Gnade sei mit euch und Friede von Gott, Quelle allen Lebens. Amen. Liebe Geschwister in dieser Zeit und zu dieser Stunde am Altjahresabend 2016.
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- Nora Buchholz
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1 Alles hat seine Zeit jetzt ist die Zeit! Pastor Bertold Becker Evangelisch-Reformierte Kirchengemeinde Bielefeld Predigt am Altjahresabend 2016 Süsterkirche Bielefeld Textbezug: Kohelet 3 (Prediger Salomo 3) Gnade sei mit euch und Friede von Gott, Quelle allen Lebens. Amen Liebe Geschwister in dieser Zeit und zu dieser Stunde am Altjahresabend I. Alles hat seine Zeit Der alte weisheitliche Text aus dem Buche Kohelet lädt dazu ein, sich in ihn hineinfallen zu lassen: Geordnet sind seine Verse offen und reich seine Bildsprache: 4 weinen hat seine Zeit, lachen hat seine Zeit; klagen hat seine Zeit, tanzen hat seine Zeit; 5 Steine wegwerfen hat seine Zeit, Steine sammeln hat seine Zeit; herzen hat seine Zeit, aufhören zu herzen hat seine Zeit; 6 suchen hat seine Zeit, verlieren hat seine Zeit; behalten hat seine Zeit, wegwerfen hat seine Zeit; Als wäre er für heute geschrieben: das alte Jahr durchsortieren und gehen lassen, abgeben, freigeben und halten, neu aufnehmen, mitnehmen, weitermachen... Der alte Text hat etwas Tröstliches: Er ordnet und begrenzt und setzt die einzelnen Dinge des Lebens in einen größeren Zusammenhang. Wir fühlen uns gleichsam aufgehoben und verwiesen auf einen Kreislauf des Lebens, dem alles unterworfen ist. In diesem Lebensfluss können Dinge so sein, wie sie sind, sie finden ihren Raum oder besser: ihre Zeit aber sie sind durch die Veränderungen des Lebens begrenzt. Hier kann ich mich hineinverweben mit dem, was mir auf der Seele liegt: Alles hat seine Zeit: Das setzt Grenzen, und schafft wieder Freiheiten, auch frei zu geben und neue Wege zu gehen... 1
2 Alles hat seine Zeit. 3b abbrechen hat seine Zeit, bauen hat seine Zeit; 5 Steine wegwerfen hat seine Zeit, Steine sammeln hat seine Zeit; Bauen hat seine Zeit Abbrechen hat seine Zeit... Viele Mauern sind gebaut und werden erweitert und gesichert in unserer Zeit. Die Mauern der europäischen Union gegenüber Hungernden und Gefangenen und Gefolterten... Die Mauern von Vorurteilen und Fehlurteilen gebaut mit Steinen von Halbwahrheiten und Unwahrheiten. Eine Mauer durchzieht ein ganzes Land Sie trennt die einen von den anderen Armut von Reichtum, Recht von Gerechtigkeit. Sie trennt nicht gut von böse: Ich muss an die Mauer im Heiligen Land Israel-Palästina denken, die Mauer aller Mauern, nachdem die Mauer in der Mitte Deutschlands zwischen Ost und West gefallen ist. Alles hat seine Zeit: Mauern bauen hat seine Zeit und Mauern abbrechen hat seine Zeit. Streiten hat seine Zeit, Friede hat seine Zeit. Weinen hat seine Zeit, lachen hat seine Zeit. Der Text begrenzt die Macht dessen, was ist, durch den Blick auf den Kreislauf alles Lebens... Alles ist vergänglich und darum im Prozess der Wandlung... Ein mystisch-spiritueller Text, in den wir uns einschwingen können gleichsam wie unser Atem, mit dem wir ein Teil der Welt hineinatmen und wieder ausatmen und darin Anteil haben an dem Veränderungsprozess allen Lebens, der auch uns durchströmt. Der Verfasser des Textes und Buches Kohelet würde gerne dem Geheimnis des Lebens in allem seinem Wandel auf den Grund gehen. Er sucht in seinem Buch nach Antworten, genauer gesagt sie oder er sucht nach Antworten, denn der hebräische Wortstamm Kohelet bezeichnet in der weiblichen Form einen Menschen, der in der Gemeindeversammlung gefragt war und berufsmäßig redete. Die Frage nach dem Sinn des Lebens stellte sich in der Zeit der Entstehung der Texte im Besonderen, weil das alte weisheitliche Grundgerüst nicht mehr trug: Nicht jedem Menschen, der Gutes tut, wiederfährt auch Gutes. Nicht jedem Menschen, der sein Leben nach Gott hin ausrichtet, ist offensichtlich im Vorteil... 2
