Psychosomatik, Psychiatrie und Psychotherapie Rehabilitation und Prävention Behandlungsspektrum Essstörungen Symptome Die Essstörung ist in der Regel ein oder das führende Symptom - die Ursachen für dieses Symptom liegen jedoch an ganz anderer Stelle. Manchmal sind Essstörungen ein Hilferuf, manchmal der Ausdruck eines geringen Selbstwertgefühles oder eine Form des Stressabbaus, um übergroßen Anforderungen zu begegnen. Häufig sind sie ein Mittel, um schlechte Erfahrungen oder bestimmte Gefühle verarbeiten, kontrollieren und äußern zu können. Wer unter einer Essstörung leidet, wird oftmals süchtig danach. Die eigene Manipulation des Essverhaltens ist eine Art fehlgeleiteter Problemlösungsversuch, der jedoch nicht zu einer wirklichen Lösung führt. Es entsteht ein Kreislauf, der aus eigener Kraft nicht mehr durchbrochen werden kann. Häufig geschieht all dies, ohne dass es von den Mitmenschen bemerkt wird und selbst im engsten Familien- und Freundeskreis werden Betroffene als solche nicht wahrgenommen. Ein Wendepunkt in der Krankheitsentwicklung kann stattfinden, wenn dem Betroffenen selber klar wird, dass es so nicht weitergehen kann. Häufig anzutreffende Symptome sind der selbst herbei geführte oder aufrechterhaltene Gewichtsverlust, der vor allem bei heranwachsenden Mädchen und jungen Frauen angetroffen wird. Die Gewichtsabnahme wird durch selbst herbeigeführtes Erbrechen, selbst eingeleitetes Abführen, übertriebene körperliche Aktivitäten oder den Gebrauch von Appetitzüglern erreicht. Während dies typische Merkmale einer anorektischen Erkrankung sind, findet man bei der Bulimie wiederholt Anfälle von Heißhunger und eine übertriebene Beschäftigung mit der Kontrolle des Körpergewichtes. Begleitende Symptome sind oft sogenannte endokrine Störungen im Sinne eines Libido- und Potenzverlustes (fehlende sexuelle Lust bzw. Fähigkeit ), als auch einer Amenorrhoe (keine Menstruationsblutung). Aufgrund hormoneller Veränderungen verändern sich Haut und Haare. Depressive Symptome (Schuldgefühle, niedergedrückte Stimmung u.ä.m.) treten zusätzlich auf. "Mein" Krankheitsverlauf "Ich habe schon immer gerne Sport gemacht. Mit 14 bis 15 Jahren war ich Schulmeisterin und spielte später sogar im Landesverband. Ich trainierte täglich und fühlte mich sehr gut. Das ich dabei Gewicht verlor, empfand ich als ganz natürlich. Trotzdem achtete ich wegen meiner sportlichen Tätigkeit besonders auf das Essen. Essen hatte mich schon immer interessiert. Ich denke, dass ich mich sehr gesund ernähre. Ich hatte mit 16 meinen ersten Freund, das empfand ich als sehr schwierig. Mit meinen Eltern konnte ich darüber nicht reden, mein Vater war ein hohes Tier im Management und kaum zu Hause. Meine Mutter war immer zu Hause, sie hat alles sehr ordentlich gehalten und ist zu mir immer streng gewesen. Letztlich bin ich ja auch damit ganz gut zurechtgekommen. Ab und zu haben mich Freunde auf mein Gewicht angesprochen. Das hat mich genervt, so dass ich mich geschickt gekleidet habe und es nicht so auffiel. Mehrfach wurde ich von meiner Mutter gedrängt, dass ich etwas für mich tun müsste und dass das nicht normal sei. Ich habe das nicht so Seite 1 von 3
Psychosomatik, Psychiatrie und Psychotherapie Rehabilitation und Prävention empfunden, sondern mich darüber fürchterlich aufgeregt. Ich habe ein super Abitur hingelegt und dann begonnen, Ökotrophologie zu studieren. Als ich dort mit einem Studenten eine Beziehung anfing, wurde es schwierig, insbesondere, weil er mehr von mir wollte. Seitdem überlege ich, ob das alles so richtig ist mit mir". Behandlungsprogramm Das Behandlungsprogramm der Burg-Klinik stützt sich bei Essstörungen auf ein 4-Phasen- Modell, das individuell am körperlichen Befinden und der Intensität der Erkrankung ausgerichtet ist. Nach und nach führen die einzelnen Therapiephasen zu einem Verstehen der Gesamtzusammenhänge, Ursachen und Verhaltensmechanismen, so dass Betroffene in die Lage versetzt werden, Verantwortung für die Suche nach Alternativen zur Essstörung