Verwaltungsgericht Gelsenkirchen Urteil vom 07.11.2014



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Transkript:

Nach der Auskunftslage geht das Gericht davon aus, dass afghanische Zivilisten, die für die internationalen Streitkräfte als Fahrer, Dolmetscher oder in anderen zivilen Funktionen arbeiten, bedroht und angegriffen werden. Zudem sind Afghanen, die mit dem internationalen Militär oder Nichtregierungsorganisationen zusammenarbeiten, proklamiertes Ziel der Taliban und immer wieder Opfer von Anschlägen. (Amtliche Leitsätze) 5a K 421/14.A Verwaltungsgericht Gelsenkirchen Urteil vom 07.11.2014 T e n o r : Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 14. Januar 2014 wird zu Ziffer 1 sowie Ziffern 3 bis 5 aufgehoben. Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet. T a t b e s t a n d : Der am... 1995 in R., Iran, geborene Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger, Angehöriger der Volksgruppe der Hazara und schiitischen Glaubens. Der Kläger reiste im März 2013 über den Iran und die Türkei zunächst nach Italien. Von dort aus reise er mit dem Zug weiter über Frankreich in die Bundesrepublik Deutschland, wo er am 13. November 2013 einen Asylantrag stellte. Bei der Anhörung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Bundesamt am 21. November 2013 gab der Kläger im Wesentlichen an, er sei etwa Mitte des Jahres 2011 im Iran während der Arbeit festgenommen worden. Die Sicherheitskräfte hätten seinen Ausweis zerschnitten und er sei nach Afghanistan abgeschoben worden. Er habe zunächst bei einer Tante in H. gelebt. Auf dem Weg zum Basar sei er wegen seiner westlichen Kleidung von Paschtunen belästigt worden. Über einen Nachbarn der Tante habe er dann Arbeit in einem Militärcamp in L. gefunden. Als die Taliban davon erfahren hätten, hätten sie den Ehemann der Tante in H. aufgesucht und verprügelt, da der Kläger nach ihrer Ansicht bei der Armee gearbeitet habe. Sie hätten gedroht, den Kläger zu töten, falls sie ihn finden würden. Er sei dann in den Iran gereist und von dort aus nach vier Monaten weiter in die Türkei und nach Europa. Mit Bescheid vom 14. Januar 2014 lehnte das Bundesamt den Antrag des Klägers auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Ziffer 1) sowie auf Asylanerkennung (Ziffer 2) ab, stellte fest, dass der subsidiäre Schutz nicht zuerkannt werde (Ziffer 3) und dass Abschiebungsverbote nach 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes 1

nicht vorlägen (Ziffer 4). Zudem wurde der Kläger aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen. Sollte die Ausreisefrist nicht eingehalten werden, werde er nach Afghanistan abgeschoben, wobei er auch in einen anderen Staat abgeschoben werden könne, in den er einreisen dürfe oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet sei (Ziffer 5). Zur Begründung führte das Bundesamt im Wesentlichen aus, bereits der Vortrag des Klägers hinsichtlich der Abschiebung aus dem Iran enthalte unauflösbare Widersprüche, so dass davon ausgegangen werden müsse, dass auch die sonst geschilderte Bedrohung durch die Taliban nicht stattgefunden habe. Der Kläger hat am 29. Januar 2014 Klage erhoben. Er ist der Ansicht, das Bundesamt habe in unzulässiger Weise den vorgetragenen Verfolgungsgrund auf das Tragen westlicher Kleidung reduziert. Die Beklagte hätte bei ihrer Entscheidung berücksichtigen müssen, dass die Taliban ihm vorgeworfen hätte, für die Armee gearbeitet zu haben. Tatsächlich habe der Kläger etwa eineinhalb Jahre in einem Militärcamp in L. für die Firma H. gearbeitet. Diese Tätigkeit sei der Grund für die gegen ihn gerichtete Verfolgung gewesen. Zur Glaubhaftmachung legt der Kläger zwei Lichtbilder vor, auf dem er während der Arbeit zu sehen ist. Auf einem weiteren Lichtbild ist der Dienstausweis des Klägers, ausgestellt von der Firma "..., Design Engineering Construction", zu erkennen. Der Ausweis enthält zudem unter anderem ein Foto sowie den Vornamen des Klägers, die Bezeichnung "Electrician" sowie den weiteren Firmennamen "... Engineering Co Ltd". Der Kläger beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 14. Januar 2014 zu verpflichten, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, hilfsweise, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 14. Januar 2014 zu verpflichten, dem Kläger subsidiären Schutz zu gewähren, äußerst hilfsweise, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 14. Januar 2014 zu verpflichten, festzustellen, dass in der Person des Klägers ein Abschiebungs - verbot nach 60 Abs. 7 AufenthG vorliegt. Die Beklagte beantragt (schriftsätzlich), die Klage abzuweisen. Zur Begründung bezieht sich die Beklagte auf den angefochtenen Bescheid. Die Kammer hat durch Beschluss vom 20. August 2014 das Verfahren auf die Berichterstatterin als Einzelrichterin zur Entscheidung übertragen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und den beigezogenen Verwaltungsvorgang verwiesen. 2

