LC : Hast du andere Kampfkünste trainiert?

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Luce Condamine : Fernando, Ich war erfreut, Dich letztes Jahr in Jasnieres kennen zu lernen, wo ich Deine Herangehensweise ans Tui Shou wirklich schätzen gelernt habe. Du bist Argentinier und verbringst einen großen Teil Deiner Zeit mit dem Unterrichten in Europa. Wie kam das Taijiquan in dein Leben? Wer waren Deine Lehrer? Fernando Chedel : Taijiquan oder Tui Shou, das ist das Gleiche. Man könnte es kategorisieren als "Form und Funktion": die Stellungen / Bilder sind die Form, während das pushing hands eher die Funktion betont. Taijiquan kam eher zufällig in mein Leben: Ich war zu der Zeit Physikstudent, doch dann gab es einige politische Unruhen so dass ich eine Zeit lang mein Studium unterbrechen musste. Da ich schon immer eine Kampfkunst erlernen wollte, habe ich mit Karate bei Jorge Casella angefangen. Dieser Lehrer war bereits ein guter Kämpfer. Außerdem betrieb ich Yoga, als Ausgleich zum Karatetraining. Eines Tages stellte Jorge uns einen chinesischen Meister vor, Ma Tsun-Kuen. Zunächst dachte ich: Was soll das jetzt, noch eine Kampfkunst? Als ich dann jedoch diesen Meister sah, die Art, wie er uns mit zwei Fingern kontrollieren konnte (er war bereits 67 Jahre alt und mein Lehrer war sehr kompetent und deutlich jünger), da sagte ich mir: Das ist es, was ich möchte! Ich musste fortan sehr hart trainieren, da er nur eine kleine Gruppe von Schülern hatte, und die hatten schon vor mir angefangen. Aber irgendwie schien es einfach, diese Kampfkunst zu lernen, denn alles darin erschien mir sehr natürlich. Es gab nicht so einer starke Betonung auf dem Erlernen der Stellungen so dass ich mich schon bald wohl fühlte: Diese Sache ging direkt ins Innere, so als ob es keine Hindernisse gäbe. Es war hingegen schwieriger, Entspannung zu entwickeln und die chinesischen Namen der Bilder/Stellungen zu erlernen. Am Anfang wollte mein Meister nicht wirklich unterrichten, doch der chinesische Botschafter in Argentinien sagte ihm, er müsse dazu beitragen, die chinesische Kultur zu verbreiten. Nach anderthalb Jahren wollte er jedoch nicht mehr weiter machen. Nichtsdestotrotz trainierten wir für uns weiter (oftmals mehr als 6 Stunden pro Tag) und besuchten ihn regelmäßig, um uns seinen Rat einzuholen (meist zusammen mit meinem alten Karatelehrer). Nach dreieinhalb Jahren erklärte er, uns als seine Schüler zu akzeptieren; es war wie der Familie beitreten, jedoch ohne eine spezielle taoistische Zeremonie, nicht so streng wie in China, denke ich: er war eben auch der westlichen Kultur gegenüber offen, so dass unser Verhältnis irgendwo zwischen diesen kulturellen Polen angesiedelt war. Dieses Verhältnis erforderte eine große Hingabe unsererseits; er wurde wie unser Vater und wir fühlten uns ihm in bestimmter Hinsicht verpflichtet. Wir konnten wirklich fühlen, dass er uns mit ganzem Herzen unterrichtete, so dass auch wir gleichermaßen mit ganzem Herzen antworteten. Also bauten wir eine Schule auf (was uns ermöglichte mit Gleichgesinnten zu üben, was wichtig für das Training und das Lernen ist), und er besuchte uns einmal monatlich um die Klassen zu sehen. Ich lernte bei ihm 20 Jahre lang, von März 1973 bis März 1993, dem Zeitpunkt seines Todes. Wenn man Fähigkeiten miteinander vergleichen wollte...nun, ich bin immer noch sehr gering, aber ich hatte Gelegenheit und Zeit, etwas der inneren Arbeit zu erlernen und ich wachse und unterrichte mich selbst noch immer... LC : Hast du andere Kampfkünste trainiert?

