20 Die Bachelorarbeit er gut gefallen hat oder auch nicht). Hier nun kurz skizziert die drei Beispiele, die wir im Verlauf dieses Buchs immer wieder heranziehen werden: Waltraud und Valerie 1.4.1 Lernen mit Podcasts Waltraud und Valerie erhoben die Daten für ihre empirische Bachelorarbeit gemeinsam in einem interessanten Experiment, in dem sie der Frage nachgingen, ob Podcasts für Lernzwecke geeignet sind. Podcasts sind Audio- oder Videoaufzeichnungen, die in der Regel kostenlos zum Download angeboten und auf einem Computer oder tragbaren Gerät wie einem MP3-Player oder Smartphone angehört bzw. angeschaut werden können. Waltraud und Valerie untersuchten zwei Hauptforschungsfragen: 1 Lernt man mit einem Podcast oder mit einem Lehrbuchtext besser? 2 Beeinflusst der Lernort (im Bus vs. in einem ruhigen Raum) wie gut man mit einem Podcast bzw. einem Lehrbuchtext lernt? In ihrem Experiment teilten sie die teilnehmenden Studierenden per Zufall in vier Gruppen ein: Jeweils zwei Gruppen lernten mit einem Lehrbuchtext, die beiden anderen Gruppen erhielten einen MP3-Player mit demselben Text als Audioaufzeichnung. Eine zweite Variation bezog sich auf den Lernort: Je eine Podcast- und Lehrbuchgruppe lernte die Inhalte in einem ruhigen Raum der Universität, die jeweils andere Podcast- und Lehrbuchgruppe lernte den Text beim Busfahren. Um zu testen, welche Gruppe eventuell. mehr gelernt hatte als die anderen, entwickelten Waltraud und Valerie einen Lerntest. Was denken Sie: Welche Gruppe hat am meisten gelernt? Reichte es aus, den Lernerfolg zu messen oder hätten die beiden noch etwas anderes abfragen oder messen müssen? Was? 1.4.2 Experimente im Chemieunterricht Tobias In seiner Feldstudie unterrichtete Tobias zwei Schulklassen zum selben Thema in Chemie (ZBH, 2012). In einer Klasse stellte er den Stoff theoretisch vor und zeigte ein Experiment dazu, in der anderen Klasse leitete er die Schülerinnen und Schüler zum Ex-
perimentieren an. Sein Ziel war, zu ergründen, ob das Experimentieren den Chemieunterricht interessanter machen und zu einer höheren Motivation bei den Schülerinnen und Schülern führen kann, und in welcher Klasse die Schülerinnen und Schüler mehr lernen. Prinzipiell haben beide unterrichtliche Vorgehen Vor- und Nachteile: Schülerinnen und Schüler mögen es oftmals, wenn sie selbst experimentieren dürfen, Aufbau, Durchführung und Erklären der Experimente nimmt aber viel Zeit in Anspruch, die dann eventuell für das Lernen der Inhalte fehlt. Hält der Lehrer die Unterrichtsstunde und führt die Experimente nur vor, bleibt in der Regel mehr Zeit, um auf die theoretischen Inhalte einzugehen. Aber dafür entfällt auch die Erfahrung des eigenen Experimentierens, und Schülerinnen und Schüler nehmen den Unterricht möglicherweise als langweiliger wahr. Beim einen Unterricht ist also mehr Wissensvermittlung möglich, dafür dürfte die Motivation geringer sein, beim anderen bleibt wenig Zeit für die Wissensvermittlung bei hoher Motivation. Auch hier die Frage an Sie: Was denken Sie, in welcher Klasse der Lernerfolg höher war? In welcher Klasse war die Motivation für Chemie höher? Und gibt es einen Zusammenhang zwischen Motivation und Lernerfolg, ist der Lernerfolg bei höher motivierten Schülerinnen und Schülern besser? Was sind die Vor- und Nachteile am Versuchsaufbau von Tobias? Drei Beispiele für Bachelorarbeiten 21 1.4.3 Wahrnehmung von Unterrichtsstörungen Lea interessierte sich in ihrer Bachelorarbeit dafür, wie störend Schülerinnen und Schüler aber auch Lehrerinnen und Lehrer verschiedene typische Störsituationen in der Schule wahrnehmen (ZBH, 2012). Sie entwickelte zur Untersuchung dieser Fragestellung einen Fragebogen mit Beispielen für Störsituationen, die verschiedenen Kategorien von Störungen zugeordnet werden konnte. Diesen Fragebogen veröffentlichte Lea online und schickte den Link an ihr bekannte Schülerinnen und Schüler sowie Lehrerinnen und Lehrer. Außerdem veröffentlichte sie den Link auf verschiedenen Webseiten und in social networks wie z. B. facebook, damit eine möglichst große Anzahl von Personen den Fragebogen ausfüllte. Im Vergleich der Daten konnte Lea dann untersuchen, ob Schülerinnen und Schüler sich von Lehrerinnen und Lehrern in der Wahrnehmung der Störsituationen unterscheiden. Da sie noch einige zusätzliche Daten von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern abfragte, konnte sie zudem unter- Lea
22 Die Bachelorarbeit suchen, ob die Wahrnehmung der Störsituationen z. B. auch vom Alter, vom Geschlecht oder von der Dienstzeit abhängt. Haben Sie eine Idee, wie die Ergebnisse dieser Studie ausgefallen sein könnten? Wie kann man vorgehen, damit der Fragebogen relevante und typische Störsituationen abfragt? Wie würden Sie vorgehen, um die Daten aus dem Fragebogen auszuwerten? Welche Kritik üben Sie an Leas Vorgehensweise? Auf die Details der drei Beispiel-Bachelorarbeiten werden wir in den nächsten Kapiteln nach und nach eingehen. Im nächsten Kapitel geht es zunächst um die Fragestellung als Dreh- und Angelpunkt der Bachelorarbeit. Tipps zum Weiterlesen: Beller, S. (2004). Empirisch forschen lernen: Konzepte, Methoden, Fall beispiele, Tipps. Bern: Verlag Hans Huber. Franck, N. & Stary, J. (2003). Die Technik wissenschaftlichen Arbeitens. Paderborn: Schöningh. Trimmel, M. (2009). Wissenschaftliches Arbeiten in Psychologie und Medizin. Wien: facultas.
