2. Der Angriff auf Polen
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- Laura Baumhauer
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2 I. Die Entfesselung des Krieges 2. Der Angriff auf Polen Eröffnung des Krieges mit einer Propagandalüge Q Hitler Im Morgengrauen des 1. September 1939 überfiel die deutsche Wehrmacht das Nachbarland Polen. Vermeintlich ging es um den Schutz der Volksdeutschen und die Beendigung der polnischen Übergriffe und Provokationen. Die SS hatte zuletzt einen angeblichen Überfall von Polen auf den deutschen Radiosender Gleiwitz inszeniert. Dahinter verbarg sich das Bemühen, die Entfesselung des Krieges als Akt der Notwehr zu tarnen und so die eigene Bevölkerung wie auch die Weltöffentlichkeit zu täuschen. Der Eindruck, dass es sich eigentlich nur um eine Art von Polizeiaktion handelte, sollte den Tabubruch, 20 Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkriegs wieder einen Krieg in Europa zu beginnen, verdecken und den Westmächten einen Vorwand liefern, ihre Verpflichtungen zum Schutz Polens zu suspendieren. in seiner Reichstagsrede am 1. September 1939 Quelle: Reichstagsprotokolle 1939/42/I, S. 48 Ein Wort habe ich nie kennengelernt. Es heißt: Kapitulation [ ] Der Umwelt aber möchte ich versichern: ein November 1918 wird sich niemals mehr in der deutschen Geschichte wiederholen. Q Paul Hitler war es aber letztlich gleichgültig, ob man ihm den propagandistischen Vorwand glaubte oder nicht. Der Sieger, so hatte er am 22. August 1939 vor den Oberbefehlshabern ausgeführt, werde später nicht nach der Wahrheit gefragt. Die französische und die britische Regierung ließen sich nicht täuschen. Sie verkündeten die Mobilmachung und richteten ein Ultimatum an Berlin. Hitler glaubte fest daran, mit seinem Vabanquespiel wieder einmal davonkommen zu können. So traf ihn die angekündigte Kriegserklärung der Westmächte am 3. September mit voller Wucht. Schmidt, Hitlers Chefdolmetscher, berichtet, wie er am 3. September 1939 in der Reichskanzlei die britische Kriegserklärung übersetzte Aus: Schmidt, Statist auf diplomatischer Bühne , S. 473f. Als ich geendet hatte, herrschte völlige Stille [ ] Wie versteinert saß Hitler da und blickte vor sich hin. Er war nicht fassungslos, wie es später behauptet wurde, er tobte auch nicht, wie es wieder andere wissen wollten. Er saß völlig still und regungslos an seinem Platz. Nach einer Weile, die mir wie eine Ewigkeit vorkam, wandte er sich Ribbentrop zu, der wie erstarrt am Fenster stehen geblieben war. Was nun?, fragte Hitler seinen Außenminister mit einem wütenden Blick in den Augen, als wolle er zum Ausdruck bringen, dass ihn Ribbentrop über die Reaktion der Engländer falsch informiert habe. Ribbentrop erwiderte mit leiser Stimme: Ich nehme an, dass die Franzosen uns in der nächsten Stunde ein gleichlautendes Ultimatum überreichen werden [ ] Göring dreht sich zu mir um und sagte: Wenn wir diesen Krieg verlieren, dann möge uns der Himmel gnädig sein! 10 Unerwarteter Zweifrontenkrieg Umso mehr kam es darauf an, die Kampfhandlungen auf polnischem Gebiet rasch zu beenden, jeden Widerstand rücksichtslos zu brechen und die Bil-
3 Der Angriff auf Polen dung einer Untergrundbewegung in Polen nach historischen Vorbildern zu verhindern. Dadurch wurde die Wehrmacht frei, um durch einen Aufmarsch an der Westgrenze die an sich kritische Zweifrontensituation zu entschärfen und vielleicht doch noch eine Verständigung mit den Westmächten zu erreichen. Es hatte ein europäischer Krieg begonnen, der sofort globale Konsequenzen zeigte (Kriegserklärung der britischen Dominions und Kolonien). Da aber die beiden Flügelmächte USA und UdSSR neutral blieben, gewann dieser Krieg militärisch noch keine weltweiten Dimensionen. Eine Blitzkriegs-Armee war die Wehrmacht zu diesem Zeitpunkt nicht. Deutschland hatte 4,6 Millionen Mann mobilisiert. Von den 103 Divisionen des Feldheeres sicherte knapp die Hälfte (43 Infanteriedivisionen) die Westgrenze, gestützt auf den notdürftig vollendeten Westwall mit seinen Bunkerlinien, die vom Saargebiet