Hintergründe und Chancen einer Neuregelung des 219a StGB

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Transkript:

Beitrag für FAZ Online Magazin Einspruch Prof. em. Dr. Arthur Kreuzer, Justus-Liebig-Universität Gießen Hintergründe und Chancen einer Neuregelung des 219a StGB Bleibt es bei umfassender Strafbarkeit ärztlicher Werbung für Schwangerschaftsabbrüche? Es geht hier um die Rechtslage strafbaren ärztlichen Werbens für Schwangerschaftsabbrüche. Sie ist kompliziert, höchst umstritten, öffentlich und politisch mit manchen Vorurteilen und Fehlvorstellungen hoch emotional debattiert, noch ungeklärt. Ein von Mitgliedern der Bundesregierung jüngst erarbeiteter und vom Bundesjustizministerium Anfang 2019 in einen Gesetzesvorschlag umzusetzender Kompromiss ist seinerseits kontrovers und unklar. Die Debatte um 219a des Strafgesetzbuchs hat das Zeug, die Koalition wieder mal in eine Existenzkrise zu bringen. Harte Kritiker der bestehenden Strafandrohung für ärztliche Werbung verkennen den verfassungsgerichtlich vorgegebenen gesetzgeberischen Handlungsspielraum. Alte Grabenkämpfe zwischen Lebensschützern, die Abtreibungen generell verhindern ( Abtreibungen sind Massenmord, Babycaust ), und Frauenrechtlern, die Entscheidungen für oder gegen das Leben des Ungeborenen einzig den Schwangeren selbst überlassen wollen ( Mein Bauch gehört mir, War on Women ), flackern wieder auf. Grund genug, sich das Zustandekommen und die Konturen der bestehende Rechtslage und mögliche sinnvolle Änderungen vor Augen zu führen. Derzeit wollen Gesetzentwürfe etwa der GRÜNEN oder LINKEN, auch Forderungen aus der SPD, das strafrechtliche Werbeverbot des 219a StGB ganz abschaffen; die JUSOS und LINKEN fordern sogar, 218 abzuschaffen, Schwangerschaftsabbruch generell zu entkriminalisieren. Diese Bestrebungen bewegen sich jedoch eindeutig außerhalb dessen, was das Bundesverfassungsgericht an politischem Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers aus dem Grundgesetz ableitet. Da eine Änderung dieser höchstrichterlichen Bewertung derzeit nicht zu erwarten ist, kann man in der parteipolitischen Auseinandersetzung über solche Gesetzesvorschläge schlicht hinweggehen. Auch wird nirgendwo in der Strafrechtswissenschaft auf eine völlige Streichung des 219a StGB plädiert. In einem langjährigen Diskurs zwischen Wissenschaft, sozialen Bewegungen, parteipolitischen Forderungen, parlamentarischen und nicht zuletzt mehreren verfassungsgerichtlichen Entscheidungen ist mit den 218 ff StGB nach Jahrzehnten des Ringens 1995 ein umfassendes Konzept zum Schutze sowohl der Ungeborenen als auch der Schwangeren entstanden. Es ist äußerst kompliziert, schwer verstehbar, gerade bezüglich des Werbeverbots auch unscharf und deutungsfähig. 1

Verfassungsgerichtlich vorgegebener Rahmen Markige Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts hatte damals und hat jetzt wieder der Gesetzgeber zu beachten: Das Grundgesetz verpflichte den Staat, menschliches Leben, auch das ungeborene, zu schützen. Die Rechtsordnung müsse das eigene Lebensrecht des Ungeborenen gewährleisten. Der Gesetzgeber müsse Schwangerschaftsabbrüche grundsätzlich verbieten; die Schwangere sei grundsätzlich verpflichtet, das Kind auszutragen. Der Staat habe zur Erfüllung dieser Pflicht normativ und tatsächlich durch ausreichende Maßnahmen wirksamen Schutz Ungeborener zu bieten. Grundrechtspositionen der Frau führten allerdings zu Ausnahmen, wenn das Austragen für die Schwangere unzumutbar oder sogar gefährlich sei. Rechtens könnten vor allem Gefahren für die Schwangere oder vorangegangene Vergewaltigung Abbrüche indizieren. Darüber hinaus sei es dem Gesetzgeber nicht verwehrt, in Rahmen eines Schutzkonzepts von der Strafandrohung abzusehen, wenn Frauen sich bei Konflikten nach unabhängiger