Dr. Stefan Sabutsch Semantische Interoperabilität und das Patient Summary in ELGA Elektronische Dokumente als Voraussetzung für Electronic Decision Support & mobile Healthcare CON.ECT ELGA und Mobile Healthcare: E-Health Informunity Wien am Inhalt 1. Electronic Decision Support 2. e-befunde und strukturierte Dokumentation 3. Interoperabilitätsstandards für elektronische Dokumente 4. HL7 Clinical Document Architecture (CDA) 5. Darstellung von CDA am Bildschirm, Drucker und Smartphone 6. Der ELGA-Fahrplan für CDA 7. Patient Summary 2
Was sind Clinical Decision Support Systems? Clinical Decision Support Systems (CDSS) sind Expertensysteme, die Patientendaten und regelbasiertes medizinisches Wissen integrieren und verarbeiten Regeln lassen sich als Wenn-Dann-Aussage formulieren Z.B. Wenn Penicillin-Allergie und Penicillin-Verordnung, dann Warnung Wichtigste Funktionen 1) Unterstützung: bei Dokumentation, Codierung, Anordnungen, Überweisungen Managen von Komplexität und Details: Einhalten von Behandlungsplänen, Auftragsverfolgung, Erinnerungen, Vorsorge Kostenkontrolle: Vermeiden von Doppelmedikation, Mehrfachuntersuchungen Decision Support: Vorschlagen von Diagnosen, Förderung der Nutzung von Best-Practice und Klinischen Leitlinien 1) Perreault L & Metzger J 1999 3 Was CDSS nicht leisten: Den Arzt ersetzen (Artificial Intelligence) Diagnoseerstellung durch CDSS steckt trotz >50 Jahren Forschung noch in den Kinderschuhen Gesamtschau aller verfügbaren Informationen notwendig Alle Informationen müssen semantisch korrekt aufbereitet sein Aktuelles medizinisches Wissen muss als Wissensbasis verfügbar sein Teilerfolge: 1971 Leeds Abdominal Pain System 1972 Mycin (Antibiotikatherapie) 1989 Hepaxpert / 2003 Hepaxpert III 4
Was CDSS bereits leisten können: Weak Artificial Intelligence Aufbereitung von Patienten-Informationen Geordnete Übersicht Zusammenfassungen Verlaufsdarstellung Warnungen Medikation: Mehrfachverordnung, Wechselwirkungen Allergien und Überempfindlichkeiten, kritische Vorerkrankungen, Implantate Kritische Ergebnisse von Untersuchungen (v.a. Laborwerte) Plausibilitätsprüfung Überprüfen von Anordnungen (Doppeluntersuchungen) Erinnerungen Impfungen Vorsorgeuntersuchungen Unterstützung der Kontrolle Einhaltung von vorgeschlagenen Therapien Fehlervermeidung 5 CDSS: potentielle Nutzen und Nachteile Potentieller Nutzen von CDSS Verbesserung der Patientensicherheit: Reduktion von Medikationsfehlern, Wechselwirkungen, Behandlungsfehlern, kontrollierte Leistungsanforderung Verbesserung der Behandlungsqualität: erleichterte Dokumentation, Einhaltung von klinischen Pfaden und evidenzbasierter Behandlung, mehr Zeit für den Patienten Erhöhte Effizienz: Kostenreduktion durch verbesserte Prozesse, schnellere Behandlung, weniger Doppeluntersuchungen, Vorschlagen von günstigeren Medikamenten Potentielle Nachteile: Aufwändige und schwierige Bedienung Unflexibel, Einschränkung des ärztlichen Handlungsspielraums Kosten für Implementierung? Deskilling der einzelnen Personen 6
Akzeptanz von CDSS Für die Akzeptanz eines CDSS ist Diagnoseunterstützung nicht die wichtigste Funktion! Wichtig: Aufbereitung von Patienten-Informationen Warnungen Plausibilitätsprüfung Erinnerungen Unterstützung der Kontrolle Voraussetzungen für die Akzeptanz von CDSS im klinischen Alltag: Workflow-Integration Kompatibilität mit bisherigen Anwendungen Erlernbarkeit Transparenz (Nachvollziehbarkeit) Geschwindigkeit Ausreichende Datenqualität Zuverlässigkeit 7 Welche Quelldaten benötigt ein CDSS? Die Anwendung von regelbasiertem medizinischen Wissen erfordert strukturiert erfasste Einzeldaten Liegen in einzelnen datenbankbasierten Med-IS vor Aber: Patientendaten liegen in verschiedenen verteilten IT-Systemen Die Daten aus den verteilten Systemen müssen in einen gemeinsamen Datenpool integriert werden mit ihrer Semantik und ihrem Kontext Beispiel: Glucose 115 mg/dl Semantik: Analyse der Serumkonzentration von Glucose Semantik wird über Terminologien (Codelisten) hergestellt (ICD-10, LOINC,.) Kontext: Messung 2 h nach einem Glucosetoleranztest Der Kontext wird meist über den Fall, Zeitbezug, den Dokumenttyp, Dokumentationssystem oder im Text hergestellt, selten durch den Code (I21.