Olaf Groh-Samberg. Armut, soziale Ausgrenzung und Klassenstruktur

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1 Olaf Groh-Samberg Armut, soziale Ausgrenzung und Klassenstruktur

2 Olaf Groh-Samberg Armut, soziale Ausgrenzung und Klassenstruktur Zur Integration multidimensionaler und längsschnittlicher Perspektiven

3 Bibliografische Information der deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über < abrufbar. D 6 1. Auflage 2009 Alle Rechte vorbehalten VS Verlag für Sozialwissenschaften GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2009 Lektorat: Katrin Emmerich/ Jens Ossadnik VS Verlag für Sozialwissenschaften ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: Krips b.v., Meppel Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in the Netherlands ISBN

4 Für Bianca, Antonia und Hedda

5 Vorwort Die empirische Messung von Armut ist ein voraussetzungsreiches Unterfangen. Sie ist angewiesen auf ein präzises theoretisches Konzept von Armut, in das stets auch theoretische Prämissen und normative Wertungen eingehen. Zugleich ist jede empirische Umsetzung von Armutskonzepten mit Messfehlern unterschiedlicher Art konfrontiert. Das macht die Armutsberichterstattung so streitbar: Jede Zahl, die ins Spiel gebracht wird, um die Armut in Deutschland dingfest zu machen, ist angreifbar, sei es weil man ihre theoretischen und normativen Grundlagen nicht teilt, oder weil man die empirische Datengrundlage und Validität der Armutsmessung in Frage stellt. Die vorliegende Arbeit versucht, durch die Verknüpfung monetärer und nichtmonetärer Indikatoren und den Einbezug der zeitlichen Dimension die Validität der Armutsmessung zu erhöhen und die differenzierten Erscheinungsformen von Armut und Prekarität besser zu erfassen. In der Tradition der soziologischen Armutsforschung stehend, geht es dabei weniger darum, die Armut in einer einzelnen Zahl dingfest zu machen. Das hier vorgestellte Armutskonzept versucht vielmehr, sowohl den sozialpolitischen wie den ungleicheitssoziologischen Anforderungen an die Armutsberichterstattung Rechnung zu tragen. Damit, und mit der Thematisierung des Verhältnisses von Armut und sozialer Ungleichheit, soll nicht zuletzt ein Beitrag zur aktuellen Diskussion um die nationale Armutsberichterstattung, aber auch zur breiteren, oftmals stark feuilletonistisch gefärbten Diskussion um Armut, Prekarität und Klassenungleichheiten geleistet werden. Diese Arbeit ist auch in ganz praktischer Hinsicht ein voraussetzungsreiches Unterfangen, das ohne die vielfältige Unterstützung, die ich erfahren habe, nicht möglich gewesen wäre. Mein Dank gilt zunächst den KollegInnen und FreundInnen am und um das Institut für Soziologie in Münster, die die Entstehung und Entwicklung dieser Arbeit mit Rat, Kritik und Ermunterung begleitet haben: unter anderen Matthias Grundmann, der diese Arbeit wissenschaftlich betreut hat, sowie Daniel Dravenau, Wolfgang Lauterbach, Christoph Weischer und Wichard Puls, die mir konzeptuelle Hinweise und methodische Hilfestellungen gegeben haben. Wichtige Impulse habe ich freilich auch außerhalb von Münster erfahren. Ulrich Bauer und Berthold Vogel haben durch fruchtbare Diskussionen auf die Konzeption der Arbeit gewirkt. Methodische Anregungen sowie die Möglichkeit zur Auswertung des europäischen Haushaltspanels verdanke ich einem von EPUNet finanzierten Forschungsaufenthalt am Institute for Social and Economic Research in Essex. Hans- Jürgen Andreß danke ich für seine intensive Auseinandersetzung mit der Arbeit und seine produktive Kritik. Ein ganz besonderer Dank gilt Carsten Keller. Er hat diese Arbeit in allen Stadien mit Rat und Kritik begleitet, und die langjährigen gemeinsamen Forschungen und Diskussion zu Fragen der Armut und sozialen Ungleichheit haben sie entscheidend geprägt. Die Abschlussphase dieser Arbeit fiel bereits in die ersten Monate meiner Mitarbeit am Sozio-oekonomischen Panel in Berlin. Meine neuen Kolleginnen und Kollegen haben die Fertigstellung der Arbeit auf vielfältige und höchst angenehme Weise beflügelt: durch

