GfA (Hrsg.) 2013, Chancen durch Arbeits-, Produkt- und Systemgestaltung 241 Handkraftmessung beim Bewegen von zwei- und vierrädrigen Müllgroßbehältern Claus BACKHAUS 1, Markus POST 2, Karl-Heinz JUBT 1, Rolf ELLEGAST 2, Christian FELTEN 1 und Jörg HEDTMANN 1 1 Berufsgenossenschaft für Transport und Verkehrswirtschaft, Ottenser Hauptstraße 54, D-22765 Hamburg 2 Institut für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung, Alte Heerstr. 111, D-53757 Sankt Augustin Kurzfassung: Die nachfolgende Studie ermittelt Handkräfte beim Ziehen und Schieben von zwei- und vierrädrigen Müllgroßbehältern. 10 Müllwerker bewegen die halb und voll befüllten MGB über einen vorgegebenen Versuchsparcour. Zum Bestimmen der Handkräfte werden dreidimensionale Kraftmessgriffe eingesetzt. Die Untersuchung ergibt Initialkräfte von 101 bis 285 N und Konstantkräfte von 36 bis 126 N. Die Ergebnisse bestätigen die zum Teil hohe physische Belastung der Mitarbeiter. Schlüsselwörter: Ziehen, Schieben, Müllwerker, Abfall wirtschaft, Müllgroßbehälter, Handkraft. 1. Einleitung Die Entsorgungswirtschaft gehört zu den Gewerbebereichen mit der höchsten Zahl durchschnittlicher Arbeitsunfähigkeitstage pro Mitarbeiter. Sie betrug in 2009 im Mittel 26,4 Tage und liegt damit deutlich über dem Mittelwert für die Verkehrsbranche. Insgesamt 35 % der krankheitsbedingten Ausfälle der Müllwerker sind dabei auf Beschwerden des Muskel-Skelett Systems zurück zu führen (BKK 2010), wodurch deutlich wird, dass diese Berufsgruppe hohen physischen Belastungen ausgesetzt ist (Luttmann et al.1983). Zur Verringerung der erforderlichen Hebe- und Tragevorgänge werden seit etwa den 1980er Jahren bevorzugt zwei- und vierrädrige Müllgroßbehälter (MGB) mit einem Füllvolumen von 120, 240 und 1100 L eingesetzt. Allerdings resultieren auch aus dem Ziehen und Schieben der MGB Belastungen, die vergleichbar mit den Belastungen sind, die beim Heben und Tragen schwerer Lasten auftreten können. Nach den Empfehlungen des Merkblattes zur Berufskrankheit Nr. 2108 (Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule ) sollen Tätigkeiten durch Ziehen und Schieben, die untrennbar mit einer Lastenhandhabung in Form von manuellem Heben und Tragen verbunden sind, als Gefahrenquelle für eine bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule berücksichtigt werden. Als Orientierungswerte für eine erhöhte Gesundheitsgefährdung werden hier für Männer Handkräfte von 350 N für das Ziehen und 450 N für das Schieben genannt (BKV 2007). Bislang fehlt es allerdings an ausreichenden Untersuchungen zu den auftretenden Handkräften beim Ziehen und Schieben von zwei- und vierrädrigen MGB in Deutschland. Die vorliegende Untersuchung ermittelt in einem Laborexperiment die Handkräfte beim Ziehen und Schieben von zwei- und vierrädrigen MGB mit einem Füllvolumen von 120, 240 und 1100 L.
