Kalk-Stroh-Matratze: Wie die Praxis urteilt

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1 Kalk-Stroh-Matratze: Wie die Praxis urteilt Immer mehr Betriebe richten im Anbindestall Tiefboxen ein, um den Liegekomfort für die Kühe zu erhöhen. Der LANDfreund hat zwei Praktiker nach ihren Erfahrungen befragt. Aufstehen und Abliegen, was die Diplomandin darauf zurückführt, dass die Klauen der Kühe einen besseren Halt auf der Strohmatratze haben und sich die Tiere darauf sicherer fühlen. Weniger haarlose Stellen an den Gelenken Sarah Alder hat die Kalk-Stroh-Matratzen in ihrer Bachelor-Arbeit untersucht. Hier mit Vater Heini Alder, der jetzt auf die Tiefbox für den Anbindestall schwört. Foto: M. Götz Die Diplomandin hat ausserdem auf mehreren Betrieben untersucht, ob sich Gummimatte und Kalk-Stroh- Matratze auch bezüglich Schäden am Tier unterscheiden. Bei Kühen auf einer Kalk-Stroh-Matratze fand sie deutlich weniger haarlose Stellen sowie weniger Wunden und Entzündungen an Sprunggelenken und Knien als bei Kühen auf einer Gummimatte. Neben ihren eigenen Versuchen befragte sie fünf Landwirte nach ihren Erfahrungen mit der Kalk-Stroh-Matratze. Danach sind auch bei den Zellzahlen keine negativen Auswirkungen auf der Kalk- Stroh-Matratze zu erwarten. «Das hat sich auch in meinen Untersuchungen so bestätigt», fasst die Diplomandin zusammen. Haarlose Stellen oder Abschürfungen an den Beinen sind insbesondere bei Kühen, die in Anbindeställen gehalten werden, keine Seltenheit. Schuld daran sind oft zu harte Liegeflächen aus Gummi oder Beton. Damit ihre Kühe komfortabler liegen können, bauen deshalb immer mehr Betriebe die Anbindestände zu Tiefboxen mit einer Kalk-Stroh-Matratze um. Sie wird aus Kalk, Stroh und Wasser hergestellt. Damit sie hält, ist hinten am Stand lediglich eine Aufkantung nötig. Die ersten Praxiserfahrungen sind sehr positiv. Und auch die ersten wissenschaftlichen Ergebnisse zum Einsatz von Kalk-Stroh-Matratzen im Anbindestall bestätigen die Aussagen der Praktiker. Sarah Alder hat zu diesem Thema ihre Bachelor-Arbeit an der Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften HAFL in Zollikofen erstellt. Bessere Leistung und Gesundheit Dazu hat sie auf einem Betrieb, der zwölf Kühe auf Gummimatten und zwölf Kühe auf Kalk-Stroh-Matratzen hielt, das Tierverhalten beobachtet und zahlenmässig erfasst. «Die tägliche Gesamtliegedauer war auf der Kalk-Stroh-Matratze fast zwei Stunden länger als auf der Gummimatte», berichtet Sarah Alder. Die Kühe auf der Strohmatratze benötigten ausserdem weniger Zeit zum Fazit Sowohl der Versuch als auch die Umfrage zeigen, dass Kalk-Stroh-Matratzen wesentlich mehr Kuhkomfort bieten. Dadurch fördern sie die Tiergesundheit und erlauben den Tieren, ihr Leistungspotenzial besser auszuschöpfen. Die befragten Landwirte gaben allerdings auch an, dass sie zum Aufbau und zur Pflege der Kalk-Stroh- Matratze etwas mehr Arbeit aufwenden müssen als bei der Gummimatte. «Die gestiegene Milchleistung und die bessere Gesundheit sollte ein Landwirt, der am Wohl seiner Tiere interessiert ist, mehr gewichten als den leicht erhöhten Unterhaltsaufwand», leitet Sarah Alder als Empfehlung für die Praxis ab. Dr. Michael Götz 44 Landfreund 12/2012

