Glaubhaftigkeit wie Psychologen sie beurteilen



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Transkript:

Glaubhaftigkeit wie Psychologen sie beurteilen oder: Kann aussagepsychologisches Wissen für Journalisten nützlich sein? Susanna Niehaus Hochschule Luzern Soziale Arbeit Dritter Schweizer Recherchetag am MAZ «Von anderen Berufen lernen» Luzern, 26. Januar 2015 Relevanz des Themas für Ihr Arbeitsfeld 1. Gibt es Situationen Ihres Arbeitsalltags, in denen Sie es besonders wichtig fänden, Lügen erkennen zu können? 2. Was machen Sie in solchen Situationen?

Wonach werden Aussagepsychologen gefragt? Aussagetüchtigkeit: Ist die Person fähig, zu einem bestimmten Sachverhalt eine verwertbare Aussage zu machen? Glaubhaftigkeit der Aussage: Hat das berichtete Geschehen einen Erlebnisbezug? Aussagegenauigkeit: Wie genau ist die Aussage bezüglich eines Ereignisses, das zweifelsfrei stattgefunden hat? Glauben Kinder die Pinocchio-Lüge? Warum ist es eigentlich so schlimm, wenn man lügt? Andreas (4) kommt heulend aus dem Bad zurück: Weil ich nicht möchte, dass ich eine lange Nase bekomme! (verschwindet wieder im Bad) Anna (7): Meint der immer noch, dass die Nase beim Lügen wächst?! Ich dachte das früher auch, dann habe ich mal gelogen und in den Spiegel geschaut, und alles war gleich. Andreas, zurück aus dem Badezimmer: Obwohl ich gelügt habe, ist meine Nase kürzer geworden! in Anlehnung an Krogerus (2006)

Folgendes ist festzustellen: 1.: Lügen können wir. 2.: Lügen intuitiv erkennen können wir nicht. «the empirical fact is that most people seem to believe most of what they hear most of the time.» DePaulo, 1994, Spotting Lies, p. 83 Prozess intuitiver Zuschreibung von Glaubwürdigkeit Emotionsausdruck Erscheinungsbild Vorinformationen zur Person: Leumund Selbstbeschreibende Äusserungen Inhalt: Plausibilität Sprachstil Informationsverarb. Beurteilung Nonverbales Verhalten

Beispiel nonverbales Verhalten: Weltweit verbreitete Lügenstereotype Bond et al. (2006) Folgende Verhaltensmerkmale werden beim Lügen erwartet: Blickkontakt Herumrutschen auf dem Stuhl Selbstberührungen Gestikulieren -3-2 -1 0 1 2 3 nimmt ab nimmt zu 7, 25. Januar 2015 Problem der Sensitivität und Spezifität nonverbaler Symptome in Anlehnung an Köhnken et al. (2006) Bronchitis Erkältung Grippe Lungenentzündung Zahnentzündung Fieber hohe Sensitivität geringe Spezifität

Problem der Sensitivität und Spezifität nonverbaler Lügensymptome in Anlehnung an Köhnken et al. (2006) Ablenkung Konzentration Scham Lüge Angst, Unsicherheit Erinnerungsbemühungen Desinteresse Vermeidung von Blickkontakt geringe Spezifität + geringe Sensitivität Inhaltsbezogene Lügenstereotype Vrij et al. (2006) Folgende Aussagemerkmale werden bei Lügen Jugendlicher erwartet: Erinnerungsbemühungen Unsicherheiten Spontane Korrekturen Unstrukturiertheit Nebensächliche Details Logische Konsistenz Plausibilität Ungewöhnliche Details Emotionen -2-1 0 1 2 nehmen ab nehmen zu

Lügenstrategien Jugendlicher Niehaus (2008) Folgende Aussagemerkmale werden von Jugendlichen manipuliert: Erinnerungsbemühungen Unsicherheiten Spontane Korrekturen Unstrukturiertheit Nebensächliche Details Logische Konsistenz Plausibilität Ungewöhnliche Details Emotionen -2-1 0 1 2 vermeiden einbauen/beachten Gegenüberstellung von Strategien und Stereotypen Lügenstrategien Lügenstereotype Niehaus (2008) Vrijet al. (2006) Erinnerungsbemühungen Unsicherheiten Spontane Korrekturen Unstrukturiertheit Nebensächliche Details Log. K. Plausibilität Ungewöhnliche Details Emotionen -2-1 0 1 2-2 -1 0 1 2

Prozess intuitiver Zuschreibung von Glaubwürdigkeit Emotionsausdruck Erscheinungsbild Strategische Selbstpräsentation: Vorinformationen zur Person: Leumund Selbstbeschreibende Äusserungen Inhalt: Plausibilität Sprachstil Informationsverarb. Beurteilung Nonverbales Verhalten Fehler: Wir schliessen vom Verhalten und Erscheinungsbild auf interne Verhaltensursachen statt Verhaltensziele in Betracht zu ziehen (z.b. überzeugend wirken durch sicheres Auftreten). Aussagepsychologische Erkenntnis I Erlebnisschilderungen unterscheiden sich von Erfindungen derselben Person in ihrer Aussagequalität. Undeutsch (1967) Woran liegt das? Aussagepsychologische Erkenntnis II Erfindungen werden anders produziert als wahrheitsgemässe Erlebnisberichte.

