Stellungnahme des Dachverbands autonomer Frauenberatungsstellen in NRW e.v. August 2018

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Transkript:

17 STELLUNGNAHME 17/767 Alle Abg Istanbul-Konvention konsequent umsetzen Frauen und Mädchen vor Gewalt schützen Anhörung des Ausschusses für Gleichstellung und Frauen am 06.09.2018 Stellungnahme des Dachverbands autonomer Frauenberatungsstellen in NRW e.v. August 2018 A. Ausgangspunkte und Definitionen Die in der sogenannten Istanbul-Konvention1 festgeschriebene Normierung der Gewalt gegen Frauen als Menschenrechtsverletzung sowie als eine Form der Diskriminierung ist ein bedeutender Schritt für die Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und Mädchen.2 Der Dachverband der autonomen Frauenberatungsstellen NRW e.v. stimmt dem zu. Zu begrüßen ist, dass dieses Gewaltphänomen bereits in der Präambel in einen gesamtgesellschaftlichen Kontext eingebettet und sein struktureller Charakter ausdrücklich benannt wird, wie etwa hinsichtlich seiner Frauen unterordnende beziehungsweise die Gleichstellung zwischen den Geschlechtern hindernden Wirkung.3 Positiv zu sehen ist ebenso die damit im engen Zusammenhang stehende Verpflichtung der Vertragsstaaten, somit auch der Bundesrepublik Deutschland und ihrer Organe, einen umfassenden Rahmen sowie umfassende politische oder sonstige Maßnahmen ( ) zu entwerfen 4 mit dem Ziel, Frauen vor allen Formen von Gewalt zu schützen und Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt zu verhüten, zu verfolgen und zu beseitigen.5 Diese Bestimmungen und Feststellungen bieten den Anlass und die Chance, das Bewusstsein für die Problemlage Gewalt gegen Frauen in der Gesellschaft zu schärfen. Zudem bilden sie eine gute Grundlage für das staatliche Handeln im Kampf gegen Gewalt gegen Frauen. Denn obgleich mit dem Gewaltschutzgesetz von 2002 und der Reform des Sexualstrafrechts von 2016 zwei wichtige Eckpfeiler zum Schutz vor und zur Verfolgung von geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt geschaffen worden sind, kann noch nicht von einer effektiven Unterbindung von Gewalt gegen Frauen gesprochen werden. Diesbezüglich stimmt der Dachverband der Einschätzung des Deutschen Instituts für Menschenrechte zu, dass ein deutlich stärkeres finanzielles und politisches Engagement beim Auf- und Ausbau von Rahmenbedingungen sowohl 1 Im Folgenden wird die in Fachkreisen bekannte Bezeichnung für das Übereinkommen, nämlich IstanbulKonvention (IK), verwendet. 2 IK, Artikel 3 a), S. 5. 3 IK, S. 3f. 4 IK, Artikel 1 c), S. 4. 5 Ebd. Artikel 1 a).

für die unmittelbare Unterstützungsarbeit für Frauen als auch für die politische Arbeit auf der Ebene von Bund und Ländern erforderlich ist. 6 Der Dachverband der autonomen Frauenberatungsstellen in NRW e.v. teilt die in der Istanbul-Konvention verwendete Definition von Geschlecht und Frau, 7 da sie von sexueller Ausrichtung und Geschlechtsidentität absieht und somit alle (einschließlich Mädchen unter achtzehn Jahren, so Artikel 3 f) ) umfasst, die sich als Frauen und Mädchen verstehen. Artikel 3 a) Istanbul-Konvention definiert Gewalt gegen Frauen als alle Handlungen geschlechtsspezifischer Gewalt, die zu körperlichen, sexuellen, psychischen oder wirtschaftlichen Schäden oder Leiden führen oder führen können 8. Richtig ist für uns die hier vorgenommene Erweiterung des Gewaltbegriffs um die ökonomische Dimension, zumal Angst vor wirtschaftlicher Perspektivlosigkeit beziehungsweise Unsicherheit eine der häufig genannten Gründe ist, warum Frauen Beratungen zur Trennung, Scheidung sowie Beziehungsproblemen aufsuchen. 9 Diese Befürchtungen sind nicht unbegründet: Frauen, insbesondere alleinerziehende Frauen, sind immer noch armutsgefährdeter als Männer. 10 Folgerichtig ist die politische Anerkennung ökonomischer Gewalt gegen Frauen. Artikel 3 b) definiert häusliche Gewalt als Handlungen, die körperliche, psychische oder wirtschaftliche Gewalt umfassen und innerhalb der Familie oder des Haushalts oder zwischen früheren oder derzeitigen Eheleuten oder Partnerinnen beziehungsweise Partnern vorkommen, unabhängig davon, ob der Täter beziehungsweise die Täterin denselben Wohnsitz wie das Opfer hat oder hatte. 11 Der Begriff der häuslichen Gewalt in der Istanbul-Konvention umfasst Gewalt zwischen früheren oder derzeitigen Beziehungspartner*innen sowie generationenübergreifende Gewalt, unabhängig von gemeinsamen Wohnsitz vom Betroffenen und Täter*innen 12 und erweitert den Begriff des Haushalts. Folgerichtig ist die Einbeziehung der Gewalt in 6 Heike Raabe, Britta Leisering, Analyse. Die Istanbul-Konvention. Neue Impulse für die Bekämpfung von geschlechterspezifischer Gewalt, Deutsches Institut für Menschenrechte, Berlin 2018, S. 17. 7 Siehe: IK, Artikel 3 b), S. 5. 8 IK, S. 5. 9 Die häufigsten Problemfelder im Jahr 2016 waren physischer und psychische Gewalt mit 44% und Trennung/Scheidung/Beziehungsprobleme mit 38% (2015: 42%), so das Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung des Landes Nordrhein-Westfalen (MHKBG) in ihrem Jahresbericht 2016 zu Frauenberatungsstellen (FBSt), Fachberatungsstellen, die gegen sexualisierte Gewalt an Frauen und Mädchen tätig sind (FsG), Düsseldorf, 12. Dezember 2017, S.27. 10 Siehe hierzu: Armutsbericht NRW 2016. Armuts- und Reichtumsbericht. Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf 2016, S. 338. 11 IK, S. 5. 12 Siehe: Erläuternder Bericht zur Istanbul-Konvention, S. 46, Z. 41