bis zur Schweizer Grenze reichten. Für die Risikophase von etwa vier Wochen waren 55 Großverbände, darunter alle 4 Panzerdivisionen, im Osten gebunden. Die französische Armee hatte etwa gleich starke Kräfte mobilisiert (5 Millionen Mann mit 94 Divisionen), die in der Deckung der gigantischen Maginot-Linie aufmarschierten. Ihre Schlagkraft war nicht geringer als die deutsche, doch fehlte es in Paris an der Entschlossenheit, der Wehrmacht entgegenzutreten. Mit dem Eintreffen des britischen Expeditionskorps wurden weitere Mann gegen die Deutschen in Stellung gebracht, ein Drittel der in Großbritannien 1939 mobilisierten Kräfte (1,3 Millionen Mann). Polen schickte ebenfalls 1,3 Millionen Mann ins Feld. Die britische Stärke lag in der Flotte. Gegen ihre 15 Schlachtschiffe (plus 7 französische) konnte die deutsche Kriegsmarine unter der Führung des Großadmirals Erich Raeder lediglich 2 Schlachtschiffe einsetzen. Selbst auf dem Sektor der U-Boote bestand auf Seiten der Alliierten eine Überzahl. Diese hatten vor Görings Luftwaffe einen übertriebenen Respekt, was vom Zahlenverhältnis her aber nicht gerechtfertigt war (4093 Frontflugzeuge gegen 3195 auf britisch-französischer Seite). Angesichts der fieberhaften Rüstungsbemühungen der Westmächte, die von amerikanischer Seite unterstützt wurden, war in diesem Bereich zudem eine rasche Verbesserung zu erwarten. Um ihre Kräfte für den zu erwartenden Zusammenstoß mit der Wehrmacht zu erhalten, entschlossen sich die Alliierten, entgegen ihrer Zusage an die Polen keinen massiven Angriff gegen den deutschen Westwall zu führen. Die tapfer kämpfende, technisch aber hoffnungslos veraltete polnische Armee wartete vergeblich auf die versprochene Entlastung aus dem Westen. Ihr Defensivkonzept einer linearen Rundumverteidigung erwies sich als illusionär. Nur wenigen Truppen gelang es, sich hinhaltend kämpfend auf das Zentrum, die Festung Warschau, durchzuschlagen. Hier wollte man sich behaupten, bis ein alliierter Angriff im Westen die Deutschen zum Abzug ihrer stärksten Verbände zwingen würde. Doch stattdessen fiel ab 17. September die Rote Armee den Polen in den Rücken. Warschau kapitulierte nach mehr als zweiwöchiger Belagerung am 27. September, nachdem schwere Luftangriffe den Widerstandswillen der Verteidiger gebrochen hatten. Am 6. Oktober ergaben sich die letzten Truppenteile. Etwa Mann konnten über Rumänien ausweichen und schlossen sich den französischen Streitkräften an. Sie bildeten den Kern Wehrmacht ist zum Weltkrieg nicht gerüstet Westmächte opfern Polen 11 I.
4 I. Die Roten Armee sichert Stalins Beute Massenmord und sowjetisches Okkupationsregime NS-Rassenpolitik und Annexion polnischer Gebiete 12 Die Entfesselung des Krieges einer neuen Armee, die von der polnischen Exilregierung unter General Władyslaw Sikorski in London aufgestellt wurde. Die in Ostpolen dislozierten Reservearmeen gerieten zumeist in sowjetische Gefangenschaft. Lange hatte Berlin Stalin zum Eingreifen gedrängt, um eigene Truppen für die Verlegung nach Westen freizubekommen. Als die Rote Armee mit dem Einmarsch in jene Gebiete begann, die Hitler Stalin als sowjetisches Interessengebiet zugesichert hatte, tolerierten die Westmächte diesen Schritt, obwohl sie im März den Bestand Polens garantiert hatten. Sie wollten es nicht riskieren, durch eine Kriegserklärung an das verhasste Stalin-Regime ihre strategische Position noch weiter zu verschlechtern. Das unnatürliche Bündnis zwischen Hitler und Stalin konnte nicht von langer Dauer sein. Stalin zögerte nun nicht mehr, sondern wollte Schritt für Schritt auch andere Nachbarstaaten unterwerfen, die ihm Hitler ausgeliefert hatte. Unter massivem diplomatischem Druck zwang er die baltischen Republiken, der Einrichtung von sowjetischen Stützpunkten zuzustimmen. Dann wandte er sich gegen Finnland, das sich seinen Gebietsforderungen in Karelien verweigerte. Im finnisch-sowjetischen Winterkrieg erlitt die weit überlegene Rote Armee, die hier 1,2 Millionen Mann mit 3000 Panzern einsetzte, schwere Verluste gegen die rund finnischen