersrente freiwillige Beiträge nachzahlen können. Die Beiträge können laut Gesetzestext auf Antrag frühestens nach Erreichen der Regelaltersgrenze (derzeit 65., später 67. Lebensjahr) und nur für so viele Monate nachgezahlt werden, wie zur Erfüllung der allgemeinen Wartezeit noch erforderlich sind. Für Mitglieder von Versorgungswerken, denen Kindererziehungszeiten der gesetzlichen Rentenversicherung angerechnet worden sind, bedeutet dies, dass sie, wenn sie die in der gesetzlichen Rentenversicherung geltende Regelaltersgrenze (derzeit 65., später 67. Lebensjahr) erreichen, freiwillige Beiträge an die gesetzliche Rentenversicherung, nachdem derzeitigen Rechtsstand mindestens Euro 79,60 an die Rentenversicherung nachzahlen können, um dort einen Rentenanspruch aus den Kindererziehungszeiten zu erlangen. Michael Jung, Hauptgeschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft berufsständischer Versorgungseinrichtungen (ABV), Köln Mitglieder berufsständischer Versorgungswerke, die die Regelaltersgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung (derzeit 65. Lebensjahr) bereits erreicht haben, sollten sich deshalb umgehend mit der für sie örtlich zuständigen Auskunfts- und Beratungsstelle der Deutschen Rentenversicherung Bund (DRV) in Verbindung setzen, um zu klären, wie viele Beiträge sie gegebenenfalls nachzahlen müssen, um aus den ihnen angerechneten Kindererziehungszeiten einen Rentenanspruch zu erlangen. XII AnwBl 12 / 2009

10 Anwaltsblatt Jahrgang 59, 12 / 2009 Im Auftrag des Deutschen Anwaltvereins herausgegeben von den Rechtsanwälten: Felix Busse Dr. Peter Hamacher Dr. Michael Kleine-Cosack Wolfgang Schwackenberg Redaktion: Dr. Nicolas Lührig (Leitung) Udo Henke Manfred Aranowski Rechtsanwälte Die Moral der Strafverteidigung * Rechtsanwalt Prof. Dr. Franz Salditt, Neuwied Alle Welt redet über Ethos. Müssen deshalb auch Strafverteidiger über Moral nachdenken? Setzt die Theorie vom Organ der Rechtspflege Moral voraus? Wer bestimmt darüber? Ist Verteidigung unmoralisch, wenn sie stört? Kann man missbräuchliche von störender Verteidigung unterscheiden? Muss Verteidigung um Vertrauen besorgt sein? Schränkt Vertrauen die anwaltliche Freiheit ein? I. Hier wie überall zu findende Ausnahmen? Die Moral der Strafverteidigung über dieses Thema zu reden, hat jemand gesagt, das gleiche dem Versuch, auf Zehenspitzen durch eine Flutwelle zu balancieren. Dazu braucht es starke Begleiter. Diese Aufgabe soll hier den Soziologen mit ihrem Blick auf das große Ganze zufallen. Niklas Luhmann, der uns am nächsten steht, hat Moral das Bindemittel der Gesellschaft genannt. 1 Moral, so notiert er, verleiht keinen Glanz, sondern sie belastet mit Verhaltenserwartungen. 2 Dass trotzdem eingangs dieser Festveranstaltung die Moral der Strafverteidigung betrachtet werden soll, beruht daher weniger auf einem Hang zum Dekorum als auf zwei noch zu erläuternden konkreten Anlässen für den einen ist der Bundesgerichtshof, für den anderen ein Großkommentar zuständig. Wir dürfen dem unbequemen Thema auch an feierlichen Tagen nicht ausweichen, trotz der Warnung Luhmanns, Moral sei ein infektiöser Gegenstand. 3 Er stellt dem Redner, der in die Falle tappt, einen großen Kopf in Aussicht, groß durch leere Aufgeblasenheit. 4 Deshalb soll zunächst in aller Vorsicht mit pragmatischen Erfahrungen begonnen werden, wie sie jeder junge Anwalt als Strafverteidiger schon zu Beginn eines, wenn es gut geht, hoffentlich vierzigjährigen Berufslebens machen kann. Für mich bleiben drei Kollegen der älteren Generation im Bezirk des Landgerichts Koblenz in Erinnerung. Sie strahlten selbstbewusste Unabhängigkeit von den Gewalten des Staates aus, aber auch von ihren Mandanten. Dafür gab es unterschiedliche Gründe. Dr. B., Gottvater genannt, war der Seniorpartner einer blühenden Sozietät und darin der einzige, der sich für das Strafrecht entschieden hatte. Wenn er das Wort ergriff, mächtig, aber immer der Sache verhaftet, gab es keinen Zweifel daran, dass seine volle und sorgfältig gebildete Überzeugung dahinter stand. Rolle und Person waren eins. Dr. F., der zweite, führte eine kleinere Praxis. Sein Erfolg beruhte auf juristischer Eleganz und darauf, dass er es meisterhaft beherrschte, wie ein Richter zu denken und, soweit dies dem Beschuldigten half, zu argumentieren. Er handhabte Argumente wie der erfahrene Chirurg das Skalpell und vertraute auf die alles bezwingende Kraft des Rechts. Der dritte und älteste schließlich, Rechtsanwalt T., zeichnete sich durch Güte und den Mandanten fürsorglich zugewandte Haltung aus, was sogar im Gerichtssaal etwas Ansteckendes hatte. Er war Einzelkämpfer und konnte sich dies leisten, weil er bescheiden wirtschaftete. Auf Um- oder Schleichwege waren die Kollegen nicht angewiesen. Ihnen im vollen Sinne dieses Wortes Gehör zu gewähren, bereitete den Richtern keine Überwindung. Wegzuhören wäre schwerer gewesen. Die genannten Rechtsanwälte verkörperten, jeder für sich und jeder auf seine Weise, Spielarten der individuellen Moral eines Strafverteidigers. Gemeinsam war ihnen: Sie kompensierten die Schwäche der Beschuldigten durch ihre persönliche Stärke. Dies, so schloss der jüngere Kollege, ist die wohl wichtigste Aufgabe der Strafverteidigung. Das Beispiel gab mehr Orientierung als kluge Handbücher und wirkte weit über die Personen hinaus. Daran änderten auch die Berichte nichts, die damals über ferne Hauptverhandlungen gegen RAF-Angeklagte gelesen und erörtert wurden. Als der Bundesgerichtshof im Jahre 1977 während der Schleyer- Entführung die seinerzeit noch nicht normierte Kontaktsperre anordnete, weil er im freien Zugang der Strafverteidiger zu deren Mandanten eine Gefahr sah, fand der * Vortrag auf der Jubiläumsveranstaltung der Arbeitsgemeinschaft Strafrecht am (Petersberger Tage) 1 Niklas Luhmann, Die Moral der Gesellschaft, 2008, S Wie vor S Wie vor S. 56f. 4 In Anlehnung an Hegel, wie vor, S. 69. Die Moral der Strafverteidigung, Salditt AnwBl 12 /

11 MN Aufsätze Strafsenat selbst in der Erregung jenes Augenblicks ein sachliches Wort. Er merkte immerhin an, dass die Anwaltschaft in der Tat in ihrer weit überwiegenden Mehrheit Misstrauen nicht verdient. Die Regelung der Verteidigungsbefugnisse, die von der besonderen Integrität der Mitglieder der Rechtsanwaltschaft ausgehe, rechtfertige im Übrigen, so wörtlich, eine Vernachlässigung der hier wie überall zu findenden Ausnahmen. 5 In Koblenz haben wir das beruhigt zur Kenntnis genommen, denn dieser abwägende Text mit dem Hinweis auf das überall sah ungeachtet der höchst angespannten öffentlichen Lage ganz ausdrücklich davon ab, zwischen Richtern, Staatsanwälten und Verteidigern zu unterscheiden. Und er hat, indem er von Ausnahmen redete, Verallgemeinerungen widersprochen. Selbstverständlich erreichten die Wellen der Aufklärung auch den Mittelrhein; in ihrem Gefolge gab es prozessuale Stürme und bald darauf auch die Windstille der Absprachen. Mich selbst hat übrigens erstmals ein gleichaltriger Richter behutsam auf die Möglichkeit hingewiesen, Urteile durch Vereinbarung zustande kommen zu lassen. Es war seinerzeit noch die flüsternde Weitergabe eines forensischen Geheimnisses. Eingeweiht zu werden, schuf die Illusion von Nähe. Jene drei soeben erwähnten Kollegen waren, wie in ihrer Zeit üblich, auf Distanz geblieben. Sie haben keinen Fußbreit der Freiheit verwirkt, gegen ihre Mandanten ergehende Urteile falsch und bestimmte Übungen der Gerichte verfehlt zu nennen, denn sie waren nicht verstrickt. Ihre forensische Haltung war eindeutig, bei aller Neigung zu Takt und (diesen anderen Begriff kann man bei uns nur noch in fremder Sprache verwenden) Manners. Wir haben diese Eindeutigkeit, die der alte Hans Dahs, ohne scheinheilig zu sein, als prozessualen Kampf bezeichnen konnte, verspielt. Und unsere Generation neigt auf Tagungen dazu, dies durch markante Rhetorik zu verschleiern. II. Zuweisung von Achtung oder Missachtung? In die heute merkwürdig schwankende Stimmung, die auf allen Seiten von Zwiespalt und Selbstzweifeln geprägt ist, platzt ein Verdikt des Großen Strafsenats. Es wird uns von Karlsruhe zugerufen und verstaubt nicht wie die altehrwürdige juristische Kunstfigur des obiter dictum, um das es sich handelt, in der Amtlichen Sammlung. Wir finden die Bemerkung in dem Beschluss vom 23. April 2007, der sich mit nachträglichen Berichtigungen des Protokolls zum Nachteil des Revisionsführers befasst. 6 Dort heißt es: Die Hoffnung, insbesondere durch den Appell an das Gewissen der Verteidiger bewusst unwahre Verfahrensrügen zu verhindern, habe sich nicht erfüllt. Das anwaltliche Ethos habe sich geändert. Dazu zitieren die Richter an vorausgehender Stelle aus der Feder angesehener Strafverteidiger, die in wissenschaftlicher Argumentation zu den normativen Folgen der artifiziellen Beweiskraft des Protokolls ( 274 StPO) offen und mit etwas zu viel dialektischem Schwung von einer revisionsrechtlichen Pflicht zur Lüge gehandelt hatten. Dem Großen Strafsenat hat Rainer Hamm in der Neuen Juristischen Wochenschrift geantwortet. 7 An dieser Stelle soll der mehr als hundertjährige Streit über die causa famosa des nicht gerade lebensnahen und auch sonst nicht an Kriterien materieller Wahrheit orientierten Revisionsrechts ausgeklammert bleiben. Den wuchtigen Hinweis auf die Änderung des anwaltlichen Ethos dürfen wir aber nicht übergehen. Hassemer hat den Karlsruher Zuruf als Rhetorik der Abgrenzung scharf kritisiert. 8 Er steht in engem Zusammenhang mit dem Urteil des 3. Strafsenats vom 11. August Dort wird den punktuellen Regeln der Strafprozessordnung ein übergreifendes allgemeines Missbrauchsverbot entnommen. 10 Dieses sei anwendbar, wenn gezielt verfahrensfremde oder verfahrenswidrige Zwecke verfolgt werden. 11 Auch im Begriff des Missbrauchs, der sich, wie alle Ausprägungen von Treu und Glauben oder deren Gegenteil, einer konkreten Definition entzieht, prallen moralische Erwartungen aufeinander. Nicht zufällig verwendet das Urteil die unjuristische Formel vom Bild der Strafverteidigung. 12 Wie aber verhält es sich denn mit moralischen Argumenten? Regeln der Moral werden bekanntlich nicht im demokratischen Verfahren geschaffen. Deshalb kann kein Einzelner und können auch nicht fünf Einzelne moralische Regeln mit Anspruch auf Verbindlichkeit aufstellen. Befragen wir Niklas Luhmann, unseren ersten Begleiter auf dem Weg durch die Flutwelle. Moral, sagt er, beruht auf der Zuweisung von Achtung oder Missachtung. 13 Sie drückt sich in den Bedingungen aus, nach denen Achtung oder Missachtung verteilt werden. 14 Die Kommunikation darüber bewertet präferierte Verhaltensweisen als Tugend, andere als das Gegenteil. 15 Ihr Code unterscheidet folglich nach gut oder schlecht (nicht nach rechtmäßig oder rechtswidrig). 16 Auf diese Weise werden Zugehörigkeit oder Ausschließung signalisiert. 17 Wo Hassemer von Abgrenzung gesprochen hat, könnte man daher schärfer von einem Signal für Ausgrenzung reden. Moral, dies stellt Luhmann weiter fest, hat eine Tendenz zum Normalen, die Auffälligkeiten bestraft. 18 Das muss den Strafverteidiger, der in der Regel dem eher Auffälligen zur Seite steht, alarmieren. Und auch darauf macht Luhmann aufmerksam: Funktionscodes, hierzu zählt das Recht, greifen auf Moral zurück, um sich gegen Missbrauch zu schützen, den er Sabotage nennt. 19 An genau dieser Stelle kristallisiert das fluide Medium der Moral an. 20 Nüchtern betrachtet, heißt dies aber Moral drängt dazu, fehlendes Recht zu ersetzen, 21 obwohl ihr keine normative Kraft verliehen ist. Dazu passen metajuristische Formulierungen des Bundesgerichtshofs, wonach eine von ihm beanstandete Prozessführung sich dem berechtigten Anliegen der Strafverteidigung ersichtlich nicht mehr verpflichtet fühle. 22 Das OLG Frankfurt a. M. bedient sich eines dynamischen Bildes, das Ausschließung durch die irreführende Assoziation 5 BGHSt 27, 260 ff., 265; Hervorhebung v. Verf. 6 BGHSt GSS 51, 298 ff., 312 f. 7 R. Hamm, Verkümmerung der Form durch Große Senate oder: Die Pilatusfrage zum Hauptverhandlungsprotokoll, NJW 2007, 3166 ff.; dazu auch F. Gillmeister, FS Arbeitsgemeinschsft Strafrecht, Baden-Baden 2009 S. 124 ff. 8 W. Hassemer, Die Anwaltschaft und die Freiheit, AnwBl 2008, 413 ff., BGHSt 51, 88 ff. 10 Wie vor S. 92 ff. 11 Wie vor S. 93 unter Hinweis auf BGHSt 38, 111, Darauf nimmt BGHSt 51, 99 Bezug. 13 Wie vor S Wie vor S Wie vor S Wie vor S Wie vor S. 331; Luhmann spricht von Exklusion; S Wie vor S Wie vor S Wie vor S Um eine Ersetzung geht es auch in anderem Zusammenhang. Nach Luhmann ersetzt moralisierende Zuweisung von Missachtung das im Recht fehlende Instrument der Ausschließung (Exklusion); wie vor S Beschluss 3 StR 238/07 v , zitiert nach K.-U. Ventzke, Verteidigung am revisionsgerichtlichen Pranger?, FS Frezer, 2008, S. 477, AnwBl 12 / 2009 Die Moral der Strafverteidigung, Salditt

12 MN Aufsätze eines Austritts ersetzt: Der beanstandete Anwalt sei aus der Rolle als Organ der Rechtspflege herausgetreten. 23 Wer von einem solchen Verdikt, mit dessen Leerformel alles begründet werden kann, betroffen ist, verliert seine Wirksamkeit im Verfahren. Verschont bleibt er nur, wenn hartes Recht zur Rede steht, weil dieses stärker ist als Moral. Soweit aber die unbestimmten Mechanismen der freien Beweiswürdigung und der mit enormen Spielräumen stattfindenden Strafzumessung greifen, manche sprechen von soft law, können moralisierende Affekte die Wertungen infizieren und kann Moral das Rechtssystem unterwandern, weil die Konturen im Nebel verlaufen. Selbst das Beweisantragsrecht ist dagegen nicht geschützt, nachdem es sich längst auf dem Weg befindet, soft law zu werden. Die eingangs erwähnten drei Koblenzer Kollegen der früheren Generation gingen ihrer Arbeit unangefochten nach. Sie genossen die Achtung, die Stärke und Wirksamkeit verleiht. Es hat seine Gründe, wenn die Strafverteidigung besorgt auf das Ethos-Verdikt und auf eine verallgemeinernde Missbrauchs-Doktrin reagiert. Schon gar nicht können wir hin- Entweder müssen sich alle Akteure des Strafprozesses der moralisierenden Kritik stellen oder keiner. nehmen, dass dabei einseitig verfahren wird. Wer andere auf Moral festlegen will, unterstellt sich denselben Bedingungen. 24 Moralische Kommunikation fordert daher, wie Luhmann dies nennt, Reziprozität 25 oder Symmetrie. 26 Solange Missbrauch nur als Methode der Verteidiger erörtert wird, versteckt sich hinter den Worten ein sehr einseitiges Interesse. Nicht einer von uns, sondern Thomas Fischer, heute Professor und Richter am Bundesgerichtshof, hat den Missbrauch in nobler Offenheit auf allen Seiten diagnostiziert, auch bei Staatsanwälten oder Richtern. 27 Entweder müssen sich alle Akteure des Prozesses der moralisierenden Kritik stellen oder keiner. Reziprozität, die Richter und Rechtsanwälte verbindet, schärft den Blick für das Problem. Nur deshalb soll hier in wenigen Sätzen von den hoheitlichen Akteuren des Strafprozesses die Rede sein. Zum Beispiel ein Strafrichter, der um eigene Befangenheit weiß und daraus keine Konsequenzen zieht, missbraucht sein Amt, weil er Distanz und innere Unabhängigkeit verloren hat. Er spiegelt dann nur noch vor, ohne Ansehen der Person gegen den Angeklagten zu verhandeln und ohne Ansehen der Person über ihn zu urteilen. Oft ist es der verborgene Zweck, der den Missbrauch ausmacht. Untersuchungshaft kann verhängt werden, um das Einlassungsverhalten des verstockten Beschuldigten zu ändern. 28 Anklagen können aufgebläht werden, um Verhandlungsmasse für zu verabredende Einstellungen nach 154 StPO zu bilden. Die Sanktionenschere kann aufgeklappt und gezeigt werden, um ein Geständnis zu erwirken. Urteilsbegründungen können gefärbt werden, um unsichere Feststellungen bestandskräftig zu machen. Wir sind uns bewusst, dass dem durch ein disziplinierendes Verbot nicht beizukommen ist verschwiegene Absichten bleiben unangreifbar. Das muss erlitten werden, weil anderenfalls auch die legitimen Spielräume der Strafrechtspflege beschnitten würden. Jede verschwommene Generalklausel, ob sie sich gegen Verteidiger, gegen Staatsanwälte oder gegen Richter wenden soll, entfesselt das hinter Leerformeln lauernde Interesse an mehr prozessualer Macht und hebt notwendig gegenläufige Funktionen auf. So verhält es sich insbesondere mit moralisierenden Argumenten. Es ist allzu verführerisch, wenn sich Missbrauch schon aus exzessiver Inanspruchnahme eines Rechts ergeben soll und die Entscheidung darüber bei dem Adressaten der prozessualen Maßnahme liegt, der versucht sein kann, Gleiches mit Gleichem zu vergelten. Davor hat Wohlers gewarnt. 29 Solche Zensur wird irgendwann mit eingeschliffenen Formeln zur Routine und läuft dann wie selbstverständlich auch auf die Abwehr unbequemer, unwillkommener oder unverstandener Rechtsausübung hinaus. Das trifft Verteidigung, die stört. Und die lässt sich von der, die nur als störend empfunden wird, nicht unterscheiden. Störende Verteidigung kann man als unmoralisch verwerfen und, wie die Rechtsgeschichte zeigt, grundsätzlich auf drei Wegen bewältigen. Erstens man lässt den Verteidiger, weil er stören könnte, gar nicht erst zu. So verhielt es sich im Falle des Sonderverbrechens der Hexerei, weil dort der Teufel im Spiel war und die Gerechten unter sich bleiben wollten. Friedrich von Spee hat das, in der frühesten unseren Beruf hierzulande erfassenden Abhandlung überhaupt, der Cautio Criminalis des Jahres 1631, mit einem naturrechtlichen Argument angegriffen: Je schwerer das angeklagte Verbrechen, desto notwendiger sei Verteidigung, und desto besser müsse der Verteidiger sein. 30 Der zweite Weg, störende Verteidigung zu bewältigen, setzt unsere Mitwirkung voraus. Er besteht in der vorsorglichen Kapitulation. Dazu haben sich einige Rechtsanwälte nach dem 20. Juli Die Missbrauchs-Generalklausel würde unbequeme, unwillkommene oder unverstandene Verteidigung treffen vor dem Volksgerichtshof bereitgefunden. Sie haben die erwartete Todesstrafe im Falle ihrer Klienten als gerecht bezeichnet. 31 Als dritte Variante schließlich verbleibt der hartnäckige Entschluss, sich von der Störung nicht abbringen zu lassen. Diesen Weg hat in den frühen Fünfziger Jahren ein Kollege eingeschlagen, der in dem Staatsschutzverfahren, um das es ging, angeklagte Kommunisten verteidigte. Er hat beantragt, Beweis darüber zu erheben, dass Bundeskanzler Adenauer den Bundestag zu den sowjetischen Deutschlandnoten des Jahres 1952 belogen habe. Diether Posser, er war der Verteidiger, musste sich wegen des Beweisantrags vor 23 OLG Frankfurt NJW 2005, 1727 ff., Luhmann, wie vor S Wie vor S Wie vor S Thomas Fischer, Rechtsmissbrauch und Überforderung der Strafjustiz, NStZ 1997, 212 ff., Die gesetzeswidrige Zweckentfremdung von Untersuchungshaft, um Absprachen zu erzwingen, ist auch im Bundesgerichtshof zur Kenntnis genommen worden; Thomas Fischer, Diskussionsbeitrag auf dem 1. Karlsruher Strafrechtsdialog 2007; Jahn/Nack, Strafprozeßpraxis und Rechtswissenschaft getrennte Welten?, 2008, zit. S W. Wohers, Die Reaktion auf missbräuchliches und/oder exzessives Verteidigungsverhalten, in: Jahn/Nack aao., FN 28, S. 42 ff., Spee, Friedrich von, Cautio Criminalis, 2. Aufl. 1632, Ausgabe J.-F. Ritter, 1939, S. 65 ff. 31 Stefan König, Vom Dienst am Recht, Rechtsanwälte als Strafverteidiger im Nationalsozialismus, 1987, S. 242 f. Die Moral der Strafverteidigung, Salditt AnwBl 12 /

13 MN Aufsätze dem Ehrengericht verantworten. 32 Geschadet hat es ihm nicht. Später wurde er Justizminister in Düsseldorf. Sein Sozius Heinemann wurde der erste sozialdemokratische Bundespräsident. Verteidigung, das wäre zu folgern, muss stören dürfen. Der Grund: Weil es den Zeitgenossen nur selten möglich ist und deshalb auch damals nicht möglich war, Missbrauch von schockierender Moral zu unterscheiden, ist um des fairen Prozesses willen auf forensische Zensur zu verzichten. Verteidigung bleibt mit den Worten von Adolf Arndt nur unzensiert in der Lage, das Unerhörte zu Gehör zu bringen. 33 III. Strukturell nahegelegte Anpassung oder Widerstand? Auf den Verteidigern lastet der Anspruch Adolf Arndts schwer genug. Dem Angeklagten ist die Thematisierung des Unerhörten vollends unmöglich. Im moralisch aufgeladenen Strafprozess wird von ihm aus immer wieder neuen Gründen erwartet, er möge sich einen paradoxen Rest von Achtung erwerben, indem er die Kraft zum Geständnis aufbringt. Vor Zeiten war der Staat als Inbegriff der sittlichen Anstalt die Ursache dieser Erwartung. Danach war es das Opfer, das aus Menschlichkeit vor der Kränkung des Prozesses geschützt werden muss. Inzwischen schätzen wir Rechtsfriedens- und Versöhnungsrituale als Wert an sich, selbst wenn es keinen individuellen Verletzten gibt. Und nachdem diese Wellen ausgelaufen sind, wird es für ehrenwert gehalten, wenn der Beschuldigte dazu beiträgt, das Geld des belasteten Steuerzahlers durch ein kurzes Verfahren, gleichsam aus fiskalischem Pflichtgefühl, zu schonen. Seit kurzem wird zur Hilfe bei Aufklärung und Prävention durch Belastung Dritter aufgerufen. 34 Wer die Signale nicht lesen kann oder sonst begriffsstutzig ist, dem wird künftig von der Richterbank aus auf gesetzlicher Grundlage nachgeholfen. Das Gesetz über die Verständigung im Strafverfahren 35 ermächtigt das Gericht bekanntzugeben, welchen Inhalt die Verständigung haben könnte, und dabei eine Ober- sowie eine Untergrenze der Strafe mitzuteilen ( 275 c Abs. 3 StPO). Nach dem Wortlaut wird das Gericht den bestreitenden Angeklagten auf diesem Wege von Amts wegen mit der Sanktionsschere konfrontieren dürfen. Anpassung ein Charaktermangel, der oft zur Ursache von angeklagten Delikten gehört wird zum Lohn mit Strafmilderung prämiert. Erstaunt muss man vermerken, dass die moralischen oder, besser gesagt, die demoralisierenden Wirkungen der beabsichtigten Gesetzgebung nicht an dem aussagekräftigen britischen Beispiel überprüft worden sind. Dort wird längst eine Massenproduktion oft abgesprochener Guilty Pleas beklagt. Vor den Magistratsgerichten liegt die Quote der Guilty Pleas bei bis zu 94 Prozent, vor den Crown Courts bei 74 Prozent der Fälle. 36 Dabei spielt die starke Sogwirkung des dafür gewährten Strafrabatts ( discount principle ) eine beherrschende Rolle. 37 Zwar ist den Richtern in England und Wales immer noch verboten, die Strafe vorauszusagen, die bei streitigem Verfahren erwartet werden müsste. 38 Auch dürfen sie eine Strafobergrenze für den Fall des Guilty Plea nur auf Antrag mitteilen. 39 Zudem ist es ihnen ausdrücklich untersagt, die Entscheidung des Angeklagten durch einen Hinweis auf die Aktenlage (comment on the strength of the prosecution case) zu beeinflussen. 40 Doch lehrt die Erfahrung, dass die Einschränkungen ignoriert werden. 41 Ausgerechnet die Verteidiger unterbreiten, wenn sie (oft nach Gesprächen mit dem Richter) den Mandanten beraten, sehr skeptische Prognosen über den zu erwartenden Ausgang eines kontradiktorischen Verfahrens. 42 Nach Umfragen gibt es eine verbreitete Besorgnis, dass (auch) unschuldige Mandanten sich schuldig bekennen. Ein erheblicher Teil der sich nahezu wortlos unterwerfenden Angeklagten machte geltend, unschuldig zu sein. 43 Sollten die Angaben zutreffen, und das britische Experiment blickt inzwischen auf eine lange Geschichte zurück, erscheint die alarmierte Reaktion darauf verständlich: Mit der beschriebenen Praxis, so wird diskutiert, setzen die Akteure systematisch die Beweislast außer Kraft, die im adversarischen Verfahren besonders augenfällig der Anklage zugeordnet ist, wird die Unschuldsvermutung routiniert zur Schuldvermutung gewendet und leidet das Nemo-Tenetur-Prinzip, das die überforderten Laien schützen soll, Schaden. Die akademischen Beobachter befürchten, dass von der sich beschleunigenden Praxis im Ganzen korrumpierende Einflüsse ausgehen. 44 Als weitere bedenkliche Nebenfolge verschärfen sich die Strafen zu Lasten der Unbelehrbaren, die auf ein streitiges Verfahren gesetzt haben, und müssen vor allem Angeklagte mit Migrationshintergrund darunter leiden, weil sie kulturell eher zum Not-Guilty-Plea neigen. 45 Angesichts einer solchen Entwicklung besteht die größere moralische Gefährdung der Strafverteidigung darin, dem Sog nachzugeben oder ihn zu verstärken. Daraus folgt: Wenn uns die Moral nicht nur der staatlichen Akteure des Prozesses, sondern auch die der Strafverteidigung ernsthaft am Herzen liegt, müssten alle Anstrengungen unternommen werden, dem legalisierten Druck zu widerstehen. IV. Spürbare Distanz zum Beschuldigten oder zum Gericht? Anpassung hat die Theorie des Organs der Rechtspflege lange Zeit hindurch mit Schalmeienklängen nahegelegt. In ihrer klassischen Ausformung erhob sie einen moralischen Anspruch, der die Strafverteidiger zu vereinnahmen schien. Im Jahre 1969 formulierte das Bundesverfassungsgericht, zu unserer Aufgabe als Organ der Rechtspflege gehöre der Kampf ums Recht, aber auch die grundsätzliche Achtung der Organe der Rechtspflege voreinander. 46 Luhmann hätte daraus gefolgert: Die Achtung setzte eine korrespondierende 32 Dieter Posser, Anwalt im Kalten Krieg, 3. Aufl. Baden-Baden 1999, S. 124 ff. 33 Adolf Arndt, NJW 1964, Gesetz zur Strafzumessung bei Aufklärungs- und Präventionshilfe v BGBl. I, Gesetz v BGBl. I, Andrew Ashworth, Sentencing and Criminal Justice, 4. Aufl. Cambridge 2005, S. 28, unter Hinweis auf Angaben des Crown Prosecution Service (CPS) für 2003; Andrew Sanders/Richard Young, Criminal Justice, 3. Aufl. 2007, S. 383 f., die den Begriff der mass production verwenden, gehen von geringeren Zahlen aus. 37 Sanders/Young, wie vor, S. 385 ff.; Ashworth, wie vor S. 163 ff. 38 Sanders/Young, wie vor, S. 403 unter Hinweis auf die Entscheidung des Court of Appeal im Fall Goodyear (2005) EWCA Crim Sanders/Young unter Hinweis auf den Fall Goodyear, wie vor, S Sanders/Young, wie vor, S. 426 m. Nachweisen. 41 Andrew Ashworth/Mike Redmayne, The Criminal Process, 3. Aufl. 2005, S. 281, spricht von einer history of disobedience. 42 Sanders/Young, wie vor, S. 427 f. m. Nachweisen. 43 Sanders/Young, wie vor, S. 430 ff., 432 m. Nachweisen. 44 Sanders/Young, wie vor, S. 433 ff. m. Nachweisen; Ashworth/Redmayne, wie vor, S. 285 ff. 45 Sanders/Young, wie vor, S. 430 f. 46 BVerfGE 26, AnwBl 12 / 2009 Die Moral der Strafverteidigung, Salditt

14 MN Aufsätze Moral voraus stellte das Bundesverfassungsgericht klar, wen die gegenseitige Achtung einschloss und wen nicht. Die Rolle des Strafverteidigers sei mit einer spürbaren Distanz zum Beschuldigten hin ausgestattet. 47 Das unsichtbare die Juristen umschlingende Band erhob uns mit dieser Rechtsprechung zeitweise zu Inhabern eines Amtes und unsere Tätigkeit zur Amtshandlung, 48 Dies erzeugte den Anschein einer gleichgeschalteten Aufgabe im Kreise der Amtsträger. Sogar in der berühmten und rechtsstaatlichen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Zeugenbeistand (1974) war von einer amtsähnlichen Stellung und einem staatlich gebundenen Vertrauensberuf die Rede. 49 Das konnte auf empfindliche Gemüter wie die Bindung an eine Moral wirken, deren Verletzung durch Vertrauensentzug abgestraft wird. Über die widerstreitende moralische Verantwortung, die wir unseren Mandanten schulden, besagten solche Texte nichts. Nur an der Oberfläche verhielten sie sich zum Recht. 50 Es gehört zu den großen Verdiensten des Bundesverfassungsgerichts um die Anwaltschaft, dass die tief in das vergangene Jahrhundert zurückreichende Fehlentwicklung 51 Strafverteidigung soll den Bürger vor staatlicher Machtüberschreitung sichern. überwunden ist. 52 Im wahren Sinne des Wortes befreiend hat schon die erste 1983 ergangene Entscheidung, die Renate Jaeger eine der wichtigsten zum Rechtsanwalt als Organ der Rechtspflege nennt, 53 den Kurs korrigiert. Das Bundesverfassungsgericht unterstreicht darin die Herauslösung des Anwaltsberufs aus beamtenähnlichen Bindungen als gewollte Begrenzung der staatlichen Macht. Der seither verwandelte Organbegriff wird zwar weiter verwendet, aber gleichsam auf den Kopf gestellt und allein mit der eigenständige(n) wichtige(n) Funktion im,kampf um das Recht erklärt. Diese Neubesinnung sollte, man lese und staune, das von Renate Jaeger apostrophierte Misstrauen gegen die Anwälte beenden, die eine wirksame Strafverfolgung und Verbrechensbekämpfung erschweren. 54 Erst das hat die alte verstaatlichende Moral, die eine Anmaßung war, überwunden und damit prozessualen Widerstand auch moralisch rehabilitiert. Bei diesem Umsturz geht es keineswegs um folgenlose Rhetorik. Vielmehr hat das Bundesverfassungsgericht unseren Beruf im Jahre 1996 aus Anlass des immer noch lesenswerten Falles Lunnebach mit einem klaren Auftrag erklärt: Strafverteidigung soll das Gericht, die Staatsanwaltschaft und Behörden vor Fehlentscheidungen zu Lasten der Mandanten bewahren und diese vor verfassungswidriger Beeinträchtigung oder staatlicher Machtüberschreitung sichern. 55 Auf der neuen verbindlichen Grundlage sind wir nach wie vor Organe der Rechtspflege, das aber ohne jede Zweideutigkeit. Damit ist der schillernde Organbegriff gereinigt und der Rolle der Strafverteidiger anverwandelt worden. Betrachtet man die revolutionäre Wende mit Niklas Luhmann, dann haben sich die Zuständigkeiten dafür geändert, wer die Bedingungen definiert, von denen Achtung abhängig gemacht wird. Nach der alten Organtheorie handelte es sich um eine von Richtern geprägte Betrachtung. Jetzt dagegen wird es ausdrücklich unserer freien und unreglementierten Selbstbestimmung überlassen, die moralischen Prioritäten und Anforderungen zu definieren, denen Strafverteidigung genügen muss. Renate Jaeger, die als Richterin am Bundesverfassungsgericht diese Wende aktiv begleitet hat, macht es in ihrem großen Vortrag vom 7. November 2003 den Rechtsanwälten damit aber keineswegs leichter. Ohne gelebte Berufsethik, ohne verantwortlichen Umgang mit Gefährdungspotentialen, ohne professionelle Unabhängigkeit, ohne Zuverlässigkeit gehe es nicht. 56 So ist der Organbegriff zwar Chiffre für anwaltliche Staatsferne, für Parteinahme und für Kontrollbefugnisse zugunsten des Mandanten, aber immer auch, wie Renate Jaeger sich aus gutem Grund europäisch ausdrückt, verbunden mit core values und ethical standards. 57 Dieser Zwang kommt nicht von außen. Auch steht er nicht im Dienst einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege, sondern soll er unsere Rolle als Strafverteidiger schützen und damit die Wirksamkeit der Strafverteidigung bewahren. Dies verlangt selbstgewählte Moral, und es erfordert pluralistisch auszufüllende Spielräume. Doch gibt es einen festen Kern. In der Welt des Strafprozesses hat der Beschuldigte die schlechteren Chancen. Ihm, der schweigen kann und sich der Unwahrheit bedienen darf, wird mit Ausnahme von Geständnissen und von Wiedergutmachung, also mit Ausnahme von Unterwerfung, nämlich keine Moral abgefordert. Deshalb kann ihm, nach den von Luhmann festgestellten Regeln der Gesellschaft, auch keine Achtung entgegengebracht werden. Ähnlich trostlos verhält es sich, wenn die Lage mit Jürgen Habermas betrachtet wird. Denn dem Beschuldigten fehlt in der Sprechsituation des Verfahrens die kommunikative Kompetenz. 58 Wer sich am Diskurs als Bedingung für Gerechtigkeit beteiligt, muss, um Vernunft zu bewirken, auf Täuschung und Illusion verzichten. 59 Weil aber den Beschuldigten das Recht oder zumindest die Befugnis zur Lüge zugesprochen wird, verfehlen sie die Anforderungen. Zum Ausgleich braucht der Angeklagte den Fürsprecher, als der sein Verteidiger nur in Unabhängigkeit vom Mandanten gleichberechtigt und mit moralischem Anspruch auftreten kann. 60 Der Defekt und die daraus folgende Schwäche, an der Beschuldigte leiden, spränge auf die Verteidiger über, wenn (auch) uns an dem schlechthin zentralen Punkt, dem Verhältnis zur Wahrheit, das Ethos abgesprochen werden müsste. Einen geradezu vernichtenden Schlag würde man uns versetzen, falls Verteidiger nur als vertraglich gebundene 47 BVerfGE 53, BGHSt 15, 326 f.; aufgehoben durch BVerfGE 22, 114, BVerfGE 38, Der Sache nach könnte es um das gegangen sein, was der Bundesgerichtshof im Falle Schily 1972 ausdrücklich als den ethischen Gehalt des Anwaltsberufs bezeichnet hat: BGH NJW 1972, 2140; aufgehoben durch BVerfGE 34, 292, 299 ff. 51 Dazu d. Verf., Die Stellung des Strafverteidigers, Münchener Anwaltshandbuch, Hrsg.G.Widmaier,2006,A 1Rn.46bis BVerfGE 63, R. Jaeger, NJW 2004, 1, R. Jaeger, NJW 2004, 1, BVerfGE StraFo 1996, 176 = NStZ 1997, 35. In der Sache ging es um die Fortschreibung der grundsätzlichen Entscheidung zur Rolle der Anwaltschaft: BVerfGE 76, 171 und 76, Renate Jaeger, NJW 2004, 1, 4 f. 57 Renate Jaeger, NJW 2004, 1, 6 f. 58 Dazu Hassemer, Einführung in die Grundlagen des Strafrechts, 2. Aufl. 1990, S J. Habermas, Kommunikatives Handeln und detranszendentalisierende Vernunft, 2001, S Die Teilnahme des Verteidigers an der forensischen Kommunikation im Luhmannschen Synallagma wechselseitiger Achtung bevormundet den Mandanten nicht. Sie ist eine unverzichtbare Unterstützung, die auf dessen Vertrauen, also auf Zustimmung, beruhen muss. Beschuldigte lernen im Lauf des Verfahrens, was diese Unterstützung erfordert und was sie bedeutet. Deshalb ist das Vertrauen die Regel: D. Verf., Das Mandanteninteresse, in: BRAK-Schriftenreihe, Symposium für Egon Müller, Mandant und Verteidiger, München 2000, S. 25 ff. Die Moral der Strafverteidigung, Salditt AnwBl 12 /

15 MN Aufsätze Vertreter des (kommunikativ behinderten) Beschuldigten zu betrachten wären. Auf eine solche Betrachtung liefe das Rollenbild gewollter Abhängigkeit vom Mandanten hinaus. Dahin will die wissenschaftliche Kommentierung des Löwe- Rosenberg uns versetzen, die seit der 25. Auflage einen verblüffenden Kampf gegen die Windmühlenflügel der längst nur noch als Denkmalsruine sichtbaren alten Organtheorie führt. Diese wird dort neuerlich grandios besiegt, weil ganz offenbar die eben beschriebene und vom Bundesverfassungsgericht durchgesetzte Wende übersehen worden ist. Der Kommentar stuft die Strafverteidigung auf den Rang einer alltäglichen Geschäftsbesorgung herunter, bei welcher der Mandant als Auftraggeber die Zügel in der Hand halten soll. Vom Strafverteidiger wird folglich verlangt, dass er die Weisungen des Mandanten aufmerksam beachtet. 62 An anderer Stelle heißt es noch deutlicher, dass der Strafverteidiger grundsätzlich an die Weisungen des Mandanten gebunden ist. 63 Beweisanträge kann der Verteidiger danach nur im Einvernehmen mit dem Mandanten und in dessen Vollmacht stellen. 64 Unter solchen Voraussetzungen wäre es nicht mehr möglich, das vom Mandanten nach zugesagter Strafobergrenze abgelegte Geständnis überprüfen zu lassen. Ein Antrag, die einzige Belastungszeugin anschließend an das Geständnis vorsorglich doch zu vernehmen, wäre unzulässig. 65 Ähnlich erginge es uns im Falle des wegen Totschlags angeklagten Politikers. Er soll die Tat in einem Bordell, in dem das Opfer arbeitete, verübt haben. Der Politiker bestreitet, am Tatort gewesen zu sein, und übt ansonsten sein Schweigerecht aus. Nur als unabhängiger Beistand könnten wir, ohne die interne Zustimmung des Mandanten offenzulegen, beantragen, einen Kellner des Etablissements als Zeugen darüber zu vernehmen, dass in Notwehr gehandelt worden ist. 66 Hassemer hat zur Vertragstheorie vor dem Anwaltstag 2008 das Richtige gesagt: Hier wird nicht eine Fessel gelöst, sondern eine Kontur der Profession zerschlagen, die Chance ist. 67 Worin aber läge die von den wissenschaftlichen Autoren angestrebte Befreiung des Beschuldigten, wenn auf dem von ihnen empfohlenen Wege doch die prozessuale Wirksamkeit seiner Verteidigung zutiefst beschädigt würde? Die Antwort darauf ergibt sich aus dem Schwerpunkt der Kommentierung: Es geht um die Wahrheitsfrage. Wie dort behauptet wird, treten Wahrheit und Richtigkeit heute längst nicht mehr in einheitlicher und alle verbindender Gestalt auf, sondern in miteinander rivalisierenden Konzepten. 68 Der Kommentar lässt sich von interaktionistischen Wahrheits- und Richtigkeitstheorien leiten, wonach sich das Ganze möglicherweise als Konkurrenz verschiedener Zuschreibungskonzepte darstellt. 69 Die Autoren wollen gerade auch in diesem Zusammenhang die Autonomie des Beschuldigten 70 gegen dessen Beistand sichern, indem nur der Vertrag als Grundlage der Stellung des Verteidigers anerkannt wird. Auf dieser Grundlage entwerfen sie eine neue Moral. Danach ist der Verteidiger beim Vortrag einer unwahren Stellungnahme, auch wenn diese durch ihn eingeführt wird, strafloser Anstifter oder Gehilfe zum straflosen Verhalten des Vertretenen. 71 Wörtlich: Der Verteidiger soll im Prinzip gar nicht, aus der Rolle des Gehilfen heraustreten. 72 Der Beschuldigte dürfe nicht gezwungen sein, sich durch das Zusammenwirken mit seinem an Wahrhaftigkeit gebundenen Verteidiger der mittäterschaftlichen Lüge zu enthalten. 73 Das befreit den Mandanten, indem auch dessen Anwalt vom Lügenverbot befreit wird. Der katastrophale Rollenverlust, der damit verbunden wäre, wird durch die Entfesselung nicht kompensiert. Zugleich mit der Wahrheit fegt der Kommentar den Zweifel vom Tisch, den es nur im Blick auf mögliche Wahrheit geben kann. Aus Sicht der Autoren setzt sich durch, wer entschlossener zuschreibt und schlauer konstruiert. Zweifel, die perspektivisch immer mit Wahrheit oder Unwahrheit verbunden sind, spielen da keine Rolle mehr. Konstrukte, falls sie denn ex definitione mit Wahrheit gleichzusetzen sind, haben es leicht, eine offenbar nur noch als illusionär empfundene Unschuldsvermutung zu verdrängen. Wenn je das konkrete Bild eines Strafverteidigers als zu verachtendes Mietmaul entworfen werden müsste, mit der Vertragstheorie hätten wir es dann. So wie der Beschuldigte durch den unabhängigen Verteidiger zum Subjekt des Verfahrens geworden ist, würde er fortan wieder zum Objekt mit dem verkümmerten Beistand als seinem Werkzeug, dessen wirksame prozessuale Rolle nunmehr aufgehoben wäre. 74 V. Freiheit durch Selbstbindung? Das Bundesverfassungsgericht erklärt Strafverteidigung als eine auf Kontrolle und Abwehr angelegte Aufgabe. Die Freiheit, die zu diesem Bild gehört, wird nicht nur durch das Recht und eine selbstbestimmte individuelle Moral beschränkt. Auch das machen uns die Soziologen verständlich. Der Mensch in der Gesellschaft, Homo Sociologicus genannt, wird in seinem Verhalten durch Rollenbilder geleitet, die wir in komplizierten Schritten der Sozialisierung und Verinnerlichung erlernen, 75 ob wir das wollen oder nicht. Der Weg dorthin führt über Beobachtung, Nachahmung und Reflexion, 76 so wie das eingangs am Beispiel der drei Berufskollegen Dr. B., Dr. F. und T. dargestellt worden ist. Die weitergereichte Rolle macht berechenbar und verlässlich. 77 Sie fördert, so Dahrendorf seinem bahnbrechenden Essay des Jahres 1958, das Gewissen als das in den Einzelnen hineingenommene Gericht der Gesellschaft und ihrer Bezugs- 61 Lüderssen, vor 137 StPO; heute 26. Aufl. 2007, Lüderssen/Jahn vor 137 StPO. 62 Lüderssen/Jahn, wie vor, 50 und 59 vor 137 StPO. 63 Lüderssen/Jahn, woe vor, 112 vor 137 StPO. 64 Lüderssen/Jahn, wie vor, 157 vor 137 StPO. 65 Wenn der Verteidiger als unabhängiger Beistand tätig ist, verhält sich dies anders; dazu d. Verf., Das unzuverlässige Geständnis die zwiespältige Rolle des an einer Absprache beteiligten Verteidigers, FS Widmaier, Köln/München 2008, S. 545 ff. 66 Über die hier aufgeworfenen Fragen d. Verf., Das Mandanteninteresse, aao., Fn.60S.25ff. 67 W. Hassemer aao., Fn. 8 S. 418, 420, 68 Lüderssen/Jahn, wievor,92vor 137StPO. 69 Lüderssen/Jahn, wie vor, 142 vor 137 StPO. 70 Lüderssen/Jahn, wie vor, 157 vor 137 StPO. 71 Lüderssen/Jahn, wie vor, 129 vor 137 StPO. 72 Lüderssen/Jahn, wie vor, 130 vor 137 StPO. 73 Lüderssen/Jahn, wie vor, 137 f. vor 137 StPO. 74 Freilich will die zitierte Kommentierung es dem Berufsrecht überlassen, Grenzen zu entwerfen, die den Vertrag einschränken oder den Verteidiger zur Kündigung eines unliebsamen Mandats veranlassen (Lüderssen/Jahn, wie vor, 37 ff., 170 vor 137 StPO). In der Tat hat das anwaltliche Selbstverständnis, weil Verteidiger fast immer Rechtsanwälte sind, das Bild unserer Tätigkeit seit der Entstehung des reformierten Strafprozesses geprägt (K. Armbrüster, Die Entwicklung der Verteidigung in Strafsachen, 1980, S. 137 ff.). Deshalb setzt die StPO die so geprägte Rolle des Strafverteidigers voraus. Daher können die prozessualen und die beruflichen Aspekte dessen, was Verteidigung ist, nicht mehr künstlich voneinander getrennt werden. 75 Ralf Dahrendorf, Homo Sociologicus, 15. Aufl. 1977, S. 57 f. (Die Erstausgabe erschien 1958). 76 Dahrendorf, wie vor, S Dahrendorf, wie vor, S AnwBl 12 / 2009 Die Moral der Strafverteidigung, Salditt

16 MN Aufsätze gruppen. 78 Da haben wir s also vor dem verinnerlichten moralischen Gericht der Gesellschaft stehen auch die Strafverteidiger. Ein wesentlicher Teil der Herrschaft über anwaltliche Moral liegt daher weder beim Parlament noch bei der Satzungsversammlung oder dem Bundesverfassungsgericht. Vielmehr findet ungeschriebene Regulierung durch Rollenselbstverständnis und korrespondierende Rollenerwartung statt. An diesem unendlichen Experiment wird jeder Einzelne von uns, sozusagen mit einem Minderheitsanteil, aktiv und passiv beteiligt. Übrigens ist die Arbeitsgemeinschaft, deren Ju- Ungeschriebene Regulierung durch Rollenselbstverständnis ein unendliches Experiment, an dem jeder von uns beteiligt ist. biläum wir heute feiern, ein Forum, in dem wir uns des Zusammenhangs von Selbstverständnis und Erwartung immer wieder vergewissern, oft im Dialog mit Richtern und Staatsanwälten zum Beispiel auf dem Karlsruher Symposion, das eine der großen sich wiederholenden gemeinsamen Einrichtungen des Bundesgerichtshofs, der Bundesanwaltschaft und der Strafverteidigung geworden ist. Die Rollenerwartungen wiederum sind identisch mit belastendem Vertrauen, nämlich mit der angenommenen Wahrscheinlichkeit eines bestimmten Verhaltens. Heute können wir über Vertrauen nicht mehr sprechen, ohne die diesen Titel tragende berühmte Arbeit Niklas Luhmanns zu bedenken. 79 Vertrauen als riskante Vorleistung, 80 so heißt es dort, fängt die Freiheit dessen ein, auf den vertraut wird, und zähmt sie, 81 indem der Vertrauende auf anstrengende Kampfstrategien, hemmendes Misstrauen und auf umständliche Überprüfung verzichtet. 82 Nach Luhmann erschließt Vertrauen durch Reduktion von Komplexität Handlungsmöglichkeiten, die ohne Vertrauen unattraktiv geblieben, also nicht zum Zuge gekommen wären. 83 Das kommt dem zugute, in den Vertrauen gesetzt wird. Der Effekt scheint paradox. Er vergrößert unsere Freiheit, indem diese eingeengt wird. So schließt sich der Kreis. Am Ende tragen wir dann doch dazu bei, dass uns mehr abgefordert werden kann, als das Recht verlangt. Wann aber um den 78 Dahrendorf, wie vor, S Niklas Luhmann, Vertrauen Ein Mechanismus der Reduktion sozialer Komplexität, 4. Aufl (die Erstausgabe erschien 1968). 80 Luhmann, wie vor, S Luhmann, wie vor, S Luhmann, wie vor, S. 93, Luhmann, wie vor, S Werden Erwartungen öffentlich bestritten, verursacht dies korrigierende Wechselwirkungen; Dahrendorf, wie vor, S. 50, 100. Auch Rollenrebellion führt zum Wandel der Strukturen; Dahrendorf, wie vor, S Luhmann, wie vor, S. 80 f., Luhmann, wie vor, S Luhmann, wie vor, S Graf Westphalen, Fragmentarisches zu Ethik anwaltlichen Handelns, AnwBl 2003, 126 ff., 130; B. Grunewald, Die Unabhängigkeit des Rechtsanwalts, AnwBl 2004, 463 ff.; Redeker, Anwaltschaft zwischen Freiheit und Bindung, AnwBl 1988, 14 ff., 17; Rabe, Anwalt und Wirtschaft, in: FS Walter Oppenhoff, 1985, S. 299, 309; Redeker, Das neue Berufsbild des Rechtsanwalts, Kontinuität im Wandel, BRAK- Mitt. 2002, 203, 205; M. Streck, Der Rechtsanwalt im 21. Jahrhundert, AnwBl 2000, 335. Zu der Sicht in Frankreich und England sowie auf der Europäischen Ebene (CCBE) und vor dem Internationalen Strafgerichtshof d. Verf. aao. Fn Rn. 46 bis Hassemer aao., Fn. 8 S Er spricht von Distanz zum Rest der Welt, was wohl als Synonym für Unabhängigkeit gemeint ist. Preis von Vertrauensverlust gegen die Rollenerwartungen rebelliert werden muss, das liegt von Rechts wegen in unserer Hand. 84 Darüber befindet jede Generation neu, indem sie die Lage des Strafverfahrens bedenkt. Diese Freiheit zur Aufkündigung bleibt verfassungsrechtlich abgesichert. In diesem Zusammenhang sollten aber bei Luhmann auch die feinen warnenden Zwischentöne nicht überhört werden. Vertrauen nämlich wächst durch öffentliche Selbstdarstellung zu; 85 es sammelt sich an als eine Art Kapital, das allerdings auch laufend benutzt und gepflegt werden will. Die Vorteile des Vertrauens geleiten auf diesen Weg; das erzieht. 86 Umgekehrt wird das Kapital leichter zerstört und in Misstrauen verwandelt als aufgebaut. 87 Vermutlich hatte Renate Jaeger, als sie den hier in die Mitte gestellten Beitrag konzipierte, ihren Luhmann gelesen. Indem Charakter, Integrität, Verantwortung der Rechtsanwälte und deren Vertrauenswürdigkeit thematisiert werden, wird in fast beschwörender Rede versucht, das angesammelte Kapital zu retten. Die bemerkenswert vielen anwaltlichen Beiträge aus jüngerer Zeit verfolgen das gleiche Ziel. 88 Sie beschreiben anwaltliche Ethik als traditionelle Berufsmaxime, während die um ihre Anerkennung kämpfenden großen Wirtschaftsunternehmen eben erst begonnen haben, das verheerende aktuelle Rollenbild einer kapitalistischen Räuberbande durch symbolhaft präsentierte Regeln der Corporate Governance und von Ethik-Kodices zu überwinden. VI. Chaos oder Zuversicht? Solange es Veranstaltungen wie heute gibt, überwiegt die Zuversicht. Das gemeinsame Interesse am fairen Prozess muss Richter und Staatsanwälte mit uns verbinden. Die stets zunehmende Bedeutung des Strafrechts in unserer Gesellschaft braucht, wenn auf die Bürger positiv eingewirkt, wenn unter den Bürgern nicht nur Angst und Schrecken verbreitet werden soll, eine funktionsfähige freie Verteidigung. Darauf angewiesen ist auch die Dritte Gewalt, deren Einrichtungen im Chaos versinken würden, wollten die Beschuldigten selbst die Prozessführung übernehmen. Gehen wir also in der Unabhängigkeit, die Richtern und Strafverteidigern aus unterschiedlichen Gründen und mit unterschiedlichen Gefährdungen anvertraut ist behutsam miteinander um. Das erfordert die Distanz und Nähe, die Hassemer uns empfiehlt. 89 Die ambivalente und dynamische Beziehung stärkt, solange die notwendige Distanz nicht durch zu viel Nähe aufgehoben und solange die notwendige Nähe nicht durch zu viel Distanz unmöglich gemacht wird, moralische Kraft der Verteidigung. Diese entwickelt sich nicht, indem sie durch richterliches Verdikt aufoktroyiert wird. Sie muss in Freiheit angeeignet und gelebt werden. Justizrat Prof. Dr. Franz Salditt, Neuwied Der Autor ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht sowie Steuerrecht. Sie erreichen den Autor unter der -Adresse autor@anwaltsblatt.de. Die Moral der Strafverteidigung, Salditt AnwBl 12 /

17 MN Aufsätze Wertewechsel in einer Rechtsanwaltsethik globalen Diskurses Die Folgen eines Vordringens ökonomischer und individualphilosophischer Wertprinzipien * Prof. (em.) Dr. Harald Herrmann, Universität Erlangen-Nürnberg Die freien Berufe und ihre Verbände haben lange ihre ethischen Fundamente bewahrt. Der Appell an das Gewissen reichte. Starke Zweifel an den Traditionen sind seit Mitte der 1980er Jahre aufgekommen. Das Vordringen einer Unternehmensethik mit dem Setzen von ökonomischen Anreizen zur Steuerung des Verhaltens hat einen Lernprozess bei der Ethik der Freiberufler in Gang gesetzt. Es geht vor allem um die Einbindung in verantwortungsorientierte Steuerungssysteme globalen Diskurses, wie funktionsfähigen Wettbewerb und corporate governance. Der Autor zeigt, dass die Anwaltsethik auch für diese Entwicklung geöffnet werden kann und so geeignet ist, zu modernen Konzeptionen einer Ethik in der postindustriellen Risikogesellschaft beizutragen. Am Beispiel der Transparenz-, Honorar- und Werberegeln des Anwaltsberufes entwickelt der Autor im Fazit und Ausblick konkrete Forderungen. I. Ziele und Vorgehensweise In einer Zeit weltweiter Moralkritik an Banken, Versicherungen, Investoren und Anlegern verschiedenster Art ist wissenschaftliche Besinnung auf globale rechts- und berufsethische Grundfragen mehr denn je nahegelegt. Leider hat man sich in der Freiberufsethik lange Zeit nahezu ausschließlich auf Fragen überkommener Standesmoral im Sinne spezifischer Ressortmoral 1 und deren Verteidigung gegen abweichende Werbemethoden und Organisationsformen konzentriert. Dabei ging der Anschluss an moderne verantwortungsethische Forschungen mit universellem Horizont weitgehend verloren. Der Verfasser hat seit Jahren dazu beigetragen, die Mängel auf der Ebene geltenden Rechts freier Berufe zu bekämpfen. Zu den dabei erzielten Erfolgen gehören etwa die Lockerungen des freiberuflichen Honorar-, Werbe- und Gesellschaftsrechts, die teils in der Rechtsprechung teils bis hin in die neuere Gesetzgebung durchgesetzt wurden. Die tieferen rechts- und ethikphilosophischen Grundlagen blieben dabei bislang weitgehend ausgeblendet, obgleich sie für die Rechtfertigung der angestoßenen bzw. befürworteten Entwicklungen eigentlich mit zu erörtern gewesen wären. Ein bescheidener Nachtrag dazu soll nunmehr im Folgenden geleistet werden. Im Ansatz handelt es sich um den Nachweis eines Wertewechsels zur Berücksichtigung ökonomischer Zweckmäßigkeit und zur individualphilosophischen Sinnerfüllung. Mit dieser Zielrichtung sollen die aktuelle Forschungen zur Erkennbarkeit ethikphilosophischer Grundwerte vorgestellt werden, wobei insbes. auf die erkenntnistheoretischen Lehren zum sog. Paradigmenwechsel zurückgegriffen wird (II). Es folgen Berichte über die Forschungsstände zur corporate und professional governance (III.1-3) und einige Angaben zu deren ethikphilosophischen Grundlagen (III.4). Anhand konkreter Schlussfolgerungen wird versucht zu zeigen, wie der eingeschlagene Weg zur modernen Governance-Ethik im Bereich freier Berufe fortgesetzt und mit besonderem Blick auf die Anwaltsethik im deutschen Recht weiter beschritten werden kann (IV). II. Philosophische Grundlagen 1. Erkenntnistheoretische Voraussetzungen Wissenschaftliche Ethik orientiert sich notwendig an der Erkenntnistheorie, d. h. an den Lehren zu Bedingungen möglichen Wertewissens. Das Nähere dazu kann hier natürlich nicht entfaltet werden. Doch gebietet es die wissenschaftliche Redlichkeit, wenigstens die Hauptbezugsquellen anzugeben, auf denen die Einschätzung freiberuflicher Ethik beruht. Auf dem Boden der evolutionären Erkenntnistheorien und des sog. hypothetischen Realismus seit Raimund Popper 2 und Gerhard Vollmer 3 hat Thomas Kuhn die Lehre von der Struktur wissenschaftlichen Erkenntniswandels durch Paradigmenwechsel begründet 4, das heißt durch revolutionäres Heraustreten aus der normalen evolutionären Wissenschaft. Seine Lehre wird unter anderem durch den revolutionären Umbruch der Weltbilder vom ptolemäischen zum kopernikanischen exemplifiziert 5, ist aber auch auf ganz andere nicht naturwissenschaftliche Grunderkenntnisse, wie die vom Wandel politischer Legitimation anwendbar. 6 Darauf wird sogleich zurück zu kommen sein. Vorab lässt sich aber die erkenntniskritische Ausgangsthese dahin gehend formulieren, dass mit Kuhn nicht von vorgegebenen ontologischen Wahrheiten auszugehen ist, die der Mensch lediglich entdecken muss, um sein Weltbild oder seine Grundvorstellung von legitimer Herrschaft danach auszurichten 7 ; sondern es gibt nur einen im ständigen Wandel begriffenen Verstehensprozess, der lange Zeit von normaler Wissenschaft innerhalb der Grenzen eines bestehenden Paradigmas geprägt, von Zeit zu Zeit aber von revolutionärem Paradigmenwechsel umgewälzt wird. * Leicht überarbeitete Fassung des Vortrags (im Rahmen einer Veranstaltung der Arbeitsgemeinschaft Anwaltsmanagement des DAV) auf dem 60. Deutschen Anwaltstag 2009 in Braunschweig. 1 Ausdruck von Arnold Gehlen, Die Seele im technischen Zeitalter, 1957, S. 107; w. Nachw. b. Taupitz, Die Standesordnungen freier Berufe, 1991, S. 191 mit Hinweisen zu vorsichtiger Weiterführung; zum dahinter stehenden Diskurscharakter s. Höffe, Sittlich-politische Diskurse, 1981, S. 16 f., 184. Höffe s Ansicht steht aber dem Kommunitarismus nahe, der von globalen Geltungsansprüchen bewusst absieht, vgl. ders., Vernunft und Recht, 2. Aufl., 1998, S.184 f., 235; zur Begründung dieser Forschungsrichtung s. M. Taylor, Community, Anarchy and Cooperation, 1982, S. 31, passim. 2 Logik der Forschung, Evolutionäre Erkenntnistheorie, S. 34 ff., zit. n. Störig, Kleine Weltgeschichte der Philosophie, Th. Kuhn, Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen, 1967, im Folgenden zit. n. Suhrkamp, 1973; zu Vorläufern wie Robin Callingwood und Ludwik Fleck s. Harald Walach/Stefan Schmidt, J.of Consciousness Studies 12 No. 2 (2005), S. 52, Ebd. S. 151 ff., ders., The Copernican Revolution, Für Einwirkungen auf die Soziologie und dort auf Habermas vgl. B. Lutz, Die großen Philosophen des 20. Jahrhunderts, 1999, S Dazu fußt Kuhn v. a. auf Popper, Logik der Forschung, 1935, Verbindungen von Kuhn auch zum Schüler von Popper, Imre Lakatos, der aber auch schwerwiegende Kritik an Kuhn geäußert hat; s. H. Störig, Kleine Weltgeschichte der Philosophie, 1999, S. 776, 791 f.; zu Popper als Mitbegründer des Evolutionismus s. ebd. S AnwBl 12 / 2009 Wertewechsel in einer Rechtsanwaltsethik globalen Diskurses, Herrmann

18 MN Aufsätze Diese erkenntnistheoretische Meinungsströmung lässt sich mit der Philosophie der von Hans Jonas begründeten Verantwortungs- 8 und Diskusethik 9 zusammenführen Im Kern geht es dabei um die Rechtfertigung menschlichen Handelns durch Antwortgeben im geistig vorgestellten Gespräch (Diskurs) mit Betroffenen, insbes. mit der kommenden Generation angesichts der tödlichen Konsequenzen technisch-wissenschaftlicher Entwicklung Herrschaftsfreier Diskurs und Weltauditorium Das verantwortungsethische Konzept wurde nach Jonas wesentlich weiterentwickelt durch den Soziologen Habermas mit dessen berühmter Lehre vom herrschaftsfreien Diskurs. Weit über die Naturwissenschaft und Technik 11 hinausgehend verlangt Habermas, der verantwortende Diskurs sei frei von Machtausübung der Interessenträger zu führen. Immer wieder ist diesen Lehren zu Recht vorgeworfen worden, die Annahmen zum notwendigen Fehlen autoritär beeinflusster Konsensbildung seien weitgehend realitätsfremd und in vielen Bereichen sogar unvereinbar mit der im Konflikt von Interessen notwendigen autoritären Konfliktregulierung. 12 Doch kann man etwa bei Grundvorstellungen, die sich in großen Teilen der Welt (auditoire universelle) durchgesetzt haben, argumentationstheoretisch folgern, dass sie auf einem machtpolitisch unverfälschten Diskurs beruhen. 13 Ähnliches lässt sich trotz großer Unterschiede im philosophischen Denkansatz für die meisten Wertungen der Anhänger der Lehre vom Naturrecht mit wechselnden Inhalten und vom gemäßigten Wertrelativismus 14 sagen. Doch bleiben diese mehr auf Gemeinsamkeiten der philosophischen Denkrichtungen abzielenden Überlegungen hier am Rande. 15 Wichtig ist nur, dass kein absolutierender Begründungsansatz gewählt wird 16, der von anderen Denkrichtungen abschneidet, sondern verbindende Linien gesucht werden; denn durchweg sind die Lehren ethischen Paradigmenwechsels anschlussfähig. 3. Zur Theorie ethischen Paradigmenwechsels Erkennt man die Notwendigkeit universeller Akzeptanz im wissenschaftlichen Diskurs, so kommt man für grundlegende Neuerungen in Begründungsnot, weil es in großen Gemeinschaften niemals vollständigen Konsens gibt, und für neue Denkansätze ohnehin immer erst längere Zeit der Durchsetzung benötigt wird. Das gilt nicht nur in der Erkenntnislehre, sondern auch in der Ethik. Dennoch kommt man ohne die Annahme ständiger Erneuerungsnotwendigkeit in keiner Wissenschaft aus. a) Kopernikanische Wende nach Thomas Kuhn In der allgemeinen Erkenntniskritik ist der Kuhn sche Ansatz zum Paradigmenwechsel in der Evolutorik des sich ständig erneuernden Wissens besonders bekannt geworden. 17 Man kann einen solchen Wechsel vor allem daran erkennen, dass vorangehende Leit- oder Weltbilder in eine Krise geraten, weil sie wichtige Fragestellungen ihrer Zeit nicht mehr zureichend bewältigen, sich aber mit Verboten gegen die neuen Denkmodelle zur Wehr setzen und dadurch zur Spaltung von Meinungslagern beitragen. 18 Das neue Paradigma scheint zumindest zeitweise besser zur Krisenüberwindung beizutragen als das alte. Kuhn selbst hat dies anhand der kopernikanischen Wende der Naturwissenschaften exemplifiziert, die dadurch ausgelöst wurde, dass keine zureichenden Antworten für die Länge des Kalenderjahres mehr gefunden wurden. 19 Selbst wenn die Anlässe zur Krisenbewältigung, wie das Schaltjahresproblem, letztlich gar nicht ganz behoben werden, kann die soziale Gruppe der führenden Wissenschaftler zum Umschwung bewegt werden, so dass dem neuen Paradigma zum Durchbruch verholfen wird. 20 Immer bedarf es zwar verbreiteter neuer Anerkennung, bevor von einem neuen Paradigma gesprochen werden kann. 21 Aber sind das Krisenphänomen und die Lagerspaltung einmal zu beobachten, so kann mit hinreichender Überzeugungskraft von einem Paradigmenwechsel schon gesprochen werden, bevor allgemeine Zustimmung herrscht. Darin liegt auch eine besondere Erklärungskraft für den Fortschritt ethischer Legitimation. Denn die Merkmale des Paradigmenwechsels sind auch für revolutionäre Neuerungen in den Geisteswissenschaften 22 bis hin zur philosophischen Ethik anerkannt. Verantwortungsethik kann deshalb von den Traditionalismen des herrschaftsfreien Diskurses und der hierauf beruhenden Konsensbildung eines Weltauditoriums partiell befreit und in die Theorie des Paradigmenwechsels überführt werden. 23 b) Vordringen der Interessenbewertung und ökonomischer Analysen in Recht und Ethik Im Hinblick auf rechtsphilosophische Grundlagen des Rechts ist seit Langem bekannt, dass es seit Beginn des 19. Jahrhunderts eine Ablösung traditionalistischer Begründungen der Pandektistik zu individualistischen Grundkonzepten, wie der Interessen- und Wertungsjurisprudenz 24 gegeben hat. Das braucht hier nur angedeutet zu werden, da es in 8 Vgl. nur ders., Das Prinzip Verantwortung, 1979; Anwendung der Paradigmenlehre auf die Ethik auch bei E. Fromm, Science of Man, 1990, S. 12 ff.; A. Bader, DieBedeutung der X-Erfahrung in der humanistischen Psychoanalyse, download v ; für Ausdehnung der Diskurs-Ethik auf Rawls s. Störig, aao,s.819f. 9 Vgl. die Ausdehnung der Diskurs-Ethik auf Rawls b. Störig, aao (vorvorige Fn.), S. 819 f. 10 So schon Jonas, The Phenomenon of Life, Vgl. nur Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit, 1962 und zur Auseinandersetzung mit Luhmanns Lehren: Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie, Vgl. nur zur Erkenntnislehre der Rechtswissenschaft N. Horn, Argumentum ab auctoritate in der legistischen Argumentationstheorie, Fschr. Wieacker, 1978, 261 ff.; ders. Einführung in die Rechtsphilosophie, 3. Aufl. 2004, Rdn. 387 ff. 13 Vgl. Perelmann/Olbrecht-Tytecke, Traité de l argumentation, 3. Aufl Begriff bei K.Kühl, in Köbler/Heinze/Schapp, Geschichtliche Rechtswissenschaft, 1990, S. 345; zusammenfassende Beurteilung durch Horn, aao Fn. 12, Rdn. 381 m. w. Nachw. 15 Näher s. Schönherr-Mann, Miteinander Leben Lernen (mit einem Essay von Hans Küng), Dagegen auch wieder neuerdings R. Rorty, Philosophie als Kulturpolitik, 2008, der aber sehr viel weiter geht und bei Habermas die Prämisse einer kontextfrei gültige Vernunft kritisiert. 17 Für Einwirkungen von Th. Kuhn auf die Soziologie und dort auf Habermas vgl. B. Lutz, Die großen Philosophen des 20. Jahrhunderts, 1999, S Kuhn, aao S. 129 f. 19 AaO S. 202 f. 20 Meist geschieht das sogar nicht durch Überzeugung der älteren im alten Weltbild verhafteten Wissenschaftler, sondern erst durch das Heranwachsen einer neuen Generation von Forschern der betr. Gruppe, Kuhn, aao S Vgl. Kuhn, aao, S. 131, passim. 22 Zu dualistisch erscheint deshalb die scharfe Trennung von normativen und deskriptiven Ethiken; vgl. nur Göbel, Unternehmensethik, 2006, S. 12 ff. 23 Zu Ansätzen dafür vgl. nochmals B. Lutz, Die großen Philosophen des 20. Jahrhunderts, 1999, S. 255; zur Auseinandersetzung mit dem Vorwurf des Skeptizismus von Paul Feyerabend vgl. Hoyningen-Hüne, Ztschr. F. allg. Wissenschaftstheorie 2002, 61 ff. 24 Vgl. nur R.v Jhering, Kampf ums Recht, ; aber auch Heck, Gesetzesauslegung und Interessenjurisprudenz, 1914; dazu Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 2. Aufl., S.574 ff. Wertewechsel in einer Rechtsanwaltsethik globalen Diskurses, Herrmann AnwBl 12 /

19 MN Aufsätze Grundwerken und Lehrbüchern bis in viele Einzelheiten hinein ausführlich erarbeitet ist. 25 Die Interessen- und die Wertungsjurisprudenz gehören insoweit zusammen, als die objektive Bewertung der Interessen durch rechtliche Wertmaßstäbe immer voraussetzt, dass überhaupt von subjektiven Interessengegensätzen ausgegangen wird, und diese dann im Rahmen von objektivierenden Wertmaßstäben beurteilt werden. Weniger bekannt ist, dass auch die ökonomische Rechtsanalyse (ÖAR) als Folgeentwicklung dieser schon im 19. Jahrhundert beginnenden Entwicklungsströmung zu begreifen ist. Auch dazu müssen wenige Angaben genügen. Zwar wurzeln die Anfänge der ÖAR in den so genannten Wohlfahrtstheorien, die darauf abzielen, dass Rechtsvorschriften zu gesamtwirtschaftlicher Kosteneinsparung führen, indem sie nur dort regelnd eingreifen, wo das Aushandeln von Interessenkonflikten vergleichsweise viel Aufwand durch Transaktionskosten erfordert. Aber im Ansatz wird, ganz wie in der Interessen- und Wertungsjurisprudenz von den Einzelinteressen der Individuen ausgegangen. Man hat in der ÖAR sogar die REM-Hypothese entwickelt, das heißt das analysierte Individualinteresse ist von Rationalität sowie konsequentem Egoismus- und Maximalisierungsstreben gekennzeichnet. 26 Insbesondere der Aspekt der Minimierung von Transaktionskosten hat dann zu den modernen Lehren der principal agent theory geführt, auf denen auch die Konzepte der corporate governance beruhen. Darauf wird zurückzukommen sein. 27 c) Der Wechsel zum Individualismus nach Ullrich Beck Ein weiterer, damit zusammen gehöriger Paradigmenwechsel ist durch die neueren Untersuchungen von Beck u. a. 28 zum Umbruch von der Industriegesellschaft in die von ihm sog. Risikogesellschaft angestoßen. Charakteristisch dabei ist, dass soziale Gefährdungslagen wie Schadstoffrisiken, Arbeitslosigkeitsgefahren, aber auch Chancen, wie Verdienstmöglichkeiten, Berufserfolg und private Sinnerfüllung im Leben, immer weniger mehr nach Klassen, Schichten oder Großgruppen, biologische Familien etc. verteilt sind, sondern vom Individuum selbst selegiert werden. Der Mensch wird im Anschluss an Heidegger 29 als vom Tode und der dadurch begrenzten Lebenszeit angetrieben gesehen, seine Sinnerfüllung und Risikopotentiale weitgehend individuell zu erleben. 30 In der Sozialstrukturanalyse steht diese Forschungsrichtung damit neueren Milieu- und Lebensstilansätzen 31 nahe, bietet aber auch Ansätze für moderne theologische Konzeptionen des gläubigen Menschen in einer Risikogesellschaft, die von Gott her uminterpretierbar sein soll. 32 Die Zusammenhänge mit den Individualisierungskonzepten in der Interessen- und Wertungsjurisprudenz und der ÖAR sind bisher, soweit ersichtlich, noch nicht näher untersucht, doch kann man die Logik der Reichtums- und Risikoproduktion im Sinne Becks 33 durchaus mit der REM-Hypothese der ÖAR 34 vergleichen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Wechsel von der Industrie- zur Risikogesellschaft den Vergleich mit der kopernikanischen Revolution nicht zu scheuen braucht, was das Ausmaß des Umbruchs von Einschätzungen angeht. Der Hauptunterschied besteht bloß darin, dass es nicht um einen naturwissenschaftlichen, sondern soziologisch-ethischen Umbruch geht. Im Vorfeld zeichneten sich erbitterte Kämpfe zwischen Altem und Neuem auf Einzelgebieten ab, wie sie aus der Zeit der Pandektistik und der Interessenjurisprudenz besonders eindrucksvoll belegt sind. Rudolph von Jhering bekehrte sich von der pandektistischen Begriffsjurisprudenz zum Begründer der Interessenlehre in seiner Schrift vom Kampf ums Recht 35 und mit der satirischen Schrift vom Scherz und Ernst in der Jurisprudenz (1884). In den Anfängen der ÖAR kam es zu ähnlich grundsätzlichen Streitigkeiten zwischen Vertretern der normalen Wissenschaft im Sinne der Kuhn schen Terminlogie und denen des paradigmatischen Wechsels. 36 Auch die Neuerungen zur Risikogesellschaft sind bis heute noch nicht unbestritten 37, doch geht es dabei heutzutage kaum noch um ein grundsätzliches Bestreiten des Umbruchs, sondern um Fragen des mehr oder weniger fortgeschrittenen Neuanfangs. III. Ethiken der Corporate und Professional Governance Ich schließe damit den knappen Überblick über die philosophischen Grundlagen ab und komme zu den speziell berufsethischen Teilen der Untersuchung. Zunächst zu den gewohnten Regimen von Kammern und Verbänden, die in dieser oder jener Form global verbreitet sind, aber bereits seit geraumer Zeit mit beträchtlichen Krisenphänomenen zu kämpfen haben. 1. Professionalisierung durch exklusive Zwangsverbände und Krisenphänomene Die Herauslösung freier Berufe aus den gewerblichen Diensteanbietern ist in Europa, Nordamerika und vermutlich auch in vielen anderen Ländern ein Vorgang, der zu erheblichen Qualitätsverbesserungen in allen Freiberufssparten geführt hat. Die Grundstruktur dessen ist überall vergleichbar 38 : Zunächst wird der Marktzutritt auf Personen mit bestimmten Qualifikationen durch Ausbildungs- und Praxisanforderungen begrenzt. Sodann kommt es entweder zu Verbandsgründungen mit Aufsichtskompetenzen, wobei teilweise Kammersysteme mit Pflichtmitgliedschaften errichtet wurden. 39 Oder man hat sich, wie insbes. in anglo-amerikanischen Heilberufsrechten, mit der Einrichtung öffentlicher Register bei Behörden oder Verbänden begnügt, die den 25 Vgl. nur Wieacker, aao, vorige Fn. S. 450 ff. 26 Vgl. nur Schäfer/Ott, Ökonomische Analyse des Privatrechts, 3. Auf. 2000, S. 56 ff. unter Hinweis auf den englischen Sprachgebrauch: resourceful, evaluation and maximizing, dazu Coleman, Foundations of Social Theory, 1990, S S.u. zu III.1/2. 28 Beck, Risikogesellschaft, 1986; ders./vossenkuhl/ziegler, Eigenes Leben, 1995; vgl. Ch. Lau, Risikodiskurse, in Soziale Welt, 1986, A. Nassehi, in: ders./kneer/schroer (Hrsg.), Soziologische Gesellschaftsbegriffe, Eigenes Leben, aao S.174; dazu Schneider-Flume, Glaube in einer säkularen Welt, 2006, S. 100 f. mit Kritik aus der Sicht der Theologie. 30 Logik der Reichtumsproduktion und Logik der Risikoproduktion, Risikogesellschaft, aao S Dazu s. Wikipedia, download Sept. 2009, zum Abs. Kritik. 32 Schneider-Flume, aao, vorige Fn. 33 S. o. Fn S. o. zu II.3b. 35 Zwei Bände ; dazu und zum Folgenden s. nochmals Wieacker, aao S Zusammenstellung der Diskussion bei N.Horn, AcP 175 (1975), S. 145 ff. 37 Zur Kritik vgl. nur Rössel, Plurale Sozialstrukturanalyse, 2005; Wieland, Grenzen der Individualisierung, 2004, beide zit. n. Wikipedia, aao zum Abs. Kritik. 38 Vgl. nur die Beiträge im Abschnitt Professionalisierung in Conze/Kocka (Hrsg.), Bildungsbürgertum im 19. Jahrhundert, 2. Aufl. 1992, S. 233 ff.; insbes. Siegrist, S. 301 ff.; Waddington, S. 388; Huerkamp, S. 358 ff.; instruktiv auch Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, 1981, S. 210 ff., 381 f. 39 Überblicke zu Deutschland, Frankreich und den Benelux-Staaten bei Herrmann, Recht der Kammern und Verbände Freier Berufe, 1996, 90 ff. 814 AnwBl 12 / 2009 Wertewechsel in einer Rechtsanwaltsethik globalen Diskurses, Herrmann

