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Transkript:

Familie Rosenthal/Eichmann Familie Rosenthal um 1918, v.l.n.r.: Martha (1903-91, überlebte ein Arbeitslager), Else (1898-1918), Lina (1869-1933), Fritz (1905-96, emigriert in die USA), Siegmund (1901-18), Albert (1973-1943, ermordet in Auschwitz), Paul (1899-1942, ermordet in Auschwitz) (Privatfoto J. Eichmann) Albert Rosenthal 1 (geb. 1.4.1873), gelernter Metzger, hatte mit Ehefrau Lina (1869) fünf Kinder: Martha (1903), Fritz (1905), Paul (1899) sowie Else und Sigmund, die beide 1918 der spanischen Grippe zum Opfer gefallen waren. Sie fanden ihr Grab auf dem Jüdischen Friedhof, wie auch Mutter Lina, die bereits 1933 starb. Wohnorte waren Herten, dann Recklinghausen, zuletzt an der Rochusstraße und ab 1929 am Börster Weg 18. Hier unterhielt Lina Rosenthal einen koscheren Mittagstisch für Angestellte des Textilkaufhauses Alsberg, das Herrn Isacson gehörte. Albert Rosenthal in der Kaserne Metz um 1914 (Privatfoto J. Eichmann) 1 Insgesamt dazu: Johanna Eichmann, Du nix Jude, Du blond, Du deutsch. Erinnerungen 1926 1952, Essen 2011; Albert und Lina Rosenthal waren ihre Großeltern mütterlicherseits; vgl. Georg Möllers/Jürgen Pohl, Abgemeldet nach unbekannt 1942. Die Deportation der Juden aus dem Vest Recklinghausen nach Riga, Essen 2013, S. 75-80

Familie Rosenthal lebte ein bürgerlich-jüdisches Leben, in dem die Bräuche der deutschen Kultur, wie der Weihnachtsbaum, ebenso ihren festen Platz hatten wie das religiöse Chanukkafest. Albert Rosenthal war Mitglied im 1921 gegründeten Reichsverband jüdischer Frontsoldaten und stolz darauf, im Weltkrieg Kaisers Rock getragen zu haben. 1935 verbot die NSDAP diese Vereinigung. Wenige Jahre später wurde Albert Rosenthal in Zuge der Konzentration der jüdischen Bürger auf wenige Häuser die Wohnung am Börster Weg gekündigt. Hauseigentümer war die Stadt Recklinghausen. Daraufhin mietete er sich, inzwischen verwitwet, ein Zimmer im Haus Kellerstr. 21, einem der späteren Judenhäuser. Unmittelbar nach dem Terror der Pogromnacht floh Albert Rosenthal mit seinem Sohn Paul, der bereits am 1. April 1933 nach Bochum verzogen war 2, nach Belgien. 3 Vermutlich flüchtete Paul zusammen mit seiner geschiedenen ersten Frau Rosa, geb. Simon. Ihr gemeinsamer Sohn Günther (geb. 1928) war von ihr am 14.1.1938 in die Obhut des Jüdischen Waisenhauses Dinslaken gebracht worden, wurde aber vermutlich später nach Belgien nachgeholt, denn am 18.8.42 findet sich auch sein Name auf der Transportliste von Mechelen in das Vernichtungslager Auschwitz. 4 Am 13.06.1939 wurde Arthur Israel Abrahamsohn aus Marl in Brüssel in der 43 rue du Lavoir registriert. 5 Er fand eine gemeinsame Wohnung mit Albert Rosenthal. Über ihr schrieb Albert Rosenthal, dessen Sohn Fritz nach dem gewaltsamen Überfall auf seine Wohnung in Düsseldorf am 9./10. November 1938 in die USA geflohen war, am 18. März 1940 in einem Brief an die in die USA emigrierte Verwandtschaft: 6 Ich bewohne unter den primitivsten Wohnverhältnissen mit meinem Kameraden Abrahamsohn aus Marl bei Recklinghausen eine Mansarde.[ ] Wer hätte vor sieben Jahren gedacht, dass wir Juden landflüchtig werden und unter der Knute eines Hitler unser bisschen Hab und Gut, ja selbst das Leben einbüßen bzw. verlieren. In Europa wird für uns Juden auf die Dauer keine Bleibe sein. Jeder, der den Weg nach Übersee gefunden hat, soll Gott danken [ ] dankbar sein. Jetzt lebt man nur noch in der Erinnerung. Was bisher war, ist ausgelöscht. Der Briefauszug gibt einen tiefen Eindruck in die empfundene Hoffungslosigkeit und die Zukunftsängste der Emigranten, die getrennt von ihren Familien ausharrten. Keine zwei Monate später bewahrheiteten sich Rosenthals Befürchtungen. Nach der Eroberung Polens 1939 begann am 10. Mai 1940 mit dem Einmarsch in die Niederlande, Belgien und Luxemburg die deutsche Westoffensive. Damit rückt der nationalsozialistische Gewaltapparat auch in Brüssel ein und bedroht die jüdische Bevölkerung in der belgischen Hauptstadt und Antwerpen: Im Oktober 1940 wurden Paul Rosenthal und Hans Abrahamsohn ins Lager Camp de Gurs in Südfrankreich als Internierte verschleppt. In dieses Sammellager im Vichy- Frankreich, das nach der militärischen Niederlage mit dem Dritten Reich kollaborierte, waren in diesen Monaten neben 23.000 Juden aus Frankreich und Belgien auch in der 2 Sta RE III 6520 3 Unbekannt wohin verzogen notiert der Nachweis der jüd. Familien (1938) lt. StA RE III 6519; StA RE III 6520 verzeichnet die Abmeldung von Albert und Lina Rosenthal nach Brüssel am 26.1.1939; dabei war die Ehefrau bereits 1933 verstorben. Das Familiengrab mit der Inschrift für Lina befindet sich auf dem Jüdischen Friedhof; die rechte Seite der Inschrift blieb leer Ehemann Albert fand sein Grab in Auschwitz. Eichmann (2011), S. 46 gibt als Datum der Flucht von Paul Rosenthal den 19.1.1939 an. 4 Vgl. Eichmann (2011), S. 38ff.; Pauls zweite Frau Hanna wurde 1941 von Essen aus ins Ghetto Minsk deportiert: ebda., S. 56 5 Klaus Mohr, Sowas passiert in Deutschland nicht. Jüdische Menschen in Marl, Essen 2012, S. 72 6 Laudatio von Sr. Johanna Eichmann anlässlich der Verleihung der Vestischen Ehrenbürgerschaft an Rolf Abrahamsohn, 18.11.2011, jetzt abgedruckt in: Vestischer Kalender 2013, S. 41