Soldaten. Nur mit Mühe konnte Moskau der finnischen Regierung unter Marschall Mannerheim am 13. März 1940 einen Annexionsfrieden aufzwingen. Finnland verlor 10 Prozent seines Territoriums und musste Flüchtlinge aus Karelien aufnehmen. Das Schicksal Polens blieb nicht lange unklar. Erneute Verhandlungen Ribbentrops in Moskau führten am 28. September 1939 zum deutsch-sowjetischen Grenz- und Freundschaftsvertrag. In verschiedenen Zusatzprotokollen, Briefen und Erklärungen wurden weitere Gebietsfragen und politische Probleme geklärt. Die Diktatoren teilten Polen gleichmäßig untereinander auf. Das härteste Schicksal erlebten zunächst die Menschen im sowjetischen Besatzungsgebiet. Die Sowjetisierung wurde als Klassenkampf organisiert, dem die bürgerlichen Eliten, vorwiegend polnischer Nationalität, zum Opfer fielen. Weil auch Stalin keine offizielle Kriegserklärung ausgesprochen hatte, wurden die entwaffneten polnischen Soldaten als Verbrecher behandelt und in Straflager deportiert. Offiziere, Geistliche, Gutsherren und andere Klassenfeinde ermordete der NKVD. Katyn wurde später zum symbolischen Ort für diesen Massenmord, den die sowjetische Propaganda 50 Jahre lang leugnete. Die Gräber waren bereits 1943 von den Deutschen entdeckt und für ihre Propaganda genutzt worden. Erst das Ende des Sowjetimperiums machte den Weg für die Wahrheit seit 1990 frei. Im Zuge der territorialen Umgestaltung wurden die 1919 abgetrennten preußischen Gebietsteile dem Reich wieder einverleibt. Zusammen mit weiteren polnischen Westprovinzen bildeten sie die eingegliederten Ostgebiete. Den größten Zusammenschluss stellte der neue Gau Wartheland dar, der als Vorreiter für die geplante Germanisierung galt. Aus diesen annektierten Gebieten sollte die polnische Bevölkerung in verschiedenen Wellen zwangsweise vertrieben werden. Teile wurden eingedeutscht und durch volksdeutsche Umsiedler verstärkt, die nach den Absprachen mit Sta-
5 Der Angriff auf Polen lin aus dessen Einflussbereich auswandern durften. Es war der Beginn einer planmäßigen Siedlungspolitik, für die das besetzte Polen zum Experimentierfeld wurde. Obwohl die Besatzungspolitik der Nationalsozialisten klaren ideologischen Vorgaben folgte, blieb sie stets widersprüchlich und wurde in den unterschiedlichen Territorien mit teils erheblichen internen Konflikten umgesetzt. Zentralpolen wurde als Beuteland betrachtet und als Generalgouvernement dem Reich angegliedert. Die Regierung unter Hans Frank mit Sitz in Krakau übernahm die Aufgabe, die polnische Kultur und Nationalität zu verdrängen, die durch die Deportationen aus den annektierten Gebieten rasch wachsende Bevölkerung auf einem unteren Lebensstandard zu halten und als Sklavenarbeiter dem Reich zur Verfügung zu stellen. Gleich nach Kriegsbeginn hatte die SS begonnen, polnische Führungskräfte und Aktivisten zu ermorden sowie unsystematische Pogrome und Massentötungen an der jüdischen Bevölkerung durchzuführen. Solange es eine starke Militärverwaltung im Lande gab, kam es wiederholt zu Protesten von Befehlshabern und Soldaten. Die Heeresführung ließ sich aber von Hitler abweisen und hielt sich auffällig zurück. Generaloberst Johannes Blaskowitz, Oberbefehlshaber Ost, in einer Denkschrift zur militärpolitischen Lage vom 6. Februar 1940 Aus: Klemp, Freispruch für das Mord-Bataillon, S Der schlimmste Schaden jedoch, der dem deutschen Volkskörper aus den augenblicklichen Zuständen erwachsen wird, ist die maßlose Verrohung und sittliche Verkommenheit, die sich in kürzester Zeit unter wertvollem deutschen Menschenmaterial wie eine Seuche ausbreiten wird. Wenn hohe Amtspersonen der SS und Polizei Gewalttaten verlangen und sie in der Öffentlichkeit belobigen, dann regiert in kürzester Zeit nur noch der Gewalttätige. Überraschend schnell finden sich Gleichgesinnte und charakterlich Angekränkelte zusammen, um, wie es in Polen der Fall ist, ihre tierischen und pathologischen Instinkte auszutoben. Es besteht kaum noch Möglichkeit, sie im Zaum zu halten, denn sie müssen sich mit Recht von Amtswegen autorisiert und zu