Stellungnahme zum Vorschlag für eine EU-Richtlinie über bestimmte zulässige Formen der Nutzung verwaister Werke, KOM(2011) 289 endgültig

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Transkript:

Prof. Dr. Alexander Peukert, Goethe-Universität Senckenberganlage 31, D-60325 Frankfurt/Main Bundesministerium der Justiz Referat III B 3 Dr. Irene Pakuscher 11015 Berlin Univ.-Prof. Dr. Alexander Peukert Lehrstuhl für Bürgerliches Recht und Wirtschaftsrecht mit Schwerpunkt im internationalen Immaterialgüterrecht Exzellenzcluster Normative Orders Tel: +49 (0)69 798 22761 Fax: +49 (0)69 798 22763 E-Mail: a.peukert@jur.uni-frankfurt.de http://www.jura.uni-frankfurt.de/peukert/ Frankfurt/Main, 29.07.2011 Stellungnahme zum Vorschlag für eine EU-Richtlinie über bestimmte zulässige Formen der Nutzung verwaister Werke, KOM(2011) 289 endgültig Sehr geehrte Frau Dr. Pakuscher, gern komme ich Ihrer Anregung nach, zum o.g. Richtlinienvorschlag Stellung zu nehmen. Der Vorschlag der Europäischen Kommission gibt Anlass zu folgenden Bemerkungen: 1. Einbezogene Werke und sonstige Schutzgegenstände Art. 1 II RL-V listet abschließend die vom Vorschlag erfassten Werkkategorien auf. Insoweit sollte die Richtlinie klarstellend und erweiternd modifiziert werden: a) Art. 1 II Nr. 1 RL-V bezieht sich auf Werke, die in Form von Büchern, Zeitschriften, Zeitungen, Magazinen oder in sonstiger Schriftform veröffentlicht wurden. Auch die englischen ( writings ) und französischen ( écrits ) Sprachfassungen legen nahe, dass hiermit nur Schriftwerke im Sinne des 2 I Nr. 1 UrhG gemeint sind, nicht aber Werke der bildenden Kunst, Lichtbildwerke, Darstellungen wissenschaftlicher oder technischer Art und andere visuelle Schutzgegenstände wie insbesondere einfache Lichtbilder, die in Büchern etc. mit abgedruckt sein können. Aus der Begründung des Richtlinienvorschlags (S. 1 ( darin eingebettet ) und S. 4) sowie dem Anhang Nr. 4 zu Art. 3 II RL-V ergibt sich aber, dass auch visuelle Werke, einschließlich Kunstwerke, Fotografien, Illustrationen, Design- und Architekturwerke sowie deren Modelle und sonstige Werke, die in Büchern, Zeitschriften, Zeitungen und Magazinen enthalten sind, von der Richtlinie erfasst sein sollen, während eigenständige Fotografien und andere Bilder nicht unter die Richtlinie fallen (Art. 11 I RL-V). Dieser Anwendungsbereich sollte unter Einbeziehung von Lichtbildern ( Schutzgegenstände ) im Richtlinientext klargestellt werden, indem Art. 1 II Nr. 1 wie folgt formuliert werden sollte:

Schriftwerke sowie dazugehörige visuelle Werke und Schutzgegenstände, einschließlich Kunstwerke, Fotografien, Illustrationen, Design- und Architekturwerke sowie deren Modelle, die in Form von Büchern, Zeitschriften, Zeitungen, Magazinen oder in sonstiger Form veröffentlicht wurden und die in Sammlungen öffentlich zugänglicher Bibliotheken, Bildungseinrichtungen, Museen oder Archiven enthalten sind, oder b) In Art. 1 II Nr. 2 RL-V sollte ergänzt werden, dass die Regelung zum einen auch Laufbilder (siehe Art. 3 III 3 RL 2006/116 und 95 UrhG) und zum anderen Aufzeichnungen der Filmwerke etc. als Schutzgegenstand des verwandten Schutzrechts der Filmhersteller (Art. 3 II lit. c RL 2001/29 und 94 UrhG) erfasst. Zu diesem Zweck sollte Art. 1 II Nr. 2 RL-V wie folgt formuliert werden: Aufzeichnungen von Filmwerken, audiovisuellen Werken und Laufbildern, die in den Sammlungen von im Bereich des Filmerbes tätigen Instituten enthalten sind, c) Generell ist problematisch, dass der Vorschlag nur von Werken und nicht von den Schutzgegenständen verwandter Schutzrechte