Rechtswissenschaftliches Institut Treichlerstrasse 10 CH-8032 Zürich Tel. +41 44 634 15 60/61 Fax +41 44 634 49 51 helmut.heiss@rwi.uzh.ch Prof. Dr. Helmut Heiss, Rechtsvergleichung und IPR Der Wirtschaftsprüfer A hat sich ein neues Auto gekauft und möchte dafür eine Versicherung (obligatorische [Art. 63 ff. SVG] Haftpflicht- und eine Vollkaskodeckung) abschliessen. Nachdem er diverse Internetseiten von verschiedenen Versicherern besucht hat, entscheidet sich A für den Versicherer B. B ist ein sehr fortschrittlicher Versicherer und bietet seit Kurzem über das Internet einen vollautomatischen Vertragsservice an. A füllt am 13.05.2007 ein mit Anzeigeformular überschriebenes Webformular aus, wobei er verschiedenste Fragen zu seiner Person (Name, Alter, frühere Schadensfälle, frühere Führerausweisentzüge etc.), zum Fahrzeug und zur gewünschten Deckung beantworten muss. U.a. fragt B in Frage 7 auch nach der Nationalität des A. A der aus dem Land Z stammt weiss aus Medienberichten, dass B für Personen mit der Nationalität Z einen pauschalen Länderzuschlag auf die Prämie erhebt. Dies, weil B verhältnismässig viel mehr Schadensfälle und höhere Schäden mit Personen der Nationalität Z zu bearbeiten hat, als mit allen anderen Nationalitäten. A, der sich als sicherer Fahrer einschätzt und nur aufgrund seiner Nationalität nicht mehr Prämie für die gleiche Deckung bezahlen möchte als andere, füllt das Feld deshalb mit Schweiz aus. Nachdem er sämtliche verlangten Angaben gemacht hat, drückt A auf den Button Prämie berechnen. Es öffnet sich ein neues, mit Antragsformular überschriebenes, Fenster:
2 Antragsformular Ich (Versicherungsnehmer), A, stelle hiermit den Antrag auf Abschluss eines Versicherungsvertrages mit B (Versicherer) zu folgenden Konditionen: Versichertes Objekt: [ ]* Jahresprämie: CHF 1054 Versicherte Risiken: [ ]* Vertragsbeginn: 13.05.2007 Vertragsende: 13.05.2012 Deckungsumfang: [ ]* Angaben zum Versicherungsnehmer: [ ]* Ich habe die Allgemeinen Versicherungsbedingungen gelesen und bin einverstanden Speichern Sie dieses Formular auf Ihrem Computer und senden Sie es uns per E-Mail (antrag@b-versicherung.ch) zu. Bitte beachten: Sie können das Formular nur downloaden, wenn Sie die Klickbox bei den Allgemeinen Versicherungsbedingungen aktiviert haben. * Gehen Sie davon aus, dass in den mit [ ] gekennzeichneten Feldern, genau die Angaben wiedergegeben werden, wie sie A im Webformular Anzeigeformular angegeben hat. A weiss, dass es hier um einen wichtigen Vertrag geht und öffnet darum den Link zu den Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB). Er liest diese aufmerksam durch und speichert sie anschliessend auf seinem Rechner. Im Anschluss aktiviert er im Antragsformular die Klickbox, lädt das Formular herunter und sendet es per E-Mail an B. Wenige Minuten später erhält A ein automatisch generiertes E-Mail von B:
3 Von: antrag@b-versicherung.ch An: a@wirtschaftspruefung.ch Betreff: AW: Mein Antrag Gesendet: Mittwoch, 13.05.2007 13:36 Sehr geehrter Kunde 955721 Vielen Dank für Ihren Antrag. Wir haben den Versicherungsnachweis bereits elektronisch an das für Sie zuständige Verkehrsamt geschickt. Sie können dort noch heute Ihre Nummernschilder abholen. Die Police schicken wir Ihnen in wenigen Wochen zu. Wir wünschen Ihnen eine gute Fahrt. Mit freundlichen Grüssen, B-Versicherung ---------------------------------- NoReply: Dies ist eine automatisch generierte E-Mailnachricht. Bitte antworten Sie nicht darauf. Aufgrund einer grossangelegten Überprüfung der Versicherungsnehmer findet B am 21.12.2010 heraus, dass A Bürger des Staates Z ist. Noch am selben Tag sendet B deshalb einen eingeschriebenen Brief an A, worin der Rücktritt vom Vertrag nach Art. 6 VVG wegen falsch angezeigter Nationalität in Frage 7 erklärt wird. Den Brief erhält A am 22.12.2010. Der Zufall will es, dass B zwei Stunden nachdem der eingeschriebene Brief abgesendet wurde, eine E-Mail von A erhält. Darin erklärt er, dass ein unbekannter Dritter seinem parkierten Auto einen üblen Blechschaden zugefügt habe, den er für 1000 CHF beim Garagisten C ein alter Freund des A beheben liess. B bestreitet nicht, dass Schäden von der Art des eingetretenen grundsätzlich unter die Versicherungsdeckung fallen. B verweigert aber die Versicherungsleistung und stellt fest, dass keine Bindung an den Vertrag mehr bestehe und dass selbst wenn eine Bindung noch vorhanden wäre aufgrund von Art. 26a i.v.m. Art. 38 AVB die Leistung sowieso nicht erbracht werden muss:
4 Allgemeine Versicherungsbedingungen III. Versicherungsfall Art. 9 Das versicherte Ereignis gilt erst bei Eintreffen der Meldung bei B als eingetreten. XI. Pflichten des Versicherungsnehmers Art. 26a Blechschäden an Ihrem Fahrzeug sind bei unseren Vertrauensgaragisten (siehe Liste im Anhang 2) beheben zu lassen. Art. 38 Falls Sie gegen eine der unter diesem Titel genannten Pflichten in schuldhafter Weise verstossen, werden wir für den betreffenden Fall keine Versicherungsleistungen erbringen. Der Garagist C ist nicht in der Liste im Anhang 2 aufgeführt. Dies war A auch bewusst, als er zu C ging. A wehrt sich aber gegen die Leistungsverweigerung u.a. mit dem Argument, dass es preislich und qualitativ keinen Unterschied macht, ob er die Leistung von einem Vertrauensgaragisten oder von C ausführen lässt. Diese Feststellung trifft zu. Ausserdem macht A geltend, dass die Loslösung vom Vertrag mangelhaft formuliert und zu spät erfolgt sei. Auch entspreche der Fragebogen nicht den gesetzlichen Anforderungen. Und überhaupt hätte B sich gar nicht vom Vertrag lösen dürfen. Wie ist die Rechtslage? Viel Erfolg!
5 Anhang Auszug aus dem Strassenverkehrsgesetz (SVG), SR 741.01 Art. 63 1 Kein Motorfahrzeug darf in den öffentlichen Verkehr gebracht werden, bevor eine Haftpflichtversicherung nach den folgenden Bestimmungen abgeschlossen ist. 2 Die Versicherung deckt die Haftpflicht des Halters und der Personen, für die er nach diesem Gesetz verantwortlich ist, zumindest in jenen Staaten, in denen das schweizerische Kontrollschild als Versicherungsnachweis gilt. 3