20 MN Aufsätze Marktzugang und die Einhaltung von berufsethischen Grundregeln überwachen. 40 Auch die ökonomischen Gründe und Zusammenhänge dieser Entwicklungen sind gut bekannt. Das große Informationsungleichgewicht zwischen Freiberuflern und ihren Patienten, Klienten oder Mandanten führt dazu, dass bei unbehindertem Wettbewerb Preis- und Qualitätsabsenkungen bis zur Grenze gänzlich unbrauchbarer Dienste bewirkt werden (sog. Zitronenmärkte). 41 Um dies zu verhindern, werden neben den schon erwähnten Qualitätssicherungen auch Honorarvorschriften erlassen, die Alle gleichmäßig einzuhalten haben. Qualitätswettbewerb bleibt in der Form von Image- Signalbildungen erhalten, die durch Zugehörigkeit und Amtsinhabe in den Verbänden oder durch Ausweis von Fachgebietsspezialisierungen zum Ausdruck kommen und beim Nachfrager zu Vertrauensbildung als Ausgleich der informationellen Unterlegenheit führen. Trotz der fortgeschrittenen Professionalisierung bei den sog. klassischen Freiberufen und der immer noch fortschreitenden Herausbildung neuer freier Berufe gibt es Krisenphänomene, die zur Bedrohung der Kammer- und Zertifikationssysteme führen. Hinzuweisen ist nur auf Mängel demokratischer Legitimation und Transparenz, gegen die das BVerfG 42 insbesondere durch Entscheidungen gegen die Bundesärztekammer (BÄK) und die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) eingeschritten ist. Bei der BÄK wurden die Ausbildungsvorschriften beanstandet, die dem so genannten Parlamentsvorbehalt nicht genügten. Die bei der BRAK praktizierten Standesrichtlinien wurden für unwirksam erklärt, weil sie Grundregeln der Verbandsdemokratie nicht entsprachen und nicht als förmliches Satzungsrecht veröffentlicht waren. Bei diesen und weiteren Klagen gegen Einzelkammern und Verbände ging es zudem um zu weitgehende Werbeverbote und um zu strenge Vorschriften gegen intra- und extraprofessionelle Kooperationen. Nachdem die viel zu strengen Regeln gegen gesellschaftsrechtliche Zusammenschlüsse von Rechtsanwälten und Wirtschaftsprüfern bzw. Steuerberatern vom BVerfG Schritt für Schritt abgebaut wurden 43, gibt es jetzt allerdings wieder eine Rechtsprechung des EuGH, die solche Verbotsvorschriften sehr weitgehend für zulässig hält. 44 Die Monopolkommission 45, die Wettbewerbsdirektion der EU-Kommission 46 und andere politisch einflussreiche Stellen haben wiederholt zu Gegenmaßnahmen aufgerufen, die bis zur Abschaffung der Sonderstellung freier Berufe und zur rechtlichen Gleichbehandlung mit anderen Dienstleistungsberufen reichen. 47 Am weitesten ging der sog. Clementi-Report in England, der sich mit der Regulierungskompetenz englischer Freiberufsverbände im Auftrag der Regierung zu befassen hatte. 48 Das Ergebnis dieser Untersuchung war derart negativ, dass der Report eine Abschaffung sämtlicher Regulierungsbefugnisse und nur die teilweise Wiedereinführung aufgrund besonderer Nachweise zur verbesserten Fähigkeit im Umgang mit Kompatibilitäts-, Transparenzund weiterer Elementarvorschriften empfahl. Die englische Regierung selbst hat dem anfänglich zugestimmt, und auch in anderen europäischen Ländern waren entsprechende Maßnahmen erwogen worden. 49 Auch wenn dem bis heute nur teilweise entsprochen wurde 50, muss von einer ernstlichen Krise der Verbandsorganisation freier rechtlicher Berufe in Europa die Rede sein. 2. Wesenselemente der Corporate Governance An Stelle derartiger Radikalkuren haben sich in einigen Ländern ergänzende Systeme der sog. professional governance entwickelt, die aus der Grundkonzeption der corporate governance für börsennotierte Aktiengesellschaften hervorgegangen sind. Es handelt sich also dabei um einen Lernprozess, der von der modernen Unternehmensethik 51 ausgeht und auf die freien Berufe eingewirkt hat. Zunächst zur corporate governance selbst: Unter corporate governance versteht man eine in den USA entwickelte Steuerungsform zur Kontrolle von Management-Entscheidungen, die ursprünglich allein auf die Vorstände von Großunternehmen zielte, damit diese ausgewogen im Interesse der Aktionäre und anderer Interessentengruppen entscheiden. Ausgangspunkt der Entwicklung war die berühmte Untersuchung von Berle und Means über The Modern Corporation and Private Property von Darin wurde die These aufgestellt und bis zu einem gewissen Grade auch belegt, dass die Unternehmensvorstände zunehmend nicht mehr im Interesse ihrer Eigenkapitalgeber, der Aktionäre handeln, sondern eigene Interessen und allenfalls noch Interessen der weiteren Belegschaft verfolgen. Die Verselbständigung der Management-Interessen von denen der Shareholders wurde deutlich. Um eine stärkere Rückbindung zu erreichen, wurde in der Folgezeit teils mehr auf Kapitalmarkt- und Arbeitsmarktfunktionen aufgebaut (insbes. die Chicago-Schule), teils primär auf hoheitliche Regulierung gesetzt. In der neueren Diskussion besteht aber Einigkeit, dass Beides sich nicht gegenseitig ausschließt, sondern aufeinander bezogen werden muss. Um ein Zusammenwirken hoheitlicher und marktlicher Steuerung zu bewirken, wurden zumeist die folgenden Regelungsmechanismen und prinzipien entwickelt 53 : 9 Einrichtung einer halbstaatlichen Kommission: Expertengremium mit Verbandsvertretern beider Marktseiten und Sachverständigen. 9 Erlass von Musterregeln durch die Kommission (Codes of Ethics), die teils auf interne (Aufsichtsrat), teils auf externe 40 Waddington, in Conze/Kocka (Hrsg.), Bildungsbürgertum im 19. Jahrhundert, 2. Aufl. 1992, S. 410 ff., betr. Mediziner in England und USA; zu Entsprechungen bei Psychologenberufen und Certified Public Accountants in den USA s. Herrmann, aao (vorige Fn.) S. 295 ff., 297 ff. 41 Vgl. Akerlof, The Market for Lemons, Qu.J.Ec. 1970, 488 ff.; f. Einschränkungen s. allerdings die Beiträge von Stephen, in: Ehlermann/Atanasiu (Hrsg. European Competition Law Annual 2004, 2006, S. 143 ff.; Schechter/ Wilson, ebd. S.560; Barton, Why Do We Regulate Lawyers?, 33 Arizona State Law Journal, 2001, S. 429, BVerfGE 33, 125 (Facharztbeschluss); 76, 171, 184 f. (BRAK-Richtlinien). 43 Vgl. nur BVerfGE 54, 237=NJW 1980, 2123; BVerfGE 80, 269=NJW 1989, 2611; heute s. 29a Abs EuGH Rs. C-309/99 Slg I,1653 Wouters Hauptgutachten v , Tz. 957 f.; dazu Hellwig, in Freiberufliche Selbstverwaltung durch Kammern in der EU, DWS (Hrsg.), 2007, S. 12, 16 f. 46 Europäische Kommission, COM (2004) 83 endg., S.1, 6: The Commission will...continue to carry out casework where appropriate. A coherent application of Articles 81 and 82 will be guaranteed through co-ordination in the European Competition Network. 47 Wichtigstes, wenngleich eingeschränktes Beispiel in dieser Richtung ist die EU- Anerkennungsrichtlinie, die nur noch eine stufenweise Sonderstellung vorsieht, Richtl. 2005/36/EC, Amtsbl. EG L 255 (2005). 48 Dazu s. Hellwig, NJW 2005, 1217, 1218; ders., in Freiberufliche Selbstverwaltung durch Kammern in der EU, DWS (Hrsg.), 2007, S. 12 f. 49 Zu Auswirkungen in den Niederlanden s. Hellwig, aao (vorige Fn.) S Immerhin wurde aufgrund des Legal Services Act 2007 und mit ausdrücklicher Bezugnahme auf den Clementy-Report die Solicitors Regulation Authority (SRA) gegründet und auf diese sämtliche Regulierungsbefugnisse der Law Society und der Bar übertragen, vgl.parlamentsbericht v , (download v ). 51 Dazu schon o. zu I. 52 Überarbeitete Fassung mit Vorwort von Berle, Näher zu dieser Unterscheidung v. Werder, in Hommelhoff u. a., Hdb. Corporate Governance, 2003, S. 12 ff. Wertewechsel in einer Rechtsanwaltsethik globalen Diskurses, Herrmann AnwBl 12 /

21 MN Aufsätze Kontrollen (Marktkräfte) über das Management gerichtet sind. 9 Alle Interessentengruppen haben die Option, entweder sich den Kontrollkompetenzen zu unterwerfen oder auszutreten (voting by exit), zum Beispiel durch Aktienverkauf, Kreditkündigung. 9 freiwillige Compliance der Kodex-Adressaten, wobei der Kodex entweder als reine Empfehlung oder als normatives Leitbild aufgefasst wird. staatliches Gebot über verbindliche öffentliche Compliance- Erklärung mit Erläuterung bei Abweichungen ( comply or explain ). Von diesen mehr verhaltensmäßig konzipierten corporate governance -Mechanismen kann man folgende stärker zielorientierte Prinzipien unterscheiden: 9 Gewaltenteilung 9 Transparenz 9 Reduktion von Interessenkonflikten 9 Motivation zu wertorientiertem Handeln Im Wege der Gewaltenteilung versuchen die corporate governance -Konzepte die Zuständigkeiten für Führungsentscheidungen auf verschiedene Organe zu verteilen, so dass ein System von checks and balances entsteht und die Gefahren opportunistischen Verhaltens vermindert werden. Beispielsweise werden die Entscheidungen des Vorstands einer AG durch den Aufsichtsrat überwacht. Zur Transparenz geht es um den Ausgleich von Informationsasymmetrien, die zwischen den verschiedenen Interessengruppen des Unternehmens bestehen. Da die Aktionäre kaum Kenntnis von den Umsätzen und Erträgen des Unternehmens haben, müssen jährlich Bilanzen und Gewinn- und Verlustrechnungen erstellt und publiziert werden. Zugleich wird opportunistisches Verhalten leichter entdeckbar, wodurch präventive Abschreckungseffekte bewirkt werden. Interessenkonflikte bestehen etwa zwischen Aktionären und dem top management, wie von Berle und Means grundlegend aufgezeigt 54 und im Principle-agent-Konzept theoretisch ausgearbeitet. 55 corporate governance -Regeln können dem Management verbieten, persönliche Vorteile aus Geschäftschancen der AG zu ziehen. Aktienoptionsprogramme können dem Management Anreize geben, im Einklang mit Aktionärsinteressen zu handeln. Unter dem Prinzip der Wertorientierung versteht man schließlich, dass Anreize gesetzt werden, Interessenkonflikte nicht im Wege wertvernichtender Streitigkeiten, sondern dadurch zu lösen, dass nach Win-win-Positionen gesucht wird, die für alle Beteiligten Vorteile bieten und den Gesamtwert der Unternehmung steigern. Beispiele sind nicht nur im Bereich der Kapitalmarktorientierung zu suchen, sondern bestehen etwa auch darin, dass Anreize zur Schadensverhütung anstatt zur Schadensvergütung gesetzt werden, indem das Risiko persönlicher Haftung gesteigert wird. 3. Verallgemeinerungen für freie Berufe und Verbreitung In einem nächsten Schritt der theoretischen Analyse kann man versuchen, die erörterten Mechanismen und Prinzipien der corporate governance auf die Steuerung von Kammern und Verbänden freier Berufe zu übertragen. Da es hierfür in der englischsprachigen Praxis zahlreiche Beispiele unter dem Titel der professional governance gibt, wird diese Kurzbezeichnung auch hier benutzt. Leider gibt es bislang kaum Vorarbeiten 56, so dass wir im Wesentlichen darauf angewiesen sind, aus der, wie gesagt, reichlich vorhandenen Praxis der professional governance die nötigen Informationen herauszufiltern und für den theoretischen wie praktischen Vergleich aufzubereiten. Darauf ist im praktischen Teil sogleich näher zurückzukommen. Hilfreich ist dabei aber immerhin, dass die corporate governance inzwischen auch für nicht börsennotierte AGs und GmbHs verallgemeinert werden, wenn deren Anteile an sog. grauen Kapitalmärkten gehandelt werden. 57 Denn dann droht bei Nichtbefolgung des corporate governance -Kodex und entsprechender Veröffentlichung, dass die Nachfrager an diesen Märkten das Verhalten der Gesellschaften dadurch abstrafen, dass sie auf andere Gesellschaften ausweichen bzw. bei gesunkener Nachfrage die Anteile zu niedrigeren Preisen erwerben. Die Untersuchung solcher Publizitätswirkungen auf Kapitalmärkten hat sogar maßgebend zu der Erkenntnis beigetragen, dass die Unternehmenspublizität ganz unabhängig von Kapitalmarktreaktionen als funktionsfähiges Steuerungsmodul der corporate governance wirken kann. Denn letztlich geht es um die vertrauensbildenden Effekte 58, die bei Veröffentlichung der Kodex-Befolgung ausgelöst werden. Auch nicht gelistete gewerbliche Unternehmen werden bei der Vergabe von Bank- und Lieferantenkrediten und selbst bei gewöhnlichen Absatzvorgängen auf ein gutes Werbe-Image achten, das durch Publikationen zur corporate governance positiv beeinflusst wird. Der Vertrauensaspekt der corporate governance -Publizität dürfte ganz besonders gut geeignet sein, die Übertragbarkeit der Steuerungseffekte auf die freien Berufe zu begründen. 59 Schon oben (zu III.1) wurde die besondere Bedeutung der Vertrauensbildung bei der für freie Berufe typischen asymmetrischen Informationsverteilung hervorgehoben. Ergänzend kommen auch der Aufbau gesteigerten Vertrauens und die Vertrauenspflege bei den Freiberufsverbänden selbst in Betracht, da das Vertrauen der Nachfrager zu ihren Mitgliedern wesentlich vom Vertrauen in die Regulierungs- und Aufsichtskompetenz der Verbände bestimmt wird. Das gilt besonders dort, wo am Markt verschiedene Berufsgruppen mit unterschiedlichen Verbandsregimen tätig werden. Rechtsberatung darf z. B. sowohl von Rechtsanwälten als auch von Steuerberatern und Personen angeboten werden, die beide besonderer Berufsqualifikationen haben. Da Märkte für Rechts- und Steuerberatung hochgradig expansionsfähig sind, herrscht intensiver Wettbewerb zwischen diesen Berufsgruppen. 60 Allerdings sind preiswettbewerbliche Effekte wegen der strengen Regulierung durch Honorarordnungen in beiden Berufsrechten weitgehend ausgeschlossen. Doch hindert dies offenbar nicht den Wettbewerb um Marktanteile, wobei erhebliche Verschiebungen zu den Steuerberatern beobachtet werden. Es besteht deshalb eine Art Systemwettbewerb der beiden Kammerregime um gute Selbstregulierung. Das betrifft etwa die Aufhebung des GmbH-Verbots für Rechtsanwälte, das für Steuerberater so nie gegolten hat. Zwar wurde diese Entwicklung letztlich mit Hilfe der Gerichte und nicht im Wettbewerb der Kammersysteme erzwungen, doch gab es auch Anstöße von Seiten des DAV und schließlich auch innerhalb 54 AaO (vorvorige Fn.). 55 Vgl. grdl. Jensen/Meckling, Theory of the Firm, J.Fin.Ec. 3 (1976), S. 305 ff. 56 S. aber jetzt Henssler/Kilian, AnwBl. 2005, 1 ff. 57 Vgl. nur Schulze-Osterloh, ZIP 2001, 1433, 1434; Herrmann, Gesellschafts- und Konzernrecht, 2008, S. 62; krit. Baumbach/Hueck/Zöllner, GmbH-Komm., vor 35, Rdn H. Merkt, Unternehmenspublizität, 2001, S. 228 ff., 244 ff. 59 Vgl. aus ethischer Sicht Suchaneck, in DWS (Hrsg.), 2007, S. 10, 17 ff. 60 Vgl. W. Strobel, Der Markt anwaltlicher Dienstleistungen, AnwBl 1988, 307 ff. 816 AnwBl 12 / 2009 Wertewechsel in einer Rechtsanwaltsethik globalen Diskurses, Herrmann

22 MN Aufsätze der BRAK, die auf die Erfahrungen im Steuerberatungsrecht zurückzuführen sind. 61 Ähnliches gilt für die Abschaffung des Verbots überörtlicher Sozietäten und der beiderseitigen Sozietätsverbote. 62 Die Entwicklung scheint indessen nicht einseitig auf Deregulierungstendenzen hinauszulaufen. Beispielsweise wird in der Literatur schon seit Langem gefordert, auch für Steuerberater die Rechtsstellung als Organ der Rechtspflege in gleicher Weise durchzusetzen, wie sie für Rechtsanwälte gilt. 63 Von einer Art Wettlauf zum niedrigsten Regulierungsniveau (race to the bottom), wie er vielfach befürchtet wird, kann aber wohl keine Rede sein. 64 Schließlich ist noch darauf zu verweisen, dass ein Teil der mechanisms and principles auf Wirkungen abzielt, die gänzlich unabhängig von Markt- und Wettbewerbsfunktionen sind. Beispielsweise sind Verbote von Tätigkeiten mit Gefahr von Interessenkollisionen zweifellos überall dort angebracht, wo solche Kollisionen bestehen. Sie kommen deshalb auch in fast allen Freiberufsordnungen vor und können als solche in die neue Konzeption der professional governance ohne Vorbehalte übertragen werden. Zur Verbreitung der Governance-Regime ist wiederum von der corporate governance auszugehen. Das Regelungsmuster der corporate governance ist nicht nur weltweit verbreitet, sondern auch seit 2002 im deutschen Recht börsennotierten Aktiengesellschaften und seit April 2004 in der EU-Übernahmerichtlinie 65 verwirklicht. Mit 161 AktG in der Fassung des TransPublG v wurde der Corporate Governance Kodex (CGK) 67 als halbstaatliches Recht börsennotierter AGs in Kraft gesetzt, der die im deutschen Recht grundlegend neue Entsprechens-Erklärung verlangt. Von ihr hängen fast alle Einzelheiten des Rechts börsennotierter AGs, des Konzern- und Umwandlungsrechts ab. Hinzu kommt das sog. Optionsmodell der neuen EU- Übernahmerichtlinie, das ebenfalls der Compliance-Konzeption folgt. Die Artt. 9 und 11 ÜbernRichtl. regeln u. a. die Neutralitätspflicht des Vorstands der Zielgesellschaft bei Übernahmeangeboten und die Verbote von sog. Übernahmehindernissen, wie goldenen Aktien, vinkulierten Namensaktien und dergl. Es handelt sich um relativ strenge Vorgaben, doch wird den Mitgliedstaaten anheimgestellt, die Artt. 9, 11 umzusetzen. Optieren sie dagegen, so muss den betroffenen Unternehmen die weitere Entscheidung überlassen bleiben, ihrerseits für Einhaltung der Artt. 9, 11 zu optieren. Sinn dieser doppelt gestuften Optionen ist es, die Entscheidungen letztlich dem Einfluss der Kapitalmärkte zu öffnen. Optiert das Land die Artt. 9, 11 aus, so werden zunächst alle hierhin zu rechnenden Emittenten in die konservative B-Klasse eingestuft und selbstverständlich auch so bei den Rating-Agenturen taxiert. Klare Anreize für den schon angesprochenen Systemwettbewerb werden gesetzt. Optiert ein Unternehmen nun entgegen der allgemeinen Entscheidung seines Landes für Anwendung der Artt. 9, 11, so wird es in die A-Klasse hinaufgestuft. Dadurch kann es vermeiden, vom Markt für diejenigen Halbherzigkeiten abgestraft zu werden, für die sich sein nationaler Gesetzgeber entschieden hat. Politikversagen soll partiell durch Marktfunktionen kompensiert werden. Neben die Regeln zur corporate governance treten die der professional governance. In den USA, Kanada und Australien hat man sie inzwischen auch in einigen Freiberufsrechten erprobt und hierfür den Begriff der professional governance eingeführt. Im Vorgriff auf eine umfänglicher angelegte empirische Auswertung 68 lässt sich sagen, dass ca. 34 Prozent der mit professional governance bezeichneten Einrichtungen im Bereich freier Berufe tätig sind. Etwa 40 Prozent gehören zu den Lehr- und Heilberufen einschließlich der pharmazeutischen Freiberufe sowie zu den hauptsächlich psychologisch tätigen Couches. Doch sind nur etwas weniger als die Hälfte von diesen 69 als Verbände oder non-government organisations strukturiert. Der Rest sind staatliche oder für diese in Abhängigkeit tätige Einrichtungen. In Belgien hat die Fédération des Entreprises de Belgique in 2001 recommandations on Corporate Governance Dan Les Societes Non Cotées veröffentlicht Verantwortungsethische Grundlagen und Innovationsfolgen Der grundlegend neue Ansatz der Governance-Ethik liegt darin, dass eine Steuerung durch ökonomische Anreize zu kooperativem Verhalten erfolgt, anstatt auf das Gewissen des Normadressaten einzuwirken. Individuelle Tugenden mutieren... zu organisatorischen Kompetenzen. 71 Dabei wird Ethik notwendig in gewissem Umfang für ökonomische Zwecke instrumentiert, indem auf die Vorteile gelungener Kooperation abgestellt wird. Das heißt, dass der Primat der Gewissensorientierung und die Hierarchie der Entscheidungslogik individueller Tugendverwirklichung aufgegeben werden. Es gibt keinen letzten Eigenwert einsehbarer moralischer Pflichten, was Ulrich zu der These veranlasst: bedingte Ethik ist keine Ethik. 72 Dem ist von Wieland mit Recht entgegen gehalten worden, dass nicht impliziert ist, alles in den Dienst ökonomischen Vorteilsstrebens zu stellen. Vielmehr kann man von einer Art Gleichstellung ökonomischer Folgenerwartungen der Kooperation mit anderen ethischen Argumenten sprechen. 73 Soweit sich etwa ein Konflikt zwischen Vertrauensschutz und Gewinnstreben ergibt, ist abzuwägen und danach zu entscheiden, was kurz- oder langfristig vorteilhaft ist. Ein dauerhafter Vorrang ökonomisch schädlicher Wertsetzungen wird allerdings als Luxus feudaler Zeiten abgelehnt, weil er sich in funktional differenzierten Gesellschaften endgültig als irrig erwiesen habe. 74 Im Hinblick auf die Notwendigkeit der Abwägung ökonomischer Zweckmäßigkeit mit Werten der Tugendethik, wie Rechtsstaatlichkeit und sozialer Gerechtigkeit, ist an die schon erwähnte Lehre vom relativen Naturrecht und vom 61 Vgl. Henssler, JZ 1992, 69 ff. 62 Vgl. schon Herrmann, in Sahner u. a., Zur Lage der freien Berufe 1989, 1989, Bd. 1 S. 299, Vgl. nur Seliger, Nürnberger Steuergespräche Vgl. auch van den Bergh, in: Ehlermann/Atanasiu (Hrsg. European Competition Law Annual 2004, 2006, S. 155, 157 ff. 65 ABl. EU Nr. L 142/12 v näher s. H.Herrmann, Unternehmens- und Gesellschaftsrecht, Bd. 2. zu Kap. 6 III Gesetz zur weiteren Reform des Aktien- und Bilanzrechts, Transparenz und Publizität, BGBl. I, S f. 67 I. d. F. v , abgedr. b. Ringleb/Kremer/Lutter/v.Werder, Deutscher CGK. Kommentar, 2003, S. 1 ff. 68 Internet-Recherche (Mai 2004) von 571 www-seiten von Einrichtungen, die den Begriff der professional governance als Name oder zur Erklärung ihrer Aktivitäten benutzen. Dem Folgenden sind Auswertungen eines Samples der ersten 100 bei Google erfassten Einrichtungen zugrundegelegt % der Gesamtheit. 70 Download (Mai 2004) unter 71 Wieland, Die Ethik der Governance, 2. Aufl., 2000, S Ulrich, Integrative Wirtschaftsethik, 1997, 420; krit. Wieland, aao (vorige Fn.) S. 82 f. 73 Wieland, ebd. S. 84 f. 74 Ebd. S. 85. Wertewechsel in einer Rechtsanwaltsethik globalen Diskurses, Herrmann AnwBl 12 /

23 MN Aufsätze gemäßigten Wertrelativismus zu erinnern. 75 Auch diese Meinungsrichtungen haben sich längst den ökonomischen Einflüssen auf das Recht und die Ethik geöffnet und die dafür benötigten Relativierungen vorgesehen. Es bleibt lediglich die Frage der diskursiven Anerkennung. Stellt man hierzu mit den Autoren zum herrschaftsfreien Diskurs auf weltweite Durchsetzung der corporate governance oder gar der professional governance ab, so ergibt sich, trotz der aufgezeigten Verbreitung in Lehre und Praxis, ein Defizit. Insbes. in den Ländern mit Freiberufskammern, wie Deutschland, Spanien und Frankreich, kann von einer allgemeinen Anerkennung ökonomischer Steuerung für freie Berufe keine Rede sein. Doch hilft hier die erörterte Lehre sozialethischen Paradigmenwechsels weiter. Hinreichende Verbreitung dafür ist nicht nur in der Unternehmensethik, sondern auch für die professional governance belegt. Auch die Krisenphänomene haben sich im Bereich der herkömmlichen autonomen Selbstverwaltung mit aller Deutlichkeit gezeigt 76 ; und bessere Antworten liefert die professional governance vor allem insofern, als es um Ergänzungen der bestehenden Kammerund Verbandssysteme geht. Das Neue des Paradigmenwechsels besteht nicht in der Ausschließlichkeit des Steuerungssystems der professional governance, sondern in dessen Funktionalität, die, wie gezeigt 77, insbes. auf den Transparenz- und Publizitätseffekten beruht. Auch diese zielen zwar wie die meisten überkommenen Berufsethiken ebenfalls auf Vertrauensbildung. Aber es geht um eine neue Form der Publizität, die durch die Transparenz und die Öffentlichkeit des Kodex (und der Entsprechenserklärung im Sinne 161 AktG) bewirkt wird. Es liegt ein Paradigmenwechsel vor, der zunehmend erkennen lässt, dass Altes alt wird, und Neues neu erscheint. Ergibt sich aus alledem etwas für die eingangs geäußerte Aussicht auf nachhaltige Innovationserfolge in Wirtschaft und Gesellschaft? Dazu ist an die für die Governance-Ethik grundlegende Gleichstellung ökonomischer Instrumentierung mit außerökonomischen Entscheidungslogiken 78 anzuknüpfen. Verbesserungen der Verbandsorganisation zielen, wie erwähnt, darauf ab, die Vertrauensbildung auf den Freiberufsmärkten zu fördern. Dabei ist zu berücksichtigen, dass dies der Kompensation von Wettbewerbsanomalien dient, die durch das typisch freiberufliche Informationsungleichgewicht bei sog. Vertrauensgütern bedingt sind. Nachfrager, die das Verhältnis von Preis und Qualität nicht weder Vorhinein noch nachträglich beurteilen können, richten sich nach Ersatzinformationen. Dazu gehört das signaling durch Image-Bildung, die durch die Verbandszugehörigkeit und die dafür vorausgesetzten Anforderungen wesentlich beeinflusst wird. Wird demgem. zur Effektuierung wettbewerblicher Allokationsfunktionen beigetragen, so sind die allgemein bekannten Mustervorhersagen für Märkte mit funktionsfähigem Wettbewerb angebracht. Diese gehen dahin, dass bestmögliche Marktergebnisse bei Offenhaltung der Märkte und Beseitigung von Wettbewerbsdefiziten erwartbar sind. M. a. W. die Nachfrage wird dorthin gelenkt, wo die am besten geeignete Zusammensetzung der Produktionsfaktoren gegeben ist (statische Funktion), und wo das Innovationspotential angemessen genutzt wurde (dynamische Funktion). Die allgemein bekannten wettbewerbstheoretischen Grundlehren brauchen hier nicht vertieft zu werden. 79 Es genügt, wenn deren Anwendbarkeit bei hinreichender Signalbildung zum Ausgleich der Informationsasymmetrien gesichert ist. Genau darin liegt die für die Governance-Ethik so wichtige Erwartung begründet, verbessertes Marktvertrauen werde zur Nachhaltigkeit guter Marktergebnisse beitragen. IV. Folgerungen zur Anwaltsethik 1. Verhaltensstandards und -empfehlungen Welche Vorgaben der Verantwortungsethik sind es im Einzelnen, die vom ergänzenden Wechsel zur Governance- Steuerung erwartet werden können? Dazu kann auf die Mechanismen und Prinzipien der corporate governance Bezug genommen werden, so dass sich als Erstes die Frage ergibt, ob ebenso wie zum Aktienrecht eine Regierungskommission eingesetzt werden sollte, die mit Aufgaben zur Erarbeitung eines professional governance -Kodex zu betrauen wäre. Der Verfasser hat diese Frage anderwärts näher ausgearbeitet und den Vorschlag gemacht, dass Deutschland im so genanntne Systemwettbewerb mit anderen Aufsichtsrechten für freie Berufe die Parallele zu 161 AktG aufgreift. 80 Vor allem wären die Publizitätsfolgen der Entsprechenserklärung im Bundesanzeiger und der Mitteilung an die Verbandsmitglieder mit hoher Steuerungswirkung verbunden. Doch kann dies hier zurückgestellt werden, zumal die im Recht der börsennotierten AG vorgesehene Entsprechenserklärung für die öffentlich-rechtlichen Kammern wenig passend erscheint. Hier gibt es eine viel umfänglicher geregelte Berufsaufsicht öffentlichen Rechts. Es herrscht also das Prinzip des Government, so dass eine bis ins Verfahrensmäßige hineinreichende Doppelung mit dem Governance-Konzept schon recht ungewöhnlich und auf der Welt in dieser Form wohl völlig einmalig 81 wäre. Damit ist allerdings nicht entschieden, ob derartiges für privatrechtliche Freiberufsverbände in Erwägung gezogen werden sollte, soweit diese nicht neben Kammern bestehen und deshalb mittelbar unter deren Aufsicht und unter der für die Aufsicht über die Kammern zuständigen Behörden stehen. Aber auch hiervon sollte man zumindest aus systemwettbewerblichen Gründen absehen. Den diese Verbände haben, ähnlich wie die Kammern öffentlichen Aufgaben und Funktionen, die sie von den prinzipiell auf Gewinnerzielung ausgerichteten AGs wesentlich unterscheiden. Auch spricht der Wettbewerbsgedanke für schrittweises Vorgehen, das heißt man sollte sich zunächst damit begnügen, die Governance-Mechanismen wie das Transparenzgebot und die Inkompatibilitätsvorschriften zu vergleichen und in angepasster Form zu übernehmen. Schon dies kann zu wesentlichen Verbesserungen führen. Eine normative Grundlage dafür ist derzeit allerdings nicht im geltenden Recht sondern allein in der Freiberufsethik zu suchen, 75 S. o. zu II S. o. zu III III.2/3. 78 Vgl. nochmals Wieland, Governance-Ethik, aao, S. 84 f. 79 Vgl. nur den Überblick zur Analyse statischer und dynamischer Wettbewerbsfunktionen bei I. Schmidt, Wettbewerbspolitik und Kartellrecht, 7. Aufl. 2001, S Herrmann, in Ehlermann/Atanasiu (Hrsg.) European Competition Law Annual 2004, 2006, S Zwar gibt es eine solche Doppelung schon deswegen, weil es börsennotierte AGs sind, die neben den Pflichten nach 161 AktG auch der öffentlich-rechtlichen Börsenaufsicht unterliegen. Noch gesteigert ist das Zusammentreffen mit öffentlichem Aufsichtsrecht, wo die AGs auch noch der Aufsicht der BAFin unterliegen. 818 AnwBl 12 / 2009 Wertewechsel in einer Rechtsanwaltsethik globalen Diskurses, Herrmann

24 MN Aufsätze die hier im Paradigmenwechsel von der Standesethik zur Governance-Ethik begriffen wird Der Transparenzmechanismus Im Hinblick auf die konkreten Einzelinhalte kann die Analyse nur selektiv sein, doch ist auf exemplarische Auswahl geachtet. Einer der wichtigsten Mechanismen der corporate governance, wie der professional governance 83, ist die Durchschaubarkeit der verbandsinternen Entscheidungsverfahren für die Mitglieder. Besonderer Bedarf entsteht hierzu nicht nur bei den Besetzungen der Verbandsgremien 84, sondern auch zur Entscheidungspraxis in Zweifelsfällen der Honorar- und Berufsordnungen. Als Beispiel dafür wird die Praxis zur Gebührenunterschreitung in der Bundessteuerberaterkammer herausgegriffen. Da die StBGebV kein ausdrückliches Unterschreitungsverbot enthält, gibt es verschiedene Ansichten darüber. Die Bundessteuerberaterkammer hat sozusagen vorbildlich gehandelt und eine offizielle Verlautbarung in den Mitteilungen veröffentlicht. 85 Aber diese Information ist nicht an die Mitglieder der Elementarkammern gerichtet, sondern an die Kammern selbst, so dass es diesen überlassen bleibt, ob und inwieweit die Berufsausübenden selbst unterrichtet werden. Das Transparenzgebot könnte hier zur Verbesserung der Informationstiefe und -breite beitragen. Hinzu kommt, dass im Zeitablauf Aktualisierungen erfolgen müssen. Um im Beispiel der Unterschreitungsverbote zu bleiben, sei auf die Entscheidung des EuGH 86 zum Niedrigpreiswettbewerb ausländischer Rechtsanwälte in Italien hingewiesen, wonach ein solches Verbot durch hoheitliche Regelung zulässig sein kann, wenn dadurch keine übermäßige Zutrittsbeschränkung für Ausländer aus der EU bewirkt wird. Es kann sein, dass dies für die Bundessteuerberaterkammer Anlass gibt, bei der bisherigen Ansicht zu bleiben, der Kammer obliege eine Angemessenheitsprüfung im Einzelfall. Auch Modifikationen dieser Ansicht sind denkbar, brauchen hier aber nicht diskutiert zu werden. 87 Jedenfalls wäre es im Sinne eines künftigen Transparenzgebots zu begrüßen, wenn eine aktualisierte Mitteilung erfolgen würde. Entsprechendes gilt für das Anwaltsrecht. Leider ist in Italien auf die Cipolla-Entscheidung des EuGH nur die Reaktion des Gesetzgebers erfolgt, die umstrittenen Honorarregeln gänzlich zurückzunehmen. 88 In Deutschland hat sich die Diskussion ganz überwiegend auf die Frage der Erfolgshonorare konzentriert, auf die unten zu IV.4 näher eingegangen wird. Inwieweit die Untersuchungen des Verfasser zum Niedrigpreiswettbewerb nach der StBerGebO auf das Anwaltsrecht übertragbar sind, muss weiterer Untersuchung vorbehalten bleiben. 3. Inkompatibilität: Offenlegung statt Verbot Zu Inkompatibilitätsproblemen des Rechts der Freiberufskammern ist in der Literatur ist etwa darauf aufmerksam gemacht worden, dass es Schwierigkeiten bereitet, wenn die Kammern einerseits über die Anerkennung von Fortbildungskursen privater Anbieter zu entscheiden haben, andererseits selbst auf diesem recht einträglichen Bildungsmarkt tätig werden. 89 Lehnt man sich an den corporate governance -Kodex an, so wird deutlich, dass unvereinbare Interessenwahrnehmung gar nicht immer verboten ist, sondern dass es zumeist nur um deren Offenlegung geht. 90 Demgemäß wäre etwa bei einer Ablehnungsentscheidung gegenüber privaten Fortbildungsanbietern dazu Stellung zu nehmen, weshalb und inwiefern ein am selben Markt angebotenen Kammerkurs besser geeignet erscheint. 4. Honorarregeln des RVG, insbesondere Erfolgshonorar Aufgrund der besonderen Bedeutung des Preiswettbewerbs für funktionsfähigen Wettbewerb sei nochmals auf das Preisrecht freier Berufe zurückgekommen, und zwar diesmal mehr mit Blick auf das Anwaltsrecht. 3a Abs. 1 RVG 91 erlaubt Preisvereinbarungen unter der Voraussetzung, dass sie in Textform gefasst und deutlich von anderen Vereinbarungen und der Vollmacht abgetrennt ist. Auch muss die Information enthalten sein, dass die gegnerische Partei im Falle ihres Unterliegens nicht mehr als die gesetzliche Vergütung zu erstatten hat. Zudem ist bei Zweifeln an unangemessen hohen Preisvereinbarungen eine gerichtliche Herabsetzung möglich, nachdem zuvor der Vorstand der RAK ein Gutachten erstellt hat (Abs. 2). Unter Aspekten der Governance-Ethik ist hervorzuheben, dass das Textformerfordernis und die Sondermitteilung auf Informationsoffenlegung gerichtet sind, die der Offenheit der Kommunikation ähnlich ist, wie das Überraschungsverbot des 305 Abs. 1 BGB und zahlreiche Regelungen informationellen Verbraucherschutzes. 92 Außerdem besteht eine gewisse Kammeröffentlichkeit in Zweifelsfällen der Honorarüberhöhung, weil das Gericht in Zusammenarbeit mit der RAK eingeschaltet werden kann. Der Rechtsanwalt muss sich in diese (begrenzte) Öffentlichkeit nicht begeben, wenn er die gesetzlichen Honorargrenzen nicht überschreitet. Tut er dies aber, so muss er halböffentliche Erklärungen abgeben, wodurch die Nähe zum typischen Governance-Grundsatz des comply or explain deutlich wird. Nach 4 a Abs. 1 RVG 2009 darf ein Erfolgshonorar für den Einzelfall vereinbart werden, wenn der Mandant aufgrund seiner wirtschaftlichen Verhältnisse bei verständiger Betrachtung ohne die Vereinbarung von der Rechtsverfolgung abgehalten würde. Die Vorschrift wurde durch eine Entscheidung des BVerfG von erforderlich, wonach die Zulässigkeit von Erfolgshonorarvereinbarungen in dieser Weise für verfassungskonform angesehen wurde. Zur näheren Bestimmung der Voraussetzungen ist Vieles umstritten. In der Diskussion hat sich die Unterscheidung zwischen kleiner und mittlerer Lösung heraus kristalisiert. Ein kleiner Anwendungsbereich ergibt sich, wenn man die Vereinbarungsmöglichkeit auf minder bemittelte Mandanten beschränkt, während ein mittlerer Umfang bei Einbeziehung von Mittelständlern entsteht, falls diesen zum Beispiel große Bauprozesse bei verständiger Würdigung als zu riskant erscheinen Näher s. o. zu II.3 und III Zur Entsprechung s. o. zu III Veröffentlichung von Vorschlagslisten und dergl. 85 BRAK, Mitteilung 21/ V , Rs. C-94/04 und C-202/04 Cipolla, EurR 2007, 82 ff. 87 S. aber Herrmann, Gebührenunterschreitung durch Steuerberater und Marktstörungsgefahr, EWS 2009, 10, 17 f. 88 Vgl. Kleine-Cosack, BB 2008, Heft 11, Special, S.3 ff. zu IV Hellwig, in Freiberufliche Selbstverwaltung durch Kammern in der Europäischen Union, DWS-Schriftenreihe Nr. 13, 2007, S. 12, S. Nr des CGK. 91 V i. d. F. v , BGBl. I, Vgl. nur 355 Abs. 1 S. 1 BGB i.v. mit dem Recht der Haustürgeschäfte, des Fernabsatzesetc.,aberauch 8Abs.2VVG. 93 BVerfG v , NJW 2007, Vgl. DAV-Stellungnahme Nr. 54/07. Wertewechsel in einer Rechtsanwaltsethik globalen Diskurses, Herrmann AnwBl 12 /

25 MN Aufsätze Aus der Sicht der professional governance spricht viel für die mittlere Lösung, weil es nur auf die Offenlegung der Risikofaktoren ankommt. Bei Zulässigkeitszweifeln an der Honorarvereinbarung muss der Anwalt nähere Umstände dazu offenlegen, dass der Mandant ohnedem keinen Prozess riskiert hätte. Man kann auch insofern eine gewisse Nähe zum Grundsatz des comply or explain erkennen. 5. Werbeverbote, insbesondere ambulance chasing Die aktuelle Regelung des 43 b BRAO verbietet Werbung, die nicht sachlich unterrichtet und nicht auf Erteilung eines Auftrags im Einzelfall gerichtet ist. Zu dieser sog. Mandatswerbung wird seit längerer Zeit in der Literatur heftig diskutiert, ob es beim allgemeinen Verbot der Werbung um Praxis bleibt, oder eine Begrenzung auf die Fälle des ambulance chasing vorgenommen werden soll. 95 Folgt man dem hier vertretenen rechtsethischen Ansatz der professional governance, so genügt die enge Auffassung. Denn nur beim ambulance chasing wird der potentielle Mandant zu einer unsachlichen Motivation veranlasst. Im Übrigen würde es genügen, wenn man verlangt, dass der werbende Anwalt eine hinreichende Dokumentation über die Umstände seiner Mandatswerbung offen legt. Denn die Abgrenzung vom ambulance chasing hängt oft vom Nachweis von Tatsachen ab, der nicht leicht zu erbringen ist. Da aber 43 b BRAO wegen der negativen Formulierung des zweiten Halbsatzes so gefasst ist, dass der Werbende nicht selbst einen Entlastungsbeweis erbringen muss, wenn ihm nur nachgewiesen wird, dass er überhaupt geworben hat, wird die Kontrolle unerlaubter Formen bis hin zum ambulance chasing in der Literatur als schwierig angesehen. Ein Ausweg könnte rechtspolitisch darin bestehen, dass man für Werbeaktionen generell eine Dokumentationspflicht einführt, bei deren Nichteinhaltung eine Vermutung rechtswidriger Aktionen begründet wird. Solange dies nicht der Fall ist, scheint das Verbot jedweder direkter Mandatswerbung gerechtfertigt. Die vom Verf. früher vertretene abweichende Ansicht 96 wird aufgegeben. 9 Speziell zum Freiberufsrecht ist hier auf die professional governance mit den aus der corporate governance übernommenen Grundsätzen der Transparenz, Publizität und Kompatibilität abgestellt worden. 9 Inhaltlich wurden organisatorische Verbesserungen zum Transparenzmechanismus der professional governance vorgeschlagen, die unter anderem darin bestehen, dass einheitliche Leitlinien für die Auslegung umstrittener Vorschriften der Berufsordnungen publiziert und von Zeit zu Zeit oder aus gegebenem Anlass aktualisiert werden. Die professional governance -Empfehlung zur Kompatibilität der Interessenwahrnehmung gibt weiteren Anlass zu Verbesserungen, die aber nicht auf Inkompatibilitätsverbote hinauslaufen müssen, sondern in der Aufdeckung von widerstreitenden Interessen bestehen können. 9 3 a RVG enthält zur Vereinbarung von gesetzesabweichenden Anwaltshonoraren eine Regelung, die der corporate governance -Mechanik des comply or explain nahe kommt. Zum Erfolgshonorar ist es ähnlich, auch wenn man der so genannten mittleren Lösung zustimmt, die auch bei mittelständischen Mandanten greift 9 Verbote direkter Mandatswerbung sollten nicht auf ambulance chasing beschränkt werden, solange es keine Dokumentationspflicht gibt, die Nachweise dafür enthält, dass keine Grenzüberschreitung zur unsachlichen Beeinflussung des Mandanten vorliegt. V. Fazit und Ausblick Abschließend sind folgende Hauptergebnisse hervorzuheben: 9 Freiberufsethik sollte nicht darin zu verharren, die moralischen Bräuche der herrschenden Schichten der Verbandsmitglieder zu tradieren und kommunitarisch begrenzte Ressortmoral zu pflegen. Vielmehr werden verantwortungsethische Grundsätze benötigt, die zwar in ständigem Wandel und paradigmenhaften Strukturwechsel stehen, aber Weltgeltung beanspruchen. Hierfür kann an zahlreiche von einem Weltauditorium anerkannten Werte, wie die der Professionalisierung und freiberuflichen Selbstverwaltung angeknüpft werden. Auch öffnet sich der Blick für den Wechsel zur ökonomischen Ethikanalyse und den dahinter stehenden Umbruch von der Industriegesellschaft zur Risikogesellschaft. Prof. Dr. Harald Herrmann, Nürnberg Der Autor ist emeritierter Professor der rechts- und wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Erlangen- Nürnberg. Sie erreichen den Autor unter der -Adresse autor@anwaltsblatt.de. 95 Vgl. Kleine-Cosack, Das Werberecht der rechts- und steuerberatenbden Berufe, 2004, 110; Lorz, NJW 2002, 169; Herrmann, in Ehlermann/Atanasiu (Hrsg.) European Competition Law Annual 2004, 2006, S. 104; im Ansatz auch BGH, NJW 2000, Herrmann, in Ehlermann/Atanasiu (Hrsg.) European Competition Law Annual 2004, 2006, S AnwBl 12 / 2009 Wertewechsel in einer Rechtsanwaltsethik globalen Diskurses, Herrmann

26 MN Aufsätze Das Bild des Menschen im Recht ein Versuch Rechtsanwalt Prof. Dr. Friedrich Graf von Westphalen, Köln Das Recht wandelt sich. Das gilt nicht nur für die Gesetze, sondern auch für die Überzeugungen, die der Rechtsordnung zugrunde liegen. Wertewandel, Relativismus und blanker Positivismus verändern das Recht. Der Autor wirft einen Blick auf das Bild des Menschen, so wie es sich im heutigen Recht widerspiegelt. Sein Fazit: Wenn die Rechtsordnung den Menschen nicht achtet, dann achtet auch dieser die Rechtsordnung nicht mehr. Das Recht verliert seine Steuerungsfunktion für ein im freien Gewissen des Staatsbürgers begründetes normgemäßes Handeln des Menschen. Nichts ist so entscheidend für den Stil eines Rechtszeitalters wie die Auffassung vom Menschen, an dem sie sich orientiert, schrieb der große Rechtsgelehrte Gustav Radbruch in seiner Heidelberger Antrittsvorlesung 1 im Jahr Denn mit der Metapher vom Bild des Menschen im Recht ist der Grundakkord der jeweils gültigen Rechtsordnung zum verbindlichen Maßstab gesetzt: Alle Sätze der Rechtsordnung sind ja freilich: in stetem Wandel begriffen 2 an den Menschen gerichtet, auf ihn auch ausgerichtet; sie schaffen für ihn Rechte und bürden ihm gleichzeitig Pflichten auf: Vor allem aber zielen sie auf Sanktionen im Fall des Zuwiderhandelns, versuchen aber im gleichen Atemzug im Rahmen eines freiheitlich-demokratischen Rechtsstaats ausgerichtet an menschlichen Maßstäben, nicht aber an Utopien Gerechtigkeit und Frieden in Freiheit und menschlicher Würde für den Einzelnen, für Gesellschaft und Staat zu gewährleisten. Gerade deswegen fordert die von Gustav Radbruch aufgeworfene Frage auch heute zu Antworten heraus 3, zumal es gegenwärtig darum geht, eine auch nur halbwegs zureichende Antwort im Gestrüpp von Wertewandel, Relativismus und blankem Positivismus und einem hierdurch bedingten Rechtswandel zu finden 4, ausgerichtet mittlerweile an einem reichlich individualistischen Welt- und Menschenbild, geprägt von einer zunehmenden Ökonomisierung des Rechts 5. Radbruch freilich hat über dieses auf den je Einzelnen zielende Bild des Menschen im Recht seinerzeit den Stab gebrochen: Vom empirisch-konkreten Menschen, so lässt er uns Spätere wissen, führt der Weg nicht zu einer Rechtsordnung, sondern zur Verneinung jeglicher Rechtsordnung 6. Das ist ein hartes Verdikt. Doch man wird einschränkend festhalten müssen: Es zählt immer zu den Signaturen aller späten Rechts- und Gesellschaftsordnungen, dass sie nur noch in oft sehr engen Grenzen fähig sind, das Allgemeine als verbindlich und gültig zu setzen und die darin liegende umfassende Normativität auch so zu betonen. Denn wenn es wie heute darum geht, die sich aus dem je Partikularen für Gesellschaft und Staat stellenden Fragen zu beantworten, dann steht die Frage nach den Werten in Zeiten des Umbruchs 7 auf dem Programm. Denn das Konkret-Individuelle des jeweiligen normativen Befehls steht jetzt allzu vieles relativierend im Vordergrund der politisch programmierten Gesetzgebung, womit auch ein Codewort für das je Aktuelle, für das kurzfristige Bedürfnis des Tages, für die Reaktion auf aktuelle Krisenerscheinungen umschrieben ist. Die Finanzkrise belegt den hiermit nur kurz angedeuteten Gedanken als das in der Sache Gemeinte Tag für Tag. Dennoch soll auf bescheidenem Raum der Versuch unternommen werden, nach dem Bild vom Menschen im Recht unter den Gegebenheiten des Heute Ausschau zu halten. Dass dieser Versuch nur einige Schlaglichter setzen kann, sei sogleich eingeräumt, zumal ein weiter Bogen vom Verfassungsrecht und von dort vor allem zum Zivilrecht und (tendenziell) zum Wirtschaftsrecht zu spannen ist, um einige, halbwegs plausible Antworten auf die gestellte Frage zu erhalten. 1. Verfassungsrechtliche Perspektiven 1.1 Einige Grundtatbestände Es ist fast ein Gemeinplatz festzustellen, dass inzwischen weithin eine Subjektivierung der Rechtsordnung 8 stattgefunden hat. In ihrem Mittelpunkt steht das Individuum, das Privatrecht bezeichnet es jedoch inzwischen als Verbraucher. Die auf den Schutz des Bürgers zielenden Grundrechte der Verfassung sind weithin daran hat sich im Kern seit 60 Jahren wenig geändert liberale Abwehrrechte, die sich vor allem gegen den Staat selbst richten und ihm gegenüber das Recht reklamieren, vom Staat allein gelassen und politisch nicht in Pflicht genommen zu werden. Die Freiheit des dem Müßiggang frönenden Spaziergängers ist genauso verfassungsrechtlich elementar und verbürgt wie die Freiheit des Demonstranten. Als Grundinhalt aller Freiheits- und Bürgerrechte sind die Freiheit der Religion, der Meinungsäußerungs- und der Pressefreiheit, der Freiheit der Kunst und des Rechts zur friedlichen Versammlung auszumachen jeweils gerichtet auf Wahlfreiheit und freie Selbstbestimmung des Einzelnen 9. Hinter der Fülle dieser rechtsstaatlich abgesicherten Freiheitsrechte verbirgt sich unschwer erkennbar ein religiösethisch, aber auch weltanschaulich verankerter Pluralismus, der die Gesellschaft im Rahmen des Toleranzgebots regiert. Darin kann man auch den Ausweis eines Relativismus sehen, dessen Distanz zum banalen Nihilismus nicht sehr weit ist. Der dadurch umschriebene Freiheitsraum ist gleichzeitig der rechtlich abgesicherte Grundtatbestand der öffentlichen Lebensordnung geworden 10, derweilen der Staat gezwungen durch seine liberale, die unterschiedlichsten Freiheiten und Wertorientierungen seiner Bürger achtende Grundstruktur in die weltanschauliche Neutralität geflüchtet ist. Diese Entwicklung bedeutet nicht mehr, aber auch nicht weniger, als dass Religion, Bildung, Wissenschaft, Kunst und ganz allgemein der common sense einschließlich der Verantwortung der Politik für die Grundlegung von Werten im Staat selbst keinen genuinen Repräsentanten mehr finden. Denn ihr Inhalt ist nicht mehr notwendiger Teil der staatlichen 1 Radbruch, Der Mensch im Recht, Göttingen 1957, S Vgl. Böckenförde, Vom Wandel des Menschenbildes im Recht, Münster Den jüngsten Versuch einer Antwort verdanken wir Stürner, Markt und Wettbewerb über alles? München 2007, S. 302 ff. 4 Hierzu Fikentscher/Heitmann/Isensee/Kriele/Lobkowicz/Scholz, Wertewandel Rechtswandel Perspektiven auf die gefährdeten Voraussetzungen unserer Demokratie, Gräfelfing Vgl. Hoeren FAZ v S. 6; Böckenförde, in: Recht, Staat, Freiheit, Frankfurt 2006, S. 58 ff. 6 Radbruch (Fn. 1) S Ratzinger, Werte in Zeiten des Umbruchs, Freiburg Böckenförde (Fn. 2) S Böckenförde (Fn. 5) S Böckenförde (Fn. 5) S. 61. Das Bild des Menschen im Recht ein Versuch, von Westphalen AnwBl 12 /

27 MN Aufsätze Ordnung. Er ist nur noch freilich: vielfach lediglich in Rudimenten erkennbar Teil der gesellschaftlichen Verfasstheit. Doch gegenläufig formuliert bedeutet dies gleichzeitig: Wo der allgemeine Wertekonsens der Gesellschaft unter dem Druck von Freiheit und autonomer Selbstbestimmung eines um sich greifenden Individualismus zerbröckelt, wo der Staat Religion und Sitte nicht mehr hinreichend steuert und pflegt, da entsteht zwangsläufig eine doppelte Konsequenz: Zum einen ist es nahezu unwiderstehlich, dass sich die Vielzahl staatlicher Rechtsbefehle und Normen in immer größerer Dichte und Feinsinnigkeit erhöht. Daran hat der europäische Gesetzgeber auch in hohem Maß Anteil. Es geht nicht mehr um die Achtung vor dem Gesetz, sondern nur noch um dessen Beachtung. Die grassierende und praktisch nicht aufzuhaltende Normenflut lässt im Verein mit dem sich immer bürokratischer gebärdenden Staat vor allem der Steuer- und der Sozialstaat stehen für das Gemeinte das aktuelle Rechtsbewusstsein des Bürgers mehr und mehr zur Farce werden. Nicht einmal der Kundigste ist auch nur ansatzweise in der Lage, die Masse der ihn als Bürger bindenden und verpflichtenden Gesetze zu kennen, um sein Verhalten danach in freiwilliger Bejahung auszurichten. Gehorsam leistet der Bürger deshalb schon lange nicht mehr aus einer gleichsam ethischen Grundüberzeugung, sozusagen aus einem im Bürgerethos fundierten Sollen, welches ihn im Gewissen bindet, sondern vor allem nur noch aus zweckrationaler Einsicht. Der Staat hat schließlich Mittel genug sich durchzusetzen. Denn es geht dem Staat des Industriegesellschaft, den Ernst Forsthoff als einen ausgesprochen schwachen, dem Anspruchsdenken des Bürgers weithin ausgelieferten Staat schon vor mehr als einer Generation umschrieben hat 11, nicht mehr um die Achtung vor dem Gesetz, sondern nur noch um dessen Beachtung, als gleichsam blinden Vollzug. Doch wiederum gegenläufig formuliert: Die Bürger wären desto eher bereit, dem jeweiligen Rechtsbefehl des Staates dass dieser keineswegs immer effektiv oder auch nur vernünftig ist, sei eingeräumt freiwillig zu folgen, wenn die ihn stützenden Normen auch gleichzeitig auf einem vorrechtlichen Konsens seiner Bürger beruhten. Denn dann wäre der Akt des Gehorsams von dem getragen und geprägt, was bürgerliche Gesittung verkörpert, den citoyen prägt, weil die Normbefehl ohnedies allgemein oder doch wenigstens mehrheitlich ethisch einsichtig erscheint und auch als gerecht eingeordnet wird 12. Doch das ist ersichtlich schon lange nicht mehr der Fall. Das hier bestehende Defizit an ethischer Gesinnung, an Bürgersinn dem Staat und seiner Autorität gegenüber bedarf daher auch keiner weiteren Beschreibung. Politisch reflektiert sich hier die wachsende Zahl der Nichtwähler 13. Die weitere Konsequenz, welche der weltanschaulichen Neutralität und vor allem auch der Säkularisierung des freiheitlichen-demokratischen Staates und der durch sie bedingten Subjektivierung der Rechtsordnung 14 zuzuschreiben ist, liegt daher auf der Hand: Die aus diesem ethischen Defizit erwachsende Not, dass ja der Staat dem Einzelnen keine Vorgaben an Verbindlichkeiten und wertehaltiger Orientierung mehr gewährt und auch nicht mehr gewähren kann, ist, so scheint es, inzwischen tief in das Bewusstsein der Bürger eingedrungen, auch wenn es noch nicht allenthalben wahrgenommen wird: Es ist im Kern die neu auftretende Frage nach Religion 15, nicht zuletzt auch als fast verzweifelte Suche nach wieder zu entdeckenden 16, die Gesellschaft tragenden ethischen Grundwerten 17. Doch der einzelne Mensch schafft sich inzwischen nahezu unangefochten selbst seine eigene Glaubenserzählung, schafft sich mithin seinen je eigenen Gott 18. Doch im Hintergrund steht gleichzeitig die essentielle auf der politischen Ebene angesiedelte und noch weithin unbeantwortete Frage, ob es nicht dringlich ist, nach dem Bewusstsein von dem, was fehlt 19, zu forschen. Das heißt vorpolitisch 20 bezogen auf Gesellschaft und Staat nach der Errichtung eines Konsenses Ausschau zu halten und tatkräftig an seinem Entstehen mitzuarbeiten, als Bewusstsein von dem, was den Bürgern Orientierung schafft und dem Einzelnen dann auch wieder Halt gibt. Es darf unter keinen Umständen die Wiederherstellung von Fraglosigkeit 21 sein, sondern der öffentliche Diskurs um Wert und Bedeutung von Religion als Legitimationsressource 22. Denn der demokratische Staat ist auf eine in Überzeugungen verwurzelte Legitimation angewiesen 23. Indessen befindet sich der einzelne Bürger heute oft einsam und mutterseelenallein, aber mehr oder weniger ständig auf die Suche nach für ihn jeweils verbindlichen Werten im Rahmen von Selbstbestimmung und Selbstfindung. Religion ist und bleibt nämlich gerade für den suchenden Menschen in einer postsäkularen Gesellschaft stets eine eigenständige Wirklichkeit 24, die auf Dialog genauso angewiesen ist wie die Gesellschaft selbst 25. In dieser Sicht erscheint es durchaus hilfreich, sich an ein altes Wort von Alexis de Tocqueville zu erinnern, das weithin in Vergessenheit geraten ist 26. Er schrieb in seiner denkwürdigen Schrift Über die Demokratie in Amerika : Ich bin geneigt zu denken, dass der Mensch, ist er nicht gläubig, hörig werden, und, ist er frei, gläubig sein muss 27. Weit haben wir uns von dieser Einsicht entfernt. 11 Forsthoff, Der Staat der Industriegesellschaft, München Isensee (F. 4) S. 17, Steingart, Die Machtfrage, Ansichten eines Nichtwählers, München 2009, S. 21 ff. 14 Böckenförde (Fn. 9). 15 Vgl. etwa Joas, Braucht der Mensch Religion? Freiburg 2007, S. 11 ff.; Beck, Der eigene Gott Friedensfähigkeit und Gewaltpotential der Religionen, Frankfurt/ Leipzig 2008, S. 247, der den Religionen Legitimationsressourcen zuschreibt, die im Kampf um die Würde des Humanen in einer sich selbstgefährdenden Welt eingesetzt werden können, allerdings unter der fragwürdigen Prämisse, dass Wahrheit durch Frieden ersetzt werden soll, um so in die Weltrisikogesellschaft (S. 238) einzuwirken; gegenläufig wohl und jedenfalls kritisch Schnädelbach, Religion in der modernen Welt, Frankfurt 2009, S. 35 ff. Religion und kritische Vernunft sowie S. 128 ff. Wiederkehr der Religion bestenfalls als religiöses Bedürfnis (S 132); aus verfassungsrechtlicher Sicht di Fabio, Gewissen, Glaube, Religion, Berlin 2008, S. 15 ff.; S. 35 ff. Relativismus, Toleranz in postsäkularer Zeit. 16 Hierzu auch Horster, Jürgen Habermas und der Papst, Glaube und Vernunft, Gerechtigkeit und Nächstenliebe im säkularen Staat, Bielefeld 2006, 13 ff. 17 Ratzinger (Fn. 7) S. 28 ff. vorpolitische moralische Grundlagen eines freiheitlichen Staates. 18 Beck, (Fn. 15) S Vgl. Habermas, in Reder/Schmidt (Hrsg.), Ein Bewusstsein von dem, was fehlt, eine Diskussion mit Jürgen Habermas, Frankfurt 2009, S. 26 ff., der religiös begründete Stellungnahmen einfordert und ihnen in der politischen Öffentlichkeit einen legitimen Platz zuweisen, S Hierzu auch Habermas/Ratzinger, Dialektik der Säkularisierung, Freiburg 2005, S. 31 ff. 21 Beck (Fn. 15) S Beck (Fn. 15) 23 Habermas (Fn. 19) S Knapp, Glauben und Wissen bei Jürgen Habermas, Stimmen der Zeit Nr. 4/2008 S. 270, 277f. 25 Jürgen Habermas umschreibt dies so: Ohne eine gelingende Übersetzung besteht keine Aussicht, dass der Gehalt religiöser Stimmen in die Agenden und Verhandlungen staatlicher Institutionen Eingang findet und im weiteren politischen Prozess zählt, Habermas, Die Zukunft der menschlichen Natur. Auf dem Weg zu einer liberalen Eugenik, Frankfurt 2002, S. 152 f. 26 Kreiter, Wie viel Religion braucht der Staat? In Christ in der Gegenwart Nr. 16/2009 S Tocqueville, Über die Demokratie in Amerika, Ditzingen 2004, S. 227f. 822 AnwBl 12 / 2009 Das Bild des Menschen im Recht ein Versuch, von Westphalen

28 MN Aufsätze In diesem Defizit von religionsorientierter Gläubigkeit und einem bestenfalls noch partiell anerkannten gesellschaftlichen Wertekonsens offenbart sich ein für das Recht und seinen Bestand fataler Grundkonflikt: Eine freiheitliche Demokratie ist nämlich das ist ihr Tribut an die Freiheit auf den freiwilligen im ethischen Sollensbefehl, im Gewissen des Einzelnen sich gründenden Vollzug des Gesetzesgehorsams ihrer Bürger vital angewiesen. Daraus lebt das, was gemeinhin als Rechtsbewusstsein und vor allem auch als Unrechtsbewusstsein umschrieben wird. Doch das Maß des freiwillig bejahten Rechtsbewusstseins prägt den Zustand der Rechtskultur. Dass es hier nicht zum Besten bestellt ist, bedarf keines Beweises. Indes, die freiheitliche Demokratie kann nicht auf Dauer sich damit zufrieden geben und bescheiden, dass der Bürger dem Staat und seinen normativen Anordnungen nur deswegen folgt, weil der Staat vor allem auch als Steuerstaat sonst seine Zwangsmittel einsetzt und den widerstrebenden Bürger zur Raison bringt. Das wird nicht reichen weder für den bourgeois, schon gar nicht für Eine freiheitliche Demokratie lebt vom freiwilligen Gesetzesgehorsam ihrer Bürger. den citoyen. Die immer wieder ins Spiel gebrachte These von Böckenförde, wonach der freiheitlich-säkularisierte Staat aus Voraussetzungen lebt, die er selbst nicht schaffen kann, belegt das Gemeinte zur Genüge. Doch wird dieser Satz mit dem wichtigen Gedanken ergänzt: Das ist das große Wagnis, das er, um der Freiheit willen, eingegangen ist 28. Die dahinter stehende Erkenntnis hängt eng mit der weiteren zusammen, dass zwar alle Bürger stets unter den Geboten der Verfassung leben, dass aber die Verfassung selbst ständigem Wandel durch immer wieder neue Auslegungen ihrer Grundentscheidungen unterworfen ist. Diese sind in die Begrifflichkeiten von Freiheit, Gleichheit, Würde, Demokratie, sozialer Rechtsstaat gekleidet. Alles das sind fraglos teils visionäre Begriffe, aber gleichzeitig auch weithin bindende Wertentscheidungen, die in Rechtsbegriffe mit normativer Wertung umgewandelt worden sind 29. Dass sie auch teilweise gegeneinander gerichtet sind, wie dies bei den Werten Freiheit und Gleichheit lange Jahre die politischen Auseinandersetzungen zwischen den beiden großen Volksparteien zu beobachten war, sei hinzugesetzt. Doch genau darum geht es im Folgenden: Aufzuzeigen ist nämlich, dass die Interpretation der Verfassung und damit die Widerschein der Folie des Bildes des Menschen im Recht kein einmaliger Akt, sondern ein ständiger, ein höchst dynamischer Prozess ist, der gleichermaßen geprägt ist von gesetzlichen Mehrheitsentscheidungen der Parlamente, vom sich wandelnden Rechtsbewusstsein der Bürger und von der für sie jeweils maßgebenden Rechtspraxis. Doch es gilt gleichwohl der wichtige Satz: Institutionen können nicht halten und wirken ohne gemeinsame sittliche Überzeugungen Schwindender Würdebegriff Immer entstehen Reibungen und Verwerfungen, wenn der rechtsethische Konsens, auf dem alle Normen des Rechts jedenfalls die fundamentalen unter ihnen beruhen, bröckelt, hinschwindet oder sich gar auflöst. An kaum einer anderen Stelle ist diese Entwicklung gegenwärtig so schneidend zu beobachten wie bei der sich mehr und mehr in der juristischen Fachliteratur abzeichnenden Neuinterpretation des Würdebegriffs nach Art. 1 Abs. 1 GG 31. Als unabdingbarer und nicht wandelbarer Halte- und Orientierungspunkt gilt bislang die Grundaussage dieser Norm, dass die Würde des Menschen unantastbar ist. Wie in der Kommentierung von Dürig aus dem Jahr 1958 nachzulesen, war diese Norm das oberste Konstitutionsprinzip allen objektiven Rechts 32, welches auf einer vor-positivistischen Wertentscheidung des Verfassungsgesetzgebers beruhte. Allen Menschen kam diese gleiche Würdegarantie zu, auch dem noch nicht Geborenen, was das Verfassungsgericht noch eindrucksvoll in seiner Abtreibungsentscheidung aus dem Jahr 1993 in einem Leitsatz bestätigte 33. Doch inzwischen tritt mehr und mehr eine reine Exegese des positiven Rechts die Vorherrschaft in der juristischen Literatur an, welche alle außerrechtlichen Ansatzpunkte herrührend aus einem christlich-abendländischen Verständnis vom Menschen zurückdrängt: Würde ist danach nur noch ein Begriff, der rein mit den Mitteln juristischer Deduktion erforscht wird, ohne auf vorausliegende sittliche Wertentscheidungen überhaupt noch Bezug zu nehmen. Sie werden vielmehr dem Begriffshimmel zugewiesen, weil eine Wertungs- und Abwägungsoffenheit des Verletzungsurteils 34 eingefordert wird. Würde im strengen Sinn kommt in dieser Sicht daher in erster Linie nur dem geborenen Menschen wegen des ihm eigentümlichen Selbstbestimmungsrechts zu, nicht aber dem ungeborenen und auch nur, da der Tatbestand der Würde begrifflich nur noch prozesshaft konzipiert ist 35,in begrenztem Maß dem alten, gebrechlichen und sterbenden Menschen. Das Attribut der uneingeschränkten, vom Staat zu achtenden menschlichen Würde nach Art. 1 GG setzt also in dieser Sicht erst an einer bestimmten Stelle der menschlichen Existenz an, macht mithin menschliches Leben bis zu diesem Zeitpunkt Dritten verfügbar, sei es durch staatlich sanktionierte Tötung, wie bei der Stammzellenforschung oder durch staatlich straffrei gestelltes Töten, wie bei der Abtreibung oder der auf Selektion gesunder Embryonen angelegten Präimplantationsdiagnostik 36. Wenn aber das Würdegebot des Art. 1 GG für die gesamte Rechtsordnung in sich stimmig und schlüssig bleiben soll, weil der Staat um des Menschen willen da ist, dann kann es nur so sein, dass der Anspruch auf ungeteilte Achtung der menschlichen Würde ohne Vorbehalte und Einschränkungen die gesamte Existenz eines menschlichen Lebewesens vom ersten Augenblick seines Lebens erfasst und keine wie auch immer begründeten Zäsuren bis zum natürlichen Tod verstanden als Hirntod und damit als Absage an alle Formen der aktiven Sterbehilfe anerkennt Rückseite des Buchs Recht, Staat, Freiheit (Fn. 5). 29 Gegen diesen theoretischen Ansatz vor allem auch Böckenförde (Fn. 5) S. 67ff, 30 Ratzinger (Fn. 7) S. 47 der dort niedergeschriebene Satz beginnt allerdings mit in der Tat..., was hier aus sprachlichen Rücksichten vernachlässigt wurde. 31 Besonders kritisch Böckenförde (Fn. 5) S. 379 ff. 32 Dürig, in: Maunz/Dürig, Grundgesetzkommentar, München 1958, Art. 1 Rdnr. 24; vgl. insbesondere auch Rdr. 28, in welcher Dürig seine bekannte Objektformel entwickelt, d. h. die Menschenwürde ist dann verletzt, wenn der konkrete Mensch zum Objekt, zu einem bloßen Mittel, zur vertretbaren Größe herabgewürdigt wird. 33 BVerfG JZ-Sonderdruck 1993 S. 1 ff. 34 Herdegen in: Maunz/Dürig/Scholz, Grundgesetzkommentar, München 2003, Art. 1 Rdnr Herdegen (Fn. 34) Art. 1 Rdnr. 56, 61ff; 65f.; teilweise noch radikaler Dreier, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Tübingen 1996, Art. 1 Rdnr. 47, Hierzu eindrucksvoll Böckenförde-Wunderlich, Präimplantationsdiagnostik als Rechtsproblem, Tübingen 2000, S. 169 ff. 37 Hierzu Böckenförde (Fn. 5) S. 389 ff.; umfassend auch Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. IV/I, München 2006, S. 27 ff. betreffend die diversen Streifragen der Biomedizin, der Biotechnologie und der Humangenetik. Das Bild des Menschen im Recht ein Versuch, von Westphalen AnwBl 12 /

29 MN Aufsätze Rügelose Hinnahme der Abtreibung Biomedizinische Herausforderungen 38 Ob die Gerichte vor allem das Verfassungsgericht selbst eines Tages dieser neuen, einschränkenden Deutung des Art. 1 GG folgen wird 39, ist im Augenblick (noch) unwahrscheinlich, aber auch nicht das maßgebende Thema 40, wohl aber ist die harsche Feststellung angezeigt, die nicht mehr der uneingeschränkten Anerkennung des Würdegebots entspricht: Der Gesetzgeber gestattet seit Jahrzehnten und dies: Jahr für Jahr Abtreibungen, die statistisch immer weit über der Marke von liegen 41, ohne die Auflage des Verfassungsgerichts aus dem Jahr 1993 auch nur ansatzweise zu befolgen 42. Dieses hatte nämlich wegen der in diesen nicht hinnehmbar hohen Abtreibungszahlen erkennbar werdenden Vernachlässigung der staatlichen Schutzpflicht gegenüber dem ungeborenen menschlichen Leben geboten, das Gesetzgeber nach neuen gesetzlichen Lösungen (wohl nicht auf dem Gebiet des Strafrechts) Ausschau halten muss, welche dem staatlich zu gewährleistenden Rechts- und Lebensschutz zugunsten des ungeborenen menschlichen Lebens nach Art. 1 GG effektiver gerecht werden. Hinzuzusetzen ist in dieser negativen Bilanz, dass sich der Bundestag erst kürzlich mehrheitlich darauf verständigt hat, dass menschliche Embryone künstlich zur Zeugung im Ausland hergestellt werden dürfen, um sodann nach deren Verbrauch das heißt: durch ihre Tötung hergestellte embryonale Stammzellen importieren zu können. An diesen sollte dann medizinische Forschung betrieben werden, deren Erfolg freilich nach wie vor mehr als ungewiss und zweifelhaft ist 43. Nicht unerwähnt soll auch in dieser Bilanz bleiben, dass kaum noch kritische Stimmen gegen die flächendeckend praktizierte künstliche Befruchtung ( in vitro ) geltend gemacht werden, obwohl das Schicksal der überzähligen Embryonen sie werden tiefgekühlt konserviert, aber oft nicht mehr gebraucht nach wie vor gesetzlich und praktisch ungeklärt ist. Im Zweifel werden sie ihrem eigenen Schicksal überlassen und dann vernichtet. Das nennt man gemeinhin Tötung. Doch die gesetzlichen Krankenkassen treten für die Erstattung der Kosten für die künstliche Befruchtung ähnlich wie bei der Abtreibung ein 44. Die fast fatal zu nennende Gewöhnung an diesen, ungeborenes Leben vernichtenden Rechtszustand ist alarmierend. Isensee hat dies vor langen Jahren einmal mit der Metapher ein Blick auf die frühere staatliche Finanzierung der Abtreibung gebrandmarkt: Der Staat tötet Habermas: Der Gott freier Menschen 46 Dass jedoch alle diese Entwicklungen das Bild vom Menschen im Recht verdunkeln, es unmittelbar prägen, liegt auf der Hand. Denn der Staat angesprochen und gefordert in seiner Funktion als Rechts- und Sozialstaat nimmt das ihm zwingend zum Schutz der menschlichen Würde auferlegte Schutzgebot und damit auch seine Schutzpflicht gegenüber dem ungeborenen menschlichen Leben mehr und mehr zurück. Jürgen Habermas hat die sich aus der ungebremst sich entfaltenden Gentechnik entwickelnde Misere in seiner großen Rede anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels im Jahr 2001 gültig auch für den religiös Unmusikalischen 47 ins Wort gesetzt: Gott bleibt nur solange ein,gott freier Menschen, wie wir die absolute Differenz zwischen Schöpfer und Geschöpf nicht einebnen 48. Genau diese drohende Einebnung bezeichnet die akute Gefahrenlage für das Bild vom Menschen im Recht. Und der jetzige Papst ergänzt diesen Gedanken, wenn er im Blick auf die sich aus der Gentechnik aufdrängenden Risiken darauf aufmerksam macht: Der Mensch ist nun imstande, Menschen zu machen, sie sozusagen im Reagenzglas zu produzieren. Der Mensch wird zum Produkt, und damit verändert sich das Verhältnis des Menschen zu sich selbst von Grund auf. Er ist nicht mehr Geschenk der Natur oder des Schöpfergottes; er ist sein eigenes Produkt 49. In dieser Perspektive ist der Mensch im Recht gewiss nicht mehr das, was Gustav Radbruch noch den alten Adam nennen konnte Geschöpf oder Produkt des Zufalls? Indessen stehen immer weitere, neue Herausforderungen für die Achtung des Würdegebots des Art. 1 GG und damit für die Rechtsordnung und das ihr manifest werdende Bild vom Menschen im Recht auf Grund der Fortschritte der biomedizinschen Forschung ins Haus. Und die vielseitig zu beobachtenden Tendenzen, die Euthanasie am Ende des menschlichen Lebens zu fördern, zielen in die gleiche Richtung: Sie alle gefährden das Bild vom Menschen im Recht. Denn sie werfen nicht nur radikal die Frage auf, ob der Mensch denn alles (rechtlich und ethisch) tun darf, was er auch (technisch) tun kann, oder anders gewendet ob denn in der Tat in der Demokratie eine Mehrheit berechtigt ist, über menschliches Leben im Rahmen eines Gesetzes zu verfügen, ohne letzte Grenzverletzungen zu begehen. Im Kern geht es wohl letztlich um die Antwort auf die fundamentale Frage, die in der Tat den ganz entscheidenden Unterschied für das Bild vom Menschen im Recht so oder anders ausmacht, ob sich nämlich der Mensch innerhalb der Gesellschafts- und Rechtsordnung nur als Produkt des Zufalls begreift und von der Rechtsordnung auch so behandelt werden darf oder ob er sich (immer noch) als Geschöpf versteht, das sich nicht sich selbst und auch nicht seinen Eltern, sondern entsprechende dem christlichen Erbe, auf dem unsere Rechtskultur aufruht einem liebenden Schöpfergott verdankt 51. Hier liegt unweigerlich die Weggabelung abseits aller noch darzustellenden weiteren Gefährdungen, denen das Bild vom Menschen im Recht heute ausgesetzt ist Vorgegebene Grundwerte keine Disposition der Mehrheit Die zu findende Antwort auf diese entscheidende Frage, welche von einem Wertewandel zu einem Rechtswandel führen 38 Hierzu instruktiv Hilpert, Forschung contra Lebensschutz, Freiburg 2009; Schroth, in Kaufmann/Hassemer/Neumann, Einführung in die Rechtsphilosophie und Rechtstheorie der Gegenwart, 7. Aufl., Heidelberg 2004, S. 458 ff. 39 Betreffend die gegenteilige Konzeption des Verfassungsgerichts vgl. BVerfGE 39,1, 41; BVerfG JZ-Sonderheft 1993 S. 1 ff.; dem Gericht folgend Höfling in: Sachs, Grundgesetz, 2. Aufl., München 2001, Art. 1 Rdnr. 46f.; Stern (Fn. 37) S. 71f. 40 Stern (Fn. 37) bezeichnet die These, wonach die Entstehung des menschlichen Lebens mit der Konjugation von Eizelle und Samen zusammenfällt, als herrschende Auffassung, um daran den Schutz des menschlichen Lebens anzuknüpfen, S Vgl. Böckenförde, Menschenwürde und Lebensrecht, Stimmen der Zeit Nr. 4/2008 S. 245 ff. 42 Hierzu BVerfG JZ-Sonderheft 1993, 34f. 43 BGBl Vgl. BVerfG JZ-Sonderheft 1993, 34 ff. betreffend die Verfassungsmäßigkeit solcher Zahlungen. 45 Isensee NJW 1986, 1645, Habermas, Glauben und Wissen, Frankfurt 2001, S Habermas aao; noch eindrucksvoller ders., (Fn. 25) S. 116 ff. 48 Habermas (Fn. 46) 49 Ratzinger, Was die Welt zusammenhält, (Fn. 7) S. 28, Radbruch (Fn. 1) S Ratzinger, Europas Identität, (Fn. 7) S. 68, AnwBl 12 / 2009 Das Bild des Menschen im Recht ein Versuch, von Westphalen

