Wissenswert Tierporträt: Mauersegler. von. Diemut Klärner. Hessischer Rundfunk hr2-kultur. 3. Mai 2010, 08.

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1 Hessischer Rundfunk hr2-kultur Redaktion: Dr. Regina Oehler Wissenswert Tierporträt: Mauersegler von Diemut Klärner 3. Mai 2010, Uhr, hr2-kultur : Anke Oldewage COPYRIGHT: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der Empfänger darf es nur zu privaten Zwecken benutzen. Jede andere Verwendung (z.b. Mitteilung, Vortrag oder Aufführung in der Öffentlichkeit, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verteilung oder Zurverfügungstellung in elektronischen Medien, Übersetzung) ist nur mit Zustimmung des Autors/ der Autoren zulässig. Die Verwendung zu Rundfunkzwecken bedarf der Genehmigung des Hessischen Rundfunks.

2 Seite 2 Die schrillen Schreie der Mauersegler. Hoch über den Dächern erklingen sie, manchmal aber auch so dicht am Fenster, dass sie den Lärm der Straße übertönen. Auf den ersten Blick könnte man Mauersegler leicht mit Schwalben verwechseln, mit ihren schmalen, sichelförmig gebogenen Flügeln. Tatsächlich sind die Mauersegler aber viel näher mit den Kolibris verwandt. Apus apus ist ihr wissenschaftlicher Namen. Dr. Klaus Richarz von der Staatlichen Vogelschutzwarte in Frankfurt: O-Ton M01 Wenn man das übersetzt, heißt das der Fußlose oder Beinlose. Und das scheint auch so. In der Luft sieht man natürlich seine Füße nicht, und wenn er am Boden sitzt, was höchst selten vorkommt, dann sieht man davon auch sehr wenig. Sie sind also sehr verkümmert, sehr zurückgebildet. Und das zeigt schon, dass er sich vorzugsweise in der Luft aufhält.

3 Seite 3 Ob die Mauersegler pfeilschnell um die Häuserblocks schwirren oder tausend Meter höher den Luftraum durchstreifen - sie treiben ein vogelfreies Leben auf die Spitze. Oft fliegen sie Tag und Nacht, ohne jemals einen Fuß auf den Boden zu setzen. Außerhalb der Brutzeit haben die Mauersegler ohnehin kein festes Quartier, O-Ton M02 sondern sie sind praktisch dauernd unterwegs und fliegen bis Südafrika, um dann wieder umzukehren und sich langsam wieder unseren Breiten zu nähern. Klaus Richarz sieht Mauersegler zu jeder Jahreszeit. Dieser Vogel schmückt nämlich das Logo der Staatlichen Vogelschutzwarte in Frankfurt. O-Ton M03 Auf jedem Briefkopf der Vogelschutzwarte fliegt er vorneweg, in jeder Publikation und auf unserer Homepage. Und da darf man sich und muss man sich fragen, warum ausgerechnet der Mauersegler? Wir haben den sehr bewusst gewählt, weil er ja der Vogel unter den Vögeln ist und außerdem noch ein ausgesprochener Großstadtbewohner.

4 Seite 4 Passt zu Frankfurt also perfekt. Atmo Mauersegler 2 Städte sind für die Mauersegler deshalb so attraktiv, weil es dort für sie viele Nistplätze gibt. Ursprünglich hat der Mauersegler sein Nest in Baumhöhlen gebaut oder in Felsspalten. Doch hierzulande hat er seinen Lebensstil grundlegend geändert. Er wurde zu einem modernen Vogel, dem Gebäude als Ersatz für Felswände dienen. Mit dem Häuschen im Grünen können die Mauersegler allerdings nicht viel anfangen, drei bis vier Stockwerke sollten es schon sein. Am liebsten ist ihnen ein Quartier in dieser Höhe dann, wenn sich dort schon der eine oder andere Mauersegler eingenistet hat. Atmo Mauersegler 3

5 Seite 5 O-Ton M04 Und trotzdem sind die durchaus, wenn es um die Verteidigung ihres Nestes geht, äußerst aggressiv. Und dann setzen sie auch die scheinbar nicht vorhandenen Füße sehr geschickt ein. An ihren zierlichen Füßen tragen die Mauersegler nämlich lange, spitze Krallen. Damit können sie in Felsspalten herumklettern oder sich an Hauswänden festklammern. Wenn die Mauersegler dann bemerken, dass sich unter der Dachtraufe ein Spalt auftut, können sie dort hineinschlüpfen und ein Nest bauen. O-Ton M05 Und da kommt er natürlich in Konflikt mit unserer neuen Bauweise. Es entstehen weniger Ritzen an Gebäuden, weniger Spalten, und alte Gebäude werden - Gott sei dank, muss man sagen - aus Energiegründen saniert, wärmegedämmt, Ritzen werden verschlossen, unter den Dachsparren wird alles abgedeckt. Und da hat er einfach Nistplatznot. Zumal er noch ein weiteres Problem hat: Er ist absolut brutplatztreu. Das heißt, obwohl er ein Fernreisender ist, kehrt er an die Stelle zurück und genau an dieses Nest, das er im letzten Jahr benutzt hat.