FC : Nur ein bisschen Judo / Jujitsu, und eben das eine Jahr Karate bevor ich mit Tai Chi Chuan angefangen habe. Als nächstes versuchten wir, die Tai Chi Chuan -Verteidigung gegen Karate-Angriffe zu trainieren. Diese Art des Traininngs war ziemlich hart...anfangs benutzten wir das Tai Chi Chuan rein defensiv in freundschaftlichen Kämpfen ; dann, nach einer Weile waren wir in der Lage, Tai Chi Chuan auch offensiv einzusetzen. Wir hörten niemals auf, uns mit Vertretern anderer Schulen (Kung Fu, Karate, Tae Kwon Do...) auszutauschen, denn wenn du wissen willst, ob dein Training gut ist oder nicht, hilft nur eins: du musst es testen LC : was ist das Beste, dass du von deinem Meister gelernt hast? FC : am Meisten habe ich davon gelernt, dass er mir erlaubt hat, ihn zu berühren. Auf diese Weise begreifst Du, dass es wirklich möglich ist, etwas mit Leichtigkeit zu tun, ohne Kraft einzusetzen. Wenn du nur Bücher liest, glaubst du es nicht, weißt du nicht, ob es wirklich möglich ist...aber im direkten Körperkontakt war es dermaßen deutlich, dieser Unterschied zwsichen normaler Kraft und der Qualität seiner Kraft, wenn er etwa deine Kraft wie eine Feder aufnahm...ich war daher in der Lage, daran zu glauben, da ich es gefühlt habe...ich sagte zu mir: Wenn er es tun kann, dann kann ich es auch... LC : Und was lehrst du heute? FC : Ich lehre ein bisschen wie mein Meister: Nur Tai Chi Chuan! Ich hatte bereits einige Monate mit ihm trainiert, ohne überhaupt zu wissen was genau ich da eigentlich lerne. Anfangs wussten wir alle nicht, dass es sich um Tai Chi Chuan handelt. Wir machten es einfach. Heutzutage braucht man jedoch für alles Namen, so unterrichte ich also: Übungen für Weichheit und Entspannung feste Stellungen Basis-Atemübungen eine Basis-Form (die die Bewegungen miteinander verbindet und links und recht symmetrisch ist) eine lange Form eine schnelle Form eine San Shou Form

Waffenformen: chinesisches Schwert und Säbel Tui Shou, mit und ohne Schritte, mit Stößen und Schlägen Qi Gong... Ich habe die Schule in zwei Teilbereiche untergliedert: Einen für Gesundheit mit einem relativ einfach zu lernenden Qi Gong, ohne San Shou und nur Ansätzen von Tui Shou um eine erste Idee zu vermitteln...und den anderen Teilbereich für Tai Chi Chuan als eine echte Kampfkunst, mit dem kompletten Trainingsprogramm. In der Praxis wollen viele Leute ausschließlich Gesundheitsübungen, also stelle ich solche Klassen zur Verfügung, in denen man das leichtere Training haben kann und solche, in denen echtes Kampfkunsttraining angeboten wird, wo Form und Funktion in der Anwendung ausprobiert und erlebt werden kann, wo die Bewegungen immer wieder wiederholt und dann in der Partnerarbeit integriert werden. Um ehrlich zu sein bevorzuge ich den Unterricht der kompletten Kampfkunst. LC : Gibt es für dich einen Unterschied zwischen einer Kampfkunst und einem Kampfsport? FC : Meiner Meinung nach gibt es da einige Unterschiede: Es gibt Kampfsportarten, in denen du von Beginn an praktisches Kämpfen erlernst; dann gibt es Kampfkünste, so wie Tai Chi Chuan, in denen du zunächst einmal die Prinzipien und die Techniken erlernen musst, bevor du damit kämpfst. Und dann gibt es noch Sport: das bedeutet es gibt Regeln, insbesondere Wettkampfregeln, so wie beim Judo. Beim Judo zum Beispiel war es so, dass früher das Training der Kunst am wichtigsten war. Mit der modernen Betonung von Gewicht und Muskeln ist die Essenz jedoch verloren gegangen, denn nun ist es am Wichtigsten, Punkte zu machen. Die gleiche Entwicklung kann man in Tui Shou- Wettkämpfen beobachten: so etwa beim Fixed-Step, bei dem man Punkte macht, wenn man den Gegenüber dazu bringt, seinen Fuß zu bewegen, während dieser Fokus in der realen Praxis eher unwichtig ist. Auf diese Weise kannst Du Bewegungen entwickeln, die im Sinne eines realen Kampfes falsch sind. Eigentlich nwäre es ideal, alles zu erlauben, was wirklich Sinn in einem Kampf macht. Dann allerdings muss man miteinander kooperativ üben, da man ansonsten ernsthafte Verletzungen davontragen kann. Zusammenfassend unterrichte ich also kein Tui Shou für Wettkämpfe oder Turniere. Ich unterrichte auch kein Tui Shou, in dem man sich berühren lässt: weder im Sinne des Streichelns noch des Kuschelns noch des Ringens. Ich unterrichte Tui Shou eher wie Boxen, nur dass wir Stöße und keine Schläge verwenden (zumindest nicht zu Beginn). Im Laufe der Zeit nutzen wir alle echten Kampftechniken, immer stärker und schneller. Natürlich bleibt dies immer freundlich!

