Katja Rost, Nicholas Arnold: Die Vignettenanalyse in den Sozialwissenschaften. Eine anwendungsorientierte Einführung

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1 Katja Rost, Nicholas Arnold: Die Vignettenanalyse in den Sozialwissenschaften. Eine anwendungsorientierte Einführung Sozialwissenschaftliche Forschungsmethoden, hrsg von Wenzel Matiaske, Martin Spieß et al., Band 13, Rainer Hampp Verlag, Augsburg, München, 2017, 114 S., ISBN (print), 19.80, ISBN (e-book pdf), Wann ist ein Einkommen gerecht? Unter welchen Umständen sollen Ausländer eingebürgert werden? Wie kann die Rente reformiert werden? Fragestellungen dieser Art lassen sich mit der Vignettenanalyse beantworten. Die Methode erhebt die Einstellungen von Personen zu spezifischen Sachverhalten, indem Situations- oder Personenbeschreibungen in Befragungen systematisch variiert werden. Die Vignettenanalyse verbindet folglich die positiven Aspekte von Befragungen und Experimenten miteinander. Der vorliegende Leitfaden legt die Grundzüge der Vignettenanalyse einfach und verständlich dar. Pragmatisches Ziel ist die Befähigung zur selbstständigen Anwendung der Methode. Erklärungen erfolgen stets anhand fiktiver und realer Beispiele. Die verwendete Software wird im Detail ausgeführt. Kapitel 2 gibt einen Überblick über das Verfahren der Vignettenanalyse, grenzt die Methode von ähnlichen Methoden ab, zeigt vorangegangene Anwendungen in verschiedenen Forschungsdisziplinen auf und diskutiert Vor-, aber auch Nachteile der Methode. Kapitel 3 zeigt auf, wie ein experimentelles Design im Rahmen der Vignettenanalyse erstellt wird, wie eine Auswahl von Vignettensets erfolgen kann und welche Nachteile hiermit verbunden sind. Kapitel 4 widmet sich der Erstellung und Durchführung der Befragung, beispielsweise der Fragebogengestaltung, der Präsentation der Vignetten, der Konstruktion von Messskalen, Instruktionen an die Befragten oder dem Pretest. In Kapitel 5 werden die Methoden der Datenanalysen anhand eines realen Beispiels nachvollziehbar dargelegt. Der Leitfaden schließt mit einer Zusammenfassung wesentlicher Durchführungsschritte. Schlüsselwörter: Vignettenanalyse, faktorieller Survey, Vignettenexperiment, Befragungsexperiment, sozialwissenschaftliche Methodik Katja Rost ist Professorin für Soziologie an der Universität Zürich. In ihrer Forschung verwendet sie auch Vignettenanalysen, beispielsweise bei Fragestellungen zur wahrgenommenen Fairness von Managergehältern oder zur Leistungsund Motivationsverschiebung unter Pay-for-Performance. Niklas Arnold ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Soziologischen Institut der Universität Zürich.

2 SOZIALWISSENSCHAFTLICHE FORSCHUNGSMETHODEN Band 13 Herausgeber Wenzel Matiaske (Helmut-Schmidt-Universität Hamburg) Martin Spieß (Universität Hamburg) (geschäftsführend) Michael Berlemann (Helmut-Schmidt-Universität Hamburg) Ingwer Borg (GESIS und Universität Gießen) Claudia Fantapié Altobelli (Helmut-Schmidt-Universität Hamburg) Holger Hinz (Universität Flensburg) Uwe Jirjahn (Universität Trier) Bernhard Kittel (Universität Wien) Stefan Liebig (Universität Bielefeld) Rainer Oesterreich (TU-Berlin) Jost Reinecke (Universität Bielefeld) Kai-Uwe Schnapp (Universität Hamburg) Rainer Schnell (Universität Duisburg-Essen) Peter Sedlmeier (Technische Universität Chemnitz) Wilfried Seidel (Helmut-Schmidt-Universität Hamburg) Carolin Strobl (Universität Zürich) Gerhard Tutz (Ludwig-Maximilians-Universität München) Ehemalige Mitherausgeber Joachim Wagner (Leuphana Universität Lüneburg) Manfred Kraft (Universität Paderborn)

3 Katja Rost, Nicholas Arnold Die Vignettenanalyse in den Sozialwissenschaften Eine anwendungsorientierte Einführung Rainer Hampp Verlag Augsburg, München 2017

4 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. ISBN (print) ISBN (e-book) SOZIALWISSENSCHAFTLICHE FORSCHUNGSMETHODEN: ISSN ISBN-A/DOI / Auflage, Rainer Hampp Verlag Augsburg, München Vorderer Lech 35 D Augsburg Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne schriftliche Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Mikroverfilmungen, Übersetzungen und die Einspeicherung in elektronische Systeme. Dieses Buch ist auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier gedruckt. Liebe Leserinnen und Leser! Wir wollen Ihnen ein gutes Buch liefern. Wenn Sie aus irgendwelchen Gründen nicht zufrieden sind, wenden Sie sich bitte an uns.

