Braunschweigisches Land in der Weimarer Republik 1918 1933



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Transkript:

Braunschweigisches Land in der Weimarer Republik 1918 1933 August Merges Sepp Oerter Dr. Heinrich Jasper Otto Antrick Gerhard Marquordt Werner Küchenthal

Braunschweigisches Land in der Weimarer Republik 1918 1933

Impressum Projektleitung: Harald Schraepler AG der Heimatpfleger der Braunschweigischen Landschaft Redaktion und Layout der Ausstellungstafeln: Rudolf Zehfuß Layout, Konzeption und Gesamtherstellung: Beyrich DigitalService, Braunschweig Wir danken: Volksbank Börßum-Hornburg eg Volksbank eg Braunschweig Wolfsburg Volksbank Hankensbüttel-Wahrenholz eg Volksbank Helmstedt eg Volksbank Peine eg Volksbank Vechelde-Wendeburg eg Volksbank Wittingen-Klötze eg Volksbank Wolfenbüttel-Salzgitter eg Gefördert durch: Braunschweigisches Land in der Weimarer Republik 1918 1933 Herausgegeben von der Braunschweigischen Landschaft e. V.

Inhaltsverzeichnis Vorwort Harald Schraepler... 4 Grußwort Hermann Isensee... 5 Vorsitzende des Staatsministeriums im Freistaat Braunschweig 1919 1933... 6 Dr. Heinrich Jasper... 8 General Maerckers Landjäger in Helmstedt... 10 Wahlen und Wählerverhalten im Amtsbezirk Vorsfelde... 12 Wahlen Wahlplakate... 14 Die Anfänge der NSDAP im Gebiet der heutigen Stadt Salzgitter... 16 Das Wilhelmstift in Bevern... 18 Inflation und Notgeld der Ilseder Hütte... 20 1926: Das Ende der Salzerzeugung in Salzgitter... 22 Die Seesener Blechwarenindustrie... 24 Kritisch beäugt: Der Aufstieg des Automobils... 26 Der Gutsbetrieb des Grafen von der Schulenburg in Wolfsburg... 28 Der Seilbahnberg in Lengede... 30 Die Braunschweiger Landeskirche... 32 Weltliche Schulen in Braunschweig... 34 Mädchenpensionate in Blankenburg... 36 Die Ingenieurschule in Wolfenbüttel... 38 Wolfenbüttel Stadt der Schulen... 40 Fachschule für Tischler in Blankenburg... 42 Wilhelm-Raabe-Schule in Eschershausen... 44 Neue Bauwerke und Siedlungen in Braunschweig-Bebelhof... 46 Neue Bauwerke und Siedlungen in Braunschweig-Siegfriedviertel... 48 Der Peiner Architekt Anton van Norden... 50 Das Wasserwerk in Lobmachtersen... 52 Café Winuwuk, Bad Harzburg... 54 Der Mittellandkanal Bauzeit 1906 1938... 56 Gefallenenehrung in Barum... 58 Stahlhelm, Bund der Frontsoldaten in Wolfenbüttel... 60 Der Reit- und Fahrverein Vorsfelde und Umgebung e.v... 62 Die Mode in den Goldenen 1920er Jahren im Freistaat Braunschweig... 64 Vergnügungslokale in Braunschweig... 66 Tonfilm in Helmstedt... 68 Braunschweiger Originale... 70 2 3

Vorwort Harald Schraepler In der über 800-jährigen Geschichte des Braunschweigischen Landes ist die Zeit von 1918 bis Anfang 1933 nur ein sehr kurzer Zeitabschnitt, jedoch brachte er den nicht einfachen Übergang von der Monarchie in die Demokratie und am Ende den zur Diktatur des Nationalsozialismus. Insofern war er für die Geschichte in unserem Raum von Bedeutung. Die Braunschweigische Landschaft hat sich seit ihrer Gründung im Jahr 1990 das Ziel gesetzt, sich mit der Geschichte des alten Landes Braunschweig zu beschäftigen und zugleich die kulturelle Entwicklung in der Region zu begleiten und zu fördern. Zu ihr gehören die kreisfreien Städte Braunschweig, Salzgitter und Wolfsburg sowie die Landkreise Helmstedt, Peine und Wolfenbüttel und 195 Vereine, Verbände und Gemeinden, die im Beirat zusammengefasst sind. Sie bringen ihre Aktivitäten in 10 Arbeitsgruppen ein, die Foren zum Wissens- und Erfahrungsaustausch, zur Gestaltung unterschiedlicher Projekte und deren verantwortlicher Durchführung sind. Eine davon ist die AG Heimatpfleger. Sie besteht aus den Stadt- und Kreisheimatpflegern der drei kreisfreien Städte und der drei Landkreise und arbeitet erfolgreich mit den ca. 350 Ortsheimatpflegern aus dem Gebiet der Braunschweigischen Landschaft zusammen. Sie hat sich als kulturstiftende Gruppe Themen aus der Geschichte angenommen und sie in Ausstellungen präsentiert wie: Spurensuche und Braunschweigisches Land in der Kaiserzeit 1871 1918. Nunmehr hat sie die Ausstellung Braunschweigisches Land in der Zeit Weimarer Republik 1918 bis Anfang 1933 erarbeitet, um diese Zeit den Bürgerinnen und Bürgern näherzubringen. Sie soll in allen Gebieten des alten Landes Braunschweig vorgestellt werden. Auf 33 Tafeln werden vielfältige und unterschiedliche Themen aus den Bereichen Politik, Wirtschaft, Architektur, Infrastruktur und Gesellschaft behandelt. Sie beziehen sich auf alle Gebiete des Freistaates Braunschweig von 1918 bis 1933. Die Braunschweigische Landschaft dankt allen, die Beiträge für die 33 Tafeln erstellt haben. Es sind: Rolf Ahlers, Elmar Arnold, Dr. Claudia Böhler, Werner Cleve, Dr. Sandra Donner, Reinhard Försterling, Christiane Geides, Markus Gröchtemeier, Manfred Gruner, Birgit Hoffmann, Klaus Hoffmann, Dr. Ralf Holländer, Karl-Heinz Löffelsend, Jürgen Kackstein, Elke Keese, Friedrich Orend, Rolf Owcarzki, Dr. Andreas Reuschel, Dr. Mathias Seeliger, Rolf Siebert, Peter Steckhan, Werner Strauß, Peter Stübig, Hartmut Wegner, Reinhard Wetterau, Dr. Ursula Wolff und Rudolf Zehfuß, dem ich auch recht herzlich für die Redaktion und das Layout danke. Hilfreich zur Seite stand bei der Konzeption und der Umsetzung die Firma Beyrich DigitalService. Dafür ein herzliches Dankeschön. Ein besonderer Dank gebührt den Volksbanken in der Region Braunschweig/Wolfsburg, namentlich Herrn Bankdirektor Hermann Isensee, und der Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz, namentlich Herrn Direktor Tobias Henkel, für die finanzielle Unterstützung der Ausstellung und des Kataloges. Ohne diese Unterstützung, die auf einer mehrjährigen vertrauensvollen Zusammenarbeit beruht, hätte dieses Projekt nicht verwirklicht werden können. Möge die Ausstellung und der Katalog dazu beitragen, dass das Wir-Gefühl und die regionale Identität gestärkt werden. Dies ist gerade im Zeitalter der Globalisierung sehr wichtig, damit die Menschen in der Braunschweigischen Region nicht die Beziehungen zu ihren Wurzeln verlieren. Harald Schraepler Sprecher der Arbeitsgruppe Heimatpfleger und Beiratsvorsitzender der Braunschweigischen Landschaft e.v.

