thür inger MUSEUMSHEFTE Titelthema: Was ist ein modernes Museum?

Transkript

1 thür inger MUSEUMSHEFTE Titelthema: Was ist ein modernes Museum?

2 Originalquellen erkunden und forschendes Lernen Der Erinnerungsort Topf & Söhne Die Ofenbauer von Auschwitz Erfurt erhält den Museumspreis der Sparkassen-Kulturstiftung Hessen-Thüringen 2014 Die mit Museumsexperten bundesweit besetzte Jury würdigt mit dieser Auszeichnung insbesondere die museumspädagogische Konzeption des Erinnerungsortes. Die ausgestellten Materialien ließen sehr deutlich erkennen, so die Jury, dass trotz des Wissens um die Verwendung der Öfen in Auschwitz innerbetrieblich ein produktionstechnischer Wettbewerb entstanden sei, der keine Rückkoppelung an ethische oder moralische Fragen gehabt habe. Es sei eine besondere Leistung der mit erheblichem bürgerschaftlichen Engagement ins Leben gerufenen Einrichtung, die Frage nach persönlicher Verantwortung auch in die Gegenwart zu übertragen. Von besonderer Bedeutung sei dabei, dass dieser Ort weder ein Täter- noch ein Opferort ist, sondern ein ehemaliger Produktionsstandort, dessen Vertriebsschienen überall hin, aber eben auch nach Auschwitz reichten. Zitat aus einem Geschäftsbrief nach Auschwitz auf den Informationsstelen (links) und am ehemaligen Verwaltungsgebäude. (Foto: Kastner Pichler Architekten) Die Firmengeschichte Die Erfurter Firma J. A. Topf & Söhne (gegr. 1878) produzierte ab 1914 Feuerbestattungsöfen, die eine besonders pietätvolle Einäscherung ermöglichten und sehr erfolgreich waren. Gleichwohl blieb dieser Produktionsbereich immer klein und erbrachte nur wenige Prozente des Umsatzes im Gesamtunternehmen. Als die SS ab 1939 Öfen verlangte, mit denen die Leichen der Ermordeten in den Konzentrationslagern beseitigt werden sollten, entwickelte und baute Topf & Söhne auch diese Öfen. Sie widersprachen allen gesetzlichen Vorgaben und waren wie Anlagen für die Kadaververnichtung konstruiert. Topf & Söhne lieferte in die Konzentrationslager Buchenwald, Dachau, Auschwitz Stammlager, Mauthausen, Gusen und Groß-Rosen bauten die Nationalsozialisten Auschwitz-Birkenau zum Zentrum des Völkermordes an den europäischen Juden und an den Sinti und Roma aus. Nun konzipierte die SS die Krematorien wie Todesfabriken. Tötung und Leichenbeseitigung wurden unter einem Dach zusammengefasst und sollten ohne Unterbrechung, möglichst schnell, billig und brennstoffsparend vonstattengehen. Um dies zu bewerkstelligen, war die SS auf zivile Experten angewiesen, die keine Skrupel hatten, sich in die praktischen Probleme der Vernichtung hineinzudenken. Erst die leistungsstarken Öfen von Topf & Söhne erlaubten der SS, die Spuren ihres Menschheitsverbrechens zu verwischen. Und nur die Lüftungstechnik von Topf & Söhne ermög- 50

