Schoppmann Nationalsozialistische Sexual politik und weibliche Homosexualität

Transkript

1 Schoppmann Nationalsozialistische Sexual politik und weibliche Homosexualität

2 Frauen in Geschichte und Gesellschaft Herausgegeben von Annette Kuhn und Valentine Rothe Band 30

3 Nationalsozialistische Sexualpolitik und weibliche Homosexualität Claudia Schoppmann 2., überarbeitete Auflage Centaurus Verlag & Media UG 1997

4 CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek Schoppmann, Claudia: Nationalsozialistische Sexual politik und weibliche Homosexualität / Claudia Schoppmann. - Pfaffenweiler : Centaurus-Verl.-Ges., 2., überarbeitete Auflage 1997 (1991) (Frauen in Geschichte und Gesellschaft; Bd. 30) Zugl.: Berlin, Freie Univ., Diss., 1990 ISBN DOI / NE:GT D 83 ISSN ISBN (ebook) Alle Rechte, insbesondere das Recht der VervielflJltigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervie/fljltigt oder verbreitet werden. CENTAURUS-Verlagsgesellschaft mit beschrlinkter Haftung, Pfaffenweiler 1997 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Umschlagabbildung: Gluck, Medaillon, 1937 Satz: Centaurus-Satz

5 VORWORT Auch mehr als 50 Jahre nach Kriegsende gibt es "vergessene" Seiten im unrühmlichsten Kapitel deutscher Geschichte. So war die Einstellung der Nationalsozialisten zur Homosexualität, und insbesondere die Geschichte lesbischer Frauen, für die Geschichtswissenschaft lange kein Thema. Wohl nicht nur, weil die Behandlung lesbischer Frauen nur bedingt mit eindeutigen Verfolgungskriterien zu belegen ist, und weil, wie es der Historiker George L. Mosse in seinem Buch Nationalismus und Sexualität formulierte, "die Geschichte der am Rande oder außerhalb der Gesellschaft Stehenden <... > sich nur ungleich schwerer rekonstruieren" läßt. Während etwa umfangreiche Studien zur Judenvernichtung und zur Verfolgung politischer Gegner vorliegen, blieben andere Aspekte bzw. Opfergruppen nationalsozialistischer Erfassung, Aussonderung, Verfolgung und Vernichtung lange unerforscht. Erst in den letzten Jahren wurde die nationalsozialistische Politik gegenüber den sozial Unerwünschten der "Volksgemeinschaft" thematisiert. Die Homosexuellenpolitik der braunen Machthaber als ein Mosaikstein einer "qualitativen" Bevölkerungspolitik wurde jedoch lange vernachläßigt. Die ideologische Kontinuität in der Einstellung zur Homosexualität nach Kriegsende, die sich - in beiden deutschen Staaten - in fortgesetzter DisJcriminierung und Kriminalisierung äußerte, war der Hauptgrund für das mangelnde öffentliche Interesse an einer kritischen Aufarbeitung. Wie in einem extrem geschlechterhierarchischen Regime die soziale Kategorie "Geschlecht" die Homosexuellenpolitik modifizierte, wie diese Politik aussah, wer sie ausführte und wie sie ideologisch legitimiert wurde, diesen Fragen widmet sich dieses Buch. Die Geschichte der homosexuellen Minderheit in Deutschland, der Stellenwert der Homosexualität in der NS-Politik und nicht zuletzt die Geschlechtergeschichte sollen damit begreifbarer werden. Folgenden Personen und Institutionen, die zum Zustandekommen dieser Arbeit beigetragen haben, möchte ich danken: dem Hamburger Institut für Sozialforschung sowie dem Berliner Senat, die mir durch zeitweilige Stipendien diese Arbeit finanziell ermöglicht haben; Prof. Rüdiger Lautmann, Prof. Gerhard Baader und Prof. Wolfgang Wippermann für fachliche Unterstützung; Prof. Reinhard Rürup, der sich als Doktorvater zur Verfügung stellte, für die wissenschaftliche Betreuung sowie Prof. Karin Hausen, die sich zum Zweitgutachten bereitfand. Die Arbeit wurde im Dezember 1989 an der TU Berlin als Dissertation mit dem Titel "Die geschlechtsspezifische Bekämpfung der Homosexualität im Dritten Reich unter besonderer Berücksichtigung der weiblichen Homosexualität" eingereicht. Weiter danke ich für Kritik und die Durchsicht des Manuskripts Prof. Ilse Kokula, Astrid Schuhl, Dr. Ulla Baumann, Annette Dröge sowie Elaine Holliman, der ich