Grußwort Hermann Isensee In Gesprächen und Diskussionen über aktuelle Probleme und Schwierigkeiten wird häufig angeführt, dass es in früheren Zeiten einfach besser gewesen ist. Wenn aber die Geschichtsbücher einmal aufgeschlagen werden, dann bleibt oftmals nicht viel von der guten alten Zeit übrig. So auch von der Weimarer Republik in den Jahren von 1918 bis 1933. Die Menschen haben in diesen schwierigen Zeiten nach dem ersten Weltkrieg viel erlebt und ertragen müssen. Von der ausufernden Inflation im Jahre 1923, der anschließenden Währungsumstellung, von Bankschließungen, Geldflucht und schließlich der Weltwirtschaftskrise ergeben sich viele Anknüpfungspunkte zu den heutigen aktuellen Problemen. Insofern begrüßen wir die Initiative der Heimatpfleger in der Braunschweigischen Landschaft, die Weimarer Republik von 1918 bis 1933 in einer besonderen Ausstellung der breiten Öffentlichkeit vorzustellen. Die Volksbanken in der Region Braunschweig/Wolfsburg sind ein aktives Mitglied dieser Region und fühlen sich allein schon aufgrund Ihrer genossenschaftlichen Unternehmensform ganz besonders mit den hier lebenden Menschen verbunden. Seit rund 150 Jahren verbinden Volksbanken und Raiffeisenbanken wirtschaftlichen Erfolg mit gesellschaftlich verantwortlichem Handeln. Genossenschaften wurden gegründet, um durch freiwillige Zusammenschlüsse mehr zu erreichen und damit die Unabhängigkeit des Einzelnen zu stärken. Selbsthilfe, Selbstverantwortung und Selbstverwaltung sind nicht nur die Grundprinzipien der genossenschaftlichen Unternehmensform, sondern nach unserem Verständnis zugleich Grundlagen der Bürgergesellschaft. Auch Unternehmen sind ein Teil dieser Bürgergesellschaft und tragen damit Verantwortung für die Gestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse. Das Gebiet der Braunschweigischen Landschaft ist überwiegend deckungsgleich mit dem Geschäftsgebiet der in unserer Arbeitsgemeinschaft zusammengeschlossenen acht Volksbanken. Insofern war es für uns eine Verpflichtung, wenn nicht sogar eine Selbstverständlichkeit, dieses interessante Projekt auch gemeinschaftlich zu fördern. Die Volksbanken in der Region Braunschweig/Wolfsburg haben das Projekt Braunschweigisches Land in der Weimarer Republik gern gefördert und wünschen den Initiatoren der Ausstellung viel Erfolg und den Lesern dieser kompakten Broschüre viele interessante Einblicke in diese Zeit. Hermann Isensee Sprecher der Bankenarbeitsgemeinschaft Volksbanken in der Region Braunschweig/ Wolfsburg 4 5

August Merges Foto: Stadtarchiv Braunschweig Dr. Heinrich Jasper Foto: Stadtarchiv Braunschweig Sepp Oerter Foto: Stadtarchiv Braunschweig Otto Antrick Foto: Stadtarchiv Braunschweig

Vorsitzende des Staatsministeriums im Freistaat Braunschweig 1919 1933 Gerhard Marquordt Foto: Dr. Henning Prellberg In der Verfassung des Freistaates Braunschweig vom 6. Januar 1922 wurden die Regierungsgeschäfte wie folgt geregelt: Unter Abschnitt V. Das Staatsministerium lesen wir: Das Staatsministerium führt die Gesetze und Beschlüsse des Landtages aus... Artikel 33. Die Mitglieder des Staatsministeriums werden vom Landtag gewählt... Artikel 34. Das Staatsministerium regelt die Zuständigkeit der einzelnen Minister und gibt sich eine Geschäftsordnung. Werner Küchenthal Foto: Stadtarchiv Braunschweig Aus der Verfassung geht nicht hervor, ob der leitende Minister Ministerpräsident oder Präsident genannt wird. August Merges trägt den Titel Präsident des Rates der Volksbeauftragten. Den Vorsitzenden oder Leiter des Staatsministeriums kann man also eher als primus inter pares ansehen. 6 7

Kohlezeichnung von H. Waltmann Foto: Braunschweigisches Landesmuseum 98/2

Dr. Heinrich Jasper Dr. Heinrich Jasper war der bedeutendste Politiker der Weimarer Zeit im Freistaat Braunschweig. Er stammte aus (fast) großbürgerlichem Hause (geb. 1875), machte 1894 am Wilhelmgymnasium in Braunschweig Abitur, studierte Jura und absolvierte seine Referendarzeit bis 1901. Im gleichen Jahr wurde er zum Dr. jur. promoviert. 1902 trat er nach einem langen Prozess der Hinwendung in die SPD ein, nachdem er schon als Jugendlicher mit sozialdemokratischem Gedankengut in Berührung gekommen war und dieses dann im Studium vertiefte. Er erlangte schnell hohe politische Ämter: Stadtverordneter (1903 28), Landtagsabgeordneter (1909, 1918 33), Faktionsvorsitzender der SPD im Landtag, Landtagspräsident (1919), Minister und Ministerpräsident (1919/20, 1922 24 und 1927 30). Geprägt durch Ideale und Humanität setzte er sich mit großem Engagement vor dem 1. Weltkrieg gegen das Dreiklassenwahlrecht und für die Verbesserung der Lebensbedingungen der Arbeiter ein. Nach dem Krieg galten seine Ziele darüber hinaus der Trennung von Staat und Kirche und dem Widerstand gegen die revolutionären Aktivitäten der extremen Linken. Immer wieder setzte er sich für die parlamentarische Demokratie ein und war offen für Koalitionen mit den gemäßigten bürgerlichen Parteien. 1931 trat Dietrich Klagges (NSDAP) seine Schreckensherrschaft an. Für Heinrich Jasper war es eine unvorstellbare Leidenszeit mit mehrfacher Folter, Gefängnis- und KZ-Inhaftierungen. Den Strapazen war er nicht gewachsen. Er starb am 19. Februar 1945 im KZ Bergen-Belsen. Jasper-Denkmal Foto: Sigrid Zehfuß Errichtet: 23. Dezember 1951 Anlass: Ehrung Heinrich Jaspers Entwurf: Jakob Hofmann Ausführung: Jakob Hofmann Material: Stein (Elmkalk) Aufstellungsort: zunächst auf der Ostseite des Gebäudes der Bezirksregierung (Bohlweg), seit 1998 auf der Westseite (Ruhfäutchenplatz). Portrait Heinrich Jasper Foto: Stadtarchiv Braunschweig 8 9

Im September 1918 erkennt die Oberste Heeresleitung des Deutschen Kaiserreiches die Aussichtslosigkeit einer weiteren Kriegsführung. Im Oktober bietet die Reichsregierung unter Kanzler Prinz Max von Baden den Waffenstillstand auf der Basis des vom US-Präsidenten Wilson vorgeschlagenen 14-Punkte-Programms an. Die Verhandlungen ziehen sich hin. Da kommt es in Kiel am 3. November zum Aufstand der Matrosen auf den Einheiten der Kriegsmarine, er wird Auslöser von Aufständen in anderen deutschen Städten, am 9. November in Berlin. Der Kaiser dankt ab, die Regierungsgeschäfte werden auf den Vorsitzenden der SPD, Friedrich Ebert, übertragen. Landjäger vor Helmstedt Foto: Stadtarchiv Helmstedt Überall im Reich bilden sich Arbeiter- und Soldaten-Räte. Sie fordern die Einrichtung einer Räte-Republik nach sowjetischem Vorbild. Der neu gebildeten Reichsregierung stehen keine Machtmittel zur Verfügung, die Einheiten des Heeres hatten sich aufgelöst. So bietet es sich an, die sog. Freikorps, zu denen sich entlassene Soldaten zusammenschlossen, zur Aufrechterhaltung der Ordnung in der jungen Republik einzusetzen.