6 8 Vorwort wertvolle finale Hinweise, interessierte Diskussionen und die positive Motivation, zum Ende zu kommen. Dafür sei ihnen herzlich gedankt. Zuletzt möchte ich meiner Familie danken. Mein Vater hat den Abschluss dieser Arbeit nicht mehr erlebt. Die große Loyalität, die er mir zeitlebens entgegengebracht hat, ist nicht selbstverständlich dafür danke ich ihm, wie ebenso meiner Mutter, die viel zu allem beigetragen hat. Erlebt haben den Abschluss dieser Arbeit, obwohl auch das anders geplant war, meine beiden Töchter, Antonia und Hedda. Ihnen, und meiner Frau Bianca, ist diese Arbeit gewidmet: als Dank für Ihre unvergleichliche Unterstützung und Inspiration, als Entschuldigung für die verlorene Zeit, und überhaupt für alles. Münster, Berlin Oktober 2008

7 Inhalt Verzeichnis der Abbildungen...12 Verzeichnis der Tabellen...13 Einleitung Teil I: Armut und soziale Ungleichheit. Grundlagen und Konzepte der Armutsberichterstattung Armutsberichterstattung zwischen Sozialpolitikberatung und Ungleichheitsforschung Entstehung und Merkmale der Armutsberichterstattung Zur Definition und Messung von Armut Zur Analyse und Interpretation der Armutsentwicklung in Deutschland Zusammenfassung: Anforderungen der Armutsberichterstattung Multidimensionale Armutskonzepte: Ressourcen und Deprivationen Zur Geschichte und Interpretation der EU-Definition von Armut Der Deprivationsansatz Gibt es eine objektive Armutsschwelle? Der Ansatz von Peter Townsend Die direkte Messung erzwungener Deprivation Probleme der Erfassung des Lebensstandards als Gesamtkonfiguration Der mismatch zwischen Einkommens- und Deprivationsarmut Jenseits des Ressourcen-Deprivationen-Nexus: Lebenslagen- und Exklusionsansatz Zeitlichkeit und Prekarität: Zur Kritik der dynamischen Armutsforschung Die Bremer Sozialhilfestudie Verzeitlichung und soziale Entgrenzung : ein neues Armutsbild? Ausmaß und Bedeutung der Kurzzeitarmut Zusammenfassung Probleme der Längsschnittanalyse von Armut aus multidimensionaler Perspektive Armut und Prekarität: Ungleichheitssoziologische Differenzierungen Armut und soziale Ungleichheit Zur Integration multidimensionaler und längsschnittlicher Perspektiven Wechselwirkung statt Kausalnexus: Zur Integration von Deprivations- und Lebenslagenansatz Zur Abgrenzung von Armut: Armut und soziale Ungleichheit...115

8 10 Inhalt Teil II: Zonen der Armut und der Prekarität Datenbasis und Analysesetting Datenbasis: Das Sozio-ökonomische Panel Auswahl und Operationalisierung der Indikatoren Entwicklung von Einkommensarmut und Lebenslagen-Deprivationen Kumulative Deprivation: Zur Konstruktion des Lebenslagenindikators Log-lineare Analyse: Deprivationsdynamik Latente Klassenanalyse: Deprivation als latenter Zustand Zusammenfassendes Deprivationsmaß Die Struktur der Armut Zur Interaktion von Multidimensionalität und Zeitlichkeit Zum mismatch zwischen Einkommens- und Lebenslagenarmut Zeitlichkeit Zur Dynamik von Einkommens- und Lebenslagenarmut Resümee: Zur Integration von Multidimensionalität und Zeitlichkeit Zonen der Armut und der Prekarität Ein kombinierter Armutsindikator Klassifikationsverfahren Ein kombinierter Armutsindikator Typen und Zonen der Armut und der Prekarität Entstrukturierung oder Verfestigung? Trendanalysen multipler Armut Armutsdiskurse zwischen Spaltung und Entgrenzung Datenaufbereitung und Operationalisierung Trendanalysen multipler Armut Trendanalysen zur Kumulation und Persistenz von Armut Zusammenfassung Europäischer Vergleich Datenbasis und Indikatoren Multiple Armut im europäischen Vergleich Zusammenfassung...197