ärztlicher Beratung in der Frühphase der Schwangerschaft für einen Abbruch entschieden. Solche Abbrüche im Rahmen einer Fristenregelung blieben indes rechtswidrig; sie dürften gesetzlich nicht als erlaubt, sie sollten gesellschaftlich nicht als normal bewertet werden; sie dürften aber straffrei bleiben. Zweifellos gibt es unabdingbare Elemente des so geschaffenen Schutzkonzepts: Die nötige ärztliche Beratung der Schwangeren, die Durchführung einer rechtmäßigen oder nicht rechtmäßigen, doch straflosen Abtreibung durch einen anderen Arzt, die Vorbeugung gegen eine Wertung von im Ansatz rechtswidrigen Schwangerschaftsabbrüchen als normale ärztliche Dienste, die nur ausnahmsweise Übernahme der Kosten eines nicht indizierten Abbruchs durch Krankenkassen und nicht zuletzt das strafbewehrte Werbeverbot für Ärzte. Gerade das Werbeverbot und darauf gestützte Strafurteile haben aber die Debatte um Abtreibungen erneut auf die öffentliche und politische Agenda gebracht. Zu Recht wurde eine Verunsicherung der verhältnismäßig wenigen, mancherorts überhaupt kaum vorhandenen Ärztinnen und Ärzte moniert, die sich wegen ihrer Bereitschaft zu Schwangerschaftsabbrüchen möglichen Strafverfahren ausgesetzt sehen. So wurden das Gießener Strafurteil gegen die Allgemeinmedizinerin Kristina Hänel, die auf ihrer Internetseite Schwangerschaftsabbrüche anbietet und dazu Erläuterungen gibt, außerdem viele weitere Strafverfahren gegen Ärzte auf den Weg gebracht. Anzeigen stammten von Leuten, die systematisch Homepages von Ärzten nach möglichen Erwähnungen von Schwangerschaftsabbrüchen durchstöbern. Manche Lebensschützer verstärken das durch Internetplattformen. Es sind religiöse oder politische Fundamentalisten, die sich nicht scheuen vor allgemeinen Diffamierungen solcher Ärzte und von Schwangeren, welche keinen anderen Ausweg aus Konflikten finden als die Abtreibung. Da ist beispielsweise ein angeblicher Student aus Kleve, der bis zu 70 Anzeigen gegen Frau Hänel und andere erstattet haben will; er spähe sie als Hobby auf Internetseiten aus. Oder Klaus Günter Annen, der 2

Betreiber einer Internetseite babycaust.de ; er bezeichnet Abtreibungen als Mord und Steigerungsform des Holocaust. Die AfD-Abgeordnete Beatrix von Storch warnte die SPD sogar, eine Babymörderfraktion sein zu wollen, wenn sie sich nicht von der Juso-Forderung distanziere. Vielen geht es nicht nur um das Werbeverbot; sie wollen mit ihrer Jagd auf Ärzte deren Hilfe zu Schwangerschaftsabbrüchen insgesamt infrage stellen; sie versuchen, damit den Kampf namentlich gegen die Fristenlösung in 218 StGB durch die Hintertür des Werbeverbots wieder aufzunehmen. Gerichte nutzen nicht Chancen einschränkender Auslegung Nach 219a StGB macht sich u.a. strafbar, wer öffentlich seines Vorteils wegen oder in grob anstößiger Weise Schwangerschaftsabbrüche anbietet. Nach Amts- und Landgericht Gießen, zuvor schon dem Landgericht Bayreuth, ist es strafbar, wenn Ärzte auf ihrer Homepage alle Tätigkeiten ihres Leistungsspektrums angeben und Schwangerschaftsabbrüche dabei erwähnen. Das kann nur bei sehr weiter Gesetzesauslegung als Werbung im Sinne der amtlichen Überschrift des 219a und das nach der Gebührenordnung anfallende Arzthonorar als erstrebter Vermögensvorteil angesehen werden. Man kann sich andererseits für eine engere Auslegung entscheiden; danach ist für Werbung ebenso wie in ärztlichen Berufsordnungen mehr als nur die Information über Leistungsangebote zu verlangen, nämlich ein anpreisendes oder grob anstößiges Einladen. Solche Fragen weiter oder enger Grenzziehung des Strafbaren tauchen häufig auf, wenn der Gesetzgeber zunehmend Strafbarkeit schon im Vorfeld eigentlicher Rechtsgüterverletzungen vorsieht. Dann wird Strafbarkeit diffus. Wir erleben es besonders im Sexual- oder Anti- Terror-Strafrecht. Konkret