Meisterwerke des Kirchenbaus



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Transkript:

Meisterwerke des Kirchenbaus Von Christian Freigang Mit 151 Abbildungen und 96 Grundrissen Philipp Reclam jun. Stuttgart

RECLAMS UNIVERSAL-BIBLIOTHEK Nr. 18599 Alle Rechte vorbehalten 2009 Philipp Reclam jun. GmbH & Co., Stuttgart Umschlagabbildung: Chartres, Kathedrale Notre-Dame (Foto: Achim Bednorz, Köln) Gesamtherstellung: Reclam, Ditzingen. Printed in Germany 2009 RECLAM, UNIVERSAL-BIBLIOTHEK und RECLAMS UNIVERSAL-BIBLIOTHEK sind eingetragene Marken der Philipp Reclam jun. GmbH & Co., Stuttgart ISBN 978-3-15-018599-5 www.reclam.de

Inhalt Einführung..................................... 11 Rom, S. Costanza............................... 26 Mailand, S. Lorenzo............................. 28 Rom, S. Sabina.................................. 30 Kal at Sim ān, Wallfahrtskirche des hl. Simeon Stylites 32 Poitiers, Baptisterium St-Jean..................... 34 Istanbul, Hagia Sophia........................... 36 Poreč, Euphrasius-Basilika....................... 38 Ravenna, S. Vitale............................... 40 Ravenna, S. Apollinare in Classe................... 42 Matianē (Avcılar), Höhlenkirche Durmuş Kilisesi.... 44 Spoleto, S. Salvatore............................. 46 Thessaloniki, Kirche des hl. Demetrius.............. 48 Aachen, Dom, ehem. Pfalzkapelle.................. 50 Pomposa, Abteikirche............................ 52 Oviedo, S. Julián de los Prados (Santullano)......... 54 Corvey, Klosterkirche St. Stephanus und Vitus....... 56 Reichenau, Mittelzell, Münster St. Maria und Markus..................................... 58 Istanbul, Lips-Kloster (Fenari İsa Camii)............ 60 Gernrode, ehem. Damenstiftskirche St. Cyriacus..... 62 Hildesheim, ehem. Abteikirche St. Michael.......... 64 Tournus, ehem. Abteikirche St-Philibert............ 66 Speyer, Dom St. Maria und Stephan................ 68 St-Benoît sur Loire, Klosterkirche................. 70 Jerusalem, Grabeskirche.......................... 72 Kiew, Sophienkathedrale......................... 74 Trier, Dom St. Peter............................. 76 Venedig, S. Marco............................... 78 5

Caen, ehem. Klosterkirche St-Etienne............. 80 Pisa, Dom.................................... 82 Florenz, S. Miniato al Monte.................... 84 Toulouse, ehem. Abteikirche St-Sernin............ 86 Bari, S. Nicola................................. 88 Cluny, Ruine der Abteikirche (Cluny III).......... 90 Santiago de Compostela, Kathedrale.............. 92 Modena, Dom................................. 94 Mainz, Dom St. Martin und Stephan.............. 96 Durham, Kathedrale........................... 98 Ely, Kathedrale................................ 100 Mailand, Abteikirche S. Ambrogio................ 102 Piacenza, Kathedrale........................... 104 Worms, Dom St. Peter.......................... 106 Tournai, Kathedrale Notre-Dame................ 108 Borgund, Stabkirche........................... 110 Monreale, Dom................................ 112 Saint-Denis, ehem. Benediktinerabteikirche........ 114 Laon, Kathedrale Notre-Dame................... 116 Paris, Kathedrale Notre-Dame................... 118 Lausanne, Kathedrale Notre-Dame............... 120 Canterbury, Kathedrale......................... 122 Chartres, Kathedrale Notre-Dame................ 124 Bourges, Kathedrale St-Etienne.................. 126 Bamberg, Dom St. Peter und Georg............... 128 Magdeburg, Dom St. Mauritius und Katharina...... 130 Reims, Kathedrale Notre-Dame.................. 132 Lincoln, Kathedrale............................ 134 Amiens, Kathedrale Notre-Dame................. 136 Salisbury, Kathedrale........................... 138 Toledo, Kathedrale............................. 140 Assisi, Franziskanerkirche S. Francesco............ 142 Padua, Franziskanerkirche S. Antonio (Il Santo).... 144 6

