Kontext, Referenz und Bedeutung

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1 Albert Newen Kontext, Referenz und Bedeutung Eine Bedeutungstheorie singulärer Terme Ferdinand Schöningh Paderborn - München - Wien - Zürich

2 Die Deutsche Bibliothek CIP-Einheitsaufnahme Newen, Albert: Kontext, Referenz und Bedeutung: eine Bedeutungstheorie singulärer Therme / Albert Newen. Paderborn; München; Wien; Zürich: Schöningh, 1996 Zugl.: Bielefeld, Univ., veränd. Diss., 1994 ISBN X Gedruckt auf umweltfreundlichem, chlorfrei gebleichtem und alterungsbeständigem Papier ISO Ferdinand Schöningh, Paderborn (Verlag Ferdinand Schöningh GmbH, Jühenplatz D Paderborn) Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk sowie einzelne Teile desselben sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen ist ohne vorherige schriftliche Zustimmung des Verlages nicht zulässig. Printed in Germany. Herstellung: Ferdinand Schöningh, Paderborn ISBN X

3 Einleitung Eine Bedeutungstheorie zu entwickeln, ist in erster Linie ein Projekt der sprachanalytischen Philosophie. Allerdings zeigt sich bei der Ausarbeitung, daß damit einige Anforderungen aus der Linguistik und der Philosophie des Geistes eng verbunden sind. So ist es zum einen erforderlich, als Prüfstein für eine Bedeutungstheorie die sprachlichen Phänomene in linguistischer Manier möglichst umfassend und adäquat zu erfassen, damit man eine Theorie für ein empirisches Phänomen erstellen kann und kein Luftschloß konstruiert. Zum anderen zeigt sich bei der Klärung der Anforderungen, die an eine Bedeutungstheorie gestellt werden sollen, daß die Repräsentation von geistigen Zuständen, z. B. von Wünschen und Überzeugungen, die Personen zum Ausdruck bringen, eine wichtige Rolle spielen. Bei dem Versuch Wünsche und Überzeugungen adäquat zu repräsentieren, ist man jedoch sofort mit Fragen zur Philososphie des Geistes konfrontiert. Diese habe ich nur insoweit einbezogen, als sie für die Ausarbeitung der Bedeutungstheorie relevant sind. Das erste wesentliche Merkmal dieser Arbeit ist die Konzentration der Untersuchungen auf Gegenstandsbezeichnungen, die sogenannten singulären Terme. Zu diesen gehören Eigennamen, Kennzeichnungen und Indikatoren (Pronomina und andere Für-Wörter). Die singulären Terme erweisen sich als besonders schwer in eine Bedeutungstheorie integrierbar. So scheitert zum Beispiel Freges Bedeutungstheorie daran, daß sie die Bedeutung von Indikatoren nicht erfassen kann, ohne eines der Prinzipien seiner Theorie von Sinn und Bedeutung zu verletzen (Siehe Kapitel 4). Die Fortschritte, die durch die Arbeiten von Rudolf Carnap und in den letzten Jahrzehnten vor allem von Saul Kripke, David Kaplan und John Perry erzielt wurden, machen es jedoch möglich, neue Wege zur Lösung alter Probleme zu beschreiten. Die Diskussion der Leitfrage, was die Bedeutung singulärer Terme (d. h. von Gegenstandsbezeichnungen) ist, hat sich in den letzten zwanzig Jahren zunehmend auf Untersuchungen zu Indikatoren, d. h. insbesondere auf Personal- und Demonstrativpronomina, konzentriert. Dabei rückte das Phänomen der Kontextabhängigkeit in den Vordergrund. Die vorliegende Arbeit knüpft an diese Diskussion an, wobei ein neuer Weg beschritten wird: Die Aufgabe anzugeben,