30 MN Aufsätze kann 52, muss gesellschaftlich präsent gehalten und immer wieder im öffentlichen Diskurs eingefordert werden. Alle gesellschaftlichen Gruppierungen sind hier angesprochen, nicht zuletzt die christlichen Kirchen, die gerade hier einen entscheidenden Beitrag leisten können und auch müssen. 53 Klar ist jedoch: Eine Antwort auf diese das Menschenbild des Rechts prägende Frage kann nicht mit letzter Gültigkeit von der jeweiligen Mehrheit beantwortet werden, weil die Antwort letztlich auch auf das zielt, was auch in einer pluralistischen Gesellschaft religiös-sittlich fundiert als Wahrheit über den Menschen, sein Sosein und sein ethisch-rechtliches Sollen zu begreifen ist. Auf ein Mindestmaß an Wahrheit und sittlich Gutem in dem Bild vom Menschen im Recht ist jedoch jede freiheitliche Gesellschaft und auch der freiheitlichdemokratische Staat vital angewiesen 54. Denn dass Mehrheiten, auch wenn sie demokratisch legitimiert sind, sich tief in Unrechtssysteme (NS und Kommunismus) verstricken und so auch sich grundlegend von der Achtung der Menschenrechte abwenden und irren können, hat das letzte Jahrhundert mehr als deutlich gezeigt; Hitler ist am 30. Januar 1933 legal an die Macht gekommen 55. Ebenso sicher ist auch, dass das, was Menschenrechte und damit auch Menschenwürde im Einzelfall bei einem anstehenden Gesetzesvorhaben ausmacht, keineswegs immer für die Mehrheit offen zutage liegt 56. Indessen setzt die demokratisch legitimierte Mehrheit, wie etwa die Gesetzgebung über die Abtreibung und die Stammzellenforschung belegen, geltendes positives Recht. Dieses beeinflusst wiederum auch die Interpretation der Verfassung, weil und soweit es das Rechtsbewusstsein oder auch die Anschauungen reflektiert, die vorrechtlich den Normen des Rechts stets zugrunde liegen. Und die bange Frage zielt dann zwangsläufig darauf ab, ob denn die Rechtsprechung des Verfassungsgerichts entgegen dem Normenbefehl des Gesetzgebers, aber eben doch im Interesse der Garantie der Grundrechte, vor allem im Blick auf die als unantastbar bezeichnete Würde eines jeden Menschen hier im Einzelfall Einhalt gebietet, weil wie Günther Hirsch, der ehemalige Präsident des Bundesgerichtshofs, kundig schrieb, die Grundrechte nicht vom Gesetzgeber geschaffen und auch nicht dem Bürger verliehen sind, sondern aus eigenem Recht existieren, sie sind vom Gesetzgeber zu respektieren, ihm vorgegeben als übergeordnete Werte Zivilrecht: Verbraucher Unternehmer 2.1 Neues ökonomisches und rechtliches Definitionsmuster Es ist mit einiger Sicherheit eine der markantesten Entwicklungen im deutschen, aber vor allem auch im europäischen Zivilrecht, dass die natürliche private Person der Bürger, soweit er am Marktgeschehen teilnimmt, nicht mehr als natürliche Person bezeichnet wird, sondern den Status eines Verbrauchers erworben hat. Sein Gegenpart ist ausgerichtet wiederum am Marktgeschehen der Unternehmer. Dahinter verbirgt sich nicht nur ein gewöhnlicher Wechsel der rechtlichen Paradigmen, sondern das hinter diesen beiden Begriffen stehende Bild vom Menschen im Recht trägt ausschließlich marktrelevante, ökonomisch determinierte Züge. Sehr deutlich wird dies, wenn man bedenkt, dass die gesetzliche Umschreibung des Begriffs Verbraucher, wie sie 13 BGB bereit hält, jede natürliche Person ist, welche ein Rechtsgeschäft zu einem Zweck abschließt, der weder ihrer gewerblichen noch ihrer selbständigen beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden kann. Damit kennzeichnet das private Rechtsgeschäft außerhalb der dem Unternehmerischen zuzuweisenden gewerblichen und selbständigen beruflichen Tätigkeit den Inbegriff der rechtsgeschäftlichen Existenz des Verbrauchers, des am Marktgeschehen teilnehmenden Konsumenten, den Nachfrager nach Waren und Dienstleistungen sowie sonstigen Gütern, die auf dem Markt feil geboten werden. Einleuchtend daher die Definition des Unternehmers : Hinter ihm verbirgt sich jede natürliche oder juristische Person, welche so die Definition der Rechtsprechung auf dem Markt planmäßig und dauerhaft Leistungen gegen Entgelt anbietet 58. Ob er damit auch Gewinn erzielt, ist allerdings nicht mehr entscheidend; allein die auf den Markt konzentrierte unternehmerische Betätigung zählt, unabhängig auch davon, ob es sich um einen Kaufmann oder um einen Freiberufler handelt 59. Diese neue gesetzliche Terminologie repräsentiert das sehr weit verzweigte Rechtsgebiet, das inzwischen als Verbraucherschutzrecht anerkannt ist. Im Kern verdankt es seine Genese einer großen Zahl von europäischen Richtlinien; mittlerweile ist es ein selbständiges Rechtsgebiet. Der dahinter stehende, sehr weitreichende Schutzgedanke erweist sich vor allem an zwei ganz wesentlichen Stellen des Zivilrechts als praktisch hoch bedeutsam: Zum einen ist hier das seit dem 1. April 1977 geltende Gesetz über das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGBG) 60 zu nennen, welches mit Wirkung vom 1. Januar 2002 im Rahmen des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes in das BGB ( 305 ff. BGB) integriert wurde 61. Zum anderen sind hier zahlreiche neue Regelungen zu erwähnen, die vor allem auch im Rahmen des Fernabsatzes den Unternehmer verpflichten, nicht nur eine Fülle von Informationen dem Verbraucher vorvertraglich zur Verfügung zu stellen, sondern der Unternehmer muss ihm auch ein Widerrufsrecht einschließlich einer Widerrufsbelehrung einräumen. Hinter ihnen ist unschwer eine hier vorerst nur kurz angedeutete Entwicklung auszumachen, die sich weitgehend nur noch an ökonomischen Interessen ausrichtet. Sie misst weithin die Postulate der Gerechtigkeit an der bestehenden ökonomischer Effizienz. Die Höhe der jeweiligen Transaktionskosten ist der Maßstab Weitgehender Verlust an Vertragsgestaltungsfreiheit Besonders deutlich wird diese hier kurz nachzuzeichnende Entwicklung, wenn man bedenkt, welche Mutation der Bürger als private, als natürliche Person im BGB mittlerweile über den citoyen 63, den bourgeois zum Verbraucher angetreten hat. Nicht mehr Bürgersinn oder marktideologische Verbrämung prägen sein Bild, sondern die Gesetze des reinen Marktgeschehens geben Maß. Es sind die Determinanten von Angebot und Nachfrage; die Werte, die einst Wilhelm Röpke, einer der Väter der sozialen Marktwirtschaft, 52 Hierzu auch Isensee, Rechtsbewusstsein im Rechtsstaat (Fn. 4) S. 18 ff. 53 Ratzinger, Was ist Wahrheit? (Fn. 7) S. 49, 56 ff. 54 Hierzu vor allem Ratzinger (Fn. 7) S. 49 ff. 55 Hierzu Knopp, Das Jahr der Machtergreifung, München 2009, S. 143 ff. 56 Ratzinger (Fn. 7) S Hirsch, Ein Bekenntnis zu den Grundwerten, FAZ v BGH NJW 2006, Palandt/Ellenberger, BGB, 68. Aufl. München 2009, 14 Rdnr BGBl I BGBl I Vgl. Hoeren, Vom faulen Holze lebend, Die Rechtswissenschaft ist am Ende, Jura zur Governance verkommen. Es gilt der Primat ökonomischer Effizienz. Die Kosten der Entwicklung sind hoch, FAZ v Hierzu Sternberger, Ich wünschte ein Bürger zu sein, Frankfurt 1967, S. 10 ff. Das Bild des Menschen im Recht ein Versuch, von Westphalen AnwBl 12 /

31 MN Aufsätze noch Jenseits von Angebot und Nachfrage als für das Gemeinwohl maßgebend ausmachte 64, existieren nicht mehr. Der Gegenspieler des Verbrauchers ist der Unternehmer als der professional : Der Profi auf der einen, der Laie auf der anderen Seite. Doch der Verbraucher ist das ist sein Charakteristikum als privater Bürger nur noch sozial schwach, hilfsbedürftig, wirtschaftlich unterlegen und rechtlich nicht hinreichend vorgebildet. Der Abstand zum einst stolzen citoyen könnte kaum größer gedacht werden. Von einer Parität zwischen beiden Marktteilnehmern kann also keine Rede mehr sein. Deshalb unterliegt auch grundsätzlich jeder von einem Unternehmer dem Verbraucher unterbreitete Vertrag der richterlichen Inhaltskontrolle nach den 305 ff. BGB. Sie greift immer dann zum Der Bürger hat soweit er am Markt teilnimmt den Status eines Verbrauchers erworben... Schutz des Verbrauchers ein, wenn die von dem Unternehmer herrührenden Vertragsbedingungen vom Inhalt der gesetzlichen Bestimmungen des Schuldrechts in unangemessener Weise abweichen. Diese Entwicklung und ihre weitreichenden Auswirkungen können hier nicht im Einzelnen dargestellt werden. Es muss ausreichen darauf aufmerksam zu machen, welcher grundlegender Paradigmenwechsel hier von der breiten Öffentlichkeit kaum bemerkt, aber insoweit abgestützt durch die europäische Klausel-Richtlinie 65 seit Jahren hier eingetreten ist: Die Normen des Schuldrechts sind von ihrer Konzeption her ja dadurch charakterisiert, dass die Parteien berechtigt sind, den Vertrag entsprechend ihren jeweiligen Interessen weitgehend zu gestalten. Dahinter steht das liberale Dogma von der Parteiautonomie. Jede Partei ist in der Lage, d. h. sowohl berechtigt als auch verpflichtet, ihre je eigenen Interessen durchzusetzen. Und... und wer als,unternehmer mit ihm Verträge schließen will, ist in der Vertragsfreiheit beschränkt. die Rechtsordnung anerkennt dieses interessegerechte Resultat, soweit es sich nicht den Bereich der Sittenwidrigkeit oder den der Gesetzeswidrigkeit tangiert, weil es dem übereinstimmenden Willen beider Parteien entspricht. Doch dieser liberale Grundsatz des Zivilrechts gilt nicht mehr, wenn sich ein Unternehmer anschickt, mit einem Verbraucher einen Vertrag abzuschließen. Dann sind die der Parteidisposition unterworfenen gesetzlichen Bestimmungen nicht mehr frei disponibel, sondern sie sind im Kern zwingendes Recht zum Schutz des unterlegenden Verbrauchers. Die darin liegende weitreichende Beschränkung der Vertragsfreiheit des Unternehmers ist gewollt. 66 Denn wenn dieser den Vertrag und zu seinen Bedingungen vorformuliert, dann nimmt er ja die Vertragsgestaltungsfreiheit allein für sich allein in Anspruch; er lässt dem Verbraucher nur noch die Möglichkeit offen, den Vertrag abzulehnen oder ihn so wie er offeriert wird anzunehmen, getreu dem Motto des take it or leave it. Dieses Ungleichgewicht an Vertragsgestaltungsfreiheit gleicht die richterliche Inhaltskontrolle zugunsten des Verbrauchers aus. Berücksichtigt nämlich der Unternehmer nicht die vom Gesetz gewollte erhebliche Beschränkung seiner Vertragsgestaltungsfreiheit, dann werden alle die vertraglichen Bestimmungen, welche zum Nachteil des Verbrauchers ausschlagen, als unwirksam eingestuft und auf Grund der richterlichen Inhaltskontrolle nach den 307 ff. BGB verworfen. Das ist freilich nur der Grundsatz. In Wirklichkeit verbirgt sich hier inzwischen ein kaum noch zu überschaubares Ungetüm von Präjudizien, welche die Rechtsprechung im Laufe der letzten Jahrzehnte Schritt für Schritt zugunsten des Verbraucherschutzes entwickelt hat. Schärfer formuliert: Der vom Gesetzgeber auf europäischer Ebene eingeforderte Schutz des Verbrauchers wird inzwischen dadurch erreicht, dass die dispositiven Normen des liberal konzipierten Schuldrechts zum zwingenden Recht geworden sind. Diese Entwicklung mag man bedauern und auch beklagen. Aber zwei ganz wesentliche Einsichten sollten nicht unerwähnt bleiben: Das als dispositiv konzipierte Schuldrecht des BGB hat ja den Rang einer vom Gesetzgeber anerkannten und als gerecht empfundenen Verteilung von Rechten und Pflichten. Es tritt immer dann in sein Recht, wenn die Parteien aus welchen Gründen immer darauf verzichten, eine privatautonome Regelung in ihren Vertrag aufzunehmen. Die so entstehende Lücke wird dann durch das Gesetzesrecht geschlossen. Dessen Gerechtigkeitselemente kommen aber auch ungekürzt dem Verbraucher zugute, wenn ein Gericht von seinem Recht auf richterliche Kontrolle der vom Unternehmer herrührenden Vertragsklauseln nach den 307 ff. BGB Gebrauch macht, um den Verbraucher zu seinem Recht zu verhelfen. Das aber ist bei aller anzuerkennenden oder auch zu beklagenden Beschränkung der Vertragsfreiheit im Ergebnis eine gerechtere Lösung als wenn man zulassen würde, dass der Unternehmer zum Nachteil des schwachen Verbrauchers seine überlegene Machtstellung ausnutzen und den Vertrag praktisch nach eigenem Belieben gestalten dürfte. Das ist die eine Anmerkung; die zweite: Die hier nur kurz apostrophierte Rechtsentwicklung kann man nur mit einem Blick auf Europa verstehen. Das gesamte Gebiet des Verbraucherschutzrechts ist genuines europäisches Richtlinienrecht. Es dient ausschließlich dem Ziel, die Interessen der Verbraucher zu stärken. Doch die hinter diesem Bild vom Menschen im Recht erscheinenden wesentlichen Freiheiten sind die allein wirtschaftlich umschriebenen Grundfreiheiten des EU-Vertrages, nämlich die Warenverkehrs-, die Dienstleistungs-, die Kapitalverkehrs und die Niederlassungsfreiheit. Erkennbar liegen alle diese Freiheiten ausschließlich auf dem Gebiet der Wirtschaft; sie berühren also nur höchst indirekt damit die bürgerlichen Freiheiten. Weitergehende Wertvorstellungen sind in diesen Grundfreiheiten nicht zu finden. Von da wird verständlich, wie weit das Bild des Verbrauchers sich von dem des selbstbewussten, stolzen Bürgers entfernt hat, der sich als citoyen verstand und auch so wahrgenommen wurde. 2.2 Widerrufs- und Rückgaberechte anstelle eines sogleich bindenden Vertrages Doch ein Weiteres kommt hinzu: Dem Verbraucher ist bei zahlreichen Verträgen zwingend ein Widerrufsrecht einzuräumen, das auf einer gesetzlich vorgeschriebenen Widerrufsbelehrung beruht. Sein Schutzgedanke beruht darauf, 64 Röpke, Markt ist nicht genug, Waltrop und Leipzig 2009, S. 303 ff. 65 Richtlinie 93/13/EWG vom Abl. Nr. L 95 vom , S. 29 ff. 66 Neuestens Graf von Westphalen, NJW 2009, 2977 ff. 826 AnwBl 12 / 2009 Das Bild des Menschen im Recht ein Versuch, von Westphalen

32 MN Aufsätze der Verbraucher soll vor übereilten Vertragsbindungen geschützt werden; ihm soll die Gelegenheit für die Dauer von jedenfalls zwei Wochen eingeräumt werden, die vertragliche Bindung entweder zu widerrufen oder die bereits erhaltene Sache einfach zurückzusenden. Das gilt nicht nur beim Fernabsatz und bei Haustürgeschäften, sondern auch bei allen Verbraucherdarlehensverträgen sowie im Bereich des Fernunterrichtsvertrages oder des Teilzeitwohnrechtsvertrages. Abgestützt wird diese gesetzliche Entwicklung durch einen Katalog von Informationspflichten, welche der Unternehmer prototypisch sei der Fernabsatz und das Verbraucherdarlehen genannt vorvertraglich dem Verbraucher schuldet. 67 Darin sind nahezu alle wichtigen Informationen zu erteilen angefangen von der Angabe der Anschrift des Unternehmers, die wesentliche Merkmale der Ware oder der Dienstleistung, Preis, Zahlungsbedingungen bis hin zu Nettodarlehensbetrag, Zins- und Tilgungsleistungen, Modalitäten der Rückzahlung, effektiver Jahreszins, Kosten etc. des Darlehens. Auf diese Weise soll der Verbraucher in die Lage versetzt werden, die bei diesen Verträgen gegenüber dem Unternehmer bestehende Informationsasymmetrie zu bewältigen und eine adäquate, seinen Interessen entsprechende Entscheidung zu treffen. Doch das Widerrufs- oder Rückgaberecht des Verbrauchers bleibt gleichwohl erhalten. Der zuvor abgeschlossene Vertrag zwischen ihm und dem Unternehmer ist also lediglich ein Durchgangsstadium; weil die vertragliche Bindung erst dann im Ergebnis eingreift, wenn der Verbraucher aus welchen Gründen immer diese Rechte nicht ausübt. Stärker kann ein Schutz zugunsten der unterlegenen und schwächeren Marktpartei kaum ausgebildet werden. Es ist darin ein gesetzlich gewollter Verzicht auf das Selbstbestimmungsrecht des Verbrauchers zu erkennen. Kein Zweifel: Dieser Typus des Verbrauchers aber steht in einem merkwürdigen Kontrast zu dem parlamentarischen Wahlrecht, das der Bürger als citoyen kraft seiner verfassungsmäßigen Stellung nach wie vor genießt, weil die dort getroffene Entscheidung nicht unter dem Vorbehalt des Widerrufs steht. 2.3 Die Forderung nach uneingeschränkter Mobilität: Der Zuwachs an Einkommen Nur kurz zu streifen ist eine stark gegenläufige Tendenz: Von eben diesem Verbraucher erwartet man angesprochen ist jetzt seine Funktion als Arbeitnehmer mit höheren Einkommenserwartungen uneingeschränkte Mobilität. Es geht seit langen Jahren um die Verwirklichung der von Tony Blair ins Leben gerufenen Employability, das Wahrnehmen von beruflichen Chancen, wo immer sie sich das Einkommen steigernd bieten mögen. Das höhere Gehalt wirkt wie ein Magnet. Es ist hier ein Bild vom Menschen im Recht, welches darauf abzielt, dass der einzelne seine Qualifikationen, seine berufliche Entwicklung, sein Lebensziel und auch seine Lebensweise flexibel den wechselnden Anforderungen des Marktes fast bedingungslos unterwirft. Es scheint fast so, als sei die Befriedigung der Marktnachfrage und die damit verbundenen Einkommenszuwächse das alleinige Ziel des beruflichen Strebens geworden, der alleinige, aber nur auf das Materielle gerichtete Maßstab für Erfolg oder Misserfolg der eigenen Existenz. Deutlich wird dies schon daran, dass seit langem nicht mehr der Bildungsbürger, der den Geisteswissenschaften sich zweckfrei widmet, die Elite ausmacht, sondern es ist der vermögende, der oft überreiche, junge, dynamische Investmentbanker, auch der auf gleicher Augenhöhe mit ihm agierende Wirtschaftsanwalt, oft auch der Ingenieur oder der international ausgebildete, sprachengewandte Betriebswirt in den obersten Etagen der Wirtschaft. Vor allem von dieser Elite geht die Sogwirkung auf den Markt und auf den Nachwuchs aus. Die Lektüre des Finanzund Wirtschaftsteils der Tageszeitung ist für sie wichtiger als die aktive Beschäftigung mit oder gar in der Politik oder das Studieren des geistig anspruchsvollen und von seinem materiellen Wert nutzlosen Feuilletons. Nur noch der sogleich umsetzbare materielle Nutzen zählt. Abends oder am Wochenende wird dann der leere Akku im Fitness-Studio oder bei Yoga-Übungen wieder auf Trab gebracht. Wie immer man diese Entwicklung im persönlichen Einzelfall beurteilen mag, es verbirgt sich dahinter nicht mehr nur eine angeblich freie Selbstbestimmung, obwohl so oft von ihr geredet wird, sondern eine kaum als Bedrohung wahrgenommene Selbstinstrumentalisierung 68 des Menschen. Genau diese Kehrseite der Medaille hat Richard Sennett, der amerikanische Soziologe, auf den Punkt gebracht. Es ist dies der flexible Mensch 69, vor allem der, der teils aus Sorge um Arbeitslosigkeit, in der Regel aber aus schonungsloser Rücksicht auf die eigene Karriere zahllose Nachteile in Kauf nimmt, vor allem die Fragmentierung seiner Existenz: 70 Das Zerbrechen von gewachsenen Freundschaften, die Wochenendbeziehung als Ersatz für die Präsenz in der Familie, das Scheitern der Ehe, der weitgehende Verzicht auf Nachwuchs und auf die Begründung von Traditionen einer mehrere Generationen umfassenden Familie. Der Verlust des Heimatgefühls und des Geschichtsbewusstseins ist damit vorgegeben. Das Nomadendasein hat mannigfache Schattenseite. Therapeuten und Ärzte können ein Lied davon singen; das früher praktisch nicht bekannte Syndrom des burn out ist nur eines von vielen Krankheitssymptomen, die zunehmende Zahl an Depressionen nicht zu vergessen. 3. Wirtschaftsrecht Es fällt daher nicht leicht, für diesen Bereich der Wirtschaft und konkreter für den des Wirtschaftsrechts ein typisches Bild vom Menschen im Recht zu zeichnen. Das liegt allerdings auch darin begründet, dass dieser Sektor das weite Feld des Gesellschaftsrechts, das Kapitalmarktrecht und alle angrenzenden Teilgebiete, einschließlich des Kartell- und des unlauteren Wettbewerbsrechts umfasst und schon aus diesem Grund ausgesprochen heterogen ist. Doch einige wesentliche Striche sind doch möglich, um die Konturen einigermaßen scharf darzustellen. 3.1 Der Hintergrund Es kann kaum ein Zweifel daran bestehen, dass die neuere, ungebremstes Wachstum und Vollbeschäftigung fordernde mathematische Wirtschaftstheorie den Menschen mit Leib und Seele kaum noch in ihren Blick nimmt. Er lebt nur in der diffusen Chiffre des homo oeconomicus. Derweilen wird die Wirtschaftswissenschaft von einem weithin abstrakten Material- und Datenwust beherrscht; aus aller Welt wird dieser zusammengetragen, um daraus Regelmäßigkeiten auf Grund vor allem kausal-theoretischer Überlegungen zu fol- 67 Vgl. die umfassende Übersicht in den Bestimmungen der BGB-InfoV. 68 Bartels/Strasser/Henkel, Freiheit, die wir meinen, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung Nr. 30/2009 S Sennett, Der flexible Mensch, 5. Aufl., Berlin Sennett, aao S. 57 ff. Das Bild des Menschen im Recht ein Versuch, von Westphalen AnwBl 12 /

33 MN Aufsätze gern. Aus rein statistischen Gleichläufen werden dann gleiche Ursachen gefolgert die Vorschläge für eine Remedur von Schieflagen eingeschlossen. Der Markt ist Religionsersatz geworden. Und auf diesem Feld hat der Voodoo-Kapitalismus das Sagen 71. Immer höheres Wachstum ist sein erklärtes Ziel, das Geld, getrieben von nicht nachlassender Spekulation ist gleichermaßen Produkt wie Wert geworden. Zu dieser Welt hat die Realwirtschaft nur noch sehr geringe Bezüge. Die Rede vom Menschen als human capital ist hinreichend verräterisch. Doch eine Gesellschaft kann nicht auf den Gesetzmäßigkeiten von Angebot und Nachfrage aufgebaut werden; der Staat ist mehr als eine Aktiengesellschaft 72. Der Erfolg auf dem Markt des Wettbewerbs und die ihm immanente Maximierung des Gewinns hat keine der Sinngebung menschlicher Existenz dienende Funktion mehr, sondern bestimmt kategorial die Hierarchie der Werte 73, ohne dass überhaupt diese Umkehrung des Bisherigen wahrgenommen wird. Doch gerade in der Finanzkrise zeigte sich jedenfalls an einer Stelle die Wahrheit: Die theoretisch-mathematischen Modellen der Wissenschaftler beruhten ja darauf, dass sie immer wieder empirisch ermitteltem Zahlenmaterial angeglichen werden 74. Die eigenständige Vorhersage, wohin sich denn Staat und Gesellschaft bewegen werden, erwies sich von daher als ausgesprochen schwierig, weil vor allem die ex-post-analyse weithin extrapolierend die Vorhersagen beherrschte. Doch gerade sie beziehen sich nur noch sehr eingeschränkt auf ganzheitliche Ordnungsfragen von Staat und Gesellschaft, von Freiheit und Gerechtigkeit. Die Raffgier von Investoren, Kunden und Bankern hatte in dieser Analyse schlicht keinen Platz. So hat sich die Sucht aller Marktteilnehmer allen mathematischen Modellrechnungen der Wissenschaft als überlegen erwiesen. An kaum einer anderen Stelle wird das darin aufscheinende Defizit so überdeutlich wie in den überhandnehmenden Tendenzen, die Erziehung der Jungend für die Zwecke wirtschaftlichen Wettbewerbs zu instrumentalisieren 75. Zweckfrei auf Bildung und Ausbildung der eigenen Persönlichkeit gerichtet ist sie schon lange nicht mehr. Die jenseits des Marktes liegenden Fragen an Werte, wie Solidarität, Rücksicht, Treue, Bescheidenheit, Verzicht Marktwirtschaft ist nicht genug 76 werden kaum noch oder jedenfalls nicht klar und vernehmbar gestellt. Der Kult blanker Nützlichkeit herrscht zu häufig. Die Zeit der tätigen Reue war kurz; die Gier der Finanzmärkte hat inzwischen ihre Karten neu gemischt. Das darin liegende moralisch-ethische Defizit sollte eigentlich Grund und Anlass sein, dass die Politik schöpferisch und genuin in ihr souveränes Recht tritt. Doch ihre Ohnmacht ist groß. Die Folgen der Gier wurden zwecks Vermeidung systemischer Risiken sozialisiert, die dadurch verursachte Verschuldung überfordert indessen den Staat und nachfolgende Generationen. Und sie benachteiligt vor allem die Armen und die Schwachen. Denn sie erweisen sich das ist die eherne Regel mangels hinreichenden Sach- und Fachwissens als in hohem Maße abhängig von der jeweiligen Konjunktur. Sie sind stets die ersten die Opfer; die Manager kassieren nach wie vor die Boni in Schwindel erregender Höhe. Auf der Strecke bleibt damit auch der von der Politik zu fordernde Blick auf das Gemeinwohl. Doch die Betonung der Partikularinteressen ist gängige Praxis, in der sich Politik weithin erschöpft. Wer keine starke Lobby hat, tut sich schwer. Und die Armen, vor allem auch die Kinder haben keine Lobby. Die immer wieder angeprangerte Gerechtigkeitslücke 77 hat hier ihre systemische Ursache; sie wird uns noch sehr lange beschäftigen. 3.2 Der Anleger als Prototyp 78 Im Schlepptau dieses auf den Markterfolg zielenden Denkens bewegt sich angetrieben von den Wirtschaftswissenschaften mehr und mehr auch die Rechtswissenschaft. Eine weitreichende und sicherlich noch nicht an ihr Ende gelangte Ökonomisierung des Rechts hat begonnen 79. Sie wendet sich vor allem das weite Gebiet des Gesellschafts- und Kapitalmarktrechts zu, das Kartellrecht eingeschlossen. Effizienz wird hier als Regelungsziel ausgewiesen 80. Im europäischen Wettbewerb der Rechtssysteme hat dieser theoreti- Eine weitreichende Ökonomisierung des Rechts hat begonnen. sche Ansatz mittlerweile Fuß gefasst und erheblichen Einfluss auf die Politik genommen. Denn der angestrebte gemeinsame Binnenmarkt öffnet sich immer mehr dem freien Wettbewerb, um auf Grund einer gesteigerten und noch zu steigernden Effizienz den allgemeinen Lebensstandard der Bürger im Sinn einer höheren Informations- und Allokationseffizienz zu heben. Im Hintergrund dieser hier bestenfalls angedeuteten Erwägungen steht keineswegs mehr der Bürger, sondern der Anleger, der größere oder kleinere Investor. Werten der Gerechtigkeit, der Rücksicht, der Treue oder der Bescheidenheit, des Teilens mit anderen Bedürftigen dem Gebot der Barmherzigkeit entsprechend ist weder der Investor noch die seine Bedürfnisse stützende Wirtschafts- und Rechtswissenschaft nachhaltig verpflichtet. Denn das einer grenzenlosen Deregulierung verpflichtete Recht der Kapitalmärkte gilt vor allem dem Streben nach dem je größeren Vorteil für die eigene Kasse und war ihm oft fast schon bedingungslos im Zeichen der Globalisierung unterworfen Investor vs. Verbraucher Der Investor ist jedoch typologisch und damit rechtlich eingeordnet der ökonomisch rational handelnde, der angemessen informierte, der aufmerksame und kritische Anleger 81. Also solcher aber ist er reichlich weit von dem Bild des Bürgers entfernt, das wie dargestellt den Verbraucher im Zivilrecht kennzeichnet. Dieser ist in Sozialstaat Deutschland beheimatet; jener ist aktiver Mitspieler am (weltweiten) Finanzplatz Deutschland 82. Dieser ist Teilnehmer eines 71 Inspirierend Harpprecht, Jenseits des Voodoo-Kapitalismus Eine Frage in Variationen, in: Rüttgers, Wer zahlt die Zeche? Bonn 2009, S. 35 ff. 72 Röpke, (Fn. 64) S Umfassend Stürner, Markt und Wettbewerb über alles?, München 2007, S. 302 ff. 74 Kritisch hierzu Willgerodt, Von der Wertfreiheit zur Wertlosigkeit, FAZ v Strüner (Fn. 72) S. 306 ff. 76 Röpke (Fn. 71). 77 Hierzu auch Metzger, Die verlogene Gesellschaft, Berlin 2009, S. 19 ff. 78 Eindrucksvoll Reich, Superkapitalismus, Wie die Wirtschaft unsere Demokratie untergräbt, Frankfurt/New York 2008, S. 72 ff. 79 Kritisch hierzu Fezer JZ 1988, 223ff; andererseits Schäfer/Ott JZ 1988, 213 ff.; vgl. aber auch kritisch wiederum Taupitz AcP 196 (1996) S. 114 ff. betreffend das Haftungsrecht. 80 Hierzu umfangreich Fleischer/Zimmer, Effizienz als Regelungsziel im Handels- und Wirtschaftsrecht, Frankfurt 2008, S. 9 ff.; vgl. auch Kübler, Effizienzorientierung im Gesellschaftsrecht? S. 90 ff.; Köndgen, Effizienzorientierung im Kapitalmarktrecht? S. 100 ff. 81 Fleischer/Zimmer (Fn. 79) S Hierzu Köndgen (Fn. 79) S. 100,116f. 828 AnwBl 12 / 2009 Das Bild des Menschen im Recht ein Versuch, von Westphalen

34 MN Aufsätze weithin im Sinn des Verbraucherschutzes regulierten Marktes von Nachfrage und Angebot bei Waren und Dienstleistungen; jener verlangt hingegen mit Macht und großem Nachdruck auch zur Sicherung des Standortes Deutschland die Deregulierung des Finanz- und Kapitalmarktes, weil Emissionen stets dort platziert werden, wo institutionelle Investoren sie am kostengünstigsten, am effizientesten im weltweiten Deregulierungswettbewerb der Kapitalmärkte durchsetzen können. Und man wird hinzusetzen müssen, dass das prototypische Bild des Kapitalanlegers auch mit dem tradierten Bild vom Bürger nicht mehr viel gemein hat; der selbstbewusste, dem Gemeinwohl weithin verpflichtete und sich auch ihm zweckfrei widmende citoyen ist jedenfalls hier kaum zu erkennen. Der Eigennutz und auch die Gier stehen zu stark im Vordergrund Gemeinsamkeiten: Informationsasymmetrie Gemeinsam ist beiden Marktteilnehmern dem Verbraucher wie dem Anleger der vom Gesetzgeber ihnen vorgeschriebene, fast schon mythische Glaube an die Effizienz von Informationssystemen, sei es für den Verbraucher im Rahmen der umfangreichen vorvertraglichen Informationspflichten, welche der Unternehmer zu erfüllen hat, sei es für den Kapitalmarkt, in welchem der Anleger entscheidenden Wert auf die Erfüllung zutreffender und zeitnaher Publizitätspflichten legt, um seine Anlageentscheidung richtig informiert treffen zu können. Der Unterschied ist gleichwohl auffallend: Der Verbraucher nimmt die ihm übermittelten Informationen regelmäßig nicht oder nur in sehr eingeschränktem Maß zur Kenntnis; das Kleingedruckte wird schlicht überschlagen. Es gilt als lästig. Hingegen ist der Anleger auf die durch Publizitätspflichten begründeten Informationen vital angewiesen. Mehr noch: Verletzt der Unternehmer diese vorvertraglichen Informationspflichten, dann bleibt dieses Versäumnis regelmäßig ungeahndet. Allenfalls Verbraucherverbände nehmen hin und wieder Zuflucht zu Unterlassungsklagen. Die Effizienz dieser Informationssysteme ist für den Verbraucher kaum als sehr bedeutsam zu bezeichnen. Demgegenüber: Der nicht hinreichend oder nicht zeitnah unterrichtete Anleger reklamiert selbständig und uneingeschränkt die Schadensersatzhaftung, weil und soweit er eine andere Anlagenentscheidung getroffen hätte, wäre er zutreffend und zeitgerecht informiert worden 84. Die Assymetrie der mitgeteilten Informationen fordert ihren haftungsrechtlichen Tribut. 3.3 Der geschröpfte Bürger Derweilen ist es eines der entscheidenden Attribute der Finanzkrise, dass sich die vom Staat eingeleiteten Sanierungsmaßnahmen es geht immerhin um stolze 480 Milliarden Euro vornehmlich an die Banken und damit an den Anleger richten. Doch soweit der Staat gleichgültig, ob auf Grund von Bürgschaftsverpflichtungen oder nach Kreditgewährungen zur Haftung herangezogen wird, zahlt der Staat die in Anspruch genommenen Gelder; der Bürger als Steuerschuldner wird zur Kasse gebeten. Das aber bedeutet gleichzeitig und ist ein politisches und ethisches Ärgernis, dass der einzelne Bürger die Zeche dafür wird zahlen müssen, dass zahllose Banker in verantwortungsloser Weise sich dem Zocken, dem Spiel und der Wette mit oft intransparenten Finanzprodukten hingegeben haben. Die entscheidende Frage, welche die Zukunft beherrschen wird, lässt sich daher auf den Punkt bringen: Wird der einzelne Bürger, vor allem die Armen, Alten die Empfänger von Hartz IV, welche diese Suppe mit Zins und Zinseszins, vor allem aber durch Verzichtleisten auslöffeln müssen, sich damit zufrieden geben, dass diejenigen, welche aktuelle die Krise durch ihre maßlose Gier heraufbeschworen haben, persönlich weder zivil- noch strafrechtlich in Haftung genommen werden, sondern mit ihrem so erlangten Reichtum davon kommen? Die damit nur angedeutete Gerechtigkeitslücke wird uns in jedem Fall noch lange politisch zu schaffen machen. Denn auch der einfache Bürger hat im Gegensatz zum Anleger von den reichlich sprießenden Vorteilen der Boomzeiten kaum profitiert; diese Gewinne sind an ihm fast spurlos vorbeigegangen. Neidvoll und vielleicht auch hasserfüllt schaut der einfache Mann in die Röhre. Er ist der Verlierer, weil er im Casino, als die Gewinne verteilt wurden, keinen Platz fand. Doch für die so entstandenen Staatsschulden bleibt er gleichwohl haftbar. Gerechtigkeit sieht anders aus. Und dieses Defizit kann keine auf Effizienz angelegte Rechtstheorie plausibel erklären. 4. Summe ein Versuch Es ist also, versucht man einige Striche von dem Bild des Menschen im Recht zusammenzufügen, mit Sicherheit kein einheitliches Bild. Es divergiert vielmehr in erschreckender Weise je nachdem, welches Rechtsgebiet beleuchtet wird. Diese Paralysierung aber entspricht ziemlich genau dem Trend zur Individualisierung, zur fast grenzenlosen Subjektivierung der Rechtsordnung, von der auch fast zwangsläufig eine sich pluralistisch gebende Gesellschaft geprägt ist. Es ist, um mit Böckenförde zu sprechen, eine bemerkenswerte Heterogenität, die dieses Bild charakterisiert 85. Disparate Konzepte eines je unterschiedlichen Menschenbildes entfalten aber ihre je eigene Schwerkraft. Dass von einem solchen Konzept keine Kraft mehr ausgeht, ein Rechtsbewusstsein zu schaffen, das im Ethischen verwurzelt Halt und auch Orientierung dem Bürger gewährt, was denn seine eigentliche Aufgabe in Gesellschaft und Staat ist das ist eine der Schlussfolgerungen, die wohl nur noch sehr schwer reversibel für die Zukunft auszumachen sind. Das Recht verliert weithin damit seine Steuerungsfunktion für ein im freien Gewissen des Staatsbürgers begründetes freiwilliges normgemäßes Handeln des Menschen. Und ohne ein halbwegs homogenes Bild vom Menschen im Recht wiederzufinden, das aus der freiwillig bejahten Überzeugung von Werten jenseits von Angebot und Nachfrage sich immer wieder neu speist, wird eine freie Gesellschaft wohl nur fragmentiert auf Dauer überleben. Prof. Dr. Friedrich Graf von Westphalen, Köln Der Autor ist Rechtsanwalt. Er ist Vizepräsident des Deutschen Anwaltvereins. Sie erreichen den Autor unter der -Adresse 83 Vgl. die vorzügliche Darstellung der Tageserfahrungen auch dem Handelsraum einer Großbank von Tina T., Die Gier war grenzenlos, Düsseldorf Reinelt NJW 2009, 1 ff. 85 Böckenförde (Fn. 2) S. 36. Das Bild des Menschen im Recht ein Versuch, von Westphalen AnwBl 12 /

35 MN Kommentar Verlorenes Anwaltsbild? Hartmut Kilger, Tübingen Rechtsanwalt, Mitglied des Präsidiums des Deutschen Anwaltvereins Kleine-Cosack schreibt in seinem Kommentar Verlogenes Verbot der Anwaltslüge im Juli-Heft (AnwBl 2009, Seite 495), wir Anwälte mit allen Juristen seien Wahrheitsfanatiker. Dabei müssten wir doch alle mit langen Nasen herumlaufen. Er appelliert an uns, ehrlich zu sein: mit der Lüge verbundene Täuschung gehöre zum Alltagsgeschäft der Anwälte. Die dümmliche Behauptung, der Anwalt unterliege der Wahrheitspflicht, ignoriere Forschungsergebnisse über das Lügen und über die Relativität des Wahrheitsbegriffs. Die utilitaristische Funktion der Lüge bei Rechtsanwälten bedürfe erst noch einer genaueren tatsächlichen wie rechtswissenschaftlichen Überprüfung. Soweit Anwälte mit Falschaussagen einen legitimen rechtsstaatlich vertretbaren Zweck verfolgten, sei Kritik unangebracht. Da sie dennoch erfolge, herrsche ein verlogenes Verbot der Anwaltslüge. Kleine-Cosack hat immer geschrieben, was er dachte trotz aller Anfeindungen gegen ihn. Die Anwaltschaft hat ihm mindestens seit dem der Tag, an dem das Bundesverfassungsgericht die so genannten Bastille-Entscheidungen zur Abschaffung der Standesrichtlinien beschlossen hat (AnwBl 1987, 598 und 603) viel an gewonnener Freiheit zu verdanken; deswegen ist er Widerspruch gewöhnt. Hier ist deutlicher Widerspruch angebracht: sein Kommentar ist in der Grundanlage verfehlt. Ich kann beim besten Willen nicht erkennen, dass wir Anwälte dem Typus nach verlogene Fanatiker seien. Zunächst einmal widerspricht sich Kleine-Cosack selbst. Einerseits zitiert er zu Recht die Relativität des Wahrheitsbegriffs, um dann im selben Atemzug unsere Neigung zur Unwahrheit zu diagnostizieren. Es wäre aus seiner Sicht dann nur konsequent gewesen, den Unwahrheitspraktiker genauso zu brandmarken wie sein Gegenteil. Dann aber zweitens: hat Kleine-Cosack auch ehrlich gegenüber sich selbst wirklich schon so viel gelogen, wie er dies von uns allen behauptet? Ich kenne ihn und seine Prozessführung: ich möchte das durchaus Das Ideal: Die Wahrheit ist die Schwester der Gerechtigkeit. bezweifeln. Wenn ich einen wirklichen Wahrheitsfanatiker kenne, dann heißt er Kleine-Cosack: im positiven Sinne. Aber vor allem überrascht, wie kurz der Kommentar von Kleine-Cosack greift. Denn, wenn wir in seinem Sinne ehrlich zum Ergebnis kommen, allesamt mit der Lüge zu agieren, dann wäre doch wenigstens ein Wort zur Frage angebracht gewesen, ob wir uns nun als Organ der Rechtspflege bekennen wollen oder nicht. Auf Lüge aufgebaute Rechtspflege ist keine Rechtspflege. Wäre ein Organ der Rechtspflege systembedingt lügenbehaftet, wäre das Ende des Rechtsstaats erreicht. Also, was wäre die Konsequenz Kleine-Cosack scher Ehrlichkeit? Die reine Reduzierung auf die bloße Interessenvertretung ab in den Orkus mit dem Organ der Rechtspflege! Das hätte aber dann schon gesagt werden müssen. Zugegeben: auch dieser Standpunkt wird vertreten. Aber er ist falsch. Es macht doch gerade die Professionalität der Berufsausübung aus, mit dem Dilemma der Grenzsituation zu recht zu kommen: wir nehmen die Interessen unserer Mandanten wahr, indem wir uns als Organ der Rechtspflege einsetzen. Hätte Kleine-Cosack zum Beispiel doch nur beherzigt, was der erfahrene Strafverteidiger Franz Salditt am 8. Oktober 2004 beim 125-jährigen Jubiläum des Anwaltsvereins Karlsruhe unter dem Titel Die Zukunft der Wahrheit im Anwaltsberuf gesagt hat: Der dialektische Prozess allein er bewirkt gerechte Ergebnisse bleibt ohne Anwaltschaft nicht lebensfähig, die mehr Überzeugungskraft haben muss als nur jedermann. Die Voraussetzungen dafür dauern an, wenn wir daran festhalten, unser berufliches Leistungsangebot so zu definieren, dass die Herstellung, der Ausbau und der Vortrag von Lügen nicht inbegriffen sind. So ist es: die Wahrheit ist die Schwester der Gerechtigkeit. Wollen wir sie als Idealziel gleich mit aufgeben? Mit Nachdruck muss ich deswegen widersprechen: es stimmt nicht, dass unser Tagesgeschäft auf dem Einsatz der utilitaristischen Lüge aufgebaut wäre! Ich kenne nur ganz wenige Anwälte, denen ich diese Verkennung ihrer Aufgabe zutrauen würde. 830 AnwBl 12 / 2009

36 MN Thema Filges will es wissen: Bundesjustizministerium vor dembghwegenaufhebungvon 5BORAverklagt Satzungsversammlung kämpft um mehr Einfluss Nicht alles in BORA und FAO ist europarechtskonform Rechtsanwalt Dr. Nicolas Lührig, Berlin Fleißig ist die vierte Satzungsversammlung. An einem Freitag und an einem Sonnabend hat sie im November das Normenscreening abgeschlossen, über ihr Selbstverständnis diskutiert und drei kleinere Änderungen in der BORA beschlossen. Die eigentliche Nachricht ist aber: Der BGH wird nun erstmals als direkt angerufenes Gericht entscheiden müssen, wie viel Satzungskompetenz die Satzungsversammlung hat. Diese Satzungsversammlung ist nicht nur regelungsfreudig, sondern auch kämpferisch. Im Sommer 2009 hatte die Satzungsversammlung im dritten Anlauf die Zweigstelle geregelt. Diesen Beschluss hob das Bundesjustizministerium als Aufsichtsbehörde mit Bescheid vom 30. September 2009 auf. Jetzt hat die Bundesrechtsanwaltskammer dagegen geklagt, Gegner ist das Bundesjustizministerium, erste und letzte Instanz der Anwaltssenat des BGH. Ängstlichkeit ist fehl am Platz, sagte der Präsident der Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) Rechtsanwalt Axel C. Filges und kraft Gesetzes Vorsitzender der Satzungsversammlung. Die Klage sei bereits begründet. Nur zwei Mahner fanden sich im Plenum, die laut ihre Zweifel an der Fortsetzung des Klageverfahrens äußerten. Die Zustimmung war so groß, dass ein Beschluss über die Fortführung des Verfahrens nicht gefasst wurde. Worum geht es im Streit? Vordergründig um die Zweigstelle, daneben um eine Machtfrage. Der Bundesgesetzgeber hat zum 1. Juni 2007 das Verbot der Zweigstelle aufgehoben. Während der Anwalt nach 29 a BRAO beliebig viele Kanzleien im Ausland unterhalten durfte (und darf), verbot 28 BRAO Zweigstellen. Die Neuregelung in 27 BRAO unterscheidet zwischen Kanzlei und Zweigstelle. Für die Zweigstelle fordert sie nur eine schlichte Anzeigepflicht, mehr nicht. Soviel Freiheit störte die Satzungsversammlung. So könnte jeder Anwalt ohne Kontrollmöglichkeit der Kammern eine Zweigstelle eröffnen. Deshalb entschied sie, dass der 5 BORA mit den Anforderungen für die Kanzlei auch für die Zweigstelle gelten müsse. Das Argument der Satzungsversammlung: Die Literatur habe schon zu Verbotszeiten die Zweigstelle als Zweitkanzlei gesehen. Das Bundesjustizministerium sieht es anders: Der Gesetzgeber habe 2007 klar gemacht, dass die Zweigstelle nicht die Anforderungen einer Kanzlei erfüllen müsse. Für die Zweigstelle habe die Satzungsversammlung daher keine Satzungskompetenz. Das ist die Machtfrage. Die Satzungsversammlung ist kein Parlament. Sie kann nur aufgrund ausdrücklicher Ermächtigung die Berufspflichten der BRAO näher regeln. Der Hinweis auf die fehlende Kompetenz stört inzwischen viele der Mitglieder der vierten Satzungsversammlung. Die vierte Satzungsversammlung treibt aber nicht nur die Machtfrage um. Auch die Sinnfrage wurde in der Diskussion über eine neue Geschäftsordnung gestellt. Die Kommunikation unter allen 158 Mitgliedern ist schwierig (rund 40 fehlten dieses Mal), mancher Ausschuss arbeitet für den Papierkorb, Sitzungen werden nicht immer als effizient empfunden und am Ende debattieren die immer gleichen Redner. Statt des großen Wurfs in der Berufspolitik wie noch bei der Ausarbeitung von Berufsordnung (BORA) und Fachanwaltsordnung (FAO) in der ersten Satzungsversammlung (1995 bis 1999) geht es meist um technokratische Änderungen. Die Debatte zeigte: Die Mitglieder wollen mehr Berufspolitik machen und am Ende der zwei Tage wurden gleich zwei neue Unterausschüsse zu Datenschutz und zur Zertifizierung von Anwälten unterhalb der Fachanwaltschaften ins Leben gerufen. Das Normenscreening Die meiste Zeit der zweitägigen Sitzung brauchte das Normenscreening. Das Ergebnis: Das Berufsrecht der Anwälte in BORA und FAO ist nicht in allen Paragraphen europafest. Im Zuge der Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie hatte die Satzungsversammlung den Auftrag, die von ihr erlassenen Satzungen zu prüfen. Die Satzungsversammlung ging dabei am Ende pragmatisch vor. Mal beschloss sie ausdrücklich die Europarechtswidrigkeit einer Norm (wie bei den besonderen Pflichten der beruflichen Zusammenarbeit in 30 und 33 BORA), mal erhielt der zuständige Ausschuss der Satzungsversammlung wegen europarechtlicher Bedenken, aber ohne ausdrückliche Feststellung, einen Überarbeitungsauftrag (so im Werberecht bei 8 und 9 BORA) und bei mancher Norm wurde ein Handlungsbedarf ausdrücklich verneint. So hatte der Unterausschuss Normenscreening das Verbot der Werbung mit Erfolgs- und Umsatzzahlen für europarechtswidrig gehalten. Die Satzungsversammung widersprach. Gleich geändert wurde dagegen 6 Abs. 2 Satz 2 BORA zur Nennung von Mandaten und Mandanten (siehe dazu Seite VIII in diesem Heft). Die Bilanz zur Halbzeit der vierten Satzungsversammlung: Der Fachanwalt für Agrarecht ist gekommen (der für Energierecht wird jetzt geprüft), die FAO wurde in vielen Details überarbeitet und einige eher kleinere Änderungen in der BORA sind durch. 16a BORA wurde zum Teil vom Bundesjustizministerium aufgehoben, bei der Zweigstelle muss nun der BGH entscheiden. Für 2010 stehen die Reform des Fachanwaltssystems (mit dem Zentralabitur ) und die Regelung der allgemeinen Fortbildungspflicht an. Und da ist wieder das Problem der Satzungsversammlung: Für beide Punkte fehlt der Satzungsversammlung nach herrschender Meinung die Kompetenz. Dr. Nicolas Lührig, Berlin Der Autor ist Rechtsanwalt. Er ist Geschäftsführer des Deutschen Anwaltvereins und leitet die Redaktion des Anwaltsblatts. Sie erreichen den Autor unter der -Adresse autor@anwaltsblatt.de. Vierte Sitzung der vierten Satzungsversammlung, Lührig AnwBl 12 /

37 MN Anwaltsblattgespräch Den Gemeinwohlbezug im Auge Wenn Anwälte die öffentliche Hand beraten, ist das nicht verwerflich: Der Anwalt ist Repräsentant des Rechts Das Anwaltsblatt fragte einen Anwalt, der dabei war* Für Banken gibt es Stresstests, für Juristen auch. Der Ausnahmezustand in Bundestag und Bundesrat: Die fünf Tage im Oktober 2008, als die Finanzmärkte vorläufig gerettet wurden. Das Finanzmarktstabilisierungsgesetz an einem Montag in den Bundestag eingebracht stand am Freitag im Bundesgesetzblatt. Mit dabei beim schnellsten Gesetzgebungsverfahren der Bundesrepublik: Anwälte. Die Sozietät Rechtsanwalt Dr. Benedikt Wolfers hat in der Finanzkrise die Bundesregierung beraten. Zur Person Dr. Benedikt Wolfers (Jahrgang 1964) ist seit 1996 Rechtsanwalt. In Tansania geboren, wuchs er ab 1965 in Flensburg auf. Er studierte von 1985 bis 1992 in Freiburg, Göttingen, Oxford und München und war von 1987 bis 1991 wissenschaftlicher Mitarbeiter (bei dem Historiker Prof. Dr. Heinrich August Winkler in Freiburg, bei dem Zivilrechtler Prof. Dr. Uwe Diederichsen in Göttingen und bei dem Politikwissenschaftler Prof. Dr. Wilhelm Hennis in Freiburg). Sein Doppelstudium: Philosophie, Politik und Geschichte auf Magister sowie Jura und 1989 schrieb er in Oxford seine Magisterarbeit über Geschwätzige Philosophie. Thomas Hobbes Kritik an Aristoteles (erschienen bei Königshausen & Neumann 1991) kam das erste Staatsexamen in München an die Reihe. Nach einer Tätigkeit bei der Treuhandanstalt war er von 1994 bis 1996 Referendar am Kammergericht in Berlin und promovierte 1995 zum Dr. jur. an der Humboldt-Universität ( Das Investitionsvorrangverfahren: Verwaltungsrechtliche und Verwaltungsprozessuale Aspekte ). Seit 2001 ist er Partner der internationalen Sozietät Freshfields Bruckhaus Deringer in Berlin. Wolfers lebt in Berlin, ist verheiratet, hat zwei Töchter (12, 10), einen Sohn (8) und musiziert gerne (Klavier, Chor). Freshfields Bruckhaus Deringer beriet das Bundesfinanzministerium vor allem im Gesellschafts- und Verfassungsrecht, wie die Bundesregierung im März 2009 auf eine kleine Anfrage mitteilte. Und Anwälte waren auch danach (zum Beispiel bei der Übernahme der Hypo Real Estate) dabei. An vorderster Front: Rechtsanwalt Dr. Benedikt Wolfers (45) aus dem Berliner Büro der Sozietät. Anwaltsblatt: Was können Anwälte besonders gut? Wolfers: Ihren Mandanten das Recht erklären und für sie vertreten. Jedenfalls sollten sie das können. Ob sie es immer schaffen, ist eine andere Frage. Anwaltsblatt: Was zeichnet einen guten Anwalt aus? Wolfers: Dass er das Recht versteht, beherrscht und erklären kann. Und zwar in einfachen, verständlichen Sätzen. Die Rechtslage ist ja häufig komplex. Das darf aber keine Ausrede sein für Unverständlichkeit. Gerade wir Anwälte müssen in der Lage sein, Komplexität auf die rechtlichen Kernfragen zu reduzieren und diese dem Mandanten in einer normalen, möglichst unjuristischen Sprache zu verdeutlichen. Wir sind im Grunde Brückenbauer zwischen den abstrakten Rechtssätzen und dem konkreten Problem des Mandanten. Anwaltsblatt: Das Recht dem Mandanten erklären. Reicht das? Wie kreativ muss ein Anwalt sein? Wolfers: Wenn das richtig geschieht, ist das schon eine ganze Menge. Das darf man nicht unterschätzen. Aber Sie haben recht: häufig dürfen wir dabei nicht stehen bleiben. Wenn der Mandant ein Problem hat, was so in Rechtsprechung, Literatur und Praxis noch nicht behandelt wurde, muss man gestalten. Vor einem liegt das leere weiße Blatt. Aber daneben liegen die Grundlagen, des Gesellschaftsrechts, des öffentlichen Rechts, des Kartellrechts, des Steuerrechts etc. Aus denen muss der Anwalt die neue Lösung entwickeln. Kreativität ist also auf jeden Fall nötig. Aber immer geerdet, auf der Grundlage des Rechts, nicht im freiem Raum. Anwaltsblatt: Ein Beispiel für das Schöpfen aus dem Bestand des Rechts? Wolfers: Wenn zum Beispiel ein Unternehmen in der Rechtsform einer Anstalt des öffentlichen Rechts in einem offenen, transparenten und diskriminierungsfreien Verfahren veräußert werden soll, sich also öffentliche wie private Bieter gleichermaßen daran beteiligen können, dann stellt sich die Frage, wie der Zielkonflikt zwischen der öffentlichrechtlichen Ausgestaltung einerseits und der freien Veräußerbarkeit im Markt andererseits gelöst werden kann. Das war das Problem bei der Veräußerung der Landesbank Berlin und der Berliner Sparkasse. Die Lösung konnte nur entwickelt werden aus den verfassungs- und öffentlich-rechtlichen Grundlagen einerseits und den praktischen Erfahrungen aus Transaktionen andererseits. * Bei dem hier abgedruckten Interview handelt es sich um eine leicht gekürzte und um Teile ergänzte Fassung eines Gesprächs, das für Anwaltsblatt Karriere geführt wurde und dort Mitte November im Heft 2/2009 (Wintersemester 2009/2010) erschienen ist. 832 AnwBl 12 / 2009 Den Gemeinwohlbezug im Auge, Wolfers

38 MN Anwaltsblattgespräch Anwaltsblatt: Ist das Entwerfen eines Vertrages schwieriger oder das Entwerfen eines Gesetzes? Wolfers: Mir ist das Entwerfen eines Vertrages geläufiger. Meine Erfahrung bei der Begleitung von Gesetzgebungsvorhaben ist begrenzt. Im Übrigen liegt die Verantwortung für einen Gesetzentwurf bei dem Ministerium. Die Aufgabe externer Berater besteht dann darin, Regelungsentwürfe oder andere Vorschläge vorsorglich nochmals daraufhin zu überprüfen, ob sie mit diesem oder jenem Rechtsgebiet im Einklang stehen. Für beides, Verträge und Gesetze, gilt aber: Man muss vorausschauen, nach vorne und zur Seite, Konflikte konkret vorhersehen und sie abstrakt lösen. Und in beiden Fällen muss die Formulierung klar sein. Anwaltsblatt: Wie wichtig ist das Vertrauen zwischen Mandant und Anwalt? Wolfers: Sehr wichtig, außerordentlich wichtig. Die Mandatsbeziehung ist eine zwar nicht persönliche, aber professionelle Vertrauensbeziehung. Der Mandant muss das Gefühl haben, dass der Anwalt sein Problem verstanden hat, dass er es kompetent löst und dass er sich auf ihn verlassen kann. Deshalb muss ein Anwalt auf Menschen zugehen und Vertrauen gewinnen können. Das gehört zum Brückenbau. Anwaltsblatt: Wie wichtig sind die Kernwerte der Anwaltschaft: Verschwiegenheit, das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen und die Unabhängigkeit des Anwalts? Wolfers: Genauso wichtig wie das Vertrauen. Beispiel Unabhängigkeit: Zwar ist der Anwalt aufgerufen, die Interessen des Mandanten zu vertreten. Zugleich muss er aber auch Distanz wahren. Er muss, gerade bei Fällen im Graubereich, in der Lage sein und den Mut haben, dem Mandanten zu erläutern, dass man es durchaus auch anders sehen kann. Da Recht vielfach Interessen ausgleicht, gehört zur Unabhängigkeit des Anwalts, dem Mandanten die Rechtslage in allen Facetten, auch den für ihn ungünstigen, darzustellen. Unabhängigkeit bedeutet außerdem, dass der Anwalt professioneller Ratgeber im jeweiligen Mandat ist, aber nicht dauerhafter Interessenvertreter des Mandanten, jenseits des Falles. Anwaltsblatt: Verschwiegenheit und das Verbot der Interessenkollision? Wolfers: Sie gehören ebenso zu den Grundkonstanten der Anwaltstätigkeit wie die Unabhängigkeit. Verschwiegenheit und Vermeidung von Interessenkollision bilden die Grundlage für eine professionelle Vertrauensbeziehung zwischen Anwalt und Mandant. Das sind zwei Seiten derselben Medaille. Anwaltsblatt: Wie wichtig ist Ethos und Moral für den Anwalt? Wolfers: Es geht nicht ohne. Der Anwalt als Organ der Rechtspflege das ist nicht nur eine Floskel. Der Anwalt muss, auch in seiner Parteinahme für den Mandanten, auf dem Boden des Rechts bleiben. Das ist bei uns mehr als eine rein positivistische Anwendung von Regeln. Es umfasst auch die in unserer Verfassung verankerte Wertorientierung des Rechts. Anwaltsblatt: Der Anwalt trägt eine besondere Verantwortung? Wolfers: Sollten die Grundlagen für den Mandanten nicht selbstverständlich sein, dann ist es gut, wenn der Anwalt daran erinnert. Ob der Mandant dem folgt oder nicht, ist seine Entscheidung. Ich hatte aber Fälle, in denen es sich gelohnt hat, sich einmal zurückzulehnen, auf die Sache mit etwas größerer Distanz zu schauen und mit dem Mandanten gemeinsam zu erörtern, wie eigentlich in den Koordinaten unseres Rechtssystems dieser Fall objektiv zu bewerten ist. Das gehört zum Ethos des Anwalts. Und hilft letztlich auch dem Mandanten. Anwaltsblatt: Muss man Mandanten manchmal erziehen? Wolfers: Man muss sie manchmal führen. Anwaltsblatt: Brauchen Anwälte Ethik-Richtlinien? Wolfers: Wir haben ein Maß an Grundlagen und Wertorientierung sowohl in den gesetzlichen Grundlagen für die Anwaltschaft als auch in unserer Verfassung, das aus meiner Sicht ausreicht. Das ist nicht wenig. Wir müssen es nur ernst nehmen und uns daran halten. Anwaltsblatt: Wirkt das Gemeinwohlprinzip in der Anwaltstätigkeit? Wolfers: Jedenfalls sollte es berücksichtigt werden. In der Tätigkeit eines Öffentlichrechtlers gehört es sozusagen zum Regelwerk. Aber auch ansonsten ist es für die Anwaltstätigkeit relevant. Anwaltsblatt: Wie äußert es sich denn? Wolfers: Im öffentlichen Recht geht es um den Interessenausgleich zwischen Staat und Bürger. Da ist der Gemeinwohlbezug offenkundig. Und dessen Spannungsverhältnis zum Einzelnen auch. Die Bewältigung der Finanzkrise ist dafür ein Musterbeispiel. Aber auch der Zivil- und Gesellschaftsrechtler wahrt, im weiteren Sinne, den Gemeinwohlbezug, indem die Ordnung der zivilrechtlichen Parteien untereinander letztlich Rechtsfrieden schaffen und wahren soll. Anwaltsblatt: Hätten Anwälte die Finanz- und Wirtschaftskrise vermeiden können? Wolfers: Das glaube ich nicht. Ein Kernproblem bestand in der Überbewertung von Immobilien auf dem amerikanischen Hypothekenmarkt. Diese aus den Fugen geratene Bewertung beruhte auf der betriebswirtschaftlichen Einschätzung der Banken und gegebenenfalls auch auf falschen Anreizen der Politik, nicht aber auf der Tätigkeit der Anwälte. Anwaltsblatt: Die Öffentlichkeit schaut aber mehr auf die Anwälte... Wolfers:... das ist richtig. Dabei gilt nach wie vor: Wir sind und bleiben die Berater, die Begleiter unseres Mandanten. Der Mandant steht vorne. Er muss die Entscheidung treffen und auch die Verantwortung tragen. Es steht uns nicht an, uns vor den Altar zu stellen. Anwaltsblatt: Sie haben Ende der 80er Jahre Ihre Magisterarbeit über Thomas Hobbes und Aristoteles geschrieben. Hätten Sie geglaubt, dass Sie heute noch darauf angesprochen werden? Wolfers: Von Freunden vielleicht schon. Aber sicherlich nicht im Rahmen eines Interviews im Anwaltsblatt. Da hätte ich nicht mal geglaubt, Anwalt zu werden. Das Gespräch führten Rechtsanwalt Dr. Nicolas Lührig und Urszula Lisson, Berlin Dr.BenediktWolfers,Berlin Der Autor ist Rechtsanwalt und Partner der Sozietät Freshfields Bruckhaus Deringer im Büro Berlin. Seine Tätigkeitsschwerpunkte liegen im öffentlichen Wirtschaftsrecht, insbesondere im Bereich der Regulierung und Umstrukturierung öffentlicher Aufgaben (Finanz- und Infrastruktursektor). Sie erreichen den Gesprächspartner unter der -Adresse Den Gemeinwohlbezug im Auge, Wolfers AnwBl 12 /

39 MN Gastkommentar Der Showdown blieb aus. Die Union verzichtet auf die Hegemonie in der Kriminalpolitik und die FDP hat auch nicht darum gekämpft. So wurde möglich, was vorher niemand erwartet hatte. Ausgerechnet bei der Inneren Sicherheit, die viele als Sollbruchstelle der neuen Koalition ansahen, einigten sich die Unterhändler geräuschlos und frühzeitig. Drei Eingriffsbefugnisse, die die FDP ersatzlos abschaffen wollte, waren in der öffentlichen Debatte vorab als Prüfsteine identifiziert worden: Internetsperren, Online-Durchsuchungen und die Vorratsdatenspeicherung. Bei allen drei Punkten durfte die FDP im Koalitionsvertrag zwar Akzente setzen, im Wesentlichen wurde der Streit aber vertagt. Den größten Erfolg erzielte die Westerwelle-Partei bei den Internetsperren, sie sollen ein Jahr lang nicht angewandt werden. So lange werden alternative Ansätze ( löschen statt sperren ) zur Bekämpfung von Kinderpornoseiten im Netz erprobt. Hier gab Unions-Unterhändler Schäuble wohl leichten Herzens nach, denn die Internetsperren waren nie sein Projekt, sondern das von Familienministerin Ursula von der Leyen. Eher symbolisch war dagegen Schäubles Zugeständnis bei den Online-Durchsuchungen. Wenn das BKA künftig heimlich in Computer von Terrorgefährdern eindringen will, muss dies ein Ermittlungsrichter am BGH genehmigen, statt eines Wiesbadener Amtsrichters. Ansonsten bleibt die zum Jahresbeginn 2009 eingeführte Befugnis zur Festplatten-Ausspähung Torloses Remis im Koalitionsvertrag Dr.ChristianRath,Freiburg Rechtspolitischer Korrespondent der taz und einiger großer Regionalzeitungen erhalten. Und das obwohl sie nun wirklich verzichtbar wäre sie kam bisher schließlich nicht ein einziges Mal zum Einsatz. Bei der Vorratsdatenspeicherung war die FDP-Forderung ohnehin unrealistisch. Weil es sich um eine EU-Vorgabe handelt, hätte die Speicherung gar nicht national abgeschafft werden können. Nun wurde im Koalitionsvertrag zwar der Zugriff auf die Daten etwas beschränkt aber dies auch nur Auf das Profil der neuen Justizministerin kann man gespannt sein. für Bundesbehörden und bis zur bevorstehenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Danach soll die Koalition neu beraten ohne jede Vorgabe. Die Handschrift der Union tragen bei der Innen- und Rechtspolitik nur wenige Punkte. So soll etwa im Jugendstrafrecht die Höchststrafe für Mord von 10 auf 15 Jahre erhöht werden und ein Warnschussarrest bei Bewährungsstrafen eingeführt werden. Letzteres war allerdings auch im FDP-Wahlprogramm enthalten. Insofern fiel den Liberalen in der FDP das Zugeständnis leicht. Zur Nachricht wurde da eher, was nicht im Koalitionsvertrag steht. Immerhin war kurz vor der Wahl noch eine Wunschliste des Bundesinnenministeriums (BMI) bekannt geworden, die viele neue Befugnisse für Polizei und Geheimdienste enthielt. So sollte etwa die Online-Durchsuchung auch in die Strafprozessordnung und das Verfassungsschutzgesetz des Bundes eingeführt werden. Nichts davon findet sich nun in der Liste der Koalitionsvorhaben. Doch ist das wirklich ein Erfolg der FDP? Hat nicht schon die CDU vorab erkannt, dass sie mit der ständigen Forderung nach mehr Befugnissen für die Sicherheitsbehörden keine Mehrheiten mehr erreicht. Immerhin waren die Punkte der BMI-Wunschliste nicht einmal Teil des CDU-Wahlprogramms. Dazu passt auch, dass Innenminister Wolfgang Schäuble sich im letzten Jahr merklich zurückhielt, weitgehend auf provozierende Interviews verzichtete und nun kurzentschlossen ins Finanzministerium wechselte, wo er plötzlich von der Belastung wieder zum Hoffnungsträger avancierte. Sein Nachfolger Thomas de Maizière sorgte in den ersten zehn Tagen seiner Amtszeit zwar für Aufsehen, als er Staatssekretär August Hanning, Schäubles Mastermind für Innere Sicherheit, in den Ruhestand schickte und so die Ära Schäuble auch personell unerwartet deutlich beendete. Auf schnelle programmatische Aussagen verzichtete de Maizière jedoch. Ob damit das Streben der Union nach Verrechtlichung des Ausnahmezustands endlich zu Ende ist, muss aber abgewartet werden. Auch Wolfgang Schäuble galt zunächst als angenehm sachlicher Amtswalter, als er 2005 die Nachfolge von Otto Schily (SPD) antrat. Erst ab 2007 legte Schäuble den Schalter um und versuchte sich mit Erfolg als Scharfmacher zu profilieren. Auch auf das Profil der neuen Justizministerin Sabine Leutheusser- Schnarrenberger kann man gespannt sein trat sie nach der von der FDP mitgetragenen Einführung des Großen Lauschangriffs von dieser Position zurück. In der Opposition profilierte sie sich weiter als Kämpferin gegen den drohenden Überwachungsstaat. Ist ihr erneuter Eintritt in die Bundesregierung nun ein Signal, dass es so schlimm doch nicht ist? Neue Verschärfungen wird sie angesichts ihrer Vita jedenfalls kaum mitmachen können. Deshalb wird es kriminalpolitisch auch in den kommenden Jahren voraussichtlich wenig Bewegung geben jedenfalls solange Leutheusser- Schnarrenberger den Rückhalt der FDP besitzt. 834 AnwBl 12 / 2009

40 MN Aus der Arbeit des DAV Koalitionsvertrag erster Schritt zur Stärkung des Rechtsstaats DAV bewertet Koalitionsvertrag positiv, fordert aber weitere Schritte Ewer: Nicht der Weg ist das Ziel Aus der Arbeit des DAV 835 Bewertung des Koalitionsvertrags 836 Deutscher Anwaltverein Europäischer Abend in Brüssel Rechtsanwältin Eva Schriever 838 Berufsrechtsausschuss Aufruf: Was heißt Anwalts-Ethik? Rechtsanwalt Dr. Michael Streck 838 DAV-Imagewerbung DAV wirbt zum Jahreswechsel in vollen Zügen Rechtsanwalt Swen Walentowski 839 DAV und Amnesty International Anwälte helfen verfolgten Anwälten Barbara Henneberger, Amnesty International 839 Deutscher Anwaltverein Erklärung: Für ein rechtsstaatliches Russland 840 DAV-Gesetzgebungsausschüsse Stellungnahme der Gesetzesvorhaben 840 Deutscher Anwaltverein DAV beschließt Maria-Otto-Preis 841 Landesverbandskonferenz Gedankenaustausch mit DAV-Präsidenten Rechtsanwalt Uwe Kappmeyer 841 Anwaltsverband Baden-Württemberg Premiere für den Parlamentarischen Abend Rechtsanwalt und Notar Dr. Thilo Wagner 842 Landesverband Nordrhein-Westfalen Landesverbandstreffen im neuen Format Rechtsanwalt Christian M. Segbers 842 Deutscher Anwaltverein Keine Schlankheitskur für den Rechtsstaates 842 AG Sozialrecht Symposium zum Kostenrecht Rechtsanwalt Martin Schafhausen 843 Deutsche Anwaltakademie Nachrichten 844 AG Verwaltungsrecht Bayern Anwälte angemessen honorieren Rechtsanwalt Dr. Matthias Ruckdäschel 844 AG Verkehrsrecht 29. Homburger Tage Rechtsanwältin Bettina Bachmann 845 Anwaltverein Stuttgart Rechtsrat am Riesenrad Rechtsanwältin Anke Haug 846 AG Anwältinnen Krisenmanagement: Herbstkonferenz Rechtsanwältin Beatrice Hesselbach 847 AG Erbrecht Mitgliederversammlung 847 Personalien Der neue Bundestag ist Ende Oktober zusammengetreten und die neue Bundesregierung im Amt. Was werden die nächsten vier Jahre in der Rechtspolitik bringen? Den Koalitionsvertrag bewertete Ende Oktober der Präsident des Deutschen Anwaltvereins, Rechtsanwalt Prof. Dr. Wolfgang Ewer, in Berlin vor der Presse. Im Bereich der Innen- und Rechtspolitik ist der Koalitionsvertrag ein erster Schritt in die richtige Richtung, sagte der DAV-Präsident. Die geplanten Korrekturen bei den Sicherheitsgesetzen seien zu begrüßen. Gleichzeitig erwarte der DAV aber zügig weitere Schritte und eine Stärkung der Freiheits- und Bürgerrechte und somit des Rechtsstaats. Nicht der Weg ist Ziel, sagte Ewer auf Nachfrage einer Journalistin. Keine Überwachung von Anwälten Wir begrüßen, dass die neue Bundesregierung den Bürger- und Freiheitsrechten in ihrem Koalitionsvertrag mehr Beachtung schenkt, so Ewer. Es sei allerdings zu beachten, dass es sich hierbei zunächst nur um einen Koalitionsvertrag und noch nicht um konkretes Regierungshandeln in Form von Gesetzesvorhaben handele. Der DAV werde intensiv die Regierungsarbeit begleiten und deren Umsetzung anmahnen. Der Schutz der privaten Lebensgestaltung der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland durch eine Stärkung des Berufsgeheimnisträgerschutzes der Anwaltschaft hat für uns Priorität, so Ewer. Und: Der Bürger muss sich vorbehaltslos einem Arzt, Journalisten oder Anwalt anvertrauen können. Nicht nur das Vertrauensverhältnis zwischen Anwalt und Mandant müsse vor Überwachungsmaßnahmen geschützt werden. Das gelte auch für Ärzte und Journalisten. Bei diesem Schutz handele es sich nicht um ein Privileg, sondern um den Schutz der Persönlichkeitsrechte der Bürger. Dieser Schutz müsse auch im BKA-Gesetz sichergestellt werden. Wir hätten uns gewünscht, nicht auf das Bundesverfassungsgericht warten zu müssen, sagte Ewer. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger bei der Vereidigung zur Bundesjustizministerin Ende Oktober im Deutschen Bundestag. Keine Onlinedurchsuchung Die Vorratsdatenspeicherung und Onlinedurchsuchung lehnt der DAV nach den Worten von Ewer weiter strikt ab. Die vorgesehenen Maßnahmen, insbesondere die Hürden bei der Onlinedurchsuchung, würden in der rechtlichen Umsetzung kritisch begleitet. Anders als bei einer körperlichen Durchsuchung ist bei der Onlinedurchsuchung ein Schutz des Kernbereichs der Privatsphäre unmöglich. Gegenstände wie Tagebücher können zur Seite gelegt werden, eine Festplatte eines Computers kann nur ganz oder gar nicht durchsucht werden, begründete Ewer die Ablehnung des DAV. Kein Warnschussarrest Der DAV steht der Diskussion um die Einführung eines so genannten Warnschussarrestes im Bereich des Jugendstrafrechts ablehnend gegenüber. Die hohe Rückfallquote bei stationären Sanktionen spricht dagegen. Sie liegt dort bei 70 Prozent. Ambulante Maßnahmen, wie intensivierte Beratung und vermehrte Begleitung seien empirischen Studien zufolge wesentlich erfolgreicher. Auch wird die Erhöhung der Jugendstrafe bei Mord von 10 auf 15 Jahre abgelehnt. Es ist reine Symbolpolitik, sagte Ewer. Der DAV hat wiederholt betont, dass die Erhöhung der Strafe nicht geeignet ist, Gewalttätigkeiten Jugendlicher zu verhindern. Lineare Gebührenerhöhung Über den Koalitionsvertrag hinaus erwartet der DAV von der künftigen Bundesregierung eine Stärkung der Rah- AnwBl 12 /