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e : Über die Klage entscheidet die nach 76 Abs. 1 des Asylverfahrensgesetzes (AsylVfG) zuständige Einzelrichterin trotz des Ausbleibens der Beklagten im Termin zur mündlichen Verhandlung, da diese in der ordnungsgemäßen Ladung darauf hingewiesen wurde, dass gemäß 102 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann. Das Gericht legt den Klageantrag in Anwendung des 88 VwGO dahingehend aus, dass die Verpflichtung der Beklagten zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft lediglich unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 14. Januar 2014 zu Ziffer 1 sowie Ziffern 3 bis 5 begehrt wird. Der Kläger wendet sich ersichtlich nicht gegen die Ablehnung des Antrags des Klägers auf Anerkennung als Asylberechtigten in Ziffer 2 des Bescheides. Die Klage ist zulässig und begründet. Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 14. Januar 2014 ist im angefochtenen Umfang rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Der Kläger hat im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung gemäß 77 Abs. 1 AsylVfG einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach 3 Abs. 1 und 4 AsylVfG, 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO. Nach 3 Abs. 1 AsylVfG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge - Genfer Flüchtlingskonvention-, wenn er sich (Nr. 1) aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (Nr. 2) außerhalb des Landes befindet, (a) dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder (b) in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will. In den Fällen der 3 Abs. 2 bis 4 AsylVfG ist der Flüchtlingsschutz dagegen ausgeschlossen. Als Verfolgung im Sinne des 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylVfG gelten gemäß 3a Abs. 1 AsylVfG Handlungen, die (Nr. 1) auf Grund ihrer Art und Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere die Rechte, von denen nach Artikel 15 Abs. 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) keine Abweichung zulässig ist oder (Nr. 2) in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher Weise betroffen ist. Nach 3 Abs. 2 AsylVfG gelten unter anderem als Verfolgungshandlung (Nr. 1) die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt, (Nr. 2) gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden, (Nr. 3) unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung, (Nr. 4) die Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung, (Nr. 5) Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst 3

Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die den Flüchtlingsschutz nach 3 Abs. 2 AsylVfG ausschließen, (Nr. 6) Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind. Ausgehen kann die Verfolgung gemäß 3c AsylVfG (Nr. 1) von dem Staat, (Nr. 2) von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen oder (Nr. 3) von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht. Nach 3d Abs. 2 AsylVfG muss der Schutz vor Verfolgung wirksam und darf nicht nur vorübergehender Art sein. Nach Satz 2 ist generell ein solcher Schutz gewährleistet, wenn der Staat oder die Parteien bzw. Organisationen einschließlich internationaler Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, geeignete Schritte einleiten, um die Verfolgung zu verhindern, beispielsweise durch wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung darstellen, und wenn der Ausländer Zugang zu diesem Schutz hat. Interner Schutz schließt dabei die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft aus, und zwar dann, wenn der Ausländer in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung im vorbeschriebenen Sinne hat und der Ausländer sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt, 3e Abs. 1 AsylVfG. Schließlich muss gemäß 3a Abs. 3 AsylVfG zwischen den Verfolgungsgründen und den Verfolgungshandlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen eine Verknüpfung bestehen. Hinsichtlich des Prognosemaßstabs ist bei der Prüfung der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zugrunde zu legen. Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. EU Nr. L 337, S. 9-26) - sog. Qualifikationsrichtlinie - privilegiert dabei den von ihm erfassten Personenkreis bei einer Vorverfolgung durch eine Beweiserleichterung, nicht aber durch einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab (vgl. zur Vorgängerregelung in Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG: Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteile vom 7. September 2010-10 C 11.09 -, vom 27. April 2010-10 C 5.09 -, und vom 1. Juni 2011-10 C 10.10 u. 10 C 25.10 -; Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Urteil vom 17. August 2010-8 A 4063/06.A -; OVG Saarland, Urteil vom 16. September 2011-3 A 352/09 -; OVG Schleswig-Holstein, Urteil vom 6. Oktober 2011-4 LB 5/11 -). Im Übrigen folgt aus den in Art. 4 RL 2011/95/EG geregelten Mitwirkungs- und Darlegungsobliegenheiten des Antragstellers, dass es auch unter Berücksichtigung der Vorgaben dieser Richtlinie Sache des Ausländers ist, die Gründe für seine Flucht vor Verfolgung schlüssig vorzutragen. Dazu muss er unter Angabe genauer Einzelheiten 4