Metz, Kathedrale St-Etienne..................... 146 Marburg, Elisabethkirche....................... 148 Paris, Ste-Chapelle............................. 150 León, Kathedrale.............................. 152 Siena, Dom................................... 154 London, Westminster Abbey.................... 156 Köln, Dom St. Peter und Maria.................. 158 Toulouse, ehem. Dominikanerkirche (Les Jacobins).. 160 Straßburg, Münster Notre-Dame................. 162 Lübeck, Marienkirche.......................... 164 Albi, Kathedrale Ste-Cécile...................... 166 Regensburg, Dom St. Peter...................... 168 Orvieto, Dom................................. 170 Palma de Mallorca, Kathedrale................... 172 Bad Doberan, Zisterzienserkirche................ 174 Neapel, Klarissenkirche S. Chiara................ 176 Prag, Veitsdom................................ 178 Florenz, Dom Sta. Maria del Fiore................ 180 Wien, Stephansdom............................ 182 Ulm, Münster Unserer Lieben Frau............... 184 Danzig, Marienkirche.......................... 186 Mailand, Dom................................. 188 Pavia, Certosa (Kartäuserkirche) Madonna delle Grazie..................................... 190 Sevilla, Kathedrale............................. 192 Salzburg, Franziskanerkirche Unserer Lieben Frau.. 194 Batalha, Dominikanerklosterkirche Sta. Maria da Vitória................................... 196 Cambrigde, King s College Chapel............... 198 München, Frauenkirche......................... 200 Annaberg, Annenkirche........................ 202 Brou bei Bourg-en-Bresse, ehem. Klosterkirche St-Nicolas-de-Tolentin....................... 204 7

Florenz, Benediktinerkirche S. Lorenzo........... 206 Mantua, Abteikirche S. Andrea................... 208 Moskau, Kirchen des Kreml..................... 210 Rom, sog. Tempietto (bei S. Pietro in Montorio).... 212 Rom, Petersdom............................... 214 Todi, S. Maria della Consolazione................. 218 Granada, Kathedrale........................... 220 Escorial, Hieronymiten-Klosterkirche............ 222 Rom, Jesuitenkirche Il Gesù..................... 224 Venedig, Franziskanerkirche SS. Redentore........ 226 München, Jesuitenkirche St. Michael.............. 228 Amsterdam, Zuiderkerk........................ 230 Wolfenbüttel, ev. Hauptkirche Beatae Mariae Virginis.................................... 232 Salzburg, Dom St. Rupert und Virgil.............. 234 Rom, Trinitarierkirche S. Carlo alle Quattro Fontane (S. Carlino).......................... 236 Swidnica/Schweidnitz, ev. Friedenskirche.......... 238 Rom, Jesuitennoviziatskirche S. Andrea al Quirinale 240 München, ehem. Hof- und Theatinerkirche St. Kajetan.................................. 242 Turin, Theatinerkirche S. Lorenzo................ 244 London, St Paul s Cathedral...................... 246 Paris, St-Louis des Invalides (Invalidendom)....... 248 Salzburg, Kollegienkirche....................... 250 Melk, Benediktinerklosterkirche St. Peter und Paul.. 252 Prag, St. Niklas auf der Kleinseite................ 254 Fulda, Dom, ehem. Benediktinerklosterkirche St. Salvator und Bonifatius.................... 256 Weingarten, Benediktinerabteikirche St. Martin und Oswald.................................... 258 Weltenburg, Benediktinerklosterkirche St. Georg und Martin................................. 260 8

Wien, St. Karl Borromäus (Karlskirche)........... 262 Turin, Basilica S. Maria di Superga................ 264 Einsiedeln, Stifts- und Wallfahrtskirche Mariä Himmelfahrt................................ 266 Bern, Heiliggeistkirche.......................... 268 Dresden, ev. Frauenkirche....................... 270 Dresden, kath. Hofkirche Sanctissimae Trinitatis.... 272 Vierzehnheiligen, Wallfahrtskirche Mariä Himmelfahrt................................ 274 Ottobeuren, Benediktinerabteikirche St. Theodor und Alexander............................... 276 Hamburg, ev. St. Michaeliskirche................. 278 Paris, Panthéon................................ 280 St. Blasien, ehem. Abteikirche.................... 282 St. Petersburg, Kasaner Kathedrale............... 284 Wien, Votivkirche.............................. 286 Paris, Wallfahrtskirche Sacré-Cœur............... 288 Lyon, Wallfahrtskirche Notre-Dame-de-Fourvière.. 290 Barcelona, Tempel der Sagrada Familia............ 292 Wiesbaden, ev. Ringkirche....................... 294 Berlin, ev. Dom................................ 296 Wien, Kirche am Steinhof....................... 298 Le Raincy, kath. Pfarrkirche Notre-Dame de la Consolation................................. 300 Basel, kath. Antoniuskirche..................... 302 Aachen-Rothe Erde, kath. Pfarrkirche St. Fronleichnam............................. 304 Köln-Riehl, kath. Pfarrkirche St. Engelbert......... 306 Berlin-Siemensstadt, ev. Gustav-Adolf-Kirche...... 308 Frankfurt-Bonames, ev. Bethanienkirche........... 310 Ronchamp, Wallfahrtskirche Notre-Dame-du-Haut........................ 312 Berlin, ev. Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche....... 314 9