6 Seite 6 Wenn ein Mauersegler dann den Zugang zu seinem alten Nest versperrt findet, muss er sich notgedrungen nach einer anderen Bleibe umschauen. O-Ton M06 Heute hat er natürlich das Problem, dass er mit dieser glatten Bauweise - Glas, Beton, Stahl - so gut wie nichts anfangen kann. Aber man kann dem Mauersegler unter die Flügel greifen. Nämlich mit speziellen Nistkästen. Lang und flach bieten sie die dunklen Winkel, in denen sich die Mauersegler wohlfühlen. Solche Nistkästen kann man an der Fassade von Häusern montieren, am besten gleich reihenweise. Das machen auch die Leute von der Mauersegler-Initiative Frankfurt. Unterstützt werden sie dabei von zwei großen Naturschutzverbänden, dem Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland und dem Naturschutzbund.

7 Seite 7 O-Ton M07 In Frankfurt hat man so schon für über tausend Segler Wohnraum geschaffen. Wenn es darum geht, die Mauersegler mit passenden Nistkästen zu versorgen, engagiert sich Klaus Richarz auch ganz privat. Er wohnt in einem alten Fachwerkhaus, das er vor einigen Jahren liebevoll renoviert hat. O-Ton M08 Und ich habe den Mauerseglern an meinem Haus dann, nachdem es fertig war, Kästen angeboten. Und die sind auch alle besetzt, und ich muss jetzt im kommenden Jahr anbauen. um noch mehr Mauerseglern eine Unterkunft bieten zu können. Wenn die Vögel in rasantem Tempo an den Hauswänden vorbeifliegen, dann ist es für sie allerdings gar nicht so einfach, neuen Wohnraum zu entdecken.

8 Seite 8 O-Ton M09 Aber man kann sie anlocken mit ihren Rufen. Und zwar geschieht das so, man spielt eine CD mit Mauersegler-Rufen ab, das am besten so im Juni etwa. Da gibt es nämlich noch eine Reihe von Tieren, die keinen Partner gefunden haben oder alles schon besetzt ist. Und die suchen immer noch. Und wenn die dann in Trupps da umherfliegen und hören diese Rufe, dann schauen die mal nach. Und so habe ich das auch gemacht. Ich habe in der Nähe meiner neuen Kästen, die ich angebracht habe, diese CD abspielen lassen. Und dann sind die angeflogen gekommen in den Innenhof und haben da nachgeschaut. Und die Kästen waren natürlich leer, luden also zum Bleiben ein. Ein Mauerseglerpärchen ist kurzentschlossen auch gleich eingezogen, und im nächsten Frühjahr wurden dann noch mehr Nistkästen besetzt. Verglichen mit anderen Zugvögeln kommen die Mauersegler erst ziemlich spät aus dem Süden zu uns zurück, gewöhnlich erst Ende April oder Anfang Mai, zur Zeit der Nachtigallen. Atmo Nachtigall

9 Seite 9 Wenn die Mauersegler nicht gerade brüten oder ihre Jungen versorgen, dann fliegen sie. O-Ton M10 Und das ist nun ein Phänomen, das uns Menschen natürlich also völlig verblüfft. Einmal haben wir alle den Traum vom Fliegen. Den können wir teilweise, indem wir halt Flugzeuge konstruieren, uns erfüllen oder auch durch Ultraleichtflieger oder Gleitschirme. Aber dass man quasi permanent in der Luft bleiben kann, ist fast unglaublich. Und das wurde auch lange Zeit abgestritten. Aber das machen die Mauersegler so, die steigen dann sehr hoch auf in ruhige Luftschichten bis 3000 m Höhe, und dann schlafen die sogar auch in der Luft Abends kann man sie oft beim Schlafengehen beobachten. Dann fliegen Scharen von Mauerseglern höher und höher, bis sie außer Hörweite sind und schließlich auch außer Sichtweite. Dort oben schlafen sie dann auf ihre Weise. Bei einer gemäßigten Fluggeschwindigkeit von etwa 30 Kilometern pro Stunde ruht sich mal die eine Gehirnhälfte aus, mal die andere. Mit dem Schlaf eines

10 Seite 10 Menschen, der sich behaglich ins Bett kuschelt, hat das wenig zu tun. Doch für die Mauersegler ist das offenbar erholsam genug. Es zeigt, wie sehr sich diese Vögel im Luftraum zu Hause fühlen. O-Ton M11 Und die paaren sich sogar in der Luft, auch die Kopulation findet irgendwie in der Luft statt. Wobei für lange Liebesspiele keine Zeit bleibt, die Paarung ist in wenigen Sekunden erledigt. So bemerkenswert das alles auch scheinen mag, Mauersegler sind nicht die einzigen Vögel, die ihr Leben im Flug verbringen. Weltweit tummeln sich Dutzende von nahe verwandten Seglerarten. In Mitteleuropa sind es allerdings nur drei: O-Ton M12 Es gibt neben unserem heimischen Mauersegler in Mitteleuropa noch den Alpensegler - der ist eine Nummer größer als der Mauersegler - und dann noch den Fahlsegler. Und ansonsten ist er verwandt mit den Salanganen, das sind also auch so schwalbenähnliche Tiere, die in Höhlen leben und deren Nester man essen kann in chinesischen Suppen.