ersten Massendeportation im Reichsgebiet auch 6000 Juden aus Süddeutschland verschickt worden. Die hygienischen Verhältnisse in dieser primitiven Barackenunterkunft am Fuße der Pyrenäen und die Gesundheits- und die Ernährungslage waren furchtbar. Hans wurde am 25.7.1941 weiter in das Lager Rivesaltes bei Perpignan transportiert, wo bis zu 18.000 Menschen auf 13 ha zusammengepfercht waren. 7 Er wurde von dort nach Paris-Drancy, dem Umschlagplatz für Deportationen verbracht und am 26.8.1942 in das Vernichtungslager Auschwitz gebracht. Paul Rosenthal war von Gurs aus über Drancy transportiert worden; am 7. August 1942 verließ der Transport Nr. 16 Drancy und traf drei Tage später in Auschwitz ein. Paul gehörte zu den 203 Opfern, die nicht sofort in die Gaskammern kamen. Sechs Wochen später war aber auch er den Strapazen im KZ Auschwitz nicht mehr gewachsen: Der Schneider Paul Rosenthal mosaisch wohnhaft Brüssel, 35, rue Poincare, ist am 18. September um 08 Uhr 20 Minuten in Auschwitz, Kasernenstraße verstorben. 8 Eintragen ließ die Todesursache Darmkatarrh bei Körperschwäche und Tod am 18.9.1942 Dr. Paul Kremer. Der Professor für Vererbungslehre, NSDAP und SS-Mitglied selektierte Menschen und entschied über den Tod der Geschwächten. Paul wurde durch eine Phenolspritze in Herz ermordet. Albert Rosenthal und Arthur Abrahamsohn waren zu diesem Zeitpunkt bereits in den Gaskammern von Auschwitz ermordet worden. Ende Juni 1942 erhielten sie in Brüssel von der SS die Aufforderung, sich auf den Arbeitseinsatz im Osten vorzubereiten. Die Liste der Ausrüstungsgegenstände war mit deutschen Präzision vorbereitet und umfasste Arbeitskleidung, Gummistiefel, Decken, Unterwäsche, Bettwäsche etc : Die Täuschung war perfekt. 9 Vom SS-Sammellager Mechelen aus wurden in 28 Zügen ca. 25.000 Juden und 350 Sinti nach Auschwitz deportiert, davon allein zwischen August und Oktober 1942 über 17.000 Menschen; lediglich 1200 Deportierte überlebten. Die Deportation von Albert Rosenthal erfolgte am 31. Juli 1943. Beide gehörten zu den Opfern, die direkt nach ihrer Ankunft in die Gaskammern von Auschwitz ermordet wurden. Martha Rosenthal, die Tochter von Albert und Lina, hatte Paul Eichmann geheiratet, den sie als Angestellten der befreundeten jüdischen Familie Boldes in Marl kennengelernt hatte. Die Heirat mit einem Goj, einem Nichtjuden, war wohl eher von Lina, als von Albert Rosenthal unterstützt worden. Das Enkelkind Ruth wurde jüdisch erzogen nach jüdischer Gesetzgebung galt das Kind einer jüdischen Mutter als Jude -, feierte die Chanukkafeier im Jüdischen Gemeindehaus und besuchte mit den Nachbarskindern den katholischen Kindergarten der St. Elisabeth-Gemeinde: Die Distanz zwischen Juden und Nichtjuden schien kaum größer als die zwischen Katholiken und Protestanten. 10 Ostern 1932 wurde Ruth eingeschult. Wie viele jüdische Kinder ging sie aber nicht zur einklassigen Israelitischen Volksschule, sondern wurde an der Katholischen Petrusschule angemeldet. Nach der NS-Machtübernahme und den ersten antisemitischen Aktionen wurden jüdische Schüler ab September 1933 zum Besuch der Jüdischen Schule verpflichtet. Dies war der Anlass für den Familienbeschluss, Ruth taufen zu lassen. Der Taufe in St. Peter folgte in aller Heimlichkeit die kirchliche Bestätigung der Trauung. Sie erfolgte durch Propst Heiermann, der einen Dispens besorgt hatte, weil Martha Eichmann ja nicht getauft war. Angesichts des zunehmenden Antisemitismus der Nürnberger Rassegesetz 7 Vgl. Mohr, S. 78ff 8 Zitiert nach: Eichmann, S. 46f 9 Sr. Johanna Eichmann anlässlich der Verleihung der Vestischen Ehrenbürgerschaft an Rolf Abrahamsohn, 18.11.2011 10 Eichmann, S. 13