- akuter Myokardinfarkt vs. I25.2 alter Myokardinfarkt) Über CDA können Semantik und Kontext der Daten erhalten werden 8
e-befunde Elektronische medizinische Dokumentation besteht aus Freitext und strukturierter Information in Feldern Von Ärzten wird der Freitext als besonders hilfreich empfunden (Lesen und Schreiben) Komplexe Sachverhalte lassen sich schwer in eng vorgegebenen Strukturen darstellen Verlust von Information oder Granularität Unterschiedliche Befundtypen und Fachrichtungen besitzen verschieden komplexe und strukturierte Befunde Hochstrukturiert, einfache Struktur: z.b. Laborbefund Hoher Freitextanteil, komplexe Struktur: z.b. Pathologiebefund 9 Interoperabilitätsstandards für elektronische Dokumente Anforderungen an das Dokumentaustauschformat für ELGA Beliebiger medizinischer Inhalt Internationaler (ISO) Standard Lizenzfrei, plattform- & herstellerunabhängig Langfristig stabil / archivierbar Selbstbeschreibend mit medizinischen Metadaten PDF/A CDA Inhalte semantisch interoperabel Beliebige Anpassung der Darstellung (auch nachträglich) Semantische Interoperabilität: Notwendig, um Inhalte eines Dokuments in die Datenbasis eines Informationssystems integrieren zu können! 10
HL7 Clinical Document Architecture (CDA) ELCA CDA Implementierungsleitfäden definieren: Inhalt Struktur, Verpflichtende und optionale Inhalte, Reihenfolge Technik Einheitliche codierte Elemente 11 Darstellung von CDA am PC, Tablet CDA kann über ein Stylesheet (XSLT) beliebig dargestellt werden Für ELGA wurde ein Referenz-Stylesheet mit Usability-Experten entwickelt und getestet Optimiert für Browser am PC-Bildschirm oder Tablet Interaktiv: Bedienung mit Maus oder Touchpad möglich 12
Darstellung von CDA am Drucker Das interaktive Referenz- Stylesheet ist für die Druckausgabe ungeeignet viele eingeklappte Informationen müssen gedruckt werden (Anhang) Kopf- und Fußzeile, Seitenumbruch Schwarzweißausgabe Eine für die Druckausgabe auf A4 optimierte Version des Referenz- Stylesheets ist in Arbeit Kontrolliert durch ein Experten- Usability-Review 13 Darstellung von CDA auf Smartphones? Technisch machbar Ein entsprechendes Stylesheet muss allerdings noch entwickelt werden! Herausforderungen Bedienelemente für kleinen Touchscreen Reduzierte Bedienelemente Bildschirmbreite ausnutzen Administrative Informationen (Header) weiter minimieren In Referenzstylesheet integrieren oder separat als eigene Datei anbieten? Welche Zielgruppe? Die ELGA-App Auch das ELGA-Portal sollte über Smartphones erreichbar sein 14
Interoperable Dokumente helfen die integrierte Datenbasis für CDSS herzustellen Medizinisches Arbeitsplatzsystem Lokale Patientenakte mit CDSS-Regelwerk Nachrichten & Dokumente Lokale Systeme Labor Radiologie e-befund e-medikation Pathologie PACS 15 CDSS (implizite Abbildung) Alle modernen medizinischen Informationssysteme (Med-IS) sind entscheidungsunterstützende Systeme In vielen Med-IS sind die Regeln in festen Algorithmen im Programmcode hinterlegt Das Wissen ist implizit abgebildet, eine Änderung der Regeln erfordert ein Programmupdate Algorithmen Daten Die Datenbasis muss vollständig und elektronisch auswertbar sein 16
