Forum B Schwerbehindertenrecht und Fragen des betrieblichen Gesundheitsmanagements Diskussionsbeitrag Nr. 4/2006



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6. Für die Durchführung bzw. Entbehrlichkeit des BEM trägt der Arbeitgeber im Prozess die Darlegungs- und Beweislast. 7. Auch unzureichende Mitwirkung des Arbeitnehmers kann wenn überhaupt erst bedeutsam werden, wenn im Rahmen eines BEM versucht wurde, diese aufzulösen. Auch hierbei handelt es sich um einen Prozess, dessen Ergebnis nicht schon ersten Äußerungen entnommen werden kann. 8. Die erforderlichen Krankheitsdaten werden im BEM gegenüber dem Arbeitgeber soweit wie möglich geheim gehalten. Ein abgestuftes System des Datenschutzes ermöglicht dies (www.iqpr.de >Diskussionsforen, Diskussionsbeitrag B 3 2006). Auch im Kündigungsschutzprozess sind Diagnosen nur insoweit zu offenbaren, als dies für die Beurteilung der Leistungsfähigkeit in Bezug auf die Anforderungen eines Arbeitsplatzes sowie einer diesbezüglichen Leistungsprognose unumgänglich sind. Dr. Alexander Gagel Sabine Dalitz Marcus Schian Dr. Hans-Martin Schian Wir möchten Sie auch auf die Sammlung aller bisher erschienen Diskussionsbeiträge im Internet unter www.iqpr.de aufmerksam machen und Sie herzlich einladen sich an der Diskussion durch eigene Beiträge und Stellungnahmen zu beteiligen. 2

I. Der Fall: Institut für Qualitätssicherung in Prävention und Rehabilitation GmbH Urteil des Arbeitsgerichts Lübeck vom 24.11.2005 1 Ca 1738/05 Der Kläger ist als Maschinenführer beschäftigt. 1989 war er an 30 Arbeitstagen, 1990 an 100 Arbeitstagen 1991 an 44 Arbeitstagen,1998 an 85 Arbeitstagen, 1999 an 62 Arbeitstagen, 2000 an 68 Arbeitstagen, 2001 an 85 Arbeitstagen, 2002 an 97 Arbeitstagen, 2003 an 152 Arbeitstagen, 2004 an 140 Arbeitstagen und seit dem 30.6.2004 durchgehend arbeitsunfähig krank. Der Betriebsrat hat der beabsichtigten krankheitsbedingten Kündigung widersprochen; dennoch kündigte der Arbeitgeber zum 30.9.2005. Hiergegen hat der Kläger Klage erhoben. Er hält die Kündigung für sozialwidrig. Demgegenüber macht der Arbeitgeber geltend, wegen des nicht planbaren Fehlens des Klägers komme es zu erheblichen Störungen im Betriebsablauf. Frei Stellen, auf denen der Kläger beschäftigt werden könne, gebe es nicht. In der Poststelle sei kein Arbeitsplatz frei. Für eine Tätigkeit als Kommissionierer fehlten dem Kläger die Kenntnisse der deutschen Sprache in Wort und Schrift. Der Kläger bestreitet dies und macht im Übrigen geltend, dass kein betriebliches Eingliederungsmanagement durchgeführt worden sei. II. Die Entscheidung: Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Kenne der Arbeitgeber die Ursache der Erkrankung nicht, könne er angesichts der 13-monatigen kontinuierlichen Arbeitsunfähigkeit seinen Vortrag darauf beschränken, er gehe von einer dauernden Leistungsunfähigkeit aus. Der Kläger habe demgegenüber etwas zu den Ursachen der Erkrankung vortragen müssen, zumindest aber die behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht entbinden müssen, verbunden mit dem Vortrag, diese hätten die weitere Entwicklung positiv beurteilt. Das sei nicht geschehen. Eine Weiterbeschäftigung auf anderen Arbeitsplätzen komme schon deswegen nicht in Betracht, weil auch insoweit erforderlich gewesen wäre, dass der Kläger darlegt, welche Gründe seine dauernde Arbeitsunfähigkeit hat, und er für diese Plätze geeignet sei. Die Kündigung sei auch nicht wegen unterlassenen betrieblichen Eingliederungsmanagements nach 84 Abs. 2 SGB IX unwirksam. Zwar