6 kontinuierliche Ermutigung und tatkräftige Unterstützung verdanke. Ute Dümpelfeld erleichterte mir die technische Erstellung des Manuskripts. Mein Dank gilt insbesondere allen Zeitzeuginnen und Zeitzeugen, die bereit waren, mir ihre oft schmerzlichen Erfahrungen mitzuteilen. Ferner dem Centaurus Verlag, der das Erscheinen dieser für die 2. Auflage vollständig überarbeiteten Untersuchung ermöglicht hat. Berlin, im April 1997 Claudia Schoppmann

7 INHALTSVERZEICHNIS EINLEITUNG FRAUENIDEOLOGIE UND -POLITIK 9 Frauenfrage und Homosexualität vor Frauenpolitik als Familien- und Bevölkerungspolitik 17 Zu Ehe und Mutterschaft bestimmt? 17 Bevölkerungspolitik und weibliche Homosexualität 21 Himmler und die "neue Moral" 25 Zurück zu Heim und Herd? 30 Die NS-Frauenorganisationen 32 Rudolf Klares sexuelle Denunziation der Frauenorganisationen 35 "Rein bleiben und reif werden": die NS-Mädchenerziehung 42 Mädchenerziehung in der Schule und im BDM 43 "Geschlechtliche Jugenderziehung" 50 "Kriminalität und Gefährdung der Jugend" 52 RASSENHYGIENE 57 Rassenhygiene vor "Erbbiologische Bestandsaufnahme" 63 Rassenhygienische Gesetze und Maßnahmen 67 Das 'Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses' 68 Vom Eheverbot zum Euthanasiemord 73 JUSTIZ UND STRAFRECHTS POLITIK 79 Homosexualität und Strafrecht vor Die "Gleichschaltung" der Justiz 86 Das Reichsjustizministerium und die Verschärfung des Kriminalisierungsforderungen 97 Hans Frank und die Akademie für Deutsches Recht 97 Die Rassentheoretiker 104 Österreich und der 175 nach der Annexion 112 MEDIZIN UND PSYCHIATRIE 117 Die medizinisch-psychiatrische Homosexualitäts-Forschung vor Pro und contra "Erblichkeit" der Homosexualität 125 Theo Langs genetisch bedingte "Umwandlungsmännchen" 128 Rudolf Lemkes "hormonale Störung" 138 Hans Bürger-Prinz' "Süchtigkeits"-Modell 140

8 "Der Volksgemeinschaft ein nützliches Glied erhalten": Das Institut für Psychotherapie 142 Johannes Heinrich Schultz 146 Felix Boehm 148 Maria Kalau vom Hofe 150 Fritz Mohr 151 Wemer Kemper 152 Das Göring-Institut kämpft um die Macht 154 Himmlers "medizinische" Homosexualitätsbekämpfung 157 HOMOSEXUELLENVERFOLGUNG 163 Zerschlagung und Auflösung der Homosexuellenbewegung 163 Lebensläufe lesbischer Frauen nach Homosexuellenverfolgung durch Gestapo und Kriminalpolizei 180 Das Sonderdezernat Homosexualität beim Geheimen Staatspolizeiamt 180 Die Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität und Abtreibung 186 "Vorbeugende Verbrechensbekämpfung" durch die Polizei 205 Die Verfolgung der "Asozialen" 212 Die geplante Zwangskastration homosexueller Männer 218 Homosexuellenverfolgung in den von Deutschland besetzten Ländern 224 Zur Situation lesbischer Frauen im KZ 227 Die Situation homosexueller Männer im KZ 229 Zum Lagersystem 231 Inhaftierungsmuster und Kennzeichnung 233 Mehrfache Verfolgung 242 (Lager)Homosexualität 244 Strafen bei (Lager)Homosexualität 254 RESÜMEE 259 Ausblick auf die Situation nach ABKÜRZUNGEN 271 QUELLEN UND LITERATUR 272 PERSONENREGISTER 294