General Maerckers Landjäger in Helmstedt In Braunschweig wurde am 9. April 1919 ein Generalstreik ausgerufen. Auf dem Schlossplatz verlas August Merges die Forderungen der Streikleitung: Alle Macht den Räten; Beseitigung der Mörderregierung Ebert- Noske; Auflösung der Parlamente; Bewaffnung der Arbeiterschaft; Anschluss an die russische Räterepublik. Eine Volkswehr besetzte die wichtigsten Bahnhöfe im ehemaligen Herzogtum. In Braunschweig drohte ein Bürgerkrieg. Die Reichsregierung verhängte über das Land Braunschweig den Belagerungszustand und General Maercker wurde von Magdeburg aus mit zehntausend Mann seines Landjägerkorps in Marsch gesetzt. Truppen der Braunschweiger Volkswehr und einer Volksmarine-Division hatten in Helmstedt neben dem Bahnhof die Post und das Rathaus besetzt. Bürgermeister Schönemann wurde abgesetzt, vom Rathaus wehte die Rote Fahne. Die Masse der Landjäger wurde am Morgen des 14. April in Güterzügen von Magdeburg aus bis Marienborn transportiert. Auf den Straßen rückten gepanzerte Fahrzeuge Richtung Helmstedt an, die Stadt wurde umfahren und die Straßen nach Braunschweig gesperrt. Die Fußtruppen drangen durch den Lappwald fächerförmig in die Stadt ein. Von der Stadtmauer her und auf dem Postberg wurden die Truppen beschossen. Hauptmann Koch fiel beim Angriff auf eine Gruppe mit Maschinengewehr, ein Bürger wurde tödlich verwundet. Eine Schwester von St. Marienberg wurde Opfer ihrer Neugier. Auf dem Turm der Kirche wurde sie durch Geschosse der Maerckerschen Truppen getötet. Im Schutze eines Panzerautos erstürmten Landjäger den Holzberg, dort befand sich im Hotel Stadt Hamburg das Hauptquartier der Roten. Über den inzwischen eroberten Bahnhof rückte Verstärkung an. Auch Rathaus und Marktplatz wurden besetzt. Das war das Ende des Kampfes in Helmstedt. Im Hotel Pätzold richtete Major Meyn, der Kommandeur der Kampfeinheit, sein Hauptquartier ein. Hier übergab der Major den aus Braunschweig angereisten Volksbeauftragten das Ultimatum: Die Volkswehr entwaffnen; die Waffen abgeben, die Stadt Braunschweig kampflos an General Maercker übergeben. So geschah es! Nach der Bildung einer neuen Regierung unter Dr. Heinrich Jasper rückten die Maerckerschen Truppen dann aus Braunschweig ab. Landjäger auf dem Holzberg Foto: Stadtarchiv Helmstedt Landjägernachschub vom Bahnhof Helmstedt Foto: Stadtarchiv Helmstedt 10 11

Karte der Amtsbezirke um 1900. Das Amt Calvörde liegt außerhalb des dargestellten Bereichs. Entnommen: Pohlendt, Heinz u.a., Der Landkreis Helmstedt. Bremen-Horn 1957

Wahlen und Wählerverhalten im Amtsbezirk Vorsfelde Der Amtsbezirk Vorsfelde war sehr stark von der Landwirtschaft geprägt, mit vielen kleinen Dörfern dünn besiedelt und verfügte über eine protestantisch dominierte Bevölkerung. Das ländlich-konservative Milieu spiegelte sich auch in den Wahlergebnissen der Weimarer Republik wieder. In der Landtagswahl am 22.12.1918 verfügten die bürgerlich-konservativen Parteien im Amtsbezirk Vorsfelde (LWV, DDP) mit mehr als 70 % der Stimmen über eine klare Mehrheit gegenüber den Sozialisten (USPD, MSPD). Bei der Reichstagswahl am 6.6.1920 erzielte die DVP als Erbin der Nationalliberalen mit 48,0 % im Bezirk Vorsfelde ein besonders gutes Ergebnis. Vor allem Kleinbürgertum und Bauernschaft fühlten sich von ihr angesprochen. Die erstarkte USPD gewann 23,0 % und die MSPD 11,5 %. Weitere Resultate: DDP 6,0 %, DNVP 8,3 %. Zwischen der Landtagswahl 1922 und der Reichstagswahl 1924 vollzog sich die Einigung zwischen USPD und MSPD. Im Lande Braunschweig war die SPD äußerst linksorientiert und verhielt sich gegenüber den bürgerlichen Parteien sehr kritisch. Bei der Reichstagswahl am 4.5.1924 erzielten DNVP und DVP in den Amtsbezirken Vorsfelde und Calvörde ihre besten Ergebnisse. Anlässlich der Landtagswahl am 27.11.1927 hatte sich die Parteienlandschaft zum Teil gravierend geändert. Neben dem Aufkommen der NSDAP mit 5,8 % im Amtsbezirk Vorsfelde errang u.a. die SPD ein Drittel der Stimmen. Die national-konservativen und bürgerlichen Kräfte hatten noch die Mehrheit der Stimmen. In den folgenden Wahlen setzte die NSDAP im Amtsbezirk Vorsfelde ihren Aufwärtstrend fort. Eine Wirtschaftskrise ab der zweiten Hälfte des Jahres 1928 löste heftige Wahlkämpfe aus. Das Reichstagswahlergebnis vom 14.9.1930 zeigte den Stimmenzuwachs der NSDAP im Amtsbezirk Vorsfelde mit dem Endergebnis von 42,9 %. Weitere Ergebnisse: SPD 31,0 %, DVP 5,7 %, DNVP 8,8 %. Andere Parteien hatten nur geringe Stimmenanteile. Die Landbevölkerung nahm vermehrt Abstand von den bürgerlichen Parteien. Den absoluten Durchbruch der NSDAP im Landkreis Helmstedt brachte die Reichstagswahl am 31.7.1932. Während die NSDAP im Kreisdurchschnitt 48,9 % erhielt, gewann sie im Amtsbezirk Vorsfelde mit 64,7 % fast zwei Drittel der Stimmen. Neben der SPD mit 23,4 % sind nur noch die DNVP mit 6,1 % und die KPD mit 3,0 % der Stimmen zu nennen. Bei der Reichstagswahl am 05.03.1933 wurde der NSDAP ihre beherrschende Mehrheit sowohl im Landkreis als auch im Amtsbezirk Vorsfelde bestätigt. Zeitungsanzeige der SPD. Der Bote vom 15.11.1927 12 13

Alle Plakate: Stadtarchiv Braunschweig

Wahlen Wahlplakate Nach der Niederlage im ersten Weltkrieg wurde am 9. November 1918 die Republik ausgerufen. Kaiser Wilhelm II. und die Monarchen der deutschen Staaten mussten abdanken, so auch Herzog Ernst August von Braunschweig. Die junge Republik wurde von revolutionären Unruhen geschüttelt. Im Land Braunschweig wurde eine sozialistische Republik installiert. 1919 musste Deutschland den Versailler Friedensvertrag unterzeichnen. Seine Bestimmungen waren eine große Bürde für die junge Demokratie. Vielmehr erfolgte eine drastische Verbildlichung von Inhalten. Bei der Verunglimpfung der politischen Gegner war keine der damals agierenden Parteien zimperlich. Während der Weltwirtschaftskrise nach 1929 erfolgte eine deutliche Radikalisierung. Die von Gewalt gekennzeichneten Darstellungen der Plakate entsprachen den Wahlkämpfen, die zum Ende der Weimarer Republik mit blutigen Auseinandersetzungen ausgetragen wurden. Anfang 1922 erhielt der Freistaat Braunschweig eine Verfassung. Mit dem Ende der Inflation von 1923 stabilisierten sich die Verhältnisse. Nach den Landtagswahlen 1924 etablierte sich erstmals eine bürgerliche Koalition (der DVP, DNVP u.a.), während in Folge der Wahl von 1927 ein SPD-Kabinett gebildet wurde. Die Reichstags- und Landtagswahlen vom 14. September 1930 standen bereits unter dem Einfluss der grossen Weltwirtschaftskrise. Die konservativen Parteien gingen ein Bündnis mit den Nationalsozialisten ein. Von nun an führte der Weg direkt in die Hitlerdiktatur von 1933 bis 1945. Bezeichnend für die politische Landschaft im Freistaat war der scharfe Gegensatz zwischen dem bürgerlich-konservativen und dem linken Lager sowie eine Tendenz zur Radikalisierung. Die Zeit der Weimarer Republik brachte den Durchbruch der Parteienwerbung mit Plakaten. Am Anfang standen zumeist einfach gestaltete Blätter mit Texten. Im Laufe der 1920er Jahre fanden immer häufiger grafische Darstellungen Eingang in die politische Propaganda. Selten wurden die Konterfeis führender Politiker abgebildet. 14 15

