Aufstieg der Agrarbetriebe Niedergang der Dörfer und Regionen ländliche Entwicklung in Ostdeutschland. Rainer Land Andreas Willisch



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Transkript:

Aufstieg der Agrarbetriebe Niedergang der Dörfer und Regionen ländliche Entwicklung in Ostdeutschland Rainer Land Andreas Willisch

Aufstieg und Niedergang (Gliederung des Vortrags) 1. Rückstand oder Vorlauf? Fragen 2. Modernisierung und regionale Kreisläufe. Fallbeispiele 3. Konsequenzen für Dorf und Region 4. Fazit: ein Forschungsprogramm: vergleichende Analyse von Produktionsmodellen und Mustern der postfordistischen Industriealsierung

Rückstand oder Vorlauf Das Problem Modernste Landwirtschaftsbetriebe, Großbetriebe Gutstyp oder Spezialbetrieb, inzwischen meist rentabel, lukratives Geschäft versus Niedergang der Region: steigende Arbeitslosigkeit, sinkende Einkommen, sinkende Steuereinnahmen, Abwanderung, Perspektivlosigkeit Verödung der Dörfer

Fall 1: Agrarbetrieb Gutstyp mit Milchwirtschaft Bis 1990: 1800 ha, 240 Ak 600 Milchvieh, Grünland + Futter Marktfrüchte, Konsumgüter Betriebskantine (auch für andere Betriebe und 3 Dörfer) Betriebskindergarten Technikbetrieb (6 Ak) Baubrigade (4 KA) Schnittstellen: lokale Molkerei 14 km Schlachthof 24 km, ACZ VEB Getreideverarbeitung enge Bindung an Gemeinde Viele Lokale Cluster 2000: 1600 ha 14 AK, 8 Milchvieh 450 Milchvieh 200 Aufzucht Grünland, Futter, Marktfrüchte -- -- -- 1 Techniker -- Schnittstellen: Milchverarbeitung, Filiale 240 Schlachthof 450 km, Getreide Gemeinde entkoppelt Keine lokalen Cluster

Fall 2 Spezialbetrieb Bio-Saatgutvermehrung 960 ha, 2 AK + 1 saisonal + Lohnbetrieb für Ernte Vier Sorten in Fruchtfolge Saatgut plus Anbauvorschrift geliefert von global operierender Saatzuchtfirma Ernte wird komplett abgeholt von dieser Firma Beachten: Gesamte Innovationsprozeß wird in überregional agierenden Großkonzern der Lebensmittelwirtschaft gestaltet und gesteuert. Agrarbetriebe funktionieren als abhängige Zulieferbetriebe einer global agierenden Lebensmittelwirtschaft Keine Verbindung zu Dorf, Region oder anderen lokalen Unternehmen, keine Cluster, keine Synergien

Fall 3: Pharmabetrieb Forschungsinstitut (12 MA) Selbständige Produktionsfirma, Medikamente aus Blutplasma 16 MA, davon 4 aus Ort Lokale Synergieeffekte gering (Elektriker, Monteur) Clusterbildung: keine

Fall 4 Golfhotel mit Clusterbildung Golfhotel, Bio-Bauernhof, Scheune mit Lebensmittelverarbeitung, Markt und Gastronomie, Schaubäckerei, Reiterhof, Naturschutzwarte Echte Clusterbildung, lokale Synergien Beschäftigungseffekt ca. 300. keine Arbeitslosen. Dorf ist vom Unternehmen aufgesogen

Konsequenzen Produktivitätseffekte (bis zu 1000 %) sind primär Folge der Veränderung der Schnittstellen und der Organisation! Sehr geringe Beschäftigung (langfristig interpoliert: 2 % BIP Wachstum bei minus 3% Beschäftigung?) Entkopplung aus lokalen Kreisläufen, Neugestaltung der Schnittstellen, Ankopplung an globale Kreisläufe keine Cluster, geringe Synergieeffekte Entlokalisierung der innovativen Ressourcen Spaltung in entkoppelte Aufsteiger und eine zurückbleibende Gettowirtschaft Abkopplung von Unternehmen und Region, Region profitiert nicht vom Aufstieg der Unternehmen Funktionsverlust der Dörfer, Verödung der sozialen und kulturellen Ressourcen