CDSS (explizite Abbildung) Regeln können als Wissensbasis in einem Regelverzeichnis zusammengefasst und mit einer Interferenzmaschine ausgewertet werden explizite Abbildung Das regelbasierte Wissen sollte als austauschbares und updatebares Modul zu jedem medizinischen Arbeitsplatz zur Verfügung stehen Interferenz- Maschine Wissensbasis Daten Standards für die Syntax von Regeln sind vorhanden: HL7 Arden Syntax und Gello 17 Integration von Daten und CDSS Explizite Regeln Interferenz- Maschine Medical Logic Modules (Regelverzeichnis) CDSS Medizinisches Arbeitsplatzsystem Lokale Patientenakte (Datenpool) Nachrichten & Dokumente Lokale Systeme Labor Radiologie e-befund e-medikation Pathologie PACS 18
Was ist ein Patient Summary? Zusammenstellung grundlegender medizinischer Daten zu einem Patienten, um sichere Gesundheitsversorgung zu gewährleisten, eine Zusammenfassung der Krankenakte. Ermöglicht Gesundheitsberufen Zugriff auf die wesentlichen Informationen zu einem Patienten Im Rahmen der geplanten medizinischen Versorgung (z.b. im Fall von intersektoral übergreifender Betreuung) Bei ungeplanten Behandlungen (Unfall, Notfall) Ziele: Bei der Behandlung eines Patienten soll sich ein Angehöriger der Gesundheitsberufe schnell und umfassend über den medizinischen Gesamtzustand des Patienten informieren, ohne die gesamte Patientenakte lesen zu müssen Vermeidung von Informationsdefiziten in der Behandlungskette 19 Patient Summary in ELGA Das Patient Summary gehört gemäß ELGA-G 2, Abs 9., lit. f zu den ELGA-Gesundheitsdaten Eine Expertengruppe berät seit 2012 über das Patient Summary Nutzer: Alle Ärzte, ggf. Pflege Anwendungsfälle: Anamnese/ erschwerte Anamnese, weniger im Notfall Notwendige Daten: wurden identifiziert. Datenquellen? Umsetzungsvarianten Als ein eigenes Dokument (durch Ärzte) Aus den in ELGA verfügbaren Daten zusammengestellt (durch Automatismus) 20
Übersicht: Daten im Patient Summary Patient Summary Patient Gesundheitsprobleme Warnungen Behandelnde GDA Letzte Diagnosen / Beratungsanlässe [R] Entlassungsdiagn. [R] Dauerdiagnosen [R] Freitext zu den Diagnosen [O] Invalidität [R] Operationen/ Transplantationen/ Interventionen [R] Implantate [R] status post-diagn. [O] Pflegediagn. [O] Heilbehelfe (Prothesen, Brille, Gehhilfen etc) [O] Allgemeine Anmerkungen [O] Allergien [R] Unverträglichkeiten [R] Hausarzt [R] GDA aktuelle Behandlung [O] GDA vergangene Behandlung [O] Mobile Pflege- und Betreuungsdienste [O] Name [R] Alter [R] Geschlecht [R] Adresse [O] Nationalität [O] Familienstand [O] Sprache(n) [O] Ausgeübter Beruf [O] Kontaktpersonen [O] gesetzliche Vertreter (Vormund, Sachwalter) [O] Versicherung(en) [O] Befreiungen (Rezeptgebühr) [O] Pflegestufe [O] Daten über soziale Versorgung [O] Hinterlegt: Daten elektronisch verfügbar Medikation, Impfungen e-medikation [R] Impfstatus [O] Blutgruppen Metadaten Blutgruppen incl. Antikörper [O] Dokumentenverweise Erstellungsdatum [R] Letztes Update [R] Autor(en) [R] Änderungen seit dem letzten Zugriff [O] Befunde [R] Patientenverfügungen [R] TransplantationsWidersprüche [R] 21 Variante 1) Umsetzung als Dokument Das Patient Summary wird als zusammenfassendes Dokument durch einen Arzt erstellt Theoretisch ein präzises, übersichtliches und aussagekräftiges Dokument, das durch ärztliche Expertise und die persönliche Sicht auf den Patient als Individuum validiert ist Technisch einfach umsetzbar Aber: Ein Prozess zur Aktualisierung des PS ist notwendig (wer, wann, wie?) Zusätzlicher Aufwand Wird von Ärzteschaft weitgehend abgelehnt, selbst bei entsprechendem Entgelt kaum vorstellbar Fehlermanagement? 22