Auch bei Familienfeiern wurde, wie bei dieser Hochzeit 1931 in der Gaststätte zum Lindenhof in Thiede, mit Hakenkreuzfahnen geschmückt. Foto: Hartmut Alder

Die Anfänge der NSDAP im Gebiet der heutigen Stadt Salzgitter Die im gegenrevolutionären Klima nach der Niederwerfung der Münchner Räterepublik entstandene Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) wurde durch Hitler bald über die Grenzen Bayerns hinaus bekannt. Im November 1922 wurde in Wolfenbüttel die erste NSDAP-Ortsgruppe im Freistaat Braunschweig gegründet. Ihre Mitglieder erkannten die Notwendigkeit, die Bewegung aufs Land zu tragen, so auch in die ehemaligen Gemeinden der heutigen Stadt Salzgitter. Hier lebten die Menschen überwiegend von der Landwirtschaft, die sehr krisenanfällig geworden war, und im Inflationsjahr 1923 wurden in Lesse und in Osterlinde erste Ortsgruppen der NSDAP im Salzgittergebiet gegründet. Weitere Erfolge erreichten die Nationalsozialisten bei der Reichstagswahl im Mai 1924, an der sie nach dem gescheiterten Hitlerputsch vom 9. November 1923 in München und dem Verbot der NSDAP als Völkisch-Sozialer- Block teilnahmen. Übertraf das Ergebnis für diese Partei im Kreis Wolfenbüttel mit 15,4 Prozent das Reichsergebnis von 6,5 Prozent schon um mehr als das Doppelte, so ließen die im Amt Salder erzielten 25,3 Prozent schon erahnen, dass sich hier in den Folgejahren ein Stützpunkt der Nationalsozialisten bilden würde. Zwischen 1930 und 1932 entwickelte sich die NSDAP dann zur stärksten politischen Kraft im Salzgittergebiet. Dies zeigte sich auch bei der Reichstagswahl im Juli 1932, bei der die Nationalsozialisten in den ehemals braunschweigischen Gemeinden 61,3 Prozent der abgegebenen Stimmen erhielten und in den ehemals preußischen Gemeinden 43,8 Prozent, während der Reichsdurchschnitt bei 37,4 Prozent lag. Nach der Neuorganisation der NSDAP-Ortsgruppen im Herbst 1932, die eine Mindeststärke von 50 Mitgliedern je Ortsgruppe vorsahen, gab es im Salzgittergebiet zehn Ortsgruppen, die, bis auf Lesse, Mitglieder aus mehreren Orten umfassten. oben: Bericht des Landjägermeisters Bröker über eine öffentliche Versammlung der NSDAP in Lobmachtersen am 16. Juni 1929, an der etwa 900 Personen teilnahmen. Foto: StA Wf 127 Neu, Nr. 2632 unten: Vor einem SA-Aufmarsch durch Salzgitter(-Bad), 1932. Foto: HStA H, Hann310, A86 16 17

Flugblatt aus Bevern zum Volksentscheid über das Volksbegehren der KPD zwecks Auflösung des Laandtags am 15. November 1931 mit Bezug auf die Entlassungen in der Landeserziehungsanstalt Foto: Staatsarchiv Wolfenbüttel: 141 N Nr. 35 NS-Personalpolitik in der Landeserziehungsanstalt Bevern Zur Durchsetzung ihrer Entscheidungen ist eine Regierung auf die Mitwirkung der Verwaltungen angewiesen. Als nach der Landtagswahl am 14. September 1930 eine Koalition aus DNVP und NSDAP im Freistaat Braunschweig regierte, waren republikanisch gesinnte Beamte unerwünscht. Dies galt für Sozialdemokraten ebenso wie für Mitglieder der DDP. Innen- und Kultusminister Franzen (NSDAP) revidierte möglichst viele Stellenbesetzungen der vergangenen Jahre. In der Landeserziehungsanstalt Bevern war gegen den linken Direktor der Anstalt, Gotthard Eberlein, bereits ein Dienststrafverfahren wegen eigenartige[n] Benehmen[s] Federzeichnung von Gotthard Eberlein Foto: STAWO 12 Neu 7 II Nr. 96-1 einer Sekretärin gegenüber anhängig. Dies diente als Anknüpfungspunkt, Eberleins Entlassung herbeizuführen. Sein Nachfolger, Direktor Milzer, gehörte zur DNVP und verfolgte das ihm vorgezeichnete Ziel, in Bevern Ordnung, Sauberkeit in sittlicher Beziehung und Ruhe zu gewährleisten. Dies geschah u. a. durch bevorzugte Einstellung nationalsozialistischer Mitarbeiter. Sie verbreiteten ihr Gedankengut nicht nur in der Anstalt, sondern betätigten sich auch intensiv als Propagandisten für den Nationalsozialismus im Kreis Holzminden. So Bruno Friedrich, ein alter Kämpfer (Mitgliedsnummer 13.210, Ortsgruppe München): Seit 1923 war er glühender Verehrer Adolf Hitlers, wurde nach mehreren Vorfällen aus

Das Wilhelmstift in Bevern dem preußischen Schuldienst entfernt und erhielt im Braunschweigischen eine Stelle an der Landeserziehungsanstalt. Kaum war er drei Tage in Bevern, da hatte er nichts Eiligeres zu tun, als dort eine nationalsozialistische Versammlung aufzuziehen, so berichtete die sozialdemokratische Tageszeitung. 1932 war er Gauredner und trat in dieser Funktion überregional als Wahlkämpfer auf. Erziehungsinspektor Heinz Wiegand kam etwa zeitgleich mit Direktor Milzer nach Bevern. Auch er verfolgte das erklärte Ziel, die Roten auszurotten. 1932 fungierte er als Ortsgruppenleiter in Bevern. Die SPD kritisierte, Wiegand sei mehr auf dem Parteibüro als bei seiner eigentlichen Arbeit. Durch Denunziationen politischer Gegner zeichnete sich Erziehungspraktikant Paul Timmermann aus. Er brachte kritische Ansichten von Mitarbeitern zur Meldung, wobei er entsprechende Äußerungen teilweise offenbar gezielt provozierte. In mehreren Fällen lieferte er den Anstoß, missliebigen Angestellten ihren Arbeitsplatz zu nehmen. Bruno Friedrich; Passbild, ca. 1931 Foto: Staatsarchiv Wolfenbüttel: 12 Neu 6 Nr. 282 18 19