41 MN Aus der Arbeit des DAV menbedingungen für die anwaltliche Berufstätigkeit durch eine lineare Erhöhung der anwaltlichen Gebühren. Eine Erhöhung ist notwendig, da es seit 1994 keine Anpassung der gesetzlichen Gebührentabellen gegeben hat. Nach 15 Jahren ist das überfällig, begründet dies Ewer. Der Preisindex zeige eine Steigerung der Lebenshaltungskosten von Juli 1994 bis zum Sommer 2008 im gesamten Bundesgebiet um insgesamt 20,9 Prozent. Eine funktionsfähige Rechtspflege sei nur mit einer leistungsfähigen und qualifizierten Anwaltschaft denkbar. Diese setze eine angemessene Vergütung voraus. Anpassungen seien auch im Sozialund Asylrecht notwendig: Hier ist die Spezialisierung nur für wenige Idealisten in der Anwaltschaft möglich. Den Rechtstaat sichern Weiterhin soll die Bundesregierung den Zugang zum Recht für alle Bürgerinnen und Bürger gewährleisten. Dazu gehört nach Ansicht des DAV auch, dass sie sich dafür einsetzt, dass im Bereich der Rechtspflege nicht gespart werde. Dies betrifft insbesondere die Prozesskosten- und Beratungshilfe. Ferner schlägt der DAV den Berufsgeheimnisträgerschutz der Anwaltschaft auch bei einer Entbindung von der Verschwiegenheitspflicht vor. Wenn der Mandant den Rechtsanwalt von seiner Verschwiegenheitspflicht befreit, muss gewährleistet werden, dass dies ohne Druck und unter Wahrung der Interessen des Mandanten erfolgt. Die Anwaltschaft sollte daher zur Zeugnisverweigerung berechtigt sein, wenn dies im wohlverstandenen Interesse des Mandanten liegt. Das sollte auch dann gelten, wenn der Mandant den Rechtsanwalt von der Verschwiegenheitspflicht entbindet. Die geplante Stiftung für Datenschutz, die sich um die Datenerhebung Privater kümmern soll, wird außerordentlich begrüßt. Die Notwendigkeit einer solchen Stiftung ergibt sich schon aus den Datenskandalen in Unternehmen in jüngster Zeit, so Ewer. Hier biete der DAV seine Unterstützung an. eb Die DAV-Pressemitteilung Nr. 23/09 zusammen mit dem Positionspapier des DAV zum Koalitionsvertrag (zusätzlich mit Ausführungen zur Gleichbehandlung der Gläubiger in der Insolvenz- und zur Visa-Warndatei) ist unter Interessenvertretung/Pressemitteilungen abrufbar. Deutscher Anwaltverein Europäischer Abend in Brüssel: Kommunikation schafft Vertrauen DAV-Vorstand diskutiert mit Entscheidungsträgern Der DAV-Vorstand trifft sich einmal im Jahr in Brüssel, um sich über europäische Fragen zu informieren und mit wichtigen Vertretern der Europäischen Institutionen zu sprechen. Wenn der Wind des Wandels weht, bauen die einen Schutzmauern, die anderen bauen Windmühlen, sagt ein chinesisches Sprichwort. Derzeit weht er wieder, der Wind des Wandels. Diesen Sommer ist ein neues Europaparlament gewählt worden, die Bundestagswahl liegt wenige Wochen zurück und die EU-Kommission beginnt ihre neue Amtsperiode. Was steht also im Vordergrund: die Schutzmauern oder die Windmühlen? Diese Frage diskutierten anhand der aktuellen europäischen Themen beim Europäischen Abend des DAV am 30. September 2009 in Brüssel der Vorstand des DAV mit den rund 80 Gästen aus den Europäischen Institutionen. DAV-Präsident Rechtsanwalt Prof. Dr. Wolfgang Ewer machte in seiner Rede deutlich, dass der DAV sich als Folge des Lissabon-Vertrags und des Urteils des Bundesverfassungsgerichts in der verstärkten Pflicht sehe, die europäische Gesetzgebung in Brüssel und in Berlin beratend zu begleiten. Vertrauen durch Kommunikation schaffen, bedeute auch über die stärkere Verschränkung der europäischen und nationalen Ebene im Bereich der Gesetzgebung, aber auch im Bereich der Justiz nachzudenken. Gegenwärtig werde hier die Frage nach einer Vorlagepflicht des Bundesverfassungsgerichts an den EuGH diskutiert. Im Vordergrund steht für den DAV nach den Worten Ewers das Verhältnis von Sicherheit und Freiheit. Hier die richtige Balance zu treffen, sei die Herausforderung in vielen Einzelfragen des Stockholmer Programms zur Justiz- und Innenpolitik der kommenden fünf Jahre. Ewer führte aus, dem Gleichgewicht zwischen Freiheit und Sicherheit sei man durch die von Barroso angekündigte Schaffung eines vom Bereich Inneres getrennten Justizkommissars ein Stück näher kommen. Doch gilt auch eine eigenständige Generaldirektion Justiz zu schaffen, die die Gesetzesvorschläge anderer Generaldirektionen unabhängig kontrollieren kann, so Ewer. Auch im Bereich des Berufsrechts spielt die Freiheit eine Rolle: Die Freiheit des Mandanten, sich in einem geschützten Vertrauensverhältnis mit dem Anwalt beraten zu können. Ewer hob angesichts der berufsrechtlichen Entwicklungen in England und der bevorstehenden Bewertung der anwaltlichen Niederlassungsrichtlinie hervor, dass die Umsetzung der anwaltlichen Grundwertetrias Freiheit von Interessenkonflikten, anwaltliche Verschwiegenheit sowie Unabhängigkeit ein ebenso unersetzliches wie leicht verderbliches Kapital schaffe: Vertrauen. Europaabgeordnete sprachen Auch von den beiden Abendrednern wurde die Bedeutung des Gleichgewichts zwischen Sicherheit und Freiheit betont. Die britische Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments Diana Wallis unterstützte Ewer in seiner Forderung, diese Balance auch in den Projekten des Stockholmer-Programms herstellen zu müssen. Der deutsche Europaabgeordnete Klaus-Heiner Lehne forderte als neuer Vorsitzender des Rechtsausschusses beim Thema Sammelklagen, die Nichteinführung amerikanischer Verhältnisse nicht nur als Lippenbekenntnis zu verstehen. Zahlreiche Themen stünden für die neue Legislaturperiode auf der Tagesordnung: Der Input der Anwaltschaft sei in den verschiedensten Rechtsfragen, wie der Schaffung verlässlicher Rahmenbedingungen bei grenzüberschreitenden Rechtsverhältnissen im Familien- und Erbrecht, der weiteren Entwicklung im Urheberrecht, dem Insolvenzrecht und nicht zuletzt dem Strafrecht vonnöten. Gerade in letzterem Gebiet gelte es, auf die Qualität des Umgangs mit dem Strafrecht zu achten. Der Rechtsausschuss werde zudem das Thema der Verbesserung des Folgenabschätzungsmechanismus bei Gesetzgebungsvorschlägen aus eigener Initiative anregen wollen. Rechtsanwältin Eva Schriever, Brüssel 836 AnwBl 12 / 2009

42 MN Aus der Arbeit des DAV Der Präsident des DAV Rechtsanwalt Prof. Dr. Wolfgang Ewer (l.) begrüßte die Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments Diana Wallis (M.) und den Vorsitzenden des Rechtsausschusses des Europäischen Parlaments Rechtsanwalt Klaus-Heiner Lehne. Beide hielten neben Ewer eine Abendrede. 2 Eva-Lotta Gutjahn (EU-Kommission, M.) und Bettina von Teichman und Logischen (Ständige Vertretung der BRD bei der EU, r.) mit Rechtsanwältin Verena Mittendorf (DAV-Vizepräsidentin). 3 Rechtsanwältin Dr. Marcella Prunbauer-Glaser (Vizepräsidentin der Österreichischen Rechtsanwaltskammer) mit Rechtsanwalt Prof. Dr. Friedrich Graf von Westphalen (DAV-Vizepräsident). 4 Georges-Albert Dal (Rat der Europäischen Anwaltschaften, l.) und Rechtsanwalt und Notar Prof. Dr. Hans-Jürgen Hellwig (DAV-Vizepräsident). 5 Rechtsanwalt Ben Ibler (Präsident der Österreichischen Rechtsanwaltskammer, l.) und Rechtsanwalt und Notar Ulrich Schellenberg (DAV-Vizepräsident). 6 Die Europaabgeordnete Rechtsanwältin und Notarin Alexandra Thein mit Hartmut Kilger (Mitglied des DAV-Präsidiums). 7 Der Europaabgeordnete Jan-Philip Albrecht (r.) mit Rechtsanwalt Horst Piepenburg (DAV-Vorstand). 8 Rainer Becker (Europäische Kommission, l.) und Rechtsanwalt beim BGH Prof. Dr. Volkert Vorwerk (DAV-Vorstand). 9 Rechtsanwalt und Notar Herbert Schons (DAV-Vorstand) und Rechtsanwältin Dr. Beate Boudon (Europabeauftragte des Versicherungsrechtsausschusses des DAV, r.). 10 Dr. Christine Pichonot (Landesvertretung Niedersachsen bei der EU, l.) und Rechtsanwältin Claudia Seibel (DAV-Vorstand). 11 Rechtsanwalt Dr. Hans-Jochem Mayer (Europabeauftrager des Ausschusses RVG und Gerichtskosten des DAV) und Rechtsanwältin und Notarin Edith Kindermann (DAV-Vorstand). 12 Dr. Gerald Braun (EU-Kommission, l.) mit Rechtsanwältin Dr. Astrid Auer-Reinsdorff (DAV-Vorstand). 13 Erste Abendrednerin: Diana Wallis. 14 Zweiter Abendredner: Klaus-Heiner Lehne. 15 DAV-Vorstandsmitglieder Rechtsanwalt und Notar Dr. Thilo Wagner (l.) und Rechtsanwältin Anke Haug (2.v.l.) mit Rainer Becker (2.v.r.) und Christian Vollrath (r.) aus der Europäischen Kommission. AnwBl 12 /

43 MN Aus der Arbeit des DAV Berufsrechtsausschuss Aufruf: Was heißt Anwalts-Ethik? Frage des DAV an Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte Berufsrechtsausschuss und Mitglieder des Vorstands des DAV befassen sich mit dem Thema Anwaltliche Berufsausübung und Anwaltsethik. Nach dem heutigen Stand der Diskussion lehnt die Arbeitsgruppe die Formulierung von Ethik-Richtlinien, die neben der BRAO und der Berufsordnung gelten sollen, ab. Ein solcher Kodex käme über Selbstverständlichkeiten, Allgemeinplätze und das, was in der BRAO geregelt ist, nicht hinaus. Damit ist das Thema nicht erledigt. Denn neben der Frage nach einer formulierten Ethik gibt es die lebhafte Diskussion, in welcher Weise sich Anwälte angesichts konkreter Sachverhalte oder in konkreten Situationen nach ethischen Vorgaben richtig verhalten. Dieser Diskussion und Kommunikation über Sachverhalte und Situationen wollen wir Struktur und Form geben. Ein Ergebnis ist nicht notwendig. Die Diskussion als solche ist bereits der Prozess anwaltlichen Ethos. Die Diskussion soll die Öffentlichkeit erreichen. Die Arbeitsgruppe will, was die Sachverhalte und Situationen anbelangt, nicht allein auf die eigenen Erfahrungen zurückgreifen. Daher richten wir auf diesem Weg an alle Kolleginnen und Kollegen die Bitte: Schildern Sie uns Sachverhalte und Situationen, in denen sich Ihnen die Frage aufdrängt, habe ich mich, hat sich ein Kollege nach wie auch immer formulierten ethischen Anforderungen (nicht nach rechtlichen Pflichten) richtig oder falsch verhalten? Schreiben, faxen oder mailen Sie an: Deutscher Anwaltverein oder Rechtsanwalt Rechtsanwalt Udo Henke Dr. Michael Streck Littenstraße 11 Wilhelm-Schlombs-Allee Berlin Köln (Junkersdorf) Telefon: 030/ Telefon: 0221/ Telefax: 030/ Telefax: 0221/ henke@anwaltverein.de michael.streck@streck.net Rechtsanwalt Dr. Michael Streck, Vorsitzender des Berufsrechtsausschusses DAV-Imagewerbung DAV wirbt zum Jahreswechsel in vollen Zügen Die DAV-Imagewerbung nimmt zum Jahreswechsel noch einmal volle Fahrt auf. Wie bereits im vergangenen und im laufenden Jahr wird sie in ICE- Zügen und an ICE-Bahnhöfen präsent sein. Hinzu kommen noch zusätzlich beleuchtete Plakatflächen (City-Light- Poster) an vielen Bahnhöfen verteilt in der Bundesrepublik. Damit setzt die DAV-Imagewerbung nicht allein auf Printanzeigen. In den Monaten Dezember 2009 und Januar 2010 wenn wieder viele Menschen über Weihnachten und den Jahreswechsel unterwegs sind wird in der 1. Klasse von 59 ICE-Zügen wieder das Motiv Notbremse als Plakat zu sehen sein. Mit der Überschrift Bevor Sie geschäftlich die Notbremse ziehen müssen lassen Sie sich rechtzeitig anwaltlich beraten werden insbesondere die Reisenden in der 1. Klasse auf die Notwendigkeit an vorsorgender anwaltlicher Beratung hingewiesen. In der 2. Klasse ist die Imagewerbung teilweise seit Oktober 2009 bis Januar 2010 in 44 Zügen präsent. Passend unter der Deutschlandkarte findet sich die Anzeige Wohin Sie auch fahren: Wir sind schon da Von Aachen bis Zwickau erhalten Sie kompetente Beratung in allen Rechtsfragen nur bei Ihrer Anwältin oder Ihrem Anwalt. Plakate auch in Bahnhöfen In Ergänzung zu der Präsenz in den ICE-Zügen wird die DAV-Imagewerbung in der starken Reisezeit in der zweiten Hälfte des Dezembers 2009 auf 179 Flächen großformatig mit verschiedenen Motiven zu sehen sein. Diese finden sich verteilt auf oftmals stark frequentierten Bahnsteigen in Hauptbahnhöfen, kleineren Bahnhöfen oder S-Bahnhöfen in der ganzen Republik. Ergänzt werden die Großflächen wiederum von so genannten City-Light- Postern. Dabei handelt es sich um hochwertige Werbeflächen hinter Glas mit dahinter liegender Beleuchtung. Gerade in der dunklen Jahreszeit sind sie besonders aufmerksamkeitsstark. Hier wird es an verschiedenen Standorten von Aachen über Essen, Kassel, Kiel, Köln, Rostock und Wuppertal insgesamt 365 dieser Plakate geben. Verwendet werden sechs Motive aus der Kampagne. Rechtsanwalt Swen Walentowski, DAV, Berlin Alle Informationen rund um die DAV-Imagewerbung, Motive zur Eigennutzung für die Kanzlei, die Bestellmöglichkeit für Werbemittel, Plakate oder aber auch Postkarten zur Verteilung und die Präsenz in den Medien finden Sie unter Eigens für ICE-Züge wurde ein Motiv der DAV-Imagewerbung entworfen. 838 AnwBl 12 / 2009

44 MN Aus der Arbeit des DAV DAV und Amnesty International Anwälte helfen verfolgten Anwälten In diesem Heft: China Der Deutsche Anwaltverein unterstützt die Arbeit von Amnesty International. Im Anwaltsblatt werden regelmäßig Fälle von Anwältinnen und Anwälten vorgestellt, die sich auch unter schwierigen Bedingungen für die Einhaltung der Menschenrechte einsetzen auch wenn sie deswegen selbst Gefahr laufen, in ihrer beruflichen Tätigkeit behindert zu werden und Repressionen bis hin zur Inhaftierung erleiden. Crackdown on Human Rights Lawyers in China: Die Behinderung und Verfolgung chinesischer Rechtsanwälte hat sich weiter verschärft Ein Jahr ist vergangen seit den Olympischen Sommerspielen 2008 in China. Die Vergabe der Spiele nach Peking führte zu politischen Kontroversen und war gleichzeitig mit der Hoffnung verbunden, aufgrund der öffentlichen Aufmerksamkeit ein Gewinn für die Wahrung und Durchsetzung der Menschenrechte in der Volksrepublik zu sein. Dass sich diese Hoffnungen nicht erfüllt haben, zeigt der jüngste Bericht von Amnesty International zur Situation der Rechtsanwälte aus dem August Inhaftierung und Gewalt In diesem Jahr beging die Volksrepublik China zwei Jahrestage: Am 1. Oktober feierte sie ihr 60-jähriges Bestehen. Am 4. Juni war es 20 Jahre her, dass die Demokratiebewegung auf dem Platz des Himmlischen Friedens gewaltsam niedergeschlagen wurde. Anlass genug für die chinesischen Behörden, unliebsame Rechtsanwälte verschärft zu verfolgen. Allein in den ersten sechs Monaten dieses Jahres sind vier Fälle bekannt geworden, in denen Rechtsanwälte mit Gewalt gedroht wurde, mindestens zehn Rechtsanwälten ist der Zugang zu ihren Mandanten verwehrt worden und mindestens fünf Rechtsanwälte waren aufgrund ihrer Tätigkeit vorübergehend inhaftiert. Besonders prominent ist der Fall des Rechtsanwalts Wang Yonghang, der Falun Gong Aktivisten Rechtsbeistand bietet. Seit dem 4. Juli 2009 ist er ohne Kontakt zur Außenwelt inhaftiert und wurde nachweislich während der Verhöre geschlagen. Auch der dem DAV seit langem bekannte Rechtsanwalt Zheng Enchong, der sich für die Entschädigung der Opfer von massiven Zwangsenteignungen vor Gericht eingesetzt hatte und zu dessen Gunsten während des 56. Deutschen Anwaltstags in Köln eine Resolution verabschiedet worden war (vgl. AnwBl 2006, 464, 553 und 820), ist im Juni dieses Jahres erneut bedrängt worden. Er wurde vorgeladen und über neun Stunden verhört. Dabei musste er sich bis auf die Unterwäsche ausziehen und wurde geschlagen. Entzug von Anwaltslizenzen Neben Angriffen auf die körperliche Integrität und Freiheit bedienen sich die chinesischen Behörden auch administrativer Mittel zur Behinderung anwaltlicher Tätigkeit. So müssen Rechtsanwälte in China seit Mitte der 90er Jahre jährlich die Erneuerung ihrer anwaltlichen Lizenz beantragen. Die drohende Ablehnung eines solchen Antrages wird als Druckmittel gegenüber solchen Rechtsanwälten eingesetzt, die auch in menschenrechtssensiblen Bereichen aktiv sind. So wurde der Rechtsanwalt Li Jinglin im Juni diesen Jahres von den zuständigen Behörden davor gewarnt, die rechtliche Vertretung von Opfern des Sanlu Milchpulver-Skandals und von Falun Gong Anhängern fortzusetzen. Erst als er eine schriftliche Erklärung abgab, dass er solche sensiblen Fälle in Zukunft nicht übernehmen werde, fand er eine Anstellung in einer Sozietät und erhielt seine Lizenz. Anwälte wie Su Wenbing hingegen, die sich nicht zu einer solchen Erklärung bereit erklärten, warten nach wie vor auf ihre Lizenz. Auch Su Wenbing vertritt inhaftierte Falun Gong Anhänger. Seine Anwaltslizenz wurde ohne Angaben von Gründen nicht verlängert. Zwangsschließung von Kanzleien Die Schikane durch die chinesischen Behörden trifft jedoch nicht nur einzelne Rechtsanwälte, sondern auch Kanzleien wie das folgende Beispiel zeigt: Im Jahr 2006 schrieb der Rechtsanwalt Gao Zhisheng an den chinesischen Präsidenten einen Appell, Falun Gong Anhänger nicht weiter zu verfolgen. Daraufhin wurde die von ihm geführte Beijing Zhisheng Law Firm von den Behörden mit der Begründung geschlossen, dass die offiziell registrierte Adresse der Kanzlei nicht mit ihrem aktuellen Standort übereinstimme. Die Eingabe von Gao Zhisheng, dass der Umzug erst zwei Monate her sei und man noch keine Zeit für eine Aktualisierung des Registers gefunden habe, wurde von den Behörden nicht gehört. Amnesty International fordert, dass die Diskriminierung, Inhaftierung und Gewaltanwendung von und gegenüber Rechtsanwälten, die sich im Rahmen ihrer Tätigkeit friedlich für die Wahrung der Menschenrechte einsetzen, gestoppt wird. Die Gründe für die Verweigerung von Lizenzen sind transparent zu machen und dürfen nur auf die Qualifikation und das anwaltliche Verhalten Bezug nehmen. Aus anderen Beweggründen vorenthaltene Lizenzen müssen erteilt werden. Barbara Henneberger, Amnesty International Mit der Veröffentlichung der Fälle von Kolleginnen und Kollegen will der DAV einen Beitrag zu ihrem Schutz leisten. Wollen Sie sich auch ganz persönlich einsetzen? Nähere Informationen unter Dort finden Sie aktuelle Fälle von bedrohten Anwältinnen und Anwälten sowie Informationen, wie Sie sich engagieren können. Im Anwaltsblatt sind bisher Beiträge erschienen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte aus Russland (AnwBl 12/2006 und 5/2009), Zimbabwe (AnwBl 2/2007), Mexiko (AnwBl 5/2007), Iran (AnwBl 11/2008), China (AnwBl 3/2009), Syrien (6/2009) sowie Guinea-Bissau (10/2009). Deutscher Anwaltverein Für ein rechtsstaatliches Russland Zum 3. Jahrestag der Ermordung der Menschenrechtsaktivistin Anna Politkowskaja am 7. Oktober forderte der DAV in einer gemeinsamen Erklärung mit insgesamt 17 russischen und deutschen Nichtregierungsorganisationen (u.a. Amnesty International, Reporter ohne Grenzen und Memorial), die Aufklärung politischer Morde an Journalisten, Anwälten und Menschenrechtsverteidigern in Russland. Die politischen Morde müssen beendet und die Verantwortlichen vor Gericht gestellt werden. Den Link zur vollständigen Erklärung können Sie auf der Website des DAV in der Depesche Nr. 37/2009 einsehen ( Leistungen/DAV-Depesche). AnwBl 12 /

45 MN Aus der Arbeit des DAV DAV-Gesetzgebungsausschüsse Stellungnahmen zu Gesetzesvorhaben Der Deutsche Anwaltverein begleitet aktuelle Gesetzesvorhaben auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene. Das Anwaltsblatt weist regelmäßig auf wichtige Stellungnahmen der Ausschüsse hin. Alle Stellungnahmen finden Sie im Internet nahmen. Ausschuss Strafrecht 9 Schutz von Menschenrechten (43/2009) Zu einzelnen Vorschriften des vorgeschlagenen Rahmenbeschlusses des Rates zur Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels und zum Schutz von Opfern sowie zur Aufhebung des Rahmenbeschlusses 2002/629/JI KOM(2009) 136 endgültig hat der Deutsche Anwaltverein durch den Strafrechtsausschuss kritisch Stellung bezogen. In einigen Punkten sieht der DAV keine bzw. nur ungenügende Fortschritte zum bisherigen Rahmenbeschluss. Ausschuss Europäisches Vertragsrecht 9 Verbraucherrechte (39/2009) Zum Konsultationsdokument zur Nachfolgekonsultation zum Grünbuch über kollektive Rechtsdurchsetzungsverfahren für Verbraucher (erstellt durch die Europäische Kommission) hat der Deutsche Anwaltverein durch den Ausschuss Europäisches Vertragsrecht Stellung genommen. Der DAV sieht kein zwingendes Bedürfnis, ein einheitliches kollektives Rechtsdurchsetzungssystem für Verbraucher (die Sammelklage) zu schaffen. Sollte die Europäische Kommission nach einer europäischen Lösung suchen, sollten nach Ansicht des DAV die Eingriffe in das nationale Recht so gering wie möglich gehalten werden. Ausschuss Insolvenzrecht 9 Anfechtung von Lohnnachzahlungen (47/2009) Der DAV hat durch seinen Insolvenzrechtsausschuss kritisch Stellung genommen zu einer Formulierungshilfe durch das Bundesjustizministerium (Entwurf, Stand ) zur Änderung von 130 InsO. Es geht um die Anfechtung von unmittelbar vor Insolvenzantragstellung geleisteten Lohnnachzahlungen durch den Insolvenzverwalter. In der Stellungnahme wird unter anderem darauf hingewiesen, dass es sich um ein sozialpolitisches Problem handelt, das mit der vorgeschlagenen Gesetzesänderung zu 130 InsO nicht gelöst werden kann. Ausschuss Anwaltsnotariat und Arbeitsgemeinschaft Anwaltsnotariat 9 Notargebühren in der Sozietät (48/2009) Wenn die Notargebühren im Rahmen einer Verbindung zur gemeinsamen Berufsausübung pauschal und unmittelbar in eine Sozietät oder Partnerschaft einfließen, und dort nach einem angemessenen und nachvollziehbaren Schlüssel aufgeteilt werden, liegt darin kein Verstoß gegen das Gebührenteilungsverbot des 17 Abs. 1 S. 4 BNotO. Zu diesem Ergebnis kommt der DAV in der Stellungnahme. Nach dem Willen des Gesetzgebers soll diese Bestimmung nur das Verhältnis zu dritten Urkundsbeteiligten betreffen, nicht aber Vereinbarungen zwischen Berufsträgern, wenn die sich zu einer zulässigen beruflichen Zusammenarbeit zusammengeschlossen haben. AG Transport- und Speditionsrecht 9 Weltweite Güterbeförderung auf See (37/2009) Dem anvisierten Übereinkommen der Vereinten Nationen über Verträge, die die internationale Beförderung von Gütern ganz oder teilweise auf See regeln (Rotterdam Regeln), steht der Deutsche Anwaltverein mit Blickwinkel auf die internationale Vereinheitlichung des Transportrechts positiv gegenüber. Allerdings weist das Übereinkommen nach Ansicht des DAV rechtstechnische und gesetzgeberische Ratifizierungsschwächen auf. Ohne eine weltweite einheitliche Ratifikation wäre die Umsetzung der Rotterdamer Regeln für das deutsche Recht kein Fortschritt. Deutscher Anwaltverein DAV beschließt Maria-Otto-Preis Anwältinnenpreis des Deutschen Anwaltvereins an Gisela Wild Der Vorstand des Deutschen Anwaltvereins hat den Maria-Otto-Preis beschlossen. Mit dieser Auszeichnung möchte der DAV vorrangig herausragende Rechtsanwältinnen ehren, die sich als Rechtsanwältinnen in Beruf, Justiz, Politik und Gesellschaft verdient gemacht haben oder eine besondere Vorbildfunktion für Anwältinnen inne haben. Der Vorstand des Deutschen Anwaltvereins ist der Meinung, dass das Engagement von Anwältinnen mehr als bisher gewürdigt werden muss. Aus diesem Grund wurde der neue Preis geschaffen, so Rechtsanwalt Prof. Dr. Wolfgang Ewer, DAV-Präsident. Der Maria-Otto-Preis solle allerdings nicht nur an Anwältinnen verliehen werden können, sondern auch an Personen oder Organisationen, die sich in besonderem Maße um die Belange der Anwältinnen verdient gemacht haben. Benannt ist der Preis nach Rechtsanwältin Dr. Maria Otto. Diese wurde 1922 durch das Bayerische Staatsministerium der Justiz als erste deutsche Anwältin in München zugelassen. Damit war sie eine Wegbereiterin für Generationen von Anwältinnen, so Ewer weiter. Anfang 2010 wird der Preis erstmalig verliehen werden. Erste Preisträgerin wird Rechtsanwältin Dr. Gisela Wild (Foto), Hamburg, sein. Sie ist bekannt als Vertreterin der Klägerinnen im so genannten Emma- Prozess gegen den Stern wegen dessen sexistischer Titelbilder und durch ihre mit anderen erfolgreich eingelegte Verfassungsbeschwerde gegen das erste Volkszählungsgesetz wurde sie zur Richterin beim Hamburgischen Verfassungsgericht gewählt. In ihrer anwaltlichen Tätigkeit trat sie stets für Bürgerund Frauenrechte ein. Die Auswahl künftiger Preisträgerinnen wird eine hochrangig besetzte Jury übernehmen. Quelle: DAV-Pressemitteilung 21/ AnwBl 12 / 2009

46 MN Aus der Arbeit des DAV Landesverbandskonferenz Vertraulichkeit des Anwaltsmandats Gedankenaustausch mit DAV-Präsidenten Die Vertreter der Landesverbände diskutierten in der diesjährigen Landesverbandskonferenz wichtige berufsund verbandspolitische Themen. Im Doppeldeckerbus berieten die Spitzenvertreter der Landesverbände erstmals mobil. DAV-Präsident Prof. Dr. Wolfgang Ewer als Ehrengast zollte dem Präsidenten des einladenden Bayerischen Anwaltverbandes, Rechtsanwalt Anton Mertl, dankenden Respekt für das gewagte Experiment, auch einmal neue Wege zu gehen, respektive zu fahren. Er bewies im Gang des fahrenden Busses, stehend auch in den engen Kurven von München die erwartete Standfestigkeit. Beim Erreichen des ersten Etappenziels, der Wieskirche, vermeldete der niedersächsische Landesverbandspräsident Uwe Kappmeyer als Obmann zugleich die erste Punktlandung bei der Abarbeitung der kontrovers diskutierten Themen. Zur Frage der Fortsetzung der Imagekampagne wollte die Landesverbandskonferenz bewusst keine Stellung nehmen in die Autonomie der Entscheidungsverantwortung der örtlichen Anwaltvereine konnte und sollte nicht eingegriffen werden. Lob erfuhr der Vorsitzende Thüringens, Andreas Schiller, für die eingereichte Verfassungsklage gegen die Beschränkung der unantastbaren Vertraulichkeit des Anwaltsmandats. Die geplante Routenführung vorbei an Schloss Neuschwanstein wurde verkürzt, die anschließend um die verbesserungswürdige Kommunikation innerhalb des DAV kreisenden Debatten endeten erst, als Kloster Andechs erreicht und der Bus längst auf dem Parkplatz abgestellt war. Rechtsanwalt Uwe Kappmeyer, Hannover Gastgeber der Landesverbandskonferenz 2010 ist der Landesverband Thüringen. Anwaltsverband Baden-Württemberg Keine Zusammenlegung von Gerichtsbarkeiten Premiere für den Parlamentarischen Abend in Stuttgart Immer mehr Landesverbände laden die für die Rechtspolitik wichtigen Parlamentarier ihrer Landtage zu Parlamentarischen Abenden. Anfang Oktober 2009 fand in Stuttgart der erste Parlamentarische Abend des Anwaltsverbandes Baden-Württemberg mit rund 50 Teilnehmern statt. Der Vorstand des Anwaltsverbandes konnte mit Vertretern aller Fraktionen des Landtages und Justizminister Prof. Dr. Ulrich Goll wichtige innen-, rechtsund berufspolitische Themen diskutieren. Außer zahlreichen Vorstandsmitgliedern der örtlichen Anwaltvereine nahmen Präsidiumsmitglieder der vier Rechtsanwaltskammern im Land als Gäste an der Veranstaltung teil. Kritik an Sicherheitsgesetzen Im Eingangsstatement sprach der Präsident des Anwaltsverbandes Dr. Peter Kothe (Foto) die Sicherheitsgesetze, insbesondere die Stichworte Vorratsdatenspeicherung, Online-Durchsuchung und Online-Überwachung, an. Er kritisierte die nicht nur auf Bundesebene, sondern auch in dem erst kürzlich neu gefassten Landes-Polizeigesetz enthaltene Unterscheidung zwischen absolut und relativ geschützten Berufsgeheimnisträgern. Im Bereich der Rechtspolitik versicherte der Landesverbandspräsident, dass die Privatisierungsbestrebungen aufmerksam beobachtet würden. Diesen laufe die an einigen Gerichten versuchsweise praktizierte Gerichtsmediation zuwider. Kothe berichtete, dass eine Mitgliederbefragung eine einhellige Ablehnung der Mediation durch Richter ergeben habe. Er begründete, dass eine Mediation durch Richter sowohl rechtspolitisch als auch ordnungspolitisch verfehlt sei. Er versprach eine aufmerksame und kritische Begleitung der Bemühungen um Selbstverwaltung in der Justiz. Eine Zusammenlegung von Verwaltungs- und Sozialgerichtsbarkeit lehnte Kothe ab, solange eine Rechtsvereinheitlichung durch unterschiedliche Entscheidungen verschiedener oberster Bundesgerichte nicht in Betracht komme und die Gerichtsbarkeiten über unterschiedliche Prozessordnungen verfügten. Schließlich wiederholte er die Forderung nach einer linearen Gebührenanhebung um 15 Prozent. Die ablehnende Haltung des Justizministers, dem zufolge das Land über Beratungs- und Prozesskostenhilfe die Hauptlast zu tragen habe, ohne sich refinanzieren zu können, überzeuge nicht. Gerade im Bereich von Beratungs- und Prozesskostenhilfe werde den Anwälten faktisch eine pro bono -Tätigkeit abverlangt, zu der die Anwälte aufgrund ihres Berufsverständnisses bereit seien. Dafür müsse ihnen im Übrigen jedoch eine auskömmliche Vergütung gewährleistet werden. Unter Bezugnahme auf das Motto der Imagekampagne Vertrauen ist gut. Anwalt ist besser. bot Kothe die Anwaltschaft als kompetenten Gesprächspartner in innen-, rechtsund berufspolitischen Fragen an und versprach, die Politiker daran zu erinnern, wenn sie dies vergessen sollten. In ihren Erwiderungen bedankten sich die Sprecher der vier im Landtag vertretenen Fraktionen, Winfried Mack (CDU), Rainer Stickelberger (SPD), Dr. Hans-Peter Wetzel (FDP/DVP) und Ilka Neuenhaus (Bündnis 90/Die Grünen), für die bisherige konstruktive Zusammenarbeit mit dem Anwaltsverband und dessen kritische Begleitung von Gesetzgebungsvorhaben des Landes. Sie zeigten Verständnis für die Forderung nach einer linearen Gebührenerhöhung. Während sie die Zusammenlegung von Sozial- und Verwaltungsgerichtsbarkeit überwiegend befürworteten, lehnten sie einhellig Tendenzen ab, den Rechtsweg zu verkürzen. Das Streben nach Selbstverwaltung in der Justiz wurde äußerst zurückhaltend bewertet. Die Abgeordneten hoben hervor, dass ihnen an einem intensiven Meinungs- und Erfahrungsaustausch in Einzel- sowie in Fraktionsgesprächen gelegen sei und sie die fachlichen Stellungnahmen des Anwaltsverbandes hoch schätzten. Sie ermutigten den Anwaltsverband, Parlamentarische Abende wie diesen künftig regelmäßig zu veranstalten. Rechtsanwalt und Notar Dr. Thilo Wagner, Ravensburg AnwBl 12 /

47 MN Aus der Arbeit des DAV Landesverband Nordrhein-Westfalen Landesverbandstreffen im neuen Format Deutscher Anwaltverein Keine Schlankheitskur für den Rechtsstaat Der Deutsche Anwaltverein lehnt es ab, dass im Saarland künftig der Ministerpräsident auch das Justizministerium übernimmt. Das bewährte System der wechselseitigen Kontrolle der Gewalten darf nicht gestört werden!, erläutert Rechtsanwalt Dr. Cord Brügmann, DAV- Hauptgeschäftsführer. Es sei eine wesentliche Errungenschaft des freiheitlichen Rechtsstaates, dass die politische Verantwortlichkeit für Verwaltung und Justiz getrennt ist. Mit den Plänen im Saarland bestehe die Gefahr, dass Interessenkonflikte, nicht mehr offen ausgetragen werden. Quelle: DAV-Pressemitteilung Nr. 24/2009 Die Mitgliederversammlung des Landesverbandes Nordrhein-Westfalen ging dieses Jahr erstmals neue Wege: Die Ausweitung der Veranstaltung zu einem Verbandstreffen war ein großer Erfolg. Der Landesverband Nordrhein-Westfalen fühlte sich nicht zuletzt durch viele andere vorbildliche Veranstaltungen anderer Landesverbände in Deutschland ermutigt, auch seiner eigenen jährlichen Mitgliederversammlung eine neue Struktur zu geben. Daher entschloss man sich zu einer zweitägigen Veranstaltung. Sie fand im Juni 2009 in der Justizakademie Recklinghausen statt. Eingeladen wurden diesmal nicht nur die regulären Vertreter der 57 örtlichen Anwaltvereine, sondern zugleich auch die übrigen lokalen Vorstandsmitglieder sowie die Regionalbeauftragten des Forums der Jungen Anwaltschaft. Die Veranstaltung erwies sich als großer Erfolg. Neben interessanten Vorträgen und der Mitgliederversammlung gab der Vorstand den in der Verbandsarbeit in Nordrhein-Westfalen tätigen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten auch Gelegenheit, sich kennen zu lernen und den Meinungsaustausch zu pflegen. Eröffnet wurde die Veranstaltung vom langjährigen Europakorrespondenten des Westdeutschen Rundfunks Kurt Gerhardt, der einen sehr informativen Vortrag über die Geschichte und das Umfeld des Lissabon-Vertrages hielt und Auswirkungen für das nationale Recht aufzeigen konnte. Es schlossen sich zahlreiche Fragen und Diskussionsbeiträge an. Vorstandswahlen In der Mitgliederversammlung standen die Themen der gerichtsnahen Mediation im Vordergrund. Daneben wurden Wahlen zum Vorstand durchgeführt. Die beiden bisher im Vorstand tätigen Kollegen Rechtsanwalt Dr. Claus Recktenwald (Bonn) und Rechtsanwalt Heinz Spizig (Köln) wurden nach langjähriger erfolgreicher Tätigkeit im Vorstand mit großem Beifall verabschiedet. An ihre Stelle wurden die Kollegen Rechtsanwalt Ralf Schweigerer (Bonn) und Rechtsanwalt Henrich Jürgen Potthast (Köln) einstimmig neu in den Vorstand gewählt. Die übrigen Vorstandsmitglieder Rechtsanwalt Dr. Klaus E. Böhm (Düsseldorf) als Vorsitzender, Rechtsanwalt Jürgen Widder (Bochum) als stellvertretender Vorsitzender sowie Rechtsanwältin Elisabeth Schwering (Münster), Rechtsanwältin Janka Groetschel (Kleve) sowie Rechtsanwältin und Notarin Martina Fröse-Ehrler (Herdecke) wurden in ihren Ämtern einstimmig wiedergewählt. Am Samstag hielt Johanna Busmann (Hamburg) in lockerer Atmosphäre den in Deutschland bereits bekannten Vortrag Chefsache Akquisition. Sie zeigte viele nützliche Hinweise für die anwaltliche Berufsausübung auf und gab auch dem Vorstand zahlreiche Anregungen für die Verbandsarbeit. Der Vorstand sieht sich darin bestärkt, diese Form der Zusammenkunft auch im nächsten Jahr zu wiederholen. Die mit der aufgezeigten Veranstaltungslösung verbundenen Vorteile liegen auf der Hand, denn die Verbindung der Anwaltvereine und ihrer Funktionsträger wird gesteigert, das Zusammengehörigkeitsgefühl und insbesondere die Gewissheit, dass Vereine als eigene Organisationsstruktur für die Anwaltschaft unverzichtbar sind, sind eine gute Erfahrung. Rechtsanwalt Christian M. Segbers, Düsseldorf AG Sozialrecht Symposium zum Kostenrecht: An die Anwälte denken LSG Hessen: Richter, Kostenbeamte und Anwälte diskutieren Zusammen mit der Arbeitsgemeinschaft Sozialrecht veranstaltete das Hessische Landessozialgericht Mitte September ein Kostenrechtssymposium. Für alle Beteiligten in den sozialgerichtlichen Verfahren sind Kostenentscheidungen zum Teil mit sehr viel Arbeit verbunden. Für die Anwaltschaft stellen Kostenentscheidungen der Sozialgerichte aber immer auch eine wirtschaftliche Belastung dar, da die Gerichte den Spielraum, den ihnen das RVG gibt, immer wieder zu Lasten der im Sozialrecht tätigen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte beschneiden. Am Kostenrechtssymposium nahmen über 100 Teilnehmer, überwiegend aus der Anwaltschaft, aber auch zahlreiche Kostenbeamte und Richter der Hessischen Sozialgerichtsbarkeit, teil. Nach einer Begrüßung durch den Präsidenten des Hessischen Landessozialgerichts, Dr. Harald Klein, und Rechtsanwalt Martin Schafhausen (Geschäftsführender Ausschuss der AG) führte Prof. Dr. Reinhard Gaier (Richter des Bundesverfassungsgerichts) in das Thema ein. Gestützt nicht nur auf aktuelle Entscheidungen zum Beratungshilfe- und Prozesskostenhilferecht machte Prof. Dr. Gaier deutlich, dass die Angemessenheit und Auskömmlichkeit anwaltlicher Gebühren auch an den Kriterien des Art. 12 Abs. 1 GG zu messen seien. In den aktuellen beratungshilferechtlichen Entscheidungen habe das Gericht deutlich gemacht, dass der Zugang zum Recht von Verfassungswegen auch Bedürftigen eröffnet sein müsse. Zugang zum Recht erschwert In seinen Ausführungen verwies Rechtsanwalt Hartmut Kilger darauf, dass auch durch die Beschneidung sozialrechtlicher Gebühren der Zugang zum Recht erschwert, wenn nicht gar verwehrt würde. Kilger machte deutlich, dass seit langem eine Querfinanzierung sozialrechtlicher Mandate durch Mandate aus anderen Rechtsgebieten nicht mehr möglich sei. Es zeige sich, dass es immer mehr zu 842 AnwBl 12 / 2009

48 MN Aus der Arbeit des DAV einer auch innersozialrechtlichen Spezialisierung komme, die auch für den spezialisierten Sozialrechtler eine Querfinanzierung innerhalb des Spezialgebiets unmöglich mache. Rechtsanwalt Dirk Hinne stellte die Gebühren des gesetzlichen Normalfalls nach BRAGO und nach RVG gegenüber. Hinne hob deutlich hervor, dass bereits bei dem von dem Gesetzgeber gewollten Normalfall durch das RVG keine Besserstellung der sozialrechtlichen Gebühren erreicht wurde. Zu einem Nachteil verkehrten sich die RVG-Regelungen dadurch, dass der von dem Gesetzgeber vorgesehene Normalfall nicht Regelfall in der sozialrechtlichen Praxis sei. Den Ansatz von Rechtsanwalt Kilger aufnehmend verwies Richter am Landessozialgericht Falko Meyer darauf, dass den Gerichten aus Diskussionen mit medizinischen Sachverständigen seit langem bekannt sei, dass Sachverständige, die allein nach den gesetzlichen Gebühren vergütet werden sollten, zu einer Tätigkeit für die Sozialgerichte nicht mehr bereit gewesen seien. Man habe im Dialog mit den Sachverständigen Lösungen gefunden. Meyer regte, dass man in Kostenfestsetzungsverfahren Abweichungen vom Normalfall darlegen solle, um etwa in einem Einstweiligen Anordnungsverfahren das Überschreiten der für diese Verfahren als angemessen angesehene 2/3-Mittelgebühr zu erreichen. Der Bezirksrevisor am Hessischen Landessozialgericht Heinz Wick wies in seinem Vortrag auf die wirtschaftlichen Zwänge hin, denen man in der Kostenfestsetzung unterworfen sei. In der sich anschließenden Diskussion wurde auch deutlich, dass die Kostenentscheidungen die im Sozialrecht tätigen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte nicht nur in eine schwierige wirtschaftliche Situation bringen kann, sondern auch als Nichtachtung anwaltlicher Tätigkeit im Sozialrecht verstanden werden müssen. Wenn der Fiskus, so Rechtsanwalt Gottfried Krutzki, von den im Sozialrecht tätigen Anwälten doppelt, ja dreifache, Sonderopfer verlangen, könne dies allein mit der Überbewertung fiskalischer Interessen erklärt werden. Krutzki bemängelte, dass die Gerichte die Möglichkeiten des RVG nicht ausschöpfen, sondern immer zugunsten der öffentlichen Hand Entscheidungen treffen. Auch aus der teilnehmenden Richterschaft wurden kritische Stimmen laut. So wurde etwa darauf verwiesen, dass der in den Kostenverfahren erforderliche Aufwand einer betriebswirtschaftlichen Betrachtung nicht gerecht wurde. Mit Interesse wurden daher auch Ausführungen von Rechtsanwältin Claas aufgenommen, die davon berichtete, dass sie in der Zwischenzeit dazu übergehe, in einem Vergleich, der in einer mündlichen Verhandlung getroffen wird, nicht nur Kostengrundentscheidungen zu regeln, sondern Absprachen auch über die Gebührenhöhe selbst zu treffen. Die Veranstaltung in Darmstadt kann nur der Anfang weiterer Gespräche über das sozialrechtliche Gebührenrecht sein. Werden Kostenbeamte und Proberichter geschult, sollte es selbstverständlich sein, dass auch die Anwaltschaft Gelegenheit erhält, anwaltliches Tätigsein im Sozialrecht darzustellen. Nur im Dialog kann es gelingen, Positives für die Anwaltschaft zu bewirken. Rechtsanwalt Martin Schafhausen, Frankfurt am Main Deutsche Anwaltakademie Nachrichten Betriebsratswahl 2010 Wichtig für im Arbeitsrecht tätige Rechtsanwälte und leitende Mitarbeiter in Personalabteilungen: Im Frühjahr 2010 werden neue Betriebsräte gewählt. Anhand von Checklisten und Mustern werden am die gesetzlichen Regelungen zur Wahl im BetrVG sowie die Wahlordnung, die die Detailfragen des Wahlverfahrens regelt, vorgestellt. Bildungsscheck in Brandenburg Neben Nordrhein-Westfalen fördert nun auch Brandenburg Arbeitnehmer bei beruflicher Fort- und Weiterbildung. Anspruchsberechtigt sind sozialversicherungspflichtig angestellte Personen. Der Bildungsscheck bietet einen Zuschuss von bis zu 500 Euro zur Seminargebühr (mit Eigenbeteiligung des Arbeitnehmers). Informationen zu den Bildungsschecks im Internet unter und Rekord beim 4. Deutschen Handels- und Gesellschaftsrechtstag Der Deutsche Handels- und Gesellschaftsrechtstag in Berlin hat in diesem Jahr deutlich die Zahl von 150 Teilnehmern überschritten. Bei der Tagung der AG Handels- und Gesellschaftsrecht in Zusammenarbeit mit der Deutsche Anwaltakademie referierten u. a. Prof. Dr. Ulrich Seibert über mögliche Gesetzgebungsvorhaben im Gesellschaftsrecht in der neuen Legislaturperiode und Prof. Dr. Tim Drygala zur Haftung von Aufsichtsorganen. Richter des Bundesverfassungsgericht, Prof. Dr. Reinhard Gaier (2.v.r.) mit Rechtsanwalt Hartmut Kilger (r.), Mitglied des Präsidiums des Deutschen Anwaltvereins. Neu: Kompakt-Seminare in Baden-Württemberg In Kooperation mit dem Anwaltverband Baden-Württemberg werden ab 2010 neue Seminare in Heilbronn, Ulm und Villingen-Schwenningen angeboten. Die Themen reichen vom Arbeits- über Familienrecht bis zur Abrechnung mit der Rechtschutzversicherung. Infos unter AnwBl 12 /

49 MN Aus der Arbeit des DAV AG Verwaltungsrecht Bayern Bundesverfassungsgericht: Anwälte angemessen honorieren Richter des Bundesverfassungsgerichts referierte Die verfassungsrechtliche Stellung des Anwalts wirft immer wieder spannenden Fragen auf, ist der Anwalt doch ausdrücklich in der Verfassung nicht erwähnt. Auf der Herbsttagung der Landesgruppe Bayern der AG Verwaltungsrecht in Regensburg sprach Prof. Dr. Reinhard Gaier, Richter des Bundesverfassungsgerichts und Ersten Senats des Bundesverfassungsgericht für das Berufsrecht zuständig. Prof. Dr. Reinhard Gaier lieferte im Rahmen seines Referats Aktuelle Verfassungsfragen des Anwaltsberufs Belege für die These, dass der Anwaltsberuf durch seine besondere Funktion im Rechtsstaat einen herausgehobenen grundrechtlichen Schutz genieße. Gaier stellte heraus, dass Rechtsanwälte nicht nur am allgemeinen Schutz des Art. 12 GG teilnähmen, sondern wegen des Rechtsstaatsprinzips gewissermaßen reflexiv begünstigt seien. Dazu nannte er einige Beispiele: 9 Mit Beschluss vom (1 BvR 848/07, AnwBl 2009, 223) gab das Bundesverfassungsgericht einem Rechtsanwalt Recht, der sich gegen einen wegen Verstoß gegen 12 BORA (Umgehungsverbot) erteilten Verweis zur Wehr gesetzt hatte. Er hatte in Abwesenheit des gegnerischen Kollegen einen vom Gericht empfohlenen Vergleich abgeschlossen, was zu Gunsten und im Interesse seines Mandanten aber zulässig sei. 9 Dass nach dem Grundsatz iura novit curia die rechtliche Beurteilung des Prozessstoffs alleine beim Gericht liege und der Rechtsanwalt deshalb bei einer (verhinderbaren) Fehlentscheidung nicht haften soll, sieht das BVerfG allerdings nicht. Mit Beschluss vom (1 BvR 386/09, NJW 2009, 2945) gab es dem BGH, der den unkundigen Rechtsanwalt zum Schadensersatz verpflichtet hatte, in Ergänzung der Entscheidung aus dem Jahr 2002 (1 BvR 399/02, AnwBl 2002, 655) Recht. 9 Angesichts ständig steigender Staatsschulden und knapper Justizkassen merkte Gaier kritisch an, dass sich die materielle Absicherung eines menschenwürdigen Daseins nicht an Renditeerwartungen messen lasse müsse. Prozesskostenhilfe sei Verpflichtung des Staates, keine Wohltat (vgl. Beschluss vom BvR 2310/06, AnwBl 2008, 874 [Beratungshilfe], und Beschluss vom BvR 2251/08 AnwBl 2009, 554 [Pflichtverteidigerhonorar]). Keine Kürzung bei PKH Gaier betonte deshalb, dass das BVerfG konsequent der Beutelschneiderei durch ungerechtfertigte Kürzung von Prozesskostenhilfe entgegentrete: Schon Mitte 2005 habe das Bundesverfassungsgericht darauf hingewiesen, dass die Deckelung des Streitwerts in Ehesachen (vgl. 48 GKG) auf Euro in Fällen der Prozesskostenhilfe verfassungswidrig sei. In Folge hätten zahlreiche Oberlandesgerichte ihre bisherige Praxis aufgegeben. Fast alle. Das BVerfG war hier gezwungen, mit Beschlüssen vom (1 BvR 177/08, NJW 2009, 1197; 1 BvR 1369/08, FamRZ 2009, 491) einem letzten Oberlandesgericht (OLG Oldenburg) objektiv willkürliche (!) Entscheidungspraxis zu attestieren. Die Feststellung des Bundesverfassungsgerichts, dass der Staat den Rechtsanwälten angemessenes Honorar für ihre Dienste schulde, ist nach Gaier ein Beleg dafür, dass es die Berufsfreiheit der Rechtsanwälte auch und gerade wegen ihres Bezugs zur Rechtsstaatlichkeit besonders ernst nehme. Im Anschluss an das Referat entwickelte sich eine angeregte Diskussion zwischen den Teilnehmern, die Anwaltschaft und Justiz gleichermaßen repräsentierten. Die Herbsttagung der AG Verwaltungsrecht Bayern war damit nicht nur lehrreich. Sie gab zugleich Anregungen für eine weiterhin kollegiale und respektvolle Zusammenarbeit. Rechtsanwalt Dr. Matthias Ruckdäschel, Regensburg AG Verkehrsrecht Anwaltstagung lockte Verkehrsjuristen aus allen Bereichen 29. Homburger Tage mit vielen BGH-Richtern Die Homburger Tage sind nach dem Verkehrsgerichtstag in Goslar das bedeutendste Treffen der Verkehrsjuristen in Deutschland. Mitte Oktober fanden sie zum 29. Mal in Homburg/Saar statt. Rechtsanwalt Justizrat Gebhardt, der langjährige Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht, konnte unter den 150 Teilnehmern viel Prominenz begrüßen. Der IV. und der VI. Zivilsenat sowie der 4. Strafsenat des BGH waren durch ihre Vorsitzenden vertreten. Insgesamt nahmen 12 Bundesrichter an den Homburger Tagen teil. Auch zahlreiche hochrangige Vertreter der saarländischen und rheinland-pfälzischen Richterschaft waren nach Homburg gekommen. Viele Repräsentanten der wichtigsten Versicherer waren erschienen. Der Richter am BGH Karl-Heinz Stöhr (VI. Zivilsenat) sprach zu Ausgewählten Fragen zum Verschulden gegen sich selbst oder Mitverschulden. Die Frage, inwieweit einem Fahrradfahrer ohne Sturzhelm bei einem Unfall ein Mitverschulden zuzurechnen sei, ließ Stöhr offen, da der BGH hierzu noch nicht entschieden habe. Zahlreiche Rechtsanwälte kritisierten im Anschluss an den Vortrag die Rechtsprechung des BGH zum so genannten Unfallersatztarif. Diese überfordere den Geschädigten, da bei Anmietung eines Mietwagens zum Unfallersatztarif häufig eine Verletzung der Schadensminderungspflicht bejaht werde. Dem widersprachen die Versicherer energisch. Vergleichen oder entscheiden? Im Anschluss daran referierte Richter am BGH Karl-Heinz Seiffert (IV. Zivilsenat) über neuere Entscheidungen des Senats zur Lebensversicherung. Auf besonderes Interesse stießen hierbei auch anlässlich des traditionellen Pressegesprächs seine kritischen Anmerkungen zu Nichtentscheidungen. Seiffert konstatierte, dass die Versicherer häufig kein Interesse an höchstrich- 844 AnwBl 12 / 2009

50 MN Aus der Arbeit des DAV terlicher Klärung einer Streitfrage hätten. Sie strebten in Verfahren oft eine außergerichtliche Einigung an, um ein für sie ungünstiges BGH-Urteil zu verhindern. Der frühere Generalbundesanwalt und jetzige Präsident des Verkehrsgerichtstages Kay Nehm sprach im Hinblick auf die Möglichkeit, noch in der mündlichen Verhandlung ohne Zustimmung des Gegners eine Revision zurücknehmen zu können, von einer systemwidrigen Entwicklung und forderte insoweit eine Korrektur der ZPO. Es könne nicht sein, dass Arbeitsressourcen eines BGH-Senats verpulvert würden, ohne dass am Ende eine höchstrichterliche Entscheidung stünde. Wilfried Terno, der Vorsitzende des IV. Zivilsenats, widersprach, indem er auf die im Zivilprozess vorherrschende Dispositionsmaxime hinwies und es als gutes Recht der Parteien bezeichnete, sich außergerichtlich zu einigen. Schadensfall und Strafrecht Dr. Norbert Mutzbauer, Richter am 4. Strafsenat des BGH, wies in seinem Referat Strafrechtliche Verantwortung bei Fehlverhalten Dritter unter anderem anhand des Transrapidunfalls darauf hin, dass häufig fehlgeschlagene Aufgabenteilung und Pflichtendelegation zu erheblichen Schwierigkeiten bei der strafrechtlichen Bewertung eines Schadenfalls führen. Den Abschlussvortrag hielt Dipl.- Ing. Prof. Dr. Ernst Pfleger aus Wien. Er berichtete über neueste Analysen von Reaktions- und Gefahrenerkennungszeiten. Pfleger machte deutlich, dass die Analyse des Blickverhaltens von Fahrzeuglenkern mit den modernsten Blickuntersuchungen es ermögliche, Unfallursachen exakt aufzuklären. Gebhardt erhob deswegen die Forderung, dass die Erkenntnisse Pflegers zur Gefahrenerkennungs- und Reaktionszeit auch Einfluss auf die unfallanalytischen Gutachten haben müssen. Rechtsanwältin Bettina Bachmann, Berlin Anwaltverein Stuttgart Rechtsrat am Riesenrad Anwälte zum Anfassen 25 Jahre Anwaltlicher Notdienst für Strafsachen Nicht mit einem großen Festakt, sondern bei den Bürgern hat der Anwaltverein das Jubiläum des Anwaltlichen Notdienstes für Strafsachen gefeiert nämlich auf dem Cannstatter Volksfest. Für alle, die nur einmal telefonieren dürfen. Diese Aufschrift lockte die Besuchermassen des Cannstatter Volksfestes an das Infomobil des Stuttgarter Anwaltvereins Anfang Oktober. Ob man bei Festnahme tatsächlich nur einmal telefonieren dürfe, wurden die Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte häufig gefragt. Dank dieses Anknüpfungspunkts konnten die Mitglieder des Anwaltvereins Stuttgart über den Anwaltlichen Notdienst für Strafsachen aufklären. Wir waren zur richtigen Zeit am richtigen Ort, um das ehrenamtliche Angebot des Stuttgarter Anwaltvereins den Anwaltlichen Notdienst für Strafsachen im Bewusstsein der Bevölkerung zu verankern, resümiert Rechtsanwalt Dr. Olaf Hohmann, Vorstandsmitglied und Leiter des Anwaltlichen Notdienstes für Strafsachen. Die Aktion Rechtsrat am Riesenrad fand anlässlich des 25jährigen Jubiläums des Anwaltlichen Notdienstes für Strafsachen in Stuttgart statt. Insgesamt 24 Kolleginnen und Kollegen, überwiegend Teilnehmer am Anwaltlichen Notdienst, beteiligten sich ehrenamtlich an der Jubiläumsaktion. Das Interesse der Volksfestgänger war groß: Was macht denn der Anwaltverein hier?, Ist der Anwaltliche Notdienst neu?, Wieso seid ihr Anwälte hier? Die Reaktionen auf das Angebot des Anwaltlichen Notdienstes waren durchweg positiv: Gut zu wissen, dass es so was gibt!, Man weiß ja nie, ob man so was mal braucht! Es wurde nach den Kosten, die durch Anruf des Anwaltlichen Notdienstes entstehen, gefragt und man lobte das ehrenamtliche Engagement der Anwälte. Reißenden Absatz fanden die Werbemittel, bei den Kleinen die Süßigkeiten, bei den Großen die eigens für die Aktion hergestellten Feuerzeuge mit aufgedruckter Notrufnummer des Anwaltlichen Notdienstes. Insgesamt sind Feuerzeuge, Bonbondosen, sechs Kilogramm Traubenzucker und 500 Textmarker verteilt worden, zwei Drittel davon am Feiertag, dem umsatzstärksten Tag seit Jahren, wie die Veranstaltungsgesellschaft des Volksfests berichtete. Die Idee zur Aktion,Rechtsrat am Riesenrad war eine tolle Idee!, lobte Rechtsanwalt Andreas Baier, der zu später Stunde seinen Dienst am Infomobil des Stuttgarter Anwaltvereins versah und daran sichtlich Spaß hatte. So können wir den Leuten zeigen, dass wir Anwälte auch ganz normale Menschen sind! Rechtsanwältin Anke Haug, Renningen Informationen zur Arbeitgemeinschaft Verkehrsrecht sind im Internet abrufbar unter Die 30. Homburger Tage werden vom 15. bis 17. Oktober 2010 statt finden. Werbung für die Anwaltschaft beim Cannstatter Volksfest in Stuttgart. AnwBl 12 /

51 MN Aus der Arbeit des DAV AG Anwältinnen Krisenmanagement für die Anwältin von der Anwältin Herbstkonferenz in München: Keep Smiling mit Biss Netzwerke bilden. Das ist eine der wichtigsten Funktionen der Anwältinnen-Konferenzen. Die 10. der vor fünf Jahren gegründeten Arbeitsgemeischaft Anwältinnen fand Anfang Oktober statt. Mitten im Zentrum der bayerischen Hauptstadt trafen sich Anwältinnen aus den verschiedensten Rechtsgebieten, um sich mit Kolleginnen auszutauschen und über berufliche und private Zielsetzungen zu diskutieren. Ziel der zahlreichen Vorträge und Workshops war es wie auch schon den vorherigen Anwältinnen-Konferenzen Impulse für die berufliche und auch private Situation von Anwältinnen zu geben. Auf den Spuren von der ersten Rechtsanwältin Deutschlands Dr. Maria Otto war 1922 als erste deutsche Anwältin durch das Bayerische Staatsministerium als Rechtsanwältin in München zugelassen worden fanden sich die Teilnehmerinnen und Gäste zum Empfang in der Juristischen Bibliothek im Rathaus der Stadt München ein. Zuvor hatte das Organisationsteam um Rechtsanwältin Sabine Feller aus München einen Besuch der Münchner Synagoge Ohel-Jakob ermöglicht. Manch eine Teilnehmerin fühlte sich beim Referat Die ersten 100 Tage im Job und danach aus Sicht einer Personalleitung von Dr. Isabel Theilen an ihren eigenen Start in den Anwaltsberuf erinnert. Als Rechtsanwältin Sabine Kilper über ihre persönlichen Höhen und Tiefen im Berufsleben berichtete, bestätigten die Kolleginnen ihr durchweg, dass Anwältin zwar der schönste Beruf der Welt sei. Dennoch sind sich alle einig, dass eine langfristig erfolgreiche und zugleich zufriedenstellende Arbeit als Anwältin nur bei einer stabilen Work-Life-Balance möglich ist. Die Anwältinnen Monika Roas und Grit Sänger gaben umfassenden Einblick in ihre Tätigkeit als selbständige Anwältin und zeigten, dass Karriere und Kinder nicht nur gut zu vereinbaren seien, sondern dies auch erstrebenswert sei. Theorie und Praxis in Workshops In den Workshops der Konferenz ging es nicht nur um die Theorie wie Neueste Tipps und Tricks zu Vergütungsvereinbarungen und RVG (Rechtspflegerin Karin Scheungrab), sondern auch um handfeste Praxis: Take Five, die fünf Grundlagen der Kommunikation im Mandat (Regisseurin und Coach Gisela Maria Schmitz). Die Teilnehmerinnen erfuhren praxisnah, wie sehr Kommunikation nicht (nur) über Worte, sondern hauptsächlich über die Gebärden erfolgt. Johanna Busmann trainierte die erfolgreiche Akquisition; um Erfolgshonorar und Prozessfinanzierung ging es im Workshop von Rechtsanwältin Birte Meyer. Abends diskutierten unter der Moderation von Dr. Susanne Betz (Bayerischer Rundfunk) Unternehmerinnen, eine Politikerin und eine Anwältin über das Thema Krise. Ihr Fazit: Eine Krise kann auch eine Chance sein. Das vorhandene Netzwerk konnte am nächsten Morgen beim Frühstücksnetworking noch ausgebaut werden. Die Themen Finanzen (Susanne Fischer) und Datenzschutz (Rechtsanwältin Isabell Conrad) rundeten das Programm ab. In der Mitgliederversammlung berichtete die Vorsitzende der AG Anwältinnen Silvia Groppler über die Entwicklung und Aktivitäten der Arbeitsgemeinschaft. Sabine Feller schied aus beruflichen Gründen aus dem Geschäftsführenden Ausschuss aus. Beatrice Hesselbach wurde als neues Mitglied in den Geschäftsführenden Ausschuss gewählt. Rechtsanwältin Beatrice Hesselbach, Villingen-Schwenningen 1 Die nächsten Anwältinnen-Konferenzen finden in Aachen (im Rahmen des Deutschen Anwaltstages, 13. bis ) und in Bremen (30.9. bis ) statt. Weitere Informationen zur Arbeitsgemeinschaft Anwältinnen und deren Veranstaltungen finden Sie unter Podiumsdiskussion mit (v.l.n.r.): Michaela Schenk (Inhaberin der Mawa GmbH), Margarete Bause (Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bayerischen Landtag), Dr. Susanne Betz (Bayerischer Rundfunk), und Rechtsanwältin Alice von Bezold (Fachanwältin für Insolvenzrecht)und Gabi Meyer-Brühl (Geschäftsleiterin der Seefelder Möbelwerkstätten) über das Thema Krise. 2 Der neu gewählte Geschäftsführende Ausschuss der AG Anwältinnen (vl.n.r.): Rechtsanwältinnen Dr. Katharina Freytag (DAV-Geschäftsführung), Heike Brüning-Tyrell, Sabine Feller (aus dem Geschäftsführenden Ausschuss ausgeschieden, Organisatorin der Anwältinnenkonferenz in München), Silvia C. Groppler (AG-Vorsitzende), Dr. Barbara Meyer, Edith Kindermann, Mechtild Düsing, Beatrice Hesselbach (Eva Kuhn fehlt). 846 AnwBl 12 / 2009

52 MN Aus der Arbeit des DAV AG Erbrecht Mitgliederversammlung Zum fünften Mal lädt die Arbeitsgemeinschaft Erbrecht des Deutschen Anwaltvereins zu ihrem Erbrechtstag am 19. und 20. März 2010 sowie zu ihrer Mitgliederversammlung ein. Die Mitgliederversammlung findet am Samstag, den 20. März 2010 um 15:00 Uhr im Hotel Palace Berlin, Budapester Straße 45, Berlin, statt. Tagesordnung: 1. Geschäftsbericht des Vorsitzenden des Geschäftsführenden Ausschusses 2. Bericht des Schatzmeisters 3. Bericht des Kassenprüfers 4. Aussprache 5. Entlastung des Geschäftsführenden Ausschusses 6. Wahl der Kassenprüferin/des Kassenprüfers 7. Verschiedenes Anträge zur Tagesordnung sind spätestens 21 Tage vor der Mitgliederversammlung beim Geschäftsführenden Ausschuss eingehend unter der Anschrift: Arbeitsgemeinschaft Erbrecht des DAV, Littenstraße 11, Berlin, zu stellen und müssen von mindestens 10 Mitgliedern unterstützt werden. Personalien Neues Mitglied im Kuratorium der DAV-Stifung Der Zeithistoriker Wolfgang Benz ist neues Kuratoriumsmitglied der DAV- Stiftung contra Rechtsextremismus und Gewalt. Prof. Dr. phil. Wolfgang Benz war bis 1990 Mitarbeiter des Instituts für Zeitgeschichte. Seitdem ist er Professor und Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung an der TU Berlin. Er ist Herausgeber des Jahrbuchs für Antisemitismusforschung, Mitherausgeber der Dachauer Hefte und der Zeitschrift für Geschichtswissenschaft erhielt er den renommierten Geschwister-Scholl-Preis. Benz hat zahlreiche Veröffentlichungen zur deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert vorgelegt. Die DAV-Stiftung übernimmt die Kosten für Rechtsberatung und Rechtsvertretung von bedürftigen Opfern politisch motivierter Gewalttaten. Die übrigen Mitglieder des Stiftungskuratoriums: Rechtsanwalt Micha Guttmann, Rechtsanwalt und Notar Ulrich Schellenberg, Rechtsanwalt Oskar Riedmeyer, Rechtsanwalt Dr. Michael Streck, Rechtsanwalt Dr. Cord Brügmann. Neuer AG-Vorsitzender Rechtsanwalt Thomas Oberhäuser aus Ulm wurde zum neuen Vorsitzenden des Geschäftsführenden Ausschusses der Arbeitsgemeinschaft Ausländer- und Asylrecht gewählt. Er tritt die Nachfolge von Rechtsanwältin Susanne Schröder an, die der Arbeitsgemeinschaft seit Juni 2003 vorstand und vom DAV-Präsidium vorläufig zur Vorsitzenden des Ausschusses Ausländer- und Asylrecht bestellt worden. Oberhäuser wurde auf der Mitgliederversammlung Ende Juni 2009 in Köln zum Vorsitzenden gewählt. Bernhard Töpper aus dem ZDF ausgeschieden Rechtsanwalt Bernhard Töpper ist Ende November 2009 als Leiter der Redaktion Recht und Justiz des ZDF altersbedingt ausgeschieden. Er war bereits als Student und Rechtsreferendar freier Mitarbeiter im ZDF-Landesstudio Niedersachsen in Hannover. Dem ZDF blieb er auch nach seinem zweiten juristischen Staatsexamen 1974 in der Redaktion Recht und Justiz und zwei Jahre später als fest angestellter Redakteur treu. Nach seiner Tätigkeit als Assistent des ZDF-Chefredakteurs von 1978 bis 1981 war er Redakteur im heute-journal des ZDF. im Juni 1984 übernahm er die Leitung der Senderedaktion Recht und Justiz. Ab 1990 moderierte Töpper die ZDF-Rechtsserie Wie würden Sie entscheiden? und seit 1993 regelmäßig auch das 3sat-Gerichtsmagazin Recht brisant. Seit März 1998 ist er auch als Rechtsanwalt zugelassen. Bereits im Jahre 1985 hat Bernhard Töpper gemeinsam mit Karl-Dieter Möller für die Sendung Klartext Lebenslänglich zahlen?, gesendet im ZDF am 6. Februar 1985, den Pressepreis des Deutschen Anwaltvereins erhalten. Für den DAV war er ein besonderer Ansprechpartner bei den Überlegungen, gemeinsame Regelungen der Anwaltschaft und den Medien zu schaffen, um das Thema Rechtsberatung in den Medien auf ein seriöses und rechtlich zulässiges Fundament zu stellen. In seiner Tätigkeit war er der deutschen Anwaltschaft und auch dem DAV stets verbunden. Rechtsanwalt Swen Walentowski, DAV, Berlin AG Sportrecht DAV-Wertung beim Berlin Marathon 2009 Auch 2009 hat die Arbeitsgemeinschaft Sportrecht im DAV die Siegerpreise für die Anwältinnen und Anwälte gestiftet, die dieses Jahr an der DAV-Sonderwertung zum Berlin-Marathon teilgenommen haben. Am 21. September 2009 wurden die Erstplatzierten im DAV-Haus empfangen und mit den Preisen geehrt. Bei der Platzierung ergaben sich folgende Ergebnisse: Läufer: 1. Dr. Bernhard Glasow (02:59:23), 2. Dr. Markus Dönneweg (03:04:07), 3. Dr. Markus Kramer ( ), Läuferinnen: 1. Dominica Einige Teilnehmer des Berlin-Marathons im DAV-Haus mit DAV-Geschäftsführer Rechtsanwalt Swen Walentowski (2.v.r.) Baten (05:10:33), 2. Anna Garsky (05:25:22); Skater: 1. Dr. Jens Kroll (01:26:28), 2. Sven Tamoschus (01:34:05), 3. Daniel Weißmann (01:36:50), Skaterinnen: 1. Juliane Eifler (01:41:18), 2. Angela Knöfel (01:44:40) AnwBl 12 /

53 MN Meinung & Kritik Das Berufsethos des Insolvenzverwalters in der modernen Marktgesellschaft * Prof. Dr. Rolf Stürner, Freiburg Der Blick auf 60 Jahre bundesrepublikanischer Ordnung zeigt: Das Recht ist genauso wie die Insolvenz zum Business geworden. Doch nicht zuletzt die Finanzkrise hat die Diskussion um das Ethos wieder aufleben lassen. Der Autor wirft am Beispiel der Insolvenzverwalter auch einen kritischen Blick auf die Anwälte. Sein Fazit: Die Eliten haben versagt, als sie die überkommene soziale Ethik wie gebrauchte Wäsche ablegten. I. Recht, Berufsethos und Gesellschaft Das Verhältnis von Berufsrecht und Berufsethik näher zu beschreiben, mag wie jede Analyse des Verhältnisses von Recht und Ethik weites Ausholen verlangen. Sicherlich besteht zunächst einmal eine Wechselwirkung. Die Ethik beeinflusst das Recht und umgekehrt. Man wird generell sagen können, dass Ethik die Wertvorstellungen verkörpert, die das Recht prägen. Andererseits kann sich Ethik auf Dauer gegen eine gelebte Rechtsordnung nicht behaupten, die abweichende oder gar gegenläufige Wertvorstellungen verwirklicht. Wo indessen die Rechtsordnung wie häufig Handlungsspielräume lässt, können Ethik und berufliches Ethos diese Spielräume ausfüllen. Eine berufliche Ethik ist dabei auch stets abhängig von einem gesamtgesellschaftlichen Grundkonsens, wie er sich in der Demokratie vor allem in der öffentlichen Meinung bildet. II. Die formierte deutsche Gesellschaft der frühen Bundesrepublik, ihr Ethos und die Insolvenzverwaltung 1. Die Gesamtstruktur der Gesellschaft Die Marktwirtschaft der ersten Jahrzehnte der Bundesrepublik, die gemeinhin durch das Schlagwort soziale Marktwirtschaft charakterisiert wird, hatte keine monistische Struktur. Neben gewinnmaximierenden Wettbewerb traten zwei wichtige andere Elemente, die begrenzende und ausgleichende Funktion hatten: die kollektive Organisation von Marktgleichgewichten, wie sie etwa in der Tarif- und Sozialpartnerschaft sichtbar wurde, und die quersubventionierende öffentliche Daseinsvorsorge. Es war ein stark normativ gestalteter Markt, der eine formierte Gesellschaft schuf. In der heutigen Zeit werden die Grundzüge dieses Gesellschaftsmodells oft marktwirtschaftlich idealisiert. Der Realität dieser Zeit entspricht dies nicht. Diese Gesellschaft organisierte als formierte Gesellschaft bewusst Quersubventionierungen, ihre Solidarität beschränkte sich nicht auf Darlehensvergabe zum Hilf Dir selbst. Was war das Ethos dieser Gesellschaft? Es war durchaus stärker als etwa damals in Frankreich und England der Gedanke persönlicher und wirtschaftlicher Freiheit auch zur Gewinnmaximierung. Aber er paarte sich in der Tradition christlicher Soziallehre und sozialistisch orientierter Gesellschaftstheorien mit dem Gedanken der Mäßigung und verteilender Gerechtigkeit. Die Vorstellung, Zinsgewinn, Spekulationsgewinn oder hohe Gewinnspanne, die über Entgelt für redliche Arbeit hinausgehen, sei mit gesellschaftlicher Moral unvereinbar, hat die deutsche Gesellschaft über lange christlich beeinflusste Epochen und über lange Epochen sozialer Verteilungskämpfe geprägt. Spekulation als Gewinnquelle, wie sie der eigentlich freie Markt erlaubt und herausfordert, war in dieser offiziellen Moral eher verpönt. In diesem Gesellschaftsmodell gebändigter Gewinnerzielung sprengte großer Reichtum die erwünschte soziale Proportionalität und unterlag gemischter Bewertung. Man könnte allenfalls von einer Art kritischer Bewunderung sprechen. 2. Die Unabhängigkeit freier Berufe vom Mandanten Ethos und Recht der rechts- und wirtschaftsberatenden Berufe waren ursprünglich nicht nur vom liberalen Gedanken der Unabhängigkeit vom Staat geprägt, sondern auch stark von der Vorstellung, die persönliche und wirtschaftliche Unabhängigkeit von Rechtsanwälten ( Organ der Rechtspflege ), Notaren oder Wirtschaftsprüfern von ihrem Klientel und ihrer Mandantschaft sei ein zentrales Anliegen der Allgemeinheit. Dieser Status der Distanz zum Mandanten und zu unmittelbarem Gewinnstreben war durch ein relativ dichtes Netz von Verhaltens- und Organisationsregeln des Standesrechtes reglementiert, z. B. Rechtsberatungsmonopol, Werbeverbote, Vorschriften gegen überregionale gemeinschaftliche Berufsausübung, Lokalisationspflichten, Regeln guter beruflicher und kollegialer Praxis, Regeln über beschränkte instanzielle Zulassung etc. Relative Unabhängigkeit gegenüber dem eigenen Mandanten und Distanz zum Gewinnstreben kamen auch im Gebührenrecht zum Ausdruck, das durch ein System der Pauschalierung und das Verbot erfolgsorientierter Honorierung Art der Erledigung und Gewinnstreben in gewisser Weise entkoppelte. 3. Die Insolvenzverwaltung und ihr Ethos a) Die Jahrzehnte des Aufbaus In der formierten Gesellschaft der Bundesrepublik stand zunächst wohl eher ein rein liquidatives, vollstreckendes Verständnis der Insolvenz im Vordergrund. Das Geflecht der Deutschland AG versuchte systemschädliche Insolvenzen schon im Vorfeld möglicher Verfahren abzufangen und war dazu um der Verflechtungen willen auch vielfach in der Lage. Wo diese vorinsolvenzliche Sanierungspraxis scheiterte, war das Bestreben nach verfahrensmäßiger Sanierung relativ schwach ausgeprägt. Die Quote erfolgreicher Vergleiche unter der alten Vergleichsordnung oder gar erfolgreicher Zwangsvergleiche unter der alten Konkursordnung war denkbar gering. Der Insolvenzverwalter oder besser: der Konkursverwalter dieser ersten beiden Jahrzehnte der Bun- * Der Beitrag ist die stark gekürzte Fassung eines Vortrags, den der Verfasser auf der Eröffnungsveranstaltung des 6. Deutschen Insolvenzrechtstags der Arbeitsgemeinschaft Insolvenzrecht und Sanierung im Deutschen Anwaltsverein am in Berlin gehalten hat. Die vollständige Fassung mit Nachweisen ist veröffentlicht in ZZP 122 (2009), Einzelne Teile der Gedankenführung folgen der Monographie Stürner, Markt und Wettbewerb über Alles? Gesellschaft und Recht im Fokus neoliberaler Marktideologie, AnwBl 12 / 2009 Das Berufsethos des Insolvenzverwalters in der modernen Marktgesellschaft, Stürner