2 Der Matratzen-Pionier aus Bächli Heini Alder hat als einer der ersten die Tiefbox in seinem Stall installiert. Die Tiergesundheit hat profitiert. Die Kühe von Heini und Heidrun Alder in Bächli bei Hemberg (SG) lagen früher auf einer eingestreuten Gummimatte im Anbindestall. Fast alle hatten Schürfungen oder haarlose Stellen an Sprunggelenken, Knien oder vorne an den Karpalgelenken. Das kam daher, dass die Beine vor allem beim Aufstehen auf dem Gummi gerieben haben. Mit der Zeit rieben sich die Haare ab, es kam zu Infektionen und Entzündungen. Pionierarbeit geleistet Von Kühen in Laufställen wusste Heini Alder, dass es bessere Liegeflächen gibt als die relativ harten Gummimatten. «Ist so etwas auch im Anbindestall möglich?», fragte er sich. Sowohl Christian Manser, Bauberater am Landwirtschaftlichen Zentrum St.Gallen (LZSG), als auch sein Bestandestierarzt empfahlen ihm, es doch mit einer Kalk-Stroh-Matratze zu probieren. In Anbindeställen in Kanada habe man damit gute Erfahrungen gemacht. Kalk wirke desinfizierend, und das Stroh sauge den Harn auf, erklärten die Berater. «Wir haben zuerst mit drei Liegeplätzen angefangen», berichtet Heini Alder. Er montiert hinten und an den Seiten der Standplätze 25 cm hohe, massive Bretter an und füllte die Mulde mit einem Gemisch aus Kalk, Stroh und Wasser. Zuerst entwickelte sich das Gemisch nicht zu einer festen Matratze, sondern wurde immer mehr zu einer matschigen Masse. «Die Kühe standen zu weit nach vorne und harnten auf das Strohbett», hat Heini Alder beobachtet. Der erfinderische Landwirt konstruierte in der Folge einen individuell einstellbaren Nackenbügel, damit die Kühe zum Koten und Harnen zurücktreten müssen. Da immer etwas Harn in das Stroh gelangt und mit der Zeit von dort verdunstet, ist eine gute Stalllüftung besonders wichtig. Der Landwirt hatte schon vor dem Einbau der Matratze die Fenster im deckenlastigen Anbindestall ausgehängt, so dass dank viel frischer Luft die Kalk-Stroh-Matratze gut abtrocknen kann. Die Tiere liegen geradeaus gerichtet auf der Kalk-Stroh-Matratze. Alle haben Platz. Zeitgleich mit der Einrichtung der Kalk-Stroh-Matratze entfernte der Landwirt die Böckli und band die Kühe am Stopprohr statt wie früher an einer Spreizkette an. Die Kühe liegen gerade Auch die Abtrennbügel zwischen jeweils zwei Lägern entfernte er. «Liegen die Kühe dann nicht kreuz und quer über dem Läger?», fragten ihn viele Berufskollegen verwundert. «Sie liegen immer gerade», bekräftigt der Landwirt. Keine müsse stehen, weil eine Nachbarin schräg auf dem Läger läge. Der Landwirt führt das darauf zurück, dass die Kühe erstens einen festen Stand auf dem Strohbett und zweitens genügend Platz für den Kopfschwung haben. Foto: H. Alder Landfreund 12/

3 Foto: M. Götz Die Kalk-Stroh-Matratze bietet eine weiche Liegefläche. Die Läger sind 1.95 m lang und zwischen 1.10 und 1.30 m breit. Gegenüber früher könne er die Kühe jetzt viel leichter am Stopprohr an- und losbinden, erklärt der Landwirt. Ausserdem kann er diese Arbeit jetzt von vorne erledigen und muss sich dazu nicht mehr zwischen die Kühe zwängen. Im Stall hat es keinen Kuhtrainer. Auf dem Biobetrieb wäre zwar ein pneumatischer Bügel, der die Kuh beim Koten und Harnen am Widerrist nach hinten drückt, zugelassen. Doch auch diese Steuerung wollte der Betriebsleiter nicht, da sie die Tiere einenge und teuer sei. Ihm genüge der Nackenbügel. Die Kühe lassen sich einfach am Stopprohr anund losbinden. Damit lässt sich zwar nicht erreichen, dass das Läger ganz sauber und trocken bleibt, aber mit angemessener Handarbeit ist dies machbar. Den Kot schiebt der Landwirt über das Stroh in den dahinter liegenden Schwemmkanal. Den Harn saugt das Strohbett auf. Es gäbe etwas mehr Arbeit als früher, gesteht der Landwirt zu, da er nicht nur Stroh und Kalk einstreuen, sondern auch manchmal das Strohbett wieder einebnen müsse. Dafür rechnet er mit täglich etwa zehn Minuten Mehrarbeit für seine 14 Kuhplätze. Wie bei einem Tretmistbett «krieche» immer etwas Mist über Foto: H. Alder die hintere Brettkante auf den Schwemmkanal. Diesen Mist fährt der