Aussagepsychologische Erkenntnis II: Komplexe Lügen sind kognitive Schwerstarbeit 1. Leistung: Erfindung und konstanter Bericht falscher Informationen 2. Leistung: Präsentation der Aussage und Person als glaubwürdig Rückgriff auf Schemawissen Strategische Vermeidung «verräterischer» Inhalte Lüge = Schwarz-Weiss-Schilderung nach «Schema F» Aussagepsychologische Erkenntnis III: Wir haben keine Lügenmerkmale, sondern verwenden Glaubhaftigkeitsmerkmale. Wahrheitsgemässe Berichte zeichnen sich durch Inhalte aus, die Lügenden eher nicht einfallen (da nicht Teil von Schema F) oder die diese aktiv strategisch meiden. z.b. zu schwierig für Lügende Ungewöhnliches, Nebensächliches, Unverstandenes, unstrukturierte Darstellung, spontane Ergänzbarkeit, Konstanz z.b. zu riskant für Lügende spontanes Zugeben von Unsicherheiten, Erinnerungsbemühungen, Einwände gegen die Glaubwürdigkeit der eigenen Person und Aussage ausführlich in Niehaus (2001); Volbert und Steller (2014)

Das fragen sich Aussagepsychologen: Könnte es auch anders gewesen sein? bzw. A) Könnte sich diese Person sowas ausdenken und würde sie das so präsentieren? Und warum sollte sie das tun? Aussagequalität, Kompetenzen + Motive analysieren B) Könnten andere Einflüsse bewirkt haben, dass diese Angaben gemacht werden, ohne dass sie stimmen? Entstehungsgeschichte der Aussage analysieren Folgendes ist festzustellen: 1.: Lügen können wir. 2.: Lügen intuitiv erkennen können wir nicht, 3.: sind jedoch fest davon überzeugt.

Welche Handlungsansätze lassen sich ableiten? 1. Lügenstereotype hinterfragen 2. in Alternativen denken 3. Selbstpräsentationsstrategien beachten 4. Leute zum Reden bringen Prüfen Sie für sich, ob es sinnvoll wäre, diese Handlungsansätze in den eingangs von Ihnen genannten Situationen stärker im Blick zu haben. Zitierte Quellen Bond, C. F. Jr & DePaulo, B. M. (2006). Accuracy of deception judgments. Personality and Social Psychology Review, 10, 214-234. Köhnken, G. (2003). Glaubwürdigkeit. In R. Lempp, G. Schütze & G. Köhnken (Hrsg.), Forensische Psychiatrie und Psychologie des Kindes- und Jugendalters (2., überarbeitete und erweiterte Auflage, S. 341-367). Darmstadt: Steinkopff. Köhnken, G., Kraus, U. & vom Schemm, K. (2006). Fünfzig Jahre und kein bisschen weise? Gibt es wirklich Lügensignale im nonverbalen Verhalten? Vortrag auf der Tagung Polizei und Psychologie in Frankfurt am Main. Niehaus, S. (2001). Zur Anwendbarkeit inhaltlicher Glaubhaftigkeitsmerkmale bei Zeugenaussagen unterschiedlichen Wahrheitsgehaltes. Frankfurt am Main: Peter Lang. Niehaus, S. (2008). Täuschungsstrategien von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen. Forensische Psychiatrie, Psychologie und Kriminologie, 2, 46-56. Undeutsch, U. (1967). Beurteilung der Glaubhaftigkeit von Aussagen. In U. Undeutsch (Hrsg.), Handbuch der Psychologie, Bd. 11: Forensische Psychologie (S. 26-181). Göttingen: Hogrefe. Volbert, R. & Steller, M. (2014). Volbert, R., & Steller, M. (2014). Is this testimony truthful, fabricated, or based on false memory? Credibility assessment 25 years after Steller and Köhnken (1989). European Psychologist, 19, 207 220. doi: 10.1027/1016-9040/a000200 Vrij, A., Akehurst, L. & Knight, S. (2006). Police officers, social workers, teachers and the general public s beliefs about deception in children, adolescents and adults. Legal and Criminological Psychology, 11, 297-312.

Weiterführende aussagepsychologische Literatur Niehaus, S. (2010). Begutachtung der Glaubhaftigkeit von Kinderaussagen. FamPra.ch, 2, 315-340. Niehaus, S. (2012). Zur Bedeutung suggestiver Prozesse für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit von Aussagen in Sexualstrafsachen. forumpoenale, 1, 31 ff. Volbert, R. & Steller, M. (2008) (Hrsg.). Handbuch der Rechtspsychologie. Göttingen: Hogrefe. darin sind u.a. folgende Kapitel enthalten: Glaubhaftigkeitsbegutachtung, Aussagetüchtigkeit, Merkmalsorientierte Inhaltsanalyse, Zeugenvernehmung, Glaubwürdigkeitsattribution, Voreinstellungen und das Testen sozialer Hypothesen im Interview, Suggestion, Nonverbale Indikatoren von Täuschung. Volbert, R. & Steller, M. (2014). Volbert, R., & Steller, M. (2014). Is this testimony truthful, fabricated, or based on false memory? Credibility assessment 25 years after Steller and Köhnken (1989). European Psychologist, 19, 207 220. doi: 10.1027/1016-9040/a000200