Wohngemeinschaften. Häusliche Gewalt findet z.b. auch in Student*innen- oder Senior*innenwohngemeinschaften statt. Der Dachverband der autonomen Frauenberatungsstellen NRW e.v. begrüßt das Diskriminierungsverbot von Frauen sowie die Verpflichtung von Vertragsstaaten, die Bestimmungen der Istanbul-Konvention sowie insbesondere Maßnahmen zum Schutz der Rechte der Opfer ( ) ohne Diskriminierung insbesondere wegen des biologischen oder sozialen Geschlechts, der Rasse 13, der Hautfarbe, der Sprache, der Religion, der politischen oder sonstigen Anschauung, der nationalen oder sozialen Herkunft, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Vermögens, der Geburt, der sexuellen Ausrichtung, der Geschlechtsidentität, des Alters, des Gesundheitszustandes, einer Behinderung, des Familienstands, des Migranten- oder Flüchtlingsstatus oder des sonstigen Status sicherzustellen. 14 In diesem Zusammenhang möchte der Dachverband auf die Situation von Frauen mit Behinderungen und Frauen mit Migranten- oder Flüchtlingsstatus hinweisen: beide Zielgruppen haben nicht ohne weiteres Zugang zu Frauenberatungsstellen, sei es, weil die Gebäude, in denen die Beratungsstellen sind, nicht barrierefrei sind oder sprachliche Verständigung nicht möglich ist. Es fehlen finanzielle Mittel für Umbaumaßnahmen oder Verdolmetschung von Beratungsgesprächen in die Deutsche Gebärdensprache, beziehungsweise in Fremdsprachen. Die vom Land NRW bewilligte Sachmittelpauschale von 6.000,00 sind für diese speziellen Kosten bei weitem nicht ausreichend. Zudem variiert die finanzielle Unterstützung der Fachberatungsstellen durch die Kommunen sehr stark. Aufsuchende Beratungsangebote in Einrichtungen der Behindertenhilfe oder Flüchtlingsunterkünften sind so auf Dauer ohne sichere Zusatzfinanzierung nicht möglich: Bietet eine Beraterin ein solches Angebot an, ist in dieser Zeit die Fachberatungsstelle unter- oder gar nicht besetzt, so auch der Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe (bff). 15 Abgesehen davon ist in Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen oder in Flüchtlingsunterkünften die effektive Umsetzung des Gewaltschutzgesetzes nicht gesichert, so etwa hinsichtlich der sofortigen räumlichen Trennung von Täter und Opfer. In Hinsicht auf Frauen mit Behinderungen unterstützen wir die Beschlüsse des GFMK vom Juni 2018. Die Mitglieder dieses Gremiums bitten die Bundesländer, bei Reformen von Heimgesetzen Regelungen zur Prävention von Gewalt und zum Gewaltschutz zu 13 Der Begriff der Rasse ist problematisch: Rasse kann unseres Erachtens nur als eine sozial konstruierte Unterscheidungs- bzw. Ausgrenzungskategorie fungieren, nicht jedoch als etwas Natürliches respektive biologisch Gegebenes. Artikel 4 Absatz 3 Istanbul-Konvention impliziert das, leider. 14 IK, Artikel 4 Absatz 3, S. 6. 15 Stellungnahme des bff zum Referentenentwurf (und Entwurf Denkschrift) des Bundesministeriums für Familie, Senioren Frauen und Jugend Entwurf eines Gesetzes zu dem Übereinkommen des Europarats vom 11. Mai 2011 zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt, Berlin 2017, S. 8.