Forschungsprogramm Fragen Haben wir es mit neuen (postfordistischen???) Mustern industrieller Entwicklung zu tun? Wie ändert sich das Produktionsmodell der Betriebe, wie sehen die neuen Schnittstellen zwischen Betrieb und Umfeld aus? Stimmen unsere industriesoziologischen Modelle über Cluster und Synergieeffekte noch? Wie ändert sich der Zusammenhang zwischen Betrieb und Kommune und Region? Machen die politischen Konzepte integrierter Regionalentwicklung unter diesen Voraussetzungen noch Sinn? Ostdeutschland ist ein sehr geeignetes Forschungsfeld, weil hier eine vorauslaufende und einseitigere Form der Modernisierung wirtschaftlicher Strukturen beobachtbar ist!!!

Produktionsmodelle industriesoziologisches Konzept zur Analyse der Massenproduktion (fordistische Massenproduktion) angewendet auf die Agrarwirtschaft differenzierter Zugang zu Strukturwandel und Transformation Unterscheidung verschiedener Typen nicht zuerst nach Betriebsgröße und Rechtsform, sondern nach den jeweiligen Schnittstellen zwischen Betrieb (innen), Wirtschaft und Gesellschaft (außen)

Produktionsmodelle - Merkmale Betriebe Netzwerk der Agrarwirtschaft Produktpalette, Grad der Standardisierung der Produkte Fertigungstiefe, Wertschöpfung Schnittstellen zu vorgelagerter Produktion (Vorprodukte, Technik, Chemie, Dienstleistungen etc.) Schnittstellen zu nach- oder ausgelagerten Produktionsschritten (Verarbeitung, Entsorgung) Schnittstelle zum Abnehmern bzw. Markt Struktur von Innovationsprozessen im Netzwerk Schnittstelle zum Arbeitsmarkt, betriebliches Arbeitsregime, Arbeitsteilung und Qualifikation Schnittstelle zu Gemeinden und Region

Kontinuität in der Transformation: Vier Schnitte 1. Schnitt: ineffiziente Produkte aufgeben 2. Schnitt: keine Hortung knapper Ressourcen mehr erforderlich 3. Schnitt: Beseitigung ineffiziente Betriebsteile, die wegen der Defizite der Planwirtschaft vorgehalten werden mußten (Maurerbrigade, Technik) 4. Schnitt: Beseitigung der sozialen Dienstleistungsabteilungen und der (unentgeltlichen) Leistungen für die Gemeinden, die nicht mehr nötig waren. Das DDR-Produktionsmodell mußte nicht umgebaut, sondern nur zurechtgeschnitten werden! (Vgl.: Rainer Land: Von der LPG zur Agrarfabrik, Berl. Deb. Initial H. 5/6-2000

Fall 5: Hoffnungsträger? Beispiel: komplementäre Modelle Zwei normale Landwirtschaftsbetriebe (Milch und Marktfrüchte) Zusätzlich aufgebaute lokal orientierte Bereiche: Heizung mit regenerativen Energieträgern Eigenanbau von Kraftstoff für Kfz Lokale Lebensmittelproduktion, Gastronomie Sonderkulturen für lokale Nutzung Arbeitskräftezahl: 14 Agrarbetrieb, 14 komplementärer Bereich, keine Fördermittel, selbsttragend Beschäftigung und Zuverdienst für Arbeitslose Belebung des Dorfes Senkung der lokalen Infrastrukturkosten durch Eigenleistung Entwicklungsperspektive (Hoffnung auf Zukunft!!!) www.varchentiner-modell.de