Fünftes Wundsymposium Sich ohne Druck mal Zeit nehmen, altes Wissen neu zu gewichten Xavier Jordan, Chefarzt Service de paraplégie Clinique romande de réadaptation, Sion
Frage des Tages Was gibt es für Richtlinien, die mir helfen einzuschätzen, wann eine Druckstelle zur Wunde wird? Was hilft mir bei der Entscheidung, wie viel Mal pro 24 Std. gelagert werden muss, um eine Wunde zu verhindern und ich die Lebensqualität (Schlaf) nicht übermässig beeinträchtige? 2
Ist das eine Wunde und wie kann ich es verhindern? 14.03.2006 3
Titel Sich ohne Druck mal Zeit nehmen, altes Wissen neu zu gewichten. «Kenne deinen Feind und kenne dich selbst und der Sieg wird deiner sein.» 4
Wie gehe ich mit altem Wissen um? 5
Altes Wissen? Um das Durchliegen zu verhüten, pflegt man auch wohl, um das Bett des Kranken kühl zu erhalten, ein Gefäss mit kaltem Wasser unter dasselbe zu setzen, was wenigstens nicht schadet, wenn es auch nicht helfen sollte. Handbuch der Krankenwartung 1854 6
Krankenschwestern am Hopital General in Montreal, Kanada. 1894 Photograph, Nurses of the General Hospital, Montreal, QC, 1894, Wm. Notman & Son. Silver salts on glass - Gelatin dry plate process - 20 x 25 cm 7
Wie gehe ich mit altem Wissen um? 8
Pressure sore year count 2015 170 2014 577 2013 653 2012 599 2011 580 2010 551 2009 515 2008 519 2007 507 2006 422 2005 472 5565 Neueste Publikationen 05.2015 9
Erfahrungswerte und Überlieferungen 1820-1910 10
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Frage des Tages Was gibt es für Richtlinien, die mir helfen einzuschätzen, wann eine Druckstelle zur Wunde wird? Was hilft mir bei der Entscheidung, wie viel Mal pro 24 Std. gelagert werden muss, um eine Wunde zu verhindern und ich die Lebensqualität (Schlaf) nicht übermässig beeinträchtige? 12
Definitionen Das Dekubitalulkus entsteht ausschliesslich durch Druck. (Braun 1997) Die Entwicklung eines Dekubitus steht in Zusammenhang mit intrinsischen und extrinsischen Faktoren, die alle beachtet werden sollten, um Hilfsmittel für die Druckentlastung zu wählen. (Bell, 2005) 13
Definition EPUAP 2004 Ein Decubitus ist ein Bereich lokalisierter Schädigung der Haut und des darunter liegenden Gewebes welches durch Druck, Scherkräfte, Reibung oder einer Kombination dieser Faktoren verursacht wurde. 14
Definition EPUAP 2010 Ein Decubitus ist eine lokal begrenzte Schädigung der Haut und/oder des darunter liegenden Gewebes, in der Regel über knöchernen Vorsprüngen, infolge von Druck oder von Druck in Kombination mit Scherkräften. Es gibt eine Reihe weiterer Faktoren, welche tatsächlich oder mutmaßlich mit Decubitus assoziiert sind; deren Bedeutung ist aber noch zu klären. 15
Risikofaktoren Ursachen Aus Schröder G, Kottner J, 2012, Dekubitus und Dekubitusprophylaxe, Huber, Bern, Seiote 73 16
Einteilung Kategorie Seit 2009 Zwischen den Mitgliedern der beiden Organisationen gab es in den vergangenen Jahren zahlreiche Diskussionen über die Gemeinsamkeiten der Klassifikationssysteme der NPUAP und EPUAP. Mit der Veröffentlichung der Internationalen Dekubitus Präventions- und Behandlungsleitlinie wurde der Zeitpunkt als günstig erachtet, auch ein gemeinsames Klassifikationssystem zu entwickeln, welches die internationale Gemeinschaft nutzen kann. Die bisher benutzten Ausdrücke Staging (Stufen) oder Grading (Schweregrade) unterstellen ein Fortschreiten (Progression) von I nach III oder IV. Dieses ist jedoch nicht immer der Fall. Dar kein gemeinsames Wort für Stufe und Schweregrad zu finden war, wurde das Wort Kategorie als ein neutraler Begriff vorgeschlagen. Dieses soll zukünftig Stufe oder Schweregrad ersetzen. Obwohl dieses all denjenigen fremd erscheinen muss, die bereits an die anderen Begriffe gewöhnt sind, hat Kategorie den Vorteil, dass der Begriff keine hierarchische Bezeichnung ausdrückt und daher die Vorstellung verlassen werden kann, dass eine Wunde sich von I nach IV entwickelt oder von IV nach I heilt. Wir erkennen jedoch an, dass es einen großen Bekanntheitsgrad der bisherigen Bezeichnungen gibt. Deshalb schlagen wir vor, vor Ort denjenigen Begriff (Stufe, Schweregrad oder Kategorie) zu nutzen, der am klarsten und verständlichsten ist. http://www.epuap.org/guidelines/qrg_prevention_in_german.pdf 17
Einteilung Die bisher benutzten Ausdrücke Staging (Stufen) oder Grading (Schweregrade) unterstellen ein Fortschreiten (Progression) von I nach III oder IV. Dieses ist jedoch nicht immer der Fall. Dar kein gemeinsames Wort für Stufe und Schweregrad zu finden war, wurde das Wort Kategorie als ein neutraler Begriff vorgeschlagen. Dieses soll zukünftig Stufe oder Schweregrad ersetzen. http://www.epuap.org/guidelines/qrg_prevention_in_german.pdf 18
Decubitus 19
Decubitus P Decubitus = p*t t 20
Rolle der Zeit ist klar! Baharestani et al., 2010 Druck = Kraft Fläche Falls senkrecht: Kraft = Gewicht 21
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23 http://www.woundsinternational.com/pdf/content_9626.pdf Internationale Übersicht. Dekubitusprophylaxe. Druck, Scherkräfte, Reibung und Mikroklima im Kontext. Ein Konsensusdokument. London: Wounds International, 2010.
Scherkräfte http://www.woundsinternational.com/pdf/content_9626.pdf Internationale Übersicht. Dekubitusprophylaxe. Druck, Scherkräfte, Reibung und Mikroklima im Kontext. Ein Konsensusdokument. London: Wounds International, 2010. Baharestani et al., 2010 24
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Definitionen Eine Wunde (lat. Vulnus, griech. Trauma ) ist die Trennung des Gewebezusammenhangs an äusseren oder inneren Körperoberflächen mit oder ohne Gewebsverlust. Zumeist ist sie durch äußere Gewalt verursacht, kann aber auch alleinige Folge einer Krankheit sein. http://de.wikipedia.org/wiki/wunde 26
Definitionen 27
Antwort Ein Decubitus egal welcher Kategorie ist eine Verletzung der Haut und/oder der darunter liegenden Weichteile und ist somit eine Wunde. Die Palpation ermöglicht die Diagnose. 28
Frage des Tages Was gibt es für Richtlinien, die mir helfen einzuschätzen, wann eine Druckstelle zur Wunde wird? Was hilft mir bei der Entscheidung, wie viel Mal pro 24 Std. gelagert werden muss, um eine Wunde zu verhindern und ich die Lebensqualität (Schlaf) nicht übermässig beeinträchtige? 29
Antwort Was hilft mir bei der Entscheidung, wie viel Mal pro 24 Std. gelagert werden muss, um eine Wunde zu verhindern und ich die Lebensqualität (Schlaf) nicht übermässig beeinträchtige? Wer trägt die Verantwortung? 30
Schicksal oder Pflegefehler? http://www.dnqp.de/38087.html 31
Antwort Was hilft mir bei der Entscheidung, wie viel Mal pro 24 Std. gelagert werden muss, um eine Wunde zu verhindern und ich die Lebensqualität (Schlaf) nicht übermässig beeinträchtige? Was wissen wir schon? Druck = Kraft Fläche 32
Antwort Kein Druck, kein Decubitus Keine Scherkräfte, kein Decubitus Kurze Zeiten, kein Decubitus Boden stärken: Risikofaktoren korrigieren P Decubitus= p x t t 33
Antwort Was hilft mir bei der Entscheidung, wie viel Mal pro 24 Std. gelagert werden muss, um eine Wunde zu verhindern und ich die Lebensqualität (Schlaf) nicht übermässig beeinträchtige? Zu kompliziert Zu einfach 34
Antwort? Was hilft mir bei der Entscheidung, wie viel Mal pro 24 Std. gelagert werden muss, um eine Wunde zu verhindern und ich die Lebensqualität (Schlaf) nicht übermässig beeinträchtige? Also: Was ist das Wichtigste? 1. Druck? 2. Zeit? 3. Risikofaktoren? 35
1. Druck? Was hilft mir bei der Entscheidung, wie viel Mal pro 24 Std. gelagert werden muss, um eine Wunde zu verhindern und ich die Lebensqualität (Schlaf) nicht übermässig beeinträchtige? Perfekte Entlastung durch Einbettung Knochenvorsprünge (ABP) erkennen/korrigieren Technische Lösungen dank Hilfsmittel! Achtung: Keine definitive Evidenz falsche Sicherheit Cochrane Database Syst Rev. 2011 Apr 13;(4):CD001735. doi: 10.1002/14651858.CD001735.pub4. Support surfaces for pressure ulcer prevention. McInnes E, Jammali-Blasi A, Bell-Syer SE, Dumville JC, Cullum N. 36
Beispiel 2002 und 2006 zwei (cross-sectional) Untersuchungen zur Prävalenz von Dekubitus bei je über 600 Patienten, Messung 2002, Intervention, Messung 2006 Nach der Intervention wurden mehr Weichlagerungsysteme zur Prävention eingesetzt. Die Prävalenz betrug 23,9% in 2002 und 22,9% in 2006. Nach Ausschluss von Ulzera Grad I lag die Prävalenz bei 8,0% resp. 12,0%, also Zunahme der Prävalenz Interessanterweise erwähnen die Autoren, dass zwischen 2002 und 2006 die geplanten Umlagerungen in der Pflegeplanung abnahmen. Gunningberg L, Stotts NA. Tracking quality over time: what do pressure ulcer data show? Int J Qual Health Care. 2008 Aug;20(4):246-53. Epub 2008 Apr 6 37
FSA Sitzdruckmessung 38
Auf der Glasplatte 39
2. Zeit? Was hilft mir bei der Entscheidung, wie viel Mal pro 24 Std. gelagert werden muss, um eine Wunde zu verhindern und ich die Lebensqualität (Schlaf) nicht übermässig beeinträchtige? Kurze Belastungszeiten: Umlagern Personneller Aufwand Technische Lösungen dank Hilfsmittel! Achtung: Keine Evidenz falsche Sicherheit Cochrane Database Syst Rev. 2014 Apr 3;4:CD009958. doi: 10.1002/14651858.CD009958.pub2. Repositioning for pressure ulcer prevention in adults. Gillespie BM, Chaboyer WP, McInnes E, Kent B, Whitty JA, Thalib L 40
Hintergrund Das Decubitus-Risiko ist anhand der Mobilität und Aktivität einzuschätzen (DNQP) Tagesaktivität Mobilität nachts Mobilitätsgrad und -Muster Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege DNQP: Ergebnisse der modellhaften Implementierung zum Expertenstandard Dekubitusprophylaxe in der Pflege, 1. Aktualisierung 2010 http://www.wiso.hs-osnabrueck.de/38087.html 41
Hintergrund Ein physiologisches Mobilitätsmuster zeichnet sich sowohl durch das Ausmass der Bewegungen, als auch durch sein periodisches Wiederkehren über die ganze Nacht. Der Decubitus entsteht nachts De Roche R., Störfall Decubitus, Handbuch zur gesundheitsökonomischen Bedeutung, Prävention, konservativen und chirurgischen Therapie, Verlag REHAB Basel 2012, S.132-137 42
Hintergrund Ein physiologischer Mobilitätsgrad liegt vor, wenn Menschen durchschnittlich 4 relevante Bewegungen pro Stunde oder mindestens 1 relevante Bewegung alle 2 Stunden im Schlaf ausführen. Seiler WO, Stähelin HB, Stoffel F., Recordings of movement leading to pressure relief of the sacral skin region: identification of patients at risk for pressure ulcer development. Wounds (USA) (1992) 4:256-26 43
Mobility Monitor Der Einsatz des Mobility Monitors ist einfach, geräuschlos und diskret. Die Messeinheit wird unter der Matratze fixiert und mit dem Bediengerät verbunden. 44
Einfache Übertragung der Daten mittels USB Stick Intuitive Darstellung des Mobilitätsprofils Mobilitätsanalyse Die eingestellte Verträglichkeit 2h wird eingehalten knapp eingehalten überschritten 21 22 23 00 01 02 03 04 05 06 07 Bett unbelegt quittierte Lageänderung Pflege Lageänderung kleine Lageänderung Mikroaktivität Hoch Tief Beispiel aus der Mobilitätsanalyse: Verlust der Mobilität (um 01:50 Uhr) nach Einnahme von Medikamenten. Ein vom System (um 03:50 Uhr) ausgelöster Lichtruf ermöglicht eine dringend nötige Umlagerung. 45
Tag-/Nacht-Vergleich Patientin A Patientin B Patientin C Epid. 46, Th4, ASIA A, sp 82, C5, ASIA C, sp 69, Th4, ASIA A, sp Bettbeleg. 847 Min. (14h07) Tag Nacht Tag Nacht Tag Nacht 940 Min. (15h40) 900 Min. (15h) 950 Min. (15h50) 899 Min. (14h59) Bew/h 1.325 0.675 0.2 0.3 0.5 0.6 Verw. 207 Min. (3h27) 495 Min. (8h15) 640 Min. (10h40) 800 Min. (13h20) 469 Min. (7h49) 941 Min. (15h41) 496 Min. (8h16) Mikro hoch tief-hoch tief-mittel tief mittel mittel Eigene Daten REHAB Basel 46
3. Risikofatkoren Was hilft mir bei der Entscheidung, wie viel Mal pro 24 Std. gelagert werden muss, um eine Wunde zu verhindern und ich die Lebensqualität (Schlaf) nicht übermässig beeinträchtige? Selektion der gefährdeten Patienten durch Skalen Gezielte Massnahmen möglich Achtung: Aktivismus vermeiden! Ursache nicht vergessen! Achtung: Keine Evidenz falsche Sicherheit Moore ZEH, Cowman S. Risk assessment tools for the prevention of pressure ulcers. Cochrane Database of Systematic Reviews 2014, Issue 2. Art. No.: CD006471. DOI: 10.1002/14651858.CD006471.pub3. http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/14651858.cd006471.pub3/abstract 47
Risiko-Skala? Braden (1985) Waterlow (1985) Norton (1962) Gonesse Colin et Lemoigne de Roche (2005) Wer benutzt sie routinemässig? 48
Risiko-Skala? nach: http://geriatrie-albi.com/comparescarres.htm Braden Norton Lemoine et Colin (P.E.R.S.E.) Gonesse Waterlow Sensibilität Feuchtigkeit X X Aktivität X X X (1) X (3) Mobilität X X X X X Ernährung X X X X Reib- und Scherkräfte X Allgemeinzustand X X (2) X (4) X (6) Mentaler Zustand X X X (5) Inkontinenz X X X X Alter X X Hautzustand X X BMI X Geschlecht X 49
Risiko-Skala? There is no reliable evidence to suggest that the use of structured, systematic pressure ulcer risk assessment tools reduces the incidence of pressure ulcers. Keine Evidenz! Moore ZEH, Cowman S. Risk assessment tools for the prevention of pressure ulcers. Cochrane Database of Systematic Reviews 2014, Issue 2. Art. No.: CD006471. DOI: 10.1002/14651858.CD006471.pub3. http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/14651858.cd006471.pub3/abstract 50
Fazit? p t konstant Es ist eine Frage der Priorität Kombinierter Einsatz aller Möglichkeiten Ich muss daran denken Ich muss die Ursachen erkennen Ich muss etwas dagegen unternehmen 51
Antwort Was hilft mir bei der Entscheidung, wie viel Mal pro 24 Std. gelagert werden muss, um eine Wunde zu verhindern und ich die Lebensqualität (Schlaf) nicht übermässig beeinträchtige? Viele Instrumente sind verfügbar, welche jedoch nie (im Moment nicht) die Sorgfaltpflicht, solides Wissen und die Mittel (personal und technisch) zur geeigneten Reaktion ersetzen werden. Die Lebensqualität ist ein weiter Begriff, wobei derer Teilaspekte manchmal höheren Zielen geopfert werden müssen. 52
Alt oder neu? Ganz vermeidbar? 53
54 An die Arbeit!!!
Xavier Jordan Médecin chef Service de paraplégie Clinique romande de réadaptation Av. Grand-Champsec 90 Case postale 352 1951 Sion xavier.jordan@crr-suva.ch X. Jordan, REHAB Bâle 55
56 Herausgeber Roland de Roche Verlag REHAB Basel 2012 280 S. Bezug: rehab@rehab.ch CHF 70.00 (Euro 60.00) zusätzlich Porto und Verpackung