242 2. Methode Als Versuchspersonen (VP) werden 10 Müllwerker eingesetzt, welche die 120, 240 und 1100 L MGB mit halbvoller und voller Beladung (vgl. Backhaus et al. 2012) in normaler Arbeitsgeschwindigkeit über einen vorgegebenen Versuchsparcour bewegen (vgl. Abbildung 1). Dieser besteht aus einer geraden Strecke mit einer Länge von 15 m, dem Umfahren eines Hindernisses in Form eines dreimaligen Richtungswechsels von jeweils 90 im Abstand von 5 m (den VP durch Bodenmarkierungen angezeigt) und abschließend wiederum einer Geraden von 8 m Länge. Es finden drei Messwiederholungen sowohl für das Ziehen als auch das Schieben der MGB statt. Zum Bestimmen der Handkräfte werden zwei dreiaxiale Kraftmessgriffe mit piezoelektrischen Messsensoren an den MGB angebracht. Dadurch können die auftretenden Längs-, Quer- und Axialkräfte erfasst und als Vektorsumme ausgegeben werden. Die Kraftmessgriffe verfügen über einen Datenspeicher und eine autonome Spannungsversorgung und werden in der üblichen Greifhöhe bzw. anstelle der vorgesehenen Griffe der MGB angebracht. Die Abtastrate beträgt 50 Hz (Glitsch et al. 2007). Bei der Datenauswertung werden Initial- und Konstantkräfte unterschieden (Snook 1978) und über die VP zu Mittelwerten zusammengefasst. Initialkräfte ergeben sich per Definition aus dem 95. Perzentil der aufgezeichneten Kraftwerte und sind erforderlich, um einen MGB aus einer Ruheposition zu beschleunigen. Konstantkräfte repräsentieren das 50. Perzentil der aufgezeichneten Messwerte und dienen zum Aufrechterhalten eines Bewegungsvorgangs. Abbildung 1: Müllwerker beim Bewegen eines 240 L Müllgroßbehälters mit dreiaxialen Kraftmessgriffen zum Ermitteln der Handkräfte
243 3. Ergebnis Für das Ziehen der zweirädrigen MGB wurden Initialkräfte von 101-154 N und Konstantkräfte von 46-71 N ermittelt. Für die vierrädrigen 1100 L MGB wurden Initialkräfte von 180-268 N und Konstantkräfte von 84-126 N berechnet (vgl. Abbildung 2). 300 Handkraft [N] 250 200 150 100 Initialkraft halb Initialkraft voll Konstantkraft halb Konstantkraft voll 50 0 120 L 240 L 1100 L Müllgoßbehältertyp Abbildung 2: Handkräfte beim Ziehen von 120, 240 und 1100 L Müllgroßbehältern mit voller (voll) und halbvoller (halb) Befüllung Beim Schieben der zweirädrigen MGB konnten Initialkräfte von 103-175 N und Konstantkräfte von 36-81 N ermittelt werden. Bei den vierrädrigen MGB wurden Initialkräfte von 196-285 N und Konstantkräfte von 86-125 N berechnet (vgl. Abbildung 3). Handkraft [N] 300 250 200 150 100 Initialkraft halb Initialkraft voll Konstantkraft halb Konstantkraft voll 50 0 Abbildung 3: 120 L 240 L 1100 L Müllgroßbehältertyp Handkräfte beim Schieben von 120, 240 und 1100 L Müllgroßbehältern mit voller (voll) und halbvoller (halb) Befüllung
244 4. Schlussfolgerung Die Studie belegt, dass die im Merkblatt zur Berufskrankheit Nr. 2108 genannten Orientierungswerte für Männer von 350 N für das Ziehen und 450 N für das Schieben schwerer Lasten nicht erreicht werden. Trotzdem treten zum Teil intensive Belastungen für das Muskel-Skelett-System der Müllwerker auf. Richtwerte, die auf der Grundlage von psychophysikalischen Messungen (Mital et al. 1997) erhoben wurden, werden überschritten. Beim Bewegen der vierrädrigen 1100 L MGB werden ebenfalls biomechanische Grenzwerte zur Druckkraftbelastung der Lendenwirbelsäule (Lee et al. 1991) erreicht. Zur Prävention von Muskel-Skelett-Erkrankungen und der Verringerung arbeitsbedingter Ausfallzeiten der Müllwerker müssen durch den Arbeitgeber geeignete Maßnahmen zur gesundheitsgerechten Arbeitsgestaltung und zur Gesundheitsförderung eingeführt werden (vgl. Backhaus et al. 2012). 