LC : Was ist das Besondere am Tai Chi Chuan? Und an Deinem Unterricht? FC : Viele meinen das Besondere am Tai Chi Chuan sei die Langsamkeit, dabei ist die Langsamkeit nur eine Methode des Lernens! Langsamkeit und Schnelligkeit sind zwei Seiten einer Medaille, du kannst in Wirklichkeit nicht das eine ohne das andere haben... Wir üben eine Kunst, die auf den Prinzipien Yin und Yang basiert wenn du jedoch immer nur langsam übst und immer mit festen Ständen und immer nur mit der Betonung auf Entspannung, dann lernst du nur eine Seite und nicht ausgewogen. Im Tai Chi Chuan müssen die Gegensätze zusammenwirken, d.h. dass man verwurzelt sein muss, während man gleichzeitig in der Lage sein muss, seine Position blitzschnell zu verändern. Wahre Entspannung ist keine Frage von Weichheit, in Wahrheit ist sie der kleinste benötigte Aufwand, um eine Aufgabe zu erfüllen. Das kann man mit einer Katze vergleichen, die im Begriff ist, eine Maus zu fangen: Äußerlich scheint sie ruhig, doch innerlich ist sie jederzeit bereit zum Sprung. Eine andere Besonderheit des Tai Chi Chuan ist, dass man sich nicht frontal verteidigt und dass man eine spezielle Sensibilität entwickelt, die einem erlaubt, Angriffe zu vermeiden bzw. ihnen auszuweichen, bis hin etwa zu starken und schnellen Schlägen. Tai Chi Chuan ist eine Kunst, die eher für die nahe und mittlere Distanz ausgelegt ist. Das einzig Beständige (wie im wahren Leben) ist die ständige Veränderung. Gutes Tai Chi Chuan ist da, wenn man nicht weiß oder sieht, woher es kommt! Es gibt zwei Quellen der Kraft: die eine ist die Energie des Gegners, die du zu ihm zurückgibst. Die andere ist meine eigene Energie. Letztere Energie ist in der Atmung, der Entspannung, meinem Geist und natürlich den Techniken enthalten, die perfekt sein müssen. Dies kommt jedoch nicht von der Anspannung der großen Muskelmassen. Eher soll man sich wie Tentakel bewegen, oder wie Elefantenrüssel: es gibt keine Knochen im Innern, es ist stark ohne hart oder steif zu sein. Wir arbeiten intensiv an der klaren Unterscheidung zwischen Yin und Yang (keine Doppelgewichtung in den Händen, den Füßen oder sonstwo im Körper), um diese Energien anschließend wieder in einer Synthese zu integrieren. Darüber wird häufig gesprochen, doch in der Praxis ist es nicht so einfach! Dies ist ein besonderes Merkmal meines Unterrichts: In erster Linie zu lernen, wie man sich im Tai Chi Chuan bewegt. Selbst wenn man Fixed-Step Push Hands machen möchte, muss man lernen, wie man sich bewegt. Bei uns geht es um Beweglichkeit im Kampf, wir wenden Basistechniken des Schreitens (Stepping) an, die natürlich auch in anderen Kampfkünsten existieren. Die Art, in der wir es tun, kann sich davon jedoch unterscheiden. Dann gibt es noch das Fa Jin, das nicht in allen Schulen existiert diesbezüglich ist unsere Arbeit auch etwas anders als im Chen-Stil... Darüber hinaus haben wir Qin Na: Greifen und Kontrollieren, Drücken bestimmter Punkte etc. Das Ganze wird in runden Bewegungen ausgeführt, eben nach Tai Chi Art. In der Kunst, die ich weitergebe, erinnern die Bilder der Form an die aus dem Yang Stil, jedoch gibt es mehr Tritte, alles wird direkter und deutlicher zum Ausdruck gebracht (da in der normalen Yang-Form die Techniken eher versteckter sind). Immer entspannt, selbstverständlich. Schließlich ist das Wissen um die taoistischen Prinzipien ebenfalls in der Übungsarbeit enthalten. LC : Wie ist Dein Meister an sein taoistisches Wissen gekommen?