einen in sich stimmigen Sachverhalt schildern, aus dem sich bei Wahrunterstellung ergibt, dass bei verständiger Würdigung eine Verfolgung droht (vgl. zur Vorgängerregelung in Art. 4 RL 2004/83/EU: OVG NRW, Urteil vom 17. August 2010-8 A 4063/06.A -). Ausgehend von diesen Grundsätzen steht dem Kläger im entscheidungserheblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach 3 Abs. 1 und 4 AsylVfG zu. Das Vorbringen des Klägers hinsichtlich seiner individuellen Bedrohung ist insgesamt glaubhaft. Das Gericht ist nach Durchführung der mündlichen Verhandlung davon überzeugt, dass der Kläger aufgrund seiner Tätigkeit in einem Militärcamp in L. in das Visier der Taliban geraten ist und von diesen bedroht wurde. Der Kläger konnte glaubhaft schildern, dass er für ein Unternehmen gearbeitet hat, das in einem Militärcamp in L. Bautätigkeiten durchführte. Er war dort ein einfacher Arbeiter, der vorwiegend elektrische Arbeiten durchführte. Dass er dort arbeitete, ist den Gruppierungen der Taliban sowohl in H., dem Wohnort seiner Tante, als auch in L. selbst bekannt geworden, was der Kläger spätestens erfahren hat, als seine Tante ihm telefonisch mitteilte, dass sein Onkel unter Druck gesetzt worden ist, um herauszufinden, wo sich der Kläger aufhält. Der Vortrag des Klägers wird bekräftigt durch die Vorlage eines Ausweises, das neben einem Foto des Klägers die Namen der Unternehmen "..., Design Engineering Construction" sowie "... Engineering Co Ltd" aufweist. Nach den Erkenntnissen des Gerichts handelt es sich bei dem ersten Unternehmen um ein Bauunternehmen mit Sitz in den Vereinigten Staaten. Bei dem zweiten Unternehmen handelt es sich ebenfalls um ein Bauunternehmen, allerdings in afghanischer und britischer Trägerschaft. Die Abkürzung... steht dabei für "... System Provider Construction". Es erscheint damit plausibel, dass der Kläger in der mündlichen Verhandlung auf Vorhalt des Gerichts zu dem auf dem Aufweis ersichtlichen Firmennamen in Abweichung zu dem von dem Kläger vorgetragenen Firmennamen erklärte, er habe die Firma, für die er gearbeitet habe, nur unter dem Namen... gekannt. Auch im Übrigen liegen keine Anhaltspunkte vor, die die Echtheit des Ausweises in Zweifel ziehen. Sofern das Bundesamt die Aussage des Klägers aufgrund teilweiser Widersprüche hinsichtlich der Schilderungen zu den Umständen, die zu der Ausweisung aus dem Iran geführt haben, insgesamt als unglaubhaft einschätzt, kann dem nicht gefolgt werden. Der Kläger vermochte in der mündlichen Verhandlung ein in sich schlüssiges Bild von den Geschehnissen nach seiner Rückkehr nach Afghanistan vermitteln, das sowohl mit den Angaben im Rahmen der Anhörung vor dem Bundesamt übereinstimmt, als auch im Übrigen nachvollziehbar und plausibel ist. Insbesondere war der Kläger in der Lage, auch auf Detailfragen wie etwa der Unterbringung während der Arbeit in L. oder den Kontaktmöglichkeiten zu seiner Tante schlüssig zu antworten. Dass allein die Tätigkeit des Klägers für ein amerikanisches bzw. afghanisch/britisches Unternehmen in einem Militärcamp in L. geeignet ist, die Aufmerksamkeit der Taliban auf sich zu lenken, steht ebenfalls zur Überzeugung des Gerichts fest. Nach der Auskunftslage geht das Gericht davon aus, dass afghanische Zivilisten, die für die internationalen Streitkräfte als Fahrer, Dolmetscher oder in anderen zivilen Funktionen arbeiten, bedroht und angegriffen werden. Zudem sind Afghanen, die mit dem internationalen Militär oder Nichtregierungsorganisationen zusammenarbeiten, proklamiertes Ziel der Taliban und immer wieder Opfer von Anschlägen (vgl. VG München, 5