jeder Grausamkeit berechtigt fühlen. Q I. Für die deutsche Kriegführung wurde Polen zu einer wichtigen Drehscheibe, zunächst als Rückendeckung für den Aufmarsch gegen Frankreich, dann ein Jahr später gegen die UdSSR. Im Winter 1939/40 trafen die ersten sowjetischen Hilfslieferungen ein. Stalin war bereit, mit großen Mengen an Getreide, Mineralöl und anderen kriegswichtigen Rohstoffen die deutsche Kriegführung zu unterstützen. Großzügige Kredite wurden im Rahmen eines neuen Handelsvertrags gewährt, der Deutschland im Gegenzug dazu verpflichtete, durch die Lieferung modernster Rüstungstechnologie und Anlagen die sowjetische Aufrüstung zu fördern. So intensivierte die UdSSR die Partnerschaft mit dem Reich, obwohl sie offiziell neutral blieb. Stalin unterstützt Hitlers Kriegführung 13
6 I. Die Entfesselung des Krieges 3. Die Ausweitung des Krieges 14 Kriegspläne der Westmächte Ausgreifen nach Norwegen Die Westmächte richteten sich derweil auf den deutschen Angriff ein. Sie vertrauten auf den Schutz der Maginot-Linie und wollten an der Peripherie aktiv werden. So trafen sie Vorbereitungen, ein Hilfskorps für die Finnen notfalls auch ohne Zustimmung der betroffenen Regierungen in Norwegen landen und durch Nordschweden marschieren zu lassen. Damit wäre zugleich Hitler von dieser lebenswichtigen Rohstoffregion abgeschnitten und der Blockadering enger gezogen. Parallel dazu wurden auch Luftangriffe auf die Ölquellen des Kaukasus erwogen, um eine Offensive der Wehrmacht mit sowjetischem Treibstoff zu erschweren. Wie in Paris verschärften sich auch in London die internen Gegensätze. Churchill forderte als Erster Lord der Admiralität mehr Kompetenzen und eine aktivere Kriegführung gegen Deutschland. Sein Plan, vor Narvik Minensperren zu legen und damit die deutschen Frachter zu treffen, die über den eisfreien Hafen im Winter schwedisches Eisenerz abholten, fand Zustimmung. In Berlin beobachtete die Marineführung die Entwicklung mit Besorgnis. Sie war selbst daran interessiert, ihre Operationsbasis nach Norden auszudehnen und damit die Nord- und Ostsee besser kontrollieren zu können. Nordeuropa zählte in den Planungen für eine deutsche Großraumwirtschaft ohnehin zu den unverzichtbaren Positionen, so wie auch Hitlers Visionen eines Großgermanischen Reiches wie selbstverständlich die wertvollen nordgermanischen Blutsquellen umfassten. Hitler setzte General Nikolaus v. Falkenhorst ein, um mit einem Sonderstab ein mögliches Eingreifen vorzubereiten. Das Unternehmen erhielt den Decknamen Weserübung. Die schwierigen geographischen und klimatischen Verhältnisse erzwangen eine sorgfältige Planung. Die Hauptkräfte stellte die Kriegsmarine, die alle verfügbaren Einheiten einzusetzen bereit war. Heer und Luftwaffe blieben auf die bevorstehende Offensive gegen Westeuropa konzentriert. Am 7. April begann der deutsche Flottenaufmarsch, der ein hohes Risiko barg. Der von der Sowjetunion begrüßte Coup gelang im ersten Teil. Mit Beginn der Landungen am 9. April in Norwegen und angesichts drohender Luftangriffe beschloss die dänische Regierung, keinen Widerstand zu leisten. Die Besetzung des Landes und die Demobilisierung seiner Armee vollzogen sich ohne Reibungen. Hitler entsandte einen Reichsbevollmächtigen nach Kopenhagen, der von einem Wehrmachtbefehlshaber unterstützt dafür sorgte, dass sich Dänemark in den deutschen Machtbereich einfügte und seine Ressourcen dem Reich zur Verfügung stellte. Auf eine ähnliche Entwicklung hoffte man in Berlin auch im Hinblick auf Norwegen. Doch Regierung, Parlament und König zogen sich ins Landesinnere zurück und organisierten den militärischen Widerstand. Die Briten besetzten unterdessen die dänischen Färöer-Inseln, später auch Island, gewannen so eine bessere Kontrolle des Nordatlantiks, verpassten aber mit ihrer Homefleet den deutschen Hauptverband. Sie landeten ihrerseits Truppen in der Nähe von Drontheim, in Namsos und Andalsnes. Die Deutschen stießen auf schnell wachsende Schwierigkeiten. Der Vormarsch im Landesinne-
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