FC : Auch in seinem Fall könnte man es Zufall oder besser noch Schicksal nennen: es geschah zu der Zeit, als er Gouverneur einer Provinz war, während des Krieges mit Japan, denke ich. Er hatte bereits viel Ehre und einen hohen Status erworben, doch er fühlte, dass er sein Leben verändern sollte. Eines Tages, ziemlich unerwartet, brachten ihm seine Leute einen sonderbar gekleideten Mann, den sie eingesperrt hatten, da er sich irgendwie seltsam benommen haben soll. Eigentlich wäre die Prozedur gewesen, diesen Mann direkt zur Polizei zu bringen und dann wäre Meister Ma ihm nie begegnet... Warum auch immer sie brachten ihn zum Gouverneur! Und es stellte sich heraus, dass dieser Mann ein authentischer Taoist war...und so wurde mein Meister sein Schüler. LC : Was für ein Verhältnis hatte dein Meister zu China? FC : Am Ende seines Lebens hatte er geplant, in das Land seiner Ahnen zurückzukehren, und ich wäre sicherlich mit ihm gegangen...nach Taiwan und China...jedoch starb er bevor er die Reise antreten konnte. Heutzutage gibt es in China eine Menge hochgradig standardisiertes offizielles Wushu, das mehr an Gymnastik erinnert als an Kampfkunst. Traditionelles Tai Chi ist jedoch auch immer noch am Leben... Alles und Jeder hat seinen Platz und wir sollten Respekt füreinander entwickeln... LC : Was sind deine aktuellen Projekte? FC : Die Arbeit meines Meisters fortführen und, als Teil dieser Aufgabe, seine Schule weiter aufbauen. Ich muss Anderen die selbe Chance geben, die mein Meister mir gegeben hat...ich unterrichte in Argentinien und auch in Europa: Deutschland, Spanien,...und in den letzten zwei Jahren auch in Frankreich, wo ich Workshops gegeben habe in Rencontres Jasnieres: dort gibt es Könner von hohem Niveau, wenngleich viele der Teilnehmer mehr am Training für Turniere interessiert sind. LC : Es gibt aber auch solche, die Entwicklung auf dem Weg der Kampfkunst suchen. Ich würde gerne einen solchen Workshop mit Paris-Tai Chi organisieren, falls Du einverstanden bist. FC : Das würde ich gerne machen, und ich habe Anfang Juni Zeit. Der Name wird sein Tai Chi Chuan / Tui Shou: Form und Funktion. Es würde mir auch gefallen, in das Land meiner Vorfahren zurückzukehren (mein Großvater war Franzose)!

LC : Zum Abschluss ein paar Worte zu deiner Lebensphilosophie. FC : Die zentrale Frage für mich ist die: Wer bin ich?, und die stärkste Kraft ist in dir selbst enthalten, nicht in anderen...mich hat niemals eine andere Kraft als diese interessiert und ich wollte niemals etwas anderes außer Wissen...es ist sogar so, dass ich bereits in jungen Jahren in mir drin gewusst habe, dass Wissen ein Mittel ist, um Freiheit zu erreichen LC : Danke dir für das Niveau deines Unterrichts, nicht nur im Tai Chi sondern auch im Leben allgemein. Du bist ein bisschen wie ein taoistischer Weiser, mit einem freien Geist und offenem Herzen