54 MN Meinung & Kritik desrepublik war mehr Liquidator als Unternehmer. Er war den teilweise kollidierenden liquidativen Interessen verschiedener Gläubigergruppen und des Schuldners verpflichtet und dabei so die berühmte Formulierung Fritz Baurs in seiner Interessenausrichtung mehrseitig fremdbestimmt. Es ist charakteristisch, dass die Dogmatik dieser Zeit die Funktion des Konkursverwalters mit der sog. Amtstheorie beschrieb. b) Die Erschütterungen der Folgejahrzehnte Die Jahrzehnte nach 1970 waren durch wirtschaftliche und gesellschaftliche Erschütterungen gekennzeichnet, die das Lebensgefühl fest gefügter Ordnung zu verunsichern begannen. Zwar waren die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Grundstrukturen keinen grundlegenden Veränderungen ausgesetzt, auch wenn dies Repräsentanten der sog. 68er-Bewegung immer wieder für sich in Anspruch nehmen. Jedoch begann man auch unter dem Einfluss akademischer sozialistischer Theorienbildung die Frage nach sozialer Gerechtigkeit neu und intensiver zu stellen. So konnte es nicht ausbleiben, dass unternehmerische Verantwortung und unternehmerisches Versagen mit seinen Folgen für die abhängige Arbeitnehmerschaft kritischer gesehen wurde als die beiden Aufbaujahrzehnte zuvor. Auf das Insolvenzrecht und seine Praxis blieb dies nicht ohne intensive Folgen. Im Mittelpunkt unternehmerischer Zwecksetzung standen neben der Gewinnerzielung verstärkt die gesellschaftliche und soziale Funktion eines Unternehmens, seine Bedeutung für die regionale Struktur und die Bevölkerung einer Region. Dabei ging es nicht nur um Gewinnerzielung und Einkommensgrundlage der Arbeitnehmerschaft, sondern auch um die aktive Teilhabe der Arbeitnehmer am wirtschaftlichen Geschehen als wesentliches Element sozialer Kultur. Die Mitbestimmungsdiskussion und die vorsichtig ausbalancierende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts sind Ausdruck dieser Akzentuierung des Zeitgeistes. Die Insolvenzverwaltung hat diesen Paradigmenwechsel letztlich aufgenommen, ehe es zu einer gesetzgeberischen Aktivität überhaupt kommen konnte. Stärker als vorher rückten Unternehmenssanierung und Arbeitsplatzerhalt in den Vordergrund. Insolvenzverwalter bemühten sich um diese Zielsetzung auf zwei verschiedenen Wegen. Entweder versuchte man unter Wahrung der Identität des Unternehmensträgers Fortführung und Sanierung, indem man die Regeln der geltenden Vergleichs- und Konkursordnung interpretatorisch anpasste und zerdehnte und auf diese Weise neue Sanierungsmodelle entwickelte. Oder aber man betrieb die sanierende Liquidation, bei der lebensfähige Teile des Unternehmens durch einen neuen Unternehmensträger fortgeführt wurden ( auffangende Sanierung ). War der Insolvenzverwalter ursprünglich eher Liquidator mit mehrseitiger Fremdbestimmung, so wuchsen ihm nunmehr verstärkt unternehmerische Aufgaben zu. Nicht zufällig fiel mit dieser Wandlung der Aufgabenbestimmung der Beginn einer erneuten wissenschaftlichen Auseinandersetzung um die Frage zusammen, ob die Organtheorie die Stellung des Verwalters als Repräsentant eines insolventen Unternehmens nicht zutreffender erfasse als die überkommene Amtstheorie. Damit trat zum Ethos des korrekten und gerechten Liquidators das Ethos des Unternehmers, wie es sich in dem heiklen Koordinatensystem zwischen Gewinnerzielung und Gemeinwohlbindung in damaliger Zeit bewegte. Die Ethik sozial stark integrierten Unternehmertums lag dann später auch den ersten Entwürfen der Insolvenzrechtskommission zugrunde, wie sie schließlich vom Deutschen Juristentag 1986 in seltener Eintracht gutgeheißen wurden. Im Zentrum dieser Entwürfe standen Sanierung und Unternehmenserhalt unter der Aufsicht eines relativ starken Insolvenzgerichts mit durchaus weitreichenden Entscheidungsbefugnissen. Wie sehr sich der Gedanke des Unternehmenserhalts durchgesetzt hatte, zeigte sich unter anderem in einer verstärkten Einbindung der Sicherungsgläubiger, die eine wertmäßige Beteiligung an Insolvenzverlusten durchaus miteinschließen sollte. Der Wandel des oberen Bereichs der Insolvenzverwaltung zu einer Form des Unternehmertums hat die rechtliche Verfassung und das Standesrecht des Insolvenzverwalters zunächst unberührt gelassen. Er war Anwalt und als solcher Vertreter eines stark regulierten freien Berufs. Insolvency Administration as a Business war so wenig ein offenes Thema wie Law as a Business. Es gab Wettbewerb um gute Mandate, aber man hätte in dieser Zeit nicht mit einer Auflistung wichtiger und erfolgreicher Verwaltungen zu werben versucht oder für gute Plätze in Rankings die eigene Bedeutsamkeit mehr oder weniger öffentlich präsentiert. Verteilung und Verteilungskampf folgten eher informationellen Regelungsmustern. Man wollte gut verdienen, aber der dröhnende unternehmerische öffentliche Auftritt von Verwaltern und die Präsentation wirtschaftlichen Erfolgs als Gütesiegel entsprachen nicht oder noch nicht den Zeichen der Zeit. III. Die letzten beiden Jahrzehnte des Neoliberalismus und die Insolvenzverwaltung Die letzten beiden Jahrzehnte nach der Wiedervereinigung brachten der bundesrepublikanischen Wirtschaft und Gesellschaft grundlegende Veränderungen, deren Bedeutung vielen erst die letzten Monate angesichts der Finanz- und Wirtschaftskrise bewusst geworden ist. Recht und Gesellschaft gerieten kurz gesagt in den Fokus neoliberaler Marktideologie angloamerikanischer Prägung mit weitreichenden Folgen nicht nur für die wirtschaftliche und soziale Organisation der Gesellschaft, sondern auch für unternehmerische und gesellschaftliche Ethik. 1. Die Ausrichtung der Unternehmensführung am Marktwert des Unternehmens Unternehmen wurden unter der Ägide eines stark ausgebauten Kapitalmarktrechts vermehrt zum handelbaren Gut von Kapitalanlegern und Kapitalinvestoren, und dies nicht nur auf der Ebene von Großunternehmen, sondern bis hinab in den mittleren Unternehmensbereich. Auch Banken versuchten ihren Marktwert als Unternehmen zu steigern und begannen bei gleich bleibender Gewinnspanne Risiken auf Kapitalanleger voll auszulagern, gerieten dabei aber selbst als Anleger in den Bann raschen und risikoreichen Geldes. Unternehmensmanagement verstand sich stärker als vorher als Wertverwirklichung zugunsten der Eigner, wie dies im Corporate Governance Kodex für Aktiengesellschaften vom Gesetzgeber gebilligt unmissverständlich zum Ausdruck kommt. Das Berufsethos des Insolvenzverwalters in der modernen Marktgesellschaft, Stürner AnwBl 12 /

55 MN Meinung & Kritik 2. Law as a Business Die Regulierung der freien Berufe begann zu zerbrechen, der Topos ihrer Unabhängigkeit von der Mandantschaft verlor an Gewicht. Europäische und nationale Gesetzgebung und Rechtsprechung gingen mehr und mehr davon aus, der gemeinwohlbegründete Unabhängigkeitsstatus sei ein schlecht verschleiertes zünftisches Monopol, das die freien Berufe auf Kosten der Allgemeinheit und der Mandanten wirtschaftlich ohne kompetitive Leistungskontrolle bereichere. Im Zentrum stand nunmehr der Wettbewerb um die Dienstleistung für den Mandanten, dessen Erfolg am Gewinn zu messen war und auch anders als die Erfüllung der Rolle unabhängiger Beratung eher gemessen werden kann. Die Folgen dieses Dienstleistungsdenkens sind bekannt: Abbau der Vorschriften über Lokalisation oder beschränkte instanzielle Zulassung, Abbau vieler oder fast aller regulierenden Vorschriften, aber auch die volle Ökonomisierung der inneren Struktur von Großkanzleien mit wirtschaftlicher Erfolgskontrolle und Hierarchisierung, Beauty Contests um Mandate und Marketing-Maßnahme aller Art. Die Deregulierung ging allerdings einher mit Tendenzen zur Oligopolisierung bei der höheren und mittleren Anwaltschaft und ganz ausgeprägt bei Wirtschaftsprüfungsgesellschaften. 3. Das Ethos der neoliberalen Marktgesellschaft Was sind Ethik und Ethos dieser Gesellschaft der letzten zwei Jahrzehnte? Man kann diese Frage insofern nur schwer beantworten, als zwar einerseits die neue Ethik des Neoliberalismus die öffentliche und veröffentlichte Meinung zu prägen begann und wirkungsmächtige gestaltende politische Kraft entwickelte, andererseits aber auch noch weite Teile der Gesellschaft alten Vorstellungen anhingen und anhängen. Man tut der modernen Gesellschaft der Bundesrepublik aber kein Unrecht, wenn man feststellt, dass sich ihr offizielles Ethos die letzten Jahrzehnte vor der Finanzkrise stark an Markt und Wettbewerb orientiert hat und eine Anlehnung an die U.S.-amerikanische competitive society schwer zu übersehen ist. Der homo oeconomicus der Marktgesellschaft wurzelt sicher zu einem großen Teil im philosophischen Utilitarismus. Seine Erfolgsgeschichte der jüngsten Vergangenheit verdankt er aber durchaus einer wirtschaftswissenschaftlichen Theorienbildung, welche die westliche Zivilisation als Ideologie zu beherrschen begonnen hat, obwohl ihr Modellcharakter auf der Hand lag und ihre naive Umsetzung in die Realität bereits dem gesunden Menschenverstand kräftig widerspricht. Inzwischen darf solche Kritik bereits wieder auf zustimmende Resonanz hoffen, obwohl sie auch Nobelpreisträger betrifft, die sich in der medialen Öffentlichkeit immer noch einer Guru-Funktion erfreuen, und praktische Konsequenzen aus der Finanzkrise kaum gezogen sind. Die auf Gewinnorientierung verengte utilitaristische Ethik des Marktmenschen wird besonders deutlich bei der Diskussion um corporate governance und business ethics. Hier erschien der Gedanke mehr und mehr unvermarktbar, dass es business ethics geben könnte, die nachhaltig gewinnmindernd wirken könnten. Vielmehr versuchte man, business ethics dadurch schlagkräftig durchzusetzen, dass man ihre Befolgung zum Kriterium kapitalmarktmäßiger Beurteilung erhob oft im Wege der Selbstpräsentation und auf die Belohnung des Kapitalmarktes setzte ( long term shareholder value ): Ethik als geldwertes Erfolgsrezept. Auch in der modernen Diskussion um anwaltliches Ethos findet sich diese Form der Instrumentalisierung von Ethik. 4. Der Einfluss auf das Insolvenzrecht a) Das liberale Modell der neuen InsO Das neoliberale Grundverständnis hat Insolvenz und Insolvenzverwaltung sehr früh zu beeinflussen begonnen. Denn die neue Insolvenzordnung ist letztlich ein Kind des Neoliberalismus. Sie bekennt sich uneingeschränkt zur Marktauslese durch Insolvenz und knüpft den Gedanken der Sanierung immer an die strenge Voraussetzung, dass jedem Gläubiger und dem Schuldner der Liquidationswert bleibt, also Gläubiger oder Schuldner kein Sonderopfer für die Sanierung abverlangt werden darf, es sei denn, er willigt ein. Die Insolvenzordnung verwendet nach dem Vorbild des Bankruptcy Code zur perfekten Durchführung dieses Grundprinzips höchste Sorgfalt und höchsten Aufwand. Dahinter steht der Gedanke, dass der marktmäßige Wert des Unternehmens selbst die Sanierung erlauben und tragen muss, um es zu erhalten. Die Gläubiger, die mit dem insolventen Unternehmen zusammengearbeitet haben, werden letztlich zu keinem Verzicht gezwungen, der die Wertigkeit ihrer Vermögensposition im Gemeinwohlinteresse oder im Interesse einer regionalen sozialen Struktur beeinträchtigen würde. Es besteht sozusagen ein Verbot der Quersubventionierung durch zwangsweisen Gläubigerverzicht. b) Der Insolvenzverwalter als Restrukturierungsunternehmer und die Folgen Für den Insolvenzverwalter bedeutet dies, dass die Bedingungen der Kapitalinvestoren das Geschäftsmodell des Insolvenzverwalters bestimmen. Die Investoren erwarten die marktübliche Gewinnspanne. Sie kreditieren, erwerben Beteiligungen oder übernehmen zur höchstmöglichen Rendite, falls sie sich marktgerecht verhalten, was sie eigentlich nach neoliberalem Wirtschaftsmodell auch sollen. Darüber droht der Gedanke des Arbeitsplatzerhaltes oder der Unternehmenserhaltung zur Stützung einer regionalen Struktur selbständige Bedeutung zu verlieren. Er kann eigentlich voll selbständig nur berücksichtigt werden, soweit die öffentliche Hand erlaubterweise subventionieren darf und subventionieren kann, wobei dies oft von Regeln des Beihilferechts und damit von der Entscheidung nationaler oder europäischer Wettbewerbsbehörden abhängen wird. So wird der Insolvenzverwalter in diesem neoliberalen Marktmodell zum Vollstrecker von Marktregeln. Dabei begegnet er im Markt Restrukturierungsunternehmen und Restrukturierungsmodellen der Marktgesellschaft. Oft ist er selbst als Unternehmenssanierer im Vorfeld von Insolvenzen tätig. Er wird selbst vom Organ der Rechtspflege zum Restrukturierungsunternehmen, das sich auch entsprechend zu organisieren beginnt. So sind große Insolvenzverwaltungskanzleien inzwischen gewinnorientierte Unternehmen, bei denen insolvency administration as a business ähnlich im Vordergrund steht wie law as a business bei Großkanzleien des allgemeinen anwaltlichen Tätigkeitsfelds im sog. High end-bereich. Der verstärkte unternehmerische Charakter zeigt sich auch darin, dass bei der Zuweisung von Insolvenzverwaltung der Wettbewerb um Verwaltungen und dabei wiederum um ertragreiche Verwaltungen mehr und mehr in den Vordergrund getreten ist, was sich in streitigen Verfahren und entsprechenden Regulierungsver- 850 AnwBl 12 / 2009 Das Berufsethos des Insolvenzverwalters in der modernen Marktgesellschaft, Stürner

56 MN Meinung & Kritik suchen niedergeschlagen hat es bahnt sich eine Art insolvenzspezifischen Vergaberechts an. Man muss sich allerdings insgesamt darüber im Klaren sein, dass die teilweise eingetretene Akzentverschiebung vom Organ des Verfahrens und damit vom Rechtspflegeorgan zum Restrukturierungsunternehmen innerhalb einer Marktgesellschaft nicht ohne Gefahren für die Insolvenzverwaltung in ihrer gegenwärtigen Gestalt sein könnte. Nicht ohne Grund hat beim stillen Vorbild der Insolvenzordnung, dem U.S.-Bankruptcy Code, im Reorganisationsverfahren der Trustee im Regelfalle keine wesentliche Funktion, vielmehr bleibt der debtor in possession oft neben einem examiner agierender Unternehmer. Offenbar geht die U.S.-amerikanische Rechtskultur davon aus, dass die Stellung als Rechtspflegeorgan mit unternehmerischem Handeln nicht so richtig harmoniert. Die Eigenverwaltung kennt zwar auch das deutsche Recht, es vermeidet sie bisher allerdings eher. Wo indessen Insolvenzverwaltung den Charakter unternehmerischer Restrukturierung annimmt, sich auch in der Sprache marktmäßiger Restrukturierung zu bewegen beginnt und sich Insolvenzverwalter nicht selten der Unternehmensberatung bedienen, stellt sich schon die Frage, ob Eigenverwaltung in Verbindung mit einem Unternehmensberater nicht doch die klassische Verwaltung in Bedrängnis bringen könnte, vor allem wenn die verantwortlichen Manager bereits ausgetauscht sind. Hinzu kommt, dass ähnlich wie im anwaltlichen und notariellen Bereich das regulierte Entgelt nicht gerade das Lieblingskind von Kommission und EuGH sein dürfte, sofern sich die Insolvenzverwaltung immer stärker zu einer überregionalen Dienstleistung entwickelt, die vorinsolvenzlicher Restrukturierung ähnelt. Auch vergaberechtlich könnte sich das EU-Recht als neuer Gestaltungsfaktor erweisen, wenn immer stärker überregional arbeitende Restrukturierungskanzleien das Feld bestimmen. 5. Das Ethos des Verwalters zwischen Markt und Sozialbindung Man kann natürlich als Insolvenzverwalter einfach das Ethos moderner Marktideologie nachvollziehen und höchster Wertverwirklichung huldigen, um dabei auf den Gemeinnutzen und den Sozialcharakter des Marktmechanismus und des Wettbewerbs zu verweisen. Wertverwirklichung und Gewinnmaximierung für die Gläubiger und das fortlebende Unternehmen sind dann die gültigen Handlungsmaßstäbe, andere Zielsetzungen wie insbesondere Arbeitsplatzerhalt oder Erhaltung und Förderung einer Regionalstruktur sind keine Gesichtspunkte eigenen Gewichts, sondern finden Berücksichtigung nur im Rahmen eines Gewinnmaximierungsdenkens, das Zugeständnisse unter dem Gesichtspunkt der Langfristigkeit und Nachhaltigkeit zu machen bereit ist. Mit anderen Worten: Arbeitsplatzabbau, soweit sich Erhaltung auch längerfristig nicht in gesteigertem Gewinn niederschlägt, keine Erhaltung unter Gewinnminderung, selbst bei noch bestehender Rentabilität. Falls man dieser Maxime ordnungspolitischer moralischer Rechtfertigung folgt, wird man auf jeden Fall den Anforderungen der insolvenzspezifischen business judgment rule gerecht und vermeidet haftungsrechtliche Konflikte. Freilich muss man sehen, dass dem Insolvenzverwalter im Rahmen der Nachhaltigkeitsprognose ein Spielraum bleibt, den er nutzen kann. Man kann allerdings leicht erkennen, dass ein rein an Gewinnmaximierung orientiertes Berufsbild in unauflösbaren Widerspruch mit dem Humanitätsideal traditioneller Ethik geraten kann. Seine Selbstbestimmung verkürzt sich nicht in reichlich eindimensionaler Form dahin, der Erotik des Gewinns für sich oder andere zu dienen. Wirtschaftliche Gestaltungsfreiheit mit Verdienst- und Gewinnmöglichkeit ist Teil der Selbstbestimmung, die aber stets ideelle Komponenten gleichermaßen mitbeinhaltet: im öffentlichen Leben den Einsatz für die Allgemeinheit ohne Gewinnabsicht; in freien Berufen wie Arzt, Anwalt, Notar oder Wirtschaftsprüfer die Identifikation mit dem Bedürfnis, menschliche Leiden zu heilen, Recht zu schaffen und zu erhalten und Unrecht oder Unkorrektheit abzuwehren; im Bereich kaufmännischer Berufe und der Banken das Bedürfnis nach Zufriedenheit des anderen Teils ganz unabhängig vom Schielen nach neuer oder fortdauernder Geschäftsbeziehung; bei Unternehmern die Freude am wohl arbeitenden Organismus des Unternehmens, an Nutzen und Ästhetik des neuen Produkts und am Dienst an regionaler Sozialstruktur. In dieser Form der Selbstbestimmung liegt ein gewinnunabhängiger Eigenwert menschlichen Wirkens. Er hat in vielen Bereichen ein Berufsethos entstehen lassen, das ohne Zweifel stets in einem Spannungsverhältnis zur Realität des Broterwerbs und Gewinnstrebens gestanden hat. Das Ideal hat gleichwohl die Berufsethik und ihre Verrechtlichung mitgestaltet und die Gesellschaft geprägt. Die Reduktion des Berufsverständnisses auf Gewinnstreben hätte zur Folge, dass gewinnorientierte Anreizsysteme kantianische Gesinnungsethik und Berufsethos als Motivation abzulösen beginnen. Solidarität wäre in den Pro-Bono-Bereich oder die Privatheit verbannt. Dem Akteur des wirtschaftlichen Bereichs mutet dieses Modell eine Art ethischer Schizophrenie zu: im Wirtschaftsleben gilt gewinnmaximierende rational choice ohne Quersubventionierung, im nichtwirtschaftlichen Bereich gelten Solidarität und Mildtätigkeit. Der Mensch bleibt aber in allen Lebensbereichen immer dasselbe ganzheitlich zu betrachtende Individuum, mag auch die Dominanz der einen oder anderen Erscheinungsform menschlicher Natur in verschiedenen Lebensbereichen unterschiedlich stark sein. Diese menschliche Realität steht einer monistischen Ausrichtung wichtiger Lebensbereiche an einzelnen Dimensionen menschlicher Natur entgegen. Wo sie versucht wird, beginnt die Ideologisierung mit der Folge gesellschaftlicher Instabilität. Nur gemischte Strukturen überleben, die der menschlichen Natur adäquat sind. Die deutsche Gesellschaft hat bisher immer wesentlich von Unternehmern gelebt, die nicht reiner Gewinnmaximierung gefolgt sind, sondern sich ein soziales Ethos bewahrt haben, also z. B. für 1 Prozent mehr Gewinn nicht einfach Arbeitskräfte entlassen haben, wenn die Gewinnspanne ohne Entlassung noch befriedigt hat. Wäre dem nicht so, sähe es in Deutschland anders aus. Auch eine große Zahl von Insolvenzverwaltern hat an diesem Ethos festgehalten. Die Insolvenz war für sie nicht die Stunde einer Restrukturierung, in der höchste Gewinnmargen künftiger Investoren ausschließlich bestimmend wirken und die Rücksicht auf Arbeitnehmer und Regionalstruktur unbeachtet bleibt. In einem durch Fremdinvestoren bestimmten Finanzmarkt, in dem viele Investoren mit dem Unternehmen allein die Gewinnerwartung verbindet, ist dies sicher schwerer zu erreichen als in einem Finanzmarkt mit ausreichender Zahl regional orientierter Kapitalgeber. So besehen ist volatiles Kapital von Fremdinvestoren nicht der geborene Freund eines sozial integrierten Unternehmertums und einer sozial integrierenden Insolvenzverwaltung. Es ist deshalb in der Das Berufsethos des Insolvenzverwalters in der modernen Marktgesellschaft, Stürner AnwBl 12 /

57 MN Meinung & Kritik jüngsten Vergangenheit nach dem kurzschlüssigen Abbau der Deutschland AG oft übersehen für eine Volkswirtschaft von hoher Bedeutung, neben dem volatilen Kapital von Fremdinvestoren auch immer ausreichend regional gebundenes Kapital vorzuhalten. Sozial integriertem Unternehmertum mit einem entsprechenden Berufsethos fehlt die materielle Basis, soweit es nur auf Fremdinvestoren angewiesen ist. Vor diesem Hintergrund erweist sich die Anfeindung regional gebundener Banken, also insbesondere der Sparkassen und Genossenschaftsbanken, als Fehlleistung des IWF und der jüngeren europäischen und nationalen Finanzpolitik. Die Versuchung, die rentablen Teile eines Unternehmens mit hohem technologischen Know-How an einen Fremdinvestor zu veräußern, der für die geplante Ausschlachtung unter Abstoßung der Arbeitnehmer einen höheren Preis zahlt als es dem Erlös für die Gläubiger bei solider, aber biederer regionaler Fortführungsfinanzierung entspräche, mag groß sein; dem Ethos sozialer Verantwortlichkeit entspricht dies nicht. Jedem Verwalter, der bei solchen Konflikten den Weg zwischen Skylla und Charybdis sucht und findet, gebührt Respekt. Man sollte wieder bereit sein, solch sozial integriertes Unternehmertum als Ethos offensiv zu vertreten und gegen die Banalität eines simplen Profitmaximierungskonzepts zu verteidigen. Der Versuch, eine Ethik der Profitmaximierung als sozial integrativ zu vermarkten, war vor den Maßstäben einer jahrhundertelangen Sozialgeschichte so primitiv, dass man die Faszination schwer verstehen kann, die dieses Modell auf die Eliten westlicher Zivilisation ausübte. Die Eliten haben versagt, als sie die überkommene soziale Ethik wie gebrauchte Wäsche ablegten. Es ist vor diesem Hintergrund besonders zu begrüßen, dass in der Anwaltschaft die gegenwärtige Finanzkrise die Diskussion um anwaltliches Ethos wieder hat aufleben lassen. Hierzu ist es nie zu spät, obwohl das teilweise bewusste Totschweigen dieses Problems nach dem Zusammenbruch des Standesrechts letztlich auf eine Schwächung der Anwaltschaft als Berufsstand weist. Wenn teilweise inzwischen wieder über ethische Empfehlungen nachgedacht wird, so ist dies ein später Schritt in die richtige Richtung. Berufsethik geht unter, wenn sie nicht gelebt wird; sie kann sich aber auch nicht behaupten, wenn sie nicht mehr formuliert und formulierbar ist. Dabei muss es nicht darum gehen, verbindliches Recht zu schaffen, das von Kammern oder anderen Aufsichtsorganen durchgesetzt wird. Verhaltensempfehlungen, die sich an möglichen Konfliktsituationen orientieren und laufender Überarbeitung und Anpassung unterliegen müssten, können aber die Sensibilität für Entscheidungsspielräume bewahren, die das Recht offenlässt und die verantwortlich ausgefüllt werden können und sollten. Der einzelne überschätzt sich, wenn er sich für den Starken hält, der am besten und mächtigsten alleine ist. Solche Selbstüberschätzung mag eher ein Zeichen verdrängender Unsicherheit sein, die der Anwaltschaft schlecht ansteht. Gerade im Bereich anwaltlicher Insolvenzverwaltung mit seinen situationsgebundenen Konflikten erscheinen solche Empfehlungen besonders nützlich. Für andere Berufe wie Ärzte, Journalisten oder Wissenschaftler sind sie eine hilfreiche Selbstverständlichkeit. Die Angst der Anwaltschaft vor falscher Verrechtlichung ist ein schlechter Ratgeber. 6. Die gegenwärtige Insolvenzordnung ein ausreichender gesetzlicher Handlungsrahmen für sozial integriertes Unternehmertum? Die Frage bleibt zum Schluss, ob die auf Realisierung von Marktwerten angelegte Insolvenzordnung das Handlungskonzept eines sozial integrierten Unternehmertums überhaupt erlaubt. M.E. lässt die gegenwärtige Insolvenzordnung den notwendigen Spielraum für eine Verwaltung, die dem beschriebenen Ethos sozial integrierten Unternehmertums gerecht wird. Voraussetzung ist, dass man das Bild des ordentlichen und gewissenhaften Insolvenzverwalters nicht am Vorbild des streng profitmaximierenden Geschäftsführers ausrichtet, sondern den Unternehmenszweck an der wirtschaftlichen und sozialen Funktion eines Unternehmens orientiert. Soweit allerdings vor allem im Insolvenzplanverfahren die Bindung einer Sanierung an die Maßstäbe liquidativer Wertverwirklichung die Verwaltung allzu streng fesselt und ihr diese Flexibilität nimmt, sodass auch mediative Fähigkeiten des Verwalters nichts bewirken, sollte man an eine Lockerung dieser inflexiblen Maßstäbe denken. Sie waren um ihrer Inflexibilität und Einseitigkeit willen schon bei ihrer Kodifikation reichlich umstritten. Als dogmatisierender Ausfluss modischen Law and Economics-Denkens im Insolvenzrecht werden sie ohnehin so nicht überleben. Prof. Dr. Rolf Stürner, Freiburg i. Br. Der Autor ist Professor an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg (Institut für deutsches und ausländisches Zivilprozessrecht). Sie erreichen den Autor unter der -Adresse 852 AnwBl 12 / 2009 Das Berufsethos des Insolvenzverwalters in der modernen Marktgesellschaft, Stürner

58 MN Meinung & Kritik... damit die Anwaltschaft ihren GAU nicht erlebt, müssen wir handeln * Rechtsanwalt Christoph H. Vaagt, München Die Anwaltschaft wandelt sich. Das Unbehagen darüber ist greifbar. Liberalisierung und Verlust an Selbstverwaltung werden beschrieben (Hellwig, AnwBl 2006, 505), das Konzept des anwaltlichen Berufsbilds steht auf dem Prüfstand (Hellwig, AnwBl 2008, 644) oder die Anwaltschaft wird zwischen Berufsethos und Kommerz gesehen (Henssler, AnwBl 2008, 721), ja sogar die Selbstentkernung der Anwaltschaft (Scharmer, BRAK-Mitt 2006, 150) wird beklagt. Der Autor plädiert für ein Umdenken. Die klassischen freien Berufe wie die Anwälte (aber auch die Ärzte) suchen in der modernen Gesellschaft noch ihren Platz. Für Deutschland und die wichtigsten Staaten der EU gilt: Die Anwaltschaft als Teilsystem der modernen, funktional ausdifferenzierten Gesellschaft wird von den anderen Teilsystemen kritisch gesehen. Also muss sich die Anwaltschaft mit diesen, und nicht mit sich selber, auseinandersetzen. 1 Waren die Anwälte in der Entwicklung zum modernen Staat notwendige Garanten für die Funktionstüchtigkeit bestimmter Systeme abseits staatlicher Institutionen, so bringt die moderne Gesellschaft die zunehmende Ausdifferenzierung sozialer Systeme mit sich. Sie bringt damit auch jene Professionen unter Druck, die bisher einen nicht hinterfragten Status in der Gesellschaft einnahmen. Die von Anwälten und Ärzten behauptete Orientierung an der Berufsethik wird ihnen immer weniger abgenommen. I. Der Wandel der Profession Anwalt Der Wandel der anwaltlichen Profession ist oft genug beschrieben (und beklagt) worden. 2 Im Wesentlichen ist festzustellen, dass der Berufsstand der Anwälte in drei Gruppen auseinander fällt, die unter grundsätzlich unterschiedlichen Bedingungen arbeiten. 9 Die Klasse der Anwälte in Großkanzleien. 9 Die Klasse der Anwälte, die in wirtschaftlich funktionierenden Sozietäten mittlerer Größe bis hin zu Einzelkanzleien tätig sind. 9 Die anwaltlichen Sozialarbeiter. Nicht berücksichtigt werden hier die Syndikusanwälte, die zur Anwaltschaft gehören, aber einen gesonderten Status haben. Die Tätigkeit der Mehrzahl der Anwälte in Großkanzleien ist dominiert durch die internen Systeme der Kontrolle und Steuerung. Die Mandatsbeziehungen sind zunehmend entpersonalisiert oder wenigen Key Account Partnern zugeordnet. Die Arbeit wird nach standardmäßigen Vorlagen abgearbeitet und die wirtschaftlichen Vorgaben dominieren. Die Gesellschafter selber sind in vielen Fällen de facto nur noch Angestellte. Sie können jederzeit gekündigt werden und sind weitgehend weisungsgebunden tätig, insbesondere die Mandatsannahme ist in einem Maße reguliert, dass von einer unabhängigen Tätigkeit vielfach nur noch eingeschränkt die Rede sein kann. Die Kanzleien in diesem Segment entwickeln sich zu Einheiten, die wie gewerbliche Firmen organisiert und geführt werden ohne aber entsprechende Regelungen oder eine angemessenen Aufsicht zu unterliegen 3. Einige wenige Ausnahmen unter den Großkanzleien, die am Bild des individuell verantwortlichen Anwalt festhalten, sind inzwischen die Ausnahme. Die Tätigkeit der in der zweiten Klasse tätigen Anwälte entspricht weitestgehend derjenigen, die dem Gesetzgeber und den Selbstverwaltungsorganen vorschwebt. Die anwaltlichen Sozialarbeiter sind solche Anwälte, die mittels Beratungsscheinen und Prozesskostenhilfe-Mandanten ihre Dienstleistungen erbringen, von denen nur noch ein Teil einen ausreichend eingerichteten Kanzleibetrieb aufrechterhalten kann. Sie erbringen Rechtsdienstleistungen in einem Marktsegment, welches staatlich verordnetem Dumping unterliegt. Einige dieser Anwälte sind manchmal selber Sozialfälle, und ihre Fähigkeit (nicht: der Wille) zur Erbringung von anwaltlichen Tätigkeiten sind teilweise kritisch zu beurteilen. Von einem einheitlichen Berufsbild zu sprechen, kann nur noch Apellfunktion 4 haben. Der Realität entspricht es nicht mehr. Dies berichten andere freie Berufe ebenso, etwa die Wirtschaftsprüfer 5. Wenn es wichtig ist, einen einheitlichen Berufsstand zu erhalten, dann geht das aber nur über eine klare Abgrenzung an seinen Rändern, und einer Selbstverwaltung, die diese Abgrenzung mutig durchsetzt. II. Kernbereich der freiberuflichen Tätigkeit wahren Was macht aber den Kernbereich der freiberuflichen Anwaltstätigkeit aus? Wichtig bleibt die Feststellung der ehemaligen Richterin des Bundesverfassungsgerichts Renate Jaeger 6, dass die qualitativ hoch stehende Beratung das Schwergewicht freiberuflicher Tätigkeit bleibt. Und die Warnung folgt: Wenn ein Berufsstand die hohen Standards für die Qualität von Beratung selbst aus den Augen verliert, verliert zugleich die freiberufliche Berufsausübung ihre Berechtigung. Jaeger nennt Beispiele hierfür, wie etwa die Vernachlässigung der Schweigepflicht. Folgende Beispiele mögen Anlass geben, sich weitere Gedanken zu machen: 9 Die Rolle der amerikanischen Anwaltschaft im Enron-Debakel: Fast unbemerkt von der Öffentlichkeit, aber dennoch von großer Wichtigkeit, war die Rolle von Anwaltskanzleien im Enron-Debakel vor sieben Jahren in den USA. Der öffentlichkeitswirksame Niedergang der Wirtschaftsprüfungsfirma Andersen hat überdeckt, dass die Anwälte die Rechtmäßigkeit der Konstruktionen (zumindest inter alia) mit zu prüfen * Der Beitrag beruht auf einem Vortrag des Verfassers auf dem 60. Deutschen Anwaltstag in Braunschweig im Rahmen einer Veranstaltung der AG Anwaltsmanagement. 1 Vgl. dazu etwa: Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, 1993; sowie allg. Hinweise zur Systemtheorie. 2 Siehe nur Stürner, Die Anwaltschaft ein Berufsstand ohne eigene Grundkonzeption?, in: Festschrift für Busse, Das Fehlen einer solchen speziellen Aufsicht für Großkanzleien wird von Nick Smedley in seinem Report: Review of the Regulation of Corporate Legal Work vom offen kritisiert, (siehe de Paoli, AnwBl 2009, 419). 4 Etwa: Kilger, AnwBl 2003, 449; Ewer, AnwBl 2009, 657, Dem Leitbild der Einheit des Berufsstandes treten zunehmend differenzierende Regelungen gegenüber., so der Präsident der Wirtschaftsprüferkammer Graf von Treuberg in seiner Einleitung zum Rechenschaftsbricht , S. 9, abrufbar unter 6 NJW 2004, S ff.... damit die Anwaltschaft ihren GAU nicht erlebt,müssen wir handeln, Vaagt AnwBl 12 /

59 MN Meinung & Kritik hatten, dies aber unterließen 7. Die Konsequenzen, die die Wirtschaftsprüfer gezogen haben, sind jedenfalls beeindruckend. 8 Die Anwaltschaft hingegen hat keine Lehren daraus gezogen. 9 Das Problem der billable hours : Die Enron-Debatte führt unmittelbar zum nächsten ungelösten Thema der Anwaltschaft, welches dennoch seit langen identifiziert ist, ohne dass die Selbstverwaltungsorgane hier eine vernünftige, Änderungen zeitigende, Debatte geführt oder gar Vorschläge gemacht hätten. 9 Die Abrechnung nach Stunden setzt einen Anreiz, der einer qualitativ hochwertigen Bearbeitung nicht zuträglich ist. Der Fokus liegt primär auf der Produktion von Umsatz und weniger auf angemessener, an der Zielen und Bedürfnissen des Mandanten orientierter, qualitativ hochwertiger Beratung. 9 Die Vermakelung von Versicherungsleistungen: In einigen Bereichen der Tätigkeit von Großkanzleien kommt die Beratung eher in einem Tarnmantel daher: Bei vielen Beratungen zu den so genannten strukturierten Finanzierungen oder zu anderen standardmäßig von den Banken angebotenen Finanzierungsgeschäften reichen die Sozietäten im wesentlichen nur ihren Versicherungsschutz weiter. Bankvertreter geben in Einzelfällen offen zu, dass sie die Beratung für überflüssig halten, und auch bereit wären, gegen ein einfaches Bestätigungsschreiben der Kanzlei das Honorar zu zahlen. Das Verbot der Vermakelung wird dadurch umgangen, dass die Kanzlei ihren Versicherungsschutz im Rahmen der rechtlichen Prüfung gewährt. Entsprechend sehen die Mandatsübernahmeverträge aus, die Versicherungsverträgen gleichen und den Prüfungsumfang aus Sicht des möglichen Haftungsumfangs definieren. III. Was tun? Handlungsmöglichkeiten Die Profession der Wirtschaftsprüfer hat aus ihrem Super- GAU Lehren gezogen. Die Anwaltschaft steht noch am Anfang ihrer Lernmöglichkeiten. Erste Ansätze gibt es aber: 9 Erarbeitung eines Leitbildes (Hellwig): 10 Der Ruf nach einem Leitbild könnte ein erster Schritt sein, nur: Es müsste nicht nur die eigenen Mitglieder, sondern zugeich die anderen Teilsysteme einbinden. Im Sinne der Verbesserung der Wahrnehmung der Profession und der Verbesserung der Kommunikation mit der Außenwelt wäre es ein sinnvoller erster Schritt, unter der Voraussetzung, dass er sich nicht als ein Prozess intra muros abwickelt, sondern möglichst breiten gesellschaftlichen Konsens bringt United States Bankruptcy Court Southern District of New York, in re: Chapter 11, Enron Corp., Debtors. et al. Case No (AJG), Jointly Administered, Final Report of Neal Batson, Court-appointed Examiner, November 4, 2003, S Unter anderem Einführung eines Qualitätssicherungssystems VO 1/2006, welches die Rechte und Pflichten der Wirtschaftsprüfer hins. dem Prüfungsprozess exemplarisch regelt und mittels Prüfungen durch externe sicherstellt; dies sorgt für eine Absicherung des Vertrauens, welches die Öffentlichkeit in ihre Tätigkeit hat (bemerkenswerterweise war der Stand der Wirtschaftsprüfer als Konsequenz der Wirtschaftskrise 1929 gegründet worden). 9 Instruktiv: ABA Report on billable hours 2001/2. 10 Hellwig, AnwBl 2008, Das von Hellwig zitierte Beispiel der Niederlande ist hier wesentlich erfolgversprechender, unter der Voraussetzung, dass es gelingt, die relevanten Parteien an einen Tisch zu bekommen. 12 Vorschlag im Artikel Die Anwaltschaft zwischen Berufsethos und Kommerz, AnwBl 2008, S Reemtsma, Vertrauen und Gewalt, 2008, zitiert nach Hellwig, AnwBl 10/2008, S. 644 (653). 14 Siehe etwa den Befund zur fehlenden Ethik in Unternehmensberatungen, Hauser/ Hagenmeyer, Zeitschrift der Unternehmensberater (ZUb) 5/09, Definition einer Professional Governance für die Anwaltschaft (Henssler): 12 Mit diesem Vorschlag, der das soft law der Berufsausübung definieren soll, könnten Forderungen etwa nach staatlicher Kontrolle besser abgewehrt werden. Jenseits des Rechts tun wir uns in Deutschland aber schwer mit solchen Spielregeln des sozialen Verhaltens, die keinen rechtlich zwingenden Charakter haben, aber dennoch irgendwie gelten sollen. 9 System der Qualitätssicherung wie bei den Wirtschaftsprüfern: Dieser Vorschlag würde de facto eine Professional Governance mit konkreten Pflichten zur Berufsausübung verbinden und einer externen Stelle (oder einer Prüfung durch Kollegen) zur Überprüfung zugänglich sein. Es ginge um eine dauerhafte Qualitätssicherung. Die wiederholte Betonung der Grundwerte der Anwaltschaft (Verschwiegenheit, Vermeidung der Interessenkollision und Unabhängigkeit) bei gleichzeitiger Ignoranz von Missständen ist dem Vertrauen der Gesellschaft in die Anwaltschaft nicht zuträglich. Sie braucht sich über Kritik, undifferenzierte Behandlung als Dienstleister, fehlenden Schutz vor Eingriffen in ihren Kernbereich (etwa durch die Sicherheitsgesetze) nicht zu beklagen, wenn sie nicht etwas dafür tut, dass ihre kritische Auseinandersetzung mit sich selbst zu sichtbaren Ergebnissen führt. Vertrauen verträgt keine Ambivalenz und Unklarheit 13. Handeln ist gefragt. Dabei muss die Anwaltschaft entscheiden, ob sie zulassen will, dass aus der Berufung (als unabhängiger Anwalt zu arbeiten) ein Beruf wird. Nachdem wir derzeit in einer Suchphase für Lösungen sind, will ich meine eigenen Vorschläge machen. Dabei sehe ich den Handlungsdruck zu allererst auf der Meta-Ebene, also auf der Ebene der grundsätzlichen Einsicht, dass Handlungsbedarf für die ganze Profession besteht, und mit Einzelaktionen nicht wesentlich viel erreicht wird (auch wenn jede Einzelaktion gegebenenfalls Teil der Lösung oder der Lösungserarbeitung sein kann). Diese sind: 9 Anerkennung der Tatsache, dass die Aufrechterhaltung einer professionseigenen Ethik ein Vorteil ist, der zu verteidigen ist Ingangsetzung eines Meinungsbildesprozesses, der die Anwaltschaft als Ganzes einbindet und sich damit von der bisherigen Diskussionsführung unterscheidet. 9 Akzeptanz, dass die rein deutschsprachige Behandlung des Themas wesentliche Stakeholder in der Debatte nicht erreicht (etwa: Einbindung eines Wissenschaftsrates, der primär auf die englischsprache Forschung Einfluss nehmen sollte). 9 Akzeptanz von Forschungsergebnissen und Meinungen außerhalb der Profession und deren Einbindung in die Diskussion der anwaltlichen Entscheidungsgremien (gegebenenfalls Begleitung durch externe Berater). Christoph H. Vaagt, München Der Autor ist Rechtsanwalt. Er ist Vorsitzender des geschäftsführenden Ausschusses der Arbeitsgemeinschaft Anwaltsmanagement im Deutschen Anwaltsverein. Sie erreichen den Autor unter der -Adresse autor@anwaltsblatt.de. 854 AnwBl 12 / damit die Anwaltschaft ihren GAU nicht erlebt,müssen wir handeln, Vaagt

60 MN Mitteilungen Anwaltshaftung DerFußballtrainerund die Anwaltshaftung, oder: Meine objektive Meinung Zugleich Anmerkung zu OLG Karlsruhe, Urt. v , 17 U 345/08 * Prof. Dr. jur. Gerald Mäsch, Münster Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Anwaltshaftung dominiert der normative Schadensbegriff. Der Geschädigte soll über den Schadenersatz nicht mehr bekommen als das, was er nach der materiellen Rechtslage verlangen kann (siehe nur Fischer AnwBl 2009, 178, 181 f., Ganter AnwBl 2008, 94, 98). Der normative Schadensbegriff führt dazu, dass im Regressprozess bei hypothetischen Verfahrensausgängen vor allem die Sicht des Regressrichters zählt. Hängt es vom Ausgang eines anderen Verfahrens ab, ob dem Mandanten durch eine anwaltliche Pflichtverletzung ein Schaden entstanden ist, hat das Regressgericht zu urteilen: Wie wäre das Verfahren richtigerweise zu entscheiden gewesen? Keine Rolle spielt, wie das Ausgangsgericht entschieden hätte. Der Autor kritisiert diese herrschende Meinung. I. Einleitung Ich kann es mir als Verantwortlicher für die Mannschaft nicht erlauben, die Dinge subjektiv zu sehen. Grundsätzlich werde ich versuchen zu erkennen, ob die subjektiv geäußerten Meinungen subjektiv sind oder objektiv. Wenn sie subjektiv sind, dann werde ich an meiner objektiven Linie festhalten. Wenn sie objektiv sind, werde ich überlegen und vielleicht die objektiven subjektiv geäußerten Meinungen der Spieler mit in meine objektiven einfließen lassen 1. Der damalige DFB-Bundestrainer Erich Ribbeck hat für diese Äußerungen auf einer Pressekonferenz im Jahr 2000 viel Spott geerntet. Und in der Tat sticht die forsche Einstufung der eigenen Meinung als eine objektive Linie, gepaart mit der ins Absurde gleitenden Formulierung von den vielleicht objektiven subjektiv geäußerten Meinungen anderer, selbst aus der reichen Menge an wundersamen Fußballerweisheiten hervor. Doch sollten wir Juristen nicht allzu sehr lachen. Die Rechtsprechung zur Anwaltshaftung wegen Fehlern in der Prozessführung beruht seit langem auf einer ähnlich fragwürdigen Gleichstellung von Meinung und Objektivität. Dem hier zu besprechenden Urteil des OLG Karlsruhe kommt das Verdienst zu, das wacklige Fundament dieser Rechtsprechung erneut freigelegt zu haben. der Beteiligung unterzeichnete sie drei Wochen und zwei Tage später bei einem weiteren Besuch des Vermittlers einen Darlehensvertrag mit einer Bausparkasse, der keine Widerrufsbelehrung enthielt. Als die Klägerin einige Jahre später in Zahlungsrückstand geriet, kündigte die Bausparkasse das Darlehen und erhob wiederum einige Monate später Klage auf Rückzahlung der noch offenen Darlehensvaluta über knapp Euro. Die Klägerin beauftragte den beklagten Rechtsanwalt mit ihrer Vertretung, widerrief (wohl auf dessen Rat) ihre auf den Abschluss des Darlehensvertrags gerichtete Erklärung und erhob Widerklage auf Erstattung der aufgrund des Darlehensvertrags erbrachten Leistungen. In erster Instanz verlor die Klägerin auf ganzer Linie: Das Landgericht gab der Klage der Bausparkasse statt und wies die Widerklage ab, weil aufgrund des dreiwöchigen Zeitraums zwischen dem ersten Besuch des Vermittlers und der Unterzeichnung des Darlehensvertrags nicht mehr von einer fortdauernden Überraschungswirkung des ersten Besuchs ausgegangen werden könne und deshalb kein Widerrufsrecht bestanden habe. Mit der vom Beklagten für sie eingelegten Berufung hatte die Klägerin aber Glück, weil das OLG Frankfurt anders als das Landgericht den zeitlichen Abstand zwischen den beiden Gesprächen für die Frage der Kausalität der Haustürsituation für den Abschluss des Darlehensvertrags als unerheblich und damit den Widerruf als erfolgreich ansah. Leider hatte der Beklagte jedoch mit der Berufung trotz seines umfassenden Auftrags nur die Verurteilung der Klägerin angegriffen, nicht hingegen die Abweisung ihrer Widerklage, die damit rechtskräftig wurde. Das erzürnte verständlicherweise die Klägerin, die deshalb ihren nunmehr vormaligen Prozessvertreter auf Schadenersatz in Höhe des Betrags der Widerklage verklagte. Die Begründung leuchtet unmittelbar ein: Das OLG Frankfurt, das die Zahlungsklage der Bausparkasse mit dem Hinweis auf den wirksamen Widerruf des Darlehensvertrages abgewiesen hat, hätte wegen eben dieses Umstandes gar nicht anders können, als das Kreditinstitut nach 346 BGB zusätzlich zur Rückzahlung der von der Klägerin erbrachten Leistungen zu verurteilen, wenn nur der Beklagte pflichtgemäß gegen die Abweisung der Widerklage Berufung eingelegt hätte. 2. Die Entscheidung des OLG Karlsruhe Das OLG Karlsruhe sah dies als Berufungsgericht im Regressverfahren im Grundsatz ebenso, auch wenn es vorsichtiger formuliert, dass viel dafür [spricht], dass es [das OLG Frankfurt, Anm. des Verf.] auch der Widerklage stattgegeben hätte, wäre die Berufung umfassend eingelegt worden 2. Dennoch bestätigte das Gericht das die Regressklage abweisende Urteil der ersten Instanz, denn für die hypothetische Betrachtung, ob eine Prozesspartei einen Rechtsstreit bei sachgemäßer anwaltlicher Vertretung gewonnen hätte, [ist] II. Die Entscheidung des OLG Karlsruhe 1. Der Sachverhalt Der Sachverhalt ist schnell erzählt: Die Klägerin hatte bei einem Hausbesuch eines Anlagevermittlers eine Beteiligung an einem Immobilienfonds gezeichnet. Zur Finanzierung * Leitsatz in diesem Heft auf Seite 874. Der Volltext ist im Internet abrufbar unter 1 DFB-Bundestrainer Erich Ribbeck am 13. Juni 2000, einen Tag nach dem 1:1 gegen Rumänien bei der Fußball-EM 2000 in Belgien und den Niederlanden zur möglichen Einflussnahme seiner Spieler. 2 OLG Karlsruhe MDR 2009, 60. Der Fußballtrainer und die Anwaltshaftung, oder: Meine objektive Meinung, Mäsch AnwBl 12 /

61 MN Mitteilungen maßgebend..., wie der Vorprozess nach Auffassung des Gerichts, das mit dem gegen den Rechtsanwalt gerichteten Schadensersatzanspruch befasst ist, richtig hätte entschieden werden müssen 3. Nicht auf die Rechtsauffassung des Vorgerichts soll es also ankommen, sondern nur auf die eigene des Regressgerichts. Und das OLG Karlsruhe hat eine andere als das OLG Frankfurt: Die insoweit darlegungs- und beweisbelastete Klägerin im Ausgangsverfahren habe Umstände, die für ein Anhalten der Überrumpelungssituation bis zur Unterzeichnung des Darlehensvertrags sprechen könnten, nicht vorgetragen, so dass sie den Vertrag nicht wirksam habe widerrufen können. Nicht nur die Regressklägerin im vorliegenden Verfahren wird sich verwundert die Augen reiben: Das OLG Karlsruhe bestätigt ihr, dass der pflichtvergessene Anwalt einen Schaden angerichtet hat, weil er eine für sie günstige Entscheidung des OLG Frankfurt vereitelt hat, verweigert aber dessen Ersatz. III. Die Berufung auf die objektive Rechtslage zur Begrenzung des Schadenersatzes 1. Der zweifelhafte Grundsatz Dass sich seine Lösung mit den auch für die Anwaltshaftung geltenden Grundprinzipien des Schadensrechts nicht in Einklang bringen lässt, ist dem OLG Karlsruhe wohl bewusst. Die Differenzhypothese des 249 Abs. 1 BGB und das sich von ihr ableitende Kausalitätserfordernis 4 zwingen das Regressgericht eigentlich dazu, das Ausgangsverfahren hypothetisch ohne den Anwaltsfehler durchzuspielen 5. Wäre danach im Ausgangsverfahren mit fehlerfreier Anwaltsleistung ein für den Mandanten günstigerer Ausgang zu erzielen gewesen, war also der Fehler kausal für die Niederlage, besteht ein Schadenersatzanspruch. Damit kommt es nach 249 Abs. 1 BGB darauf an, ob die Rechts- und Sachlage nach Ansicht des Gerichts im Vorverfahren für das Begehren des Mandanten sprach. Wie das Regressgericht die Lage rechtlich beurteilt, ist nach dem Gesetz für die Frage des Schadens und seines Ersatzes unerheblich. Das OLG Karlsruhe meint, an 249 Abs. 1 BGB nicht gebunden zu sein. Das beruht nicht auf praktischen Erwägungen, wie man denken könnte. Zwar kann es schwierig sein festzustellen, wie das Ausgangsgericht ohne den Anwaltsfehler tatsächlich entschieden hätte 6. Im vorliegenden Fall aber gibt es keine Zweifel, dass das OLG Frankfurt der Widerklage stattgegeben hätte eine so deutliche Aussage über den Ausgang des Vorverfahrens konnte zuletzt in einem Fall des OLG Saarbrücken vor über 35 Jahren getroffen werden 7. Nein, das OLG Karlsruhe greift (in Einklang mit der BGH- Rechtsprechung seit über 50 Jahren 8 ) deutlich höher: Es soll die materielle Gerechtigkeit sein, die es dazu zwingt, die Ansicht der Kollegen aus Frankfurt zu ignorieren, denn dieser gebühre der Vorrang vor der wirklichen Kausalität 9. Unbefangen könnte man meinen, das Kausalitätserfordernis des 249 Abs. 1 BGB ist Teil der materiellen Gerechtigkeit, sorgt es doch dafür, dass der Schädiger den ganzen, aber auch nur den Schaden auszugleichen hat, der auf sein Verschulden zurückzuführen ist. Aber so ist das nicht gemeint, vielmehr soll ein Kläger nur das ersetzt verlangen können, was er nach der materiellen Rechtslage hätte erhalten müssen. Allein das, worauf er nach der Rechtsordnung einen Anspruch hatte, stellt danach einen Schaden im Rechtssinne dar... [D]er Mandant soll im Wege des Schadensersatzes durch einen Anwaltsfehler nicht in den Genuss eines Vorteils kommen, den er ohne jenen Fehler nach der materiellen Rechtslage nicht hätte erlangen dürfen 10. Die Literatur sekundiert: Vollkommer/Heinemann meinen, ein entgangenes Fehlurteil stelle keinen Vermögensschaden im Rechtssinne dar 11, nach Mätzig bleibt immer noch das materielle Recht ausschlaggebend und nicht der Ausgang des Vorprozesses 12, und Chab/Bräuer halten es für selbstverständlich, dass der Anspruchsteller nicht mehr erhalten [soll], als er nach objektiver Lage hätte erhalten dürfen 13. Es liegt auf der Hand, dass die Sache so einfach nicht ist. Wer entscheidet, wie die objektive Lage oder die materielle Rechtslage in Bezug auf den vom Anwalt fehlerhaft geführten Vorprozess aussieht? Der BGH ist es nicht, selbst wenn er seine Position zu dem streitentscheidenden Rechtsproblem tatsächlich bereits eindeutig festgelegt hat. Es gibt im deutschen Recht (aus guten Gründen 14 ) keine Bindung der Gerichte an die höchstrichterliche Rechtsprechung; jedes Amtsgericht ist frei, die materielle Rechtslage anders zu interpretieren als die Spitze der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland. Das OLG Karlsruhe sagt deshalb mit der ganz herrschenden Meinung: Maßgeblich ist die Sicht des Regressgerichts, das mit dem gegen den Rechtsanwalt gerichteten Schadenersatzanspruch befasst ist. Wie dieses die maßgeblichen Normen auslegt, ist aber ebenso wie die Äußerung eines x-beliebigen Amtsgerichts oder eben auch des BGH nicht mehr als seine Auffassung zu dem, was aus dem Gesetz für die Entscheidung des Vorprozesses gefolgt wäre. Das objektive oder das materielle Recht im Sinne einer aus sich selbst heraus verbindlichen Verhaltensanforderung gibt es nicht, sondern nur Aussagen der Gerichte (und anderer Akteure) über die Geltung (oder Nichtgeltung) und den Inhalt von Rechtsnormen 15. Deshalb ist keiner in der Lage zu entscheiden, ob die Meinung des Regressgerichts die (vermeintliche) objektive Lage besser trifft als diejenige des Vorgerichts; keiner vermag wirklich zu sagen, ob die durch den Fehler des Anwalts entgangene Entscheidung des Vorgerichts oder nicht doch eher die des Regressgerichts ein Fehlurteil ist. 3 OLG Karlsruhe MDR 2009, Statt aller Vieweg, in:staudinger/eckpfeiler (Neubearb. 2008), S. 422 mit S Vgl. zum hypothetischen Inzidentprozess bereits Baur, FS Larenz (1973), Zur Entschädigung in diesem Fall nach der Höhe der verlorenen Chance, improzess zu obsiegen, vgl. Mäsch, Chance und Schaden (2004), 229 ff., 320 ff. 7 OLG Saarbrücken VersR 1973, Etwa BGHZ 72, 328 (332); BGH NJW 1985, 2482 (2483); BGH NJW 1994, 453 (455); BGH NJW 1996, 2501 (2501); BGH NJW 2001, 673 (674); BGH NJW 2002, 290 (291). Vgl. auch Fischer (ehemaliger Vorsitzender des zuständigen IX. Zivilsenats beim BGH), NJW 1999, 2993 (2997) m. w. N.; ders., AnwBl. 2009, 178 m. w. N. 9 OLG Karlsruhe MDR 2009, OLG Karlsruhe MDR 2009, Vollkommer/Heinemann, Anwaltshaftungsrecht, 2. Aufl. 2003, Rn Mätzig, Der Beweis der Kausalität im Anwaltshaftungsprozeß (2001), Chab/Bräuer, BRAK-Mitt. 2001, 163 (164). 14 Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, Studienausgabe, 3. Aufl. 1995, 254 f. 15 Larenz/Canaris (Fn. 14), 17 f. Vgl. ferner Esser, FS v. Hippel (1967), 95 (113): Der Richter ist frei und nur dem Gesetz unterworfen das Gesetz ist aber das, was er selbst darunter pflichtgemäß versteht. Kritisch dazu Bydlinski, in:koller/hager/junker/singer/neuner (Hrsg.), Einheit und Folgerichtigkeit im Juristischen Denken Symposium zu Ehren von Herrn Professor Dr. Dr. h.c. mult. Claus-Wilhelm Canaris, München 1998, AnwBl 12 / 2009 Der Fußballtrainer und die Anwaltshaftung, oder: Meine objektive Meinung, Mäsch

62 MN Mitteilungen Gerade der konkrete Fall macht das deutlich: Zwar spricht einiges für die Auffassung des OLG Karlsruhe, dass es im Vorprozess der insoweit beweisbelasteten Klägerin nicht gelungen war, den Nachweis des Kausalzusammenhangs zwischen der durch den ersten Hausbesuch begründeten Überrumplungssituation und dem späteren Darlehensvertragsschluss zu führen. Der Beweis des ersten Anscheins, der ihr hätte helfen können, soll nach einem Urteil des BGH ab einem zwischen Haustürsituation und späterem Vertragsschluss liegenden Zeitraum von drei Wochen entfallen 16. Aber weil der Anlagevermittler just drei Wochen und zwei Tage nach seinem ersten Besuch wieder bei der Klägerin erschien, und dies, versteht man die Feststellungen des OLG Frankfurt richtig, kein Zufall, sondern Teil seiner Verkaufsstrategie gewesen ist, erscheint es nicht fernliegend, das Umgehungsverbot ( 5 Abs. 1 HTWG, jetzt 312 f S. 2 BGB) ins Feld zu führen, um der Bausparkasse die Berufung auf die fehlende Kausalität der Überrumplungssituation abzuschneiden. Beide Sichtweisen haben ihre Berechtigung, beide kann man je nach der eigenen Position des Betrachters unterstützen oder kritisieren und für beide passt das Etikett objektives Fehlurteil nicht. 2. Die verräterische Ausnahme Bezeichnenderweise verlässt denn auch die Rechtsprechung im Steuerrecht ihren eigenen Ansatzpunkt. In diesem Bereich, in dem (nicht nur) den Zivilgerichten schwer fällt zu bestimmen, was objektiv rechtens ist, soll Schadenersatz auch dann gefordert werden können, wenn der vom Berater pflichtwidrig vereitelte Steuervorteil nach den zur Zeit der Regressentscheidung maßgeblichen neuen Einsichten der finanzgerichtlichen Rechtsprechung und Verwaltungspraxis über die Auslegung der Steuergesetze nicht mehr zu erlangen gewesen wäre 17. Konsequent ist das nicht, denn ist eine ehemals gefestigte Rechtsprechung oder Verwaltungspraxis zum Zeitpunkt der Regressentscheidung als objektiv falsch erkannt und korrigiert worden, so kann sie keinen Anspruch darauf begründen, dass auch in einem weiteren Verfahren das Recht gebrochen wird 18. Wer würde aber dem BGH bei der folgenden Bemerkung widersprechen wollen: [E]s [kann] nicht angehen, demjenigen, der aus vom Berater zu vertretenden Gründen eine steuerliche Vergünstigung nicht erhalten hat, die ihm auf der Grundlage der ehemals geltenden höchstrichterlichen Rechtsprechung gebührt hätte, einen finanziellen Ausgleich mit der Begründung zu versagen, sein steuerliches Begehren erscheine aus heutiger Sicht nicht gerechtfertigt. Der Kl. wäre damit gegenüber allen anderen Steuerpflichtigen, die sich zum damaligen Zeitpunkt in der gleichen Lage wie er befanden, jedoch vertragsgerecht beraten wurden, unbillig benachteiligt 19. Nun gelten diese Sätze nicht nur im Steuerrecht: Jeder Mandant, der einen Rechtsstreit aus von seinem Rechtsberater zu vertretenden Gründen verliert (oder umgekehrt: ohne dessen Verschulden gewonnen hätte), hat gegen diesen einen Anspruch auf einen finanziellen Ausgleich, unabhängig davon, wie sich dem im Lichte neuerer Entwicklungen geläuterten Regressgericht die Rechtslage aus heutiger Sicht darstellt. Nähme der BGH seine eigenen steuerrechtlichen Einsichten ernst, müsste er deshalb die Suche nach der wahren Rechtslage im Regressprozess insgesamt zugunsten der normalen Differenzhypothese (was hätte der Mandant bei fehlerfreier Beratung damals erreicht?) aufgeben. IV. Die objektive Rechtslage und die Geburt eines Schadens Die herrschende Meinung nimmt für sich in Anspruch, den Rückgriff auf die objektive Rechtslage lediglich zur normativen Begrenzung des Schadenersatzes zu nutzen. Vollkommer/Heinemann haben dafür die bereits zitierte eingängige Formel gefunden, dass der in einem entgangenen Fehlurteil bestehende Vermögensnachteil keinen Vermögensschaden im Rechtssinne darstellen dürfe 20. Nach dem oben Gesagten geht das schon im Ansatz fehl. Es kommt aber hinzu: Spinnt man den Ansatz der herrschenden Meinung fort, so müsste sie nicht nur den Ersatz eines faktisch entstandenen Schadens ausschließen, wenn das Regressgericht anders als das Vorgericht den Mandanten auch ohne Anwaltsfehler hätte verlieren lassen, sondern im umgekehrten Fall, in dem der Mandant aus der Sicht der Vorgerichts den Prozess auch ohne anwaltlichen Fehler ohnehin verloren, aus der Sicht des Regressgerichts aber gewonnen hätte, Schadenersatz zusprechen. Das ist die zwingende Folge, wenn es, wie bereits oben wiedergegeben, (nur) auf die Sicht des letzteren für die hypothetische Betrachtung [ankommt], ob eine Prozesspartei einen Rechtsstreit bei sachgemäßer anwaltlicher Vertretung gewonnen hätte 21. Auf den konkreten Fall gemünzt: Vertauscht man die Rechtsauffassungen des OLG Frankfurt und des OLG Karlsruhe, so hätte die Berufung gegen die Abweisung der Widerklage im Ausgangsverfahren vor dem OLG Frankfurt keinen Erfolg gehabt, der Anwalt also keinen Schaden verursacht, die Mandantin im Regressprozess aber dennoch Schadenersatz erhalten müssen, weil das OLG Karlsruhe für die Beurteilung der hypothetischen Erfolgsaussichten der Widerklage nur seine eigene, für die Mandantin günstigere Meinung zum Maßstab genommen hätte. Damit könnte ein Schaden qua normativer Betrachtung dessen, was rechtens ist, erst entstehen, der Mandant dank der Pflichtvergessenheit seines Prozessvertreters mehr bekommen, als er bei tadelloser Leistung erhalten hätte. Der Anwalt wäre als Schädiger zu behandeln, auch wenn seine Pflichtwidrigkeit, denkt man im Rahmen der Differenzhypothese den hypothetischen Kausalverlauf bei pflichtgemäßem Verhalten zu Ende, tatsächlich keine negativen Folgen hatte 22. Diese Konsequenz schafft auch den Anhängern der herrschenden Meinung Unbehagen, wobei sie gerade mit ihren Versuchen, sie zu vermeiden, die Schwächen des Ausgangspunkts aufzeigen. Nach Vollkommer/Heinemann soll die normative Erweiterung des Schadens deshalb ausscheiden, weil damit in unzulässiger Weise das allgemeine Lebensrisiko 16 BGH WM 2006, 1243; ebenso KG Berlin, Urt. v U 91/04, BeckRS ; OLG Karlsruhe ZIP 2006, BGH NJW 1993, 2799; BGH NJW 2001, 146 mit Anm. Mäsch 1547 = ZIP 2000, 2168; BGH WM 2001, So Kähler, JuS 2002, 746 (749). Kritisch auch Gräfe, EWiR 249 BGB 3/2000, 1139 (1140). 19 BGH NJW 2001, 146 (148). 20 Oben Fn Oben Fn So i. E. tatsächlich der BGH NJW 2000, 1944, ohne allerdings das Problem anzusprechen. Näher dazu Mäsch (Fn. 6), 92 ff. Der Fußballtrainer und die Anwaltshaftung, oder: Meine objektive Meinung, Mäsch AnwBl 12 /

63 MN Mitteilungen des Mandanten abgewälzt würde, einen Rechtsstreit auch einmal zu Unrecht zu verlieren 23. Im Klartext: Das Risiko, einen Prozess aus der Sicht des Regressgerichts fälschlicherweise zu verlieren, trägt der Mandant allein; die Chance, das Ausgangsverfahren ungeachtet einer abweichenden Sicht des Regressgerichts zu gewinnen, wird ihm über die normative Betrachtung genommen. Nun zeigt schon die einfache Überlegung, dass Chance und Risiko zwei Seiten einer Medaille sind, dass das nicht richtig sein kann. Das Risiko eines ungünstigen Ausgangs besteht nur dort, wo es umgekehrt auch die Chance auf ein gutes Ende gibt. Wer meint, die Chance, bei fehlerfreiem Anwaltshandeln ein Verfahren zu gewinnen, sei nicht schützenswert, wenn das Regressgericht anderer Meinung ist als das Ausgangsgericht, müsste deshalb konsequenterweise auch das Risiko, auf ein Vorgericht zu stoßen, das eine ungünstigere Position als das Regressgericht vertritt, dem Mandanten über den Umweg des Schadenersatzprozesses von den Schultern nehmen. Wenn man letzteres nicht will, ist das durchaus zu begrüßen. Nur heißt das nichts anderes, als dass auch in der ersteren Konstellation die normale Differenzhypothese des 249 Abs. 1 BGB der Orientierung an der Rechtsauffassung des Regressgerichts vorzuziehen ist. V. Der Vergleich mit der Sachverständigenhaftung des 839 a BGB Die Position eines gerichtlichen Sachverständigen ähnelt in den hier diskutierten Facetten derjenigen des Anwalts: Der Sachverständige will und soll wie der Anwalt die Entscheidung des Richters beeinflussen; auch bei ihm ist nicht sicher, was der letztere aus seinem Beitrag zum Prozess macht. Sicher aber ist, dass der Sachverständige haftungsrechtlich anders behandelt wird als der Anwalt: Wirft man ihm einen Fehler vor, muss er (bei qualifiziertem Verschulden) nach 839 a Abs. 1 BGB für jeden Schaden geradestehen, der aus der gerichtlichen Entscheidung entsteht, welche auf diesem Gutachten beruht. Damit entscheidet hier die wirkliche Kausalität ; keine Rolle spielt, ob das Regressgericht den Vorprozess anders entschieden hätte. Verliert also beispielsweise ein Patient seine Arzthaftungsklage allein deshalb, weil das über diese entscheidende Gericht aus dem schuldhaft falschen Gutachten über den Schadenshergang den rechtlichen Schluss 24 zieht, dass kein Behandlungsfehler vorlag, so ist Schadenersatz zu leisten, auch wenn das Regressgericht selbst bei einem richtigen Gutachten aufgrund einer abweichenden Rechtsauffassung einen Behandlungsfehler verneint hätte. Die objektive Rechtslage aus der Sicht des Regressgerichts kommt nicht zum Tragen. Warum die Gerichte meinen, den durch einen Anwaltsfehler geschädigten Mandanten schlechter behandeln zu müssen, bleibt unerklärt und unerklärlich. VI. Schluss Quod licet jovi non licet bovi: Erich Ribbeck wird verspottet für etwas, das die deutschen Gerichte in der Anwaltshaftung seit über 50 Jahren ohne allzu viel Kritik in der Literatur 25 tun: Die Meinung des Regressgerichts über die richtige Entscheidung des Vorprozesses mit der objektiven Lage gleichzusetzen. Sie richten mehr Schaden an als der halsstarrige ehemalige Bundestrainer, der nur die Europameisterschaft 2000 in den Sand setzte, während der von einem Anwalt schlecht vertretene Mandant einen Schadenersatzanspruch auf dieser Grundlage nur durchsetzen kann, wenn er sowohl Vor- als auch Regressgericht auf seiner Seite hat. Dass die Zivilgerichte von sich aus Einsicht zeigen werden, steht für die nahe Zukunft nicht zu erwarten. Vielleicht kommt es aber zu einem Anstoß des BVerfG, denn für die Schlechterstellung der Opfer von forensischen Anwaltsfehlern im Vergleich zu Gutachter-Geschädigten dürfte nur schwer eine Begründung zu finden sein, die vor Art. 3 GG standhält 26. Die objektive Rechtslage trägt als Begründung jedenfalls nicht. 23 Vollkommer/Heinemann (Fn. 11), Rn. 559; ebenso Heinemann, NJW1990,2345 (2349); Mätzig (Fn. 12), 26. Ohne jede Begründung i. E. ebenso Zugehör/Fischer, Handbuch der Anwaltshaftung, 2. Aufl. 2006, Rn. 1063: Die wertende Betrachtungsweise führt... niemals dazu, dass der Anwalt einen lediglich fiktiven, mit der Realität nicht vereinbarten (sic) Schadensersatz schuldet.... S. auch Adam, VersR 2001, 809 (811): Während das Regressgericht dem Mandanten auf der Grundlage einer von der eigenen Auffassung differierenden Position des Ausgangsgerichts keinen Schadenersatz zusprechen dürfe, weil ein Gericht niemals gegen seine eigene Ansicht entscheiden darf, soll für die Abweisung der Regressklage, weil wegen der abweichenden Auffassung des Ausgangsgerichts kein Schaden eingetreten sei, anderes gelten: Hier sei die aus Sicht des Regressgerichts falsche Entscheidung der Richter des Vorprozesses als Tatbestandswirkung hinzunehmen (Fn. 17). Warum im ersten Fall normativ korrigiert werden muss, im zweiten aber nicht, bleibt ohne Begründung. Ähnlich bereits Rötelmann, NJW 1958, 1590 (1592): Hypothetische Entscheidung des Vorgerichts wegen 242 BGB dann nicht maßgebend, wenn sie zu Unrecht zugunsten des Klägers ausgefallen wäre. 24 Vgl. zum Behandlungsfehler als Rechtsfrage Laufs, in: Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, 3. Aufl. 2002, 99 Rn Ausnahmen: Baur (Fn. 5), 1063; Braun, ZZP 96 (1983), 89; ders., JZ 1997, 259; Staudinger/Schiemann, Bearb. 2005, 249 Rn. 73; Mäsch (Fn. 6), 77 ff.; ders., NJW 2001, 1547; ders., JZ 2003, 420; ders., IPRax 2004, Zur verfassungsgerichtlichen Kritik an der Anwaltshaftungsrechtsprechung aus einem anderen Blickwinkel (keine Haftung des Anwalts für fehlerhafte Gerichtsentscheidungen) s. BVerfG NJW 2002, 2937 = JZ 2003, 419 mit Anm. Mäsch. Prof. Dr. jur. Gerald Mäsch, Münster Der Autor ist Inhaber der Professur für Bürgerliches Recht, Handels- und Wirtschaftsrecht, Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung und Direktor des Instituts für Internationales Wirtschaftsrecht an der Westfälischen Wilhelms- Universität. Sie erreichen den Autor unter der -Adresse autor@anwaltsblatt.de. 858 AnwBl 12 / 2009 Der Fußballtrainer und die Anwaltshaftung, oder: Meine objektive Meinung, Mäsch

64 MN Mitteilungen Internationales Frankreich: Justizreform führt zur Abschaffung des Avoué Jördis Harbeck, Kiel/Frankfurt am Main Die Umsetzung der europäischen Dienstleistungsrichtlinie bleibt im anwaltlichen Berufsrecht in Deutschland weitgehend folgenlos (siehe in diesem Heft den Bericht über das Normenscreening von BORA und FAO durch die Satzungsversammlung auf Seite 831). Die großen Reformen wie die Abschaffung der Standesrichtlinien oder der Singularzulassung bei den Oberlandesgerichten sind längst durch. Anders in Frankreich: Dort wird jetzt ein ganzer Justizberuf endgültig abgeschafft. Das große Ziel: Das französische Justizsystem soll Vorbild für Europa werden. Bei dem Avoué handelt es sich um einen französischen, dem deutschen Recht fremden Justizberuf: In erster Linie Repräsentant der Prozesspartei in zivil- und handelsrechtlichen Verfahren gegenüber dem Gericht, an dem er sein Amt ausübt 1, ist der Avoué für die Einhaltung des Prozessrechts zuständig, übermittelt Schriftstücke, sorgt für die Einhaltung der Fristen und ist befugt, in Absprache mit dem Avocat den Schlussvortrag (conclusion) zu erarbeiten. Für seine Funktion erhält er von seinem Klienten eine tarifmäßige Vergütung 2. Seit dem Jahr 1971, als das Repräsentationsmonopol des Avoué in erster Instanz aufgehoben und dieser in die französische Anwaltschaft eingegliedert wurde, existiert das Amt des Avoué ausschließlich in der Berufungsinstanz, an den Appellationsgerichtshöfen (Cours d appel). In einem neuerlichen Vorstoß, angeregt durch die Attali- Kommission 3, wurde im Juni 2008 die umfassende Fusion der Berufsgruppen Avocat und Avoué im Hinblick auf die zukünftige Schaffung eines einheitlichen Justizberufes 4 angekündigt, und ein Jahr später hierzu ein Gesetzentwurf 5 vorgelegt 6 (I.), der sich starker Kritik ausgesetzt sah (II.). In Ansehung der prekären Lage der Avoués, die auch in der Politik einige Fürsprecher fanden, zeigte sich die Regierung kompromissbereit und änderte noch einmal den Entwurf ab, der schließlich im Herbst von der Nationalversammlung verabschiedet wurde (III.). I. Der Entwurf 1. Motive Konkret verfolgt der Gesetzgeber zwei Ziele: Als Teil eines Gesamtpakets umfassender Justizreformen soll die Abschaffung des Avoué dem Verbraucher den Zugang zur Justiz erleichtern und die Rechtsverfolgungskosten drastisch senken; nach der Neuregelung kann der seit der ersten Instanz mit dem Fall betraute Avocat das Verfahren auch in der Folgeinstanz betreuen, ohne dass es einer weiteren kostenverursachenden Mittelsperson bedürfte. Der zweite, maßgebliche Grund für die geplante Fusion ist der immer weiterreichende Einfluss des Gemeinschaftsrechts: Mit Ende diesen Jahres verstreicht die Frist zur Umsetzung der neuen Dienstleistungsrichtlinie 7, die zum Zwecke des barrierefreien Austausches von Dienstleistungen den weitgehenden Abbau von Wettbewerbshindernissen vorsieht. Dem wird das derzeitige Berufsrecht des Avoué jedoch in keiner Weise gerecht 8 : Nach abgeschlossener Ausbildung erwirbt er sein Amt durch entgeltlichen Vertrag von einem ausscheidenden Avoué. Dieser Amtsübergang wird durch das Justizministerium insbesondere auf Angemessenheit des Kaufpreises geprüft, der Avoué danach von dem amtierenden Justizminister (Garde des Sceaux) per Dekret ernannt. Eine Dienstleistungsfreiheit in den Mitgliedsstaaten im Sinne einer beruflichen Freizügigkeit ist kaum möglich. Es steht daher zu befürchten, dass die EU ohnehin eine Änderung der bestehenden Regelungen fordern und ggf. Sanktionen verhängen wird. 2. Inhalt Um jedweder Maßnahme zuvor zu kommen, wurde der hier vorgestellte Gesetzesvorschlag eingebracht, der sich aus drei Hauptregelungskomplexen zusammensetzt: (1) Art Der Avoué am Cour d appel wird mit Wirkung zum in die Anwaltschaft integriert und als Avocat bei der jeweiligen Anwaltskammer (barreau) registriert. Er erhält jedoch das Recht, hierauf zu verzichten; für diesen Fall sollen vereinfachte Wege festgelegt werden, die den Quereinstieg in einen anderen freien juristischen Beruf ermöglichen 9. Die Postulationsbefugnis des Avocat wird auf die Cours d appel ausgeweitet. Das erste Jahr wird als Übergangszeit ausgestaltet, während der der Avoué sowohl seine alte Funktion als auch den Beruf des Avocat ausüben kann, um Fuß zu fassen. (2) Art Es wird für den Verlust des Amtes i. d. R. eine Entschädigung in Höhe von 2/3 des Wertes zugesprochen 10. Jegliche Kündigung von Angestellten des Avoué wird als solche aus wirtschaftlichen Gründen behandelt und der Gekündigte mit dem Doppelten des gesetzlich vorgesehenen Betrages abgefunden 11. (3) Art Die ehemaligen Angestellten, die über ein diplôme d avoué verfügen, sind dem Avoué in Bezug auf die berufliche Zukunft gleichgestellt. Für die übrigen Personen, sieht das Gesetz ebenfalls Erleichterungen für den Übergang in andere Justizberufe vor. 1 Vgl. Motive des projet de loi No (Assemblée Nationale, A. N.) vom , S. 3; daneben auch Befugnis, Rechtsrat zu erteilen und privatrechtliche Dokumente (actes sous seing-privé) zu erstellen. 2 Décret No vom Commission pour la libération de la croissance française im Sommer 2007 eingesetzte Kommission, die unter dem Vorsitz von Jacques Attali beauftragt war, ein Reformprogramm zu erarbeiten, anhand dessen die frz. Wirtschaft durch teils radikale Strukturveränderungen aus der globalen Krise gestärkt hervorgehen und wieder zu einem attraktiven Wirtschaftsstandort werden soll. Zielvorgaben: Steigerung der Wachstumsrate um 1 Prozent, Senkung der Arbeitslosenquote auf 5 Prozent sowie Abbau öffentlicher Schulden. Der Anfang 2008 vorgelegte Abschlussbericht umfasste 316 konkrete Vorschläge an die Regierung (décisions) sowie einen detaillierten Umsetzungsfahrplan. 4 Siehe Fusion von Avocat und Avoué in 1. Instanz 1971 sowie von Avocat und Conseil juridique im Jahr 1991 und das künftige Vorhaben, auch den Beruf des Notaire zu integrieren, dazu: Les professions d avocat et d avoué vont fusionner, Nouvel Observateur online vom Projet de loi N71709, registriert am Vgl. Pressemitteilungen des Präsidenten sowie des Ministerrates vom unter 7 Richtlinie 2006/123/CE vom Vgl. Motive des Gesetzentwurfs, S. 4; a. A. Nourissat in: Froment-Bericht Suppression de la profession d avoué près la cour d appel au 1er janvier 2010 Indemnisation, fondements juridiques, préjudices financiers, vom , S. 69 ff. 9 Ausdrücklich ist kein Eintritt in die Richterlaufbahn möglich. 10 Ausnahme bestehen für vor Kurzem neu übernommene, noch wenig werthaltige Ämter und aufgrund Amtsübernahme mit Darlehen belastete Avoués. 11 Obergrenze liegt jedoch bei 25 Berufsjahren, so dass sich eine Entschädigung von max. 14 Monatsgehältern ergibt. Frankreich: Justizreform führt zur Abschaffung des Avoué, Harbeck AnwBl 12 /