11 Seite 11 Diese sogenannten Schwalbennester bestehen aus Spucke, zähflüssigen Speichelklümpchen, die an der Luft rasch trocknen, und sonst nichts. Beim Kochen wird diese eigenartige Delikatesse dann wieder weich und damit essbar. Auch der Mauersegler braucht viel Spucke, um ein Nest zu bauen. Mit Speichel klebt er zusammen, was er sich im Flug aus der Luft gefischt hat: Blättchen und Hälmchen, Haare und Federn. Solches Baumaterial wird nur zu Beginn der Brutzeit gesammelt. Mücken, Blattläuse und andere kleine Insekten sind dagegen immer gefragt. In welchen Luftschichten am meisten zu holen ist, das wissen die Mauersegler anscheinend genau. O-Ton M13 Deswegen sieht man sie natürlich bei warmem Wetter oft kaum noch mit bloßem Auge, weil sie da sehr hoch jagen. Und ähnlich wie die Schwalben, wenn es also ein bisschen feuchter ist und der Insektenflug ist niedriger, dann jagen sie auch dichter über Grund.

12 Seite 12 Wie aber fängt der Mauersegler seine fliegende Beute? Auf den ersten Blick wirkt sein Schnabel winzig klein, weil nur die äußerste Spitze aus dem Gefieder hervorschaut. Tatsächlich hat der Mauersegler aber einen Schnabel mit verblüffend großem Fassungsvermögen. O-Ton M14 Und den kann er also aufmachen und kann durchaus eine ganze Menge Insekten - ja fast in der Luft käschern, möchte ich sagen. Und wenn er dann seine Jungen versorgt, dann fliegt er nicht, wie wir das von den Meisen kennen oder auch von den Spatzen, mit so ein, zwei Happen im Schnabel zurück zum Nest, um die Jungen zu füttern und dann wieder neue Nahrung zu suchen. Sondern die Insekten, die er sammelt, die werden zu einem ganzen Futtertpellet zusammengefügt und eingespeichelt, also ein Riesenbrocken. Vergleichsweise, wenn wir unsere Babys also mit so einem Französischen Weißbrot am Stück füttern würden. Junge Mauersegler kommen mit ihren großen Futterportionen mühelos klar. Dafür gibt es oft nur eine einzige Mahlzeit am Tag - und bei Regenwetter gar keine.

13 Seite 13 Atmo Regen Wenn die Eltern zu wenig Insekten fangen, dann müssen die Nestlinge auf die Fettpolster zurückgreifen, die sie sich in guten Zeiten angefuttert haben. Klaus Richarz kennt noch einen weiteren Trick, mit dem die jungen Mauersegler schlechte Zeiten überstehen können. O-Ton M15 Wenn es also wenig zu fressen gibt, fallen die auch in so eine Art Kältestarre. Dadurch sparen die entsprechend Energie. Wenn das schlechte Wetter allzu lange anhält, dann kann es allerdings vorkommen, dass die jungen Mauersegler im Nest verhungern. In guten Jahren können dagegen aus den zwei bis drei Eiern, die im Nest liegen, auch zwei bis drei Junge heranwachsen.

14 Seite 14 Bevor ein Mauersegler dann flügge wird, muss er gewöhnlich abspecken. Schließlich sollen die Flügel keine zu große Last tragen. Außerdem müssen die Nestlinge fleißig ihre Flugmuskeln trainieren: Deshalb schlagen sie immer wieder heftig mit den Flügeln. Manchmal drücken sie die Flügel sogar so kräftig nach unten, dass sie ihren Körper dabei aus der Nestmulde stemmen. Sie stehen dann praktisch nur noch auf ihren Flügeln, machen also fast so eine Art Handstand. Wenn sie etwa sechs Wochen alt sind, halten sie bei dieser sportlichen Übung mehr als zehn Sekunden durch. O-Ton M16 und sind dann voll flugfähig und voll fit, wenn die das erste Mal ausfliegen - im Gegensatz zu vielen kleinen Singvögeln, die ja noch so ein bisschen unbeholfen auf Ästen rumspringen und dann noch außerhalb des Nests gefüttert werden. Das funktioniert bei Mauerseglern alles nicht, die müssen schon ausgereifte Flieger sein. Denn es gibt kein Zurück. Ein Nest sehen die jungen Mauersegler erst dann wieder, wenn sie selber eins bauen. In der Zwischenzeit verbringen sie ihr Leben im Flug, bis Ende Juli über unseren Städten, dann nehmen sie Abschied und fliegen nach Afrika.