finde diese Vorschrift nicht nur auf schwerbehinderte Arbeitnehmer Anwendung sondern auf alle Beschäftigten. Dies sei nach dem Wortlaut eindeutig. Das Unterlassen führe aber nicht automatisch zur Unwirksamkeit der Kündigung. Diese Folge sei nicht zu rechtfertigen, wenn nicht zumindest die Möglichkeit besteht, dass durch das betriebliche Eingliederungsmanagement weitere Arbeitsunfähigkeitszeiten hätten verhindert oder zumindest zeitlich verringert werden können. Das Unterlassen des betrieblichen Eingliederungsmanagements muss also (hypothetisch) kausal für die Arbeitsunfähigkeitszeiten sein. Daran fehle es. 3

III. Würdigung / Kritik: Der Entscheidung liegt einer der typischen Fälle zugrunde, die zur Schaffung des 84 Abs. 2 SGB IX Veranlassung gaben. Jahrelang wurden immer wieder auftretende erhebliche Fehlzeiten und monatelang eine andauernde Arbeitsunfähigkeit passiv hingenommen, ohne dass erkennbar von Seiten des Betriebes oder der Träger etwas unternommen wurde, diesen Zustand zu verändern. Wegen noch unzureichender Tatsachenkenntnis kann hier keine Aussage gemacht werden, welche Chancen bestanden hätten. Regelmäßig ist aber zu vermuten, dass frühzeitiges Handeln und ernsthaftes Bemühen über die Jahre Möglichkeiten eröffnet hätte eine Weiterbeschäftigung im Betrieb zu sichern. 1. Dem Urteil des Arbeitsgerichts Lübeck ist insoweit zuzustimmen, als es eindeutig herausstellt, dass 84 Abs. 2 SGB IX sich auf alle Beschäftigten des Betriebes bezieht. Das wird erstaunlicherweise immer noch vereinzelt verkannt. Die wesentlichen Argumente seien daher an dieser Stelle noch einmal zusammengefasst. Für die Erstreckung des 84 Abs. 2 SGB IX auf alle Beschäftigten spricht - der Wortlaut ( Beschäftigte ) - die besondere Verpflichtung, bei schwerbehinderten Beschäftigten die Schwerbehindertenvertretung hinzuzuziehen (also gibt es andere Beschäftigte, bei denen das nicht nötig ist) - die Verpflichtung bei schwerbehinderten Arbeitnehmern das Integrationsamt zu beteiligen (also ist der Kreis größer) - die historische Entwicklung: Die alte Fassung des Abs. 2 bezog sich auch schon auf Arbeitnehmer, die nicht schwerbehindert waren ( behinderte und von Behinderung bedrohte Menschen ) - auch die alte Fassung kannte schon die Differenzierung des Verfahrens (Zuziehung des Betriebsrats bei nicht schwerbehinderten Arbeitnehmern) - auch 83 SGB IX (Integrationsvereinbarung) geht über den Bereich der schwerbehinderten Arbeitnehmer hinaus (Abs. 2a Nr. 4-6) Die Verortung im SGB IX ist demgegenüber kein Argument. Der andersgerichtete Wille des Gesetzgebers wird im Text und aus der Entwicklung deutlich (Wortlaut, Differenzierung der Verfahren, historische Entwicklung) und wurde inzwischen auch aus dem zuständigen Ministerium mehrfach bestätigt. Es ist auch keineswegs ungewöhnlich, dass wegen der Sachnähe arbeitsrechtliche Regelungen in Sozialgesetze aufgenommen werden (z.b. 2 SGB III, bes. die alte Fassung, 42 Abs. 3 SGB VI). 2. Nicht richtig erfasst wurde jedoch die Funktion des BEM. Krankheitsbedingte Störungen des Beschäftigungsverhältnisses sollen, bevor sich der Gedanke an Kündigungen konkretisiert, Anlass sein, sich mit der Sicherung des Arbeitsplatzes durch betriebsinterne sowie externe Maßnahmen und Hilfen zu befassen. Hierdurch wird in viel intensiverer Weise, als dies im Kündigungsschutzverfahren möglich ist, ausgelotet, wie der Arbeitsplatz erhalten oder ein anderer gesichert werden kann. Das BEM ist wie auch das ArbG Lübeck erkennt - eindeutig als Pflicht ausgestaltet. Für eine nachfolgende Kündigung bedeutet dies, dass sie nicht ultima ratio sein kann, weil der Arbeitgeber seinen Pflichten nicht genügt hat, zu prüfen, wie durch 4