3 Wir kommen oder gehen, werden geboren sterben, wir gewinnen oder verlieren. Es gibt kein offensichtliches Prinzip mehr, das die Welt so ordnet, als dass wir genau wüssten, wo wir dran wären... 9 Man mühe sich ab, wie man will, so hat man keinen Gewinn davon. 10 Ich sah die Arbeit, die Gott den Menschen gegeben hat, dass sie sich damit plagen. nur dass der Mensch nicht ergründen kann das Werk, das Gott tut, weder Anfang noch Ende. Fragen, die wir kennen und die 2000 Jahre später bewegen: Was bleibt in diesem Nicht-Wissen und Hineingeschmissen-Sein in die Unwägbarkeiten des Lebens? Ist alles Zufall? Die philosophische Dichterin des Textes denkt Gott an dieser Stelle nicht klein: Sie geht nicht so weit zu behaupten, dass das, was geschieht, Gottes Wille ist. Nein, wenn jemand jung an Jahren stirbt, ist das nicht der Wille Gottes. Wenn jemand mitten aus dem Leben heraus von Krankheit befallen ist, dann kann das auch nicht Gottes Wille sein. Die Mauer im Heiligen Land und der Unfriede in Syrien sind nicht Gottes Wille und Tun! Und doch denkt der Text Gott hinein in diese Wirklichkeit, aber in einer anderen Dimension: Außerhalb der Zeit, außerhalb dieses Geschehens und doch ebenso darin verwoben: 14 Ich merkte, dass alles, was Gott tut, das besteht für ewig; man kann nichts dazutun noch wegtun. Das alles tut Gott, dass man sich vor ihm fürchten soll. 15 Was geschieht, das ist schon längst gewesen, und was sein wird, ist auch schon längst gewesen; und Gott holt wieder hervor, was vergangen ist. In allem Leben und in allem, was geschieht, gibt es eine Gottesumfangenheit, die nicht kommt und die nicht geht, sondern die diesem Kreislauf entzogen ist. In allem findet sie sich und alles findet sich in ihr... Bleibe respektvoll vor dem heiligen Geheimnis des Lebens. Das meint die alte Sprache mit der Furcht vor Gott. Mehr aber nicht weniger können wir erkennen und sagen! resümiert die Dichterin. Was also ist das Fazit ihres Nachdenkens? Was ist ihre Lehre? 3
4 Zweierlei: 1. Die Grundlage: 14b Das alles tut Gott, dass man sich vor ihm fürchten soll. Bleibe respektvoll vor dem heiligen Geheimnis des Lebens. Das meint die alte Sprache mit dem Begriff Furcht vor Gott. Bleibe respektvoll du musst nicht alles ergründen! Und halte fest: 11 Gott hat alles schön gemacht zu seiner Zeit, Die Welt ist gut, sie ist in Ordnung, trotz, in und durch alles hindurch! Selbst wenn dir die Schönheit der Welt in deinem oder in dem gemeinschaftlichen Leben abhandenkommen sollte: Halte an ihr fest Er hat alles schön gemacht zu seiner Zeit, auch hat er die Ewigkeit in ihr Herz gelegt; Die Ewigkeit im Herzen des Menschen Damit ist gemeint die Fähigkeit, das Vorfindliche, Faktische gedanklich zu weiten und es in den Kontext des Ganzen zu stellen. Und siehe, es war sehr gut! Lass dich nicht unterkriegen, denke dich in den größeren Zusammenhang des Lebens... denke dich als Teil der Schönheit des Lebens! Die Ewigkeit ist dir ins Herz geschrieben! 2. Die Konsequenz: 12 Da merkte ich, dass es nichts Besseres dabei ( in der Unergründlichkeit allen Lebens ) gibt als: fröhlich sein und sich gütlich tun in seinem Leben. 13 Denn ein jeder Mensch, der da isst und trinkt und hat guten Mut bei all seinem Mühen, das ist eine Gabe Gottes. Also: Weil die Welt im Prinzip in Gott in Ordnung ist: Bleibe achtsam und gelassen jedem Augenblick gegenüber finde die Schönheit des Lebens darin. Sie leuchtet, wenn wir mit den richtigen Augen schauen. Diese Schönheit wir könnte auch sagen: Die Güte lädt uns ein, das Leben und seine Augenblicke zu feiern: Iss trink! Genieße das Leben! Teile Brot und Wein! 4