Bekanntmachung der Ilseder Hütte Foto: Stadtarchiv Salzgitter

Inflation und Notgeld der Ilseder Hütte Unvorstellbare 78 Millionen Mark kostete am 24. September 1923 die Bahnfahrt in der zweiten Klasse von Salzgitter nach Braunschweig. Ursache für den galoppierenden Währungsverfall war die ständige Erhöhung der Geldmenge seit Beginn des Ersten Weltkrieges. Am 4. August 1914 hatte die Regierung die gesetzliche Noteneinlösungspflicht der Reichsbank in Metallgeld bzw. Gold aufgehoben, gleichzeitig wurden die staatlichen Möglichkeiten zur Schuldenaufnahme und der Vermehrung der Geldmenge erweitert. Die Finanzhilfe für die zum passiven Widerstand ( Ruhrkampf ) gegen die Besetzung durch französische und belgische Truppen aufgerufene Bevölkerung des Ruhrgebietes war 1923 schließlich der Auslöser zur Hyperinflation, während der die Nachfrage nach Banknoten nicht mehr befriedigt werden konnte. Das Drucken von Notgeld war für Städte, Banken und Betriebe zur staatlich geduldeten Alternative geworden. Am 11. August 1923 gab die Direktion der Ilseder Hütte per Annonce im Salzgitterschen Kreisblatt bekannt, dass zu Lohnzwecken für unsere Grube Hannoversche Treue 500.000- und 100.000-Markscheine in Umlauf gegeben werden. In einer weiteren Bekanntmachung am 31. August 1923 bat die Direktion darum, auch noch im September 1923 das Notgeld als Zahlungsmittel zu akzeptieren. Während es in den ländlichen Gebieten im Vergleich zu den Ballungsräumen zunächst noch relativ ruhig geblieben war, mehrten sich im Herbst 1923 auch hier Proteste und Einbrüche, was zu einer weiteren Verunsicherung der Bevölkerung beitrug. Jetzt ist das Maß voll, titelte das Salzgittersche Kreisblatt am 10. Oktober 1923 nach einem Einbruch in ein Schuhgeschäft und rief die Einwohner dazu auf, einen nächtlichen Selbstschutz zu gründen. Zwei Tage später kam es auf dem Bohlweg in Salzgitter zu ersten Ausschreitungen. Eine empörte Menschenmenge verschaffte sich Zutritt zu einem Lagerraum der Lebensmittelgroßhandlung Hammer & Böttcher und entwendete Lebensmittel in großem Stil. Am 16. Oktober 1923, die Fahrt von Salzgitter nach Braunschweig kostete inzwischen über zwei Milliarden Mark, beschloss das Kabinett die Ausgabe eines neuen Zahlungsmittels. Doch allein der Beschluss führte noch zu keiner Verbesserung der Lage. Ende Oktober 1923 gab die Ilseder Hütte durch die Zahlungsmittelnot gezwungen erneut Notgeld heraus. Erst die Einführung der Rentenmark am 15. November 1923 sorgte für eine allmähliche Stabilisierung der Währung, einen Aufschwung der Wirtschaft und eine Normalisierung des Alltags. linke und rechte Seite: Geldscheine und Geldstücke aus den Jahren 1922/23 Fotos: Deutsche Bundesbank 20 21

Die Entstehung und Entwicklung Salzgitter-Bads wurde bis in das 19. Jahrhundert in erster Linie durch das Salz bestimmt. Archäologische Grabungen bestätigen eine Salzgewinnung schon vor mehr als 1000 Jahren, im Jahre 1125 wurde die Saline erstmals urkundlich erwähnt. Die Solequellen lagen am Schnittpunkt der Gemarkungen der Dörfer Gitter, Kniestedt und Vepstedt, deren Bewohner schon seit dem Frühmittelalter am Warnesumpf die Salzgewinnung betrieben. Im 12./13. Jahrhundert errichteten sie in der Nähe der Salzbrunnen eine befestigte Siedlung das spätere Salzgitter. Nach mehr als 1000 Jahren wechselvoller Geschichte wurde 1926 in Salzgitter die Salzerzeugung in der Saline Liebenhalle endgültig eingestellt. Schon 1913 waren der alte Salinenbohrturm, ein Wahrzeichen des Ortes, und jahrhundertealte Anlagen in der Saline einem Brand zum Opfer gefallen. Es wurden jedoch in kurzer Zeit neue Gebäude errichtet und die Saline 1915 wieder in Betrieb genommen. Doch schon nach wenigen Jahren wurde die Saline an eine Gesellschaft verkauft, 1926 kam es nach einem Konkurs zur Schließung und zur Versteigerung. oben: Der Salinenbezirk im Herzen der Stadt Foto: Medienzentrum Stadt Salzgitter unten: Werbung für das Solbad Foto: Medienzentrum Stadt Salzgitter

1926: Das Ende der Salzerzeugung in Salzgitter Schon 1825 wurde die Sole auch zu Heilzwecken verwendet, ab 1879 etablierte sich neben der Salzgewinnung der Kurbetrieb. Nach der Schließung der Saline gelang es dem Flecken, das 1911 neu errichtete Badehaus zu erwerben, einige Jahre später den Gesamtkomplex. Der früher sichtbar abgegrenzte Salinenbezirk öffnete sich allmählich, der Gutsbezirk Liebenhalle wurde nach Salzgitter eingemeindet. Die Zahl der Badenden und der Kurgäste stieg merklich an. Bad Salzgitter am Harz erlebte zu Beginn der 1930er Jahre eine Blütezeit, die wohl nicht zuletzt auf umfangreiche Werbemaßnahmen der Stadt zurückzuführen war. Es wurde eine städtische Badeverwaltung eingerichtet, ein Bade- und Verkehrsausschuss tagte, eine Kur- und Badezeitung informierte die Gäste und es wurden überregionale Werbeanzeigen veröffentlicht. Die Stadt investierte und verbesserte die bade- und heiztechnischen Anlagen im Kurhaus. Mit dem Beginn des Aufbaus der Reichswerke im Salzgittergebiet ging jedoch der Kurbetrieb zurück und ruhte während des Zweiten Weltkrieges ganz. Schon 1946 konnte in Salzgitter wieder gekurt werden. Heute ist Salzgitter-Bad ein staatlich anerkannter Ort mit Solekurbetrieb, noch immer wird die Sole im früheren Salinenbezirk, dem heutigen Rosengarten, gefördert und zum Thermalsolbad am Greif hinaufgeführt. 22 23

Blechwarenfabrik Fritz Züchner Foto: Museum Seesen Seesener Blechwarenfabrik Foto: Museum Seesen Heinrich Züchner und sein Sohn Rudolf arbeiteten als Konservierende Klempner. Sie leisteten in Deutschland Pionierarbeit auf dem Gebiet der Konservenfertigung. Der eigentliche Aufschwung der Seesener Blechwarenindustrie begann 1907 mit der Gründung der Seesener Blechwarenfabrik Fritz Züchner durch Rudolfs Sohn Fritz Züchner, der Ältere. Die Firma entwickelte sich rasch und war vielfältig aktiv. Der Erste Weltkrieg führte zu erheblichen Geschäftsvergrößerungen. Überkapazitäten, fehlendes Kapital und die einsetzende Inflation führten im Mai 1926 zur Umwandlung der Firma in die Seesener Blechwarenfabrik AG. Im Juni übernahm dann Schmalbach das neugegründete Unternehmen. Bereits am 1. Juli gründete Fritz Züchner, der Jüngere, zusammen mit seiner Ehefrau Irma die Blechwarenfabrik Fritz Züchner, die sich zum bedeutendsten Familienunternehmen in der Verpackungsindustrie entwickeln sollte.

Die Seesener Blechwarenindustrie Eine Quadriga in Seesen Die Seesener Figurengruppe war die dritte Version einer von Ernst Rietschel (1804 1861) für das Braunschweiger Schloss entworfenen Quadriga. Sie entstand 1893 für die Chicagoer Weltausstellung. Fritz Züchner der Ältere kaufte sie später, um damit nach dem Ersten Weltkrieg einen Triumphbogen für das siegreiche deutsche Heer zu schmücken. Aber, es kam ja anders. Nun hatte er vor, die Quadriga auf das neue Haus seines Sohnes Fritz und dessen Frau Irma zu setzen. Das Paar konnte die Aktion zunächst verhindern. Doch als die jungen Züchners auf Reisen waren, ließ Fritz der Ältere die Quadriga auf das Dach des Hauses heben. Erbost verlangte das Ehepaar die Entfernung der Quadriga. Doch die Demontage wäre zu aufwändig gewesen und so steht sie noch heute auf der Züchnervilla. Die Seesener Quadriga ist die letzte existierende Ausführung nach Rietschels Entwurf. Nach ihrem Vorbild ist die heutige Quadriga auf dem Braunschweiger Schloss entstanden und auch für den Wiederaufbau der Quadriga auf dem Brandenburger Tor in Berlin stand sie Modell. Quadriga auf Züchners Haus Foto: Museum Seesen 24 25