Imatra-Vuoksenniska, ev. Pfarrkirche der Drei Kreuze................................. 316 Frankfurt-Sachsenhausen, kath. Pfarrkirche St. Wendel.................................. 318 Velbert-Neviges, kath. Wallfahrtskirche Maria Königin des Friedens................... 320 Nowa Huta, kath. Pfarrkirche.................... 322 Somvix, Kapelle Sogn Benedetg.................. 324 Évry, Cathédrale de la Résurrection Saint-Corbinien............................. 326 Literaturhinweise.............................. 329 Abbildungsnachweis........................... 333 Personenregister............................... 334 Orts- und Objektregister........................ 338 Zum Autor.................................... 343 10

Einführung Was ist Kirchenbau? Darunter ist allgemein ein Raum für den christlichen Gottesdienst zu verstehen, der den Kult schützt und ihn gleichzeitig aus der Alltäglichkeit der Außenwelt absondert. Dazu findet sich zwar keine Anweisung in der Bibel selbst, und auch historisch lassen sich eigenständige Kirchen erst als relativ späte Etappe der Verbreitung des Christentums nachweisen. Seit dieses aber zu Anfang des 4. Jahrhunderts zur offiziellen Religion im Römischen Reich aufgewertet worden war, entwickelte sich der Kirchenbau zu einer der zentralen Aufgaben in der Architektur. Trotz aller unterschiedlichen Strömungen ist allen Kirchen gemeinsam, Versammlungsort einer feiernden christlichen Gemeinde zu sein. Dort tritt die Architektur immer in eine bestimmte Verbindung zum Gottesdienst. Sie kann diesen etwa möglichst funktional befördern, ohne sich dabei selbst zu inszenieren, sie kann ihn aber auch ästhetisch überhöhen oder symbolisch interpretieren. In letzterem Sinne ist der Zusammenhang zwischen der Kirche als Gebäude und als Gemeinschaft immer wieder gedeutet worden: Die Kirche als eine aus»lebenden Steinen«gebaute Gemeinschaft der Gläubigen, als ein Abbild des»himmlischen Jerusalems«oder als ein»zelt Gottes unter den Menschen«, in dem sich die Gemeinde als wanderndes Volk Gottes versammelt. Im Unterschied zu vielen Werken der Profanarchitektur ist der Kirchenbau also immer am transzendenten Charakter der in ihm vorgenommenen kultischen Handlungen beteiligt dies gilt selbst dann, wenn sich ein Kirchenbau bewusst nur als neutraler Zweckbau versteht. Doch darüber hinaus verbinden sich derartige Aspekte in vielschichtigster Weise mit dem sozialen und politischen Selbstverständnis der Auftraggeber sowie mit den technischen und baukünstlerischen Formulierungen durch die Architekten. Die daraus entstandenen, höchst 11

unterschiedlichen Lösungen gehören zu den architektonisch faszinierendsten und historisch aussagekräftigsten Schöpfungen der Baugeschichte seit annähernd zwei Jahrtausenden. *** Frühes Christentum, Byzanz, Frühes Mittelalter. Der frühe christliche, spätestens seit dem 2. Jahrhundert nachzuweisende Kultus fand meist in umgebauten Privathäusern und bald auch öffentlichen Gebäuden statt; dies muss man sich wohl für lange Zeit als ein Nebeneinander von heidnischen und christlichen Praktiken vorstellen. Nachdem aber Kaiser Konstantin programmatisch sein Kaisertum mit der christlichen Religion verbunden hatte, führte dies zu Anfang des 4. Jahrhunderts im ganzen Römischen Reich zur Entstehung eines typologisch eigenständigen monumentalen Kirchenbaus. Die altchristliche Basilika (Rom, S. Giovanni in Laterano; Altbau des Petersdoms) orientierte sich an der öffentlichen Repräsentationsarchitektur und bildete entsprechend monumentale, in der Höhe gestaffelte Longitudinalbauten mit einem Altarraum vor der Apsis an der Stirnseite aus. Große Rundbauten dienten als Mausoleen (Rom, S. Costanza). Auch in den anderen Hauptstädten des Reichs (Trier, Mailand, Antiochia, Konstantinopel) nahm der Kirchenbau seit dem 4. Jahrhundert in Form des basilikalen Langbaus seinen Anfang, wobei verehrte Kultstätten schon früh in eigenen Zentralanlagen als Annex angefügt sein konnten (Geburtskirche in Bethlehem, Grabeskirche in Jerusalem). In derselben Zeit hat sich in Nordafrika eine besondere Gruppe von zum Teil riesigen Kirchenbauten bzw. -gruppen mit bis zu neun Schiffen (Karthago, Tipasa) herausgebildet. Hervorragend erhalten sind zahlreiche frühe, aus monumentalen Steinquadern errichtete frühchristliche Kirchen in Nordwestsyrien. Im Ostteil des Reichs, vor allem auch 12

