Manuskript Beitrag: Freihandel mit Medikamenten Patientenschutz in Gefahr Sendung vom 22. Juli 2014 von Astrid Randerath und Dana Sümening Anmoderation: Gerade proben einige deutsche Politiker den Aufstand gegen Amerika. Wegen der Spionageaffäre stellen sie das geplante Freihandelsabkommen in Frage. Den größten Wirtschaftsdeal aller Zeiten vermag diese eher mickrige Drohgebärde nicht aufzuhalten. Was Patientenschützer durchaus bedauern, die Pharmaindustrie dafür umso mehr freut. Denn so können ihre Lobbyisten weiter ungehindert ihre Interessen durchsetzen. Astrid Randerath und Dana Sümening über Risiken und Nebenwirkungen beim Freihandel mit Medikamenten. Text: Geheime Verhandlungen. Absprachen im Verborgenen. So laufen die Treffen zwischen Industrie und EU-Kommission zum geplanten Freihandelsabkommen TTIP ab. Pia Eberhardt, von der Anti-Lobby-Organisation CEO in Brüssel ist überzeugt, dass bei den Verhandlungen die Interessen der EU-Bürger kaum eine Rolle spielen. Denn die EU-Kommission trifft sich auffällig häufig mit den Lobbyisten der Industrie und deutlich seltener mit den Verbraucherschützern. O-Ton Pia Eberhardt, Anti-Lobby-Organisation CEO: Die Europäische Kommission stimmt ihre Verhandlungspositionen ganz eng ab, mit Konzernen und ihren Lobbygruppen. Wir haben uns genauer die Vorbereitungsphase der Verhandlungen angeschaut und da waren 92 Prozent der Lobbykontakte, die die Kommission hatte zum TTIP mit Konzernen und Industrieverbänden. Nur 4 Prozent der Kontakte waren mit Gewerkschaften oder Umweltorganisationen, Verbraucherschützern. Um deren Interessen geht es also nicht. Was bei den Treffen zwischen EU und Wirtschaftslobbyisten ausgehandelt wird, dringt kaum an die Öffentlichkeit. Auch was
die Pharmaindustrie beim Freihandel von Medikamenten einfädelt, bleibt meist im Dunkeln. Dabei zeigt eine bislang unveröffentlichte Liste, dass sie kräftig mitmischt. Wir entdecken zahlreiche Termine mit Pharmakonzernen wie Eli Lilly, dem Verband der Deutschen Pharmazeutischen Industrie (BPI), Generikaherstellern, dem Konzern Johnson & Johnson und immer wieder mit dem europäischen Dachverband forschender Pharmaunternehmen EFPIA. O-Ton Pia Eberhardt, Anti-Lobby-Organisation CEO: Wir fragen viele Protokolle an zu Treffen, die die Kommission hatte mit Konzernlobbyisten zum TTIP und Teil dieser Dokumente sind auch Dokumente, die den Austausch mit der Pharmaindustrie betreffen. Manche dieser Dokumente wurden gar nicht veröffentlicht und andere teilweise geschwärzt. Also, anscheinend hat die Kommission ein Interesse zu verbergen, was genau sie dort hinter verschlossenen Türen mit der Pharmaindustrie diskutiert. So sehen die Dokumente aus. Ganze Passagen fehlen, wichtige Informationen sind unkenntlich. Warum die Geheimniskrämerei? Wir fragen nach bei der EU. Der zuständige Kommissar, Karel de Gucht, hat keine Zeit für ein Interview. Schickt seinen Sprecher vor. O-Ton Prof. Frank Hoffmeister, FDP, stellvertretender Kabinettschef EU-Handelskommission: Also, ich frage mal zurück. Wenn Herr Bundeswirtschaftsminister Gabriel den Chef von Daimler trifft oder Herrn Hoffmann vom DGB, veröffentlicht das Bundeswirtschaftsministerium die Protokollnotizen hiervon? Ich glaube nicht. Was richtig und wichtig ist: Dass wir auf Antrag klarstellen: Es gab ein Meeting und das waren die wesentlichen Inhalte des Meetings. Und wenn es ein Protokoll gibt, dann kann das auch veröffentlicht werden, sofern keine EU-Interessen davon gefährdet sind. Pia Eberhardt kennt solche Ausflüchte und wundert sich doch: Die EU-Kommission ist gegenüber den Lobbyisten offener als zu den Bürgern. O-Ton Pia Eberhardt, Antilobbyorganisation CEO: Offensichtlich wurde aber sehr freimütig in dem Treffen selbst mit Konzernen und Verbänden über diese Strategie debattiert, sonst wäre es ja nicht im Protokoll. Also, es gibt hier eine sehr selektive Informationspolitik der Kommission, die ihre Freunde aus der Industrie gut versorgt mit Informationen und die gleichen Informationen der Öffentlichkeit vorenthält. Frontal21 liegen ungeschwärzte Protokolle von Geheimtreffen mit
der Pharmaindustrie vor. Darin ist die Rede von sehr produktiven Treffen. Weiter heißt es: Das Treffen fand in einer freundlichen Atmosphäre statt und die Industrie hat bekräftigt, dass sie bereit ist, konkreten Input zu liefern. Wir zeigen diese Dokumente dem Pharmakritiker Jörg Schaaber. Ja, wenn man diese Protokolle anschaut, dann überkommt einen wirklich ein leichtes Schaudern. Also nicht nur, dass die Pharmaindustrie Einfluss genommen hat. Das verwundert einen als solches nicht. Aber die EU-Kommission hat die Industrie geradezu eingeladen. Man kann schon fast sagen gebettelt um ihren Input, also dass die Industrie ihre Wünsche äußert. Und dem wird allzu gerne auch Folge geleistet. Wie groß der Einfluss der Industrie werden