prüfen, und die Bundesregierung, ihre Bemühungen für eine unabhängige Aufsicht nach Art. 16 Abs. 3 UN-BRK fortzusetzen und die Länder, wissenschaftliche Expertise sowie zivilgesellschaftliche Organisationen in den Diskussionsprozess einzubeziehen, schließlich das Bundesministerium der Justiz und Verbraucherschutz zu prüfen, inwieweit die 1 und 2 Gewaltschutzgesetz auf die Situation gewaltbetroffener Frauen in Einrichtungen der Behindertenhilfe, Eingliederungshilfen für psychisch Erkrankte etc. Anwendungen finden, oder anderweitige gesetzliche Möglichkeiten zu erarbeiten, die den Frauen vergleichbaren Schutz bieten. 16 In Hinsicht auf Frauen mit Flüchtlingsstatus unterstützen wir die Forderungen des Deutschen Instituts für Menschenrechte in puncto Harmonisierung von Gewaltschutz und Ausländerrecht: Es ist sicherzustellen, dass in Flüchtlingsunterkünften Täter und Betroffene schnell, niederschwellig und ohne hohen administrativen Aufwand für die Betroffenen voneinander getrennt und Betroffene sicher untergebracht werden. 17 B. Geschlechtsspezifische und häusliche Gewalt Prävention, Schutz und Unterstützung Der Dachverband der Frauenberatungsstellen in NRW e.v. begrüßt die äußerst nuancierten Artikel der Istanbul-Konvention zur Prävention von Gewalt sowie zum Schutz und zur Unterstützung von Betroffenen von Gewalt. Im Einklang mit den Feststellungen und Bestimmungen in der Präambel und im Kapitel I Istanbul-Konvention werden die Vertragsstaaten im Kapitel III Prävention zur Förderung bzw. Implementierung unterschiedlicher Maßnahmen verpflichtet, 18 wie etwa im Bereich der Bewusstseinsbildung (Artikel 13), des Bildungssystems (Artikel 14), der Aus- und Fortbildung verschiedener Berufsgruppen (Artikel 15) sowie der vorbeugenden Interventions- und Behandlungsprogramme für Täter*innen häuslicher und sexualisierter Gewalt (Artikel 16). Im Bereich der Bewusstseinsbildung, sprich: Öffentlichkeitsarbeit, und der Täterprogramme empfiehlt die Istanbul-Konvention mit der Zivilgesellschaft, also auch mit Frauenberatungsstellen, zu kooperieren. Der Dachverband und seine Mitgliedseinrichtungen sind seit über 40 Jahren in vielen der genannten Bereichen tätig: Sie führen Kampagnen und Aktionen zur Sensibilisierung der Öffentlichkeit durch (siehe www.starkfürfrauen.de), bieten fachspezifische Tagungen und Fortbildungen für unterschiedliche Zielgruppen an, leisten Präventionsarbeit und thematisieren in Netzwerk-, Kooperations-, und Gremienarbeit Gewalt gegen Frauen. Vereinzelt werden auch Angebote für Täter*innen im Bereich der häuslichen Gewalt vorgehalten. Vorrangiges Ziel 16 28. Konferenz der Gleichstellungs- und Frauenministerinnen und minister, -senatorinnen du senatoren der Länder (GFMK), Hauptkonferenz am 7. und 8. Juni 2018 in Bremerhaven, S. 20. 17 Heike Raabe, Britta Leisering, Analyse. Die Istanbul-Konvention. Neue Impulse für die Bekämpfung von geschlechterspezifischer Gewalt, Deutsches Institut für Menschenrechte, Berlin 2018, S. 38. 18 IK, S. 8 ff.