9 Inhalt 11 Teil III: Armut, soziale Exklusion und Klassenstruktur Klassentheorie und Klassenanalyse Klassenschemata Klassenanalyse als Kritik der meritokratischen Ideologie Klassentheorie Zusammenfassung und Ausblick: Soziale Klassen und Armut Risikogruppen und Typen der Armut Operationalisierungen der erklärenden Variablen Kerngruppen der Armut Trendanalysen Zusammenfassung Armut, soziale Exklusion und Klassenstrukturen Indikatoren sozialer Exklusion Arbeitsmarktintegration Kulturelle Teilhabe Quartierseffekte Lebenszufriedenheit Armut und soziale Exklusion in vier Teilbereichen Bivariate Analysen zu Armut und sozialer Exklusion Armut und soziale Exklusion Armut, soziale Exklusion und Klassenlage Armut und Bildungschancen Armutsbetroffenheit von Kindern und Jugendlichen Auswirkungen und Bewältigungsstrategien von Kinderarmut Armut und Bildungschancen Schluss Anhang Anhang 1: Indikatoren des kombinierten Armutsindikators Anhang 2: Indikatoren der Trendanalysen ( ) Anhang 3: Ergänzende Tabellen Literatur

10 Verzeichnis der Abbildungen Abbildung 1: Armutsentwicklung in Deutschland, Abbildung 2: Deprivationskurve in Abhängigkeit vom Einkommen...62 Abbildung 3: Was gehört zum notwendigen Lebensstandard?...67 Abbildung 4: Veränderungen der Notwendigkeitsbewertungen 1998/ Abbildung 5: Einkommens- und Deprivationsarmut...79 Abbildung 6: Re-Analyse der Kurzzeitbezüge (Bremer Sozialhilfestudie)...97 Abbildung 7: Strukturierung vs. Entstrukturierung der Armut Abbildung 8: Armut und soziale Ungleichheit Analysemodell Abbildung 9: Einkommens- und Lebenslagenindikatoren Abbildung 10: Lebenslagenindikatoren im Ost-West-Vergleich Abbildung 11: Erfassung von Multidimensionalität Abbildung 12: Verteilungshomologie von Einkommen und Lebenslagen Abbildung 13: Datenmatrix: Einkommen und Lebenslagen in 5 Wellen Abbildung 14: Latentes Mover-Stayer-Modell mit Messmodell Abbildung 15: Klassifikationsverfahren Abbildung 16: Lebenslagenindikatoren im Trend: Westdeutschland Abbildung 17: Lebenslagenindikatoren im Trend: Ostdeutschland Abbildung 18: Trendentwicklung Westdeutschland Abbildung 19: Trendentwicklung Ostdeutschland Abbildung 20: Armut und Prekarität in West- und Ostdeutschland Abbildung 21: Interaktionseffekte im Trendverlauf (CHANGE-Modell), West Abbildung 22: Interaktionseffekte im Trendverlauf (CHANGE-Modell), Ost Abbildung 23: Persistenz der Armut im Trendverlauf, Westdeutschland Abbildung 24: Persistenz der Armut im Trendverlauf, Ostdeutschland Abbildung 25: Armutsquoten in Europa Abbildung 26: Multiple Armut in Europa Abbildung 27: Sozioökonomische Risikofaktoren (Multinomiales Logit-Modell) Abbildung 28: Soziodemographische Risikofaktoren (Multinomiales Logit-Modell)..225 Abbildung 29: Trends der soziodemographischen Armutsrisiken, Westdeutschland Abbildung 30: Trends der soziodemographischen Armutsrisiken, Ostdeutschland Abbildung 31: Trends der sozioökonomischen Armutsrisiken, Westdeutschland Abbildung 32: Trends der sozioökonomischen Armutsrisiken, Ostdeutschland Abbildung 33: Allgemeine Lebenszufriedenheit Abbildung 34: Klassenlage, Armut und soziale Exklusion (Design-Modell) Abbildung 35: Ausmaß der Wohnungsmängel und -deprivation Abbildung 36: Einzeldimensionen des Wohnungs-Indikators Westdeutschland Abbildung 37: Einzeldimensionen des Wohnungs-Indikators Ostdeutschland Abbildung 38: Proportionaler Deprivationsindex Wohnen Westdeutschland Abbildung 39: Proportionaler Deprivationsindex Wohnen Ostdeutschland...292