5. Literatur 1. Backhaus, C., Jubt, K.-H., Post, M., Ellegast, R., Felten, C. & Hedtmann, J. 2012, Belastung des Muskel-Skelett-Systems beim Ziehen und Schieben von Müllgroßbehältern, Zeitschrift für Arbeitswissenschaft, 66, 327-346. 2. Berufskrankheitenverordnung 2007, Merkblatt zur Berufskrankheit Nr. 2108. In: G. Mehrtens & S. Brandenburg (Hrsg.), Die Berufskrankheitenverordnung (BKV), ergänzbare Sammlung der Vorschriften, Merkblätter und Materialien (Erg.-Lfg. 2/07). Berlin: Erich Schmidt Verlag. 3. BKK Bundesverband 2010, BKK-Gesundheitsreport: Gesundheit in einer älter werdenden Gesellschaft. Essen: BKK-Bundesverband. 4. Glitsch, U., Ottersbach, H. J., Ellegast, R., Schaub, K., Franz, G. & Jäger, M. 2007, Physical workload of flight attendants when pushing and pulling trolleys aboard aircrafts, Industrial Ergonomics, 37, 845-854. 5. Lee, K. S., Chaffin, D. B., Herrin, G.D. & Waikar, A. M.: 1991, Effect of handle height on lower-back loading in cart pushing and pulling, Applied Ergonomics, 22, 117-123. 6. Luttmann, A., Laurig, W. & Gencoglu, M. 1983, Ermittlung von Reviergrößen bei der Hausmüllabfuhr unter Berücksichtigung der Beanspruchung der Beschäftigten, Zentralblatt für Arbeitsmedizin, 33, 49-56. 7. Mital, A., Nicholson, A. S. & Ayoub, M. M.1997, A Guide to Manual Materials Handling. London: Taylor & Francis. 8. Snook, S.H. 1978, The design of manual handling tasks, Ergonomics, 21, 963-985.
Gesellschaft für Arbeitswissenschaft e.v. Chancen durch Arbeits-, Produkt- und Systemgestaltung Zukunftsfähigkeit für Produktions- und Dienstleistungsunternehmen 59. Kongress der Gesellschaft für Arbeitswissenschaft Fachhochschule Krefeld 27. Februar bis 01. März 2013 Press
Bericht zum 59. Arbeitswissenschaftlichen Kongress vom 27.02. bis 01.03.2013 an der FH Niederrhein, herausgegeben von der Gesellschaft für Arbeitswissenschaft e.v. Dortmund: GfA-Press ISBN 3-978-3-936804-14-0 NE: Gesellschaft für Arbeitswissenschaft: Jahresdokumentation Als Manuskript gedruckt. Diese Schrift ist nur bei der Gesellschaft für Arbeitswissenschaft e.v., Ardeystraße 67, 44139 Dortmund, erhältlich. E-Mail: gfa@ifado.de, Internet: www.gfa-online.de Alle Rechte vorbehalten. GfA-Press, Dortmund Schriftleitung: apl. Prof. Dr. M. Schütte im Auftrag der Gesellschaft für Arbeitswissenschaft e.v. Ohne ausdrückliche Genehmigung der Gesellschaft für Arbeitswissenschaft e.v. ist es nicht gestattet, die Broschüre oder Teile daraus in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) zu vervielfältigen. Druck: City Druck, Heidelberg Printed in Germany Technische Gestaltung: Stefan Cavadini
Gesellschaft für Arbeitswissenschaft e.v. Jahresdokumentation 2013 Chancen durch Arbeits-, Produkt- und Systemgestaltung Zukunftsfähigkeit für Produktionsund Dienstleistungsunternehmen Bericht zum 59. Kongress der Gesellschaft für Arbeitswissenschaft vom 27. Februar bis 01. März 2013 herausgegeben von der Gesellschaft für Arbeitswissenschaft e. V: