Vor dem Einbruch des Winters sollte das Schlössle von Effringen ein Dach haben, damit der Innenausbau planmäßig vorangehen kann. Ein Haus zieht um TEIL 7 Doch das Wetter spielte nicht immer mit 1 108
2 1 Im ersten Licht des Tages sieht man dem Schlössle sein Alter kaum an. Die Außenmauern wurden akkurat zusammengefügt, die Nähte, wo die einzelnen Mauerteile aufeinanderstoßen, fast unsichtbar verfugt. Für den frischen Eindruck sorgt allerdings auch die nagelneue Holzverschalung des Giebels an der hiesigen Westseite. 2 Ohne Dach präsentierte sich das Gebäude für lange Zeit im Herbst. Damit es gegen Regen geschützt ist während im Inneren der Einbau der Wände und Decken erfolgte, legten die Handwerker bei Bedarf einen Deckel auf das Haus. Wie im Bild- Vordergrund zu sehen ist, hatten sie diesen aus einem mit weißer Folie bespannten Holzrahmen gezimmert. 3 Eingekerbte Holzbohlen auf den Außenmauern des Obergeschosses, auf die im nächsten Schritt die Deckenbalken gelegt werden Ein Wettlauf mit der Zeit Fotos: MSL/Florian Wachsmann; Zeichnung: Sabine Dubb Zwischenzeitlich spielt das Wetter überhaupt nicht mit, der Regen will im November einfach nicht mehr aufhören. Und wenn er tatsächlich nicht mehr aufhört: Dann haben wir Pech gehabt, sagt Vorarbeiter Tobias Rosenstengel, drinnen geht es um sensible Bauteile mit Putz und Holz. Zwar legt er jeden Abend wie einen Deckel auf einen Topf zum Schutz der Innenräume einen großen, mit Folie bespannten Holzrahmen auf das Schlössle von Effringen im Freilichtmuseum Vogtsbauernhof in Gutach, doch über den Winter kommt er damit nicht. Keine guten Aussichten für ein Haus, dem noch das Dach fehlt. Dabei waren Rosenstengel und seine Mannschaft aus Zimmerleuten, Fachwerkern, Maurern und Stuckateuren bislang gut vorangekommen. Ende September hatten sie das erste Mauerteil auf die frisch gegossene Bodenplatte gestellt, seitdem haben die Handwerker das Erd- und das Obergeschoss fertiggestellt, die Zwischendecke eingezogen und die Innenwände eingesetzt. Aus der Ferne konnten die Besucher des Freilichtmuseums beobachten, wie das Schlössle auf dem Nachbar-Grundstück emporwächst. Doch dann kam der Regen, tagelang konnte nicht mehr gearbeitet werden und der Winter im Schwarzwald stand vor der Tür. Das Schlössle von Effringen gibt es seit mehr als 600 Jahren. Nach allem, was man bisher weiß und es beschäftigen sich sowohl Archäologen als auch Historiker mit seiner Geschichte, wurde es im Jahr 1406 im gleichnamigen Ort errichtet. Es liegt in der Nähe von Calw im Nordschwarzwald. 3 109
1 3 2 4 1 2 1 Die Decke zwischen dem Erd- und dem Obergeschoss muss Höhenunterschiede von rund 70 Zentimetern ausgleichen, damit der Boden darüber einigermaßen gerade ist. Im Laufe der Zeit haben sich selbst die mächtigen Eichenbalken stark durchgebogen. 2 Der Weg ins Dachgeschoss führt über diese steile Stiege. Nicht alle Stufen haben die Zeit überdauert und mussten ersetzt werden. Hölzerne Bauteile wie dieses vertragen keine Feuchtigkeit, weshalb es wichtig ist, das Innere des Hauses stets trocken zu halten. 3 In der Ansicht von Osten zeigt das Schlössle viel von seiner Geschichte: das Mauerwerk aus dem 15. sowie den frisch restaurierten Fachwerkgiebel aus dem 19. Jahrhundert. Das Stück Fachwerkwand in der Mitte die einzige nicht gemauerte Außenwand des ganzen Gebäudes bauten die Zimmerleute fast komplett neu. Das Original war nur noch in winzigen Fragmenten, die jedoch in Kleinarbeit integriert wurden, verwendbar. 4 Das Erdgeschoss beherbergte früher Stal lungen, auf denen der Wohnbereich darüber ruhte. Diese Eichenbalken trugen ihn über Jahrhunderte. Während der Restaurierung wurden schadhafte Stellen mit neuem Holz ausgebessert, was man an dem mittleren Balken erkennt. Die oberste Balkenlage stützen die mauerseits aufliegenden Unterzüge darunter 110
6 Fotos: MSL/Florian Wachsmann Die Erbauer des Hauses müssen vermögend gewesen sein, derartige Raummaße und -höhen leisteten sich seinerzeit nur wenige Bauherren. Weswegen es irgendwann dann auch Schlössle genannt wurde. Im Laufe seiner langen Geschichte bauten die verschiedenen Besitzer es häufig um, glichen Geschossdecken aus, ersetzten Außenmauern oder versetzten Innenwände. Zuletzt gehörte das Haus der Familie Gauss, die bis Anfang der Siebzigerjahre darin wohnte: Wir haben damals auf eine Weise darin gelebt, auf die man eigentlich nicht mehr lebte, erinnert sich Berthold Gauss, der 1955 sogar noch im Schlössle geboren worden war. Er teilte sich den Wohnraum mit seinen Eltern und drei Geschwistern, es gab nur einen einzigen Wasseranschluss, der sich in der Küche befand. Anfang der Siebziger baute die Familie nebenan ein neues Haus, zog aus und nutzte das historische Gemäuer vorwiegend als Geräteschuppen. Schließlich drohte der Abriss, woraufhin die Gaussens es dem Schwarzwälder Freilichtmuseum Vogtsbauernhof in Gutach schenkten. Das Museum nahm das Geschenk an und beauftragte die oberschwäbische Firma JaKo Baudenkmalpflege mit der Translozierung der Übersiedlung nach Gutach. Dafür wurde das Haus vermessen, tatsächlich zersägt und abtransportiert. Erst in eine Restaurierungshalle, wo die JaKo -Experten es wieder aufbauten und fast ein Jahr lang alle Schäden, die der Zahn der Zeit hineingenagt hatte, ausbesserten. Im Spätsommer rollten die Einzelteile dann nach Gutach, wo sie auf einem neuen Museumsareal wieder zusammengefügt wurden. Das hat auch prima geklappt bis der Regen kam. Und solange es regnet, kann der Dachstuhl nicht aufgerichtet werden. 5 5 Die Holzkonstruktion im Vordergrund des Bildes sorgt dafür, dass das Dachgeschoss einen Boden hat. In den schrägen Kerben lagern später außerdem die Sparren, die das Dach tragen. So bildet das Dach in seinem Querschnitt schließlich ein Dreieck, das auf den Außenmauern liegt. Im Hintergrund ist der Westgiebel zu sehen, der im Jahr 1947 errichtet und jüngst mit einer neuen Holzverschalung versehen wurde. 6 Der Aufbau des Dachstuhls muss schnell gehen solange das Wetter trocken ist. Hier verbindet Zimmermann Wolfgang Hentsch gerade eine Pfette mit dem Kehlbalken. Die Pfette verläuft parallel zum First und entlastet die Dachsparren. Der Kehlbalken ist in diesem Fall Teil der Giebel-Konstruktion. 7 Auch die Maurer arbeiten zu Beginn des Winters auf Hochtouren unter anderem weil sie die Zimmerleute unterstützen. Hier untermauert Alexander Schreider den Ostgiebel, er gleicht den Höhenunterschied zur Wand daneben aus. Die modernen Mauersteine wird er am Ende mit historischen Sandsteinen verblenden, um die einheitliche Fassaden-Optik beizubehalten 7 111
2 3 4 1 1 Die Ostseite mit fertigem Giebel und Mauerwerk. Man erkennt nun deutlich, wo das alte Fachwerk- Holz durch neues ersetzt wurde und wie die Maurer den Streifen unterhalb des Giebels verblendet haben. 2 Auf dem Dach packt Zimmermann Olaf Hartmann die Spließe genannten Kunststoffstreifen aus, die zwischen die einzelnen Dachziegel kommen. Die Südseite des Hauses liegt nun voll in der Sonne, die an diesem Vormittag im Dezember willkommene Wärme spendet. 3 + 4 Mit Biberschwanz- Ziegeln wird schließlich das Dach gedeckt. Sie heißen so, weil ihre Form an einen Biberschwanz erinnert. Es handelt sich um eine sogenannte Einfachdeckung, bei der jede Dachlatte eine Reihe Ziegel hält. Die Fugen zwischen den einzelnen Biberschwänzen werden mit Spließen abgedichtet. Diese sind am Ende unsichtbar, weil die jeweils benachbarten Ziegel sie komplett überdecken. 5 Die Vorderseite des Schlössles mit den Eingangstüren im vergangenen Advent. Die Fenster wurden mit Holzrahmen und Folie abgedichtet, weil im Inneren bereits die Stuckateure am Werk sind. Der frische Putz verträgt keine Minusgrade, weswegen in den Räumen Heizlüfter für angenehme Temperaturen sorgen. 6 Goldenes Licht taut die über Nacht angefrorenen Ziegel auf. Die letzten Lagen müssen nun gelegt werden, bald sind alle rund zehntausend Biberschwänze an ihrem Platz
5 6 Fotos: MSL/Florian Wachsmann, Schwarzwälder Freilichtmuseum Vogtsbauernhof Wir nutzen die Tage, um ein bisschen aufzuräumen, sagt Tobias Rosenstengel schmunzelnd, einige Sachen seien in den Wochen des raschen Aufbaus liegen geblieben. So richtig besorgt sieht er nicht aus. Sein Optimismus zahlt sich aus, der Regen hört auf. Das ist eine gute Nachricht, doch keine entspannende. Denn jetzt dürfen er und seine Leute keine Minute mehr verlieren, der Winter naht: Im gleißenden Licht großer Flutlichtstrahler klettern die Männer frühmorgens auf die Baustelle und arbeiten dort bis spät am Abend, die Dunkelheit bricht nun früh herein. Während die Zimmerleute die Sparren und Kehlbalken des Dachstuhls befestigen und zusammenfügen, unterfüttern die Maurer zum Beispiel den Fachwerkgiebel an der Ostseite mit neuem Mauerwerk. In einer regelrechten Nachtschicht beginnen die Handwerker, die insgesamt zwölf Dachsegmente zu montieren. Diese verfügen nicht nur über eine Lattung für die Dachziegel, sondern auch über eine wasserfeste Unterspannbahn. Als diese Segmente befestigt sind, kann der Winter kommen, jetzt ist das Schlössle dicht. Doch die Handwerker legen buchstäblich noch einen obendrauf: In den ersten Dezembertagen decken sie das Dach. Nun kommen die teilweise jahrhundertealten Biberschwanz-Ziegel zum Vorschein. Allerdings reicht das Originalmaterial nicht ganz, zwischenzeitlich waren Löcher im Dach mit modernen Dachpfannen ausgebessert worden. Stattdessen verwenden wir historische Ziegel aus unserem Firmenlager, erklärt Tobias Rosenstengel. Am Ende liegen insgesamt zehntausend Ziegel auf dem Schlössle, die frostig überzogen in der Morgensonne schimmern. Bloß zehn Wochen hat der Aufbau in Gutach am Ende trotz Regen gedauert. Gar nicht schlecht für ein 600 Jahre altes Haus mit fürchterlich krummen Decken und einem Mauerwerk, das kürzlich noch aus 33 klobigen Einzelteilen bestand. Florian Wachsmann Wie es weitergeht Nachdem das Schlössle nun planmäßig dicht ist, werden mit dem neuen Jahr die Arbeiten in den Innenräumen fortgesetzt: unter anderem an den Böden und den Wänden, wo die Stuckateure bereits mit dem Verputzen begonnen haben. Wir werden darüber berichten. Mehr unter www.vogtsbauernhof.de, www.jako-baudenkmalpflege.de und www.schloessle-effringen.de Auf www.mein-schoenes-land-bloggt.de finden Sie alle bisherigen Folgen von Ein Haus zieht um als PDF zum Herunterladen. 113