5 II. Jetzt ist die Zeit Brot und Wein teilen Hier sind wir bei Jesus angekommen, und ich bin mir nicht sicher, was Jesus zu diesem alten Text sagen würde. Essen und Trinken und guten Mut haben bei allem Mühen : Das war sicher seins. (Warf man ihm gradezu vor, er wäre ein Fresser und Weinsäufer gewesen). Aber: Ob alles so seine Zeit hat, und ob das sich Einschwingen in den Kreislauf des Lebens wohl genug ist? Und ob das stimmt, das man sich abmühen kann wie man will, und hat doch keinen Gewinn? Hat alles wirklich seine Zeit, so im Fluss von Unbestimmtheit und Alleinheit? Ich höre gleichsam den Widerspruch Jesu. Jetzt ist die Zeit der Gnade (Mk 1,15) sagt er! - Jetzt ist die Zeit des Heils! Nicht: Alles hat seine Zeit und ist dem wiederkehrenden Kreislauf des Lebens unterworfen... Nein! Die Gottesgegenwart in jedem Augenblick fordert uns heraus, die Zeit zu gestalten, weil eben nicht alles seine Zeit hat: Töten hat nicht seine Zeit! Sondern es ist jetzt und immer die Zeit des Friedens! Hungern hat nicht seine Zeit! Sondern satt werden, die nach Gerechtigkeit suchen! Suchen hat seine Zeit, und nicht verlieren, denn: Wer suchet, der findet! Weinen hat nicht seine Zeit, weil die Leidtragenden getröstet werden! Jesus bringt etwas ein, was diesem alten, weisheitlichen Text fehlt: Es ist die Zielperspektive des Reiches Gottes oder anderes gesagt: Die tragende Kraft der Güte und Liebe! In ihr wird die Wirklichkeit verwandelbar und veränderbar gedacht. Es hat nicht alles seine Zeit, weil es für bestimmte Zeiten keine Berechtigung gibt: Wenn die Güte die tragende Kraft allen Lebens ist, dann gibt es keine Berechtigung, wohin auch immer Waffen zu exportieren. Wenn die Güte Gottes das Prinzip allen Lebens ist, dann ist es Zeit, dass sich manche Dinge ändern! und wir uns ändern und darin sich die Dinge ändern... Essen und Trinken Brot und Wein teilen Bei Jesus ist das Ausdruck dafür, die geschenkte Schönheit des Lebens miteinander zu feiern und die Solidarität der Liebe miteinander zu teilen: Brot und Wein sind Wegzehrungen auf dem Weg in ein Land, in dem alle Menschen satt werden und Frieden wohnt. Alles hat seine Zeit der Satz stimmt nur mit einer Vision, einer Zukunftsperspektive: Weil wir von Gottes Güte umfangen sind, hat alles auf diese Güte hin eine neue Zeit. 5
6 Ich schließe mit einem Gedicht von Hanns Dieter Hüsch UTOPIE Ich seh ein Land mit neuen Bäumen. Ich seh ein Haus mit grünem Strauch. Und einen Fluss mit flinken Fischen. Und einen Himmel aus Hortensien seh ich auch. Ich seh ein Licht von Unschuld weiß. Und einen Berg, der unberührt. Im Tal des Friedens geht ein junger Schäfer, Der alle Tiere in die Freiheit führt. Ich hör ein Herz, das tapfer schlägt, In einem Menschen, den es noch nicht gibt, Doch dessen Ankunft mich schon jetzt bewegt. Weil er erscheint und seine Feinde liebt. Das ist die Zeit, die ich nicht mehr erlebe, Das ist die Welt, die nicht von unsrer Welt. Sie ist von fein gesponnenen Gewebe, Und Freunde, glaubt und seht: sie hält. Das ist das Land, nach dem ich mich so sehne, Das mir durch Kopf und Körper schwimmt, Mein Sterbenswort und meine Lebenskantilene, Dass jeder jeden in die Arme nimmt. (aus: Das Schwere leicht gesagt. Freiburg i.b. 1994) Amen! 6
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