von 1935, die Tochter Ruth zur Halbjüdin gemacht hatten, meldete die Familie das Kind Ostern 1936 im Ursulineninternat in Dorsten an. 11 Hier fühlte sie sich geschützt, bis 1941 Kloster, Internat und Klosterschule geschlossen wurden. In der Folgezeit wurde Ruth als Mischling 1. Grades vom Schulbesuch ausgeschlossen, ging zur privaten Berlitz-Schule und dann mit einer Freundin nach Berlin. Hier überlebte sie mit viel Glück als Dolmetscherin bei einer Dienststelle des französischen Vichy-Regimes, dann in einem kriegswichtigen Betrieb die NS-Herrschaft. Am 19. September 1944 wurde ihre Mutter, Martha Eichmann, zu Hause verhaftet und ins Polizeipräsidium verbracht; der Haftbefehl gegen Ruth konnte wegen ihrer Abwesenheit nicht exekutiert werden. Im Rahmen der Gestapo- Mischlingsaktion war sie zusammen mit anderen jüdischen Ehefrauen arischer Männer nach Gelsenkirchen gebracht und von dort nach Kassel verbracht worden. Kennkarte von Martha Sara Eichmann (Privatfoto J. Eichmann) Unter ihnen befand sich auch Edith Hillbrenner, geb. Boldes aus Marl. Nach der Unterbringung im Zuchthaus Kassel ging der Transport weiter in ein provisorisches Zeltlager in einer Tongrube der kleinen Ortschaft Elben. Wegen der Empörung der Dorfbevölkerung über die miserable Lage der 120 Frauen wurde sie dann beengt in einer Gaststätte im Ort untergebracht, bis Baracken in der Tongrube errichtet worden waren. Als Zwangsarbeiterinnen wurden sie von der Organisation Todt zum Aushub von Großstollen am Hardtkopf eingesetzt, wo Teile der Flugmotorenwerke Henschel untergebracht werden sollten. In der Schlussphase lebten die Frauen in der ständigen Angst, zur Tötung abtransportiert zu werden, ehe die US-Truppen einrückten. Bis zur Rückkehr von Frau und Tochter lebte Paul Eichmann, der sich von seiner Familie nicht hatte scheiden lassen, in der Ungewissheit über ihr Schicksal. Er selbst wurde am Karfreitag, dem 1. April 1945, von den einrückenden Amerikanern zum Oberbürgermeister von Marl ernannt. Ruth Eichmann trat 1952 in den Konvent der Ursulinen ein und war seit 1956 Lehrerin, 1964-1991 Leiterin des St. Ursula-Gymnasiums in Dorsten. Sie gehörte zu den Mitbegründern der Arbeitsgruppe Dorsten unterm Hakenkreuz und des Jüdischen Museums Westfalen, das sie 1992-2006 leitete. (Georg Möllers) 11 Die dortige Oberin, Mater Petra Brüning, stand im persönlichen Kontakt mit der Philosophin Edith Stein, die vom Judentum zum Katholizismus konvertierte und in den Karmelitinnenorden eingetreten war; sie wurde wie Luise Löwenfels in den Niederlanden gefasst und in Auschwitz ermordet.

Diese PDF-Datei ist ein Anhang zur biographischen Datei ( Opferbuch ) im Gedenkbuch Opfer und Stätten der Herrschaft, der Verfolgung und des Wider-standes in Recklinghausen 1933-1945 Link: www.recklinghausen.de/gedenkbuch