5 Einleitung 7 Die Vignettenanalyse im Überblick Einführung anhand eines Beispiels Anwendungen der Vignettenanalyse und verwandte Methoden Was die Vignettenanalyse für Forschende attraktiv macht Soziale Wirklichkeitsnähe Verringerung sozial erwünschten Antwortverhaltens Wo Forschende mit Problemen konfrontiert sein können 28 Die Erstellung des Experimentellen Designs Wichtige Begriffe Das Vignettenuniversum Orthogonalität und Balance der Dimensionsausprägungen Haupt- und Interaktionseffekte Überlegungen zur Wahl der Dimensionen und Ausprägungen Wege zu einem guten experimentellen Design Vignettenuniversum erstellen und nicht plausible Fälle ausschließen Auswahl einer Teilmenge aus dem Vignettenuniversum Auswahl eines Vignettensets Zuweisung von Vignetten an Befragte Interne und externe Validität t 63 Die Befragung erstellen und durchführen Wahl der Befragtenstichprobe und Befragungsdurchführung Gestaltung des Fragebogens Präsentation der Vignetten Wahl der Messskala Instruktion an Befragte Erhebung persönlicher Informationen der Befragten Integration der Vignetten in den Fragebogen Durchführung eines Pretest 82 5

6 Datenanalyse Präsentation des verwendeten Datensatzes Die Datenmatrix Datenauswertung 89 Die wichtigsten Schritte der Vignettenanalyse im Überblick 98 Ermittlung der Dimensionen und Ausprägungen 98 Erstellung des Designs und Zuweisung der Vignetten an die Befragten 98 Fragebogen: Präsentationsform, Messskala, Instruktionen, Vortesten 99 Datenanalyse 99 Bibliographie 100 6

7 1 Einleitung Wann wird ein Einkommen als gerecht oder ungerecht eingestuft? In welchen Situationen ist es angebracht zu rauchen? Welche Gegebenheiten lassen eine sexuelle Belästigung erkennen? Unter welchen Umständen sollen Ausländer eingebürgert werden? Fragestellungen dieser Art kann man mit einer Befragung oder womöglich anhand eines experimentellen Vorgehens nachgehen. Einen Zwischenweg beschreitet die Vignettenanalyse, die beide Ansätze vereint und so Forschenden die Möglichkeit eröffnet die positiven Charakteristiken von Befragungen und Experimenten miteinander zu verbinden. Aufgrund der beispielhaft genannten Fragestellungen wird klar, dass die Vignettenanalyse für Forschende diverser Fachrichtungen attraktiv sein kann. So lassen sich unter anderem Anwendungen in der Soziologie, in der Ökonomie, in den Rechtswissenschaften, in den Politikwissenschaften oder in der Psychologie finden. Die Idee zum Verfahren der Vignettenanalyse stammt aus den 1950er Jahren von Paul F. Lazarsfeld und seinem Schüler Peter H. Rossi (Rossi 1979). Im Rahmen seiner Doktorarbeit postulierte Rossi, dass der soziale Status, der einer Person oder einer Familie zugeschrieben wird, abhängig ist von bestimmten Merkmalen wie Hautfarbe, Beruf oder Bildungsgrad. Um diese komplexen theoretischen Annahmen empirisch zu überprüfen, griff er auf Anraten seines Doktorvaters auf fiktive Familien zurück, welche sich in Ethnizität, Beruf, Bildungsgrad und Wohnort voneinander unterschieden. Diese Vignetten ermöglichten ihm die Untersuchung von Statuszuschreibungsprozessen anhand eines repräsentativen Samples von Personen und Familien. Die systematische Konstruktion der Vignetten erlaubte zudem die Analyse des Zusammenspiels von Charakteristika wie Hautfarbe und Beruf für die Statuskonstruktion. Mit der Idee des systematischen Variierens fiktiver Merkmale schlugen Lazarsfeld und Rossi damit vor mehr als 60 Jahren eine Brücke von der klassischen Umfrageforschung zu experimentellen Versuchsanordnungen. 7