geht es um das Vorfeld verbotener Abtreibung und Verletzung des gebotenen Lebensschutzes Ungeborener. Schon öffentlich gemachte Bereitschaft zu ärztlichem Beistand bei Schwangerschaftsabbruch wird kriminalisiert. Das schließt sogar den rechtmäßigen Schwangerschaftsabbruch bei festgestellter ärztlicher Indikation ein. Geflissentlich wird das in der politischen Debatte verkannt, wenn etwa Beatrix von Storch erklärt: Was rechtswidrig ist, darf nicht beworben werden. Es gilt außerdem für den rechtswidrigen, doch straffreien Abbruch in den ersten zwölf Monaten nach vorgeschriebener ärztlicher Beratung und Abklärung möglicher Alternativen des Lebensschutzes. Der methodisch geschulte Jurist prüft in solchen Grenzfällen neben dem Wortlaut des Gesetzes die Sinngebung, den Zweck und die beabsichtigten oder unbeabsichtigten Wirkungen des Gesetzes; er fragt, welche Auslegung unter mehreren möglichen, vom Wortlaut gedeckten Interpretationen am ehesten den Zweck erreicht, welche am vernünftigsten erscheint. Dient eine weite Auslegung nicht dem Gesetzeszweck oder läuft sie ihm zuwider, empfiehlt sich eine enge, restriktive Auslegung (sog. teleologische Restriktion ). Ebendiese bietet sich hier nach Auffassung mehrerer Fachwissenschaftler jüngst der Strafrechtler Walter Gropp und der Verfasser an. Doch haben die genannten Strafgerichte diese Chance nicht genutzt. 3

In den Gesetzesmaterialien gibt es zahlreiche Anknüpfungspunkte für eine restriktive Auslegung des 219a. So wollte man Erscheinungen wie wildes ärztliches Werben um Patienten, einen Konkurrenzkampf bei Abtreibungen mit Werbeagenturen ausschließen. Schwangerschaftsabbrüche sollten nicht verharmlost, als etwas Normales dargestellt oder kommerzialisiert werden. Andererseits sollten Betroffene darüber unterrichtet werden können, wo sie ärztliche Hilfe erhalten. Liest man unbefangen die Materialien, so lässt sich daraus nicht ableiten, man habe Ärzten vorschreiben wollen, bloße Angaben über ihre Leistungspalette fälschlich durch Auslassen von Schwangerschaftsabbrüchen einzuschränken. Insbesondere Gynäkologen sind danach nicht verpflichtet, entsprechende Leistungen zu verschweigen und etwaige Patienten zu täuschen. Solche Sinngebung stimmt mit der Muster-Berufsordnung von 2011 überein; nach ihr ist der Ärzteschaft berufswidrige Werbung untersagt; berufswidrig ist insbesondere eine anpreisende, irreführende oder vergleichende Werbung. Diese Auslegung lässt Strafbarkeit erst eintreten, wenn Ärzte Schwangerschaftsabbrüche unziemlich propagieren. So hätten die Gießener Gerichte einen Freispruch begründen können. So könnte immerhin noch das Oberlandesgericht in Frankfurt über die Revision der Ärztin Hänel befinden. Aber seine Entscheidung würde Gerichte in anderen Bezirken nicht binden. Zudem wird das Frankfurter Obergericht wohl eine anstehende gesetzgeberische Entscheidung abwarten. Lässt sich der Kompromiss befriedend umsetzen? Womit wir wieder bei dem eingangs genannten, deutungsfähigen, alsbald umzusetzenden Kompromiss im Gesetzgebungsverfahren angelangt sind. Er enthält im Kern zwei Bekundungen: Am Werbeverbot solle festgehalten werden; betroffene Frauen sollen jedoch von Ärzten oder Arztverbänden erfahren, wer ihnen ärztlich für Schwangerschaftsabbrüche zur Verfügung steht. Ein Grundsatzstreit ist zu erwarten: Dürfen zu Abbrüchen bereite Ärzte selbst diese Bereitschaft in ihrem Leistungskatalog erwähnen? Und wenn ja: Dürfen sie das auch selbst kommentieren mit sachlichen Hinweisen etwa zu rechtlichen Voraussetzungen, zur Bereitschaft bei ausschließlich indizierten, also rechtmäßigen, oder eben bei allen von 218 StGB ermöglichten nicht strafbaren Abbrüchen, zur Kostentragung, zu Methoden der Durchführung, zu Risiken und Nebenwirkungen? Oder dürfen nur Ärztekammern