Organisch-chemische Methoden

Transkript

1 Organisch-chemische Methoden

2 Daniel Krois Organisch-chemische Methoden in Biochemie, Biologischer Chemie, Molekularbiologie und Medizinischer Chemie

3 Daniel Krois Institut für Chemische Katalyse Universität Wien Wien, Österreich ISBN DOI / ISBN (ebook) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Springer Spektrum Springer-Verlag GmbH Deutschland 2017 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Planung: Dr. Rainer Münz Springer Spektrum ist Teil von Springer Nature Die eingetragene Gesellschaft ist Springer-Verlag GmbH Deutschland Die Anschrift der Gesellschaft ist: Heidelberger Platz 3, Berlin, Germany

4 Vorwort Zur Entstehung dieses Lehrbuchs Dieses Lehrbuch hat sich aus einer Vorlesung mit dem Titel Organisch-chemische Methoden in der Molekularbiologie und Biochemie entwickelt, die ich an der Universität Wien für Studentinnen und Studenten der Chemie, Molekularbiologie, Mikrobiologie und Genetik sowie Biologischen Chemie seit dem Jahr 1999 jedes zweite oder dritte Semester gehalten habe. So ist es auch zu verstehen, dass ich mich bisweilen direkt an die Leserinnen und Leser wende oder die Formulierung wir verwende. Mich, als organischen Chemiker mit großem Interesse an der Biochemie, aber auch an physikalisch-chemischen und spektroskopischen Methoden, hat das Gebiet der bioorganischen Chemie, wie man es nennen könnte, schon lange fasziniert, sicher auch stark beeinflusst durch einen längeren Forschungsaufenthalt am Max-Planck-Institut für Biochemie, Martinsried, in den Jahren Daher hatte ich mich entschlossen, eine Vorlesung zu konzipieren, die die Bedeutung der Organischen Chemie für biologische und medizinische Themen beleuchtet und die für Studierende beider Lager (Chemie und Biologie) geeignet sein kann. Ich möchte noch einen anderen Aspekt hervorheben, der die Entstehung dieser Vorlesung und daher auch dieses Buches wesentlich geprägt hat. Schon seit meinem Studium der Chemie ( ) an der Universität Wien ist mir ein Manko an unserem universitären System immer wieder bewusst geworden: Man ist als Student(in) lange Jahre geplagt, sich seit Langem angehäuftes Wissen zu eigen zu machen und erst spät gelangt man an die Forschungsfront. Am Anfang des 20. Jahrhunderts war das wohl noch ganz anders. Damals wurden in Grundvorlesungen noch richtungsweisende Experimente gemacht diesen Eindruck hat man zumindest. Aber es ist mir auch immer bewusst gewesen, dass es nötig ist, ein gewisses Maß an Grundwissen zu haben, bevor man anfangen kann, wissenschaftlich mitzudenken und zu diskutieren. Da dieses Grundwissen immer größer wird, wächst auch dieses Dilemma immer mehr. Eine ideale Lösung dafür habe auch ich nicht gefunden. In dieser Vorlesung aber, die ja schon ein gewisses Grundwissen der Chemie, speziell der organischen Chemie und der Biochemie, voraussetzen kann, da sie ursprünglich für den zweiten Studienabschnitt eines Diplomstudiums und jetzt für Master-Studiengänge gedacht ist, sollte diese Möglichkeit gegeben sein. Aus v