Ein Wolfenbütteler Fabrikant in seinem Cabriolet mit Chauffeur Foto: Wolfgang Lange Der überwiegende Teil der Wolfenbütteler stieg in die Straßeneisenbahn, um von der Herzogstadt ins benachbarte Braunschweig zu reisen. In der Hauptverkehrszeit fuhr das Schienenfahrzeug alle 20 Minuten vom Bahnhof Wolfenbüttel über Herzogtor, Sternhaus, Klein Stöckheim, Melverode, Braunschweig-Augusttor bis zum Hagenmarkt. 1928 zählte man knapp eine Million Fahrgäste, die die Straßenbahn (so titulierte man diese später) in nur sechs Monaten benutzten. Jahrhundertelang waren Pferdekutschen das Fortbewegungsmittel Nummer eins gewesen. Nach dem ersten Weltkrieg eroberte nach und nach das Automobil die Straßen der Lessingstadt und des Landkreises Wolfenbüttel. Zwar weist die Statistik des Jahres 1921 im gesamten Kreis Wolfenbüttel lediglich 77 Personenkraftwagen auf. Doch der beste Beweis für den Anbruch eines neuen Zeitalters in Sachen Mobilität war das Jahr 1924, in dem sich die Zahl der Pkw um 40 Prozent erhöhte. Für viele Wolfenbütteler jedoch war die neue, kostspielige Technik ein Dorn im Auge, vergleichbar mit der Einführung der Eisenbahn rund 100 Jahre zuvor. Der Wolfenbütteler Stadtverordnete der Deutschen Volkspartei Studienrat Lampe klagte 1927: Ich bin kein Freund der Automobile, die fahren uns unsere schönen Straßen entzwei und wir können sie wieder zurecht machen. Offensichtlich hatten unsere Vorfahren große Probleme bei der Beherrschung der neuen Technik. In nur fünf Monaten zählte die Wolfenbütteler Polizei 30 Verkehrsunfälle, darunter 15 Sach-, drei Personenschäden und sogar ein Todesopfer. Die Wolfenbütteler Zeitung stürzte sich geradezu auf

Kritisch beäugt: Der Aufstieg des Automobils das Thema Auto. Auch die Produktion der damals nur wenige PS-starken Wagen am Fließband wurde kritisch beäugt. Ford setze Autos wie Kaninchen in die Welt, kritisierte die WZ im September 1926. Die Presse erweckte den Eindruck, dass sich an fast jedem zweiten Tag ein Horror-Crash auf Wolfenbüttels Straßen ereigne. Minutiös wurde der Unfallhergang in der Berichterstattung geschildert. Und: Immer häufiger kam es zu Geschwindigkeitskontrollen im Kreis Wolfenbüttel. Dabei war innerorts gerade einmal eine Geschwindigkeit von 25 Kilometer pro Stunde erlaubt. Ein Automobil der Marke Hanomag der Brüder Hagemann Foto: Wolfgang Lange Die 20er Jahre waren jedoch nicht nur die Zeit des Autos: 669 Krafträder zählte man im Sommer 1928 in der Herzogstadt. Im selben Jahr gründete sich ein Motorsportklub. Der Aufbruch in die Moderne eröffnete zudem neue Möglichkeiten des Geldverdienens. Der Wolfenbütteler Feilenfabrikant Karl Schmidt richtete eine private Autobuslinie ein, mit der die weit auseinanderliegenden Stadtteile verbunden wurden. Über einen Antrag auf Errichtung einer ersten öffentlichen Tankstelle in der Lessingstadt diskutierten die Stadtverordneten 1930. Die Zahl der Personenkraftwagen hatte sich von Sommer 1927 bis Sommer 1928 in Wolfenbüttel von 60 auf 496 erhöht. Und ein neues Phänomen trat auf: Der Verkehrsstau. Zu Pfingsten 1929 kam es zu einem Stau am Herzogtor. Wochenend-Ausflügler verstopften Ende 1928 die steile Landstraße zwischen Bad Harzburg und Torfhaus. Gezählt wurden innerhalb von nur zwei Stunden 268 Kraftfahrzeuge, 178 Motorräder und 580 Fahrräder, die sich den Berg herauf quälten, doch nur noch 34 Fuhrwerke. 26 27

Der erste Ökonomiehof. Der Gutsinspektor mit seinen auf den Feldern und in den Stallungen tätigen Arbeitern (1928). Der Gutsbetrieb der Grafen von der Schulenburg als größter Arbeitgeber der Region Wolfsburg Zu Mitte des 18. Jahrhunderts (1742/56) übernahmen die Grafen von der Schulenburg die Herrschaft Wolfsburg. In der Weimarer Republik war zunächst Graf Werner (1895 1924) und dann sein ältester Sohn Graf Günther (1924 1941) Gutsherr. Ihr Arbeitszimmer, in dem Absprachen mit den höhergestellten Gutsverwaltern getroffen wurden, lag in der zweiten Etage des Südflügels der Wolfsburg (heute: Städtische Galerie). Zentrum der Gutsverwaltung war das Rentamt, das sich über lange Zeit in der alten Gerichtslaube (heute: Hochzeitsstube) befand und dann in ein neu errichtetes Backsteingebäude bei der Allerbrücke in der Gutssiedlung vor dem Schloss verlegt wurde. Von hier aus führte der Rentmeister, unterstützt von ungefähr 10 Mitarbeitern, die Oberaufsicht über die gesamten Gutsbetriebe. Bestandteil des westlich des Schlosses befindlichen Stall- und Wirtschaftsflügels (heute: Städtisches Museum) war das Wohnhaus der Familie des Kutschers, dem die gräflichen Reit- und Kutschpferde einschließlich der Geschirrkammer anvertraut waren und der u. a. die in der Remise untergestellten Wagen zu Inspektionsfahrten vorbereitete. Begab man sich über die Allerbrücke in die Gutssiedlung Alt-Wolfsburg, so sah man

Der Gutsbetrieb der Grafen von der Schulenburg in Wolfsburg linker Hand der Straße den als Bauhof bezeichneten Betriebshof. Ein Bauhofleiter hatte die Aufsicht über zahlreiche Gewerke (u. a. Maurer, Zimmermann, Maler, Dachdecker, Dreher, Schmied, Fass- und Kiepenmacher sowie seit 1916 auch Elektriker = 18 Pers.). Gab es an den Gutsgebäuden Reparaturen, wurde etwas verändert oder gar neu gebaut, dann kamen diese Handwerker zum Einsatz. Mit einem Büssing-LKW transportierte man schwere Lasten. In der benachbarten Oberförsterei wurden alle jagd- und waldwirtschaftlichen Entscheidungen getroffen. Revierförster in den Forstund Jagdhäusern (u.a. Bistorf/Hehlingen, Rothehof, Klieversberg/Ehrarer Holz, Bockling, Brome, Kaiserwinkel/Heidau, Neumühle) hatten diese Bestimmungen umzusetzen (17 Pers.). Der von einem Gutsinspektor geführte erste Ökonomiehof, der aus dem noch erhaltenen Ackerpferdestall und Kuhställen sowie Futter- und Getreidespeichern bestand, war der Zentralhof der Landwirtschaft (86 Pers). Pflüge und Erntewagen wurden hier bereitgestellt. Dort waren auch die Familie des Schweizers und seine Stallknechte sowie Hirten (9 Pers.) tätig. Dieser Melkmeister betrieb nach alter eidgenössischer Tradition die Molkerei einschließlich der Käseherstellung. Die Hirtenjungen wurden auch zur Hütung von Schweinen eingesetzt, die auf dem Schweinehof (zweiten Ökonomiehof) untergebracht waren. In der Schmiede, der Feuergefahr wegen an das nördliche Ende des Gutsbezirkes gelegt, war der Schmiedemeister für Hufbeschlag, Pflug- und Wagenbau sowie Reparatur landwirtschaftlicher Maschinen und Geräte verantwortlich (8 Pers.). Graf Gebhard Werner (*1722; 1788) hatte bei seinen Besuchen in England die Zucht von Merinoschafen kennengelernt, die zunächst weniger des Fleisches als ihrer feinen Wolle wegen gehalten wurden. Sie hatten ihre Stallungen in der Vorburg, am nördlichen Rand des Dorfes Hesslingen, wo der Oberschafmeister mit seinen Mitarbeitern (ca. 7 Pers.) wohnte. Südlich von Hesslingen lag die wasserbetriebene Schillermühle. Diese, kurz vor 1600 als Mahlmühle errichtet, war bis 1862 verpachtet. Ab 1863 wurde sie um eine mit Dampfkraft betriebene Sägemühle erweitert und der alte Mühlenbetrieb modernisiert. Neben der Lohnmüllerei für die Bauern der Umgebung wurde jetzt auch Handelsmüllerei in Eigenregie betrieben. Unter einem Mühleninspektor arbeiteten ein Sägewerksleiter und ein Müllermeister mit etwa einem Dutzend Mitarbeitern. Unter Leitung eines Fischmeisters stand der gutsherrliche Fischereibetrieb (10 Pers.). Zählt man die Schlossgärtnerei, geführt von einem Obergärtner, und auch noch das Haus- und Küchenpersonal des Schlosses inklusive des Schlossdieners dazu (über 10 Pers.), so arbeiteten für die Grafen in der Weimarer Zeit rund 200 Personen in den Gutsbetrieben Wolfsburgs. Da auch noch die Rittergüter Bistorf (bei Königslutter) und Brome sowie in der Altmark befindlicher Streubesitz zur Herrschaft Wolfsburg gehörte, standen damals bei den Grafen von der Schulenburg-Wolfsburg insgesamt um die 300 Personen in Lohn und Brot. Im Schlosshof der Wolfsburg das Haus- und Küchenpersonal sowie die gräflichen Forstbeamten (1928). Der Bauhof Betriebshof der für die Gutswirtschaft benötigten Gewerke (1928). Fotos: Gräflich von der Schulenburgisches Schlossarchiv Wolfsburg, Rittergut Nordsteimke 28 29