65 MN Mitteilungen II. Kritische Betrachtung Auf den ersten Blick ist es nur schwer nachvollziehbar, warum sich diese gut durchdacht erscheinende Reform 12,in ihrer Existenz, aber auch in ihrer Tragweite, harscher Kritik ausgesetzt sieht. 1. Drohende Massenarbeitslosigkeit Gegen die Neuregelung wehren sich nicht lediglich die Avoués selbst, sondern auch und vor allem deren rund Angestellte. Diese befürchten, aufgrund Ihrer Spezialisierung und persönlichen Lage rund 98 Prozent von ihnen sind Frauen, davon etwa 2/3 fortgeschrittenen Alters 13 und ohne höhere Schulbildung keine neue Wirkungsstätte zu finden. Die bereits angesprochenen Hilfen seien unzureichend und praktisch nicht umzusetzen. Oftmals wird hierbei der Vergleich mit einer Massenentlassung durch ein größeres Wirtschaftsunternehmen bemüht; hier setzt sich der Staat stets für den Erhalt von Arbeitsplätzen ein, während er aktuell selbst eine Massenentlassung initiiert. 2. Mangelnde Wettbewerbsfähigkeit Die Avoués selbst befürchten, in der Berufswelt der Avocats nicht Fuß fassen zu können, da sie sehr spezialisierte Kenntnisse im Berufungsprozessrecht, oftmals jedoch nicht im materiellen Recht aufweisen. Bereits unter diesem Gesichtspunkt halten viele die in Aussicht genommene Transformation für undurchführbar. Eine Spezialisierung auf die Nische Berufungsverfahren ist wirtschaftlich jedenfalls kaum möglich, da ein Avocat im Jahresdurchschnitt lediglich 2 4 Berufungsverfahren betreut. Zudem haben die Neu-Avocats keinen Mandantenstamm, den aufzubauen bei der herrschenden Konkurrenz insbesondere in der Hauptstadt nicht leicht fällt. Unter Berücksichtigung dessen hat der französische Gesetzgeber eine Übergangszeit von 12 Monaten vorgesehen, innerhalb derer die Avoués zugleich ihren alten und neuen Beruf ausüben dürfen. Hiergegen laufen allerdings die Avocats Sturm, da dies die freie Konkurrenz aushebeln würde 14 : Welcher Avocat könnte seinen Mandanten noch ruhigen Gewissens an einen Avoué verweisen, wenn er befürchten muss, dass jener ihm streitig gemacht wird? 3. Unzureichende Entschädigung Darüber hinaus fällt häufig auch der Vorwurf der Legalenteignung: Der Avoué bekommt, Sonderregelungen außer Acht gelassen, von staatlicher Seite eine Entschädigung in Höhe von 2/3 des Wertes seines Amtes, wird also in Bezug auf das verbleibende Drittel enteignet. III. Verabschiedung eines modifizierten Entwurfs Die in Frankreich noch immer diskutierte Frage, ob es einen Weg gibt, die Ziele des Gesetzes unter Beibehaltung des Amtes des Avoué zu erreichen 15, ist in der Praxis jedoch nicht mehr von maßgeblicher Bedeutung. Am wurde der von der Nationalversammlung beschlossene Text 16 der zweiten Legislativkammer, dem Sénat, zur Entscheidung zugeleitet. Allerdings war der Entwurf in seiner ursprünglichen Fassung nicht mehrheitsfähig. Die Abgeordneten bewiesen ein feines Gespür für die Lage der Avoués 17 und suchten den Dialog, um eine für beide Seiten tragbare Lösung zu finden. Das Hauptaugenmerk richtete sich hierbei auf die Zukunft der Angestellten sowie die Höhe der Entschädigung. Im Hinblick auf eine mögliche Unvereinbarkeit mit der Verfassung sowie EU-Recht wurde beschlossen, den Avoués nun doch eine Entschädigung in Höhe von 100 Prozent zuzubilligen. Das Justizministerium sagte auch zu, bereits im kommenden Jahr mehrere hundert Stellen zu schaffen, die für Angestellte ehemaliger Avoués reserviert seien. Inwieweit sich hier ein neuer Problemkreis eröffnet, soll an dieser Stelle nicht erörtert werden. Es bleibt abzuwarten, wie der Senat hierüber entscheiden wird. 18 IV. Die Abschaffung des Avoué eine notwendige Entscheidung Die Abschaffung des Avoué ist eine Reform, die wie voranstehend angedeutet ihre Vorzüge, aber auch Schattenseiten hat. Wenn diese Entscheidung auch das Ende einer ganzen Berufsgruppe mit sich bringt, so erscheint sie doch unumgänglich. Dabei ist das Argument der derzeitigen Unvereinbarkeit mit dem vorrangig geltenden Europarecht eines der stärksten; dieses Amt europarechtskonform auszugestalten ist praktisch kaum möglich. Die Abschaffung des Avoué ist als Teil eines politischen Ganzen zu sehen: Die französischen Justizreformer haben es sich zur Aufgabe gemacht, dem französischen System zu einer Vorreiter- und Modellrolle in Europa zu verhelfen. Dass eine Fusion der Avoués mit den Avocats gelingen kann, zeigte sich schon bei der Zusammenführung der Berufe 1971 für die erste Instanz. Auch wenn teilweise eingewandt wird, dass weder die aktuelle wirtschaftliche Lage, noch die Arbeitsmarktsituation mit der der 1970er Jahre vergleichbar und ein reibungsloser Ablauf daher nicht gewährleistet sei, gilt: Will Frankreich ein Justizsystem mit Vorbildcharakter schaffen, so ist es an der Zeit, sich von dieser nationalen Eigenheit zu trennen. 12 Insbesondere, wenn man auch die hier nicht erwähnten Vorschriften bspw. zur Altersvorsorge betrachtet. 13 Durchschnittsalter: 43 Jahre. 14 Pressemitteilung des Nationalrates der Anwaltskammern (Conseil National des Barreaux- CNB) vom Contribution de la profession d avoué à la réflexion sur la réforme de la carte judiciaire einschl. Annex vom Texte adopté N7 347, A. N. vom Vgl. Sitzungsprotokolle der A. N., Compte Rendu Commission des lois constitutionnelles, de la législation et de l administration générale de la République vom sowie Das Gesetzgebungsverfahren kann unter fusion_avocat_avoue_ca.asp verfolgt werden. Jördis Harbeck, Kiel/Frankfurt am Main Die Autorin ist Doktorandin. Sie arbeitet derzeit in der Kanzlei Dr. Holzhausen & Partner in Frankfurt am Main. Sie erreichen die Autorin unter der -Adresse autor@anwaltsblatt.de. 860 AnwBl 12 / 2009 Frankreich: Justizreform führt zur Abschaffung des Avoué, Harbeck

66 MN Mitteilungen Soldan Institut für Anwaltmanagement Berufsausübung in der haftungsbeschränkten Unternehmergesellschaft Kaum Interesse der Anwaltschaft an der kleinen Schwester der GmbH Prof. Dr. Christoph Hommerich, Bergisch-Gladbach und Rechtsanwalt Dr. Matthias Kilian, Köln Die Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) steht auch Anwälten offen. Doch diese Spielart der GmbH findet kaum Anhänger. Immerhin lehnen sie 17 Prozent der Anwälte nicht ab. I. Die UG neue Gestaltungsoption im Anwaltsgesellschaftsrecht Rechtsanwälte können seit einer grundlegenden Entscheidung des BayObLG vom 24. November die GmbH als Organisationsform nutzen. Diese kann seit Einfügung der 59 c ff. in die BRAO mit Wirkung zum 1. März 1999 auch selbst als Rechtsanwaltsgesellschaft mbh zur Rechtsanwaltschaft zugelassen werden 2. Änderungen des allgemeinen Kapitalgesellschaftsrechts betreffen daher auch das anwaltliche Sozietätsrecht. Die Reform des GmbH-Rechts durch das Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) 3 hat vor diesem Hintergrund auch Bedeutung für das anwaltliche Berufsrecht. Durch das MoMiG ist, nicht zuletzt als Reaktion auf die zunehmende Popularität der englischen Limited in Deutschland (deren Nutzung als Organisationsform in Folge der Rechtsprechung des EuGH zur so genannten Sitztheorie in den vergangenen Jahren möglich geworden ist), mit Wirkung zum 1. November 2008 die haftungsbeschränkte Unternehmergesellschaft (UG) geschaffen worden 4. Es handelt sich bei ihr nicht um eine neue Rechtsform, sondern um eine GmbH mit einem geringeren als dem in 5 Abs. 1 GmbHG vorgesehenen Mindestkapital von Euro. Gem. 5 a GmbHG muss diese GmbH in der Firma abweichend von 4 GmbHG die Bezeichnung Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) oder UG (haftungsbeschränkt) führen. Die sachgerechte Behandlung der UG durch das Berufsrecht hat bei den Rechtsanwaltskammern, wie zuvor bereits Anfragen zur Eintragung von Ltd., anfänglich zu einer gewissen Verunsicherung geführt. Da es sich bei der UG aber um eine Spielart der GmbH und nicht um eine eigenständige Rechtsform handelt, unterliegt es keinem ernsthaften Zweifel, dass die gesetzlichen Regelungen in 59 c ff. BRAO unmittelbar anwendbar sind, eine Rechtsanwaltsgesellschaft mbh daher auch als haftungsbeschränkte Unternehmergesellschaft gegründet und entsprechend als Berufsrechtssubjekt anerkannt werden kann 5. Wäre die Attraktivität der Rechtsanwaltsgesellschaft mbh als Organisationsmodell für die anwaltliche Berufsausübung Indikator für die künftige Nutzung der UG als Rechtsform, dürfte die praktische Bedeutung der UG eher gering bleiben: Die Rechtsanwaltsgesellschaft mbh führt in der Berufspraxis bislang eher ein Schattendasein am 1. Januar 2009 waren im Bundesgebiet lediglich 324 Rechtsanwaltsgesellschaften mbh zugelassen 6. Die Gründe für die zurückhaltende Nutzung der GmbH als Organisationsform liegen im Dunkeln. Denkbare Erklärungen sind unterschwellige Berührungsängste aufgrund der Assoziationen gewerblicher Tätigkeit auslösenden Rechtsform, aber auch die wirtschaftlich belastenden Anforderungen an den zu unterhaltenden Versicherungsschutz in der Berufshaftpflichtversicherung gemäß 59 j BRAO oder die für Kapitalgesellschaften geltenden Publizitätspflichten. Wäre hingegen die Mindestkapitalisierung der GmbH ein Hemmnis, würde die Unternehmergesellschaft hier künftig eine weniger kapitalintensive Alternative bieten. II. Interesse der Anwaltschaft an der UG Das Soldan Institut für Anwaltmanagement hat vor dem Hintergrund, dass die Gründe für die zurückhaltende Nutzung von Anwaltskapitalgesellschaften nicht bekannt sind, untersucht, ob die Unternehmergesellschaft für die Anwaltschaft eine attraktive Alternative zur GmbH oder AG ist. Die teilnehmenden Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte wurden daher um Auskunft gebeten, ob für sie die Unternehmergesellschaft als Organisationsform in Betracht kommt. 83 Prozent der Befragten haben diese Frage verneint. Keiner der mehr als befragten Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte plant bereits aktiv die Gründung einer UG als Träger der eigenen Kanzlei. Allerdings kommt eine derartige Organisationsform für 17 Prozent der befragten Anwälte grundsätzlich in Betracht, auch wenn noch keine konkreten Pläne zur Gründung einer UG bestehen. Abbildung 1: Interesse an Berufsausübung in einer haftungsbeschränkten Unternehmergesellschaft 1 BayObLG NJW 1995, 199 ff. = AnwBl 1995, Näher Kilian, in: Koch/Kilian, Anwaltliches Berufsrecht, München 2007, Rn. B 983 ff. 3 Zu diesem allgemein Verspay, MDR 2009, 117 ff.; Seibert/Deckert, ZIP 2008, 2347 ff.; Hirte, NZG2008,641ff.;Oppenhoff, BB2008,1630ff.;Kindler, NJW 2008, 3249 ff. 4 Zu dieser allgemein Waldenberger/Sieber, GmbHR 2009, 114 ff.; Weber, BB 2009, 842 ff.; Hirte, ZinsO 2008, 933 ff.; Wilhelm, DB 2007, 1510 ff. 5 So auch Henssler, in: Henssler/Prütting, BRAO, 3. Aufl. 2010, 59c Rn BRAK, Kleine Mitgliederstatistik, Mitglieder_klein.pdf. Berufsausübung in der haftungsbeschränkten Unternehmergesellschaft, Hommerich/Kilian AnwBl 12 /

67 MN Mitteilungen Im Rahmen der Befragung konnten keine eindeutigen Determinanten identifiziert werden, die die Neigung, zukünftig eventuell eine haftungsbeschränkte Unternehmergesellschaft zu gründen, beeinflussen. Untersucht wurden personen- und mandantenbezogene sowie fach- und kanzleispezifische Einflussfaktoren. Sie zeigten sämtlich keine signifikanten Abweichungen von den Angaben der Gesamtheit aller befragten Rechtsanwälte. Es lässt sich insbesondere nicht feststellen, dass die UG eher von Einzelanwälten oder Kleinsozietäten, bei denen eine größere Sensibilität zum Beispiel in Fragen der Kapitalaufbringung bestehen könnte, als potenzielles Organisationsmodell gesehen wird (s. Tab. 1). Dies dürfte darauf hindeuten, dass die Zurückhaltung der Anwaltschaft in Fragen der Vergesellschaftung in Kapitalgesellschaften eher auf grundsätzlichen Bedenken fusst und die erhöhten Kosten nicht im Zentrum der Entscheidungsfindung stehen. Allerdings wurden im Rahmen der Befragung keine Angaben zu möglicherweise unterschwelligen Berührungsängsten aufgrund der Assoziationen gewerblicher Tätigkeit mit der Organisationsform einer Unternehmergesellschaft oder die Einschätzung der wirtschaftlich belastenden Anforderungen, die mit einer UG in Verbindung gebracht werden können, erfasst. III. Ausblick Einzelkanzlei Bürogemeinschaft örtl. Sozietät überörtl. Sozietät Nein 83 % 83 % 82 % 85 % Ja, aber noch keine 16 % 17 % 18 % 16 % konkreten Pläne Ja, plane Gründung einer UG 0% 0% 0% 0% Tabelle 1: Interesse an Berufsausübung in einer haftungsbeschränkten UG nach Kanzleityp Das Interesse der Anwaltschaft an der UG als Organisationsform ist nicht sehr stark ausgeprägt, allerdings ist die Größe der Gruppe der Rechtsanwälte, die sich nicht grundsätzlich ablehnend zur UG äußern, auch keine quantité negligable. Bemerkenswert ist, dass sich bei einer differenzierenden Betrachtung keine Teilgruppen innerhalb der Anwaltschaft identifizeren lassen, die der UG besonders aufgeschlossen oder skeptisch gegenüber stehen. Soldan Institut für Anwaltmanagement Prof. Dr. Christoph Hommerich und Rechtsanwalt Dr. Matthias Kilian sind Direktoren des Soldan Instituts für Anwaltmanagement e. V. Informationen zum Soldan Institut für Anwaltmanagement im Internet unter Sie erreichen die Autoren unter der -Adresse autor@anwaltsblatt.de. Soldan Institut für Anwaltmanagement Rückblick und Ausblick Der Jahreswechsel gibt Anlass, einen Blick auf abgeschlossene und demnächst anstehende Projekte des Soldan Instituts zu werfen. Die Publikationen des Jahres 2009 standen vor allem im Zeichen der als Barometer bezeichneten Langzeitprojekte des Soldan Instituts: Zu Beginn des Jahres hat das Institut die erste Ausgabe seines bundesweiten Vergütungsbarometers veröffentlicht, nachdem im Vorjahr bereits für 13 Rechtsanwaltskammern regionale Studien zur Praxis der Vergütungsvereinbarungen der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte erstellt worden waren (Nachweise unter Mehr als Rechtsanwälte und Rechtsanwältinnen haben sich an der Befragung zum Vergütungsbarometer beteiligt und hierdurch ermöglicht, dass erstmals höchst differenzierte Aussagen zu anwaltlichen Vergütungsvereinbarungen getroffen werden können (vgl. hierzu NJW 2009, 1569 ff.; BRAK- Mitt. 2009, 223ff.). Wenig später konnten zum Anwaltstag 2009 erste Ergebnisse des aktuellen Berufsrechtsbarometers vorgestellt werden, in dem Berufsangehörige ihre Meinung zu bereits realisierten (AnwBl 2009, 541 f.; 636 f.; 712 f.; 785 f.; 861 f.) und für die Zukunft diskutierten (hierzu demnächst in NJW 2009) Änderungen des Berufsrechts mitgeteilt haben. Vor wenigen Tagen hat schließlich die Befragung für das Gründungsbarometer begonnen, mit dem eine im 2004 initiierte Studie zum Berufseinstieg junger Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte fortgesetzt wird. Das Jahr 2010 wird für das Soldan Institut wieder stärker im Zeichen von Einzelstudien stehen: Bereits abgeschlossen sind Befragungen zu den Themen Wirksamkeit anwaltlicher Werbemaßnahmen und Rechtsanwälte und Rechtsschutzversicherungen. In der Vorbereitung befindet sich eine breit angelegte Studie zur Spezialisierung der Anwaltschaft, deren erster Baustein eine Befragung von Fachanwälten und Nicht-Fachanwälten zu den Erfahrungen bzw. Problemen des Erwerbs eines Fachanwaltstitels sein wird. Eine verbindende Klammer für alle diese Projekte ist das 2007 erstmals publizierte Statistische Jahrbuch der Anwaltschaft. Es wird in Kürze in der Ausgabe 2009/2010 erscheinen. Neben der Fortschreibung der bereits vertrauten Zahlenreihen wird der Leser in der Neuausgabe auch einige zusätzliche Rubriken sowie weitere historische Daten finden. Ein vor allem empirisch forschendes Institut ist für sein erfolgreiches Wirken auf die Bereitschaft der Berufsangehörigen angewiesen, sich an Befragungen zu beteiligen. Die Unterstützung der Forschungsarbeit des Instituts durch die Anwaltschaft und ihre Institutionen ist weiterhin groß. Hierfür gebührt allen, die die rechtstatsächliche Forschung des Instituts getragen haben, ein herzlicher Dank. Direktoren und Mitarbeiter des Instituts verbinden diesen Dank mit der Hoffnung, auch künftig auf das Engagement der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte bei der Forschung in deren eigenen Angelegenheiten zählen zu können. Prof. Dr. Christoph Hommerich, Bergisch-Gladbach und Rechtsanwalt Dr. Matthias Kilian, Köln 862 AnwBl 12 / 2009 Berufsausübung in der haftungsbeschränkten Unternehmergesellschaft, Hommerich/Kilian

68 MN Mitteilungen Bücherschau Lesestoff jenseits der Arbeit Rechtsanwalt Dr. Matthias Kilian, Köln Die Geschichte der deutschen Anwaltschaft seit 1945, Felix Busse, Anwaltverlag, Bonn 2010, 678 S., ISBN , 98 Euro. 1. Wer es seit langem unternimmt, Jahr für Jahr mehr als 60 Neuerscheinungen rund um den Anwalt und sein Berufsrecht vorzustellen, den lassen angekündigte neue Titel nur noch selten mit ungeduldiger Neugier auf ihr Erscheinen warten. Bei der in dieser Bücherschau anzuzeigenden Neuerscheinung Die Geschichte der deutschen Anwaltschaft seit 1945 aus der Feder von DAV- Altpräsident Felix Busse war dies anders. Sein eindrucksvolles Buch wird, dies ist keine allzu kühne Vorhersage, in den kommenden Jahrzehnten gleichrangig neben den beiden vertrauten Klassikern zur deutschen Anwaltsgeschichte stehen den Werken von Adolf Weißler aus dem Jahr 1905 ( Geschichte der Anwaltschaft ) und von Fritz Ostler ( Die deutschen Rechtsanwälte ). Wer wie der Autor dieser Bücherschau aus eigener leidvoller Erfahrung als Herausgeber des Statistischen Jahrbuchs der Anwaltschaft weiß, wie mühsam es bereits ist, einige wenige historische Daten zur Anwaltschaft zu erheben, der kann ermessen, welche Fleißarbeit Busse auf sich genommen hat, um zahllose Detailinformationen zusammen zu tragen und aufzubereiten. Dies gilt in ganz besonderem Maße für den ersten Hauptteil des Buches, der die Zeit von 1945 bis zur Gründung von BRD und DDR behandelt. Diese historisch spannenden, in rechtlicher Hinsicht durch die Rechtszersplitterung unübersichtlichen Übergangsjahre lagen aus Sicht der Anwaltsgeschichtsforschung bislang fast völlig im Dunkeln. Auf gut 150 Seiten skizziert Busse jeweils getrennt die Verhältnisse in den drei westlichen Besatzungszonen, weitere 50 Seiten widmen sich den Gegebenheiten in der ehemaligen SBZ, im geteilten Berlin und im Saarland. Ein Schwerpunkt liegt hierbei auf der Entnazifizierung der Anwaltschaft durch die Besatzungsmächte. Manches kuriose Detail wird berichtet, so die Gründung des Vereins Rechtsanwaltskammer Frankfurt als Reaktion auf ein vorübergehendes Verbot von beruflich bedingten Zwangsmitgliedschaften. Die Passagen zur DDR richten den Blick bewusst über die Anwaltschaft hinaus und schildern auch den Wiederaufbau von Gerichten und Staatsanwaltschaften, um die dortigen Entwicklungen im Gesamtkontext besser verständlich zu machen. Der weitere Aufbau des Werkes orientiert sich an den historischen Brüchen der deutschen Geschichte: 150 Seiten widmen sich der bundesdeutschen Anwaltschaft der Jahre 1949 bis 1990, hier schildern große Blöcke die Entwicklung des Berufsrechts und den sich wandelnden Wirkungskreis des Berufs. Kürzere Abschnitte behandeln u. a. Demographisches, das Vergütungsrecht, die Öffnung nach Europa oder die wirtschaftliche Lage der Anwaltschaft. Erfreulicherweise ebenso umfangreich fällt das Kapitel zur Entwicklung der Anwaltschaft in der DDR aus. Erwartungsgemäß spielt auf diesen 150 Seiten das Berufsrecht keine prominente Rolle, es geht vor allem um die Rolle des Rechtsanwalts in der sozialistischen Gesellschaft, seine Einbindung in Kollegien und sein durch die politischen Gegebenheiten geprägtes Wirkungsfeld. Zusammengeführt werden die beiden Entwicklungslinien in einem letzten großen Kapitel von 120 Seiten, das die wiedervereinigte Anwaltschaft der Jahre 1990 bis 2009 zum Gegenstand hat. Es spiegelt in den Grundstrukturen das Kapitel zu der bundesrepublikanischen Epoche der Jahre , so dass auch hier eine Analyse der berufsrechtlichen Veränderungen im Zentrum steht. Die überaus dynamische Entwicklung des Berufsrechts seit 1994 bietet Busse reichlich Stoff, die feinen Verästelungen aufzuzeigen, erneut abgerundet durch rechtstatsächliche Betrachtungen (die nicht nur hier dem Buch einen besonderen Mehrwert geben). Mit besonderer Spannung wartet der Leser schließlich, am Ende des Buches angelangt, auf das letzte, Rückblick und Ausblick überschriebene Kapitel. Es beginnt mit der Feststellung des Autors, dass die in den vom Werk umfassten 64 Jahren abgelaufenen Entwicklungen gewaltig, für manche beängstigend seien. Busse selbst resümiert wie folgt: Ich meine, die genaue Betrachtung der Entwicklungen der letzten Jahrzehnte ergibt zwar Gefährdungen, auch eine Kommerzialisierung, die derzeit in allen gesellschaftlichen Bereichen abläuft. Sie sind aber nicht prinzipieller Natur und keine notwendige Folge der Liberalisierung des Berufsrechts, sondern betreffen den verantwortlichen Umgang des einzelnen Anwalts mit den ihm eingeräumten Freiheiten... Die behauptete Denaturierung zu einem Dienstleister, der sich von den gewerblichen Dienstleistern kaum noch unterscheidet, hat jedenfalls in der großen Mehrheit der Anwaltschaft nicht stattgefunden. Jedem Kollegen, der sich mit den Wandlungsprozessen seines Berufsstands beschäftigen möchte, sei die Anwaltsgeschichte von Busse ans Herz gelegt. Sie wird zweifellos ein Standardwerk der Anwaltsliteratur werden. 2. Während Busse den Blick zurück in die Vergangenheit wendet, richtet ihn Christoph Hommerich in seiner Neuerscheinung Die Freien Berufe und das Vertrauen in der Gesellschaft in die Zukunft der Untertitel Ansätze zu einem Aufbruch unterstreicht dies. Die Die Freien Berufe und das Vertrauen in der Gesellschaft, Christoph Hommerich, Nomos-Verlag, Baden-Baden 2009, 304 S, ISBN , 58 Euro. wissenschaftliche Befassung mit der Anwaltschaft leidet bisweilen darunter, dass primär Anwälte über Anwälte schreiben, nicht nur in ihrem ureigensten Kompetenzfeld, dem Anwaltsrecht, sondern auch bei historischen, ökonomischen oder soziologischen Betrachtungen. Besonders hilfreich ist es daher, wenn sich, was selten genug geschieht, Wissenschafter ohne anwaltliche Sozialisation mit dem Berufsstand beschäftigen. Hommerich hat dies seit fast 25 Jahren getan, sein Interesse als Soziologe gilt freilich nicht nur den Anwälten, sondern u.a. auch Architekten, Ingenieuren oder Ärzten. Seine Studie, entstanden im Auftrag des Verbandes Freier Berufe NRW, nimmt den Status Quo zum Anlass, die Zukunftsfähigkeit des Konzepts Freier Beruf und die Zukunftsherausforderungen für diesen zu analysieren. Auf knapp 300 Seiten arbeitet Hommerich 20 Kernthesen heraus, Bücherschau, Kilian AnwBl 12 /

69 MN Mitteilungen die er insbesondere durch einen Blick auf drei zentrale Problemfelder gewonnen hat: Die Interdependenz von Freien Berufen und dem Vertrauen der Gesellschaft, den Werten der Professionen und ihrer wirtschaftlichen Situation. Hommerich betont, dass insbesondere eine ökonomisch verengte Betrachtung der Freien Berufe ihren Charakter als Vertrauensberufe weitgehend ausblendet und zu drastischen Fehleinschätzungen etwa im Sinne ihrer Deregulierbarkeit ohne weitere negative Folgen für die Klienten führt. Mit dieser Feststellung tadelt er nicht nur Politiker und Ökonomen, sondern auch die Berufsangehörigen selbst, stellt er doch ganz zu recht fest, dass einzelne Gruppen von Berufsträgern zu diesem Prozess durch eine Selbsttrivialisierung beitragen, insbesondere dann, wenn sie sich von Deregulierung persönlichen Nutzen erhoffen oder bereit sind, die ethischen Bezüge ihrer Berufe neu zu gewichten oder zu ignorieren. Ausführlich arbeitet Hommerich den Charakter der regulierten freien Berufe als Vertrauensberufe heraus. Anschaulich belegt er, dass populäre Forderungen, Regulierung durch Information der Verbraucher zu ersetzen, verkennen, dass das Gefälle zwischen Experten und Laien nicht nur ein Informationsgefälle, sondern auch ein Wissensgefälle ist. Die aus asymmetrischem Wissen folgende Unmöglichkeit der Kontrolle der Berufsangehörigen durch ihre Auftraggeber nutzt Hommerich als zentrales Argument dafür, opportunistisches Verhalten durch Regeln auszuschließen, deren Geltungsanspruch nicht nur gesellschaftlich legitimiert, sondern organisatorisch auch durch das Kammerwesen abgesichert ist. In der gesellschaftlichen Legitimation der freien Berufe sieht der Verfasser eine besondere Herausforderung, der ein tradierter, aber letztlich nicht länger kritisch hinterfragter bloßer Verweis auf einen Gemeinwohlbezug nicht gerecht werden kann. Hommerich weist darauf hin, dass der Gemeinwohlbegriff im stetigen Wandel begriffen ist, weil er gesellschaftlichen Wandel spiegelt. Auch deswegen müsse jede Berufsgruppe, die Gemeinwohlbezüge für sich reklamiert und aus ihnen besondere Rechte und Pflichten ableiten will, diese Bezüge immer wieder neu begründen. Hommerich mahnt, dass diese Legitimierungsleistung in den vergangenen Jahren vernachlässigt wurde und dies die Forderungen nach einer Deregulierung der Freien Berufe erleichtert habe. Die Legitimierungsanstrengungen der Freien Berufe müssen, dies ist ein zentrales Ergebnis der Untersuchung, erheblich intensiviert werden, weil jede Generation der nachfolgenden erläutern müsse, warum bestimmte Institutionen sinnvoll sind und damit auch besondere Expertenberufe, die dem Gemeinwohl verpflichtet sind. Für die aktuell in der Anwaltschaft mit tendenziell zu viel Aufgeregtheit und zu wenig Reflektion geführte Ethikdiskussion dürfte der Hinweis zu Versachlichung beitragen, dass ethische Selbstbindung über rechtliche Aspekte hinausgeht und gerade nicht sanktionsbewährte Handlungsregeln im Vordergrund stehen, sondern die Ausbildung einer inneren Haltung, eines Ethos, das den Kern ethischer Selbstbindung bildet. Das Resümee Hommerichs lautet: Die Freien Berufe müssen ihre Legitimationsanstrengungen aus sich heraus deutlich intensivieren und differenzieren. Wehklagen über schlechte Rahmenbedingungen ersetzt diese Aufgabe nicht. Transparenz der Leistungen der Freien Berufe für die Gesellschaft, glaubwürdige Selbstverpflichtung auf ethische Standards, gelebte Ethik und Selbstunterwerfung unter laufende Qualitätsprüfungen sind Wege zur Erreichung von Vertrauenswürdigkeit und nachvollziehbare Zeichen für die Übernahme öffentlicher Verantwortung. Flucht in den Zivilprozess, Cord Brügmann, Metropol-Verlag, Berlin 2009, 173 S., ISBN , 19 Euro. 3. Die Forschung über die Entrechtung jüdischer Bürger durch die Justiz im Vorfeld des Dritten Reichs hat jüngst zwei interessante Studien hervorgebracht. Inbal Steinitz hat sich mit der Behandlung jüdischer Angeklagter in Strafprozessen im Kaiserreich und in der Weimarer Republik befasst (vgl. hierzu Bücherschau 12/2008, AnwBl 2008, 870). Cord Brügmann, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Anwaltvereins, widmet sich diesem Thema in seiner Untersuchung Flucht in den Zivilprozess aus Sicht des Zivilprozesses. Er konzentriert sich hierbei auf die Problematik von Aufrufen zum Boykott jüdischer Unternehmen in der Zeit der Weimarer Republik, die als ein Mittel der antisemitischen Agitation ab Mitte der 1920er Jahre stark zunahmen. Brügmann fächert zunächst die historischen Determinanten des Untersuchungsgegenstands auf und schildert den Boykott gegen jüdische Kaufleute, die sozioökonomische Situation der deutschen Juden und die Struktur der Richterschaft in der Weimarer Zeit. Er wendet sich sodann der Frage zu, welche materiell- und prozessrechtlichen Mittel den Opfern antisemistischer Boykottaufrufe zu Gebote standen, um vor den Zivilgerichten Rechtsschutz zu erlangen, und wie diese Fragen in der zeitgenössischen Rechtswissenschaft diskutiert wurden. Aufgezeigt wird, dass sich die Rechtswissenschaft einig in der Annahme der Rechtswidrigkeit von Boykottaufrufen war. Ein weiterer Abschnitt, der die Entwicklung der Rechtsprechung in den Jahren 1925 bis 1933 und die Gründe für das Scheitern einer höchstrichterlichen Klärung der Boykottproblematik skizziert, schildert, dass diese Bedenken von den Gerichten, ausgehend von einem Urteil des AG Norden aus den Jahr 1925, zunächst geteilt wurden. Für die Analyse der Rspr. hat Brügmann 147 im Archiv des Centralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens (C. V.) nachgewiesene Entscheidungen ausgewertet, von denen er 81 als unmittelbar für den von ihm gewählten Untersuchungsgegenstand einschlägig identifiziert hat. Ihre Gesamtschau belegt, dass die weit überwiegende Mehrheit der Gerichte antisemitische Boykottaufrufe später für zulässig erachtete. Außerrechtliche Einstellungen der Richter werden hier ebenso identifiziert wie die gesellschaftlichen äußeren Umstände, auf die manches Urteil rekurriert. Brügmann resümiert u. a., dass die Judikatur den NS-Organisationen als staatliche Bestätigung des Anliegens einer Ausgrenzung der Juden aus dem Wirtschaftsleben in die Hände spielte. Dr. Matthias Kilian, Köln Der Autor ist Rechtsanwalt und Direktor des Soldan-Instituts für Anwaltmanagement e. V. (Essen). Sie erreichen den Autor unter der -Adresse 864 AnwBl 12 / 2009 Bücherschau, Kilian

70 MN Haftpflichtfragen Haftungsrechtliche Probleme in der interprofessionellen Sozietät Rechtsanwältin Antje Jungk, Allianz Versicherung, München Interprofessionelle Sozietäten sind heute keine Seltenheit mehr. Angehörige verschiedener Berufe kooperieren nicht nur, sondern schließen sich auch gesellschaftsrechtlich zusammen. Sie entsprechen dem Wunsch vieler Mandanten: Er will eine Beratung aus einer Hand. Auch im Anwaltsmandat können im Einzelfall nicht nur steuerliche Spezialkenntnisse von Nutzen sein, sondern eventuell auch medizinische oder bautechnische. Längst nicht jede Form der Zusammenarbeit ist aber nach geltendem Berufsrecht zulässig und auch zulässige Zusammenschlüsse werfen unter Haftungsgesichtspunkten erhebliche Probleme auf, wie die Autorin zeigt. 2. Berufsrechtliche Anforderungen an die Gesellschaftsform Die Vorstellungen der Berufsstände darüber, was als Berufsausübungsgesellschaft akzeptabel ist, haben sich im Laufe der Zeit erheblich verändert. Ursprünglich stand die Persönlichkeit der jeweiligen Berufsträger im Vordergrund, und auch die persönliche Haftung galt als unabdingbare Voraussetzung. Im Laufe der Zeit wurde der Teilnahme der Sozietäten am Wirtschaftsleben Rechnung getragen, indem man flexiblere Gesellschaftsformen zuließ. Doch während für Steuerberater mittlerweile schon verschiedenste Gesellschaftsformen gesetzlich vorgesehen sind, ist die Anwaltschaft zurückhaltender. Vor 15 Jahren rief der Gesetzgeber die Partnerschaftsgesellschaft eigens für den Zusammenschluss von Freiberuflern ins Leben. Dem Bedürfnis nach einer Kapitalgesellschaft (nicht zuletzt wegen der günstigeren Haftungssituation) kam man schließlich mit der Regelung der Rechtsanwalts-GmbH ( 59 c BRAO) nach. Rechtsanwalts-AG und LLP sind heute schon Realität (ausführlich dazu Römermann, AnwBl 2009, 681). In BGB-Gesellschaft und Partnerschaft können sich die sozietätsfähigen Berufe in jeglicher Konstellation zusammenschließen. Einschränkungen gibt es hingegen bei der GmbH: Gemäß 59 e Abs. 2 BRAO muss die Mehrheit der Gesellschaftsanteile und Stimmrechte an einer Rechtsanwaltsgesellschaft Rechtsanwälten zustehen. Vergleichbare Regelungen finden sich in 32 Abs. 3 StBerG, 1 Abs. 3 WPO. Eine kombinierte RA-/StB-/WP-GmbH kann somit nur von Mehrfachberuflern betrieben werden. I. Gesetzliche Rahmenbedingungen Wenn wir über interprofessionelle oder multidisziplinäre Sozietäten sprechen, so muss zunächst einmal geklärt werden, was darunter zu verstehen ist. Sozietäten im engeren Sinne sind Zusammenschlüsse in Form der Gesellschaft bürgerlichen Rechts. Im weiteren Sinne kann man hierunter jede Gesellschaftsform gemeinsamer Berufsausübung fassen. In der Praxis wählen Rechtsanwälte neben der BGB-Gesellschaft vor allem die Partnerschaftsgesellschaft und die GmbH. Internationale Sozietäten findet man immer öfter auch in ausländischen Gesellschaftsformen wie der LLP. 1. Sozietätsfähige Berufe Was gesellschaftsrechtlich geht, ist noch lange nicht berufsrechtlich zulässig. Auch wenn die Zusammenarbeit von Rechtsanwälten mit verschiedensten anderen Berufsgruppen wie Ärzten, Architekten oder Psychologen im Einzelfall gut und sinnvoll sein kann, so darf sie bislang nicht in gesellschaftsrechtlich verfestigter Form erfolgen. 59 a BRAO erlaubt, ebenso wie 52 a PatAnwO und 56 StBerG, nur eine Verbindung von Rechtsanwälten mit Patentanwälten, Steuerberatern, Steuerbevollmächtigten, Wirtschaftsprüfern und vereidigten Buchprüfern zur gemeinschaftlichen Berufsausübung. Eine Berufsausübungsgesellschaft zwischen Rechtsanwälten und Ärzten oder Architekten darf es also nicht geben. Laut 59 a Abs. 3 BRAO gilt diese Beschränkung auch für Bürogemeinschaften. Nur 44 b WPO ermöglicht auch den Zusammenschluss mit den anderen verkammerten Freiberuflern, denen ein Zeugnisverweigerungsrecht nach 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StPO zusteht. II. Besonderheiten der Mandatsbeziehungen 1. Verträge mit interprofessionellen Sozietäten Der gesellschaftsrechtliche Zusammenschluss verschiedener Berufsträger hat natürlich gerade das Ziel, dem Mandanten gegenüber als Einheit aufzutreten und den fachlichen Austausch und die damit verbundenen Synergieeffekte in den Vordergrund zu rücken. Dies bedeutet indes nicht zwingend, dass damit in jedem Fall die Sozietät Vertragspartner des Mandanten wird. Es kommt darauf an, was der Mandant will und was rechtlich zulässig ist. Dies ist naturgemäß für jede der gewählten Gesellschaftsformen unterschiedlich zu beurteilen. a) BGB-Gesellschaft: Für die BGB-Gesellschaft hatte der BGH im Urteil vom (NJW 1971, 1801) die Auslegungsregel aufgestellt, dass der Mandant die Vorteile der Zusammenarbeit für sich nutzen und den Vertrag im Zweifel mit allen der Sozietät angehörigen Anwälten schließen will. Es kann aber auch ein Einzelmandat an einzelne Berufsträger oder an Teilgruppen von Sozien erteilt werden. aa) Kein Mandatsvertrag mit der interprofessionellen BGB-Gesellschaft: Die Rechtsfähigkeit der BGB-Gesellschaft ist nach der viel diskutierten Rechtsprechungsänderung (BGH, NJW 2001, 1056) nun grundsätzlich anerkannt, so dass der Abschluss eines Vertrages mit der Sozietät selbst denkbar ist. Für allgemeine Verbindlichkeiten hat der II. Zivilsenat des BGH (NJW 2003, 1803) dies unterstellt. Man könnte die alte BGH-Rechtsprechung, dass im Zweifel alle Sozien mandatiert werden, dahingehend modifizieren, dass im Zweifel die Sozietät beauftragt wird (so z. B. Lux, MDR 2009, 957). Dagegen spricht, dass die BGB-Gesellschaft weder gemäß 49 Abs. 1 StBerG als Steuerberatungsgesellschaft anerkannt noch zur Rechtsanwaltschaft zugelassen werden kann und auch nicht postulationsfähig ist. Somit ist sie zur Erfüllung eines entsprechenden Mandats nicht befugt. Dass gleichwohl ein wirksamer Mandatsvertrag mit der Sozietät geschlossen werden kann, erscheint insofern zweifelhaft. In Bezug auf eine Steuerberatersozietät hielt der IX. Zivilsenat des BGH eine analoge Anwendung des 3 StBerG und damit den Haftungsrechtliche Probleme in der interprofessionellen Sozietät, Jungk AnwBl 12 /

71 MN Haftpflichtfragen Abschluss eines wirksamen Steuerberatungsvertrages mit einer reinen Steuerberatersozietät für denkbar (BGH, Urt. v IX ZR 229/04). Gleichzeitig hat der Senat aber ganz klar festgestellt, dass ein Vertrag mit der Sozietät jedenfalls dann nichtig ist, wenn nicht alle Sozien zur geschäftsmäßigen Hilfe in Steuersachen befugt sind (BGH, NJW-RR 2006, 1071). Entsprechendes dürfte in Bezug auf die anwaltliche Beratung gelten: Sofern alle Sozien berufsrechtlich zur Rechtsberatung legitimiert sind, mag ein Mandatsvertrag mit einer reinen Anwaltssozietät in Betracht kommen. Für interprofessionelle Sozietäten wird man aber im Umkehrschluss folgern müssen, dass dies nicht möglich ist, wenn auch nur einer der Sozien nicht zur Rechtsanwaltschaft zugelassen ist (so auch Sassenbach, AnwBl 2006, 304). bb) Vertragsschluss mit den Sozien selbst: Ein Mandat an die gemischte Sozietät kann somit nur entsprechend der alten BGH-Rechtsprechung wirksam erteilt werden: Da ein Rechtsberatungsvertrag mit der Sozietät ebenso wie mit den nichtanwaltlichen Sozien unwirksam wäre, gelten nur die Rechtsanwaltssozien als beauftragt (BGH, NJW 2000, 1333). cc) Spartenübergreifende Mandate: Problematisch wird es allerdings, wenn der Auftrag des Mandanten nicht einer bestimmten Berufsgruppe zugeordnet werden kann, wenn also die verschiedenen Berufsträger tätig werden sollen. Dies wäre tatsächlich nur möglich, wenn man die Mandatierung der Sozietät zuließe. Wie lässt sich also dieses Dilemma lösen? Auch wenn die Angelegenheit des Mandanten als ein umfassendes Mandat angesehen wird, muss es in einzelne Aufträge, zum Beispiel eine steuerliche Prüfung, ein arbeitsrechtliches Gutachten und eine patentrechtliche Frage aufgesplittet werden. Eine solche Handhabung steht nicht nur im Einklang mit der BGH-Rechtsprechung, sondern birgt auch den Vorteil eindeutiger Zuordnung. b) Partnerschaftsgesellschaft: Die Partnerschaftsgesellschaft ist gemäß 7 Abs. 2 PartGG, 124 HGB rechtlich selbstständig und kommt somit grundsätzlich als Vertragspartner in Betracht. 1 Abs. 3 PartGG verweist allerdings für die Zulässigkeit der Berufsausübung auf die jeweiligen Berufsrechte. Gemäß 49 StBerG kann die Partnerschaftsgesellschaft als Steuerberatungsgesellschaft anerkannt und somit auch mandatiert werden, wenn sie von Steuerberatern verantwortlich geführt wird ( 32 Abs. 3 StBerG), als Wirtschaftsprüfungsgesellschaft gemäß 27, 28 WPO ebenfalls dann, wenn die Mehrheit der Partner Berufsangehörige sind. Was die Anwaltstätigkeit angeht, so ist die Partnerschaftsgesellschaft selbst nicht zur Rechtsberatung befugt, sie ist keine Rechtsanwaltsgesellschaft. Sie kann allerdings gemäß dem nachträglich eingefügten 7 Abs. 4 PartGG als Prozess- oder Verfahrensbevollmächtigte beauftragt werden. In der Literatur wird, soweit ersichtlich, kaum problematisiert, ob die Partnerschaft selbst als Vertragspartner eines Anwaltsmandats in Betracht kommt. Auch der Gesetzgeber sah hier wohl kein Problem; aus der Haftungskonzentrationsregelung in 8 Abs. 2 PartGG ( neben der Partnerschaft ) kann man entnehmen, dass er von einer Haftung der Gesellschaft, und damit wohl auch von einem entsprechenden Vertrag ausging. c) GmbH: Die GmbH eine Rechtsanwaltsgesellschaft gemäß 59 c BRAO oder Steuerberatungsgesellschaft gemäß 3 Nr. 3, 32 StBerG kann verschiedene Berufsgruppen vereinen, sie muss nur mehrheitlich von den jeweiligen Berufsträgern verantwortlich geführt werden. Dann ist sie selbst zur Berufsausübung befugt und kann damit als juristische Person unmittelbar Vertragspartner werden. Eine Steuerberatergesellschaft kann aber nicht rechtsberatend tätig werden. Eine berufsgruppenübergreifende Beratung kann somit nur durch die Rechtsanwaltsgesellschaft bzw. bei Mehrfachberuflern auch durch die RA-/StB-/WP-GmbH vorgenommen werden, nur diese kann interprofessionell, also beispielsweise zur Rechts- und Steuerberatung, mandatiert werden. 2. Haftung für Berufsfehler Je nach Gesellschaftsform und abhängig davon, wer konkret Vertragspartner ist, gestaltet sich auch die Haftung von Sozietät und Sozien unterschiedlich. a) BGB-Gesellschaft: Im Hinblick auf die Haftung der Sozietät, der Sozien und Scheinsozien ist fast alles unklar. In zwei neueren Entscheidungen zur Haftung für berufsfremde Sozien (BGH , NJW-RR 2008, 1954 m. Anm. Jungk, BRAK-Mitt. 2008, 209) und vom (NJW 2009, 1597 m. Anm. Jungk, BRAK-Mitt. 2009, 123) hat sich der IX. Zivilsenat auf den Vertrauensschutzfaktor zurückgezogen und nichts darüber gesagt, ob eine akzessorische Haftung in Betracht kommt. aa) Kein Mandat an die Sozietät keine akzessorische Haftung: Folgt man dem IX. Zivilsenat darin, dass ein Mandat an die Sozietät allenfalls bei reinen Anwaltssozietäten in Betracht kommt, so gibt es bei der interprofessionellen Sozietät kein Vertragsverhältnis mit der Gesellschaft, sondern nur mit den zur Bearbeitung des konkreten Auftrags befähigten Sozien. Vertragsschluss und Haftung entsprechen dann der bisherigen Rechtsprechung des IX. Zivilsenats mit der Folge einer gesamtschuldnerischen Haftung nur der betroffenen Berufsträger (BGH, NJW 2000, 1333). bb) Mandat an die Sozietät: Folgt man dieser Betrachtungsweise allerdings nicht und geht von einer Mandatserteilung an die Sozietät selbst aus, so gestaltet sich die Haftung gemäß dem neuen Haftungskonzept des II. Zivilsenats wesentlich komplizierter. Sofern die Sozietät Vertragspartner ist, ist sie auch Haftungsschuldner. Neben dem Gesellschaftsvermögen haften dann die Sozien aller Berufsgruppen persönlich gesamtschuldnerisch analog 128 HGB. Auch ein Steuerberater müsste dann also für einen Beratungsfehler des Anwaltskollegen mit haften. Die ungeklärten Probleme der Sozienhaftung wie der Eintrittshaftung nach 130 HGB für Berufsfehler (BGH, NJW 2003, 1803, m. Anm. Grams, BRAK-Mitt. 2003, 164; Burger, BRAK-Mitt. 2003, 262) und der Nachhaftung (Zeitpunkt der Begründung der Verbindlichkeit) träfen auch die interprofessionellen Sozien. b) Partnerschaft: Im PartGG stellt sich die Haftungssituation insofern etwas anders dar, als 8 PartGG explizite Regelungen trifft (s. dazu Jungk, AnwBl 2005, 283). Für Verbindlichkeiten der Partnerschaft haften die Partner als Gesamtschuldner neben der Partnerschaft. Auf 129, 130 HGB wird ausdrücklich verwiesen. Die gesamtschuldnerische Haftung neben der Gesellschaft gilt explizit auch für Berufsfehler ( 8 Abs. 2 PartGG). Allerdings wird durch diese nachträglich ins Gesetz eingefügte Vorschrift die Haftung auf die mit der Bearbeitung des Mandats befassten Partner beschränkt. Damit dürfte die Haftung für Fehler berufsfremder Partner in aller Regel ausgeschlossen sein, es sei denn das Mandat wird unspezifisch und nicht berufsgruppenbezogen erteilt. 866 AnwBl 12 / 2009 Haftungsrechtliche Probleme in der interprofessionellen Sozietät, Jungk

72 MN Haftpflichtfragen c) GmbH: Unter Haftungsgesichtspunkten am unproblematischsten ist die GmbH. Soweit sie selbst Verträge schließt, ist sie auch Haftungsschuldner. Die Haftung der Gesellschafter ist gemäß 13 Abs. 2 GmbHG auf das Gesellschaftsvermögen beschränkt. Zu einer persönlichen Inanspruchnahme eines Gesellschafters kann es allenfalls in speziellen Ausnahmesituationen kommen, wenn beispielsweise eine Garantiehaftung übernommen wird o. ä. III. Versicherung Angesichts der aufgezeigten haftungsrechtlichen Unwägbarkeiten vor allem in den interprofessionellen Personengesellschaften drängt sich die Frage nach dem adäquaten Versicherungsschutz auf. a) Pflichtversicherung: Eine Pflichtversicherung für interprofessionelle Sozietäten gibt es in diesem Sinne nicht. Die jeweiligen Berufsrechte schreiben Pflichtversicherungen für die zur Berufsausübung zugelassenen Personen oder Gesellschaften vor. Die GmbH muss gemäß 59 j BRAO mit einer Mindestversicherungssumme von 2,5 Mio. Euro versichert werden. 67 StBerG schreibt eine angemessene Versicherung vor, die in 52 DVStB mit Euro konkretisiert wird, 54 WPO 1 Mio. Euro (entsprechend der Haftungsbeschränkung in 323 Abs. 2 Satz 1 HGB). Eine Mehrprofessionengesellschaft muss dementsprechend Versicherungsschutz vorhalten, der zum einen alle Tätigkeitsbereiche umfasst, zum anderen die strengsten berufsrechtlichen Vorgaben bezüglich der Höhe einhält. Für die Partnerschaft besteht Versicherungspflicht nur, insoweit sie selbst zur Berufsausübung zugelassen ist. Dies ist gemäß 49 Abs. 1 StBerG für die Steuerberatung, gemäß 27 Abs. 1 WPO für die Wirtschaftsprüfungstätigkeit möglich. Zur Rechtsberatung kann die Partnerschaft nicht zugelassen werden und ist demgemäß auch nicht versicherungspflichtig. Die BGB-Gesellschaft kann nach keiner der genannten Berufsordnungen zur Berufsausübung zugelassen werden, so dass eine Pflichtversicherung entfällt. Unabhängig davon benötigt in jeder Form von Zusammenschlüssen jeder Berufsträger persönlich Versicherungsschutz gemäß der für ihn einschlägigen Berufsordnung, d. h. der Anwalt gemäß 51 BRAO, der Steuerberater gemäß 67 StBerG (jeweils Euro) und der Wirtschaftsprüfer gemäß 54 WPO (1 Mio Euro). b) Optionale Versicherung: In Ansehung der unter II.2. aufgezeigten Haftungsrisiken ist der Abschluss der jeweiligen Pflichtversicherungen zumindest bei den Personengesellschaften nicht ausreichend. Dies betrifft zum einen den Versicherungsschutz für die Gesellschaft selbst. Da die Partnerschaft selbst Vertragspartner eines Mandatsvertrages werden kann und dies bei der BGB-Gesellschaft jedenfalls umstritten ist, ist Versicherungsschutz für die Gesellschaft zumindest im Hinblick auf die Anspruchsabwehr sinnvoll, denn auch wenn die Hauptforderung über die Versicherungen der Gesellschafter gedeckt ist, können Prozesskosten bei der Gesellschaft verbleiben. Insbesondere aber müssen die Gesellschafter selbst überlegen, inwieweit sie weitergehende Deckung benötigen. Bereits aus 30 BORA könnte man eine berufsrechtliche Pflicht der nichtanwaltlichen Sozien ableiten, eine Berufshaftpflichtversicherung gemäß 51 BRAO für den Fall der Sozienhaftung abzuschließen. Aber auch wenn man diese Berufspflicht nicht auf die interprofessionellen Sozien erstrecken will, ist die Deckung sinnvoll, um die gezeigten Unsicherheiten bei der Sozienhaftung abzusichern: Für den Fall einer Inanspruchnahme für Berufsfehler der berufsfremden Sozien sollte die eigene Deckung sowohl im Hinblick auf die versicherte Tätigkeit als auch auf die Höhe der Versicherungssumme an die Versicherung der anderen Sozien angepasst werden. Idealiter ist in einer gemischten Sozietät jeder Sozius für alle in der Sozietät ausgeübten Tätigkeiten in gleicher Höhe versichert. IV. Haftungsbeschränkung Eine weitere Möglichkeit der Risikoreduzierung liegt darin, die Haftung durch vertragliche Vereinbarung auf die sachbearbeitenden Sozien zu beschränken. Sowohl 51 a Abs. 2 Nr. 2 BRAO als auch 67 a Abs. 2 StBerG erlauben eine solche Haftungskonzentration, die für die Partnerschaft nach 8 Abs. 2 PartGG schon von Gesetzes wegen gilt. Eine summenmäßige Haftungsbeschränkung ist nach allen Berufsordnungen ebenfalls möglich, wobei 51a BRAO u. a. mit dem Verbot der Beschränkung für grob fahrlässige Pflichtverletzungen in vorformulierten Vertragsbedingungen die strengsten Vorgaben macht. V. Blick in die Zukunft Die Zukunft wird neue Formen der interprofessionellen Zusammenarbeit bringen, sei es durch neue Gesellschaftsformen oder durch Ausweitung der sozietätsfähigen Berufe. Diese Entwicklung ist schon aufgrund der internationalen Einflüsse nicht mehr aufzuhalten. In Großbritannien beispielsweise ist der Zusammenschluss mit Architekten und Ärzten bereits zulässig (so de Paoli, AnwBl 2009, 419). Umso wichtiger wird es sein, dass der Gesetzgeber im Berufs- und Haftungsrecht der Realität beruflicher Zusammenschlüsse de lege ferenda durch entsprechende angepasste Regelungen insbesondere auch zu Haftung und Versicherung Rechnung trägt. Die Berufsrechte dürfen nicht mehr nur den Berufsträger als natürliche Person im Blick haben. Auch eine Harmonisierung der verschiedenen Berufsrechte ist dringend erforderlich (ausführlich dazu Henssler, AnwBl 2009, 670). Solange das nicht der Fall ist, spricht viel dafür, Mandate immer genau einzugrenzen, einem bestimmten Berufsfeld zuzuordnen und jedenfalls in der BGB-Gesellschaft ausdrücklich nur die betreffenden Berufsträger als Vertragspartner zu benennen bzw. vertragliche Haftungsbeschränkungsvereinbarungen zu treffen und für umfassenden Versicherungsschutz zu sorgen. Antje Jungk, München Die Autorin ist Rechtsanwältin und bei der Allianz Versicherungs-AG als Leitende Justiziarin tätig. Ihr Beitrag gibt ihre persönliche Auffassung wieder. Sie erreichen die Autorin unter der -Adresse autor@anwaltsblatt.de. Haftungsrechtliche Probleme in der interprofessionellen Sozietät, Jungk AnwBl 12 /

73 MN Rechtsprechung Anwaltsrecht Rechtsschutzversicherung: Freie Anwaltswahl durch den Versicherten Richtlinie 87/344/EWG Art. 4 Abs. 1 Art. 4 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 87/344/EWG des Rates vom 22. Juni 1987 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Rechtsschutzversicherung ist dahin auszulegen, dass der Rechtsschutzversicherer sich in dem Fall, dass eine größere Anzahl von Versicherungsnehmern durch dasselbe Ereignis geschädigt ist, nicht das Recht vorbehalten kann, selbst den Rechtsvertreter aller betroffenen Versicherungsnehmer auszuwählen. EuGH, Urt. v Rs. C-199/08 Anmerkung der Redaktion: Der Volltext der Entscheidung ist im Internet abrufbar unter Vertretung widerstreitender Interessen im Betreuungsrecht BRAO 43 a Abs. 4; BGB 134, 1896 Abs. 2 Satz 2 1. Hat ein Rechtsanwalt in einem Verfahren um die Bestellung eines vorläufigen Betreuers Beschwerde namens einer Bevollmächtigten eingelegt, deren Vollmacht das Gericht wegen Bedenken gegen ihre Zuverlässigkeit nicht als ausreichende Alternative zur Betreuung ansah, und erhebt er gegen die endgültige Betreuung mit gleicher Zielrichtung Beschwerde namens der Betroffenen selbst, verstößt er gegen das anwaltsrechtliche Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen. 2. Die hieraus folgende Nichtigkeit des anwaltlichen Dienstleistungsvertrags führt aber nicht zur Unwirksamkeit der ihm von der Betroffenen erteilten Verfahrensvollmacht, so dass das in ihrem Namen eingelegte Rechtsmittel nicht als unzulässig verworfen werden kann. OLG München, Beschl. v Wx 164/09 Sachverhalt: Nach vorangegangener vorläufiger Betreuung bestellte das Amtsgericht am für die Betroffene eine Rechtsanwältin als berufsmäßige Betreuerin für vorwiegend vermögensbezogene Aufgaben und eine weitere ehrenamtliche Betreuerin, der die Betroffene auch mehrere Vollmachten ausgestellt hatte, für eher personenbezogene Aufgaben und ordnete einen Einwilligungsvorbehalt für den Aufgabenkreis Vermögenssorge an. Hiergegen legte die Betroffene am durch ihren Verfahrensbevollmächtigten, der im vorangegangenen Beschwerdeverfahren wegen der vorläufigen Betreuung die weitere Betreuerin vertreten hatte, Beschwerde ein, die vom Landgericht am verworfen wurde. Mit ihrer weiteren und sofortigen weiteren Beschwerde verfolgte die Betroffene ihr Ziel der Aufhebung der Betreuung weiter. Das Rechtsmittel führte zur Zurückverweisung der Angelegenheit an das Landgericht. Aus den Gründen: 1. Das Landgericht hat seine Entscheidung daraufgestützt, dass eine wirksame Beschwerdeeinlegung nicht vorliege, weil die Prozessvollmacht des Verfahrenbevollmächtigten wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot gemäß 134 BGB i. V. m. 43 a Abs. 4 BRAO nichtig sei. Der Verfahrensbevollmächtigte habe das Beschwerdeverfahren gegen die vorlaufige Betreuung noch im Namen der Bevollmächtigten geführt und die vorliegende Beschwerde im Namen der Betroffenen eingelegt. Die Beschwerde werde unverändert darauf gestützt, dass eine Betreuung entbehrlich sei, weil die Betroffene jedenfalls bei Vollmachtserteilung geschäftsfähig gewesen sei. Dies möge zwar im Interesse der Bevollmächtigten liegen, die ohne Betreuung und Einwilligungsvorbehalt unkontrollierten Zugriff auf das Vermögen der Betroffenen hätte, nicht jedoch im wohlverstandenen Vermögensinteresse der Betroffenen. Dies gelte umso mehr angesichts ungeklärter Positionen im Haushaltsbuch und eines Fehlbetrags von rund Euro, der aus der Zeit nach Vollmachtserteilung herrühre und dessen Verbleib trotz intensiver Bemühungen der Vermögensbetreuerin bislang nicht habe geklärt werden können. Das objektive Vermögensinteresse der Betroffenen erachte die Kammer als maßgeblich, da die Betroffene zu einer freien Willensbestimmung nach dem Gutachten Dr. S. vom nicht in der Lage sei und sie nach dem Akteninhalt zu dieser Frage keinen natürlichen Willen geäußert habe. Die effektive Durchsetzung des Verbots der Wahrnehmung widerstreitender Interessen gebiete es, die Nichtigkeit nicht generell auf den anwaltlichen Geschäftsbesorgungsvertrag zu beschränken und die Prozessvollmacht hiervon auszunehmen. Ein überwiegendes Interesse der Rechtssicherheit oder der Rechtsbeständigkeit von Prozesshandlungen, mit dem die Beschränkung der Nichtigkeit auf den Anwaltsvertrag begründet werde, sei vorliegend nicht einschlägig. Das vorliegende Verfahren sei keine echte Streitsache der freiwilligen Gerichtsbarkeit, die Beteiligten stünden sich nicht als Prozessgegner gegenüber. Zudem gelte der Amtsermittlungsgrundsatz des 12 FGG. Neue Umstände seien zu berücksichtigen, sodass die Entscheidungen im Verfahren auch nicht in materielle Rechtskraft erwüchsen. Anders als im Zivilprozess sei das Verfahrensrecht hier gerade nicht darauf angewiesen, dass die von den Parteien und ihren Vertretern abgegebenen Erklärungen und die von ihnen vorgenommenen Prozesshandlungen grundsätzlich Geltung behielten. 2. Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung ( 27 Abs.1FGG, 546ZPO)nichtstand. a) Ohne Rechtsfehler hat das Landgericht festgestellt, dass wegen der Vertretung widerstreitender Interessen der Verfahrenbevollmächtigte gegen 43 a Abs. 4 BRAO verstoßen hat. Diese Tatsachenwürdigung kann vom Rechtsbeschwerdegericht nur daraufhin überprüft werden, ob sie von irrigen Grundlagen ausgeht oder gegen Denkgesetze verstößt oder ob objektive Schlüsse gezogen werden, die mit einer feststehenden Auslegungsregel oder mit der allgemeinen Lebenserfahrung unvereinbar sind. Für eine einwandfreie Würdigung der Sachlage genügt es, wenn der vom Tatsachengericht gezogene Schluss möglich, wenn auch nicht gerade zwingend ist, mag selbst eine andere Schlussfolgerung ebenso nahe oder noch näher gelegen haben. Mit der weiteren Beschwerde kann also nicht geltend gemacht werden, die tatsächlichen Folgerungen des Tatrichters seien nicht die einzig möglichen, nicht schlechthin zwingend (vgl. BayObLG FamRZ 1994, 1617/1618). Rechtsfehler bei der tatsächlichen Würdigung sind in den Ausführungen des Landgerichts nicht erkennbar. Ergänzend ist zu bemerken, dass das Vorbringen der weiteren Betreuerin wenig glaubhaft ist, sie habe die Beträge von rund Euro aufwunschderbetroffenenvonderenkontenabgehobenund in ihre eigene Wohnung verbracht, weil die Betroffene angesichts der Bankenkrise ihr Vermögen habe schützen wollen. Wäre dies der Fall gewesen, hätte eine einmalige Abhebung des Betrags nahegelegen. Vorliegend hat die Bevollmächtigte jedoch das Geld in zahlreichen Stückelungen abgehoben, beispielsweise in der Zeit vom bis sechsmal je Euro und in der Zeit vom bis dreimal Euro und je einmal , und Euro. Diese Vorgehensweise legt den Schluss nahe, dass damit vermieden werden sollte, dass etwa die Bank Verdacht schöpfen könnte und die Abhebungen bekannt würden. Es liegt daher nach derzeitiger Aktenlage nicht fern, von einem unredlichen 868 AnwBl 12 / 2009 Anwaltsrecht

74 MN Rechtsprechung eigennützigen Verhalten der weiteren Betreuerin und damaligenbevollmächtigtenauszugehen. b) Der Senat schließt sich auch der Auffassung der Kammer an, dass der Verstoß gegen 43 a Abs. 4 BRAO in Betreuungssachen zur Nichtigkeit des anwaltlichen Dienstleistungsvertrags gemäß 134 BGB führt (MüKo/Armbrüster BGB 5. Aufl. 134 Rdnr. 100). c) Jedoch umfasst die Nichtigkeit des Anwaltsvertrags nicht die von der Betroffenen erteilte Verfahrensvollmacht. Ein Verstoß des Rechtsanwalts gegen 43 a Abs. 4 BRAO berührt nicht die Wirksamkeit der ihm erteilten Prozessvollmacht und der von ihm namens der Partei vorgenommenen Prozesshandlungen (ständige Rechtsprechung des BGH, zuletzt Urteil vom IX ZR 60/08 WM 2009, 1296). Entgegen der Rechtsauffassung des Landgerichtsistdiesauch in Betreuungssachen nicht abweichend zu beurteilen. Dies käme nur in Betracht, wenn der Schutz des Mandanten in Betreuungssachen eine Erstreckung der Nichtigkeit auch auf die Vollmacht gebieten würde. Dies ist jedoch nicht der Fall. Dem Interesse des Mandanten ist dadurch Genüge getan, dass er wegen der Nichtigkeit des Anwaltsvertrags keine Anwaltsvergütung schuldet. Prozesshandlungen des Anwalts vermögen die Rechtspositionen und InteressenderBetroffenennichtzubeeinträchtigen,da,wiedie Kammer richtig erkannt hat, das Verfahren in Betreuungssachen nach dem Amtsermittlungsgrundsatz ( 12 FGG) geführt wird und unabhängig von dem Vorbringen des Anwalts die Gerichte das Wohl des Betroffenen zu wahren haben. Dabei ist besonders zu beachten, dass in Betreuungssachen auch der geschäftsunfähige Betroffene als verfahrensfähig angesehen wird ( 66 FGG), das Prozessrecht also zu seinem Schutz von einer möglichst weitgehenden Geltung seines natürlichen Willens und seiner Handlungen im Prozess ausgeht, da auch materiell das gesamte Betreuungsverfahren am Wohle des Betroffenen ausgerichtet ist. Gerade der behinderte, geschäftsunfähige Mandant wird kaum erkennen können, dass die für ihn vorgenommen Prozesshandlungen seines Verfahrensbevollmächtigten gegen ein gesetzliches Verbot verstoßen und deswegen unwirksam sein könnten. Würde man sie als unwirksam ansehen, wäre der Betroffene nur selten in der Lage, sie gegebenenfalls wirksam nachzuholen. Dies gilt noch in besonderem Maße für die fristgebundene sofortige Beschwerde gegen die Anordnung des Einwilligungsvorbehalts( 69gAbs.4Nr.1FGG),dienurunterden engen Voraussetzungen der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ( 22 Abs. 2 FGG) nachgeholt werden könnte. Da die Kammer die (sofortige) Beschwerde zu Unrecht als unzulässig verworfen hat, ist die Angelegenheit an das Landgericht zur Entscheidung in der Sache zurückzuverweisen. Interessenkollision bei doppelter Treuhand in Scheidungssachen BRAO 43 a Abs. 4, BORA 3 Es liegt eine Interessenkollision vor, wenn der Anwalt im Rahmen einer Scheidung sowohl für seinen Mandanten als auch für dessen Ehefrau einen Grundstückskaufvertrag als Treuhänder abwickeln soll. Der Treuhandvertrag ist nichtig. (Leitsatz der Redaktion) LG Freiburg, Urt. v O 86/07 Anwaltshaftung Haftung für Fehler des Gerichts: Vertraue nie einem Richter... BGB 675 Abs. 1, 280 Abs. 1; VVG 12 Abs. 3 a. F. Ist für den Prozessbevollmächtigten offenkundig, dass das Gericht die tatsächlich erfolgte Einzahlung des Gerichtskostenvorschusses nicht beachtet und trotz unbedingt erhobener Klage von einem bloßen Prozesskostenhilfegesuch ausgeht, hat er dieses Missverständnis auszuräumen, um zwecks Einhaltung der Klagefrist die alsbaldige Zustellung der Klage sicherzustellen. BGH, Urt. v IX ZR 74/08 Sachverhalt: Der Kläger nahm im Jahr 2000 nach einem Brandschaden in seinem Wohnhaus die Gebäudeversicherung in Anspruch. Mit Schreiben vom 18. Juli 2001, dem Kläger zugegangen am 25. Juli 2001, lehnte die Versicherung Leistungen mit der Begründung ab, der Kläger, welcher zwischenzeitlich wegen fahrlässiger Brandstiftung zu einer Geldstrafe verurteilt worden war, habe den Brand grob fahrlässig, wenn nicht gar vorsätzlich verursacht. Vom Kläger mit der Durchsetzung seiner Ansprüche beauftragt, reichte der verklagte Rechtsanwalt am 8. Januar 2002 beim Landgericht Karlsruhe eine Klage gegen die Versicherung über ,71 Euro nebst Zinsen ein, verbunden mit einem Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe, und legte einen Scheck über 1.074,60 Euro für die Gerichtskosten bei. Der Vorsitzende der zuständigen Kammer veranlasste die Übersendung des Schecks an die Landesoberkasse, teilte dem Beklagten aber gleichwohl mit Verfügung vom 18. Januar 2002 mit, dass ein Gerichtskostenvorschuss nicht eingegangen sei und die Klage deshalb nicht zugestellt werden könne. Der Vorsitzende erklärte weiter, es werde davon ausgegangen, dass die Erhebung der Klage von der Bewilligung von Prozesskostenhilfe abhängig gemacht werde, und fragte an, ob diese Annahme zutreffe. Der Beklagte nahm hierzu nicht Stellung. Mit Beschluss vom 3. Juni 2002 wies das Landgericht Karlsruhe den Prozesskostenhilfeantrag zurück. Die Landesoberkasse forderte den Kläger mit Schreiben vom 10. Oktober 2002 auf, angeblich ausstehende Gerichtskosten in Höhe von 119,40 Euro einzuzahlen. Der Beklagte teilte mit Schriftsatz vom 19. November 2002 mit, die Restzahlung der Gerichtskosten sei veranlasst. Der Betrag ging am 27. November 2002 bei der Landesoberkasse ein. Am 3. September 2003 wurde die Klageschrift an den Bevollmächtigten der Versicherung zugestellt. Die Klage hatte in erster Instanz Erfolg, wurde aber im Berufungsverfahren abgewiesen, weil die am 25. Juli 2001 in Gang gesetzte sechsmonatige Frist des 12 Abs. 3 VVG a. F. nicht gewahrt worden sei. Der Kläger nimmt nun den Beklagten auf Ersatz des im Vorprozess geltend gemachten Schadens von ,71 Euro und der in jenem Prozess angefallenen Kosten von ,34 Euro, zusammen ,05 Euro, nebst Zinsen in Anspruch. Die Klage hat beim Landgericht Erfolg gehabt, ist aber vom Berufungsgericht abgewiesen worden. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Forderung weiter. Anzeige Mitgeteilt von Rechtsanwalt Klaus Winkler, Kenzingen. Anmerkung der Redaktion: Der Text der Entscheidung ist im Internet abrufbar unter Anwaltshaftung AnwBl 12 /