dieser Ansätze ist der Abbau von Gewalt gegen Frauen in der Gesellschaft und die Verbesserung der Situation von Betroffenen. Öffentlichkeitsarbeit ist dabei ein entscheidender Wegbereiter, um ein gesellschaftliches Klima zu schaffen, in dem sich Frauen und Mädchen ermutigt fühlen, sich Unterstützung zu suchen. Der Dachverband befürwortet die in Artikel 22 und 23 Istanbul-Konvention festgeschriebene Verpflichtung der Vertragsstaaten zur Bereitstellung von spezialisierten Hilfsdiensten und Schutzunterkünften in angemessener geographischer Verteilung, in ausreichender Zahl und leicht zugänglich, 19 um Betroffene von geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt sofort unterstützen, sowie kurz- und langfristige Hilfe anbieten zu können. Frauenberatungsstellen und Fachstellen zu sexualisierter Gewalt leisten den hauptsächlichen Anteil an der ambulanten Beratung und Unterstützung für weibliche Opfer von Gewalt in all ihren Ausprägungen. Wir sehen dringenden Handlungsbedarf in NRW um eine bedarfsgerechte Versorgung von Frauen und Mädchen sicher zu stellen. Insbesondere Frauen im ländlichen Bereich, Migrantinnen und Frauen mit Behinderungen stoßen häufig auf Barrieren im Zugang zu Hilfsangeboten. Des Weiteren fordert Artikel 25 Istanbul-Konvention eine sofortige medizinische Versorgung und Hilfe in Bezug auf das erlittene Trauma in Verbindung mit einer rechtsmedizinischen Untersuchung zur Sicherung der für die Strafverfolgung benötigten Beweise. 20 Wir unterstützen die an die Bundesregierung gerichtete Forderung der GFMK, eine bundeseinheitliche Lösung für eine Finanzierung von ärztlichen und Labortechnischen Leistungen (einschließlich der ärztlichen Dokumentation) im Rahmen der Anonymen/Vertraulichen Spurensicherung zu schaffen. 21 Eine bundeseinheitliche Lösung ist für eine erfolgreiche Vernetzungsarbeit zwischen den beteiligten Akteuren dringend erforderlich. Die Istanbul-Konvention verpflichtet die Vertragsstaaten zur Bereitstellung angemessener finanzieller und personeller Mittel für die geeignete Umsetzung von ineinandergreifenden politischen oder sonstigen Maßnahmen sowie Programmen zur Verhütung und Bekämpfung aller in den Gestaltungsbereich dieses Übereinkommens fallenden Formen von Gewalt, einschließlich der von nichtstaatlichen Organisationen und der Zivilgesellschaft durchgeführten. 22 Um diesen Anforderungen zu genügen, bedarf es einer angemessenen und gesicherten Finanzierung der Arbeit gegen Gewalt gegen Frauen. Auch hier muss NRW aktiv werden. 19 IK, S.12 20 IK, S. 13. 21 28. Konferenz der Gleichstellungs- und Frauenministerinnen und minister, -senatorinnen du senatoren der Länder (GFMK), Hauptkonferenz am 7. und 8. Juni 2018 in Bremerhaven, S. 20. 22 IK, S. 7.

C. Entwicklung politischer Gesamtstrategie und Institutionen-übergreifender politischer Ansatz Artikel 7 bis 9 Istanbul-Konvention fordern die Entwicklung und Implementierung landesweiter wirksamer, umfassender und koordinierter politischer Maßnahmen gegen Gewalt gegen Frauen unter Einbeziehung einschlägiger staatlicher und nichtstaatlicher Akteure, so auch die Frauenorganisationen. 23 Flankiert wird diese Verpflichtung zur Institutionen-übergreifenden Zusammenarbeit von der Forderung, die dazu nötige finanzielle und personelle Mittel bereit zu stellen. 24 Wir stellen unsere Expertise bei der Entwicklung landesweit wirksamer, umfassender und koordinierter politischer Maßnahmen, sprich: einer Gesamtstrategie, gern zur Verfügung. Im Bereich der Datensammlung sehen wir Handlungsbedarf, was die Erhebung der Zahlen zu häuslicher und sexualisierter Gewalt angeht. Hier werden differenzierte Zahlen benötigt, um das Phänomen Gewalt gegen Frauen und Mädchen weitergehend erfassen zu können. Aber auch weitergehende Forschung zu diesem Thema ist von Nöten, um unter anderen das Dunkelfeld weiter auszuleuchten. Die Prävalenzstudie Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland liegt mittlerweile 14 Jahre zurück. D. Abschließende Bemerkungen Wir haben an dieser Stelle nur einen Teil der Istanbul-Konvention bearbeitet. Es ist ein umfassendes Werk mit dem Anspruch auf Gleichbehandlung und auf ein gewaltfreies Leben von Frauen und Mädchen. Dies ist ein hoher gesellschaftlicher Auftrag. Für diesen Prozess braucht es alle Akteur*innen in dem Bereich Gewalt gegen Frauen auf allen Ebenen. Auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene sind schon viele einzelne Schritte getan. Was fehlt, ist ein koordiniertes Vorgehen und ein gemeinsamer Plan. Auf Landesebene wären die Umsetzung und Weiterführung des Landesaktionsplans zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und Mädchen und/oder eine Wiederbelebung des Runden Tischs gegen Gewalt mögliche Maßnahmen, die zu diskutieren wären. Der Dachverband der autonomen Frauenberatungsstellen NRW e.v. wird sich für die Umsetzung der Istanbul-Konvention stark machen und sich an dem erforderlichen Prozess beteiligen. 23 IK, S.7. 24 IK, Artikel 8, S. 7.