zu übernehmen, ein persönliches Entwicklungsziel zu definieren und Hilfen anzunehmen, die einen Symptomverzicht ermöglichen. In der letzten Phase werden die bislang erzielten Erfolge zur Persönlichkeitsentwicklung und Problemlösung in die Zukunft hinein weiterentwickelt. Das Essen kann wieder einen angemessenen Platz im Leben bekommen und genussvoll erlebt werden. Als Therapiemodule stehen Einzel- und, Gestaltungstherapie, symptombezogene Gruppen (z. B. bei Angst, Depression), Familiengespräche,, Lehrküche, Nachtischgruppe, Genussgruppe, entspannende Verfahren, indikative Tanztherapie, Physiotherapie und sozialtherapeutische Betreuung zur Verfügung. In der ersten Therapiephase steht die Verantwortungsübernahme im Vordergrund. Sie dient insbesondere der Entwicklung eines Krankheitsverständnisses, um die Essstörung als eigene Entscheidung zu begreifen und um auch dafür Verantwortung zu übernehmen, dass sich dieser Lösungsversuch als Fehlversuch herauskristallisiert hat. In dieser Phase tauchen oft typische Entwicklungsängste auf. Die Einrichtung eines tragfähigen und guten Arbeitsbündnisses ist in dieser Phase besonders wichtig. Wenn Entstehungsbedingungen in der ersten Phase rekonstruiert werden konnten oder eine eigene Verantwortung übernommen wird, beginnt die zweite Therapiephase mit den notwendigen Voraussetzungen und Hilfen für den Symptomverzicht. Dabei wird zwischen Entscheidung und Pseudoentscheidung als auch verschiedenen Reaktionen (negativ, hilflos, entwicklungsfähig) unterschieden. Hier intensiviert sich die ernährungstherapeutische Beratung. Mit der Entscheidung für den Symptomverzicht beginnt die dritte Phase - die eigentliche Arbeitsphase - in der ein Entwicklungsplan erarbeitet wird, um einen Symptomverzicht Schritt für Schritt zu ermöglichen. Es tauchen eine Vielzahl von Gefühlen auf und Konflikte werden sichtbar. Konnte diese schwierige Phase gemeinsam bewältigt werden, beginnt die Schlussphase, die eine Problemlösung in die Zukunft hinein entwickelt. Hier stehen die ambulante Weiterbehandlung und Strategien im Umgang mit Familie, Partner und Beruf im Vordergrund. Musterbehandlungsplan Einen Musterbehandlungsplan finden Sie am Ende dieses Behandlungsschwerpunktes. Seite 2 von 3
Psychosomatik, Psychiatrie und Psychotherapie Rehabilitation und Prävention Wirksamkeit Das 4-Phasen-Modell und der psychotherapeutische Behandlungsansatz sind in der Wissenschaft als die erfolgversprechendste Behandlungsform anerkannt. Eine Vielzahl wissenschaftlicher Studien belegen dies. Ergänzende Literatur zu den Behandlungsmöglichkeiten finden Sie im Anhang. Das Behandlungsprogramm wird durch die eigenständige Forschungs- und Dokumentationsabteilung regelmäßig hinsichtlich seiner Wirksamkeit und seiner einzelnen therapeutischen Bestandteile untersucht (ca. einmal im Jahr). Die Evaluation für das Jahr 2005 läuft zur Zeit. Im Jahre 2004 lag die allgemeine Zufriedenheit bei 76,0 %, die Atmosphäre in der Klinik wurde von 96 %, die therapeutischen Leistungen von 80,4 %, die von 76,6 % und die Pflegeleistungen von 96,5 % der Patienten positiv eingeschätzt. Nachsorge In der vierten Phase des Therapieprogramms (Abschlussphase) spielt die Planung der Weiterbetreuung und die Entwicklung zukünftiger Perspektiven eine entscheidende Rolle. Dabei werden über den Bezugstherapeuten und die sozialtherapeutische Abteilung Kontakte zu Therapeuten vor Ort als auch entsprechenden Selbsthilfegruppen vermittelt. Desweiteren besteht die Möglichkeit der Intensivierten Rehabilitationsnachsorge (IRENA) über den jeweiligen Kostenträger (z. B. Deutsche Rentenversicherung). Adressen von Selbsthilfegruppen vermitteln wir gerne. Bitte nehmen Sie Kontakt mit uns auf. Dr. Becker Burg-Klinik Burgstraße 19 36457 Stadtlengsfeld Tel.: (03 69 65) 68-0 info.burg-klinik@dbkg.de Seite 3 von 3