Urteil vom 19. März 2014 M 16 K 13.30892 -, mit Verweis auf die UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 6. August 2013 sowie den Bericht des European Asylum Support Office Country of origin information report Afghanistan: insurgent strategies intimidation and targeted violance against Afghans von Dezember 2012; zitiert nach juris). Dieser Einschätzung steht nicht entgegen, dass dem Kläger aufgrund seiner Tätigkeit in L. tatsächlich noch nichts zugestoßen ist. Soweit der Kläger im Rahmen der Anhörung vorträgt, er sei in H. auf dem Weg zum Basar von den Taliban bedroht worden, ist dies nach seiner eigenen Aussage nicht auf seine Beschäftigung in L. sondern allein auf seine auffällige westliche Kleidung zurückzuführen. Allerdings konnte der Kläger glaubhaft schildern, dass die Taliban bereits seinen Onkel bedroht haben, um herauszufinden, wo sich der Kläger aufhält. Demnach haben die Taliban diesem gegenüber gedroht, man werde den Kläger finden und ihn töten. Dass der Kläger nach seiner Rückkehr aus H. noch 15 Monate in L. bis zu seiner Ausreise in den Iran gelebt hat, ohne dass ihm etwas zugestoßen ist, ist allein darauf zurückzuführen, dass sich der Kläger dauerhaft innerhalb des Militärcamps aufgehalten hat und damit vor Übergriffen sicher war. Die Bedrohung durch die Taliban ist auch dem afghanischen Staat zuzurechnen, da dieser Staat nach den in das Verfahren eingeführten Erkenntnissen selbst in Kabul, wo der afghanische Staat Gebietsgewalt hat, nicht in der Lage ist, seine Bevölkerung vor Angehörigen dieser Organisation zu schützen. Die dem Kläger aufgrund der dargelegten Vorverfolgung nach Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EG zugutekommende tatsächliche Vermutung für eine erneute Verfolgung im Falle der Rückkehr kann nicht widerlegt werden. Ist der Kläger in dieser Gestalt in das Visier der Taliban geraten, kommt eine Rückkehr nach Afghanistan nicht in Betracht, da auch bei einer Rückkehr des Klägers eine erneute Verfolgung in beachtlicher Weise wahrscheinlich ist. Der Umstand, dass der Kläger schon vor seiner Ausreise in das Visier der Taliban geraten ist, führt dazu, dass der Kläger bei seiner Rückkehr alsbald wiedererkannt werden würde. Das durch seine Flucht entstandene Misstrauen der Taliban dem Kläger gegenüber wird sich durch seinen Aufenthalt in der Bundesrepublik weiter verfestigt haben. Das hat zur Folge, dass der Kläger aufgrund der der Taliban eigenen Brutalität bei einer Rückkehr nach Afghanistan akuter Lebensgefahr im ganzen Land ausgesetzt wäre (vgl. zu einer solchen Gefährdung selbst in Kabul auch: Dr. M. Danesch, Auskunft an den Hess. Verwaltungsgerichtshof vom 3. September 2013 zum Az: 8 A 1197/12.A). Nach alledem ist der Klage mit dem Hauptantrag stattzugeben. Auf die Hilfsanträge kommt es nicht mehr entscheidungserheblich an. Die Kostenentscheidung beruht auf 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nach 83 b AsylVfG nicht erhoben. Die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf 167 VwGO in Verbindung mit 708 Nr. 11, 709 Satz 2, 711 der Zivilprozessordnung. 6