Bei einem Unwetter 1926 umgestürztes Seilbahngerüst Foto: Archiv Lengede Daten des Berges: Höhe 156,6 m ü.n.n. 65 m über Umgebung ca. 375 m in N-S ca. 240 m in W-O Christusdarstellung in der Apsis. (Foto: Dr. Norbert Funke)

Der Seilbahnberg in Lengede Wenn man Lengede nach Osten in Richtung Vallstedt verlässt, kommt man in einer sonst ebenen Landschaft plötzlich an einem Berg vorbei. Es ist der Seilbahnberg, auch allgemein Lengeder Berg genannt. In Bodenstedt wird er aber als Bodenstedter Berg bezeichnet, weil er bei seiner Entstehung (1917 1927) als Abraumhalde in der Feldmark von Bodenstedt aufgeschüttet wurde. Lengeder Erde (Landkreis Peine) wurde dort im Landkreis Braunschweig aufgehaldet. Im Ortswappen von Bodenstedt ist der Seilbahnberg sogar dargestellt. Bei der Bildung der Einheitsgemeinde Lengede 1972 wurde das Gebiet des Berges Lengede zugeschlagen und damit der Berg die höchste Erhebung im Landkreis Peine. Der Seilbahnberg ist ein gutes Beispiel dafür, wie der Mensch die Landschaft verändert hat. 1872 hat die Ilseder Hütte die Eisenerzfelder von Bodenstedt und Lengede gekauft und damit begonnen, Eisenerz zu fördern, das im Hochofenwerk Ilsede verhüttet wurde. Bis zum 1. Weltkrieg wurde das Eisenerz ausschließlich in Tagebauen gewonnen (Grube Sophienglück-Mathilde) und danach bis 1977 zusätzlich im Tiefbau. Im Tagebaubetrieb lag naturgemäß Abraumerde über den Erzschichten, die erst weggeschafft werden musste, um das Erz fördern zu können. Den Abraum hat man an tiefer gelegenen feuchten Stellen in der Lengeder Feldmark und an ausgeerzten Stellen im Tagebau verschüttet. 1917 waren diese Möglichkeiten der Abraumbeseitigung ausgeschöpft. Es wurde eine Drahtseilbahn gebaut, die den Abraum zu einem Berg aufschüttete. Das Abwurfgerüst sollte einen Schüttkegel von 90 Meter Höhe ermöglichen. Von dieser Seilbahn hat der Berg seinen Namen erhalten. Die Kipploren der Seilbahn wurden im Tagebau Mathilde (Lengede) gefüllt, zum Tagebaurand und zur Antriebsstation gezogen und dann ging es über den Vallstedter Weg hinweg in die Höhe. Die Antriebsstation der Seilbahn war gegenüber dem Berg auf der Südseite des Vallstedter Weges. Auf der einen Seite gingen die mit Abraumerde gefüllten Kipploren nach oben, auf der anderen Seite kamen sie wieder leer nach unten, nachdem sie oben durch eine Vorrichtung gekippt worden sind. Immer höher wurde die Abraumhalde durch die aufgeschüttete Erde. Wie ein Kegel mit einer langen Seite ragte der Berg aus der ebenen Landschaft hervor und galt bald als Wahrzeichen von Lengede, weil er von weit her zu erkennen war. Im März 1926 wurde durch einen orkanartigen Sturm die gesamte Seilbahn mit dem dazugehörigen Gerüst umgeweht und wieder aufgebaut. Das Bild links zeigt die umgewehte Seilbahn mit Gerüst am Berg. Etwa im Mai 1927 wurde die Ablagerung der Abraumerde eingestellt, weil wieder in den Tagebauen genügend ausgeerzte Flächen zur Verfüllung vorhanden waren. Die Drahtseilbahn wurde abgebaut und zur Verfestigung der Berghänge im unteren Bereich wurden auf allen Seiten und um den Berg Bepflanzung vorgenommen, eine bunte Mischung von Büschen und Bäumen. Kinder nutzten Berg und Park auch gern als Spielplatz. Bei klarem Wetter hat man von der Kuppe des Berges eine herrliche Aussicht bis zum Brocken und in alle Himmelsrichtungen. links: Gerüst für Seilbahn mit Kipploren zur Aufschüttung einer Abraumhalde Anfang 1917 Foto: Archiv Lengede rechts: Kinder spielen im Park am Abraumberg, um 1930 Foto: Irmgard Stache 30 31

Aufruf zu Protestversammlung wegen Erhalt des Buß- und Bettages, Blankenburg (um 1921) Foto: Lkl. Archiv Wolfenbüttel, Pfarrarchiv Blankenburg St. Bartholomäus 48 Kindergottesdienst 1918 (Braunschweig St. Martini) Foto: Lkl. Archiv Wolfenbüttel, FS 6560 Landesbischof Alexander Bernewitz (1863 1935) Foto: Lkl. Archiv Wolfenbüttel, FS 3038 rechte Seite: Evangelischer Landesverband für die weibliche Jugend Braunschweigs, Freizeit in Bad Harzburg 1921 Foto: Lkl. Archiv Wolfenbüttel, FS 6952 Brautpaar Else Kramme und Walter Horney, Lehrer in Abbenrode, 25.06.1924 Foto: Lkl. Archiv Wolfenbüttel, FS 7308

Die Braunschweiger Landeskirche Mit der Abdankung des Herzogs verlor die Landeskirche ihr Oberhaupt, am 21. November 1918 entzog der Arbeiter- und Soldatenrat ihr mit der Volksschulaufsicht den letzten Einfluss auf den Erziehungssektor. Die bislang privilegierte Staatskirche sah nun ihrer Loslösung vom Staat entgegen; eine unsichere Situation, die Vertreter einer volkskirchlich orientierten Zukunft zugleich als Chance begriffen. Die Weimarer Verfassung vom 14. August 1919 verfügte die Trennung von Kirche und Staat und die Religionsfreiheit der Bürger. Sie garantierte den Kirchen Selbstverwaltung, Besteuerung ihrer Mitglieder und Ersatz für bisherige staatliche Leistungen und bestätigte den Sonn- und Feiertagsschutz sowie einen schulischen Religionsunterricht. Der braunschweigische Staat griff in Letzteren dennoch ein und schaffte Ende 1921 den Buß- und Bettag vorübergehend ab. Gegen den Entzug staatlicher Zahlungen für ihre Bauten und ihr Personal hatte die Landeskirche unter den wechselnden Regierungen bis 1930 erheblich zu kämpfen. In ihrer Not suchte sie vielfach die gerichtliche Klärung, verschärfte damit aber den Gegensatz zur parlamentarisch-demokratisch verfassten Staatsmacht. Bleibende Konfliktfelder und die nur mühsame Integration der Kirche, welche sich schwertat, die neue weltanschauliche Wahlfreiheit zu akzeptieren, trugen gegen Ende der Weimarer Republik dazu bei, dass sich ein beachtlicher Teil der Pfarrerschaft dem Nationalsozialismus öffnete. Einen Anknüpfungspunkt bot für Landesbischof Alexander Bernewitz, seit 1923 erster leitender Geistlicher der Landeskirche, vor allem die Abwehr atheistischer linker Kräfte. Neben der Einführung eines Kirchenoberhauptes erforderte die landeskirchliche Eigenständigkeit den Entwurf einer Kirchenverfassung. 1922 verabschiedet, ordnete sie die künftigen demokratisch-synodalen Verwaltungsstrukturen der Landeskirche. Diese blieb, wenn auch die Einführung einer Landeskirchensteuer eine zunehmende Kirchenferne verstärkte, durch ihre diakonischen Angebote, ihre volkskirchlich und gruppenbezogen ausgerichtete Gemeindearbeit und ihre Amtshandlungen in der Weimarer Zeit ein bedeutender gesellschaftlicher Faktor. 32 33