3 lichte in den nicht auf natürlichem Wege zu entlüftenden Gaskellern, dass diese im Dauerbetrieb als Mordeinrichtungen betrieben werden konnten. Die beteiligten Ingenieure reagierten mit dem Konzipieren neuer Anlagen, auch in eigener Initiative und ohne ausdrücklichen Auftrag der SS, unmittelbar auf die Radikalisierung des Mordens in den Lagern mit neuen technischen Lösungen. Die Dauerausstellung Techniker der Endlösung Der Erinnerungsort Topf & Söhne ist ein Geschichtsmuseum der Landeshauptstadt Erfurt. Es handelt sich um die einzige historische Stätte, an der an einem ehemaligen Firmensitz die Mittäterschaft von Technikern und Kaufleuten am Massenmord in den nationalsozialistischen Konzentrations- und Vernichtungslagern gezeigt und belegt wird. In der Dauerausstellung Techniker der Endlösung werden Schlüsseldokumente zum Holocaust aus dem Betriebsarchiv sowie aus Auschwitz und Moskau gezeigt. Ausgestellte Fotos und Sachzeugnisse dokumentieren die Firmengeschichte. Berichte von Häftlingen bezeugen, was den Menschen in Auschwitz angetan wurde. In Buchenwald 1997 geborgene Aschekapseln und die zu Lumpen zerschlissene letzte Habe von Häftlingen auf den Todesmärschen von Auschwitz-Birkenau nach Buchenwald sind als stumme Zeugnisse zu sehen. Die Ausstellung thematisiert auch die Nachgeschichte der Leugnung, Verdrängung und Strafverschonung sowie die späte und erkämpfte Erinnerung bis zur Eröffnung des Erinnerungsortes am 27. Januar Blick in die Ausstellung Techniker der Endlösung in den ehemaligen Zeichensälen. (Foto: Boris Hajdukoviç) Forschendes Lernen. Pädagogik am Erinnerungsort Indem der Erinnerungsort die Mitwisser- und Mittäterschaft eines normalen Unternehmens thematisiert, stellt sich für die Besucher die oft unbequeme Frage nach der persönlichen Verantwortung im eigenen beruflichen Alltag. Die Bildungsangebote, die von zweistündigen Führungen durch die Ausstellung bis hin zu Mehrtagesprojekten mit Kooperationspartnern reichen, ermöglichen Jugendlichen, Originalquellen zu erkunden und Mittäterschaft, Erfahrungen der Opfer sowie individuelle Motive und Handlungsspielräume am konkreten Beispiel nachzuvollziehen. Die angeleitete Beschäftigung mit historischen Quellen und das forschende Lernen sind in allen Angebotsformaten zentrale Arbeitsmethoden. Die Jugendlichen 51

4 Kleingruppenarbeit im Seminarraum Recherche in originalgetreuen Quellen. (Foto: Boris Hajdukoviç) werden ermutigt, sich selbst ein historisches Urteil zu bilden, dieses mit der eigenen Lebensrealität in Beziehung zu setzen und die Frage nach der eigenen Verantwortung heute zu reflektieren. Bei der Betrachtung der Firmengeschichte von Topf & Söhne geht es zunächst nicht um das unermessliche Grauen und den Terror in den SS-Lagern, sondern um eine scheinbar vertraute Normalität, um alltägliche, eigentlich unverdächtige Motive wie persönliche Anerkennung und innerbetriebliche Konkurrenz. Während im Geschichtsunterricht eher Makrogeschichte dominiert, steht bei der Beschäftigung mit der Firmengeschichte von Topf & Söhne die Betrachtung einzelner Personen in ihrem gewöhnlichen Alltag im Zentrum. Diesen akteurszentrierten Zugang zur Thematik bewerten die an den Führungen und Projekten teilnehmenden Jugendlichen besonders positiv. Irritierend und interessant für sie ist, dass mitgebrachte Geschichtsbilder, die eine Beteiligung am Holocaust aus der Mitte der Gesellschaft relativieren, exkulpieren oder leugnen, infrage gestellt und dekonstruiert werden. Dazu ein 16-jähriger Teilnehmer nach einem Projekt: Das sind eigentlich alltägliche Geschichten. Die Mitarbeiter von Topf haben täglich in ihrem Betrieb gearbeitet und nicht darüber nachgedacht, was sie mit ihrer Arbeit eigentlich bewirken. Das ist das Fatale an dem Ganzen, dieses unreflektierte Arbeiten, einfach auszublenden, dass es Menschenleben kostet. Im Endeffekt haben ja alle daran mitgewirkt, dass dieses Regime so menschenverachtend gehandelt hat. Annegret Schüle und Rebekka Schubert Während einer Führung durch die Ausstellung. (Foto: Boris Hajdukoviç) Weitere Informationen unter: 52

5 Kontakt Museumsverband Thüringen e. V. Brühler Straße Erfurt Telefon (0361) Telefax (0361)