75 MN Rechtsprechung Aus den Gründen: Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Der Beklagte habe seine anwaltlichen Pflichten nicht verletzt. Er habe die bis zum 25. Januar 2002 laufende Frist des 12 Abs. 3 VVG a. F. gewahrt, weil er die Klage vor dem Ablauf der Frist bei Gericht eingereicht habe und die Klage demnächst zugestellt worden sei. Die Zustellung wirke deshalb auf den Zeitpunkt der Einreichung der Klage zurück. Die späte Zustellung sei allein durch eine fehlerhafte Sachbehandlung des Gerichts verursacht worden, die sich der Kläger nicht zurechnen lassen müsse, weil er und der Beklagte alles Erforderliche für eine ordnungsgemäße Zustellung der Klage getan hätten. Insbesondere habe der Beklagte nicht auf die Verfügung des Gerichts vom 18. Januar 2002 reagieren und auch nach der Ablehnung des Antrags auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht tätig werden müssen. Im Übrigen fehle es an dem erforderlichen Zurechnungszusammenhang zwischen der Untätigkeit des Beklagten und der späten Zustellung, weil dieser nicht die Gefahrenlage geschaffen habe, in welcher sich derfehlerdesgerichtsausgewirkthabe. II. Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand. 1. Der Beklagte hat die ihm aufgrund des Anwaltsvertrages obliegenden Pflichten verletzt. a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist der Rechtsanwalt im Rahmen seines Auftrags verpflichtet, seinen Mandanten vor voraussehbaren und vermeidbaren Nachteilen zu bewahren. Er hat deshalb, wenn verschiedene Maßnahmen in Betracht kommen, den relativ sichersten Weg zu gehen. Der mit der Prozessführung betraute Rechtsanwalt ist mit Rücksicht auf das auch bei Richtern nur unvollkommene menschliche Erkenntnisvermögen und die niemals auszuschließende Möglichkeit eines Irrtums verpflichtet, nach Kräften dem Aufkommen von Irrtümern und Versehen des Gerichts entgegenzuwirken (BGH, Urt. v. 25. Juni 1974 VI ZR 18/73, NJW 1974, 1865, 1866; v. 24. März 1988 IX ZR 114/87, NJW 1988, 3013, 3015 f.; v. 18. Dezember 2008 IX ZR 179/07, WM 2009, 324, 325 Rdnr. 8). b) Diese Pflicht hat der Beklagte verletzt, indem er auf die gerichtliche Verfügung vom 18. Januar 2002 nicht reagierte. Der Inhalt dieser Verfügung zeigte dem Beklagten deutlich, dass die Gefahr bestand, das Gericht werde die bereits erfolgte Einzahlung des Gerichtskostenvorschusses unbeachtet lassen und von einer Zustellung der Klage vorläufig absehen. Damit bestand die Gefahr, dass die Klage bereits wegen Versäumung der am 25. Januar 2002 ablaufenden Frist des 12 Abs. 3 VVG a. F. abgewiesen werden würde. aa) Zwar wirkt eine nach Fristablauf erfolgte Zustellung auf den Zeitpunkt der Klageeinreichung zurück, wenn die Zustellung demnächst erfolgt ( 270 Abs.3ZPOa.F.,jetzt 167 ZPO), und als demnächst bewirkt kann auch eine Zustellung lange nach Fristablauf gelten, wenn die Verzögerung durch eine fehlerhafte Sachbehandlung des Gerichts verursacht ist. Verzögerungen, welche die Partei oder ihr Prozessbevollmächtigter bei sachgerechter Prozessführung hätten vermeiden können, sind hingegen nach ständiger Rechtsprechung der Partei zuzurechnen, soweit sie nicht nur geringfügig sind (BGHZ 145, 358, 362; BGH, Urt. v. 5. Februar 2003 IV ZR 44/02, NJW-RR 2003, 599, 600). In diesem Zusammenhang hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass Zustellungsverzögerungen, die erst eintreten, nachdem der Kläger alle für eine ordnungsgemäße Klagezustellung von ihm geforderten Mitwirkungshandlungen erbracht hat, dem Kläger nicht zum Nachteil gereichen dürfen. Für eine Verpflichtung oder Obliegenheit des Klägers und seines Prozessbevollmächtigten, auch noch in diesem Stadium des Verfahrens durch eine Kontrolle des gerichtlichen Vorgehens auf eine größtmögliche Beschleunigung hinzuwirken, fehlt die rechtliche Grundlage (BGHZ 168, 306, 312, Rdnr. 20 f.). bb)obnachdiesenmaßstäbendievoraussetzungeneiner Rückwirkung der Zustellung hier vorlagen das Berufungsgericht im Vorprozess hat dies verneint, das Berufungsgericht im vorliegenden Rechtsstreit bejaht, ist jedoch für die Frage einer Pflichtverletzung des Beklagten nicht entscheidend. Die genannten Maßstäbe betreffen das zwischen dem Kläger und dem Gericht bestehende Prozessrechtsverhältnis. Im Vertragsverhältnis zwischen dem Anwalt und seinem Mandanten können strengere Anforderungen gelten. Der Beklagte durfte sich unter den gegebenen Umständen auf eine seinem Mandanten günstige Beurteilung durch das Gericht nicht verlassen (BGH,Urt.v.24.März1988aaOS.3015).UmNachteilefür den Kläger möglichst sicher zu vermeiden, hätte er das Gericht nach Erhalt der Verfügung vom 18. Januar 2002 darauf hinweisen müssen, dass der Gerichtskostenvorschuss bereits eingezahlt war und die Klage unabhängig von der Bewilligung von Prozesskostenhilfe erhoben sein sollte. Dies gilt umso mehr, als die gerichtliche Verfügung mit der Anfrage schloss, ob die mitgeteilte Annahme zutreffe. cc) Der Vortrag des Beklagten, er habe sich den Eingang der Klageschrift, des Prozesskostenhilfegesuchs und des Schecks über den Gerichtskostenvorschuss sowohl am 10. Januar 2002 als auch nochmals am 25. Januar 2002 von der Geschäftsstelle des Gerichts telefonisch bestätigen lassen, ändert an dieser Beurteilung nichts. Die durch das gerichtliche Schreiben vom 18. Januar 2002 begründeten Zweifel an einer alsbaldigen Zustellung der Klage wurden durch diese Telefonate nicht beseitigt, zumal der Beklagte beim zweiten Anruf die Auskunft erhalten haben will, eine Bearbeitung der Sache sei wegen des Umzugs des Landgerichts nicht sofort möglich. c) Hielte man die Untätigkeit des Beklagten nach Erhalt der Verfügung vom 18. Januar 2002 noch für vertretbar, weil schon die Einreichung eines Prozesskostenhilfeantrags zunächst die Möglichkeit sicherte, durch eine später zugestellte Klage die Frist des 12 Abs. 3 VVG a. F. noch zu wahren, dann läge eine Pflichtverletzung des Beklagten darin, dass er weiterhin untätig blieb, als ihm der Beschluss über die Ablehnung des Antrags auf Prozesskostenhilfe zugestellt wurde. Denn die durch einen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe eintretende Verzögerung der Zustellung ist nur dann unschädlich, wenn die Partei nach der Entscheidung über ihr Gesuch alles Zumutbare tut, damit die Klage demnächst im Sinne des 167 ZPO ( 270 Abs. 3 ZPO a. F.) zugestellt werden kann (BGHZ 98, 295, 301; BGH, Urt. v. 8. März 1989 IV a ZR 17/88, NJW-RR 1989, 675; Beschl. v. 30. November 2006 III ZB 22/06, NJW 2007, 439, 441 Rdnr. 13). Diesen Anforderungen wurde der Beklagte nicht gerecht. Ihm war durch die Verfügung vom 18. Januar 2002 bekannt, dass das Gericht irrtümlich annahm, es sei noch kein Gerichtskostenvorschuss eingezahlt und die Klage sei nur für den Fall der Bewilligung von Prozesskostenhilfe erhoben. Er musste deshalb damit rechnen, dass das Gericht, nachdem es die Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt hatte, von Amts wegen nichts unternehmen und die Einzahlung des Vorschusses abwarten würde. In dieser Situation hätte er, um seinen Pflichten aus dem Mandatsverhältnis zu genügen und Nachteilen für den Kläger vorzubeugen, das Gericht umgehend darauf hinweisen müssen, dass der Vorschuss bereits eingezahlt war und die Klage nun, ungeachtet der Ablehnung des Prozesskostenhilfegesuchs, unverzüglich zugestellt werden sollte. 2. Ein rechtzeitiger Hinweis des Beklagten auf die bereits erfolgte Einzahlung des zutreffend berechneten Gerichtskostenvorschusses und auf die unbedingt erhobene Klage hätte nach den Feststellungen des Berufungsgerichts eine zeitnahe Zustellung der Klage bewirkt. Jedenfalls dann hätte die Klage nicht als nach 12 Abs. 3 VVG a. F. verfristet abgewiesen werden können. In der Sache hätte sie Erfolg haben müssen, wenn der 870 AnwBl 12 / 2009 Anwaltshaftung

76 MN Rechtsprechung Versicherer nicht von seiner Verpflichtung zur Leistung frei war, weil der Kläger den Versicherungsfall vorsätzlich oder durch grobe Fahrlässigkeit herbeiführte ( 61 VVG a. F.). Hierzu hat das Berufungsgericht keine Feststellungen getroffen. 3. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts besteht zwischen der Pflichtverletzung des Beklagten und einem durch den Verlust des Vorprozesses eingetretenen Schaden des Klägers auch der erforderliche Zurechnungszusammenhang. a) Sind für den Schaden des Mandanten neben einer Pflichtverletzung des Prozessbevollmächtigten auch Fehler des Gerichts mitursächlich, entfällt die Zurechenbarkeit des Schadens zur Pflichtverletzung des Anwalts nur, wenn der Fehler des Gerichts den Geschehensablauf so verändert, dass der Schaden bei wertender Betrachtung in keinem inneren Zusammenhang mit der vom Anwalt zu vertretenden Vertragsverletzung steht. Bei dieser Beurteilung ist zu berücksichtigen, dass die Prozessleitung und die Rechtsfindung in die Verantwortung des Gerichts fallen und von der Leistung des Anwalts nicht abhängig sind. Auf der anderen Seite ist der Anwalt verpflichtet, seinen Mandanten vor Fehlentscheidungen der Gerichte zu bewahren (BGHZ174,205,209f.Rdnr.12 15;BGH,Urt.v.18.Dezember 2008 aao S. 326 f Rdnr. 21). b) Das Bundesverfassungsgericht hat in einer früheren Entscheidung ausgeführt, dass Rechtskenntnis und Rechtsanwendung vornehmlich Sache des Gerichts seien, während den ParteienundihrenAnwältenimWesentlichendieVerantwortung hinsichtlich des unterbreiteten Sachverhalts und der Antragstellung obliege (BVerfG NJW 2002, 2937, 2938; vgl. dazu Zugehör NJW 2003, 3225 ff.). Davon ist es aber neuerdings deutlich abgerückt (BVerfG NZM 2009, 579 Rdnr. 16; vgl. hierzu auch Chab AnwBl 2009, 269 f). Aus verfassungsrechtlichen Gründen sei nicht zu beanstanden, dass eine Haftung des Rechtsanwalts imregelfallauchdannangenommenwerde,wenneinfehler des Gerichts insbesondere bei der rechtlichen Aufarbeitung des Streitfalls für den Schaden einer Prozesspartei mitursächlich geworden sei. Der Bundesgerichtshof könne vielmehr auf die im Zivilrecht anerkannte gleichstufige Haftung all derjenigen verweisen, die für einen Schaden gleich aus welchen rechtlichen Gründen verantwortlich seien. c) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann der innere Zusammenhang zwischen der Pflichtverletzung des Anwalts und dem Schaden seines Mandanten insbesondere dann fehlen, wenn der Anwalt seinen Fehler berichtigt, das Gericht dies aber nicht zur Kenntnis nimmt und den Fehler zur Grundlage seiner Entscheidung macht, wenn der Schadensbeitrag des Gerichts denjenigen des Anwalts soweit überwiegt, dass letzterer ganz dahinter zurücktritt, oder wenn der Fehler des Anwalts schlechthin ungeeignet war, die gerichtliche Fehlentscheidung hervorzurufen (BGHZ 174, 205, 210 ff. Rdnr ). Entsprechende Voraussetzungen sind hier jedoch nicht gegeben. aa) Der Fehler des Gerichts bestand darin, die Einzahlung des Gerichtskostenvorschusses übersehen und die Klage so zu behandelt zu haben, als sei sie nur unter der Bedingung erhoben worden, dass Prozesskostenhilfe bewilligt wird. Er betraf nicht die Rechtsanwendung, sondern die vollständige Erfassung und das richtige Verständnis des rechtlichen Begehrens des Klägers. Der Beklagte mag zunächst alles Erforderliche getan haben, um eine Verfristung nach 12 Abs. 3 VVG a. F. zu vermeiden. Er hat deshalb wie das Berufungsgericht mit Recht ausführt auch keine Gefahrenlage geschaffen, die dem Fehlverständnis des Gerichts den Boden bereitete. Dies wird dem Beklagten aber auch nicht vorgeworfen. Der Vorwurf geht vielmehr dahin, dass der Beklagte ein von ihm nicht veranlasstes, gleichwohl eingetretenes und durch die ihm übermittelte gerichtliche Verfügung vom 18. Januar 2002 offenkundig gewordenes Fehlverständnis des Gerichts, das die Prozessaussichten des Mandanten erheblich gefährdete, nicht beseitigte, zumal ihm dies leicht möglich gewesen wäre.ineinemsolchenfallkannderzurechnungszusammenhang zwischen der Pflichtverletzung des Anwalts und dem Schaden des Mandanten nicht verneint werden (Henssler/Müller EWiR 2003, 165, 166 a. E.). bb)eskannoffenbleiben,obdieentscheidungdesberufungsgerichts im Vorprozess, die Klage wegen Verfristung abzuweisen, richtig war. Auch wenn darin ein weiterer gerichtlicher Fehler liegen sollte, würde dies den Zurechnungszusammenhang zwischen der Pflichtverletzung des Beklagten und einem Schaden seines Mandanten nicht beseitigen. Denn bei pflichtgemäßem Verhalten des Beklagten wäre die Klage zu einem Zeitpunkt zugestellt worden, der Zweifel an der Einhaltung der Frist des 12 Abs. 3 VVG a. F. nicht hätte aufkommen lassen. Die Schwierigkeiten bei der Beurteilung der Voraussetzungen des 270 Abs. 3 ZPO a. F. wären dann vermieden worden. Eine etwaige Fehlbeurteilung dieser Voraussetzungen durch das Gericht hat unter den gegebenen Umständen kein so großes Gewicht, dass der innere Zusammenhang zwischen der anwaltlichen Pflichtverletzung und dem Schaden entfiele. III. Das angefochtene Urteil kann damit keinen Bestand haben. Es ist aufzuheben ( 562 Abs. 1 ZPO). Da bisher keine Feststellungen zum behaupteten Schaden getroffen sind, ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen ( 563 Abs. 1 ZPO). Dieses wird die Prüfung, ob die Klage im Vorprozess bei pflichtgemäßem Handeln des Beklagten Erfolg gehabt hätte, selbst vornehmen müssen. Hängt die Haftung des Anwalts vom Ausgang eines Vorprozesses ab, hat das Regressgericht nicht darauf abzustellen, wie jener voraussichtlich geendet hätte, sondern selbst zu entscheiden, welches Urteil richtigerweise hätte ergehen müssen (BGH, Urt. v. 18. Dezember 2008 aao S. 326 Rdnr.16m.w.N.). Anmerkung der Redaktion: Die Entscheidung hinterlässt einen faden Nachgeschmack: Wer als Anwalt den u.a. für die Anwaltshaftung zuständigen IX. Zivilsenat des BGH beim Wort nimmt, wird zum Kindermädchen der Gerichte (Chab AnwBl 2009, 379, 381). Der BGH stellt noch einmal klar, dass Anwälte auch für die Fehler des Gerichts haften wenn sie denn selbst auch einen Fehler gemacht haben (siehe zuletzt BGH AnwBl 2009, 306 und dazu Chab AnwBl 2009, 379). Damit lässt sich leben, wenn der Anwalt die Rechtslage verkennt, den Sachverhalt nicht ordentlich ermittelt oder sonst den Fehler des Gerichts verursacht. Hier hatte der Anwalt aber alles richtig gemacht. Den Fehler machte das Gericht und der kam aus heiterem Himmel. Der BGH stellte nun fest, dass der Anwalt aufgrund einer Verfügung des Gerichts das Missverständnis des Gerichts hätte bemerken und weil offenkundig auch hätte ausräumen müssen. Das soll der Anwaltsfehler sein. Hätte der Anwalt zu diesem Zeitpunkt Klarheit geschaffen, hätten die Gerichte danach keine schwierigen Rechtsfragen mehr klären müssen. Und es kommt noch schöner: Möglicherweise war die Entscheidung des Berufungsgericht im Vorprozess falsch aber auch das soll den Zurechnungszusammenhang zwischen anwaltlicher Pflichtverletzung und Schaden nicht unterbrechen. Was bleibt? Der Anwalt wird den sichersten Weg gehen und bei jeder Verfügung des Gerichts genau prüfen, ob das Gericht alles in seinem Sinne gemacht hat und lieber einmal mehr als zu wenig nachfragen. Denn merke: Vertraue nie einem Richter... Anzeige Anwaltshaftung AnwBl 12 /

77 MN Rechtsprechung Zweite Fristverlängerung: Einverständnis des Gegners reicht aus ZPO 233, 520 Abs. 2 Grundsätzlich darf eine Partei darauf vertrauen, dass ihrem lediglich mit der Einwilligung des Gegners begründeten Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist stattgegeben wird. BGH, Beschl. v VII ZB 111/08 Aus den Gründen: I. Der Kläger hat gegen das klageabweisende, am 3. Juni 2008 zugestellte Urteil des Amtsgerichts rechtzeitig Berufung eingelegt. Die Frist zur Begründung der Berufung ist auf seinen begründeten Antrag von der Kammervorsitzenden bis zum 3. September 2008 verlängert worden. Mit Schriftsatz vom 3. September 2008 hat der Kläger unter Hinweis auf das Einverständnis des Beklagtenvertreters beim Landgericht eine zweite Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist um sieben Tage beantragt. Das hat die Kammervorsitzende durch Verfügung vom 4. September 2008 abgelehnt, weil der Fristverlängerungsantrag nicht begründet worden sei. Daraufhin hat der Kläger mit einem am gleichen Tag per Telefax beim Berufungsgericht eingegangenen Schriftsatz vom 17. September 2008 die Berufung begründet und in einem weiteren Schriftsatz vom gleichen Tage wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Zur Begründung hat er geltend gemacht, der Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist vom 3. September 2008 habe, wie sich eindeutig aus 520 Abs. 2 Satz 2 ZPO ergebe, wegen der hinreichend dargelegten Einwilligung des Prozessbevollmächtigten des Beklagten in die Fristverlängerung keiner weiteren Begründung bedurft. Weil er demnach auf die rechtzeitig beantragte Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist habe vertrauen dürfen, sei er ohne Verschulden an der Einhaltung der am 3. September 2008 abgelaufenen Frist verhindert gewesen, zumal die Ablehnung der Fristverlängerung erst am 4. September 2008 und damit nach Ablauf der bis dahin geltenden Frist erfolgt sei. Das Berufungsgericht hat mit Beschluss vom 6. November 2008 die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand versagt und zugleich die Berufung des Klägers als unzulässig verworfen. Dagegen wendet sich der Kläger mit der Rechtsbeschwerde, mit der er die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses erstrebt und auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist anträgt. II. 1. Die gemäß 238 Abs. 2 Satz 1, 522 Abs. 1 Satz 4, 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist zulässig, weil zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erforderlich ist ( 574 Abs.2 Nr.2 ZPO). Indem das Berufungsgericht dem Kläger zu Unrecht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist verweigert hat, hat es das Verfahrensgrundrecht des Klägers auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. dem Rechtsstaatsprinzip) verletzt. Es hat dem Kläger den Zugang zur Berufungsinstanz ungerechtfertigt versagt. 2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet. a) Das Berufungsgericht hat eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit der Begründung verweigert, der Kläger sei nicht unverschuldet an der Einhaltung der am 3. September 2008 abgelaufenen Berufungsbegründungsfrist verhindert gewesen. Auf die Bewilligung der am Tage des Fristablaufs erbetenen zweiten Fristverlängerung habe der Kläger nicht vertrauen dürfen, weil er seinen dahingehenden Antrag nicht ordnungsgemäß begründet habe. Der Berufungsführer müsse auch im Falle des 520 Abs. 2 Satz 2 ZPO erhebliche Gründe vorbringen, die eine Fristverlängerung rechtfertigen könnten. Der Hinweis auf das Einverständnis des Gegners mit der Fristverlängerung reiche insoweit nicht aus, weil eine Parteivereinbarung nach allgemeinen, sich aus 224 Abs. 2, 227 Abs. 1 Satz 2 ZPO ergebenden Grundsätzen kein erheblicher Grund für eine Fristverlängerung sei und das Gericht das ihm gemäß 520 Abs. 2 Satz 2 ZPO eingeräumte Ermessen nur dann ausüben könne, wenn solche Gründe vorgebracht seien. b) Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Das Berufungsgericht hat dem Kläger zu Unrecht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist versagt. aa) Der Kläger war entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ohne sein Verschulden an der Einhaltung der Berufungsbegründungsfrist verhindert, 233 ZPO. Denn er durfte darauf vertrauen, dass seinem rechtzeitig gestellten Antrag, die bereits bis zum 3. September verlängerte Berufungsbegründungsfrist um weitere sieben Tage bis zum 10. September 2008 zu verlängern, entsprochen würde. Die gegenteilige Auffassung des Berufungsgerichts, wonach der Kläger über die Mitteilung der Einwilligung des Beklagten hinaus erhebliche Gründe für die erneute Fristverlängerung hätte darlegen müssen, ist unzutreffend. Sie überspannt die sich aus 520 Abs. 2 Satz 2 ZPO ergebenden Anforderungen an einen bewilligungsfähigen Antrag auf Verlängerung der Frist zur Begründung der Berufung. Allerdings ist der Rechtsmittelführer generell mit dem Risiko belastet, dass der Vorsitzende des Rechtsmittelgerichts in Ausübung seines pflichtgemäßen Ermessens eine beantragte Verlängerung der Rechtsmittelbegründungsfrist versagt. Im Wiedereinsetzungsverfahren kann sich der Rechtsmittelführer deshalb nur dann mit Erfolg auf sein Vertrauen in eine Fristverlängerung berufen, wenn deren Bewilligung mit großer Wahrscheinlichkeit erwartet werden konnte (BGH, Beschluss vom 4. Juli 1996 VII ZB 14/96, NJW 1996, 3155; Beschluss vom 21. Februar 2000 II ZB 16/99, NJW-RR 2000, 947, jeweils m. w. N.). Das wiederum ist nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bei einem ersten Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist der Fall, sofern dieser auf erhebliche Gründe im Sinne des 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO gestützt wurde (BGH, Beschluss vom 15. August 2007 XII ZB 82/07, NJW-RR 2008, 76 m. w. N.; zu 519 Abs. 2 Satz 3 ZPO a. F.: BGH, Beschluss vom 11. November 1998 VIII ZB 24/98, NJW 1999, 430 m. w. N.). Eine strengere Gerichtspraxis, die solche erheblichen Gründe generell nicht für ausreichend hält, bewegt sich nicht im Rahmen zulässiger, am Einzelfall orientierter Ermessensausübung; auf eine solche Praxis braucht sich der Anwalt nicht einzustellen (BVerfG, NJW 1989, 1147; BGH, Beschluss vom 11. November 1998 VIII ZB 24/98, NJW 1999, 430). Bei Anwendung dieser Grundsätze kann eine Partei auf eine Fristverlängerung auch dann vertrauen, wenn diese unter Hinweis auf das erteilte Einverständnis des Gegners erstmalig beantragt wird, ohne dass erhebliche Gründe im Sinne des 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO dargetan sind. Nach dem eindeutigen Wortlaut des 520 Abs. 2 Satz 2 ZPO bedarf es für die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist keiner erheblichen Gründe im Sinne des 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO, wenn der Gegner einwilligt. Mit der Neueinführung dieser Vorschrift hat der Gesetzgeber eine im Vergleich zu der früheren Regelung des 519 Abs. 2 Satz 3 ZPO a. F. vereinfachte Möglichkeit für die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist schaffen wollen (BT-Drucks. 14/4722, S. 95). Die Vereinfachung besteht nach dem Regelungszusammenhang zwischen 520 Abs. 2 Satz 2 und 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO darin, dass allein die Einwilligung des Gegners die vom Gericht zu treffende Ermessensentscheidung eröffnet. Die Bewilligung der Fristverlängerung hängt dann nicht davon ab, dass der Berufungsführer hierfür erhebliche Gründe geltend machen kann, die er folglich entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts auch nicht darlegen muss 872 AnwBl 12 / 2009 Anwaltshaftung

78 MN Rechtsprechung (Musielak/Ball,ZPO,6.Aufl., 520Rdn.8).Vielmehrsinddie tatbestandlichen Voraussetzungen für die vom Gericht gemäß 520 Abs. 2 Satz 2 ZPO zu treffende Ermessensentscheidung auch ohne solche erheblichen Gründe erfüllt. Ein anderes Ergebnis folgt auch nicht daraus, dass der Kläger hier um eine zweite Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist nachgesucht hatte. Allerdings hat der Bundesgerichtshof für das frühere Recht ( 519Abs.2Satz3ZPOa.F.)grundsätzlichinZweifelgezogen, ob der Rechtsmittelführer auch darauf vertrauen darf, dass einem zweiten ordnungsgemäß begründeten Verlängerungsantrag stattgegeben wird (BGH, Beschluss vom 21. Februar 2000 II ZB 16/99; NJW-RR 2000, 947; vgl. auch BGH, Beschluss vom 4. März 2004 IX ZB 121/03, NJW 2004, 1742; offengelassen von BGH, Beschluss vom 4. Juli 1996 VII ZB 14/96, NJW 1996, 3155). Er hat diese Frage nur in einem besonders gelagerten Einzelfall bejaht, in dem der Anwalt des Rechtsmittelführers erst mit erheblicher Verspätung die mehrfach erbetene Akteneinsicht erhalten hatte. Ob diese Zweifel auch für die Geltung des neuen Rechts fortbestehen, braucht der Senat nicht abschließend zu entscheiden. Gemäß 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO kann die Berufungsbegründungsfrist wegen erheblicher Gründe jetzt nur noch um höchstens einen Monat verlängert werden. Eine solche zeitliche Beschränkung besteht gemäß 520 Abs. 2 Satz 2 ZPO nicht, wenn der Gegner einwilligt. Diese Regelung lässt es grundsätzlich zu, dass der Berufungsführer mit Einwilligung des Gegners eine zweite, über einen Monat hinausgehende Verlängerung der erstmalig bereits wegen erheblicher Gründe verlängerten Berufungsbegründungsfrist erreichen kann. Die amtliche Gesetzesbegründung sieht diese Möglichkeit ausdrücklich vor (BT-Drucks. 14/4722, S. 95). Jedenfalls für den vorliegenden Fall, in dem der Kläger mit Einverständnis des Gegners eine zweite Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist von lediglich sieben Tagen beantragt hatte, durfte er deshalb darauf vertrauen, dass seinem Verlängerungsantrag stattgegeben wird. bb) Der Wiedereinsetzungsantrag und die Berufungsbegründung sind rechtzeitig beim Berufungsgericht eingegangen. Das Hindernis zur Einhaltung der Frist entfiel am Montag, den 8. September 2008, als der Prozessbevollmächtigte des Klägers bei zu unterstellender normaler Postlaufzeit die gerichtliche Mitteilung vom 4. September erhielt, dass die beantragte zweite Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist nicht in Betracht komme. Von diesem Tag an lief die Frist von einem Monat, um Wiedereinsetzung zu beantragen und die Berufungsbegründung einzureichen, 234 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2, 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO. Diese Frist hat der Kläger gewahrt; Wiedereinsetzungsantrag und Berufungsbegründung gingen am 17. September 2008 und damit rechtzeitig beim Berufungsgericht ein. cc) Diesem Ergebnis steht nicht entgegen, dass der Kläger um Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist nur bis zum 10. September 2008 nachgesucht und diese sich selbst gesetzte Frist überschritten hat (vgl. BGH, Beschluss vom 16. April 2009 VII ZB 66/08 und VII ZB 67/08 m. w. N., in juris). 3. Dem Kläger war somit unter Aufhebung des Beschlusses des Berufungsgerichts vom 6. November 2008 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung zu gewähren. Damit sind die mit jenem Beschluss ebenfalls ausgesprochene Verwerfung der Berufung und die auch dagegen vorsorglich eingelegte Rechtsbeschwerde des Klägers gegenstandslos (vgl. BGH, Beschlüsse vom 6. Dezember 2006 XII ZB 99/06, NJW 2007, 1455 und vom 15. Januar 2008 XI ZB 11/07, NJW 2008, 1164). Anmerkung: Die nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist durch den Vorsitzenden verweigerte zweite Fristverlängerung ist das Trauma des Anwalts. Der vorstehende Beschluss des Bundesgerichtshofs klärt die für die anwaltliche Praxis wichtige Frage, ob der Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist die Darlegung erheblicher Gründe gemäß 520 Abs. 2 S. 3 ZPO verlangt oder ob der bloße Hinweis auf das Einverständnis des Gegners mit der Fristverlängerung ausreichend ist. Manche Berufungsgerichte belehren den Anwalt erst nach Ablauf der Frist, dass er auf die Bewilligung der am Tage des Fristablaufs erbetenen zweiten Fristverlängerung nicht vertrauen dürfe, weil der mit dem bloßen Einverständnis des Gegners begründete Antrag nicht ordnungsgemäß begründet sei. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand komme nicht in Betracht, weil die Nichteinhaltung der Berufungsbegründungsfrist nicht unverschuldet sei. Die für die anwaltliche Praxis wichtige Frage lautet daher: Kann der Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist allein damit begründet werden, dass die Gegenseite ihr Einverständnis erklärt hat? Der Beschluss des BGH stellt klar, dass jedenfalls für die erste Fristverlängerung das Einverständnis des Gegners völlig ausreichend ist. Das folgt aus einem Vergleich zwischen 520 Abs. 2 Satz 2 und Satz 3 ZPO. Schon die Einwilligung des Gegners eröffnet die vom Gericht zu treffende Ermessensentscheidung. Sonstige erhebliche Gründe sind nicht geltend zu machen. Für eine zweite Fristverlängerung soll dies nach Auffassung des BGH jedenfalls dann gelten, wenn, wie im Streitfall, nur eine Verlängerung von sieben Tagen beantragt worden war. Ob dies allgemein für die zweite, einen vollen Monat betragende Fristverlängerung gilt, lässt der Senat mit einer Tendenz zu einer bejahenden Antwort offen. Es ist jedoch nur folgerichtig, aus 520 Abs. 2 Satz 2 ZPO zu schließen, dass die bloße Einwilligung der Gegenseite zur Fristverlängerung keiner Zeltschranke unterliegt. Der Beschluss schafft daher Klarheit für den Streitfall; weitere Klarstellungen stehen noch aus. Nicht unbeachtet kann bleiben, dass sämtliche Senate des Bundesgerichtshofs für die beim Bundesgerichtshof anhängigen RechtsmittelverfahreninihrertäglichenPraxisdiedem 520 Abs. 2 Satz 2 ZPO entsprechenden Vorschriften der 544 Abs. 2 S. 2, 551 Abs. 2 S. 5 und 6 ZPO so anwenden, dass der mit der Einwilligung des Gegners begründete Fristverlängerungsantrag ausreichend ist und einer zeitlichen Beschränkung nicht unterliegt. Das entspricht auch den praktischen Bedürfnissen. Im Zweifel ist die beim Gegner nachgesuchte Einwilligung eine bessere Garantin für das Vorliegen erheblicher Gründe als diejenigen, die nicht selten notgedrungen in letzter Minute zwar umfangreich, aber eher konstruiert zu Papier gebracht werden. Es sollte daher für die Praxis bei dem einfachen Grundsatz bleiben, das die bloße Einwilligung des Gegners gemäß 520 Abs. 2 Satz 2 ZPO ohne Zeitschranke als Begründung für den Fristverlängerungsantrag ausreichend ist. Auf diese goldene Regel sollte der Anwalt vertrauen dürfen. Rechtsanwalt beim Bundesgerichtshof Prof. Dr. Dr. Norbert Gross, Karlsruhe. Anzeige Anwaltshaftung AnwBl 12 /

79 MN Rechtsprechung Wie wäre der Vorprozess ausgegangen? Das Regressgericht hat das letzte Wort BGB 675, 280 Kommt es im Regressprozess gegen einen Anwalt darauf an, wie das Gericht des Ausgangsprozesses bei sachgemäßer anwaltlicher Vertretung den Fall entschieden hätte, ist für die rechtliche Beurteilung alleine die Rechtsauffassung des Regressgerichts ausschlaggebend; wie das Gericht des Vorprozesses auf der Grundlage seiner Rechtsprechung den Fall gesehen hätte, ist unerheblich. (Leitsatz der Redaktion) OLG Karlsruhe, Urt. v U 345/08 Anmerkung der Redaktion: Das Urteil bespricht Mäsch ab Seite 855. Der Volltext ist im Internet abrufbar unter Anwaltsvergütung Scheidungssache: Willkür bei der Streitwertsetzung GGArt.3Abs.1;GKG 48Abs.2,3(jetztFamGKG 43Abs.1,2) Ein Gericht verletzt das Willkürverbot, wenn es in einem einverständlichen Ehescheidungsverfahren den Streitwert auf den gesetzlichen Mindeststreitwert von Euro oder nur knapp darüber auf Euro festsetzt, obwohl das Dreimonatseinkommen der Eheleute deutlich höher ist (hier Euro), ein Ehepartner Immobiliarvermögen hat, die Ehe 13 Jahre dauerte und es gemeinsame Kinder gibt. (Leitsatz der Redaktion) BVerfG (2. Kammer des Ersten Senats), Beschl. v BvR 735/09 Aus den Gründen: I. Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen die Streitwertfestsetzung in einem Ehescheidungsverfahren. 1. Der Beschwerdeführer ist Rechtsanwalt. In einem Ehescheidungsverfahren wurde er dem Ehemann, dem Prozesskostenhilfe mit monatlicher Ratenzahlung von 115 Euro gewährt wurde, als Prozessvertreter beigeordnet. Der Ehefrau wurde die Gewährung von Prozesskostenhilfe unter Hinweis auf deren nicht unerhebliche Einkünfte und vorhandenes Immobiliarvermögen die Ehefrau ist Eigentümerin eines Einfamilienhauses und mehrerer Wohnungen verweigert. Die Parteien des Scheidungsverfahrens, die Eltern zweier Kinder sind, verfügten zusammen über ein monatliches Nettoeinkommen von mindestens Euro sowie über weitere monatliche Mieteinkünfte in Höhe von etwa Euro. 2. Das Amtsgericht setzte den Geschäftswert für die einverständliche Ehescheidung ohne Begründung auf Euro fest und half der hiergegen gerichteten Beschwerde des Beschwerdeführers aus den Gründen des angefochtenen Beschlusses nicht ab. Das Oberlandesgericht wies die Beschwerde des Beschwerdeführers in der Folge mit der Begründung zurück, das Vorbringen des Beschwerdeführers rechtfertige keine abweichende Entscheidung; das Amtsgericht habe unter Berücksichtigung der im Beschluss des Oberlandesgerichts vom 26. Januar 2009 (14 WF 236/08, FamRZ2009, S. 1173) genannten Kriterien sein ihm gegebenes Ermessen nicht fehlerhaft ausgeübt. 3. Der Beschwerdeführer rügt die Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Bedeutung als Willkürverbot sowie die Verletzung von Art. 12 Abs. 1 GG. Die angegriffenen Entscheidungen seien unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar und damit willkürlich. Sowohl der amtsgerichtlichen Streitwertfestsetzung als auch der diesbezüglichen Beschwerdeentscheidung des Oberlandesgerichts fehle es an einer nachvollziehbaren Begründung. Während die Entscheidung des Amtsgerichts überhaupt keine Begründung aufweise, habe das Oberlandesgericht lediglich pauschal auf die in seinem Beschluss vom 26. Januar 2009 (14 WF 236/08) genannten Kriterien verwiesen. Ob und inwieweit die dort genannten Gesichtspunkte auch im vorliegenden völlig anders gelagerten Fall zum Tragen kämen und warum vorliegend die Festsetzung des Streitwerts auf weniger als ein Drittel des dreifachen monatlichen Nettoeinkommens angemessen sein könnte, habe das Oberlandesgericht nicht ausgeführt. Das Oberlandesgericht habe die konkreten Umstände des Einzelfalls überhaupt nicht berücksichtigt; angesichts der Dauer des Scheidungsverfahrens (einschließlich des Prozesskostenhilfeverfahrens) von insgesamt 11 Monaten, des vom Oberlandesgericht zugrunde gelegten monatlichen Nettoeinkommens in Höhe von mindestens Euro und der zusätzlichen Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung, des erheblichen Vermögens der Ehefrau sowie der schon wegen der beiden Kinder der Parteien hohen Bedeutung des Scheidungsverfahrens sei die Festsetzung eines Streitwerts von nur Euro nicht nachvollziehbar und damit willkürlich. 4. Das Niedersächsische Justizministerium, die Bundesrechtsanwaltskammer, der Deutsche Anwaltverein und die Parteien des Ausgangsverfahrens hatten Gelegenheit zur Stellungnahme. II. Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt, weil dies zur Durchsetzung des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 3 Abs. 1 GG angezeigt ist ( 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Auch die weiteren Voraussetzungen des 93 c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG liegen vor. Das Bundesverfassungsgericht hat die für die Entscheidung maßgeblichen Fragen bereits entschieden (vgl. BVerfGE 89, f>; 96, >). Die Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich begründet. 1. Die fachgerichtliche Wertfestsetzung verletzt das aus Art. 3 Abs. 1 GG folgende Willkürverbot. Objektiv willkürlich ist ein Richterspruch nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dann, wenn er unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass er auf sachfremden Erwägungen beruht. Fehlerhafte Rechtsanwendung allein macht eine Gerichtsentscheidung jedoch nicht willkürlich. Willkür liegt vielmehr erst dann vor, wenn eine offensichtlich einschlägige Norm nicht berücksichtigt, der Inhalt einer Norm in krasser Weise missverstanden oder sonst in nicht mehr nachvollziehbarer Weise angewendet wird (vgl. BVerfGE 89, f>; 96, >). Daran gemessen ist Art. 3 Abs. 1 GG verletzt. Die angegriffenen Entscheidungen werden der hier weiterhin maßgeblichen (vgl. 63 Abs. 1 FamGKG) gesetzlichen Regelung in 48 Abs. 2 und 3 des Gerichtskostengesetzes in der Fassung vor Inkrafttreten des FGG-Reformgesetzes vom 17. Dezember 2008 (BGBI I S. 2586; im Folgenden: GKG a. F.) in keiner Weise gerecht und sind unter keinem denkbaren rechtlichen Aspekt vertretbar. Die Fachgerichte haben den Streitwert für die vom Beschwerdeführer auf Seiten des Antragstellers vertretene Scheidungssache auf einen mit Euro nur knapp über dem gesetzlichen Mindestwert liegenden Streitwert festgesetzt, ohne die von 48 Abs. 2 GKG a. F. geforderte einzelfallbezogene Abwägung der für die Streitwertbernessung maßgeblichen Umstände vorzunehmen und dabei die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Parteien des Scheidungsverfahrens zu berücksichtigen. a) Die von den Fachgerichten gegebenen Begründungen machen die mit der Verfassungsbeschwerde angegriffene Festsetzung des Streitwerts auf Euro nicht nachvollziehbar. Tragfähige Erwägungen für diese Wertfestsetzung lassen sich 874 AnwBl 12 / 2009 Anwaltsvergütung

80 MN Rechtsprechung weder dem Beschluss des Amtsgerichts noch der Beschwerdeentscheidung des Oberlandesgerichts entnehmen. Während der Beschluss des Amtsgerichts über die Streitwertfestsetzung ohne jede Begründung ergangen ist, erschöpft sich der nach Beschwerdeeinlegung ergangene Nichtabhilfebeschluss des Amtsgerichts in dem Hinweis auf angebliche aber tatsächlich nicht vorhandene Gründe der angefochtenen Entscheidung. Das Oberlandesgericht stellt wiederum ohne tragfähige Begründung fest, dass das Amtsgericht den Streitwert unter fehlerfreier Ausübung seines Ermessens zutreffend auf Euro festgesetzt habe. Der zur Begründung gegebene alleinige Verweis des Oberlandesgerichts auf seine Entscheidung vom 26. Januar 2009 (14 WF 236/08) betrifft zwar einen Fall mit vergleichbaren Einkommensverhältnissen der Eheleute, der Streitwert wurde indessen in mehr als doppelter Höhe auf Euro festgesetzt. Schon deshalb vermag der pauschale Verweis auf diesen auch im Übrigen grundlegend anders gelagerten Fall weder zu erklären, dass das Amtsgericht sein Ermessen fehlerfrei ausgeübt habe, noch lässt sich der Bezugnahme auf die im zitierten Beschluss aufgeführten Gesichtspunkte eine nachvollziehbare und vertretbare eigene Begründung für die bestätigte Streitwertbemessung entnehmen. Die im Beschluss vom 26. Januar 2009 genannten Kriterien werden auf den vorliegenden Einzelfall nicht zur Anwendung gebracht, so dass eine Auseinandersetzung mit den Besonderheiten des konkretenfallesunterbliebenist. b) Nachvollziehbare Gründe für die angegriffene Streitwertfestsetzung sind auch den Umständen nach nicht erkennbar. Nach 48 Abs. 2 Satz 1 GKG a. F. (jetzt 43 Abs. 1 Satz 1 FamGKG) ist Streitwert in nichtvermögensrechtlichen Angelegenheiten unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere des Umfangs und der Bedeutung der Sache und der Vermögens- und Einkommensverhältnisse der Parteien, nach Ermessen zu bestimmen; in Ehesachen ist dabei für die Einkommensverhältnisse das im Zeitraum von drei Monaten erzielte Nettoeinkommen der Eheleute einzusetzen ( 48 Abs. 3 Satz 1 GKG a. F., jetzt 43 Abs. 2 FamGKG) und ein Streitwert von mindestens Euro zu bestimmen ( 48 Abs. 3 Satz 2 GKG a. F., jetzt 43 Abs. 1 Satz 2 FamGKG). Hiernach bestehen zwar keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen ein Abweichen vom einzusetzenden dreifachen Nettoeinkommen, wenn der Streitwert für eine einverständliche Scheidung ( 630 a. F. der Zivilprozessordnung 5ZPO>) mit deswegen geringem Umfang festzusetzen ist (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 17. Dezember BvR 177/08, NJW2009, S. 1197). Insbesondere ist es aus verfassungrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden, wenn unter Abwägung aller Umstände mit vertretbarer Begründung angenommen wird, dass eine Festsetzung des Streitwerts auf das dreifache monatliche Nettoeinkommen im konkreten Fall nicht berechtigt ist; der Streitwertbemessung darf es jedoch nicht an einer nachvollziehbaren Grundlage fehlen. Hiernach sind die angegriffenen Entscheidungen unter keinem Gesichtspunkt vertretbar und damit objektiv willkürlich. Das Bundesverfassungsgericht hat unter anderem bereits in den Beschlüssen vom 24. Juli 2007 (1 BvR 1678/07), vom 11. Dezember 2007 (1 BvR 3032/07) und vom 17. Dezember 2008 (1 BvR 177/08, NJW 2009, S. 1197) deutlich gemacht, dass eine Festsetzung des Streitwerts auf den gesetzlichen Mindestwert oder wiebei3.000euro nurknappdarüberbeieinemdeutlich höheren Dreimonatsnettoeinkommen der Eheleute verfassungsrechtlichen Bedenken begegnen kann. Im vorliegenden Fall beläuft sich nicht nur das in drei Monaten erzielte Nettoeinkommen der Eheleute auf über Euro, es ist daneben auch Immobiliarvermögen der Ehefrau vorhanden, das nach 48 Abs. 2 GKG a. F. ebenfalls zu berücksichtigen ist. Schon angesichts der 13-jährigen Dauer der Ehe und der gemeinsamen Kinder ist die Scheidungssache auch nicht von einer nur unerheblichen Bedeutung, Unter diesen Umständen ist die Festsetzung eines Streitwerts von lediglich Euro auch in Anbetracht einer kurzen Verfahrensdauer und eines nur geringen Umfangs des Scheidungsverfahrens nicht nachvollziehbar und unter keinem denkbaren rechtlichen Aspekt vertretbar. Das Oberlandesgericht selbst hat in der von ihm in Bezug genommenen Entscheidung vom 26. Januar 2009 (14 WF 236/08) bei vergleichbaren Einkommensverhältnissen der Eheleute festgestellt, dass das Amtsgericht mit der Festsetzung des Streitwerts auf Euro sein Ermessen in jeder Hinsicht zutreffend ausgeübt habe. Dabei war im Unterschied zum vorliegenden Fall weder besonderes Vermögen der Eheleute vorhanden noch waren aus der Ehe Kinder hervorgegangen; zudem war das gerichtliche Verfahren von kürzerer Dauer.Diesmachtdeutlich,dass die Fachgerichte zu dem vorliegend festgesetzten Streitwert nur deshalb gelangen, konnten, weil sie den Einkommens- und Vermögensverhältnissen der Parteien des Scheidungsverfahrens entgegen der gesetzlichen Regelung in 48 Abs. 2 und 3 GKG a. F., entgegen der eigenen Rechtsprechung des Oberlandesgerichts im Beschluss vom 26. Januar 2009 (14 WF 236/08) und entgegen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts keinerlei Gewicht beigemessen haben. 2. Nachdem die angegriffenen Entscheidungen jedenfalls das Willkürverbot gemäß Art. 3 Abs. 1 GG verletzen, kann offen bleiben, ob auch die vom Beschwerdeführer erhobene Rüge zu Art. 12 Abs. 1 GG durchgreift. 3. Die Beschlüsse des Amtsgerichts und des Oberlandesgerichts sind hiernach gemäß 93 c Abs. 2 in Verbindung mit 95 Abs. 2 BVerfGG aufzuheben, ohne dass es noch auf die weiter erhobene Rüge ankommt. Die Sache selbst ist an das Amtsgericht zurückzuverweisen. Anmerkung der Redaktion: Die Streitwertfestsetzung bei einverständlichen Ehescheidungsverfahren mit Prozesskostenhilfe beschäftigte die Instanzgerichte und das Bundesverfassungsgericht einige Zeit. Eigentlich wäre das Thema damit erledigt. Aber es gibt das OLG Oldenburg. Es fällt immer wieder mit besonders niedrigen Streitwerten auf. Die erste Streitfrage bei einverständlichen Scheidungen mit Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung klärte das Bundesverfassungsgericht (3. Kammer des Ersten Senats) bereits Seit dem ist klar, dass die Festsetzung des Mindeststreitwerts von Euro nicht mit dem Argument gerechtfertigt werden kann, dass die öffentlichen Kassen geschont werden müssen (BVerfG AnwBl 2005, 652). Dieses Ziel sei bereits bei den Prozesskostenhilfe-Sätzen berücksichtigt. Aufgehoben wurden das AG Hamburg und das OLG Hamburg. Das OLG Oldenburg hielt dann bei Prozesskostenhilfe mit Ratenzahlung dagegen und einen Streitwert von Euro für ausreichend. Das Bundesverfassungsgericht widersprach und kassierte die Entscheidung (BVerfG, 3. Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom , 1 BvR 2679/06, zitiert nach Juris). Lehren wollte das OLG Oldenburg daraus nicht ziehen: Die 2. Kammer des Ersten Senat des Bundesverfassungsgerichts hob mit Beschlüssen vom wieder drei Streitwertfestsetzungen in Scheidungssachen mit Prozesskostenhilfe auf (1 BvR 177/08, AGS 2009, 132; 1 BvR 1369/08, FamRZ 2009, 491; 1 BvR 992/08, zitiert nach Juris). Das OLG Oldenburg hatte gleich drei Mal das Willkürverbot verletzt. Doch einen Stimmungswechsel hat das beim OLG Oldenburg nicht ausgelöst. Die jetzt vom Bundesverfassungsgericht aufgehobene Entscheidung datiert vom 20. Februar Im OLG Bezirk Oldenburg sollten Familienrechtler bei Streitwertfestsetzungen wachsam und kämpferisch sein. Und wenn das OLG Oldenburg seine Beschlüsse wieder ordentlich begründet (und damit der Weg über einen Willkürverstoß dem Bundesverfassungsgericht versperrt bleibt), bleibt immer noch Art. 12 GG. Eine unangemessen niedrige Streitwertfestsetzung kann in die Berufsausübungsfreiheit eingreifen. Auch das sollten die Richter beim OLG Oldenburg einmal bedenken. Anwaltsvergütung AnwBl 12 /

81 MN Rechtsprechung Anrechnung der Geschäftsgebühr: BGH-Zivilsenate sind zerstritten RVG 15 a Abs. 1, Abs. 2; RVG-VV Teil 3 Vorbem. 3 Abs. 4, Nr. 2300; GWB 124 Abs. 2 Die Neuregelung des 15 a RVG findet auf vor seinem Inkrafttreten noch nicht abgeschlossene Kostenfestsetzungsverfahren keine Anwendung. Hier gilt: Die Geschäftsgebühr wird auf die Verfahrensgebühr angerechnet. Die Verfahrensgebühr entsteht nur in der um den Anrechnungsbetrag verminderten Höhe. (Leitsatz der Redaktion) Die Geschäftsgebühr, die der Rechtsanwalt für seine Tätigkeit im Nachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer erhält, ist auf die Verfahrensgebühr im Beschwerdeverfahren vor dem Vergabesenat anzurechnen. Zur Anwendbarkeit des 15 a RVG auf Altfälle. (amtlicher Leitsatz) BGH, Beschl. v X ZB 1/09 Aus den Gründen: I. Durch Beschluss vom 14. Mai 2008 wies der vorlegende Vergabesenat auf die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin den Nachprüfungsantrag der Antragstellerin zurück, erlegte ihr die Kosten des Beschwerdeverfahrens auf, verpflichtete die Antragstellerin, der Antragsgegnerin die im Verfahren vor der Vergabekammer entstandenen, zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen zu erstatten, und sprach die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines anwaltlichen Verfahrensbevollmächtigten durch die Antragsgegnerin im erstinstanzlichen Nachprüfungsverfahren aus. Die Antragsgegnerin, die schon erstinstanzlich durch die von ihr im Beschwerdeverfahren bevollmächtigten Rechtsanwälte vertreten worden war, hat, abgesehen von Post- und Telekommunikationspauschalen sowie Reisekosten, für das Verfahren vor der Vergabekammer eine Geschäftsgebühr nach Nr VV RVG sowie für das Verfahren vor dem Vergabesenat eine Verfahrens- sowie eine Terminsgebühr (Nr und Nr VV RVG) zur Festsetzung gegen die Antragstellerin beantragt. Der Rechtspfleger beim Oberlandesgericht hat die Geschäftsgebühr mit Blick auf die Regelung in Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG in Höhe von 0,75 auf die Verfahrensgebühr des Beschwerdeverfahrens angerechnet, den zur Festsetzung begehrten Betrag entsprechend gekürzt und zu Gunsten der Antragsgegnerin zu erstattende Kosten von 5.211,84 Euro (rechnerisch richtig: 5.199,94 Euro) festgesetzt. gegen die anteilige Anrechnung der Geschäftsgebühr in dem Kostenfestsetzungsbeschluss hat die Antragsgegnerin sich mit einem als sofortige Beschwerde bezeichneten Rechtsbehelf, den der Vergabesenat als Erinnerung behandelt hat, gewandt. Der vorlegende Vergabesenat hält die Anrechnung für rechtens und möchte die Erinnerung deshalb zurückweisen, sieht sich daran aber durch Entscheidungen des Kammergerichts (VergabeR 2005, 402) und der Oberlandesgerichte München (VergabeR 2009, 106) und Celle (Beschl. v Verg 10/07) gehindert und hat die Sache deshalb dem Bundesgerichtshof nach 124 Abs. 2 GWB vorgelegt. II. Die Vorlage ist in entsprechender Anwendung von 124 Abs. 2 GWB zulässig. 1. Nach dieser Vorschrift legt ein Oberlandesgericht, das über eine sofortige Beschwerde gegen die Entscheidung einer Vergabekammer zu befinden hat, die Sache, sofern sie nicht einen Antrag nach 118 Abs. 1 Satz 3 GWB oder 121 GWB zum Gegenstand hat, dem Bundesgerichtshof vor. Die Vorlagepflicht gilt, wie der Senat bereits entschieden hat, auch bei sofortigen Beschwerden gegen die in Kostenfestsetzungsverfahren ergangenen Entscheidungen der Vergabekammern (Sen.Beschl. v X ZB 19/07, VergabeR 2009, 39 Geschäftsgebühr im Nachprüfungsverfahren). Eine solche Konstellation liegt hier allerdings nicht vor. Vielmehr hat der Rechtspfleger beim Beschwerdegericht wie bundesweit in den Fällen,indeneneinNachprüfungsverfahrenindieBeschwerdeinstanz gelangt ist, üblich in entsprechender Anwendung von 104 Abs. 1 Satz 1 ZPO die vor der Vergabekammer entstandenen Kosten (mit-)festgesetzt. Gegen diese Entscheidung ist nicht die sofortige Beschwerde statthaft, sondern die Erinnerung ( 567 ZPO; 11 Abs. 1 und 2 RPflG). Die Vorschrift des 124 Abs. 2 GWB ist auf Erinnerungen gegen Kostenfestsetzungsbeschlüsse des Rechtspflegers beim Oberlandesgericht entsprechend anzuwenden, um eine planwidrige Lücke im Anwendungsbereich von 124 Abs. 2 GWB zu vermeiden. Der Sinn und Zweck dieser Regelung, eine bundeseinheitliche Rechtsprechung in Vergabesachen zu gewährleisten, schließt, wie der Senat bereits ausgesprochen hat, vergaberechtsbezogene Gebührenfragen ein (Sen., aao Tz. 5). DassdavonsolcheEntscheidungenausgenommenseinsollen, die ein Vergabesenat aufgrund der Regelung in 11 Abs. 1 und 2 RPflG im Erinnerungsverfahren trifft, ist nicht anzunehmen. 2. Die Vorlage ist auch im Übrigen zulässig. Die Voraussetzungen für eine Divergenzvorlage nach 124 Abs. 2 GWB sind erfüllt, wenn das vorlegende Oberlandesgericht als tragende Begründung seiner Entscheidung einen Rechtssatz zugrunde legen will, der mit einem die Entscheidung eines anderen Oberlandesgerichts tragenden Rechtssatz nicht übereinstimmt (vgl. BGHZ 179, 84 Rettungsdienstleistungen). So verhält es sich hier. Das Oberlandesgericht Düsseldorf möchte die sofortige Beschwerde mit der Begründung zurückweisen, die Anrechnungsregel in Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG finde auch Anwendung, wenn es sich bei der anzurechnenden Geschäftsgebühr um eine solchehandelt,dieimerstinstanzlichen Nachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer verdient worden ist. Dieser Rechtssatz kollidierte mit der vom vorlegenden Gericht angeführten Rechtsprechung des Kammergerichts und der Oberlandesgerichte München und Celle. III. Die nach 11 Abs. 2 RPflG statthafte Erinnerung ist auch sonst zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt. IV. In der Sache tritt der Senat der Ansicht des vorlegenden Oberlandesgerichts bei. 1. Für die Beantwortung der Divergenzfrage, deretwegen der Vergabesenat die Sache dem Bundesgerichtshof vorgelegt hat, ist zu unterscheiden zwischen dem Problem, ob die Regelung in Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG überhaupt Anwendung findet, wenn es um die Anrechnung der vom Rechtsanwalt für seine Tätigkeit im erstinstanzlichen Vergaberechtsnachprüfungsverfahren verdienten Gebühr auf die Verfahrensgebühr des nachfolgenden Beschwerdeverfahrens geht, und wenn dies bejaht wird der Frage, wie die Anrechnungsbestimmung in der Kostenfestsetzung zu handhaben ist. a) Die Regelung in Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG ist auf die Gebühr, die der Rechtsanwalt für seine Tätigkeit im Nachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer erhält, anzuwenden. Nach dieser Regelung wird, soweit wegen desselben Gegenstands eine Geschäftsgebühr nach den Nrn bis 2303 entsteht, diese Gebühr zur Hälfte, jedoch höchstens mit einem Gebührensatz von 0,75, auf die Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens angerechnet. Im Verfahren vor der Vergabekammer verdient der Rechtsanwalt in Ermangelung eines konkreten Gebührentatbestands eine Geschäftsgebühr nach Teil 2 Abschn. 3 des Vergütungsverzeichnisses zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (Sen.Beschl. v X ZB 19/07, aao; allg. Ansicht), namentlich nach den Gebührentatbeständen 2300 und b) Das Oberlandesgericht München vertritt die Ansicht, Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG sei schon nicht anzuwenden, weil die Regelung nur Fälle betreffe, in denen ein Verwaltungsverfahren dem erstinstanzlichen gerichtlichen Verfahren voraus- 876 AnwBl 12 / 2009 Anwaltsvergütung

82 MN Rechtsprechung gegangen sei (VergabeR 2009, 106). Dem kann nicht beigetreten werden. Eine solche Geltungsbeschränkung ist der Regelung nicht zu entnehmen. Der Gebührentatbestand von Nr VV RVG betrifft grundsätzlich die gesamte außergerichtliche Tätigkeit des Rechtsanwalts (vgl. Hartung/Römermann/Schons, RVG, 2. Aufl., Vertrag 2300 Rdnr. 1; Sermond in: Lutje/v. Seltmann, Beck scher Online-Komm. z. RVG, VV 2300 Rdnr. 1). Die gesetzliche Regelung sieht lediglich eine einschränkende Modifikation des Gebührenrahmens von Nr VV RVG vor, wenn eine Tätigkeit im Verwaltungsverfahren vorausgegangen ist, die nach der Rechtsprechung des Senats auch bei Vertretung im vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren anzuwenden ist, die aber nichts daran ändert, dass diese Gebühr dem Geltungsbereich von Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG unterliegt. c) Eine Nichtanwendung der ihrem Wortlaut nach einschlägigen Regelung käme danach nur in Betracht, wenn die Rechtsfolge aus der Anwendung der Norm in planwidrigem Widerspruch zu sonstigen gesetzlichen Regelungen oder zu von der Rechtsordnung anerkannten allgemeinen Grundsätzen stünde, deren weitere Geltung der Gesetzgeber offensichtlich nicht antasten wollte. Das ist indes nicht der Fall. aa) Die Anrechnung der im Nachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer verdienten Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr des Beschwerdeverfahrens vor dem Vergabesenat wird in der Rechtsprechung, von der das vorlegende OLG Düsseldorf abweichen möchte, und in der Fachliteratur im Wesentlichen mit der Begründung abgelehnt, beim Beschwerdeverfahren handle es sich der Sache nach um ein Rechtsmittelverfahren gegen die Entscheidung in einem kontradiktorisch und gerichtsähnlich ausgestalteten Verfahren vor der Vergabekammer, welches seinerseits mit einem herkömmlichen Verwaltungsverfahren nicht zu vergleichen sei (KG, OLG München, OLG Celle, aao; Rojahn, VergabeR 2004, 454, 456 f.; Wiese in Kulartz/Kus/Portz, Komm. zum GWB-Vergaberecht 128 Rdnr. 51; Noelle in Byok/Jaeger, Komm. zum Vergaberecht, 2. Aufl. Rdnr p). bb) Das rechtfertigt die Nichtanwendung von Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG nicht. Es trifft zwar zu, dass das Nachprüfungsverfahren vor den Vergabekammern Rechtsschutz in einem gerichtsähnlich ausgestalteten Verfahren gewährleisten soll. Gleichwohl handelt es sich dabei, wie der Senat bereits ausgesprochen hat, um ein in die Exekutive eingebettetes Verwaltungsverfahren (Sen.Beschl. v X ZB 14/03, VergabeR 2004, 414). Kostenrechtlich ist es, wie sich aus der Regelung in 128 Abs. 4 Satz 4 GWB n. F. ergibt, dem verwaltungsrechtlichen Widerspruchsverfahren gleichgesetzt (vgl. auch Sen.Beschl. v , aao Tz. 11). d) Dass die Vergabekammern eine streitentscheidende Tätigkeit ausüben und diese kostenrechtlich gleichwohl als Verwaltungstätigkeit behandelt und nicht einem Gerichtsverfahren gleichgesetzt wird, steht im Übrigen in Einklang mit allgemeiner verwaltungsrechtlicher Anschauung. Auch außerhalb des Vierten Teils des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen werden bisweilen unparteiische, aber ebenfalls in die Exekutive eingebundene Stellen in ähnlicher Weise tätig wie die Vergabekammern, indem sie im Konflikt zwischen Bürgern und Behörden in einem möglichst gerichtsähnlichen Verfahren durch gestaltenden, streitentscheidenden Verwaltungsakt eine Regelung treffen, ohne dass der Charakter dieser Entscheidungen als Maßnahmen der Exekutive angezweifelt und die gerichtliche Überprüfung solcher streitentscheidenden Verwaltungsakte als justizielles Rechtsmittelverfahren aufgefasst würde (vgl. Stelkens in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 7. Aufl., 35 Rdnr. 221). e) Das Verhältnis zwischen der Vergabekammer und dem Vergabesenat lässt sich auch nicht deswegen demjenigen zwischen einem Eingangs- und einem Rechtsmittelgericht gleichsetzen, weil kostenrechtlich für das Verfahren vor dem Vergabesenat die für das Berufungsverfahren erhobenen Gebühren gelten (Vorbemerkung Abs. 1 Nr. 4 VV RVG). Diese Bestimmung gilt nämlich nicht nur für Beschwerden nach 116 GWB, sondern gleichermaßen für Beschwerden gegen erlassene oder unterlassene Verfügungen der Kartellbehörden ( 63 Abs. 1 und 2 GWB). Die Kartellbehörde wird im Kartellverwaltungsverfahren nicht streitentscheidend, sondern originär als Organ der vollziehenden Gewalt tätig und erlässt eine Abschlussverfügung durch Verwaltungsakt oder unterlässt es, eine Einzelfallregelung zu treffen. Die Beschwerde dagegen tritt an die Stelle der Klage vor dem Verwaltungsgericht (vgl. Immenga/Mestmäcker, WettbR GWB, 4. Aufl., 63 Rdnr. 1). Die gebührenrechtliche Regelung in Vorbemerkung Abs. 1 Nr. 4 VV RVG erklärt sich dementsprechend nicht aus der vermeintlichen Natur des Beschwerdeverfahrens als eines Rechtsmittelverfahrens, sondern vielmehr durch den Umstand, dass das (erstinstanzliche) gerichtliche Verfahren vor einem Gericht im Range eines Oberlandesgerichts stattfindet. 2. Für die Frage der Anrechnung der Geschäftsgebühr im vorliegenden Kostenfestsetzungsverfahren gilt Folgendes: a) Nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wird die Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr angerechnet und nicht umgekehrt (grundlegend BGH, Urt. v VIII ZR 86/06, NJW 2007, 2049 und in Auseinandersetzung mit gegenteiligen Ansichten Beschl. v VIII ZB 57/07, NJW 2008, 1323; v III ZB 8/08, NJW-RR 2008, 1095; v IX ZR 133/07; v I ZB 30/08, WRP 2009, 75). Nach der Rechtsprechung des VIII., des III. und des I. Zivilsenats ist diese Anrechnungsregel auch im Außenverhältnis zum Prozessgegner in der Kostenfestsetzung anzuwenden (BGH NJW 2008, 1323; NJW-RR 2008, 1095; WRP 2009, 75). Auf der Grundlage dieser Rechtsprechung entsteht die Verfahrensgebühr nur in der um den Anrechnungsbetrag verminderten Höhe. Danach erweist die Berechnung des Rechtspflegers sich abgesehen von einem Rechnungsfehler, den der Senat, wie aus dem Tenor ersichtlich, entsprechend 319 Abs. 1 ZPO berichtigt hat als richtig. Wegen der Übergangsregelung in 60 Abs. 1 RVG kommt hiernach ein Rückgriff auf den erst nachträglich durch Art. 7 Abs. 4 des Gesetzes zur Modernisierung von Verfahren im anwaltlichen und notariellen Berufsrecht, zur Errichtung einer Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft sowie zur Änderung sonstiger Vorschriften (BGBl. I S. 2449) in das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz eingefügten 15 a RVG nicht in Betracht. b) Demgegenüber hat der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs nunmehr die Auffassung vertreten, die Anrechnungsregel in Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG wirke sich im Verhältnis zu Dritten, also namentlich im Kostenfestsetzungsverfahren, grundsätzlich nicht aus. Das Verfahren nach 132 Abs. 2, 3 GVG zu beschreiten hat der II. Zivilsenat nicht für erforderlich erachtet, weil seiner Meinung nach der Gesetzgeber das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz bezüglich der Anrechnung nicht geändert, sondern lediglich die auch nach Ansicht des Gesetzgebers vor Einfügung von 15 a RVG bestehende Gesetzeslage in dem Sinne klargestellt hat, dass sich die Anrechnung gemäß Vorb. 3 Abs. 4 VV RVG grundsätzlich im Verhältnis zu Dritten, also insbesondere im Kostenfestsetzungsverfahren, nicht auswirken soll (Beschl. v II ZB 35/07 Tz. 8). c) Der beschließende Senat hat durchgreifende Zweifel, dieser Auffassung beizutreten. Der II. Zivilsenat mag zwar darauf verweisen können, dass ausweislich einer Pressemitteilung das Bundesministerium der Justiz die Meinung geäußert hat, durch 15 a RVG werde klargestellt, dass sich die Anrechnung im Verhältnis zu Dritten nicht auswirke. Die Presserklärung des zuständigen Ministeriums lässt jedoch keine tragfähigen Rückschlüsse auf den Willen des Gesetzgebers im Sinne der Anwaltsvergütung AnwBl 12 /

83 MN Rechtsprechung historischen Auslegungsmethode zu. Dass der Gesetzgeber die seiner Ansicht nach bereits bestehende Gesetzeslage (lediglich) hat klarstellen wollen, lässt sich den Gesetzgebungsmaterialien, auf die der II. Zivilsenat ferner verweist, nicht entnehmen. Vielmehr wird dort das Anliegen artikuliert, für den bisher im Gesetz nicht definierten Begriff der Anrechnung eine Legaldefinition zu schaffen bzw. diesen Begriff inhaltlich zu bestimmen (BT-Drucks. 16/12717, S. 2 und 68). Dass die vom VIII. Zivilsenat aufgrund seines Verständnisses der Anrechnungsregel in Vorbemerkung 3 Abs. 4 RVG für das Kostenfestsetzungsverfahren gezogenen Konsequenzen der bisherigen Rechtslage entsprechen, wird in den Materialien nicht infrage gestellt, sondern es wird darin lediglich der Wille zum Ausdruck gebracht, diebestehenderechtslagezumodifizieren. Das spricht dafür, dass auch 15 a RVG wie bei Gesetzesänderungen üblich eine neue Gesetzeslage geschaffen hat. Im Übrigen hat der Senat Bedenken, die Materialien zu einem Gesetzgebungsverfahren im Rahmen der historischen Auslegungsmethode nicht nur zur Auslegung der Neuregelung heranzuziehen, sondern auch des bisherigen, insbesondere des in einer früheren Legislaturperiode verabschiedeten Rechts. Angesichts der wiedergegebenen Gesetzesbegründung bestehen ebenfalls Bedenken, die Anwendbarkeit des 15 a RVG auch auf am 5. August 2009 noch nicht abgeschlossene Kostenfestsetzungsverfahren aus dem Grundsatz herzuleiten, dass bei Verfahrensrecht eine Gesetzesänderung ab deren Inkrafttreten gilt (vgl. Müller-Rabe, NJW 2009, 2913, 2916 und die dortigen Nachw.). Denn ausgehend von der Auslegung des bisherigen Rechts, die auf die Rechtsprechung des VIII. Zivilsenats zurückgeht, kann kaum davon gesprochen werden, dass 15 a RVG ausschließlich verfahrensrechtliche Fragen (neu) regele. d) Im Streitfall bedürfen die Meinungsverschiedenheiten über das richtige Verständnis des bisherigen Rechts keiner abschließenden Klärung. Auch bei Anwendung des 15 a RVG könnte die Antragsgegnerin nicht mehr als das, was zu ihren Gunsten bereits festgesetzt ist, beanspruchen, weil ein Fall des 15 a Abs. 2, 3. Alt. RVG vorliegt. Im Streitfall werden die Geschäftsgebühr und die Verfahrensgebühr in demselben Verfahren geltend gemacht. Dasselbe Verfahren i. S. von 15 a Abs. 2 RVG ist hier das vorliegende Kostenfestsetzungsverfahren. Die Antragstellerin kann sich auf die Anrechnung berufen, weil die Antragsgegnerin aufgrund des in der Beschwerdeentscheidung des Vergabesenats enthaltenen Kostenausspruchs die Erstattung der Geschäftsgebühr zwar grundsätzlich verlangen kann, diese Gebühr aber aus den dargelegten Gründen (oben IV 1) auf die Verfahrensgebühr anzurechnen ist und die Antragsgegnerin jedenfalls in einem solchen Fall nach allen Auffassungen nur den um den Anrechnungsbetrag verminderten Gesamtbetrag der beiden Gebühren geltend machen kann (vgl. auch das eine gleichgelagerte Konstellation betreffende Beispiel bei Müller-Rabe NJW 2009, 2913, 2914 unter IV 2 d, 2. Spiegelstrich). Anmerkung der Redaktion: Das Gerangel um die Anrechnung der Geschäftsgebühr geht weiter. Klar ist: Auf Neufälle ab dem 5. August 2009 findet 15 a RVG natürlich Anwendung. Doch was ist mit den Alfällen seit Änderung der Rechtsprechung durch den VIII. Zivilsenat des BGH im Jahre 2007? Erst vor kurzem hatte sich der II. Zivilsenat des BGH mit deutlichen Worten geäußert, wie er zu der unseligen Rechtsprechung des VIII. Zivilsenats zur Anrechnung der Geschäftsgebühr steht und entschieden, dass 15 a RVG angesichts des Willens des Gesetzgebers auf Altfälle angewendet wird (BGH, AnwBl 2009, 798 mit Anmerkung Schons). Das Aufatmen in Deutschlands Kanzleien nach dieser in mehrfacher Hinsicht beachtlichen Entscheidung sollte vorhalten, auch wenn jetzt der X. Zivilsenat des BGH dem II. Zivilsenat widerspricht allerdings nur in einem obiter dictum, um so die Anrufung des Großen Senats in Zivilsachen des BGH zu vermeiden. Es wäre auch mehr als skurril, wenn der Große Senat in Zivilsachen darüber beraten müsste, was sich die Mitglieder des Rechtsausschusses des Bundestags in der vergangenen Legislaturperiode bei der Änderung des 15 a RVG gedacht haben. Jedenfalls die Richter des X. Zivilsenats wollen 15 a RVG auf Altfälle nicht anwenden. In dieselben Fußstapfen tritt nun übrigens auch das OLG Oldenburg (Beschl. v , 13 W 39/09), das für seine Selbstherrlichkeit in Kostensachen bekannt ist (siehe zur wiederholten Aufhebung durch das Bundesverfassungsgericht wegen willkürlicher Entscheidungen in diesem Heft Seite 874 und 875). Dabei hatte der II. Zivilsenat und nicht nur er zu Recht erkannt, dass der Gesetzgeber mit der Neuregelung des 15 a das RVG nicht ändern, sondern lediglich die bestehende Rechtslage klarstellen wollte. Ein kurzer Blick in die Gesetzgebungsmaterialien (BT Drs. 16/12717 S. 68) bestätigt dies: Der Bundestagsrechtsausschuss äußert sich hier zu den unbefriedigenden Ergebnissen in Folge der Anrechnungsrechtsprechung des VIII. Zivilsenats des BGH und betont, dass dies unmittelbar den Absichten zuwider[läuft], die der Gesetzgeber mit dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz verfolgt hat. Das, würde man meinen, verdient den Begriff gesetzgeberische Klarstellung. Jedenfalls lässt sich die Stelle mit ein wenig Respekt vor dem Gesetzgeber und ohne große Bedenken so auslegen. Die Entscheidung ist aber auch in einen weiteren Punkt bemerkenswert. Dass man bei den Rechtspflegern großen Erfindungsreichtum bei der Kürzung von Anwaltsgebühren an den Tag legt, ist leider nichts Neues. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass auch der X. Zivilsenat hier nach dem Motto verfährt was nicht sein kann, auch nicht sein darf. Dass es sich bei dem Nachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer im Prinzip um ein erstinstanzliches Gerichtsverfahren handelt, wird auch von ihm so gesehen. Dies hindert ihn aber nicht, es dennoch kostenrechtlich mit einem Verwaltungsverfahren gleichzusetzen. Dann passt es nämlich auch wieder so schön mit der Anrechnungsregelung. Keine Anrechnung auf Verfahrensgebühr: Pauschalhonorar keine Geschäftsgebühr ZPO 91; RVG 3 a, 4 a. F.; RVG-VV Teil 3 Vorbem. 3 Abs. 4, Nr. 2300; BRAGO 118Nr.2 Die Anrechnung einer Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr gemäß Teil 3, Vorbemerkung 3 Abs. 4 Satz 1 VV RVG kommt nicht in Betracht, wenn zwischen der erstattungsberechtigten Partei und ihrem Prozessbevollmächtigten keine Geschäftsgebühr im Sinne von Nr VV RVG entstanden ist, sondern sie ihrem Prozessbevollmächtigten für dessen vorprozessuales Tätigwerden ein von einzelnen Aufträgen unabhängiges Pauschalhonorar schuldet. BGH, Beschl. v VIII ZB 17/09 Aus den Gründen: I. Die Parteien haben um die Rückabwicklung eines zwischen ihnen geschlossenen Fahrzeugkaufvertrages gestritten. Nachdem der Kläger bereits im ersten Rechtszug seine Klage zurückgenommen hatte, hat ihm das Landgericht die Kosten des Rechtsstreits nach einem Streitwert von Euro auferlegt. Im anschließenden Kostenfestsetzungsverfahren hat die Beklagte unter anderem eine 1,3-Verfahrensgebühr nach Nr VV RVG ungekürzt zur Festsetzung gegen den Kläger angemeldet und geltend gemacht, dass mit ihrem bereits vorprozessual in dieser Angelegenheit tätig gewordenen Prozessbevollmächtigten, der in gleicher Weise auch für ihre Muttergesellschaft und ihre Schwestergesellschaften tätig werde, eine Rahmenvereinbarung bestehe, nach der ein Pauschalhonorar gezahlt werde; sie schulde ihm deshalb keine Geschäftsgebühr nach Nr VV RVG und müsse damit auch keine Anrechnung nach Anlage 1, Teil 3, Vor- 878 AnwBl 12 / 2009 Anwaltsvergütung

84 MN Rechtsprechung bemerkung 3 Abs. 4 VV RVG (im Folgenden: Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG) auf die Geschäftsgebühr hinnehmen. Das Landgericht hat dies nicht für durchgreifend erachtet und unter anderem die Verfahrensgebühr auf eine 0,65-Gebühr gekürzt. Auf die Beschwerde der Beklagten hat das Oberlandesgericht die angemeldete 1,3-Verfahrensgebühr unter Abänderung der erstinstanzlichen Kostenfestsetzung ungekürzt festgesetzt. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner vom Oberlandesgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde. II. Die zulässig erhobene Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg. 1. Das Beschwerdegericht hat soweit hier von Interesse zur Begründung ausgeführt: Die Anrechnung einer Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr gemäß Vorbemerkung 3 Abs. 4 Satz 1 VV RVG komme hier nicht in Betracht, weil zwischen der Beklagten und ihrem Prozessesbevollmächtigten keine Geschäftsgebühr im Sinne der Anrechnungsvorschrift entstanden sei. Die Beklagte schulde ihrem Prozessbevollmächtigten für sein vorprozessuales Tätigwerden vielmehr unwiderlegt ein von einzelnen Aufträgen unabhängiges Pauschalhonorar. Ein derart aufgrund einer Vergütungsvereinbarung geschuldetes Honorar falle jedoch nicht unter die genannte Anrechnungsvorschrift. Das benachteilige den Kläger auch nicht unangemessen, da die Beklagte nicht verpflichtet gewesen sei, ihn durch Erteilung eines zusätzlichen Auftrags, der eine auf die Verfahrensgebühr anzurechnende Geschäftsgebühr ausgelöst hätte, (kostenmäßig) zu entlasten. 2. Das hält der rechtlichen Nachprüfung stand. a) Das Beschwerdegericht geht in Übereinstimmung mit der mittlerweile einhelligen Auffassung der Oberlandesgerichte (OLG Frankfurt am Main, AnwBl 2009, 310, 311; AGS 2009, 157 f.; OLG Bremen, AGS 2009, 215 f.; OLG München, Beschluss vom 24. April W 1237/09, juris, Tz. 11 ff.; OLG Stuttgart,AGS2009,214,215)unddergebührenrechtlichenKommentarliteratur (Gerold/Schmidt/Madert, RVG, 18. Aufl., VV 2300, 2301, Rdnr. 39; AnwK-RVG/Rick, 4. Aufl., 4 Rdnr. 12) davon aus, dass es sich bei einer vereinbarten Vergütung ( 3 a RVG, gemäß 60 Abs. 1 Satz 1 RVG bis 30. Juni RVG in der Fassung des KostRMoG, im Folgenden: 4 RVG a. F.) nicht um eine (gesetzliche) Geschäftsgebühr nach Nr VV RVG handelt. Soweit das OLG Stuttgart (AGS 2008, 510) zunächst eine gegenteilige Sichtweise vertreten hat, ist diese ausdrücklich aufgegeben worden (AGS 2009, 214, 215). b) Der hiervon abweichenden Auffassung der Rechtsbeschwerde, auf die Verfahrensgebühr sei diejenige Geschäftsgebühr anzurechnen, die ungeachtet abweichender Gebührenvereinbarungen nach der gesetzlichen Regelung (fiktiv) entstanden wäre, um auf diese Weise eine Gleichbehandlung mit denjenigen Fällen zu erreichen, in denen eine erstattungsberechtigte Partei ihren Prozessbevollmächtigten bereits mit der vorprozessualen Tätigkeit beauftragt hat, kann nicht gefolgt werden. aa) Bereits nach ihrem Wortlaut ordnet die Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG nur die Anrechnung entstandener Geschäftsgebühren nach Nr auf die Verfahrensgebühr des gerichtlichenverfahrensan.zudenhieraufgezähltengesetzlichen Gebühren rechnet eine Pauschalvergütung nach 4 RVG a. F., die für das vorprozessuale Tätigwerden des Rechtsanwalts allein angefallen ist, aber nicht. Vielmehr schuldet der Auftraggeber des Rechtsanwalts die gesetzliche Gebühr nur dann, wenn keine (wirksame) Vereinbarung über die von ihm zu entrichtende Vergütung getroffen ist (Gerold/Schmidt/Madert, aao, 1RVGRdnr.212). bb)auchsachlichunterscheidetsichdieinredestehende Geschäftsgebühr nach Nr VV RVG von der vereinbarten Pauschalvergütung. Während die Geschäftsgebühr nach Anlage 1, Teil 2, Vorbemerkung 2.3 Abs. 3 VV RVG für das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information und für die Mitwirkung bei der Gestaltung eines Vertrags entsteht, und zwar mit Erbringung der ersten Dienstleistung des Gebührentatbestandes (vgl. BGH, Urteil vom 16. Oktober 1986 III ZR 67/85, NJW 1987, 315, unter II 3; Riedel/Sußbauer/Fraunholz, RVG, 9. Aufl., 1 Rdnr. 10; AnwK-RVG/Rick, aao, 1 Rdnr. 28, jeweils m. w. N.), kann eine vereinbarte Pauschalvergütung, dienach 4Abs.1Satz1,Abs.2Satz1RVGa.F.höheroder niedriger als die gesetzliche Vergütung sein kann, für die Entstehung der Vergütung sowie zu Art und Umfang der hierdurch zu vergütenden Tätigkeiten anders anknüpfen. Insbesondere kann einer Pauschalvergütung ein anderes Verständnis der Angelegenheit im Sinne von 16 ff. RVG zugrunde gelegt und die Vergütung auch für ein wie hier Dauerberatungsmandat vereinbart werden, also die Erledigung einer bestimmten Anzahl oder sämtlicher Rechtssachen eines Mandanten mit einer Vergütung nach unterschiedlich gestalteten Mengen- oder Zeitabschnittspauschalen (vgl. AnwK-RVG/Rick, aao, 3 a Rdnr. 56; Hansens, BRAGO, 8. Aufl., 3 Rdnr. 28). Ein vertraglich vereinbartes Pauschalhonorar, das sich wesentlich vom gesetzlichen Gebührentatbestand unterscheidet, lässt sich deshalb mit den ansonsten anfallenden gesetzlichen Gebühren bereits strukturell nicht vergleichen (vgl. BGH, Urteil vom 16. Oktober 1986, aao). Das gilt hier um so mehr, als sich bei einer vereinbarten Pauschalvergütung in der Regel auch kaum ermitteln lässt, welcher Anteil einer anzurechnenden gesetzlichen Geschäftsgebühr entsprechen würde (OLG München, aao, Tz. 14; AnwK-RVG/Rick, aao, 4 Rdnr. 12; Hansens, aao). cc) Einer erweiternden Auslegung der Anrechnungsbestimmung gemäß Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG steht weiter entgegen, dass es bereits für die vorausgegangene Anrechnungsbestimmung des 118 Abs. 2 BRAGO allgemeiner Auffassung entsprochen hat, dass von einer Anrechnung nur die im Gesetz bestimmte Gebühr, nicht dagegen Gebühren erfasst werden, die aufgrund einer Honorarvereinbarung für die vorgerichtliche Tätigkeit geschuldet werden (Riedel/Sußbauer/Schneider, BRAGO, 8. Aufl., 118 Rdnr. 65; Gerold/Schmidt/Madert, BRAGO, 15. Aufl., 118 Rdnr. 25; AnwK-BRAGO/Hembach, 118 Rdnr. 66; Hansens, aao). Dafür, dass der Gesetzgeber von dieser Sichtweise bei einer Anrechnung nach Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG, durch die an die Anrechnungsbestimmung des 118 Abs. 2 BRAGO angeknüpft wurde, abrücken wollte, bietet die Gesetzesbegründung keinen Anhalt (BT-Drs. 15/1971, S. 209). Es besteht deshalb auch unter diesem Gesichtspunkt kein Anlass, abweichend vom Gesetzeswortlaut die Anrechnung anstelle der nicht entstandenen Geschäftsgebühr nach Nr VV RVG auf die stattdessen entstandene Pauschalvergütung zu erstrecken. dd) Ebenso wenig verlangt 91 ZPO eine Erweiterung der in der Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG vorgesehenen Anrechnungsmöglichkeiten auf vereinbarte Pauschalhonorare (a. A. OLG Stuttgart, AGS 2008, 510). Vielmehr knüpft 91 Abs. 2 Satz 1 ZPO umgekehrt für eine Kostenerstattung an die gesetzlichen Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts und darüber unmittelbar an die genannte Anrechnungsbestimmung an. Sind hiernach die Anrechnungsvoraussetzungen nicht gegeben, kommt auch im Rahmen der Kostenfestsetzung keine darüber hinausgehende Kürzung der Verfahrensgebühr in Betracht (vgl. Senatsbeschluss vom 22. Januar 2008 VIII ZB 57/07, NJW 2008, 1323, Tz. 10). ee) Dass die Beklagte schließlich das Pauschalhonorar allein zu dem Zweck vereinbart hat, eine Anrechnung nach Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG rechtsmissbräuchlich zu umgehen, zeigt die Rechtsbeschwerde nicht auf. Dafür besteht auch kein Anhalt. Anmerkung der Redaktion: Die Entscheidung des VIII. Zivilsenats des BGH vom 14. August 2099 ist neun Tage nach Inkrafttreten des neuen 15 a RVG ergangen. Sie schafft wie die Entscheidung des II. Zivilsenats des BGH v (BGH, AnwBl Anwaltsvergütung AnwBl 12 /