Landwirt mit der Karrette weg. Da er nicht nur Gülle, sondern auch Mist möchte, macht auch diese zusätzliche Arbeit für ihn Sinn. Das richtige Material Heini Alder hat seine Kalk-Stroh-Matratze im Juni 2011 eingerichtet und seither nicht mehr entfernt. Offensichtlich hat sich ein Gleichgewicht zwischen der Zufuhr von neuer Einstreu, dem Abfliessen des Tretmistes und dem Verrotten in der Matratze eingestellt. Nachdem der Landwirt das Strohbett mit nassem Langstroh aufgebaut hat (siehe Kasten), verwendet er später trockeneres Material. Einmal in der Woche mischt er Stroh und Kalk und gibt Wasser als Bindemittel dazu. Die Werkzeuge im Futtermischwagen reissen das Langstroh auf, so dass es besser sauge als intakte Strohhalme, erklärt Heini Alder. Die Messer schneiden zwar das Langstroh, aber häckseln es nicht. Stroh-Kalkverhältnis 2:1 Solches Stroh bilde eine kompaktere Matratze als Häckselstroh, das bei Druck leicht nachgäbe und «vermuse», meint der Pionier der Kalk-Stroh- Matratze. Jede Woche mischt er Stroh und Kalk im Gewichtsverhältnis von etwa 2:1. Er verwendet relativ viel Kalk, da es guten Dünger für seine eher sauren Böden gäbe, erklärt er. Das richtige Verhältnis müsse jeder Landwirt für sich herausfinden. Er empfiehlt feinen, kohlensauren Kalk zu verwen- Foto: Götz So sieht die im Futtermischwagen vorbereitete Einstreu aus. Aufbau einer Kalk- Stroh-Matratze Nach dem Entfernen der Gummimatte wird an der Hinterkante ein massives Brett montiert und die Tiefbox mit dem Kalkstroh- Gemisch aufgefüllt. Das Gemisch besteht je Läger aus 50 kg Langstroh, 200 kg kohlensaurem Kalk und 100 Liter Wasser. Zum Mischen eignet sich ein Futtermischwagen. Es gibt auch Fertigmischungen. Die Einstreu wird mit einem Betonstampfer oder Plattenvibrator festgestampft. 46 Landfreund 12/2012

4 den, da es damit keine Ablagerungen im Schwemmkanal gäbe. Manche Landwirte wollen ein Läger, das sie abspritzen können, ergänzt Tochter Sarah, die als angehende Agronomin die Entwicklung der Matratze wissenschaftlich begleitet hat (siehe Kasten). Doch diese Art von Hygiene sei gar nicht notwendig, da der Kalk in der Matratze desinfizierend wirke. Mit den Zellzahlen hatte der Betrieb nie Probleme; sie sind mit dem Einbau der Matratze etwa gleich geblieben, aber die Kühe hätten weniger Euterprobleme als früher. Die Zeit seit dem Einbau der Tiefbox sei aber noch zu kurz, um den Einfluss auf die Eutergesundheit definitiv beurteilen zu können. Fazit «Die Kühe liegen länger und geben mehr Milch» «Die Kalk-Stroh-Matratze ist eine gute Sache. Jeder, der sie korrekt eingebaut hat, bleibt dabei und möchte nicht mehr ohne. Der Mehraufwand für die Pflege der Matratze zahlt sich bestimmt aus, da die Kühe länger liegen. Kühe, die eine Stunde länger liegen, geben einen Liter mehr Milch pro Tag. Die Klauen sind gesünder, Zitzenverletzungen nehmen massiv ab, und nicht zuletzt wird es für rangniedere Tiere angenehmer im Stall, weil Foto: privat sich dominante Kühe schneller hinlegen.» Christian Manser, Bauberater am Landwirtschaftlichen Zentrum St.Gallen Seit Heiner Alder die Tiefbox eingebaut hat, zeigt kein Tier mehr eine haarlose Stelle oder eine Verletzung an den Beinen. «Den Tieren ist es wohler, sie haben gesunde Klauen und sie werden älter», ist der Landwirt überzeugt. Die Klauengesundheit sei deutlich besser als früher. Die Klauen seien härter, was den Schnitt vereinfache. Weiches Liegen, gesündere Klauen und das Freisein von Schmerzen wirken sich nicht nur auf das Wohlbefinden der Tiere, sondern auch auf die Milchleistung positiv aus, meint der Landwirt. Dafür nehme er die Mehrarbeit für die Pflege der Strohmatratze gerne in Kauf.