Grafik Schulsystem Karl-Heinz Löffelsend Beide Zeichnungen: Bildungsplankritik Quelle: Braunschweiger Landeszeitung 1930 Adolf O. Koeppen Der Weimarer Schulkompromiss 1919 beschloss man den Weimarer Schulkompromiss, der die Abschaffung der kirchlichen Schulaufsicht und die Einrichtung einer vierjährigen Grundschule für alle Kinder vorsah. Die weitere Gestaltung des Schulwesens bestimmten Landesschulgesetze. Schulpolitik im Lande Braunschweig In Braunschweig wurde die Kirchliche Schulaufsicht bereits am 22.11.1918 abgeschafft. Rechtlich waren die Volksschulen des Landes evangelische Bekenntnisschulen, jedoch ohne Religion als Pflichtfach. Vermehrt setzten sich Eltern (u.a. im Weltlichen Elternbund) für die Einrichtung von sog. Sammelklassen ein, in denen statt Religion lebenskundlicher Unterricht erteilt wurde. Einrichtung von Sammelklassen und Weltlichen Schulen Zu Ostern 1926 nahmen drei weltliche Schulen (Maschstraße, Ottmerstraße,

Weltliche Schulen in Braunschweig Ottmerschule 1958, 1959 abgerissen Foto: städtische Bildstelle Schule Bültenwega Foto: Karl-Heinz Löffelsend Schule Bürgerstraße Foto: Karl-Heinz Löffelsend Bürgerstraße) den Betrieb auf, vier weitere Klassen waren an die Schule Comeniusstraße ausgelagert, 1927 kam als vierte die Schule Bültenweg hinzu. Die Schülerzahlen an den weltlichen Schulen stiegen von 2053 (1926) auf 2945 (1930). Gleichzeitig sank die Schülerzahl an den evangelischen Schulen von 8247 auf 7977. Die weltlichen Schulen waren Reformschulen Die weltlichen Schulen waren eine Gemeinschaft von Lehrern, Kindern und Eltern. Die Kinder sollten zu freien, zuverlässigen, nicht autoritätsgläubigen und gerecht denkenden Persönlichkeiten heranreifen. Das drückte sich in der praktischen Schularbeit u.a. so aus: Gruppenarbeit, praktisch keine Prügelstrafe, demokratische und schülerbezogene Unterrichtsmethoden, audiovisuelle Lehrmittel, musische Erziehung und Arbeitsunterricht und intensive Mitarbeit der Eltern im Schulleben. Weltliche Schulen waren demnach Gemeinschafts- und Reformschulen, die wesentliche Impulse aus der Arbeiterbewegung umsetzten und Reformansätze von Adolf Reichwein, Georg Kerschensteiner oder Hugo Gaudig übernahmen. Abbau der Sammelklassen und der weltlichen Schulen Nach 1931 baute die bürgerlich-nationalsozialistische Koalition die weltlichen Schulen ab. Als Begründung gab man an, dass die in den weltlichen Schulen betriebene Pädagogik vom Kinde aus dazu führe, dass dadurch die Kulturtechniken vernachlässigt würden und es zu einem katastrophalen Bildungsstand käme. Schule Comeniusstraße Foto: Karl-Heinz Löffelsend 34 35

Töchterheim Bergemann Blankenburg Foto: Heimatsammlung der Stadt Blankenburg rechte Seite: Reform-Erziehungsheim Kiepert in der Rübeländere Str. 3 Foto: Heimatsammlung der Stadt Blankenburg

Mädchenpensionate in Blankenburg Im Jahre 1875 begründete in Blankenburg im Harz die 25-jährige Volksschullehrerin Elisabeth Kühne eine Lehr- und Erziehungsanstalt für Töchter höherer Stände. Schon nach drei Jahren konnte am schönsten, höchstgelegenen Ort der Stadt ein eigenes zweckmäßig ausgestattetes Haus errichtet werden. Auf Jahre hinaus waren stets alle Plätze für Töchter der angesehensten Familien vorbelegt. Die Zahl von 25 Schülerinnen wurde grundsätzlich nicht überschritten. Die Aufnahme erfolgte vom 12. und nur ausnahmsweise vom 10. Lebensjahr an. Der Unterricht fand im Töchterheim statt. Einen besonderen Schwerpunkt im Lehrplan bildeten hier z.b. Fremdsprachen. Die Leiterin des Heimes engagierte sich später aktiv in der Bewegung für Frauenrechte und Frauenbildung. Bereits 1888/89 existierten vier Töchterpensionate in der Stadt Blankenburg, deren Schulen seit Anfang des Jahrhunderts einen guten pädagogischen Ruf besaßen. In Blankenburg gab es schon früh mehrere Musikschulen und ein Lyzeum. Der Besuch des Gymnasiums der Stadt durch Mädchen war bereits vor dem I. Weltkrieg möglich. Die Zahl der Töchterpensionate, die eine traditionelle Ausbildung mit dem Ziel der Heranbildung guter Hausfrauen und Mütter anboten, stieg in den zwanziger Jahren weiter an. Zum Teil waren es nun auch Witwen aus begüterten Schichten, die angesichts der wirtschaftlichen Lage ihre ererbten Villen in Heime umwandelten. Aber nur wenige der Einrichtungen verfügten über eigene Bildungsangebote, die über Hauswirtschaft, sportliche und kulturelle Lehrgänge hinausreichten. Eines der größten Pensionate war das Heim von Meta Kiepert. Beworben wurde es als Reformanstalt auf hygienischer Grundlage für Töchter gebildeter Stände. Es bot Heim und Unterricht für Schulpflichtige. 6 Lehrkräfte, 2 Villen, eine Turnhalle und Liegeterrasse gehörten zu der Ausstattung des Pensionats. Zusätzlich wurden hauswirtschaftliche, wissenschaftliche und künstlerische Kurse für Erwachsene angeboten. Die Nutzung des bestehenden Lyzeums für die Ausbildung der Mädchen aus den Pensionaten war aber auch möglich. 1928 gab es in Blankenburg 15 solcher Heime für Töchter gebildeter Stände. In den Einrichtungen wurden Töchter zahlungskräftiger Eltern erzogen und ausgebildet. In seinem autobiografischen Roman Frührot erwähnte der in den 20er Jahren bekannte Schriftsteller August Winnig seine Erfahrungen mit den Pensionsmädeln. Er schrieb: Es wurde manche heimliche, süße, verbotene Stunde geschenkt, bei der ein artiger Kuss ein seltenes Festtagsgeschenk war. Die Erziehung erfolgte mit aus heutiger Sicht fast klösterlicher Strenge. Die Mädchen aus den Pensionaten, die regelmäßig zum Einkauf in die Stadt kamen, prägten das Bild mit, welches die Geschäfte in der Innenstadt boten und damit auch die Erinnerung vieler Blankenburger an jene Jahre. 36 37