in Armenien, wurde die antike Gewölbetechnik zu kuppelüberwölbten Zentralbauten für die Sakralarchitektur weiterentwickelt. Das Hauptwerk dafür stellt zweifellos der Umbau der konstantinischen Basilika der Hagia Sophia in Konstantinopel zu einem monumentalen Kuppelbau 532 537 dar. Dieser war für den gesamten byzantischen Kirchenbau von Bedeutung und hat auch vielfach auf den Westen gewirkt ( S. Vitale in Ravenna). Im Osten entwickelte sich hieraus bis zum 9. Jahrhundert der Typus der Kreuzkuppelkirche, also einer zentral organisierten, in einer Kuppel kulminierenden Kirche, auf deren Innenwänden die christliche Bildwelt in strenger Hierarchie abgebildet ist. In großartiger Erweiterung abgewandelt wurde die zentralisierende Tendenz in kreuzförmigen Großbauten wie der Apostelkirche in Konstantinopel, der Johanneskirche in Ephesos oder der Kirchenanlage von Kal at Sim ān. Karolingerzeit, Romanik. Im Westen zerfielen die Herrschaftsbereiche in der Nachantike, weshalb sich die Kirchenarchitektur in unterschiedlichen Traditionen entwickelte, unter den Langobarden in Mittelitalien (Spoleto, S. Salvatore), den Westgoten und dem asturischen Reich in Hispanien (Oviedo, S. Julián de los Prados) oder in Rom. In den fränkischen Reichen in Mittel- und Westeuropa wurde immer wieder gezielt auf Formen der römischen Peterskirche ( St-Denis; Fulda) zurückgegriffen. Mit dem Aufstieg der Karolinger zur führenden Dynastie in Europa verwandelte sich dies zu einem programmatischen Bezug auf die west- wie die oströmische Spätantike. Diese entschiedene Bezugnahme auf Älteres sollte seit dieser Zeit zu einem bis heute zentralen Kriterium der Architektur, gerade auch im Kirchenbau, werden. Die Orientierung an antik-imperialen Repräsentationsbauten ist vor allem in der Palastkapelle Karls des Großen in Aachen (beg. kurz vor 800) unverkennbar, denn der oktogonale Zentral- 13

Rom, S. Costanza Zwischen 337 und 351 Stiftung einer großen Umgangsbasilika über einem Gräberfeld zu Ehren der hl. Agnes durch die Tochter Kaiser Konstantins, Constantina. Wenig später Anfügung eines Grabbaues. Die nur noch in den Umfassungsmauern stehende Hauptkirche war eine typische Umgangsbasilika. Vom südlichen Seitenschiff aus gab ein quergelagerter Narthex Zugang zu einem monumentalen Rundbau, in dem Constantina und ihre Schwester Helena bestattet wurden. Dieser Bau, S. Costanza, hat seine spätantike Form weitgehend erhalten. Von außen wurde er ursprünglich von einer säulengestützten Ringhalle umlaufen. Im Inneren umschließt ein tonnengewölbter Umgang den zentralen Kuppelraum, welcher durch große Fenster in der Tambourzone Licht erhält. Im Querschnitt übernimmt der Bau also wesentliche Merkmale der gleichzeitigen frühchristlichen Basilika (s. Rom, Petersdom, S. Sabina), doch sind diese zu einem kreisrunden Baukörper gefügt. Diese Rotundenform entspricht prinzipiell antiken Grabmalsbauten. Die Außenwand des Umgangs öffnet sich alternierend in runde und rechteckige Nischen, ähnlich wie im römischen Pantheon. Jeweils größere Nischen liegen sich in der Eingangs- bzw. der Querachse gegenüber, so dass in dem Rundbau zwei sich überkreuzende Achsen angedeutet sind. Neu in S. Costanza sind vor allem die zu einem Paar gekoppelten und in radialer Richtung positionierten Säulen, die einen gemeinsamen Kämpfer tragen, auf dem die Arkadenmauer der Hochwand aufliegt. Bei der Anordnung der Kapitelle wurde subtil eine höherrangige Ansichtsseite zum Innenraum vom Umgangsbereich geschieden: nach innen kamen qualitätsvolle, aus alten Bauten entnommene Kompositkapitelle zur Verwendung, etwas einfachere zeigt die Umgangsseite. 27