5 Matratze mit trockenem Langstroh Jürg Reicherter hat mit trockenem Langstroh beim Aufbau der Matratze gute Erfahrungen gemacht. Jürg Reicherter möchte nicht mehr auf die Kalk- Stroh-Matratze verzichten. Jürg Reicherter aus Frümsen (SG) hat vor vier Jahren ebenfalls eine Kalk- Stroh-Matratze im Anbindestall eingerichtet. Wie Heini Alder entschied auch er sich aufgrund des Tierwohls dafür. Obwohl seine Kühe über eine mit Schaumstoff gefüllte Komfortmatte verfügten, kamen immer wieder geschwollene Sprunggelenke vor. Diese seien auf der Kalk-Stroh-Matratze verschwunden, berichtet der Landwirt. Und nicht nur das. «Seit wir die Strohmatratze haben, schlafen die Tiere richtig», fügt er hinzu. Er hat beobachtet, dass die Kühe auf der weichen Unterlage entspannter und ruhiger liegen und dass sie nach der Fütterung schneller abliegen. Täglich einstreuen Im Unterschied zu Alder verwendet Jürg Reicherter zum Aufbau der Matratze nur trockenes Langstroh und im hinteren Bereich auch Kalk. Zuerst befestigte er ein starkes, 30 cm hohes Brett mit Hilfe von Winkeleisen auf dem Rost des Schwemmkanals und stapfte dann mit den Füssen die Mulde mit Langstroh aus, bis es «topfeben» war. Täglich streute er sauberes Langstroh ein, bis sich eine kompakte Matratze gebildet hatte. Mist verwendete er dafür nicht. Im hinteren Bereich streut er körnigen Kalk auf das Stroh, etwa eine gute Handvoll je Tier und Tag. Anfangs habe die Reinigung viel Arbeit benötigt, erzählt der Landwirt, da es wegen des Langstrohs viel Mist gab. Seitdem er Strohmehl statt Langstroh verwende, müsse er bei den 24 Kuhplätzen täglich nur noch ein bis zwei Karretten Mist wegfahren und benötige deutlich weniger Stroh. Dennoch hat auch er mit der Strohmatratze insgesamt mehr Arbeit als früher. Der Landwirt schätzt den Mehraufwand auf etwa eine halbe Stunde pro Tag. Doch dieser Mehraufwand lohne sich. «Ich bin zu hundert Prozent überzeugt, dass die Kühe ein bis zwei Liter mehr Milch geben als auf der Gummimatte.», sagt Jürg Reicherter Kühe erziehen Wie bei Heini Alder hat es auch im Stall von Jürg Reicherter keine Trennbügel zwischen den Liegeplätzen. Die Lägerbreite beträgt 1.30 m, und die Kühe sind über eine lange Kette am Nackenrohr angebunden. So werden sie weder beim Aufstehen noch beim Abliegen von der Anbindung behindert und müssen den Kopf nicht abwinkeln. Doch auch eine gewisse Erziehung sei notwendig, damit die Kühe nicht schräg abliegen. Dazu legt er manchmal auch einen Balken zwischen zwei Kuhplätze. Da das Läger 2.10 m lang ist, kommt es trotz Kuhtrainer öfters vor, dass eine Kuh auf die Strohmatratze kotet und harnt. Trotzdem musste auch Reicherter die Matratze noch nie auswechseln. Kot auf der Matratze zieht er mit einem Handschieber auf den Rost, der Harn wird vom Strohmehl und Kalk aufgesaugt. Damit es keine Mulden gibt, ebnet der Landwirt das Strohbett mit einem Grasrechen aus. Die Matratze ist so kompakt, dass die Klauen der Kühe sie nicht aufbrechen. «Ich gäbe sie nümmer» Anfangs hatte er versucht, aus Gärsubstrat eine Matratze aufzubauen, doch das Ergebnis war Morast. Mit der neuen Variante ist der Landwirt zufrieden. «Ich bin begeistert und gäbe sie nümmer», sagt er nach vier Jahren Erfahrung damit. Dr. Götz Fotos: Götz Die Kühe stehen etwas erhöht auf dem Läger (links). Das Brett hinten an der Matratze lässt sich einfach mittels eines Winkeleisens befestigen. Man schweisst dieses auf den Gitterrost und schraubt es an das Brett (rechts). 48 Landfreund 12/2012

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