85 MN Rechtsprechung 2009, 798 mit Anmerkung Schons) endlich Klarheit für Anwälte und Instanzgerichte. Der VIII. Zivilsenat mildert die Folgen bei der von ihm ausgerufenen zwingenden Anrechung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr (BGH AnwBl 2007, 630 und BGH AnwBl 2008, 368) ab. Die Idee einiger Rechtspfleger und einiger Instanzgerichte, auch eine fiktive Geschäftsgebühr anzurechnen, lehnt er ab. Wenn die vorprozessuale Tätigkeit nicht durch eine Geschäftsgebühr, sondern durch ein Pauschalhonorar abgedeckt worden ist, findet keine Anrechnung statt. Das leitet der VIII. Zivilsenat dogmatisch völlig korrekt aus Teil 3, Vorbemerkung 3 Abs. 4 Satz 1 VV RVG her. Zudem vermeidet er es so, ein Wort zu dem neuen 15 a RVG zu verlieren. Wenn keine Anrechnung in Betracht kommt, ist 15 a RVG ( Sieht dieses Gesetz die Anrechnung einer Gebühr vor,... ) nicht mehr zu prüfen. Wahre Größe wäre es aber gewesen, wenn der VIII. Zivilsenat sich hier schon zu dem neuen 15 a RVG in einem obiter dictum geäußert hätte und so den Streit im BGH zur Anwendung der Norm auf Altfälle verhindert hätte. Immerhin hat die Rechtsprechung des VIII. Zivilsenats diese Gesetzesänderung provoziert, um den Willen des Gesetzgebers wieder herzustellen. Jetzt geht der Streit weiter: Der II. Zivilsenat des BGH hat entschieden (AnwBl 2009, 798 mit Anmerkung Schons), dass 15 a RVG auch für Altfälle gilt. Nun widerspricht der X. Zivilsenat des BGH (siehe in diesem Heft ab Seite 876). Der VIII. Zivilsenat wird es in der Hand haben, den Rechtsfrieden endgültig wieder herzustellen. Er sollte einsehen, dass der Gesetzgeber eben das letzte Wort hat. Anrechnung der eingeklagten Geschäftsgebühr auf Verfahrensgebühr RVG 15 a n. F.; RVG-VV Teil 3 Vorbem. 3 Abs Der allein das Verhältnis zum erstattungspflichtigen Prozessgegner betreffende 15 a Abs. 2 RVG n. F. gilt auch für Altfälle, in denen der unbedingte Auftrag zur Erledigung der Angelegenheit vor dem erteilt worden ist. 2. Wenn die vorprozessual entstandene Geschäftsgebühr im Hauptsacheverfahren nur teilweise zugesprochen wird, kommt deren Anrechnung auf die Verfahrensgebühr nur in Betracht, soweit tatsächlich eine Titulierung erfolgt ist. Dabei ist der anzurechnenden Geschäftsgebühr derselbe Gegenstandswert: zugrunde zu legen wie der im Hauptsacheverfahren zugesprochenen Geschäftsgebühr. 3. Es handelt sich nicht um dasselbe Verfahren im Sinne der dritten Alternative des 15 Abs. 2 RVG n. F., wenn die vorprozessuale Geschäftsgebühr im Hauptsacheverfahren eingeklagt und die Verfahrensgebühr im Kostenfestsetzungsverfahren geltend gemacht wird. OLG München, Beschl. v W 2244/09 Mitgeteilt vom 11. Zivilsenat des OLG München. Anmerkung der Redaktion: Der Volltext der Entscheidung ist im Internet abrufbar unter Fotonachweis Verwaltungsgerichte: Keine Anwendung von 15 a RVG auf Altfälle? RVG 15aAbs.1,Abs.2;60Abs.1;RVG-VVTeil3 Vorbem.3Abs.4 Ist ein Rechtsanwalt bereits vor Inkrafttreten des 15 a RVG beigeordnet worden ( Altfall ), so bestimmt sich aufgrund der Übergangsbestimmung des 60 Abs. 1 Satz 1 RVG die Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr im Rahmen der Festsetzung der aus der Staatskasse zu zahlenden Vergütung nach bisherigem Recht. OVG Lüneburg, Beschl. v OA 134/09 Mitgeteilt vom 13. Senat des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts. Anmerkung der Redaktion: Der Streit um die Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr und die Anwendung von 15 a RVG auf Alfälle beschäftigt auch die Verwaltungsgerichte. Eine banale vergütungsrechtliche Frage im Übergangsrecht entwickelt sich langsam zu einer Glaubensfrage. Der mit 15 a RVG bezweckten gesetzgeberischen Klarstellung der Anrechnungsproblematik verschließt sich das Niedersächsische OVG. Herhalten hierfür müssen 60 Abs. 1 RVG und eine Entscheidung des 9. Senats des BVerwG, die vor Inkrafttreten von 15a RVG ergangen ist. Dabei hat der Gesetzgeber mit seiner Motivation zur Einfügung der Neuregelung in das RVG nicht hinterm Berg gehalten. Aus den Gesetzesmaterialien ergibt sich unmissverständlich, dass die unbefriedigenden Ergebnisse in Folge der Anrechnungsrechtsprechung des VIII. Zivilsenats des BGH unmittelbar den Absichten zuwider[läuft], die der Gesetzgeber mit dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz verfolgt hat. Wie deutlich soll der Gesetzgeber noch werden? Entgegen der Auffassung des Niedersächsischen OVG gibt es keine bisherige und davon zu unterscheidende jetzige Rechtslage. Eine Übergangsvorschrift wie 60 Abs. 1 RVG die im Fall einer Änderung der Rechtslage eingreift, hat daher außer Betracht zu bleiben. Der Volltext der Entscheidung ist im Internet abrufbar unter Seiten 811, 820, 829, 830, 834, 840, 847 (2. Spalte), 854, 858, 860, 864, 867, IV, VI, XXXII, XXXVI: privat; Seiten 831, 852, 837, 847 (3. Spalte); I: Andeas Burkhardt/Berlin; Seiten 832, 833: Peter Adamik/Berlin; Seite 835: picture- Alliance/dpa; Seite 841: Anwaltsverband Baden-Württemberg; Seite 843: AG Sozialrecht; Seite 845: Anwaltverein Stuttgart; Seite 846: AG Anwältinnen Impressum Herausgeber: Deutscher Anwaltverein e.v., Littenstr. 11, Berlin (Mitte), Tel. 0 30/ , Fax: 030 / , anwaltsblatt@anwaltverein.de. Redaktion: Dr. Nicolas Lührig (Leitung, v. i. S. d. P.), Udo Henke und Manfred Aranowski, Rechtsanwälte, Anschrift des Herausgebers. Verlag: Deutscher Anwaltverlag und Institut der Anwaltschaft GmbH, Wachsbleiche 7, Bonn, Tel / , Fax: 02 28/ ; kontakt@anwaltverlag.de, Konto: Sparkasse Bonn Kto.-Nr , BLZ Anzeigen: adsales&services,ingrida.oestreich(v.i.s.d.p.),pikartenkamp 14, Hamburg, Tel. 0 40/ , Fax: 040 / , anzeigen@anwaltsblatt-media.de. Technische Herstellung: L.N. Schaffrath GmbH & Co. KG, Marktweg 42 50, Geldern, Tel.: , Fax: , harhoff@schaffrath.de. Erscheinungsweise: Monatlich zum Monatsanfang, bei einem Doppelheft für August/September. Bezugspreis: Jährlich 132, E (inkl. MwSt.) zzgl. Versandkosten, Einzelpreis 13, E (inkl. MwSt.). Für Mitglieder des Deutschen Anwaltvereins ist der Bezugspreis im Mitgliedsbeitrag enthalten. Bestellungen: Über jede Buchhandlung und beim Verlag; Abbestellungen müssen einen Monat vor Ablauf des Kalenderjahres beim Verlag vorliegen. Zuschriften: Für die Redaktion bestimmte Zuschriften sind nur an die Adresse des Herausgebers zu richten. Honorare werden nur bei ausdrücklicher Vereinbarung gezahlt. Copyright: Alle Urheber-, Nutzungs- und Verlagsrechte sind vorbehalten. Das gilt auch für Bearbeitungen von gerichtlichen Entscheidungen und Leitsätzen. Der Rechtsschutz gilt auch gegenüber Datenbanken oder ähnlichen Einrichtungen. Sie bedürfen zur Auswertung ausdrücklich der Einwilligung des Herausgebers. ISSN w 880 AnwBl 12 / 2009 Anwaltsvergütung

86 MN Bücher & Internet Jura und Literatur Man erspare es mir, mein Juristenherz auszuschütten von Thorsten Miederhoff; Frankfurt am Main: Peter Lang, 2008; 300 S., kart.; ; 51,50 Euro. Es gibt Reihen, die Dissertationen veröffentlichen und die immer wieder für eine Überraschung gut sind. Dazu gehört die Rechtshistorische Reihe von Peter Lang. Schon die 368 Themen der erschienenen Bände durchzusehen macht neugierig. Hier ist jetzt Besprechungsgegenstand der Band 369. Es ist das Leben von Kurt Tucholsky als Jurist. Der Autor, Thorsten Miederhoff, ist 1975 geboren und, jedenfalls nach dem Klappentext der Arbeit, seit 2006 als Rechtsanwalt zugelassen. Es ist eine Doktorarbeit, die man mit Vergnügen liest, was man nicht häufig von einer Dissertation sagen kann. Gut geschrieben, reich mit Einzelheiten versehen, die sich nicht aufdrängen, die man aber gerne zur Kenntnis nimmt, präsentiert sich das juristische Leben von Kurt Tucholsky. Das sein literarisches Werk wird verarbeitet. Immer wieder wird aus seinen Schriften und Gedichten zitiert. Dies zuerst einmal als Ermunterung. Was ist der Inhalt: Gegenstand ist die Entscheidung von Kurt Tucholsky, Jura zu studieren, Jurist zu werden. Er hat in Berlin studiert und ein Semester in Genf. Das Jurastudium hat er nicht durch ein erstes Staatsexamen abgeschlossen. Der Autor der Dissertation fragt warum und mutmaßt. Um einen akademischen Abschluss zu haben, schreibt Tucholsky an der Universität Jena als Externer eine Dissertation zum Thema Die Vormerkung aus 1979 BGB und ihre Wirkungen bei Heinrich Lehmann, den die älteren von uns noch als Verfasser des Lehrbuchs zum Allgemeinen Teil kennen, das sie mehr oder weniger lustvoll gelesen haben. Wer in einem literarischen Quiz fragen würde, über welches juristische Thema Kurt Tucholsky promoviert hat, würde nie und nimmer die richtige Antwort erhalten. Geschildert wird sein Interesse, aber auch seine kritische Distanz zum Strafrechtssystem, seine erste Berichterstattung über Strafrechtsfälle. Wir lernen Kurt Tucholsky auf dem Weg seiner Ausbildung zunächst von einer ganz anderen Seite kennen, dann in der Auseinandersetzung mit der Strafrechtspflege zunehmend so, wie wir ihn als Schriftsteller oder Journalist schätzen und kennen. Daneben erfährt der juristische Leser eine Fülle von Informationen über die Juristenausbildung der ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts. Wie studierten Studenten? Wir war das Verhältnis zwischen Professoren und Studenten? Kurt Tucholsky hatte zu bestimmten Professoren ein sehr ihn prägendes Verhältnis, zumal zu Strafrechtshochschullehrern. Wie war es um das erste Staatsexamen bestellt? Unter welchen Bedingungen konnte man promovieren? Wer ein wenig an der Geschichte der Juristenausbildung interessiert ist, wird dies alles mit Bereicherung lesen. Auch erfährt man viel über die Finanzierung eines Jurastudiums, von sozialschwachen Studenten, von Wohlhabenden. Tucholsky hatte von seinem verstorbenen Vater ein Vermögen geerbt, um sein Studium auf gehobenem Niveau finanzieren zu können. Gleichwohl hat er auch wie die sozial Schwachen im Nebenjob juristisch gearbeitet, was für andere Studierende die einzige Erwerbsquelle war. Miederhoff belegt, dass Tucholsky während seines Studiums Strafverteidiger werden wollte. Die Belegführung ist nicht ohne Besonderheit hat Kurt Tucholsky Kafka kennengelernt und gerade ihm seinen Wunsch gegenüber, Strafverteidiger zu werden, geäußert. Hierüber gibt es sogar Tagebuchaufzeichnungen von Kafka, die Miederhoff sorgfältig wiedergibt. Im Strafrecht hat ihn der Strafrechtler Franz von Liszt geprägt, außerdem die freirechtliche Schule des Ernst Fuchs. Mit Amüsement lesen wir, wie von Liszt den jungen Tucholsky mit einem Mangelhaft belegt, weil er eine verbotene strafrechtliche Analogie zu Lasten des Angeklagten befürwortet. Kurt Tucholsky wurde in Jena schließlich, nach einem kleinen Hürdenlauf, promoviert. Die Arbeit von Miederhoff macht sodann einen Sprung und wendet sich der Frage zu, ob unter den Nationalsozialisten die Promotionsehre aberkannt wurde. Man nimmt dies an. Einen Beleg dafür gibt es nicht. Die Universität Jena hat sich, obwohl sie hätte können, quer gelegt. Dieser zeitliche Sprung macht deutlich: Es ist ein Bericht über den Juristenweg von Kurt Tucholsky. Es ist keine Insgesamtbiographie. In einem dritten Teil befasst sich Thorsten Miederhoff mit dem Problem der Laienbeteiligung am Strafprozess in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Dies ist ein Thema, das Kurt Tucholsky in hohem Maße interessiert hat. Hier verlässt die Dissertation den Weg des Biographischen. Hier wird sie eine juristische Dissertation zu einem bestimmten klar umgrenzten juristischen Thema. Kurt Tucholsky, der sich häufig zu dem Thema der Laienbeteiligung im Strafprozess geäußert hat, verlässt allerdings die Dissertation nicht, sondern bleibt ihr Gegenstand, aber hier muss die Doktorarbeit auch aus einem anderen Interesse gelesen werden, nämlich aus dem eines Strafrechtwissenschaftler. Eine Dissertation, die man kaufte sollte. Rechtsanwalt Dr. Michael Streck, Köln Juristensöhne als Dichter Hermann Weber; Berliner Wissenschaft-Verlag, Berlin 2009; 159 S., geb.; ; 39,00 Euro. Hans Fallada, Volksschriftsteller und Johannes R. Becher, dessen Rolle als erster Kultusminister der DDR sein umfangreiches literarisches Werk nicht immer zu Recht verdunkelt hat beide Autoren scheinen auf den ersten Blick durch Welten getrennt. Bei näherer Betrachtung zeigen sich überraschende Parallelen in ihren Biographien, nicht nur in der Herkunft aus den Häusern hoher Juristen der spätwilhelminischen Zeit und im Konflikt mit der Welt ihrer Väter, sondern auch in der Verarbeitung dieses Konflikts in ihrem literarischen Werk. Bisher wenig beachtete Parallelen ergeben sich auch zu Leben und Werk des expressionistischen Dichters Georg Heym. Auch Georg Heym war Sohn eines hohen Juristen. Auch er lag im Konflikt mit der Welt des Vaters. Der Schwerpunkt der Darstellung liegt auf der Frage, welche Rolle der juristische Beruf der Väter für das Leben der Söhne gespielt hat. XXVIII AnwBl 12 / 2009

87 MN Bücher & Internet Anwaltsgeschichte Rostock, Hamburg und Shanghai von Peter Schulz; Bremen: Edition Temmen, 2009; 424 S., geb.; ; 22,90 Euro. Beeindruckend sind die Begegnungen mit ihm immer: Peter Schulz, geboren 1930 in Rostock, Rechtsanwalt in Hamburg seit mehr als 50 Jahren (!), Mitglied der Hamburger Bürgerschaft, Senator und Erster Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg. Später dann Präsident der Hamburger Bürgerschaft und nach dem Fall der Mauer 1989 engagierter juristischer Berater für seine Heimatstadt Rostock und über die Zeit immer wieder und bis heute engagierter und überzeugter Anwalt. Es ist diese unglaubliche Vielfalt im Leben von Peter Schulz, die das jetzt von ihm geschriebene Buch Rostock, Hamburg und Shanghai so lesenswert macht. 2/3 des Buches beschreiben die Jugend in zwei Diktaturen, (im nationalsozialistischen Deutschland und der DDR), das Studium und die politische Arbeit in der SPD: ( Enttäuschung und Erfüllung ). Diese Passagen faszinieren den geschichtlich interessierten der Nachkriegsgeneration. Das letzte Drittel bezieht seine Spannung aus dem Nebeneinander und Miteinander von anwaltlicher und politischer Arbeit. Schon früh stand der Berufswunsch fest: Rechtsanwalt wollte er werden. Und das obwohl ihm der Begriff Organ der Rechtspflege überhaupt nicht behagte. Er entsprach dem konservierenden Zeitgeist der Adenauer-Ära, der Konformität festzurren und Aufmüpfigkeit nach Möglichkeit verhindern wollte. Ob er das heute noch so sieht, nachdem die Deregulierung und Entfernung von diesem Begriff eine Spur der Verwüstung hinterlassen hat? Darf man Verbrecher verteidigen, zum Beispiel einen SS- Mörder? Selbstverständlich, so die überzeugende Antwort eines leidenschaftlichen Anwalts, denn alles andere würde ja bedeuten, dass Schweine nur durch Schweine verteidigt werden könnten. Dann die anwaltliche Herausforderung: 1987 Rechtsanwalt Schulz vertritt Björn Engholm in der Barschel-Affäre. War das Opfer Engholm zumindest auch Mitwisser? Was ist, wenn ein Mandant eine quälend lange Zeit die Entbindung von der Schweigepflicht verweigert und der Anwalt nichts zur Verteidigung seiner Ehre tun kann? Der Anwalt Schulz ruft sich zur Ordnung: Er hatte eben nicht das Recht, die Verteidigung der eigenen Ehre über den allein maßgeblichen Willen des Mandanten zu stellen. Dann schließlich lange nach den politischen Ämtern der mutige berufliche Schritt von Hamburg nach Shanghai 1995 wahrhaft noch anwaltliche Pionierarbeit. Distanziert betrachtet er die ihm teilweise vermittelte Kritik. Auf wie lange Zeit so fragt er scharfsinnig sei die Empörung wohl kalkuliert auf ein viertel Jahr oder auf ein halbes Jahr? Die Erinnerungen von Peter Schulz dem Wanderer zwischen den Welten von Politik und Anwaltsberuf sind eine spannende Lektüre für jeden, der sich für die Schnittstellen zwischen Geschichte, Lebenserfahrungen, Politik, Recht und Gerechtigkeit und die rasanten Jahrzehnte im Nachkriegsdeutschland interessiert. Die Haupterkenntnis wenn das Buch nach der Lektüre aus der Hand gelegt wird: Die Gesellschaft braucht mehr Menschen wie Peter Schulz, mehr Menschen, die über den Tellerrand blicken, immer wieder neue Aufgaben suchen, gleichermaßen mit Macht und Machtverlust leben können und mit Demut und Bescheidenheit an einer besseren Welt arbeiten. Rechtsanwalt Axel C. Filges, Hamburg Grundrechte Rettet die Grundrechte Gerhart Baum; Kiepenheuer & Witsch, 2009; 194 S., geb.; ; 16,95 Euro. Gerhart Baum, deutscher Innenminister während der Zeit, als die RAF in Deutschland bombte und mordete, plädiert in seiner Schrift gegen die Auswüchse der Terrorangst. Denn mit der Angst vor Anschlägen wird eine bedenkliche Politik betrieben, der Wunsch der Bürger nach Sicherheit wird gegen Grundrechte und Freiheiten in Stellung gebracht. In seinem Werk spricht er sich dafür aus, den Notstand nicht zum Normalfall zu erheben, damit die Grenzen zwischen Kriminalitätsbekämpfung und Kriegsführung, innerer und äußerer Sicherheit, Polizei, Geheimdienst und Armee nicht verwischen. Jüdisches Recht Justus von Daniels stellt das jüdische Recht in Deutschland erstmals systematisch in einen Kontext der Rechtsvergleichung, indem er eine vor allem in den USA geführte Debatte über dessen Gestalt aufgreift und zeigt, wie religiöses Recht im Rahmen des Rechtsvergleichs fruchtbar gemacht werden kann. Im Mittelpunkt stehen rechtsvergleichende Untersuchungen, Rechtspluralismus und Rechtsmethodik. Aufgrund der Andersartigkeit dieses Rechtssystems formuliert der Autor eine vergleichende Rechtstheorie, auf deren Grundlage ein sorgfältiger Umgang mit dem jüdischen Recht möglich ist. Das Werk wurde mit dem Humboldt-Preis 2009 ausgezeichnet. Spendenrecht Religiöses Recht als Referenz Justus von Daniels; Verlag Mohr Siebeck, Tübingen 2009; 239 S., kart.; ; 44,00 Euro. Gemeinnützigkeit kompakt Monika Jachmann/Klaus Liebl; Richard Boorberg Verlag, Stuttgart 2009; 80 S., kart.; ; 15,00 Euro. Die steuerliche Erfassung bürgerschaftliches Engagement ist für viele eher undurchsichtig, ob der Vielschichtigkeit der Lebenssachverhalte und deren steuerrechtlichen Fragestellungen. Der Leser wird auf den aktuellen Stand unter Berücksichtigung der 2009 eingeführten gesetzlichen Mustersatzung gebracht. XXX AnwBl 12 / 2009

88 MN Bücher & Internet Das Recht der Bundesländer Bei der Recherche nach dem aktuellen Recht der Länder ist zu bedenken, dass es sich in der Regel nicht um die amtliche Fassung der Gesetze handelt. Meist bietet sich ein Einstieg in das Landesrecht über das jeweilige Landesportal an. Es besteht auch die Möglichkeit, die Suche zur Gesetzgebung der Länder über ein Rechtsportal, wie das des Justizministeriums Nordrhein-Westfalen zu beginnen: Justiz online Der Einstieg erfolgt unter Rechtsbibliothek, Gesetze des Bundes und der Länder oder direkt unter tal_nrw.cgi Eine Auswahl von aktuellen Gesetzen des Bundes und der Länder steht kostenfrei zur Verfügung. Das Suchfeld ermöglicht die Suche nach Normen (z. B. 323 BGB) ebenso, wie Freitextsuchen. Dabei werden mehrere Begriffe automatisch mit und verbunden. Die Operatoren oder bzw. nicht müssen explizit mit eingetragen werden. Die Trunkierung der Suchbegriffe erfolgt mit * Im Feld darunter wird das Bundesland oder Bund ausgewählt. Elf Bundesländer kooperieren mit der juris GmbH. Die aktuellen Gesetze werden in der Regel in nicht amtlicher (oft konsolidierter) Fassung angeboten. Darüber hinaus stehen Verordnungen und Verwaltungsvorschriften in unterschiedlichem Umfang zur Verfügung. Es gibt zwei Suchmodelle. Die erste Variante: Die ausführliche Variante bietet eine einfache und eine erweiterte Suche. Mit der Eingabe von Suchbegriffen in das Suchfeld werden Synonyme automatisch berücksichtigt. Mehrere Begriffe werden direkt mit und verknüpft; der Operator oder muss explizit eingetragen werden. Die Suche mit Fundstellen ist im selben Suchfeld möglich. Die Trunkierung erfolgt mit *. Die Verwendung des Fragezeichens ersetzt genau ein Zeichen, auch innerhalb des Wortes. Die Suche Ma?er findet allerdings nicht nur Maier und Mayer, sondern auch Maler und Mauer. Diese Recherchemöglichkeit zum Landesrecht bieten die folgenden sechs Bundesländer: 9 Baden Württemberg recht-bw.de. Der BW Bürgerservice bietet zusätzlich die wichtigsten Vorschriften des Bundes und der EU. 9 Hessen (Einstieg im Landesportal Hessen über: Bürger und Staat, Justiz ) oder direkt über: www. rv.hessenrecht.hessen.de 9 Niedersachsen sen.de (unter der Rubrik Politik und Staat bei Gesetze und Verordnungen ; mit Links zu den anderen Bundesländern) oder direkt unter: www. nds-voris.de. Das Angebot geht auf niedersächsische Vorschrifteninformationssystem (VORIS) zurück. 9 Sachsen Anhalt: halt.de versteckt das Landesrecht unter der Rubrik Quicklinks auf der rechten Seite des Portals oder direkt unter: 9 Schleswig de über Justiz, Service, Landesrecht oder direkt über tal/page/bsshoprod.psml 9 Thüringen eringen.de/jportal/portal/page/bsthue prod.psml. Die zweite Variante bietet weniger Suchmöglichkeiten. Eine Volltextsuche ist hier ebenfalls möglich. Synonyme müssen jedoch manuell eingegeben werden. Ein weiterer Einstieg erfolgt systematisch über eine Gesamtliste, entsprechend der Gliederung der Systematik des Fundstellennachweis A des Bundesrechts. Die folgenden Bundesländer wählten dieses Tool: 9 Bayern bietet den Einstieg unter Services Bayern Recht. Bayern-Recht stellt kostenfrei nur eine Auswahl von rund 300 Gesetzen und Verordnungen zur Verfügung. Erstaunlicherweise kommt das Bürgerportal ohne Hilfefunktion aus. 9 Hamburg hh.juris.de/start.htm. Auch dieses Rechtsportal kommt ohne jede Hilfefunktionen aus. 9 Mecklenburg-Vorpommern Die Rechtssammlung heißt hier LARIS und enthält zusätzlich ausgewählte Verwaltungsvorschriften. 9 Rheinland Pfalz Das Justizministerium stellt den Dienst in eigenem Layout zur Verfügung. 9 Saarland recht.htm. Es gibt keine Hinweise auf der Startseite, ob es sich um eine Auswahl oder die vollständige Sammlung aktueller Gesetze handelt. Hier ist auch eine Titelsuche möglich. Diese Bundesländer haben eigene Wege gewählt: 9 Berlin Einstieg über Politik und Verwaltung, Senatsverwaltung, Justiz, Service, Veröffentlichungen. Bisher steht nur das GVBl seit 2007 als pdf-format zur Verfügung. Für das Amtsblatt gibt es sogar lediglich ein Nur-Lese-Angebot. Eine Suche nach Landesgesetzen steht nicht zur Verfügung. 9 Brandenburg unter Landesrecht oder direkt unter Bravors bietet eine sehr detaillierte Suche nach Gesetzen, Verordnungen und Verwaltungsvorschriften. Es kann nach Titel oder Abkürzung und über ein Volltextfeld gesucht werden. Formale Kriterien, wie Sachgebietsnummer, Ausfertigungsdatum, Inkrafttreten oder die Fundstelle sind ebenfalls möglich. 9 Bremen unter Politik + Staat Gesetze ; oder direkt über bremen.beck.de, In Zusammenarbeit mit dem Beck Verlag stellt Bremen eine Sammlung von über Gesetzen zum Landesrecht sowie zum Ortsrecht Bremen und Bremerhaven mit Verwaltungsvorschriften zur Verfügung. Eine detaillierte Hilfe erläutert die diversen Suchmöglichkeiten. 9 Nordrhein-Westfalen sgv.im.nrw.de. Die Seite bietet einen systematischer Einstieg über die bekannte Gliederung, eine Titelsuche sowie eine Paragraphensuche für Normen. Eine Volltextsuche fehlt hier. Die Dokumentation aktueller Gesetzgebungsverfahren ist im Informationsportal des Landtages unter Aktuelles ( verfügbar. 9 Sachsen Hier gibt es eine Volltextsuche, einen alphabetischen Index und eine systematische Sachgebietszuordnung sowie die Rubrik Lebenslagen als Sucheinstieg über alltagsbezogene Themen, wie Familie, Heirat oder Unternehmensgründung. Für das Anwaltsblatt im Internet Janine Ditscheid, Dipl.-Bibliothekarin, Köln Sie erreichen die Autorin unter der -Adresse autor@anwaltsblatt.de. XXXII AnwBl 12 / 2009

89 MN Schlussplädoyer Stellt sich den Fragen des Anwaltsblatt: Rechtsanwalt Friedrich Wörlen aus Nördlingen ist Vorsitzender des Anwaltvereins Donau-Ries. Er ist seit 1975 Rechtsanwalt und arbeitet in einer Sozietät mit zwei Kolleginnen und zwei Kollegen. Sein Schwerpunkt liegt jetzt auf dem Gebiet des Erbrechts. Er ist Mitglied im Deutschen Anwaltverein, weil das damals selbstverständlich war und heute auch noch selbstverständlich ist. Ohne Anwaltverein wird die Anwaltschaft zum Spielball der Interessen und zur Manövriermasse der Politik. Warum sind Sie Anwalt geworden? Was sonst? Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, dass der Anwaltsberuf extra für mich erfunden wurde. Schon einmal überlegt, die Zulassung zurück zu geben? Nein Ihr größter Erfolg als Anwalt? 1975 eine Kanzlei gegründet zu haben, die (so sieht es wenigstens aus) in Zeiten wie diesen weiter besteht, auch wenn ich im Ruhestand bin. Ihr Stundensatz? Fragen Sie lieber was anderes. (Ich bin kein Freund von Stundensätzen. Einen Anwalt kann man nicht scheibchenweise kaufen wie eine Salami.) Ihr Traummandat? Eine schöne Vermögensnachfolge für eine begüterte internationale Patchworkfamilie. Was sollen Ihnen Ihre Kollegen einmal nicht nachsagen? Es war Zeit, dass der alte Pfuscher aufgehört hat. Welches Lob wünschen Sie sich von einem Mandanten? Da sitzt jedes Wort. Mitglieder Service DAV-Haus Littenstr. 11, Berlin Deutscher Anwaltverein Tel.:030/ ,Fax: Redaktion Anwaltsblatt Tel.: 0 30/ , Fax: anwaltsblatt@anwaltverein.de Deutsche Anwaltakademie Tel.:030/ ,Fax:-111 daa@anwaltakademie.de Deutsche Anwaltadresse Tel.: 0 30/ , , Fax: adresse@anwaltverein.de DAV-Anwaltausbildung Tel.: 0 30/ , Fax: anwaltausbildung@anwaltverein.de Arbeitsgemeinschaften im DAV Infos unter Tel.: 0 30/ , Fax: DAV Büro Brüssel Tel.: + 32 (2) , Fax: - 13 bruessel@eu.anwaltverein.de, Deutscher Anwaltverlag Wachsbleiche 7, Bonn Tel.:0228/ ,Fax:-23 kontakt@anwaltverlag.de, DAV-Arbeitsgemeinschaften Die 29 Arbeitsgemeinschaften zählen mittlerweile über Mitglieder. Sie sind Börsen für Wissensvermittlung, Konzentrationspunkte für Kommunikation und bieten Möglichkeiten zur Professionalisierung. Fachveranstaltungen, Kurzlehrgänge und Publikationen informieren über alle im jeweiligen Bereich wichtigen Fragen und den damit verbundenen berufsrechtlichen Folgen. Einen Überblick über die Arbeitsgemeinschaften und die Möglichkeit der Mitgliedschaft finden Sie unter XXXVI AnwBl 12 / 2009

Versorgungswerk der Steuerberater im Land Nordrhein-Westfalen

Versorgungswerk der Steuerberater im Land Nordrhein-Westfalen I. Information zu Kinderbetreuungszeiten im Versorgungswerk der Steuerberater Wer erhält Kinderbetreuungszeit im Versorgungswerk der Steuerberater im Land Nordrhein-Westfalen? Mitglieder des Versorgungswerks,

Mehr

Vortrag des Präsidenten des Deutschen Anwaltvereins Ulrich Schellenberg. anlässlich der Max-Friedlaender-Preisverleihung

Vortrag des Präsidenten des Deutschen Anwaltvereins Ulrich Schellenberg. anlässlich der Max-Friedlaender-Preisverleihung Vortrag des Präsidenten des Deutschen Anwaltvereins Ulrich Schellenberg anlässlich der Max-Friedlaender-Preisverleihung Ort: Max-Joseph-Saal der Residenz München Residenzstraße 1 80333 München Datum: 25.

Mehr

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES. Urteil. vom. 29. Juli in der Strafsache. gegen

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES. Urteil. vom. 29. Juli in der Strafsache. gegen BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES 4 StR 190/10 Urteil vom 29. Juli 2010 in der Strafsache gegen wegen schweren Menschenhandels zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung - 2 - Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs

Mehr

Seminar Die europäische Erbrechtsverordnung. Europäisches Nachlasszeugnis. Grenzüberschreitende Nachlässe Das Europäische Nachlasszeugnis

Seminar Die europäische Erbrechtsverordnung. Europäisches Nachlasszeugnis. Grenzüberschreitende Nachlässe Das Europäische Nachlasszeugnis Seminar Die europäische Erbrechtsverordnung Das Europäische Nachlasszeugnis Prof. Tea Mellema Kranenburg 28. Juni 2013 1 Europäisches Nachlasszeugnis Tritt nicht an die Stelle der innerstaatlichen Schriftstücke,

Mehr

Bereich des Güterrechts eingetragener Partnerschaften Orientierungsaussprache

Bereich des Güterrechts eingetragener Partnerschaften Orientierungsaussprache 100064/EU XXIV. GP Eingelangt am 03/12/12 RAT R EUROPÄISCHEN UNION Brüssel, den 30. November 2012 (03.12) (OR. en) Interinstitutionelles Dossier: 2011/0059 (CNS) 2011/0060 (CNS) 16878/12 JUSTCIV 344 VERMERK

Mehr

...tes Landesgesetz zur Änderung des Abgeordnetengesetzes Rheinland-Pfalz

...tes Landesgesetz zur Änderung des Abgeordnetengesetzes Rheinland-Pfalz Mainz, 08.10.2014 G e s e t z e n t w u r f der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen...tes Landesgesetz zur Änderung des Abgeordnetengesetzes Rheinland-Pfalz A. Problem und Regelungsbedürfnis In

Mehr

Anmerkungen zum EU-Vertrag von Lissabon

Anmerkungen zum EU-Vertrag von Lissabon EUROPÄISCHES PARLAMENT RUTH HIERONYMI MITGLIED DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS 01.08.2008 Anmerkungen zum EU-Vertrag von Lissabon I. Grundlagen des europäischen Einigungsprozesses aus deutscher Sicht 1. Die

Mehr

Stellungnahme der Verbraucherzentrale Nordrhein- Westfalen e.v.

Stellungnahme der Verbraucherzentrale Nordrhein- Westfalen e.v. Düsseldorf, 14.03.2016 Stellungnahme der Verbraucherzentrale Nordrhein- Westfalen e.v. zum Gesetzesentwurf zur Änderung des Umweltinformationsgesetzes NRW (UIG NRW) Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen

Mehr

Das neue internationale Erbrecht der Europäischen Union

Das neue internationale Erbrecht der Europäischen Union Das neue internationale Erbrecht der Europäischen Union Sarah Nietner Gliederung I. Hintergründe und Beispielsfall... 1 II. Anwendbares Recht... 2 1. Mangels Rechtswahl anwendbares Recht... 2 2. Rechtswahl...

Mehr

Begrüßungsrede zum Empfang der Konrad-Adenauer-Stiftung und der Hanns-Seidel-Stiftung aus Anlass des 2. Ökumenischen Kirchentages

Begrüßungsrede zum Empfang der Konrad-Adenauer-Stiftung und der Hanns-Seidel-Stiftung aus Anlass des 2. Ökumenischen Kirchentages Hans-Gert Pöttering Begrüßungsrede zum Empfang der Konrad-Adenauer-Stiftung und der Hanns-Seidel-Stiftung aus Anlass des 2. Ökumenischen Kirchentages Publikation Vorlage: Datei des Autors Eingestellt am

Mehr

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT BESCHLUSS

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT BESCHLUSS BUNDESVERWALTUNGSGERICHT BESCHLUSS BVerwG 8 B 14.10 OVG 6 A 10546/09 In der Verwaltungsstreitsache - 2 - hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts am 30. Juli 2010 durch den Vorsitzenden Richter am

Mehr

10/2009. Oktober. DeutscherAnwaltVerein. DeutscherAnwaltVerlag

10/2009. Oktober. DeutscherAnwaltVerein. DeutscherAnwaltVerlag DeutscherAnwaltVerein Aufsätze Ewer: Anwaltliche Unabhängigkeit 657 Busse: 50 Jahre BRAO 663 Henssler: BRAO-Reform 670 Römermann: Anwaltsgesellschaften 681 Kommentar König: Anwaltsrobe 687 Thema Kanzleiverkauf

Mehr

Wiss. Mitarbeiterin Bärbel Junk Wintersemester 2008/2009. Fall 10 - Lösung

Wiss. Mitarbeiterin Bärbel Junk Wintersemester 2008/2009. Fall 10 - Lösung Fall 10 - Lösung Vorbemerkung Hinter der Vertrauensfrage steckt folgende Idee: Die Bundesregierung bringt nach Art. 76 I GG Gesetzgebungsinitiativen (Gesetzesvorschläge) in den Bundestag ein Folge: Die

Mehr

Vorschlag für einen BESCHLUSS DES RATES

Vorschlag für einen BESCHLUSS DES RATES EUROPÄISCHE KOMMISSION Brüssel, den 21.12.2011 KOM(2011) 909 endgültig 2011/0444 (NLE) Vorschlag für einen BESCHLUSS DES RATES über die im Interesse der Europäischen Union abgegebene Einverständniserklärung

Mehr

Brandenburgisches Oberlandesgericht. Beschluss

Brandenburgisches Oberlandesgericht. Beschluss 9 AR 8/07 Brandenburgisches Oberlandesgericht 019 Amtsgericht Schwedt (Oder) ED 29/07 Amtsgericht Eberswalde - Familiengericht - Brandenburgisches Oberlandesgericht Beschluss In der Unterbringungssache

Mehr

Fragen und Antworten zur Mütterrente

Fragen und Antworten zur Mütterrente Liebe Freundinnen und Freunde, lange habe ich als Bundesvorsitzende der Frauen Union dafür gekämpft, nun ist es erreicht: Die Mütterrente ist da! 9,5 Millionen Mütter und etwa 150.000 Väter bekommen mehr

Mehr

der die und in den von zu das mit sich des auf für ist im dem nicht ein eine als auch es an werden aus er hat daß sie nach wird bei

der die und in den von zu das mit sich des auf für ist im dem nicht ein eine als auch es an werden aus er hat daß sie nach wird bei der die und in den von zu das mit sich des auf für ist im dem nicht ein eine als auch es an werden aus er hat daß sie nach wird bei einer um am sind noch wie einem über einen so zum war haben nur oder

Mehr

Gesetze. Thema: Geltungsbereich und Einfuehrungsgesetze

Gesetze. Thema: Geltungsbereich und Einfuehrungsgesetze Gesetze Thema: Geltungsbereich und Einfuehrungsgesetze Wozu dienen sogenannte Geltungsbereiche in Gesetzen und wie erlangt und verliert ein Gesetz Rechtskraft? Inhalt Aufbau und Zusammenhang von Gesetzen

Mehr

SCHLESWIG-HOLSTEINISCHES LANDESSOZIALGERICHT BESCHLUSS

SCHLESWIG-HOLSTEINISCHES LANDESSOZIALGERICHT BESCHLUSS Az.: L 4 SF 80/11 B SG Az.: S 14 KA 382/10 SG Kiel SCHLESWIG-HOLSTEINISCHES LANDESSOZIALGERICHT BESCHLUSS In dem Beschwerdeverfahren - Kläger - Prozessbevollmächtigte: g e g e n vertreten durch - Beklagte

Mehr

Beiziehung von Akten eines Kartellverfahrens durch ein Zivilgericht

Beiziehung von Akten eines Kartellverfahrens durch ein Zivilgericht Beiziehung von Akten eines Kartellverfahrens durch ein Zivilgericht Beschluss des OLG Hamm vom 26.11.2013, III 1 Vas 116/13 120/13 und 122/13 Christian Schwedler, Rechtsanwalt Frankfurt am Main, den 5.

Mehr

Beschluss: 2. Dem Kläger wird ab Prozesskostenhilfe bewilligt.

Beschluss: 2. Dem Kläger wird ab Prozesskostenhilfe bewilligt. LANDESARBEITSGERICHT NÜRNBERG 3 Ta 30/15 15 Ca 7034/14 (Arbeitsgericht Nürnberg) Datum: 01.04.2015 Rechtsvorschriften: 113, 118 ZPO Leitsatz: Wird in einem Auflagenbeschluss lediglich auf 118 ZPO hingewiesen,

Mehr

Versorgungswerk der Psychotherapeutenkammer. Nordrhein-Westfalen? Körperschaft des öffentlichen Rechts

Versorgungswerk der Psychotherapeutenkammer. Nordrhein-Westfalen? Körperschaft des öffentlichen Rechts Versorgungswerk der Psychotherapeutenkammer Körperschaft des öffentlichen Rechts PTV I. Information zu Kinderbetreuungszeiten im Versorgungswerk der Psychotherapeutenkammer Wer erhält Kinderbetreuungszeit

Mehr

Stellungnahme. des Deutschen Anwaltvereins durch den Ausschuss Berufsrecht

Stellungnahme. des Deutschen Anwaltvereins durch den Ausschuss Berufsrecht Stellungnahme des Deutschen Anwaltvereins durch den Ausschuss Berufsrecht zum Referentenentwurf des Bundesministeriums des Inneren vom 23.11.2016 für ein Gesetz zur Anpassung des Datenschutzrechts an die

Mehr

Art.3 des Gesetzes regelt sodann die Abstimmungsmodalitäten, welche den Regelungen des BWahlG entsprechen.

Art.3 des Gesetzes regelt sodann die Abstimmungsmodalitäten, welche den Regelungen des BWahlG entsprechen. Sachverhalt Fall 9 Sachverhalt Der Bundestag berät einen in der Öffentlichkeit heiß diskutierten Gesetzentwurf zur Reform der sozialen Sicherungssysteme. Da die Struktur der gesetzlichen Renten- und Krankenversicherung

Mehr

Gesetzentwurf. 17. Wahlperiode der Fraktionen von CDU/CSU und FDP A. Problem und Ziel

Gesetzentwurf. 17. Wahlperiode der Fraktionen von CDU/CSU und FDP A. Problem und Ziel - 1 - Deutscher Bundestag Drucksache 17/ 17. Wahlperiode 20.03.2012 Gesetzentwurf der Fraktionen von CDU/CSU und FDP Entwurf eines Gesetzes zu dem Beschluss des Europäischen Rates vom 25. März 2011 zur

Mehr

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT BESCHLUSS

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT BESCHLUSS BUNDESVERWALTUNGSGERICHT BESCHLUSS BVerwG 2 B 79.15 OVG 2 A 11033/14.OVG In der Verwaltungsstreitsache - 2 - hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts am 6. April 2016 durch den Vorsitzenden Richter

Mehr

Vollständige und teilweise Geschäftsaufgabe im Zusammenhang mit der Altersrente für besonders langjährig Versicherte

Vollständige und teilweise Geschäftsaufgabe im Zusammenhang mit der Altersrente für besonders langjährig Versicherte Vollständige und teilweise Geschäftsaufgabe im Zusammenhang mit der Altersrente für besonders langjährig Versicherte 2016 Deutscher Bundestag Seite 2 Vollständige und teilweise Geschäftsaufgabe im Zusammenhang

Mehr

Referentenentwurf eines. Gesetzes zur Änderung des Rechts der Vertretung durch Rechtsanwälte vor den Oberlandesgerichten

Referentenentwurf eines. Gesetzes zur Änderung des Rechts der Vertretung durch Rechtsanwälte vor den Oberlandesgerichten BMJ Referentenentwurf OLG-Zulassung Rechstanwälte Seite 1 von 14 Referentenentwurf eines Gesetzes zur Änderung des Rechts der Vertretung durch Rechtsanwälte vor den Oberlandesgerichten (Stand: 13. August

Mehr

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS. vom. 29. Juli 2004. in dem Rechtsstreit

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS. vom. 29. Juli 2004. in dem Rechtsstreit BUNDESGERICHTSHOF III ZB 71/03 BESCHLUSS vom 29. Juli 2004 in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: BGHZ: BGHR: ja nein ja BRAGO 34 Abs. 2 Eine Verwertung beigezogener Akten oder Urkunden als Beweis setzt

Mehr

KAMMERGERICHT. Beschluss. wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln u. a.

KAMMERGERICHT. Beschluss. wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln u. a. Geschäftsnummer: KAMMERGERICHT 1 Ws 86/11 (511) 69 Js 464/10 KLs (9/11) Beschluss In der Strafsache gegen Ci. u. a., hier nur gegen Ce., geboren am x in x, wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln

Mehr

Das Strafprozessrecht Das abgekürzte Verfahren (Art. 358 bis Art. 362 StPO)

Das Strafprozessrecht Das abgekürzte Verfahren (Art. 358 bis Art. 362 StPO) Das Strafprozessrecht Das abgekürzte Verfahren (Art. 358 bis Art. 362 StPO) Das Strafprozessrecht beschäftigt sich mit der Durchsetzung des sog. materiellen Strafrechtes. Dieses Prozessrecht hat sich im

Mehr

"Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Zwölften Sozialgesetzbuches - Gesetzsantrag des Landes Niedersachsen"

Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Zwölften Sozialgesetzbuches - Gesetzsantrag des Landes Niedersachsen BREMISCHE BÜRGERSCHAFT Drucksache 18/881 Landtag 18. Wahlperiode 30.04.13 Mitteilung des Senats vom 30. April über die vom Senat beschlossene Mitantragstellung zur anliegenden Bundesratsinitiative "Entwurf

Mehr

7/2009. Juli. DeutscherAnwaltVerein. DeutscherAnwaltVerlag

7/2009. Juli. DeutscherAnwaltVerein. DeutscherAnwaltVerlag DeutscherAnwaltVerein Aufsätze Hellwig: Anwaltsethos 465 Bryde: 60 Jahre Grundgesetz 473 Calliess: Grundgesetz und Europäisierung 478 60. Deutscher Anwaltstag Kilger: Eröffnungsrede 499 Zypries: Grußwort

Mehr

Dieses Dokument ist lediglich eine Dokumentationsquelle, für deren Richtigkeit die Organe der Gemeinschaften keine Gewähr übernehmen

Dieses Dokument ist lediglich eine Dokumentationsquelle, für deren Richtigkeit die Organe der Gemeinschaften keine Gewähr übernehmen 2001R0789 DE 01.01.2005 001.001 1 Dieses Dokument ist lediglich eine Dokumentationsquelle, für deren Richtigkeit die Organe der Gemeinschaften keine Gewähr übernehmen B VERORDNUNG (EG) Nr. 789/2001 DES

Mehr

Leitsatz: OLG Dresden, 23. Familiensenat, Beschluss vom Az.: 23 WF 0475/11

Leitsatz: OLG Dresden, 23. Familiensenat, Beschluss vom Az.: 23 WF 0475/11 Leitsatz: Wird die Verfahrenskostenhilfebewilligung auf einen Vergleichsabschluss über nicht anhängige Gegenstände erstreckt, kann der beigeordnete Rechtsanwalt aus der Staatskasse die Erstattung einer

Mehr

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS. vom. 17. Januar 2001. in dem Rechtsstreit

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS. vom. 17. Januar 2001. in dem Rechtsstreit BUNDESGERICHTSHOF XII ZB 194/99 BESCHLUSS vom 17. Januar 2001 in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein ZPO 69 Zur Frage einer streitgenössischen Nebenintervention des Untermieters im Rechtsstreit

Mehr

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS. X Z B 6 / 1 4 vom. 25. August 2015. in dem Rechtsbeschwerdeverfahren

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS. X Z B 6 / 1 4 vom. 25. August 2015. in dem Rechtsbeschwerdeverfahren BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS X Z B 6 / 1 4 vom 25. August 2015 in dem Rechtsbeschwerdeverfahren - 2 - Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 25. August 2015 durch den Vorsitzenden Richter Prof.

Mehr

Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR)

Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) Handels- und Gesellschaftsrecht Dieses Dokument finden Sie unter www.ihk-berlin.de unter der Dok-Nr. 51952 Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) Inhalt: Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR)... 1 1.

Mehr

RAT DER EUROPÄISCHEN UNION. Brüssel, den 27. März 2002 (10.04) (OR. en) 7555/02 LIMITE DROIPEN 19 MIGR 23 COMIX 213

RAT DER EUROPÄISCHEN UNION. Brüssel, den 27. März 2002 (10.04) (OR. en) 7555/02 LIMITE DROIPEN 19 MIGR 23 COMIX 213 RAT R EUROPÄISCHEN UNION Brüssel, den 27. März 2002 (0.04) (OR. en) 7555/02 LIMITE DROIPEN 9 MIGR 23 COMIX 23 VERMERK des Sekretariats für die Gruppe "Materielles Strafrecht" Nr. Vordokument: 0704/0 DROIPEN

Mehr

KINDERERZIEHUNGSZEITEN

KINDERERZIEHUNGSZEITEN KINDERERZIEHUNGSZEITEN Rentenversicherung für Mitglieder berufsständischer Versorgungseinrichtungen Die Ärzteversorgung Westfalen-Lippe besteht seit dem 01.04.1960 sie gewährt im Alter und bei Berufsunfähigkeit

Mehr

Antworten der Christlich Demokratischen Union Deutschlands (CDU) und der Christlich-Sozialen Union in Bayern (CSU) auf die Fragen der

Antworten der Christlich Demokratischen Union Deutschlands (CDU) und der Christlich-Sozialen Union in Bayern (CSU) auf die Fragen der en der Christlich Demokratischen Union Deutschlands (CDU) und der Christlich-Sozialen Union in Bayern (CSU) auf die Fragen der Bundesrechtsanwaltskammer zur Bundestagswahl 2009 A. Zum Recht der anwaltlichen

Mehr

LESEPROBE. Quo vadis Freiberuflergesellschaft? Berufsrechtstagung des Deutschen wissenschaftlichen Instituts der Steuerberater e. V.

LESEPROBE. Quo vadis Freiberuflergesellschaft? Berufsrechtstagung des Deutschen wissenschaftlichen Instituts der Steuerberater e. V. Berufsrechtstagung des Deutschen wissenschaftlichen Instituts der Steuerberater e. V. 2015 Quo vadis Freiberuflergesellschaft? Schriftenreihe Nr. 34 Berufsrechtstagung des Deutschen wissenschaftlichen

Mehr

KOMMISSION DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN. Vorschlag für eine RICHTLINIE DES RATES

KOMMISSION DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN. Vorschlag für eine RICHTLINIE DES RATES KOMMISSION DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN Brüssel, den 16.12.2003 KOM(2003) 825 endgültig 2003/0317 (CNS) Vorschlag für eine RICHTLINIE DES RATES zur Änderung der Richtlinie 77/388/EWG mit dem Ziel der

Mehr

Brandenburgisches Oberlandesgericht

Brandenburgisches Oberlandesgericht 13 U 185/05 Brandenburgisches Oberlandesgericht 005 11 O 409/03 Landgericht Frankfurt (Oder) Anlage zum Protokoll vom 06.09.2006 Verkündet am 06.09.2006 als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle Brandenburgisches

Mehr

Nicola Lindner. Recht, verständlich. Eine etwas andere Einführung. Bundeszentrale für politische Bildung

Nicola Lindner. Recht, verständlich. Eine etwas andere Einführung. Bundeszentrale für politische Bildung Nicola Lindner Recht, verständlich Eine etwas andere Einführung Bundeszentrale für politische Bildung Inhalt Vorwort 12 das? I. Von Regeln und Gesetzen 14 Ohne Regeln herrscht Chaos 2. Je mehr Menschen,

Mehr

1. Kapitel Recht Was ist das?

1. Kapitel Recht Was ist das? Inhalt Vorwort............................................................. 12 1. Kapitel Recht Was ist das? I. Von Regeln und Gesetzen...................................... 14 1. Ohne Regeln herrscht

Mehr

Gesetz über Rechtsberatung und Vertretung für Bürger mit geringem Einkommen (Beratungshilfegesetz - BerHG)

Gesetz über Rechtsberatung und Vertretung für Bürger mit geringem Einkommen (Beratungshilfegesetz - BerHG) Gesetz über Rechtsberatung und Vertretung für Bürger mit geringem Einkommen (Beratungshilfegesetz - BerHG) BerHG Ausfertigungsdatum: 18.06.1980 Vollzitat: "Beratungshilfegesetz vom 18. Juni 1980 (BGBl.

Mehr

Der Bayerische. Land-Tag. in leichter Sprache

Der Bayerische. Land-Tag. in leichter Sprache Der Bayerische Land-Tag in leichter Sprache Seite Inhalt 2 Begrüßung 1. 4 Der Bayerische Land-Tag 2. 6 Die Land-Tags-Wahl 3. 8 Parteien im Land-Tag 4. 10 Die Arbeit der Abgeordneten im Land-Tag 5. 12 Abgeordnete

Mehr

Wissenschaftliche Dienste. Sachstand. Unterhalt für im EU-Ausland lebendes Kind Deutscher Bundestag WD /17

Wissenschaftliche Dienste. Sachstand. Unterhalt für im EU-Ausland lebendes Kind Deutscher Bundestag WD /17 Unterhalt für im EU-Ausland lebendes Kind 2017 Deutscher Bundestag Seite 2 Unterhalt für im EU-Ausland lebendes Kind Aktenzeichen: Abschluss der Arbeit: 1. Juni 2017 Fachbereich: WD 7: Zivil-, Straf- und

Mehr

Verfahrensordnung der Gütestelle der Bauinnung München, Westendstraße 179, München vom Zuständigkeit

Verfahrensordnung der Gütestelle der Bauinnung München, Westendstraße 179, München vom Zuständigkeit Verfahrensordnung der Gütestelle der Bauinnung München, Westendstraße 179, 80686 München vom 06.06.2000 1 Zuständigkeit (1) Die Bauinnung München richtet eine Gütestelle ein, deren Aufgabe es ist, Zivilprozesse

Mehr

611a BGB neue Fassung (Versionen Gesetzentwürfe) Am 9. März 2016 soll das Kabinett über den Gesetzentwurf beschließen

611a BGB neue Fassung (Versionen Gesetzentwürfe) Am 9. März 2016 soll das Kabinett über den Gesetzentwurf beschließen 611a BGB neue Fassung (Versionen Gesetzentwürfe) Am 9. März 2016 soll das Kabinett über den Gesetzentwurf beschließen Referentenentwurf 2015 Referentenentwurf Stand 2016 Veröffentlichung / Bearbeitungsstand

Mehr

Konkordat über die Rechtshilfe und die Interkantonale Zusammenarbeit in Strafsachen

Konkordat über die Rechtshilfe und die Interkantonale Zusammenarbeit in Strafsachen 1 351.910 Konkordat über die Rechtshilfe und die Interkantonale Zusammenarbeit in Strafsachen (Angenommen am 5. November 1992) l. Allgemeine Bestimmungen Art. 1 Das Konkordat bezweckt die effiziente Bekämpfung

Mehr

IV. Übertragung und Vererbung kaufmännischer Unternehmen. 1. Haftung des Erwerbers eines Handelsgeschäftes für Altschulden

IV. Übertragung und Vererbung kaufmännischer Unternehmen. 1. Haftung des Erwerbers eines Handelsgeschäftes für Altschulden IV. Übertragung und Vererbung kaufmännischer Unternehmen 1. Haftung des Erwerbers eines Handelsgeschäftes für Altschulden Nach 25 Abs.1 HGB haftet der Erwerber eines Handelsgeschäfts für die in dem Geschäft

Mehr

Rede des SPD-Parteivorsitzenden. Sigmar Gabriel

Rede des SPD-Parteivorsitzenden. Sigmar Gabriel Rede des SPD-Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel zur Nominierung des SPD-Kanzlerkandidaten zur Bundestagswahl 2017 - Es gilt das gesprochene Wort - 2017 ist ein Jahr der Weichenstellungen in Europa und in

Mehr

15414/14 cho/gha/hü 1 DG D 2A

15414/14 cho/gha/hü 1 DG D 2A Rat der Europäischen Union Brüssel, den 20. November 2014 (OR. en) Interinstitutionelles Dossier: 2012/0360 (COD) 15414/14 JUSTCIV 285 EJUSTICE 109 COC 2225 VERMERK Absender: Empfänger: Vorsitz Ausschuss

Mehr

Die interprofessionelle Zusammenarbeit von Rechtsanwálten mit Angehorigen anderer freier Berufe

Die interprofessionelle Zusammenarbeit von Rechtsanwálten mit Angehorigen anderer freier Berufe Markus Gotzens Die interprofessionelle Zusammenarbeit von Rechtsanwálten mit Angehorigen anderer freier Berufe PETER LANG Europáischer Verlag der Wissenschaften Vil Inhaltsverzeichnis Einleitung 1 I. Einführung

Mehr

DIRO-Strafrechtstag 2016 in Hagen

DIRO-Strafrechtstag 2016 in Hagen DIRO-Strafrechtstag 2016 in Hagen Kostentragungspflicht im Strafverfahren bei Freisprüchen und Einstellungen von Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht Dr. Ingo E. Fromm caspers mock Anwälte Koblenz

Mehr

Jahresbericht über die Tätigkeiten des Ausschusses für Betrugsbekämpfung der Europäischen Zentralbank für den Zeitraum von März 2002 Januar 2003

Jahresbericht über die Tätigkeiten des Ausschusses für Betrugsbekämpfung der Europäischen Zentralbank für den Zeitraum von März 2002 Januar 2003 Jahresbericht über die Tätigkeiten des Ausschusses für Betrugsbekämpfung der Europäischen Zentralbank für den Zeitraum von März 2002 Januar 2003 INHALTSVERZEICHNIS 1. Einleitung... 3 2. Feststellungen

Mehr

ÄNDERUNGSANTRÄGE 28-38

ÄNDERUNGSANTRÄGE 28-38 EUROPÄISCHES PARLAMENT 2009-2014 Ausschuss für Wirtschaft und Währung 12.1.2012 2011/0204(COD) ÄNRUNGSANTRÄGE 28-38 Entwurf einer Stellungnahme Elena Băsescu (PE475.906v01-00) Europäischer Beschluss zur

Mehr

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS BUNDESGERICHTSHOF AnwZ(B) 51/06 BESCHLUSS vom 13. August 2007 in dem Rechtsstreit wegen Gestaltung des Kanzleibriefbogens - 2 - Der Bundesgerichtshof, Senat für Anwaltssachen, hat durch die Richterin Dr.

Mehr

(Übersetzung) Protokoll Nr. 14 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Änderung des Kontrollsystems der Konvention

(Übersetzung) Protokoll Nr. 14 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Änderung des Kontrollsystems der Konvention BGBl. III - Ausgegeben am 21. Mai 2010 - Nr. 47 1 von 5 (Übersetzung) Protokoll Nr. 14 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Änderung des Kontrollsystems der Konvention

Mehr

Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten

Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten Erklärung der Pflichten und Rechte Schweizer Presserat Präambel Das Recht auf Information, auf freie Meinungsäusserung und auf Kritik ist ein grundlegendes Menschenrecht. Journalistinnen und Journalisten

Mehr

Kooperation zwischen Anwälten, Ärzten und Apothekern Folgerungen aus dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom

Kooperation zwischen Anwälten, Ärzten und Apothekern Folgerungen aus dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom Kooperation zwischen Anwälten, Ärzten und Apothekern Folgerungen aus dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 12.01.2016 RA Dr. Wieland W. HORN, München Ü b e r s i c h t 1. Motive für die Partnerschaft

Mehr

Einführung. Aktuelle Entwicklungen im Befreiungsrecht. Einführung

Einführung. Aktuelle Entwicklungen im Befreiungsrecht. Einführung Aktuelle Entwicklungen im Befreiungsrecht Die Situation der Rechtsanwälte von Prof. Dr. Heinz-Dietrich Steinmeyer Einführung Entscheidungen des BSG von April 2014 haben Bewegung in das Dauerthema des Befreiungsrechts

Mehr

Rundschreiben Nr. 1/2012

Rundschreiben Nr. 1/2012 Münster, 10.02.2012 Auskunft erteilt: Thema: Geänderte Vordrucke und Hinweise hierzu Frau Oellermann Telefon: 0251 238-3615 E-Mail: Sandra.Oellermann@drv-westfalen.de Auskunft erteilt: Thema: Rente mit

Mehr

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL. 30. September 2009 Vorusso, Justizhauptsekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL. 30. September 2009 Vorusso, Justizhauptsekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES VIII ZR 276/08 Nachschlagewerk: ja URTEIL in dem Rechtsstreit Verkündet am: 30. September 2009 Vorusso, Justizhauptsekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

Mehr

Fragen und Antworten zum Optionsverfahren ( 29 StAG; Quellen: Bundesverwaltungsamt, Innenministerium des Saarlandes)

Fragen und Antworten zum Optionsverfahren ( 29 StAG; Quellen: Bundesverwaltungsamt, Innenministerium des Saarlandes) Fragen und Antworten zum Optionsverfahren ( 29 StAG; Quellen: Bundesverwaltungsamt, Innenministerium des Saarlandes) 1. Frage: Werde ich zur Optionspflicht angeschrieben? Falls Sie unter die Optionspflicht

Mehr

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 2 StR 478/13 vom 11. Dezember 2013 in der Strafsache gegen wegen Nötigung u.a. - 2 - Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und

Mehr

25. SATZUNGSNACHTRAG BETRIEBSKRANKENKASSE B. BRAUN MELSUNGEN AG

25. SATZUNGSNACHTRAG BETRIEBSKRANKENKASSE B. BRAUN MELSUNGEN AG 25. SATZUNGSNACHTRAG BETRIEBSKRANKENKASSE B. BRAUN MELSUNGEN AG Der Verwaltungsrat hat in seiner Sitzung am 8. Dezember 2015 beschlossen, die Satzung wie folgt zu ändern: Artikel I 1. 14 wird wie folgt

Mehr

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL. Verkündet am: 19. Mai 2010 Ring Justizhauptsekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL. Verkündet am: 19. Mai 2010 Ring Justizhauptsekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES VIII ZR 122/09 Nachschlagewerk: ja URTEIL in dem Rechtsstreit Verkündet am: 19. Mai 2010 Ring Justizhauptsekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle BGHZ: nein

Mehr

Satzung Netzwerk Embryonenspende

Satzung Netzwerk Embryonenspende Satzung Netzwerk Embryonenspende 1 Name und Sitz des Vereins Der Verein trägt den Namen Netzwerk Embryonenspende und hat seinen Sitz in Dillingen a. d. Donau. Er soll in das Vereinsregister des Amtsgerichts

Mehr

Vorschlag für eine VERORDNUNG DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES

Vorschlag für eine VERORDNUNG DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES EUROPÄISCHE KOMMISSION Brüssel, den 30.5.2016 COM(2016) 317 final 2016/0159 (COD) Vorschlag für eine VERORDNUNG DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES zur Ersetzung der Listen von Insolvenzverfahren

Mehr

EUROPARAT MINISTERKOMITEE

EUROPARAT MINISTERKOMITEE Nichtamtliche Übersetzung EUROPARAT MINISTERKOMITEE Empfehlung Nr. R (2000) 7 des Ministerkomitees an die Mitgliedstaaten über das Recht der Journalisten auf Geheimhaltung ihrer Informationsquellen (angenommen

Mehr

Das Gericht. PD. Dr. Peter Rackow Wintersemester 2008 / 2009

Das Gericht. PD. Dr. Peter Rackow Wintersemester 2008 / 2009 Das Gericht PD. Dr. Peter Rackow Wintersemester 2008 / 2009 Überblick Art 92 GG: Ausübung der rechtsprechenden Gewalt durch von der Exekutive getrennte Gerichte; Art 97 GG: richterl. Unabhängigkeit: a)

Mehr

Stellungnahme des Deutschen Anwaltvereins

Stellungnahme des Deutschen Anwaltvereins Berlin, im März 2006 Stellungnahme Nr. 11/2006 abrufbar unter www.anwaltverein.de Stellungnahme des Deutschen Anwaltvereins durch den Zivilverfahrensrechtsausschuss Betreff: Gesetz über die Verwendung

Mehr

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS BUNDESGERICHTSHOF 1 S t R 1 1 2 / 1 5 BESCHLUSS vom 15. April 2015 in der Strafsache gegen wegen Diebstahls - 2 - Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 15. April 2015 beschlossen: 1. Der Beschluss

Mehr

3 Geschäftsordnung 3

3 Geschäftsordnung 3 3 Geschäftsordnung GESCHÄFTSORDNUNG FÜR DEN BUNDESTAG UND DEN VORSTAND (GOBV) 1 1 Einberufung 1. Die Einberufung des Bundestages erfolgt nach 20, 29 der Satzung. 2. Vorschläge für die Wahl des Präsidenten

Mehr

Vereinbarung über die Information und Anhörung der Arbeitnehmer in den europäischen Gesellschaften des Roche Konzerns

Vereinbarung über die Information und Anhörung der Arbeitnehmer in den europäischen Gesellschaften des Roche Konzerns Vereinbarung über die Information und Anhörung der Arbeitnehmer in den europäischen Gesellschaften des Roche Konzerns zwischen den Arbeitnehmervertretungen der zur Roche-Gruppe gehörenden europäischen

Mehr

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL. Verkündet am: 15. Juli 2010 Kluckow Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL. Verkündet am: 15. Juli 2010 Kluckow Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES IX ZR 227/09 URTEIL in dem Rechtsstreit Verkündet am: 15. Juli 2010 Kluckow Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle Nachschlagewerk: BGHZ: BGHR: ja

Mehr

Gegenteil: Dispositionsmaxime: Im Zivilrecht, die Parteien entscheiden, ob und welche Art von Prozess geführt wird

Gegenteil: Dispositionsmaxime: Im Zivilrecht, die Parteien entscheiden, ob und welche Art von Prozess geführt wird Grundlagen StPO Prozessmaximen 1. Offizialmaxime: die Einleitung und Betreibung des Strafverfahrens obliegen allein dem Staat 152 StPO (Ausnahme. Privatklagedelikte, Antragsdelikte StPO) Gegenteil: Dispositionsmaxime:

Mehr

Südafrika: Abwicklung des Nachlasses von RA Jan-Hendrik Frank

Südafrika: Abwicklung des Nachlasses von RA Jan-Hendrik Frank Dieser Artikel stammt von RA Jan-Hendrik Frank und wurde im Januar 2006 unter der Artikelnummer 10848 auf den Seiten von jurawelt.com publiziert. Die Adresse lautet www.jurawelt.com/aufsaetze/10848. II

Mehr

BESCHLUSS. In der Verwaltungsstreitsache

BESCHLUSS. In der Verwaltungsstreitsache B U N D E S V E R W A L T U N G S G E R I C H T BESCHLUSS BVerwG 7 AV 4.02 OVG 1 Bf 158/02 In der Verwaltungsstreitsache hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts am 12. November 2002 durch die Richter

Mehr

Brandenburgisches Oberlandesgericht

Brandenburgisches Oberlandesgericht 9 UF 115/02 Brandenburgisches Oberlandesgericht 16 F 76/02 Amtsgericht Bad Liebenwerda Brandenburgisches Oberlandesgericht Beschluss In der Familiensache der Frau K..., - Berufungsklägerin und Antragsgegnerin

Mehr

Stellungnahme. des Deutschen Anwaltvereins durch den Ausschuss Berufsrecht

Stellungnahme. des Deutschen Anwaltvereins durch den Ausschuss Berufsrecht Stellungnahme des Deutschen Anwaltvereins durch den Ausschuss Berufsrecht zu den Öffnungsklauseln der Datenschutz- Grundverordnung (EU) 2016/679 vom 27. April 2016 Stellungnahme Nr.: 39/2016 Berlin, im

Mehr

Das politische System der Bundesrepublik Deutschland

Das politische System der Bundesrepublik Deutschland 1 Schwarz: UE Politisches System / Rikkyo University 2014 Das politische System der Bundesrepublik Deutschland Lesen Sie den Text auf der folgenden Seite und ergänzen Sie das Diagramm! 2 Schwarz: UE Politisches

Mehr

3. In dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck "Mitgliedstaat" die Mitgliedstaaten mit Ausnahme Dänemarks.

3. In dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck Mitgliedstaat die Mitgliedstaaten mit Ausnahme Dänemarks. EU-Richtlinie zur Mediation vom 28.02.2008 Artikel 1 Ziel und Anwendungsbereich 1. Ziel dieser Richtlinie ist es, den Zugang zur alternativen Streitbeilegung zu erleichtern und die gütliche Beilegung von

Mehr

Entwurf eines Gesetzes zur Reform der Straftaten gegen ausländische Staaten

Entwurf eines Gesetzes zur Reform der Straftaten gegen ausländische Staaten Gesetzentwurf (Beschluss der SPD-Bundestagsfraktion vom 26. April 2016) Entwurf eines Gesetzes zur Reform der Straftaten gegen ausländische Staaten A. Problem Der Dritte Abschnitt des Besonderen Teils

Mehr

Internationale Bestechung (IntBestG, 299 Absatz 3 StGB, Entwurf neues Korruptionsbekämpfungsgesetz)

Internationale Bestechung (IntBestG, 299 Absatz 3 StGB, Entwurf neues Korruptionsbekämpfungsgesetz) Internationale Bestechung (IntBestG, 299 Absatz 3 StGB, Entwurf neues Korruptionsbekämpfungsgesetz) Dr. Matthias Korte Köln, 6. Februar 2015 Internationale Bestechung Gliederung! Internationales Bestechungsgesetz!

Mehr

Arbeitsrecht-Newsletter 01/07 Schwerpunkt Betrieblicher Datenschutzbeauftragter

Arbeitsrecht-Newsletter 01/07 Schwerpunkt Betrieblicher Datenschutzbeauftragter Arbeitsrecht-Newsletter 01/07 Schwerpunkt Betrieblicher Datenschutzbeauftragter Liebe Leserin, lieber Leser, der Schutz von persönlichen Daten wird immer wichtiger. Ohne großen Aufwand ist es möglich,

Mehr

(Rechtsakte ohne Gesetzescharakter) BESCHLÜSSE

(Rechtsakte ohne Gesetzescharakter) BESCHLÜSSE 1.12.2014 L 345/1 II (Rechtsakte ohne Gesetzescharakter) BESCHLÜSSE BESCHLUSS S RATES vom 1. Dezember 2014 über die Mitteilung des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland, dass es sich an

Mehr

xxx Zwecks Dringlichkeit, per und FAX.

xxx Zwecks Dringlichkeit, per  und FAX. xxx Zwecks Dringlichkeit, per E-Mail und FAX. E-Mail (Zentrale Mail-Posteingangsstelle) poststelle@fa-stuttgart4.bwl.de Fax (Hauptgebäude) 07 11 / 66 73-60 60 Finanzamt Stuttgart IV Frau xxx Seidenstr.

Mehr

LANDESKUNDE DEUTSCHLAND DAS POLITISCHE SYSTEM

LANDESKUNDE DEUTSCHLAND DAS POLITISCHE SYSTEM LANDESKUNDE DEUTSCHLAND DAS POLITISCHE SYSTEM ORGANE UND EINRICHTUNGEN DES STAATES Das politische Leben in Deutschland ist mehr als Kanzleramt, Bundestag und Parteizentralen. An vielen Stellen füllen

Mehr

Die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen und die Herausforderungen an Unterstützung für Menschen mit Behinderungen

Die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen und die Herausforderungen an Unterstützung für Menschen mit Behinderungen Die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen und die Herausforderungen an Unterstützung für Menschen mit Behinderungen --------------------------------------------------------------------------

Mehr

Rechtsfragen der pflegerischen Sterbebegleitung und der Stand der Diskussion zur Sterbehilfe: Internationalrechtliche Aspekte

Rechtsfragen der pflegerischen Sterbebegleitung und der Stand der Diskussion zur Sterbehilfe: Internationalrechtliche Aspekte Prof. Dr. Andreas Spickhoff Lehrstuhl für Bürgerliches Recht und Medizinrecht Institut für Internationales Recht Juristische Fakultät LMU München Rechtsfragen der pflegerischen Sterbebegleitung und der

Mehr

Bitte bei allen Schreiben angeben: Az.: 4 Ta 177/11 (6) Chemnitz, Ca 7065/09 ArbG Bautzen, Außenkammern Görlitz B E S C H L U S S

Bitte bei allen Schreiben angeben: Az.: 4 Ta 177/11 (6) Chemnitz, Ca 7065/09 ArbG Bautzen, Außenkammern Görlitz B E S C H L U S S Sächsisches Landesarbeitsgericht Zwickauer Straße 54, 09112 Chemnitz Postfach 7 04, 09007 Chemnitz Bitte bei allen Schreiben angeben: Az.: Chemnitz, 10.08.2011 7 Ca 7065/09 ArbG Bautzen, Außenkammern Görlitz

Mehr

BGB 1666 Gerichtliche Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls

BGB 1666 Gerichtliche Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls Bürgerliches Gesetzbuch Buch 4 - Familienrecht ( 1297-1921) Abschnitt 2 - Verwandtschaft ( 1589-1772) Titel 5 - Elterliche Sorge ( 1626-1698b) BGB 1666 Gerichtliche Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls

Mehr

LAND BRANDENBURG Was Sie über Rechtsanwälte wissen sollten

LAND BRANDENBURG Was Sie über Rechtsanwälte wissen sollten Ministerium der Justiz und für Europaangelegenheiten LAND BRANDENBURG Was Sie über Rechtsanwälte wissen sollten 2 Allgemeines Der Rechtsanwalt ist ein unabhängiges Organ der Rechtspflege ( 1 Bundesrechtsanwaltsordnung).

Mehr

Übersetzung 1 Sechstes Zusatzprotokoll zum Allgemeinen Abkommen über die Vorrechte und Immunitäten des Europarates

Übersetzung 1 Sechstes Zusatzprotokoll zum Allgemeinen Abkommen über die Vorrechte und Immunitäten des Europarates Übersetzung 1 Sechstes Zusatzprotokoll zum Allgemeinen Abkommen über die Vorrechte und Immunitäten des Europarates Abgeschlossen in Strassburg am 5. März 1996 Von der Schweiz unterzeichnet am 27. August

Mehr

Institutionelles Gefüge und Rechtssetzung der EU - Wege der Einflussnahme

Institutionelles Gefüge und Rechtssetzung der EU - Wege der Einflussnahme Institutionelles Gefüge und Rechtssetzung der EU - Wege der Einflussnahme Europa-Seminar der gemeinsamen Brüsseler Vertretung von BAK, BIngK, BAIK und ECEC RA Joachim Jobi Berlin, 11. September 2008 1

Mehr

Die Europäische Erbrechtsverordnung

Die Europäische Erbrechtsverordnung Die Europäische Erbrechtsverordnung Ab dem 17. August 2015 gilt die Europäische Erbrechtsverordnung (EU-Erbrechtsverordnung bzw. EU-ErbVO) 1 in allen EU-Mitgliedstaaten mit Ausnahme des Vereinigten Königreichs,

Mehr