BEM der Arbeitsplatz erhalten werden kann 1. Das BEM ist integraler Bestandteil sowohl einer validen Prognose als auch der Verpflichtung zur Ausschöpfung betrieblicher Beschäftigungsmöglichkeiten. 3. Der Gedanke des Arbeitsgerichts Lübeck, dass das Unterlassen des BEM nur dann zur Unwirksamkeit einer krankheitsbedingten Kündigung führen könne, wenn dieses Unterlassen (hypothetisch) kausal für die Arbeitsunfähigkeitszeiten sei, verkennt in seiner Allgemeinheit die Konzeption des BEM und das gesetzlich vorgegebene Regel-Ausnahme-Verhältnis. Nur selten kann man im Vorhinein erkennen, welche Möglichkeiten sich bei genauerer Prüfung und Verhandlung ergeben, welche gesundheitlichen Maßnahmen durch Sozialleistungsträger erbracht werden könnten und inwieweit durch Zuschüsse an Arbeitgeber und Arbeitnehmer oder z.b. durch finanzielle Hilfen zur Umgestaltung des Arbeitsplatzes doch noch ein Arbeitsplatz im Betrieb gesichert werden kann. Das BEM ist ein sich über viele Prüfungen erstreckender Prozess, dessen Ergebnis erst am Schluss und nicht schon vor Beginn ablesbar ist. Um dem Arbeitgeber keine sinnlosen Verpflichtungen aufzubürden, muss er zwar von der Pflicht zum BEM entbunden sein, wenn im Vorhinein klar ist, dass ein BEM keinen Erfolg haben wird. Dies ist aber nach der gesetzgeberischen Konzeption mit gutem Grund (vgl. Thesen 2 und 3) die ungeschriebene - Ausnahme von einer grundsätzlich bestehenden Verpflichtung. Hierunter können nur so eindeutige Fälle zu fassen sein, wie der erblindete Pilot eines Unternehmens, das nur Piloten beschäftigt. 4. Der Arbeitgeber trägt im Prozess die Darlegungs- und Beweislast für die Durchführung bzw. Entbehrlichkeit des BEM. Nach 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG, hat der Arbeitgeber die Tatsachen darzulegen und zu beweisen, die die Kündigung rechtfertigen. Hierzu gehört das Vorbringen - einer negativen Gesundheitsprognose, - durch die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers bedingter unzumutbarer betrieblicher Störungen, - dass der Arbeitnehmer nicht versetzt oder anderweitig im Betrieb oder Unternehmen beschäftigt werden kann 2 - dass eine Kündigung nach Abwägung der beiderseitigen Interessen gerechtfertigt erscheint. 3 Ob der Arbeitnehmer nicht versetzt oder anderweitig im Betrieb oder Unternehmen beschäftigt werden kann, kann aber grundsätzlich erst beurteilt werden, wenn ein betriebliches Eingliederungsmanagement durchgeführt wurde. Der Gesetzgeber gibt insoweit einen Maßstab vor für den Umfang dieser auch ohne 84 Abs. 2 SGB IX notwendigen Bemühungen. Auch die Prognose der zukünftigen krankheitsbedingten Störungen des Arbeitsverhältnisses setzt eine Klärung der Möglichkeiten, dem entgegenzuwirken im Rahmen eines BEM voraus. 1 So im Ergebnis auch LAG Berlin 27.10.2005 10 Sa 783/05 -; ähnlich für die Regelung des 84 Abs. 1 SGB IX: OVG Mecklenburg-Vorpommern 9.10.2003 2 M 105/03 ; das OVG greift in diesem Beschluss auch den wichtigen allgemeinen Gedanken auf, dass der Schutzzweck einer Verpflichtung zur Prävention leer liefe, wenn ihre Nichtbeachtung folgenlos bliebe, vgl. dazu Diskussionsbeitrag B 7-2005. 2 Vgl. BAG NZA 1997, 709ff.. 3 zum Ganzen vgl. Ascheid, ErfK, 6. Aufl. 430 1 Rz. 271; Lepke, Kündigung bei Krankheit, Erich Schmidt Verlag, 12. Auflage 2006, insbes. S. 159 257. 5