spricht. So sind Filmwerke und audiovisuelle Werke auf Bild- und Bild- und Tonträgern aufgezeichnet. Wenn an diesen Trägermedien ein verwandtes Schutzrecht des Filmherstellers besteht, würde ein Recht zur Nutzung des verwaisten Filmwerks noch immer nicht zur Vervielfältigung und Zugänglichmachung der Aufzeichnung berechtigen (siehe Art. 2 lit. d, 3 II lit. c RL 2001/29). Kann der Filmhersteller ausfindig gemacht werden, wird er im Zweifel auch die erforderlichen Rechte einräumen können. Ist der Filmhersteller hingegen nicht ermittelbar oder ausfindig zu machen, ist der Bild- bzw. Bild- und Tonträger als solcher verwaist. Selbiges kann im Hinblick auf Licht- und Laufbilder der Fall sein. Der Richtlinientext sollte deshalb durchgängig auf die Formulierung Werk oder sonstiger Schutzgegenstand umgestellt werden (vgl. Art. 6 III 1 RL 2001/29). So sollte es z.b. in Art. 1 RL-V heißen: 1. Diese Richtlinie betrifft bestimmte Formen der Nutzung verwaister Werke und sonstiger Schutzgegenstände durch öffentlich zugängliche Bibliotheken, Bildungseinrichtungen oder Museen sowie Archive, im Bereich des Filmerbes tätige Institute und öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten. 2. Diese Richtlinie gilt für Werke und sonstige Schutzgegenstände, die zuerst in einem Mitgliedstaat veröffentlicht oder gesendet wurden und die Folgendes sind: d) Schließlich sollten verwaiste Musikwerke und Tonträger in den Anwendungsbereich der Richtlinie einbezogen werden. Bereits der aktuelle Vorschlag umfasst gem. Art. 1 II Nr. 3 RL-V auch Tonwerke, die von öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten produziert wurden und in ihren Archiven enthalten sind. Es ist aber kein überzeugender Grund ersichtlich, warum verwaiste Tonaufzeichnungen aus den Archiven öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten zugänglich gemacht werden dürfen, verwaiste Tonaufzeichnungen aus öffentlichen Musikarchiven hingegen nicht. Diese Unterscheidung trifft der Vorschlag bei Aufzeichnungen von Filmwerken und audiovisuellen Werken (Nr. 2 und 3) nicht. Wenn öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten in die Richtlinie einbezogen werden (dazu sogleich), sollten andere öffentliche Einrichtungen all diejenigen Schutzgegenstände nutzen dürfen, auf die auch die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten zugreifen dürfen. Campus Bockenheim Senckenberganlage 31 D-60325 Frankfurt am Main 2

2. Privilegierte Einrichtungen Der Richtlinienvorschlag begünstigt lediglich öffentlich zugängliche Bibliotheken, Bildungseinrichtungen oder Museen sowie Archive, im Bereich des Filmerbes tätige Institute und öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten (Art. 1 I RL-V). Hiermit korreliert die Einschränkung der zulässigen, vergütungsfreien Formen der Nutzung verwaister Werke auf Ziele, die ihren im öffentlichen Interesse liegenden Aufgaben entsprechen, insbesondere die Bewahrung und Restaurierung von Werken sowie die Zugänglichmachung zu [von?, A.P.] Werken, die in ihren Sammlungen enthalten sind, zu kulturellen und bildungspolitischen Zwecken (Art. 6 II RL-V). Gem. Art. 7 RL-V können die Mitgliedstaaten den begünstigten Einrichtungen aber nicht definierte, andere Nutzungen erlauben, für die dann eine Vergütung zu zahlen ist. Demgegenüber dürfen private Unternehmen außerhalb dieses Kreises begünstigter Einrichtungen verwaiste Werke weiterhin nicht ohne vorherige Genehmigung des Rechtsinhabers nutzen. Diese, allein öffentliche Einrichtungen begünstigende Konzeption ist grundsätzlich zu überdenken. Erstens könnte dieser