kann, zeigt das Handelsabkommen NAFTA. US-Präsident Bill Clinton hat es Anfang der 90er Jahre verabschiedet. Es gilt zwischen Kanada, USA und Mexico und dient als Blaupause für das TTIP. Zentraler Punkt in dem Vertrag ist der Investorenschutz. Damit kann jede Firma gegen eine Regierung klagen, wenn sie sich in ihren Rechten verletzt fühlt. Das kann für den Staat sehr teuer werden. So klagt derzeit der Pharmariese Eli Lilly gegen Kanada und fordert 500 Millionen US-Dollar Schadenersatz. Kanada hatte den Patenschutz für zwei Medikamente aberkannt. Generika seien genauso wirksam, aber deutlich günstiger, so die Regierung. Eine politische Entscheidung für geringere Kosten im Gesundheitswesen, die ausgehebelt werden könnte. O-Ton Prof. Joel R. Lexchin, Health Action International, University of Toronto: Was wir sehen, ist eine Schlacht zwischen den Vorteilen einer Firma, hier Eli Lilly, und den Vorteilen für das kanadische Gesundheitssystem. Und eine der Sachen, die gut sind für das kanadische Gesundheitssystem, sind bezahlbare Medikamente. Doch die Entscheidungen zum Wohle der Bürger oder zum Nutzen von Firmen fällen ausgerechnet Schiedsgerichte, die im Geheimen tagen - und nicht etwa ordentliche Gericht. O-Ton Pia Eberhardt, Antilobbyorganisation CEO: Die Verfahren sind nicht öffentlich. Es gibt keine öffentlichen Anhörungen, sondern die laufen in irgendeinem Hotelzimmer in Paris, Washington oder London. Die Klagen werden auch nicht entschieden von unabhängigen Richtern oder Richterinnen, die ein festes Gehalt haben, eine feste Stelle;
dass die ihnen nicht flöten geht, wenn sie ein unliebsames Urteil fällen. Sondern Investor-/Staat-Klagen werden entschieden von privaten Anwälten, die pro Verfahren bezahlt werden. Diese Personen werden nicht irgendwie demokratisch gewählt, sie unterliegen keinerlei Kontrolle. Also. es ist eigentlich ein Rückfall in vordemokratische Zeiten. Im Streit Eli Lilly gegen Kanada geht es um Zyprexa. Das Psychopharmakum ist auch in Deutschland ein verbreitetes Medikament. Auch hier gibt es schon günstige Generika. Und auch hier drohen dann künftig Klagen wie in Kanada. Die Neurologin Dr. Monika Schäfer-Ligustro fürchtet die Folgen des zukünftigen Freihandels und rechnet mit gravierenden Nachteilen für das Gesundheitssystem. O-Ton Dr. Monika Schäfer-Ligustro, Neurologin: Wenn ein großer Pharmariese durchsetzt, dass die Preise für sein Medikament hoch sind und sich nicht über Rabattverträge mit den Krankenkassen deckeln lässt, dann müssten die Krankenkassen das zahlen. Das ginge zulasten der Versicherten und dann wäre die Frage, weil wir budgetiert sind: Was können wir noch verschreiben an Medikamenten? Ich bin nicht der Meinung, dass alle hochpreisigen Medikamente gut sind. Ich finde, bin auch da sehr kritisch, aber die Wahl zu haben oder die Möglichkeit zu haben, bestimmte Medikamente zu verordnen, die sollte schon da sein. Freihandel zulasten der Patienten. Das will Kanada bei künftigen Handelskommen vermeiden. Frontal21 liegt ein vertrauliches Protokoll eines Treffens mit der EU vor. Demnach will Kanada bei einem neuen Vertrag die Inverstor-Schiedsverfahren einschränken. Doch der Verhandlungspartner, die Europäische Kommission, kurz KOM, lehnt das ab: Dieses Ansinnen habe KOM deutlich zurückgewiesen, weil dies nicht im Interesse der pharmazeutischen Industrie der EU sei. Auch dazu fragen wir die EU-Kommission. Schriftlich heißt es: Man sehe darin keine Bevorteilung der Pharmaindustrie. Ich finde das einen echten Skandal. Also, weil die EU- Kommission soll die Interessen der EU-Bürger vertreten und nicht selektiv die Interessen der Pharmaindustrie.
Doch damit sieht es gar nicht gut aus. Denn EU-Kommissar, Karel de Gucht, fordert laut Protokoll alle EU-Mitgliedsstaaten dazu auf, Kritik an den umstrittenen Schiedsgerichten zu unterlassen: Je stärker die öffentliche Diskussion befeuert werde, desto größere Schwierigkeiten ergäben sich mit Blick auf zukünftige Abkommen. Kritik unterwünscht. Der mündige Bürger stört. So gehen die Verhandlungen wohl weiter wie bisher - im Geheimen und im Verborgenen. Abmoderation: Den Vorwürfen setzen EU und USA eine Charmeoffensive entgegen: Speed-Dating mit Gewerkschaften, Umweltverbänden und Verbraucherschützern. Fünf Minuten Redezeit. Und da behaupten wir noch, Kritiker würden nicht ernst genommen. Zur Beachtung: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der vorliegende Abdruck ist nur zum privaten Gebrauch des Empfängers hergestellt. Jede andere Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtgesetzes ist ohne Zustimmung des Urheberberechtigten unzulässig und strafbar. Insbesondere darf er weder vervielfältigt, verarbeitet oder zu öffentlichen Wiedergaben benutzt werden. Die in den Beiträgen dargestellten Sachverhalte entsprechen dem Stand des jeweiligen Sendetermins.