Burg-Klinik Mustertherapieplan für das Essstörungs-Programm 1. Anreisetag 07:00 Frühsport* Wiegen Labor 08:30 09:00 Themenvisite Visite Mittag Therapeutisches Aufnahmegespräch Einführung in die Sportund Physiotherapie Begrüßung durch den Chefarzt und Einführung in die psychosomatische Medizin Einführung in die Gestaltungstherapie Besichtigungsfahrten Klinikrundgang Begrüßung durch Verwaltungsdirektorin und ltd. Schwester Information durch Ltr. Sozialtherapie Ärztliche Aufnahmeuntersuchung Orientierungsspaziergang durch Stadtlengsfeld
2. 07:00 Frühsport* Wiegen Wiegen Wiegen 08:30 EKG Arztsprechstunde 09:00 Visite Visite ltd. Arzt Visite Themenvisite Visite Gesundheitsvortrag Sozialtherap. Beratung Kreativitätsgruppe für Einzelgespräch (analytisch) Lehrküche Besichtigungsfahrten
3. 07:00 Frühsport* Wiegen Wiegen Wiegen 08:30 Arztsprechstunde 09:00 Visite Visite ltd. Arzt Visite Themenvisite Visite Gesundheitsvortrag Kreativitätsgruppe für Einzelgespräch (analytisch) Lehrküche Sozialtherap. Beratung Besichtigungsfahrten
4. 07:00 Frühsport* Wiegen Wiegen Wiegen 08:30 Arztsprechstunde 09:00 Visite Visite ltd. Arzt Visite Themenvisite Visite Gesundheitsvortrag Kreativitätsgruppe für Sozialtherap. Beratung Lehrküche Einzelgespräch (analytisch) Besichtigungsfahrten
5. 07:00 Frühsport* Wiegen Wiegen Wiegen 08:30 Arztsprechstunde 09:00 Visite Visite ltd. Arzt Visite Themenvisite Visite Gesundheitsvortrag Kreativitätsgruppe für Sozialtherap. Beratung Lehrküche Einzelgespräch (analytisch)
6. 07:00 Frühsport* Wiegen Wiegen Wiegen 08:30 Arztsprechstunde 09:00 Visite Visite ltd. Arzt Visite Themenvisite Visite Gesundheitsvortrag Kreativitätsgruppe für Sozialtherap. Beratung Lehrküche Einzelgespräch (analytisch)
7. Montag Dienstag Mittwoch Abreisetag 07:00 Frühsport* Wiegen 08:30 09:00 Visite Visite ltd. Arzt Ernährungsbeatung Tanztherapie für Feedbackrunde mit Hausdame Einzelgespräch / Abschlußgespräch Donnerstag Freitag Samstag Sonntag
Burg-Klinik Ergänzende Literatur zu Essstörungen Adam, K.-U. (1990): Physiologisch-biochemische Aspekte von Anorexie und ihre Bedeutung für die Psychotherapie. Prax Psychother Psychosom 35: S. 217-227 Brand-Jacobi, J. (1984): Bulimia nervosa: Ein Syndrom süchtigen Eßverhaltens. Psychother Med Psychol 34: S. 151-160 Dippel, B. (1988): Vom Lernprozeß im Umgang mit bulimischen Patienten. Prax Psychother Psychosom 33: S. 21-34 Feiereis, H. (1990): Bulimia nervosa. In: Uexküll, T.v. (Hrsg.) Psychosomatische Medizin. Urban & Schwarzenberg, München Fichter, M.M. (1991): Anorexia und Bulimia nervosa: Symptomatik, medizinische Komplikationen, Ätiologie und Behandlung. Internist 32: S. 38-49 Gerlinghoff, M. (1987): Anorexia nervosa und Bulimie Eine mehrdimensionale stationäre Psychotherapie. Psychother med Psychol 37: S 312-316 Habermas, T. (1987): Ist die Bulimie eine Sucht? Prax Psychother Psychosom 32: S. 137-146 Liedtke, R. (1990): Bulimien mit und ohne Vorgeschichte einer Anorexie Varianten oder Entitäten? Psychother med Psychol 40: S 271-277 Minuchin, S. (1973): Anorexia nervosa. A successful application of a family therapy approach. (Presented at the American Academy of Child Psychology, Washington) Muhs, A. (1986): Bulimia mentalis. In: Hau, T.F. (Hrsg.) Psychosomatische Medizin. Oldenbourg, München Niebel, G. (1987): Psychopathologische Aspekte gestörten Eßverhaltens II Selbstbeurteilte Attraktivität, chronische Selbstkontrolle beim Essen und Kontrollverlust. Psychother med Psychol 37: S. 324-330 Paul, T. (1989): Verhaltenstherapeutische Maßnahmen bei Eßstörungen. In: Hand, I., Wittchen, H.-U.: Verhaltenstherapie in der Medizin. Springer, Berlin, Heidelberg, New York, Tokyo Pudel, V., Westenhöfer, J. (1988): Verhaltenstheoretische Überlegungen zur Entstehung und Behandlung von Eßstörungen. In: Klußmann, R. (Hrsg.) Stoffwechsel. Springer, Berlin, Heidelberg, New York, Tokyo (Psychosomatische Medizin im interdisziplinären Gespräch) Schmitt, G. (1987): Anorexia nervosa und Bulimie. Prax Psychother Psychosom 32: S. 128-136 Sperling, E., Massing, A. (1972): Besonderheiten in der Behandlung von Magersuchtsfamilien. Psyche 26: S. 257-369 Ziolko, H.U. (1985): Bulimie. Z Psychosom Med 31: S. 23-246.