Ansatz dazu führen, dass die Richtlinie praktisch wirkungslos bleibt. Es erscheint nämlich zweifelhaft, ob in der gegenwärtigen und mittelfristig absehbaren Lage der öffentlichen Haushalte vieler Mitgliedstaaten großmaßstäbliche digitale Bibliotheksprojekte (S. 3 RL-V) aus Steuermitteln zu finanzieren sein werden. Zweitens erscheint die Einbeziehung öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten prinzipiell bedenklich. Sie unterscheiden sich nämlich von öffentlichen Bibliotheken, Bildungseinrichtungen, Museen, Archiven und Instituten in einem wichtigen Punkt. Während jene Einrichtungen fremde Werke in ihren Beständen führen, für die sie in aller Regel keine urheberrechtlichen Nutzungsrechte erworben haben, befinden sich in den Archiven der Rundfunkanstalten eigene Produktionen des Senders. Für deren Herstellung und Nutzung haben die Rundfunkanstalten Verträge mit den Urhebern etc. abgeschlossen. Die verwandten Schutzrechte an der Sendung und ggf. den Ton-, Bildsowie Bild- und Tonträgern stehen der Rundfunkanstalt originär zu. Die Nutzung verwaister Schutzgegenstände aus dem Archiv einer öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt wirft dieselben Probleme auf wie die Nutzung eines Archivs einer privaten Rundfunkanstalt oder eines Verlags. Jeweils geht es um die Frage, ob der Sender, der Verlag etc. die für eine Online-Nutzung erforderlichen Rechte vertraglich erworben hat. Um diesen rechtsgeschäftlichen Erwerb zu erleichtern, wurde im deutschen Recht 137l UrhG erlassen. Das Vertragsrecht aber will die Richtlinie gar nicht regeln (Art. 8 a.e. RL- V); vielmehr sollen gesetzliche Nutzungsrechte geschaffen werden. Folglich sollten öffentlich-rechtliche Rundfunkunternehmen aus dem Kreis der begünstigten Einrichtungen gestrichen werden. Drittens könnte Art. 7 RL-V zu nicht zu rechtfertigenden Ungleichbehandlungen öffentlicher Einrichtungen und sonstiger privater Unternehmen führen. Auf der Grundlage dieses Artikels könnten die Mitgliedstaaten ihren öffentlichen Einrichtungen sogar kommerzielle Nutzungen verwaister Werke erlauben. Es ist aber kein Grund ersichtlich, warum die Kommerzialisierung verwaister Werke nur diesen, in der Regel staatlich grundfinanzierten Einrichtungen offenstehen soll. Wenn schon eine kommerzielle Nutzung verwaister Werke zulässig werden soll, dann auch zugunsten aller kommerziell agierenden Unternehmen. Campus Bockenheim Senckenberganlage 31 D-60325 Frankfurt am Main 3

Möchte man dieses Ungleichbehandlungs- und Finanzierungsproblem auf dem Boden der Konzeption des Richtlinienvorschlags angehen, sollte Art. 7 I RL-V ausdrücklich Kooperationen zwischen öffentlichen Einrichtungen und privaten Unternehmen zur Durchführung der erwünschten Großdigitalisierungsprojekte erlauben. Ermöglicht würden privat finanzierte und später kommerzialisierte Digitalisierungsprojekte, für die umgekehrt auch eine urheberrechtliche Vergütung zu zahlen wäre. Nach Erwägungsgrund 18 i.v.m. Art. 6 III RL-V sollen solche kommerziellen Kooperationen offenbar sogar im Bereich vergütungsfreier Nutzungen zulässig sein, was zu weit gehen würde. In den Erwägungsgründen sollte stattdessen klargestellt werden, dass die verwaisten Werke aus dem Bestand der jeweiligen Einrichtung in jedem Fall dauerhaft ohne technische Schutzmaßnahmen in der ganzen EU öffentlich zugänglich sein müssen, da andernfalls der Zweck der Einschränkung des Urheberrechts nicht erfüllt würde. Art. 7 I RL-V sollte demnach wie folgt formuliert werden: Die Mitgliedstaaten können den in Artikel 1 Absatz 1 genannten Einrichtungen, auch in