8 Doch obwohl die Methode der Vignettenanalyse vor mehr als 60 Jahren in ihren Grundsätzen entwickelt wurde, so hat sie bis heute doch noch relativ selten Anwendung gefunden. Die Autoren dieses Buches setzen die Vignettenanalyse seit mehr als 10 Jahren im Rahmen ihrer Forschung als ergänzende Methode ein (Weibel, Rost, & Osterloh, 2007, Weibel, Rost, & Osterloh, 2010, Rost, Weibel, & Osterloh, 2010, Rost, & Weibel 2010). In diesem Zeitraum hat das Verfahren stärkere Verbreitung und Akzeptanz erlangt. In Anbetracht dieser Tatsachen verfolgt das vorliegende Buch zwei Ziele. Forschende sollen zum einen auf diese Methode aufmerksam gemacht werden und zum anderen nach der Lektüre dieses Leitfadens die notwendigen Grundkenntnisse besitzen, um selber eine Vignettenanalyse durchführen zu können. Auf der einen Seite werden die relevanten theoretischen Grundlagen vermittelt. Auf der anderen Seite erhalten Lesende praktische Empfehlungen, die den Einstieg in die Vignettenanalyse erleichtern sollen. Dabei soll die Methode beispielgeleitet und auf möglichst eingängige Art und Weise innerhalb eines überschaubaren Umfangs präsentiert werden. Dies führt zwangsläufig dazu, dass gewisse Sachverhalte etwas verkürzt dargestellt werden. Wo dies geschieht, werden interessierte Lesende auf weiterführende Literatur verwiesen. Der vorliegende Leitfaden ist in vier Kapitel unterteilt. In Kapitel 2 wird Lesenden die Vignettenanalyse in ihren Grundzügen vorgestellt. Des Weiteren soll überblicksmäßig aufgezeigt werden, in welchen Bereichen die Vignettenanalyse bisher Anwendung gefunden hat und was die Vor- und Nachteile dieser Methode sind. Kapitel 3 hat zum Ziel, Forschenden die notwendigen Instrumente in die Hand zu geben, die sie benötigen, um ein experimentelles Design zu erstellen, was Grundlage für eine erfolgreiche Datenerhebung und -auswertung und somit für die zufriedenstellende Beantwortung der Forschungsfrage ist. Kapitel 4 nimmt Bezug auf den befragungstechnischen Teil der Vignettenanalyse. Konkret geht es darum aufzuzeigen, welche Elemente in die Fragebögen gehören, wie der experimentelle Teil der Methode in die Befragung eingebettet werden kann und auf welche Punkte Forschende bei der Durchführung der Befragung besonders achten sollten. Kapitel 5 schließlich dreht sich um die Datenauswertung. Während in den ersten drei Kapiteln fiktive Beispiele dabei helfen sollen, die wichtigen Punkte möglichst anschaulich zu erklären, wird in Kapitel 5 auf ein Praxisbeispiel abgestellt. Anwender der Vignettenanalyse haben sich bislang auf eine Vielfalt statistischer Software gestützt. Dieses Buch beschränkt sich auf die Programme Word, Excel 8

9 und Stata, in der Hoffnung, dass die Mehrheit der Lesenden die Möglichkeit hat, auf diese Programme zuzugreifen. Auch hier gilt wiederum, dass an gegebener Stelle auf weitere Software verwiesen wird, die für Forschende von Interesse sein könnte, ohne diese aber im Detail zu besprechen. Die Vignettenanalyse ist herausfordernd und darüber hinaus nicht von Kritik verschont geblieben. Schenken Forschende einigen zentralen Punkten aber die gebührende Aufmerksamkeit, so stellt die Vignettenanalyse eine vielversprechende und gut umsetzbare Möglichkeit zur erfolgreichen Beantwortung zahlreicher interessanter Fragestellungen dar. 9

10 2 Die Vignettenanalyse im Überblick 2.1 Einführung anhand eines Beispiels Ziel der Vignettenanalyse auch bekannt als faktorieller Survey ist es, Einstellungen von Personen zu einem spezifischen Sachverhalt zu erheben. Hierzu werden den Befragten Situations- oder Personenbeschreibungen zur Beurteilung vorgelegt, wobei bestimmte Inhalte dieser Kurzbeschreibungen systematisch variiert werden (Auspurg, Hinz, Liebig & Sauer, 2015; Beck & Opp, 2001; Steiner & Atzmüller, 2006; Wallander, 2009). Die Kurzschilderungen, welche die Befragten beurteilen sollen, werden dabei als Vignetten bezeichnet. Die Vignettenbausteine, welche systematisch verändert werden, bezeichnet man als Dimensionen. Diese Dimensionen können jeweils verschiedene Werte annehmen, welche unter dem Begriff Ausprägungen bekannt sind. Um die Grundzüge der Vignettenanalyse an einem Beispiel zu verdeutlichen, sei angenommen, dass man daran interessiert ist, Einstellungen zur Einkommensgerechtigkeit zu erforschen (vgl. z.b. Alves & Rossi, 1978; Jasso & Webster, 1997, 1999). Es soll also ermittelt werden, inwiefern ein gewisses Einkommen in Bezug auf eine konkrete Situation als (mehr oder weniger) gerecht eingestuft wird. Um die angesprochene Variation in den Kurzbeschreibungen zu ermöglichen, müssen Forschende zuerst definieren, welche Dimensionen für die Wertungen maßgebend sind und welche Ausprägungen jede Dimension annehmen soll. Wie dies aussehen könnte, ist folgender Tabelle zu entnehmen: 10