5 vi Vorwort diesem Grund ist sie in zwei Teile gegliedert: einen methodischen ersten Teil, der aber auch schon neueste Entwicklungen in sich integriert, und einen zweiten Teil, in dem herausgegriffene Themen, Anwendungsbeispiele organisch-chemischer Methodik, anhand von Original literatur verfolgt und diskutiert werden. Zur Thematik des Lehrbuches Die Chemie, die hinter den Lebensprozessen steckt, hat nichts an ihrer Faszination eingebüßt, auch wenn wir heutzutage viel mehr davon verstehen als vor 50 Jahren. Man könnte sagen im Gegenteil es ist vieles noch spannender geworden, und wir sind sicher noch lange nicht am Ende dieser aufregenden Entdeckungsreise angelangt. Neu gewonnene Erkenntnisse müssen in der Folge in neue medizinische Therapien oder neue Wege in der Landwirtschaft umgesetzt werden, und die Aufklärung der Gehirnfunktionen wird sich auch in der Computertechnik auswirken. Und alles gemeinsam wird unser Verständnis von der gesamten Natur und der Menschheit immer wieder neu beeinflussen. Kein Wunder, dass die Studien der Biochemie, der Bioorganischen Chemie, der Biologischen Chemie, der Molekularbiologie, der Mikro biologie und Genetik, der Medizinischen Chemie und wie sie auch immer heißen mögen immer mehr Interessenten finden zum Beispiel wurde von Herbert Wald mann die Faszination des Gebietes der Biologischen Chemie in einem Review [Waldmann, H.: At the crossroads of chemistry and biology. Bioorganic & Medicinal Chemistry 11, (2003).] formuliert. Die Grundlage all dieser Wissenszweige ist einerseits die Chemie, und hier im Besonderen die Organische Chemie (die Chemie der Kohlenwasserstoffderivate), und andererseits die Biologie. In diesem Lehrbuch nun soll versucht werden, die wesentlichen Konzepte und Methoden der Organischen Chemie, die für diese Forschungsrichtungen relevant sind, vorzustellen und eingehender zu behandeln (Teil 1) und dann beispielhafte Anwendungen dieser Methodik aus der neueren Literatur zu diskutieren (Teil 2). Das soll einerseits Chemikern die Möglichkeiten der Methodenentwicklung für diese biologischen Fragestellungen aufzeigen und näherbringen und andererseits den Anwendern auf der eher biologisch orientierten Seite die Hintergründe und die Kapazitäten dieser Methoden vor Augen führen.

6 Inhaltsverzeichnis 1 Kurze Wiederholung grundlegender Konzepte der Allgemeinen und Organischen Chemie Basizität Azidität < >Nucleophilie Electrophilie Resonanz und Tautomerie Aromatizität und Heterocyclen Konfiguration Konformation... 6 Literatur... 8 Teil I Organisch-chemische Methoden, die allgemein in biologischen Fragestellungen Anwendung finden Chemische Eigenschaften der Biomoleküle eine Zusammenfassung Aminosäuren, Peptide, Proteine Kohlenhydrate Nucleinsäuren Lipide Literatur Methoden zur Synthese und Analyse von Peptiden und Proteinen Synthese von Peptiden Schutzgruppen in der Peptidsynthese Herstellung der Peptidbindung ( Kupplung ) Strategien zur Synthese längerer Peptide Abspaltung der Schutzgruppen und Reinigung Multiple Peptidsynthesen und Herstellung von Peptidbibliotheken Analyse von Peptiden und Proteinen Methoden zur Überprüfung der Homogenität (Reinheit) Massenspektrometrische Methoden Aminosäureanalyse (ASA) [amino acid analysis, AAA] vii

7 viii Inhaltsverzeichnis Peptidsequenzierung durch Edman-Abbau Analyse der Struktur von Peptiden und Proteinen Ein illustratives Anwendungsbeispiel für SPPS und Edman-Abbau Literatur Oligosaccharide (Kohlenhydrate) Oligosaccharidsynthesen Schutzgruppen für die Hydroxylfunktionen von Aldosen und Ketosen Herstellung der glycosidischen Bindung Automatisierte Oligosaccharidsynthesen Analyse von Oligosacchariden Zusammensetzung von Kohlenhydraten (glycosyl composition ) Verknüpfungsanalyse Sequenz von Oligosacchariden Anomere Konfiguration Strukturanalyse von Oligosaccharidketten Literatur Glycokonjugate, Glycoproteine Glycolipide Glycopeptide und Glycoproteine Glycoproteintypen Synthese von Glycopeptiden und Glycoproteinen Biosynthese der N-Glycoproteine Literatur Oligonucleotide und Nucleinsäuren DNA Sequenzierung DNA Sequenzierung nach Maxam-Gilbert Sanger-Methode Neuere Sequenzierungsmethoden (next-generation sequencing, NGS ) Oligonucleotidsynthesen Temporäre und permanente Schutzgruppen der Oligonucleotidsynthese Die Phosphoramidit -Methode Die Hydrogenphosphonat -Methode Synthese zyklischer Oligonucleotide Modifizierte Nucleinsäuren Modifizierungen am Kohlenhydratanteil Peptidnucleinsäuren (PNA)... 99