Kooperation mit Dritten, genehmigen, ein verwaistes Werk zu anderen als den in Artikel 6 Absatz 2 genannten Zwecken zu nutzen, vorausgesetzt, dass (1) die in Artikel 1 Absatz 1 genannten Einrichtungen oder Kooperationen ihre sorgfältige Suche dokumentieren; (2) die Einrichtungen oder Kooperationen öffentlich zugängliche Protokolle über ihre Nutzung verwaister Werke führen; 3. Weitere zulässige Nutzungen verwaister Werke und Schutzgegenstände Die Richtlinie ist auf paneuropäische Großprojekte zur Digitalisierung verwaister Werke aus den Beständen öffentlicher Einrichtungen ausgerichtet. Es besteht aber ein erhebliches Interesse, verwaiste Werke insbesondere in anderen Einzelfällen innerhalb des Territoriums eines Mitgliedstaats nutzen zu dürfen. Zu denken ist etwa an den Abdruck eines verwaisten Gedichts in einer kommerziell vertriebenen Anthologie. Die Richtlinie würde nichts daran ändern, dass derartige Nutzungen verwaister Werke weiterhin unterbleiben müssen. Dies läuft dem Ziel zuwider, den freien Verkehr von Wissen und Innovation im Binnenmarkt zu fördern (ErwGrd. 2 RL-V). Ferner wäre die Ermöglichung solcher Nutzungen kulturell und bildungspolitisch wünschenswert. Nicht zuletzt beruht das Urheberrecht auch auf der Idee, Kultur und Bildung durch privatmarktwirtschaftliche, nicht-staatliche Initiative zu fördern. Den Mitgliedstaaten wäre es nach Erlass der Richtlinie versagt, derartige, auf das nationale Territorium beschränkte Nutzungen zu gestatten. Der Richtlinienvorschlag regelt die Zulässigkeit der Nutzung verwaister Werke abschließend. Nutzungen, die nicht von Art. 6 und 7 RL-V erfasst sind, bedürfen weiterhin der vorherigen Genehmigung des nicht ermittelbaren oder unauffindbaren Rechtsinhabers. Die abschließende Liste der urheberrechtlichen Schranken in Art. 5 RL 2001/29 sieht ebenfalls keine Regelung für diese Problematik vor. Schließlich bezieht sich der Vorbehalt zugunsten nationaler Regelungen für die Verwaltung von Rechten, beispielsweise der erweiterten kollektiven Lizenzen nur auf bereits bestehende ( existing ) Regelungen. Campus Bockenheim Senckenberganlage 31 D-60325 Frankfurt am Main 4

Den Mitgliedstaaten sollte die Möglichkeit eingeräumt werden, die Nutzung verwaister Werke unter Einschränkung der in den Art. 2-4 RL 2001/29 vorgesehenen Rechte für ihr jeweiliges Territorium zu erlauben. Dabei sollte offengelassen werden, welche der auf S. 3 des Vorschlags erläuterten Optionen gem. Nr. 2-5 ein Mitgliedstaat wählt. Die sich hierbei ergebenden Rechtsunterschiede sind hinzunehmen, da die urheberrechtlichen Ausnahmen und Beschränkungen ohnehin nicht vollständig harmonisiert sind (Art. 5 II-V RL 2001/29). Eine solche Öffnungsklausel könnte lauten: Art. X Weitere zulässige Nutzungen verwaister Werke und Schutzgegenstände Die Mitgliedstaaten können zur Nutzung verwaister Werke und sonstiger Schutzgegenstände im Sinne des Artikels 2 weitere Ausnahmen oder Beschränkungen in Bezug auf die in Artikel 2 bis 4 der Richtlinie 2001/29/EG vorgesehenen Rechte vorsehen oder Regelungen für die Verwaltung dieser Rechte erlassen. Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass der Inhaber der Rechte an einem Schutzgegenstand jederzeit die Möglichkeit hat, den Status als verwaister Schutzgegenstand zu beenden. Rechtsinhaber, die den Status als verwaister Schutzgegenstand beenden, sind für die bereits erfolgte Nutzung zu vergüten. Artikel 5 Absatz 5 der Richtlinie 2001/29/EG gilt entsprechend. Mit freundlichen Grüßen Prof. Dr. Alexander Peukert Campus Bockenheim Senckenberganlage 31 D-60325 Frankfurt am Main 5