4 12 Kontext, Referenz und Bedeutung was die Bedeutung eines Indikators ist, wird in zwei Teilaufgaben aufgeteilt. Zum einen soll geklärt werden, wie das Referenzobjekt eines Indikators festgelegt wird, und zum anderen, was der semantische Wert eines Indikators ist. Die erste Anforderung wird durch eine neue Theorie der Referenzfestlegung (die interpretative Theorie der Referenzfestlegung) erfüllt, die zweite durch eine neue Theorie des semantischen Werts (die Vektortheorie der Bedeutung). Die Vektortheorie der Bedeutung stützt sich auf eine ausführliche Kritik der jüngsten Vorschläge zur Theorie der direkten Referenz (Kaplan, Recanati) und auf eine Weiterentwicklung der Modelle zur Repräsentation des Gehalts von Überzeugungen (Perry, Stalnaker, Lewis). Die Vektortheorie der Bedeutung wird zunächst für Indikatoren entwickelt und dann so erweitert, daß auch Eigennamen und Kennzeichnungen einbezogen werden. Damit bekommt das zentrale Problem der Bedeutung singulärer Terme eine neue Lösung. Die Vektortheorie der Bedeutung ist eine Bedeutungstheorie für singuläre Terme, die im Rahmen einer Erfüllungsbedingungen-Semantik entwickelt wurde. Mit der Vektortheorie der Bedeutung soll einer Reihe von klassischen Phänomenen Rechnung getragen werden, nämlich 1. informativen Identitätsaussagen, 2. wahren negativen Existenzaussagen, 3. nicht-widersprüchlichen Überzeugungen trotz oberflächlich widersprüchlicher Äußerungen und 4. Modalaussagen der Form,Es ist notwendig, daß p'. Die neueren Ansätze für eine Bedeutungstheorie lassen sich grob in zwei Lager aufteilen. Die Neo-Fregianer berücksichtigen vor allem die ersten drei Phänomene, indem sie Varianten einer Beschreibungstheorie der Bedeutung vertreten. Die Neo-Russellianer beachten vor allem die Modalaussagen und tragen diesen durch eine Objekttheorie der Bedeutung Rechnung (d. h. die Bedeutung eines singulären Terms ist das von dem Ausdruck bezeichnete Objekt). Dadurch entsteht ein Dilemma, denn Beschreibungstheorien der Bedeutung können prinzipiell nicht den Modalaussagen gerecht werden, während Objekttheorien der Bedeutung die ersten drei Phänomene nicht erklären können. Mit der Vektortheorie der Bedeutung läßt sich dieses Dilemma vermeiden. Ein entscheidender Zug ist das Aufgeben der Hintergrundannahme, daß ein Satz in einem bestimmten Äußerungskontext genau eine Überzeugung ausdrückt. Grundsätzlich wird der Zusammenhang von Sätzen, Äußerungen und Überzeugungen neu beschrieben: Ein Satz, der in einem Kontext geäußert wird, drückt gleichzeitig mehrere Überzeugungsinhalte aus. Welcher der Überzeugungsinhalte jeweils der relevante ist, wird durch zwei Faktoren bestimmt: zum einen durch die Verwendungsweise der sprachlichen Ausdrücke und zum anderen durch die Interessen des Interpreten einer Äußerung. Die verschiedenen Möglichkeiten, der Äußerung eines Satzes einen Inhalt zuzuordnen, können durch unterschiedliche Ebenen zur Charakterisierung von Überzeugungen repräsentiert werden.

5 Einleitung Bei der Ausarbeitung einer Theorie der Referenzfestlegung und einer Bedeutungstheorie für singuläre Terme lege ich auf die folgenden Punkte besonderen Wert: * Der Ausgangspunkt für die Bedeutungstheorie ist ein theoretischer Rahmen, in dem sowohl Sprecherintentionen als auch Sprachkonventionen ihren Platz haben. Beide Aspekte ermöglichen es erst zusammen mit dem Prinzip der hermeneutischen Billigkeit, für kontextabhängige Äußerungen eine angemessene Interpretation anzugeben. Eine Bedeutungstheorie, die diesen Rahmen akzeptiert, nenne ich eine,interpretative Bedeutungstheorie'. * Die Bedeutungstheorie orientiert sich an den Adäquatheitskriterien für eine Erfüllungsbedingungen-Semantik. Die Kriterien werden explizit angegeben, um die Anforderungen klar abzustecken. * Die Grundlage der Bedeutungstheorie für Indikatoren ist eine interpretative Theorie der Referenzfestlegung. Sie fügt sich gut in den Rahmen der interpretativen Bedeutungstheorie ein. * Die Kritik an Freges Theorie des Sinns für Indikatoren stützt sich auf eine Diskussion indexikalischer Überzeugungen, während die Kritik an der Theorie der direkten Referenz die Vernachlässigung von wichtigen Verwendungsweisen von Indikatoren anmahnt. * Eine wichtige Grundlage der neuen Theorie der Bedeutung ist die These, daß sich die mit einem Satz in einem Kontext ausgedrückte Überzeugung auf mehrere, gleichberechtigte Arten charakterisieren läßt. * Die Vektortheorie der Bedeutung für Indikatoren als konstruktiver Vorschlag läßt sich auf Eigennamen und Kennzeichnungen ausdehnen und bewährt sich mit Blick auf die erwähnten Anforderungen. Die Bedeutung eines Indikators hinsichtlich einer Verwendungsweise für eine Äußerung angeben, heißt gemäß der Vektortheorie der Bedeutung, vier gleichberechtigte Aspekte der Bedeutung angeben, die in einem Vektor zusammengefaßt werden. * Die Leistungsfähigkeit der Vektortheorie der Bedeutung zeigt sich u. a. darin, daß sie angrenzende philosophische Probleme in ein neues Licht zu rücken und zu lösen vermag. Dazu gehören die Analyse von Zuschreibungen propositionaler Einstellungen, die Zuschreibungen von De Se-Überzeugungen und das Problem des Anti-Individualismus.