2 Die Fragestellung: Dreh- und Angelpunkt der Bachelorarbeit Der Anstoß für Forschung ist die Neugier. Am Anfang jeder wissenschaftlichen Fragestellung und Forschungsarbeit steht deshalb ein Problem. Dieses Problem kann sich unterschiedlich entwickelt haben: zum Beispiel einfach aus der Feststellung der Forscherin, dass ihr zu einer Frage, einem Phänomen, einer Beobachtung Wissen fehlt, sie sich also etwas nicht erklären kann. Oder aber aus Ungereimtheiten, die sich aus widersprüchlichen Erklärungen und Befunden in der Literatur ergeben haben. Manchmal wird das Problem auch von außen an die Forscherin herangetragen, z. B. als Forschungsauftrag (das kann auch die Aufgabe sein, die Ihnen Ihre Betreuerin stellt). Gerade in der Psychologie sind Alltagsbeobachtungen ein interessanter Ausgangspunkt für Forschungsarbeiten. So können Beobachtungen, die sich die Forscherin zunächst nicht erklären kann, zu der Frage führen: Warum verhalten sich Menschen in bestimmten Situationen so, wie sie sich verhalten? Wie erleben Menschen bestimmte Phänomene, wie ist ihre Wahrnehmung? Was denken sie dabei? Insgesamt gibt es also viele mögliche Quellen für die Forschungsfragen, mit denen Sie sich in Ihrer Bachelorarbeit beschäftigen. Diese Forschungsfrage(n) zu finden und festzulegen, ist von zentraler Wichtigkeit, denn mit der Forschungsfrage bestimmen Sie, worüber Sie schreiben. In die Bachelorarbeit gehören nur Informationen, die zu dieser Fragestellung passen, sie ist das Leitmotiv für Ihre schriftliche Ausarbeitung. Die einzelnen Kapitel Ihrer Bachelorarbeit organisieren sich genau um die Fragestellung herum. Aus diesem Grund ist es elementar wichtig, dass Sie Ihre Forschungsfrage und damit Ihr Thema ganz klar in Zusammenarbeit mit Ihrer Betreuerin herausarbeiten und immer im Blick behalten. Nach diesem Kapitel können Sie die Bedeutung der Forschungsfrage für Ihre Bachelorarbeit erklären. den Unterschied zwischen Forschungsfragen und Hypothesen erkennen. Hypothesen für Ihre Bachelorarbeit formulieren. Quellen für Forschung
24 Die Fragestellung: Dreh- und Angelpunkt der Bachelorarbeit 2.1 Die Bedeutung der Forschungsfrage für die Bachelorarbeit Sanduhr-Struktur des Textes Warum ist die Forschungsfrage für Ihre Arbeit so wichtig? Zunächst einmal hilft Ihnen eine präzise formulierte Forschungsfrage, das Thema Ihrer Arbeit einzugrenzen. Aus der Forschungsfrage können Sie auch ableiten, wie Sie Ihre empirische Studie oder Ihren Review planen müssen, damit Sie eine Antwort auf Ihre Forschungsfrage finden können. Bem (2003) beschreibt die Forschungsfrage als Dreh- und Angelpunkt einer wissenschaftlichen Arbeit in der Psychologie. Dabei bezieht er sich nicht nur auf die Planung und Durchführung der Forschungsarbeit, sondern gerade auch auf die schriftliche Ausarbeitung. Der gesamte Text muss nach Bem (2003) um die Forschungsfrage herum organisiert werden. Er bedient sich zur Veranschaulichung der Metapher einer Sanduhr (siehe Abbildung 2.1). Der Text beginnt allgemein und breit, engt sich aber immer mehr ein und wird dann wieder breiter und allgemeiner bzw. verallgemeinernder. Abbildung 2.1. Das Sanduhrmodell für die Struktur eines wissenschaftlichen Textes in Anlehnung an Bem (2003)