8 Inhaltsverzeichnis ix Modifizierungen an den Nucleobasen Unnatürliche Nucleinsäuren (XNA) Literatur Methoden zur Herstellung von Konjugaten Derivatisierung von Aminogruppen Amidbildung via Aktivester Thioharnstoffverknüpfung mit Isothiocyanaten Weitere Methoden Derivatisierung von Thiol-Funktionen (z. B. Cystein ) Herstellung stabiler Thioether Reversible Verknüpfung als Disulfide Derivatisierung von Alkoholen und Carbonylverbindungen Markierung von Alkoholen direkt oder nach Transformation Markierungen für Aldehyde und Ketone Selektive Verknüpfung von Aziden mit terminalen Alkinen ( Click -Reaktion) Konjugation über Aktivierung durch UV- oder sichtbares Licht Photoaffinitätsmarkierungen (photoaffi nity labeling ) Photochemische Konjugation an feste Oberflächen Bifunktionelle Konjugationsreagenzien Synthetische Anwendungen Analytische Anwendungen (in der MS) Biotin-Avidin (bzw. -Streptavidin), ein unzertrennliches Paar Beispiele und Zusammenfassung Literatur Teil II Ausgewählte Beispiele für die Anwendung organisch-chemischer Methoden in biologisch bedeutenden Fragestellungen Synthese von Lipopeptiden und Proteinkonjugaten zur Funktion des N -Ras-Proteins Synthese von Lipopeptiden des N-Ras-Proteins Semisynthese fluoreszenzmarkierter N-Ras-Proteine Pepticinnamin E : ein natürlicher Inhibitor der Ras-Farnesyl-Transferase Literatur Entwicklung synthetischer Vakzine auf Peptidbasis gegen Malaria Allgemeine Einleitung Kurze immunologische Einleitung Plasmodium falciparum der Erreger der Malaria Synthetische Vakzine auf Peptidbasis

9 x Inhaltsverzeichnis 9.2 Zwei Ansätze für ein Vakzin gegen das Circumsporozoit- Protein (CSP) Ein total synthetisches Vakzin auf Basis von Dendrimeren Kombination eines konformationell eingeschränkten CS- Antigens mit hoch immunogenen Virosomen Peptidbasierte Vakzine gegen Merozoiten Proteine der Merozoiten und ihre Funktion Mechanismen der Immunevasion der Merozoiten Der Versuch, konservierte essenzielle Bereiche der Merozoitenproteine immunogen zu machen Methoden zur Bestimmung der Immunreaktivität von Antisera und Antikörper Literatur Anwendungen modifizierter Oligonucleotide Gezielte Modifizierungen an den Nucleobasen zum besseren Verständnis der DNA-Doppelhelix nach dem Modell von Watson und Crick Nachweis von RNA (und DNA) durch speziell modifizierte Oligonucleotide ( Molecular Beacons u. a.) Hybridisierung mit fluoreszierenden Reagenzien Templatgesteuerte Reaktion bringt Fluorophor zum Leuchten Modifizierte Oligonucleotide zum Studium von Radikalen in der DNA Literatur Methoden zur Modifizierung von Proteinen Einführung nicht-natürlicher Aminosäuren Einbau nicht-natürlicher Aminosäuren über ein In-vitro - Proteinbiosynthese-System Prinzip der Methode Ein frühes Anwendungsbeispiel: Modifizierung eines Ras-Proteins Weitere Beispiele für In-vitro-Expression modifizierter Proteine Gezielter Einbau nicht-natürlicher Aminosäuren in Proteine durch In-vivo-Expression Prinzip der Methode Einbau einer Aminosäure für gezielte photochemische Vernetzung ( photo-cross-linking ) Einbau eines Serinanalogons mit reversibel blockierter Hydroxyfunktion zur Kontrolle der Proteinphosphorylierung Spezifische Einführung von posttranslationalen Modifizierungen am Lysin Weiterentwicklungen der In-vivo -Expression gezielt modifizierter Proteine Literatur

10 Inhaltsverzeichnis xi 12 Optimierung von Struktur-Aktivitäts-Beziehungen (SAR): Entwicklung von Inhibitoren und Agonisten Vom Peptid zum Peptidmimeticum: Aliskiren, der erste zugelassene Renininhibitor Blutdrucksenkende Wirkstoffe Entwicklung eines Inhibitors Strukturbasiertes Design zum ersten Renininhibitor Klinische Erfahrungen mit dem Renininhibitor Zur Synthese von Aliskiren Süßer Geschmack und Süßstoffe der Rezeptor und seine Agonisten Der Geschmack einer der fünf Sinne von Mensch und Tieren Strukturen süßer Geschmacksstoffe eine verwirrende Vielfalt Strukturelle Theorien für Süßstoffe Bitter oder süß oft nur die Frage von (S)- oder (R)-Konfiguration Die Wirkungsweise der süß schmeckenden Proteine Süßstoffe als Heilmittel gegen eine drohende Zunahme des Übergewichts? Literatur Stichwortverzeichnis