Jerusalem, Grabeskirche 335 Weihe der ersten, basilikalen Kirche mit Atrium und Grabesrotunde durch Kaiser Konstantin. 1009 völlige Zerstörung unter dem Kalifen Al-Hakim, ab 1036 Neuerrichtung, aber ohne Basilika, im 2. Drittel d. 12. Jhs. Anfügung eines Chores mit Umgang. 1555 Erneuerung des Hl. Grabes, Anf. 18. Jh. der Bedachung der Grabesrotunde. Zentrum der Grabeskirche ist das Grab Christi, um das herum der umgebende Fels abgetragen wurde, so dass nur die steinerne Hülle um die Grabkammer übrig blieb. Darüber wurde in spätantiker Zeit ein Rundbau errichtet. Über einen Atriumshof kam man nach Osten zu einer Basilika, die mit einer Apsis und einem Querhaus in Richtung auf die Grabesrotunde gerichtet war. Der nach der Zerstörung wieder errichtete Komplex musste sich auf die Grabesrotunde und das Atrium beschränken, in das die Stationen der Passion einbezogen wurden, vor allem der freigelegte Golgathahügel südöstlich des Christusgrabes. Im 12. Jahrhundert ersetzte man den alten Atriumsbereich durch eine Art Querhaus mit anschließendem Chor, um den ein Umgang mit einem Kranz von Kapellen herumgeführt wurde, in denen die Passionsstationen Christi ihren Platz fanden. Über dem Chor wurde eine Kuppel errichtet und dieses Ensemble mit einer hohen Mauer eingefasst, zu der eine Doppelportalanlage Eintritt verschafft. Diese Gestalt hat die Grabeskirche im Wesentlichen auch heute noch. In der Rotunde mit ihren zahlreichen Säulen, welche einen Umgang abtrennen, ist trotz bedeutender Restaurierungsmaßnahmen noch viel von dem spätantiken Vorgänger enthalten. Der Neubau des 12. Jahrhunderts hat klar romanische Kirchenbauten des Westens als Vorbild. Die umlaufenden Emporen oder das Doppelportal erinnern an St-Sernin in Toulouse und an die Kathedrale von Santiago, die Spitzbogenarkaden aber an lokale Traditionen. 73

Évry, Cathédrale de la Résurrection Saint-Corbinien 1988 96 von Mario Botta errichtet. In einer der Neustädte weit vor den Toren von Paris entstand eine der jüngsten Diözesen und damit auch der derzeit aktuellste Neubau einer Kathedrale in Europa. Sie erscheint zum einen als abstrakte Form und enthält zum anderen bewusst zahlreiche Bezüge zur Geschichte der Architektur. Ein schräg abgeschnittener Zylinder bildet die Grundform. Auf dessen Oberkante wachsen Bäume, dazwischen fällt Licht seitlich einer dreieckigen Dachfläche in das Innere. Dieses ist mithin von perfekter Rundheit; die Funktionsräume sind in der recht starken Zylinderhülle untergebracht. Auch der Zugang erfolgt unterirdisch, somit beeinträchtigt kein Portal die vollendete Zylinderform. Allerdings strukturiert Botta diese Hülle reichlich durch Öffnungen: Vor einem aus dem Zylinder ausgeschnittenen Segmentbogen steht der Altar, Loggien öffnen sich gegenüber. Alle Sichtflächen bestehen aus Backsteinen, die, in verschiedenen Techniken versetzt, die Oberfläche gliedern. Somit ergibt sich eine warme, auch akustisch stimmige Atmosphäre, die durch das hauptsächlich aus der großen Zylinderöffnung von oben einströmende Licht durchaus erhabene Effekte inszeniert. Die geometrischen Formen verstehen sich auch als Symbole, so etwa zeigt die dreieckige Dachfläche genau nach Süden, in Richtung der Sonne. Natur und Architektur durchdringen sich harmonisch und originell: die kunstvolle Architektur trägt die Natur in Form des Ringgartens mit den Bäumen. Und sodann deutet das Gebäude die Tradition der großen Rundbauten der Architekturgeschichte an, vom römischen Pantheon über die Hagia Sophia bis hin zur sog. Revolutionsarchitektur mit ihren geometrisch klaren Formen. 327