oder amtliche Beratungsinstitutionen Listen über dazu bereite Ärzte und Kliniken samt sachlicher Information bereitstellen für Auskünfte an Betroffene? Wahrscheinlich werden Hardliner in der Unionsfraktion namentlich aber die AfD Ärzten jeglichen Hinweis auf die Bereitschaft zu Schwangerschaftsabbrüchen verbieten wollen. Sie könnten sich darauf berufen, dass ja nach dem Kompromiss das Werbeverbot weiter gelten solle; da aber die Rechtsprechung bislang solche ärztlichen Angaben als verbotenes Werben eingestuft habe, sei daran nicht zu rütteln. Sie werden sich auf das Votum des Strafrechtlers Michael Kubiciel in der Anhörung des Rechtsausschusses stützen. Der hatte u.a. ausgeführt: Das öffentliche Anbieten von Schwangerschaftsabbrüchen ohne 4

werbenden Impetus kann für eine Voreingenommenheit bei der Schwangeren sorgen oder diese festigen und läuft damit dem Ziel der Beratung zuwider. Er hatte es für ausreichend gehalten, wenn solche Ärzte auf ihrer Homepage einen Link zu einer zentralen Informationsplattform von Beratungsdiensten mit entsprechenden Angaben verweisen. Dieser Argumentation ist energisch zu widersprechen: Erstens müssen Ärzte autonom, authentisch, individuell ihr Leistungsspektrum unverkürzt angeben dürfen; das gehört zu ihrer Berufs- und Informationsfreiheit. Zweitens sind gerade nicht alle Schwangerschaftsabbrüche im Ansatz rechtswidrig; die indizierten etwa bei drohender Lebensgefahr für die Schwangere sind rechtmäßig, zumeist dringend geboten, so dass Verweigerungen unterlassener Hilfeleistung entsprächen. Drittens kann eine betroffene Frau nicht als voreingenommen angesehen werden, wenn sie sich an einen zur Abtreibungshilfe bereiten Arzt wendet; sie ist ja vorher ärztlich in einer Beratungsstelle über den notwendigen Schutz des Ungeborenen und Hilfen für das Austragen sowie mögliche Alternativen zum Abbruch beraten worden; sie hat sich dennoch für den Abbruch entschieden, ehe sie einen dazu bereiten Arzt aufsucht. Viertens erscheint es gekünstelt, ja berüchtigter juristischer Haarspalterei zu entsprechen, die eigene Homepage mit Informationsplattformen zur Abtreibung verlinken und dadurch indirekt eigene Bereitschaft andeuten, ohne sie beim Namen zu nennen zu dürfen; denn nur Ärzte, die solche Dienste leisten, werden auf diese Plattformen verweisen. Nur wenn solche sachlichen Eigenangaben der Ärzte wider alle Vernunft strafbar blieben, hätten Frau Hänel und betroffene Kolleginnen recht, der Kompromiss sei eine Null-Nummer. Unabdingbar ist also eine Klarstellung im 219a, dass Ärzte selbst ihre Bereitschaft und Kompetenz zu Schwangerschaftsabbrüchen im Leistungsspektrum erwähnen dürfen. Selbst wenn Einigkeit darüber erreicht wird, bleibt die Frage, ob diese Ärzte zusätzlich sachliche, nicht werbende Informationen auf ihrer Homepage geben dürfen. Das erscheint sinnvoll, zumal einige der wenigen überhaupt in Betracht kommenden Ärzte lediglich indizierte Abbrüche vorzunehmen bereit sind; ihnen darf doch nicht verwehrt werden, dies klarzustellen. Alles andere erschiene wie erwähnt haarspalterisch, ja unehrlich. Sollte in diesem Sinn ein Gesetzentwurf formuliert werden, wäre der Kompromiss weit mehr als eine Null-Nummer ; er hätte nämlich das Potential, Befriedung in die Diskussion zu bringen, die anhängigen Strafverfahren für alle Betroffenen zum erfreulichen Abschluss zu führen, Grundsatzentscheidungen weiterer Gerichte und des Bundesverfassungsgerichts überflüssig zu machen und nota bene die Regierungskoalition zu festigen. Dann kann gesellschaftlich weiter gerungen werden in der vermutlich noch lange anhaltenden Diskussion um Für und Wider Abtreibung. Dann können auch ohne strafrechtlich übermäßigen Druck auf Ärzte präventive Ansätze verstärkt werden, die Zahl von 100.000 jährlichen Abtreibungen zu senken. 5