Variante 2) Umsetzung mit Automatismus Verfügbare Datenquellen Dokumente (sofern CDA EIS Enhanced oder Full Support): Entlassungsbriefe, Labor-, Radiologie-, Pathologie-Befund Weitere Befunde? Datenbanken/Register: ZPI, GDA-I, Behandlungszusammenhang Register: Patientenverfügungen., Transplantate, Implantate, Cardio: HSM/ICD Vor allem die Gesundheitsprobleme können derzeit nicht aus den verfügbaren Quellen ermittelt werden! Nur (Entlassungs-) Diagnosen aus Entlassungsbrief Keine Diagnosen aus dem niedergelassenem Bereich Aktualität und Relevanz der Diagnosen nicht sichtbar PräELGA -historische Daten unsicher vorhanden Operationen, Therapien etc. sind nicht Codiert verfügbar Ein automatisch generiertes Patient Summary ist unvollständig und wenig aussagekräftig, das Wesentliche ist schlecht erkennbar. Fehlermanagement? Sperren / Ablauf von Dokumenten? Performance? 23 Variante 3) Umsetzung als Hybrid Varianten 1+2 sind aus heutiger Sicht nicht befriedigend umsetzbar Eine Hybrid-Variante wäre eine Übersicht, die eine intelligente Auswahl an Dokumentenverweisen anbietet und relevante Informationen in neuen Dokumentenklassen bereitstellt Die neue(n) Dokumentenklasse(n) enthalten Übersicht über aktuelle und relevante Diagnosen wesentliche Operationen und Therapien Implantate, Hilfsmittel, Daten zu Invalidität Anmerkungen Das Patient Summary muss als in die Arbeitsplatz-IT vollintegriertes Modul bereitgestellt werden 24
ELGA-Fahrplan (gem. ELGA-G) Ab 1.1.2015 sind bereitzustellen Entlassungsbriefe durch Krankenanstalten Laborbefunde durch Krankenanstalten, Fachärzte für med.-chem. Labordiagnostik bzw. Hygiene und Mikrobiologie Befunde der bildgebenden Diagnostik durch Krankenanstalten, Fachärzte für Radiologie Zugehörige Bilddaten im Ermessen des erstellenden ELGA-GDA e-medikation durch Krankenanstalten (Apotheken, Ärzte ab 1.7.2016) Zeitpunkt durch den Bundesminister für Gesundheit verordnet: Pathologiebefunde durch Krankenanstalten, Fachärzte für Pathologie Facharztbefunde durch Spitalsambulanzen, selbstständige Ambulatorien, niedergelassene Fachärzte Ambulante Pflegeberichte Weitere Befunde 25 ELGA-Fahrplan für Dokumente (gem. ELGA-G) Die Einführung erfolgt schrittweise, dafür wurden für die Strukturqualität der Dokumente ELGA Interoperabilitätsstufen (EIS) definiert: Ab 1.1.2015 EIS STRUCTURED (bzw. ENHANCED) Einheitliche Metadaten, grundlegende technische Anforderungen Einheitliche Struktur und Gliederung Eingebettetes PDF möglich, Codierung optional Ab 1.1.2018 EIS FULL SUPPORT Neue Dokumente müssen voll strukturiertes CDA sein Codierungsvorschriften der Implementierungsleitfäden vollständig umgesetzt Notwendige Voraussetzungen für EIS Full Support : Anpassung der EDV-Systeme Kulturwandel : Anpassung der Befundung (Struktur, Reihenfolge, Verwenden der Codierung) 26
Zusammenfassung: Antworten auf CDSS von ELGA Aufbereitung von Patienten-Informationen Geordnete Übersicht Zusammenfassungen Patient Summary Verlaufsdarstellung Warnungen Medikation: Mehrfachverordnung, Wechselwirkungen e-medikation Allergien und Überempfindlichkeiten, kritische Vorerkrankungen, Implantate Patient Summary Kritische Ergebnisse von Untersuchungen (v.a. Laborwerte) e-befund Plausibilitätsprüfung Überprüfen von Anordnungen (Doppeluntersuchungen) e-befund Erinnerungen Impfungen e-impfpass? Vorsorgeuntersuchungen Überwachung Einhaltung von vorgeschlagenen Therapien Fehlervermeidung 27 Erfolgsfaktoren für ELGA Wichtig ist die Integration von ELGA in die Routineumgebung 1. ELGA soll eine (wichtige und zuverlässige) Datenquelle von vielen sein 2. Über umfangreiche Dokumentenmetadaten ist die Zuordnung möglich, interessante Dokumente können einfach herausgefiltert werden 3. Zielvorstellung ist, dass die ELGA-Daten nahtlos in die eigenen IT- Systeme (KIS, Ordinationssystem) integrieren lassen ( Usability!) Interoperabilitätsstandards helfen bei der Integration Syntax-Standards: HL7 V2 und V3 Semantikstandards: ICD-10, DIMDI Alpha-ID, APPC etc. Semantikintegration : HL7 CDA Workflowstandards: IHE 28