11 Verzeichnis der Tabellen Tabelle 1: Zeitbezüge der Einkommens- und Lebenslagenindikatoren Tabelle 2: Log-lineare Analyse kumulativer Deprivation Tabelle 3: Latente Klassenanalyse der Deprivation Tabelle 4: Einkommen und Lebenslagen, gepoolte Querschnitte (Personen in %) Tabelle 5: Mittlere Einkommens- und Lebenslagen (Personen in %) Tabelle 6: Vergleich Querschnitte vs. Längsschnitt Tabelle 7: Längsschnitttypen der Einkommens- und Lebenslagenarmut Tabelle 8: Parameterschätzungen für Markov-Modelle, Einkommensarmut Tabelle 9: Parameterschätzungen für Markov-Modelle, Lebenslagenarmut Tabelle 10: Parameterschätzungen für Markov-Modelle, multiple Armut Tabelle 11: Multidimensionale Armut Tabelle 12: Dynamik multidimensionaler Armut Tabelle 13: Inkonsistenz-Scores Tabelle 14: Zonen der Armut, der Prekarität und des Wohlstands (Personen in %) Tabelle 15: Fallzahlen Trendanalysen Tabelle 16: Log-lineare Modellierungen der Trendentwicklung multipler Armut Tabelle 17: Risiken und Struktur extremer Armut: soziodemographische Merkmale..220 Tabelle 18: Risiken und Struktur extremer Armut: sozioökonomische Merkmale Tabelle 19: Risiken extremer Armut (binäre logistische Regression) Tabelle 20: Kerngruppen der Armut (Personen in %) Tabelle 21: Risiken extremer Armut im Trend Logistische Regressionen (West) Tabelle 22: Indikatoren der Arbeitsmarktstellung, individuell und jahrweise Tabelle 23: Individuelle vs. haushaltsvermittelte Arbeitsmarktlage (Pers. in %) Tabelle 24: Items zur Messung kultureller Partizipation Tabelle 25: Indikator kultureller Exklusion Tabelle 26: Quartiers-Indikator Tabelle 27: Arbeitsmarktpartizipation und Armut Zeilenprozente Tabelle 28: Arbeitsmarktpartizipation und Armut Spaltenprozente Tabelle 29: Armut und kulturelle Exklusion Zeilenprozente Tabelle 30: Armut und kulturelle Exklusion Spaltenprozente Tabelle 31: Armut und Quartier Tabelle 32: Armut und Lebenszufriedenheit Tabelle 33: Indikatoren sozialer Exklusion, dichotomisiert Tabelle 34: Log-lineare Analyse sozialer Exklusion (paarweise Interaktionseffekte)..254 Tabelle 35: Latente Klassenanalyse sozialer Exklusion (mit und ohne Armut) Tabelle 36: Log-lineare Modelle (Armut-Klassenlage-Exklusion) Tabelle 37: Armut und Prekarität, nach Altersgruppen (Personen in %) Tabelle 38: Armut und Prekarität von Kindern nach Herkunftsfamilien (Pers. in %) Tabelle 39: Determinanten des Hauptschulbesuchs (schematische Darstellung)...268

12 14 Verzeichnis der Tabellen Tabelle 40: Einzeldimensionen des Rücklagenindikators Tabelle 41: Einzeldimensionen des Wohnungsindikators Tabelle 42: Items der Güterskala Tabelle 43: Items der Deprivations-Skala Tabelle 44: Verteilungseigenschaften des PDI und Deprivationsquoten Tabelle 45: Risiken und Struktur der Armut Gesamtübersicht...295