Für eine Abstufung der Darlegungs- und Beweislast ist grundsätzlich kein Raum 4. Eine vollständige Darlegung muss daher auch die Durchführung eines BEM bzw. die Gründe für die Entbehrlichkeit umfassen. Dies folgt aus dem Grundsatz, dass derjenige, der eine ihm günstige Ausnahme geltend machen will, diese auch vortragen und beweisen muss. 5. Die Mitwirkung des Arbeitnehmers im BEM ist eine andere als im Kündigungsschutzprozess. In einem kooperativen Kontext mit dem Ziel einer Besserung der Situation des Arbeitnehmers, in dem eine Kündigung noch nicht diskutiert wird, ist eine sehr viel größere Bereitschaft zu eigenen Beiträgen und Zugeständnissen zu erwarten. Eine ablehnende Haltung des Beschäftigten kann und soll durch Gespräche aufgelöst werden. Auch dies ist ein Prozess und deshalb kann nicht aus anfänglichen Verweigerungen eine vollständige Ablehnung geschlossen werden. Allerdings ergibt sich aus der ausdrücklichen Erwähnung des Selbstbestimmungsrechts in 84 Abs. 2 SGB IX, dass der Arbeitnehmer das BEM auch gänzlich ablehnen oder einzelne Schritte verweigern kann. Inwieweit sich das auswirkt, ist eine Frage des Einzelfalles. 6. Sehr wichtig ist es zu erkennen, dass der Umgang mit persönlichen Daten im BEM meistens besser gesichert und dosiert werden kann. Das BEM bietet die Möglichkeit, die gesundheitsbezogenen Daten des Arbeitnehmers nur abgestuft preiszugeben und zu verhindern, dass der Arbeitgeber Diagnosen und ähnlich sensible Daten erfährt 5. So kann ein BEM durchgeführt werden, auch ohne dass alle Daten preisgegeben werden müssen. Das BEM ist demnach jetzt der Ort, wo primär die gesundheitlichen Fragen behandelt werden. Das muss auch Folgen für den Kündigungsschutzprozess haben. Eine Obliegenheit im Kündigungsschutzprozess Daten zu offenbaren erscheint wenn überhaupt nur noch gerechtfertigt, wenn das BEM durchgeführt wurde, a- ber nicht ausgereicht hat, die erforderlichen Voraussetzungen der Weiterbeschäftigung zu klären. Die Offenlegung von Diagnosen gegenüber dem Arbeitgeber oder dem Gericht ist ohnehin in der Regel nicht erforderlich. Es kommt nur auf die Feststellung der Leistungsfähigkeit an, die zu den Anforderungen der in Betracht kommenden Arbeitsplätze in Beziehung zu setzen ist (Profilvergleichsgutachten) und auf die Prognose auf diesen Arbeitsplätzen. Dazu reicht eine Offenbarung gegenüber dem Gutachter in der Regel aus. Daher sollten auch im Kündigungsschutzprozess Diagnosen nur insoweit zu offenbaren sein, als dies für die Beurteilung der Leistungsfähigkeit in Bezug auf die Anforderungen eines Arbeitsplatzes sowie einer diesbezüglichen Leistungsprognose unumgänglich ist. Zusammengefasst lässt sich sagen, dass das BEM sehr viel weitergehende und der besonderen Sensibilität gesundheitlicher Fragen angepasstere Möglichkeiten bietet, alle Ansätze für die Erhaltung eines Arbeitsplatzes auszuloten. Das kann im Kündigungsschutzverfahren nicht nachgeholt werden. 4 In Betracht kommt sie allenfalls, wenn das BEM durchgeführt wurde, der Arbeitnehmer dieses aber als unzureichend kritisiert. Insoweit geht das ArbG Lübeck einen Irrweg, wenn es bezüglich der Entbehrlichkeit des BEM wegen mangelnder Erfolgsaussichten den einfachen Vortrag des Arbeitgebers genügen lässt. Müsste der Arbeitnehmer sodann detailliert dazu vortragen, wäre dies in der Regel ohne Aussicht auf Erfolg. Somit hätte der Arbeitgeber keinen Anreiz, sich gemäß seiner gesetzlichen Verpflichtung um die Sicherung des Beschäftigungsverhältnisses zu kümmern. 5 Zu den Einzelheiten dieses Systems vg. Diskussionsbeitrag B 3-2006 in diesem Forum, www.iqpr.de. 6